Verlustabzug des Erblassers, keine Übertragung auf Erben, Vertrauensschutz bei Rechtsprechungsänderung: 1. Der Erbe kann einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10 d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Jedoch ist die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin in allen Erbfällen anzuwenden, die bis zum Ablauf des Tages der Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind. - 2. Da der Große Senat des BFH die vorgelegte erste Rechtsfrage im Grundsatz verneint hat, erübrigt sich eine Stellungnahme zu der vom vorlegenden Senat nur hilfsweise gestellten zweiten Rechtsfrage. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 24.7.2008, IV C 4 - S 2225/07/0006, BStBl 2008 I S. 809 = SIS 08 31 30) - Urt.; BFH 17.12.2007, GrS 2/04; SIS 08 13 73
A. Vorgelegte Rechtsfragen,
Ausgangsverfahren, Anrufungsbeschluss des XI. Senats, Stellungnahme
der Beteiligten
I. Vorgelegte Rechtsfragen
Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH)
hat mit Beschluss vom 28.7.2004 XI R 54/99 (BFHE 207, 404, BStBl II
2005, 262 = SIS 05 03 66) dem Großen Senat des BFH die
folgenden Rechtsfragen zur Beantwortung vorgelegt:
1.
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Kann der Erbe einen vom Erblasser nicht
ausgenutzten Verlust bei seiner eigenen Veranlagung zur
Einkommensteuer geltend machen?
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2.
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Falls die 1. Rechtsfrage bejaht wird: Steht
im Falle einer Erbengemeinschaft der Abzug nur demjenigen zu, der
die Einkunftsquelle(n) fortführt, die den Verlust verursacht
hat (haben)?
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Gelten für den Fall der Sondererbfolge
in die Verlust verursachende Einkunftsquelle
Besonderheiten?
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II. Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Landwirt. Er ermittelt den Gewinn seines land-
und forstwirtschaftlichen Betriebes durch
Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Der im Jahr 1983 verstorbene Vater
des Klägers hatte diesen testamentarisch zum alleinigen
Hoferben bestimmt. Der Erbteil des Klägers am hoffreien
Vermögen betrug 10 v.H.; die restlichen Erbteile entfielen auf
seine Mutter (50 v.H.) und seine vier Geschwister (je 10 v.H.). In
den Veranlagungszeiträumen 1980 bis 1982 hatte der Erblasser
Verluste in Höhe von insgesamt 107.165 DM erlitten, von denen
er nach § 10d EStG im Veranlagungszeitraum 1983 lediglich
16.431 DM abziehen konnte.
In seinen Einkommensteuererklärungen
für die Kalenderjahre 1983 bis 1986 beantragte der
Kläger, die beim Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste in
Höhe von 90.734 DM bei ihm nach § 10d EStG abzuziehen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) erkannte
erklärungsgemäß für die Jahre 1983 bis 1985
Verlustabzüge in Höhe von insgesamt 32.050 DM an.
Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung
für das Streitjahr 1986 vertrat das FA die Auffassung, dass
ein Verlustvortrag nicht mehr vorzunehmen sei, weil der Kläger
nur 10 v.H. der vom Erblasser nicht verbrauchten Verluste habe
abziehen dürfen.
Nach erfolglosem Einspruch machte der
Kläger mit seiner Klage geltend, das Gebot der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit verlange, dass der Verlustvortrag
allein ihm als dem nach der Höfeordnung (HöfeO)
bestimmten Hoferben zustehe, zumal der wesentliche Teil des
Nachlasses aus dem Hof bestanden habe. Das Prinzip der
Gesamtrechtsnachfolge stehe dem zumindest im Bereich der
Landwirtschaft nicht entgegen.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als
unbegründet abgewiesen (EFG 1999, 1221). Es hat die Auffassung
vertreten, dass der Verlustabzug entgegen der ständigen
Rechtsprechung des BFH nicht vererblich sei.
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung des § 45 der Abgabenordnung (AO)
sowie des § 10d EStG.
III. Begründung des
Vorlagebeschlusses
1. Der XI. Senat verneint entgegen der
bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH die 1.
Vorlagefrage. Er beabsichtigt daher, die Vorentscheidung zu
bestätigen und die Revision des Klägers als
unbegründet zurückzuweisen. Er hält die dogmatischen
und systematischen Einwände gegen den Übergang des vom
Erblasser nicht verbrauchten Verlustabzugs auf den Erben für
so schwerwiegend, dass er die bisherige Rechtsprechung des BFH
aufgeben möchte. Die Annahme der Vererblichkeit des vom
Erblasser nicht genutzten Verlustabzugs stelle eine Durchbrechung
des in der Rechtsprechung des BFH und des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) aufgestellten allgemeinen Grundsatzes dar, nach dem nur
derjenige Steuerpflichtige Aufwendungen und Verluste steuermindernd
geltend machen könne, der sie getragen habe.
Folge man hingegen dieser Auffassung nicht und
gehe man im Anschluss an die bisherige Rechtsprechung des BFH von
der Vererblichkeit des Verlustvortrages aus, so stelle sich im
Ausgangsverfahren die 2. Vorlagefrage, ob der Abzug in voller
Höhe dem Kläger als alleinigem Hoferben zustehe oder ob
er den Verlust, da er nur einer von mehreren (Mit-)Erben des
hoffreien Vermögens geworden sei, nur anteilig abziehen
könne. Im letzteren Fall sei zudem die Frage zu beantworten,
wie dieser Anteil zu berechnen sei.
Im Streitfall seien die vom Erblasser nicht
ausgeglichenen Verluste im landwirtschaftlichen Betrieb entstanden.
Allein der Kläger führe als Hoferbe den Betrieb fort und
trage auch den Kapitaldienst für die landwirtschaftlichen
Verbindlichkeiten. Dies spreche dafür, den Verlustabzug
ausschließlich dem Kläger zu gewähren. Dem stehe
allerdings entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BFH der
Übergang des Verlustvortrages auf den Erben nicht voraussetze,
dass dieser den Betrieb des Erblassers fortführe (vgl. Urteile
vom 22.6.1962 VI 49/61 S, BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386 = SIS 62 02 53; vom 5.5.1999 XI R 1/97, BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653
= SIS 99 17 09).
Wegen der Begründung der Vorlage im
Einzelnen wird auf den Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II
2005, 262 = SIS 05 03 66 Bezug genommen.
2. Der XI. Senat sieht sich an der von ihm
beabsichtigten Entscheidung zur 1. Vorlagefrage durch Urteile des
I. und des VIII. Senats des BFH gehindert. Danach kann der Erbe
einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustvortrag
gemäß § 10d EStG bei seiner eigenen Veranlagung zur
Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer geltend machen
(Urteile vom 25.4.1974 VIII R 61/69, nicht veröffentlicht,
sowie vom 13.11.1979 VIII R 193/77, BFHE 129, 262, BStBl II 1980,
188 = SIS 80 01 05, und vom 16.5.2001 I R 76/99, BFHE 195, 328,
BStBl II 2002, 487 = SIS 01 12 27).
Der I. und der VIII. Senat des BFH haben auf
Anfrage des vorlegenden Senats mitgeteilt, dass sie einer
Abweichung von ihren o.a. Urteilen nicht zustimmen.
Der XI. Senat hat deshalb gemäß
§ 11 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den
Großen Senat des BFH angerufen. Er stützt seine Vorlage
außerdem auf § 11 Abs. 4 FGO. Eine Entscheidung des
Großen Senats des BFH über die unter A.I. bezeichnete
zweite Rechtsfrage diene der Fortbildung des Rechts und der
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
IV. Stellungnahme der Beteiligten
1. Der Kläger und das FA haben auf eine
Stellungnahme verzichtet.
2. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Vorlageverfahren beigetreten und vertritt zur 1.
Vorlagefrage im Wesentlichen die folgende Rechtsauffassung:
Die bisherige, auch von der Finanzverwaltung
(vgl. H 10d des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs - EStH - 2006,
„Verlustabzug im Erbfall“) gebilligte
Rechtsprechung des BFH, nach der vom Erblasser nicht ausgeglichene
Verluste auf den Erben übergingen, solle aufgegeben werden.
Die Einkommensteuer sei als Personensteuer ausgestaltet und stelle
auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen ab.
Die Leistungsfähigkeit sei untrennbar mit der Person des
Steuerpflichtigen verbunden. Bei der Person des Erblassers und der
des Erben handele es sich um verschiedene Rechtssubjekte.
Infolgedessen könne die „Leistungsfähigkeit des
Erblassers nicht über dessen Tod hinaus fortgesetzt“
und damit nicht auf den Erben übertragen werden. Auch
entspreche es allgemeinen Grundsätzen des
Einkommensteuerrechts, dass ein Steuerpflichtiger Aufwendungen und
Verluste anderer Personen nicht geltend machen könne.
Das Einkommensteuergesetz folge nicht der
„Leitidee“ eines Totalitätsprinzips, d.h.
des Prinzips einer auf die Lebenszeit eines Steuerpflichtigen
bezogenen vollständigen Verrechnung aller positiven und
negativen Einkünfte. Eine Übertragung des Verlustabzugs
auf den Erben könne überdies nicht mit dem Argument
gerechtfertigt werden, der Verlustabzug sei derart eng mit der
einzelnen, den Verlust verursachenden Einkunftsquelle verbunden,
dass er zusammen mit dieser Einkunftsquelle auf den Erben
übergehen müsse. Dies ergebe sich bereits aus der Art und
Weise, wie der Verlustabzug in die Reihenfolge der bei der
Ermittlung des zu versteuernden Einkommens anzusetzenden Positionen
eingeordnet sei. Ferner stelle der Verlust keine steuerrechtlich
aktivierbare Rechtsposition dar. Ohne nachfolgende positive
Einkünfte habe er keinerlei Auswirkungen. Ob in der Zukunft
positive Einkünfte anfielen, sei grundsätzlich nicht
vorhersehbar. Schließlich ergebe sich auch aus dem
Gesichtspunkt einer möglichen Überbesteuerung nichts
anderes. Im Hinblick auf den Charakter der Einkommensteuer als
Personensteuer könne eine eventuelle Überbesteuerung des
Erblassers nicht in der Weise vermieden werden, dass die beim
Erblasser nicht aufgezehrten Verluste beim Erben
berücksichtigt würden.
Zur zweiten Rechtsfrage hat sich das BMF nicht
geäußert.
B. Entscheidung des Großen Senats des
BFH zu den Verfahrensfragen
I. Keine mündliche Verhandlung
Der Große Senat des BFH entscheidet
gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 FGO ohne mündliche
Verhandlung. Eine weitere Förderung der Sache ist durch eine
mündliche Verhandlung nicht zu erwarten. Die Beteiligten
hatten Gelegenheit, zu den Vorlagefragen Stellung zu nehmen, und
haben keine mündliche Verhandlung beantragt.
II. Zulässigkeit der Vorlage
1. Erste Vorlagefrage
a) Die Vorlage ist gemäß § 11
Abs. 2 und 3 FGO zulässig. Die Auffassung des vorlegenden
Senats weicht hinsichtlich dieser Rechtsfrage von der oben
(A.III.2.) zitierten Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab. Der
I. und der VIII. Senat haben auf Anfrage des vorlegenden Senats der
Abweichung nicht zugestimmt. Danach bedarf es keiner Entscheidung,
ob sich die Zulässigkeit der Vorlage auch aus § 11 Abs. 4
FGO ergibt.
b) Die erste Vorlagefrage ist
entscheidungserheblich.
Verneint man sie, ist die Revision des
Klägers als unbegründet zurückzuweisen; die
Entscheidung der Vorinstanz, nach der der Kläger nicht zum
Abzug der vom Erblasser nicht ausgeglichenen Verluste berechtigt
ist, erweist sich in diesem Fall als rechtmäßig.
Bejaht man hingegen die erste Vorlagefrage,
kommt es für den Erfolg der Revision des Klägers auf die
Beantwortung der vom XI. Senat vorgelegten zweiten, dann
entscheidungserheblichen (siehe dazu unten 2.b) Rechtsfrage an.
2. Zweite Vorlagefrage
a) Die Vorlage ist gemäß § 11
Abs. 4 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zulässig.
Zutreffend hat der vorlegende Senat die Frage für
grundsätzlich bedeutsam gehalten, wie der Anteil eines
Miterben am Verlustvortrag bei einem Zusammentreffen von
Gesamtrechtsnachfolge (vgl. § 1922 Abs. 1, § 2032 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ) und Sondererbfolge in
bestimmte Nachlassgegenstände (z.B. Hof i.S. des § 4
HöfeO oder Personengesellschaftsanteil im Falle einer
Nachfolgeklausel) zu berechnen ist. Mit diesem Problem hat sich die
(höchstrichterliche) Rechtsprechung - soweit ersichtlich -
bislang noch nicht befassen müssen.
b) Auch die zweite Vorlagefrage ist für
die Entscheidung des XI. Senats rechtserheblich. Ist diese zweite
Rechtsfrage entgegen der Ansicht des vorlegenden Senats (vgl.
Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262 = SIS 05 03 66, unter B.III.5.) so zu beantworten, dass der Kläger den vom
Erblasser nicht verbrauchten Verlustabzug entsprechend seiner
quotalen Beteiligung an der Erbengemeinschaft lediglich in
Höhe von 10 v.H. beanspruchen kann, so ist die Revision des
Klägers ebenfalls als unbegründet
zurückzuweisen.
Auf der Grundlage der vom vorlegenden Senat
zur zweiten Rechtsfrage vertretenen Rechtsauffassung ist die
Revision hingegen begründet. In diesem Fall ist das
angefochtene FG-Urteil aufzuheben und der Klage entweder
stattzugeben (vgl. § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO) oder die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen (vgl. § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
FGO).
C. Auffassungen in der bisherigen
Rechtsprechung und Literatur
I. Höchstrichterliche Rechtsprechung
1. Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs
(RFH)
Der RFH knüpfte den Verlustabzug an die
Person dessen, der den Verlust erlitten hatte (vgl. insbesondere
RFH-Urteil vom 7.11.1934 VI A 875/34, Steuer und Wirtschaft - StuW
- 1935, Teil II, Sp. 47; vgl. ferner die allerdings
Umwandlungsfälle betreffenden RFH-Urteile vom 12.5.1936 I A
84/36, RStBl 1936, 789; vom 19.5.1936 I A 107/36, RStBl 1936, 790,
und vom 2.7.1941 VI 433/40, RStBl 1941, 658).
Im Urteil in StuW 1935, Teil II, Sp. 47
begründete der RFH seine Auffassung im Wesentlichen damit,
dass „der Verlustvortrag ... grundsätzlich eine
Vorschrift zur Berechnung des persönlichen Einkommens
desjenigen Steuerpflichtigen (sei), der in früheren Jahren
einen Verlust gehabt (habe). Die öffentlich-rechtliche
Befugnis zum Verlustausgleich (könne) nicht
bürgerlich-rechtlich auf andere übertragen werden. Das
Recht auf den Verlustausgleich (sei) ... ein Recht, das an die
Persönlichkeit desjenigen geknüpft (sei), der den Verlust
erlitten (habe), und weder durch Rechtsgeschäft unter
Lebenden, noch von Todes wegen auf einen anderen übergehen
(könne)“.
2. Rechtsprechung des BFH
In seinen grundlegenden Urteilen in BFHE 75,
328, BStBl III 1962, 386 = SIS 62 02 53 und vom 15.3.1962 IV 177/60
(Höchstrichterliche Finanz-Rechtsprechung - HFR - 1963, 8)
rückte der BFH von der Rechtsprechung des RFH ab und ging
fortan von der Vererblichkeit des Verlustvortrages aus. Zur
Begründung dieser Ansicht führte er in seinem Urteil in
BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386 = SIS 62 02 53 im Wesentlichen
aus:
„Der Erbe (trete)
bürgerlich-rechtlich (§ 1922 BGB) in vollem Umfange in
die Rechtsstellung des Erblassers. Dies (gelte) grundsätzlich
auch steuerrechtlich ... Dieser Stellung des Erben (entspreche) es,
auch das Recht des Verlustabzugs auf ihn übergehen zu
lassen“, da sich in dessen Person die Einkunftsgrundlagen
des Erblassers fortsetzten.
Im Urteil in HFR 1963, 8 (9) weist der BFH
darauf hin, dass der RFH „in zu geringem Maße dem
Umstand Rechnung getragen (habe), dass steuerrechtlich der
Gesamtrechtsnachfolger anders als der Einzelrechtsnachfolger zu
beurteilen (sei). Aus den erbrechtlichen Bestimmungen des
bürgerlichen Rechts (ergebe) sich, dass der Nachlass in allen
seinen rechtlichen Beziehungen zum Erben kraft Gesetzes als Ganzes
auf den Rechtsnachfolger (übergehe). ... Das Recht zur
Inanspruchnahme des Verlustabzugs (sei) kein
höchstpersönliches. Es (ergebe) sich vielmehr aus dem
Zweck der Vorschrift (meint: § 10d EStG),..., dass sie in
engstem Zusammenhang mit der betrieblichen Gewinnermittlung
(stehe). Wenn Erblasser und Erbe bei der Gewinnermittlung wie ein
und dieselbe Person behandelt (würden), so (sei) diese
Folgerung auch bei der Anwendung des Verlustabzugs gerechtfertigt.
Dies (werde) besonders bei der Behandlung der stillen Reserven
deutlich. Denn der Gesamtrechtsnachfolger, der die Buchwerte
(weiterführe, müsse) stille Reserven, die sich bei seinem
Rechtsvorgänger gebildet (hätten), bei der späteren
Auflösung versteuern. Dieser Belastung (müsse) die
Entlastung durch das Recht zur Vornahme des Verlustabzugs
entsprechen“.
An dieser Rechtsprechung hat der BFH in der
Folgezeit festgehalten (vgl. z.B. Urteile vom 17.5.1972 I R 126/70,
BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621 = SIS 72 03 62; vom 10.4.1973
VIII R 132/70, BFHE 109, 342, BStBl II 1973, 679 = SIS 73 03 62; in
BFHE 129, 262, BStBl II 1980, 188 = SIS 80 01 05; in BFHE 195, 328,
BStBl II 2002, 487 = SIS 01 12 27; Beschluss vom 22.10.2003 I ER
-S- 1/03, BFHE 203, 496, BStBl II 2004, 414 = SIS 03 53 41).
Ergänzend wird auf die Darstellung der
bisherigen Rechtsprechung des BFH im Vorlagebeschluss in BFHE 207,
404, BStBl II 2005, 262 = SIS 05 03 66 (unter B.I.2.) Bezug
genommen.
II. Äußerungen im Schrifttum
Ein Teil der Literatur pflichtet der
bisherigen Rechtsprechung des BFH bei. Der überwiegende Teil
des Schrifttums steht ihr indessen kritisch und ablehnend
gegenüber. Insoweit wird auf die zahlreichen Nachweise (pro
und contra) im Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005,
262 = SIS 05 03 66 (unter B.II.) verwiesen.
D. Entscheidung des Großen Senats des
BFH über die vorgelegte erste Rechtsfrage
Der Große Senat des BFH schließt
sich der Auffassung des XI. Senats an und verneint die vorgelegte
erste Rechtsfrage. Entgegen der bisherigen ständigen
Rechtsprechung des BFH kann der Übergang des vom Erblasser
nicht ausgenutzten Verlustvortrags nach § 10d EStG auf den
Erben weder auf zivilrechtliche noch auf steuerrechtliche
Vorschriften und Prinzipien gestützt werden.
I. Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem
Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den
oder die Erben über. Gemäß § 1967 BGB haften
die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Das hierin
für den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge
beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts. Es
erstreckt sich vielmehr auch auf das öffentliche Recht und
damit auch auf das Steuerrecht. So ordnet § 45 Abs. 1 Satz 1
AO an, dass bei der Gesamtrechtsnachfolge „die Forderungen
und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den
Rechtsnachfolger über(gehen)“.
1. Ungeachtet des restriktiv gehaltenen
Wortlauts des § 45 Abs. 1 Satz 1 AO leitet der BFH in
ständiger Rechtsprechung aus dieser Bestimmung her, dass der
Erbe als Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich in einem
umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in
verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung
des Erblassers eintrete (vgl. z.B. Urteile vom 17.6.1997 IX R
30/95, BFHE 183, 470, BStBl II 1997, 802 = SIS 97 22 13, unter 2.;
vom 20.3.2002 II R 53/99, BFHE 199, 19, BStBl II 2002, 441 = SIS 02 08 24, unter II.1.a).
2. Der Große Senat des BFH kann im
vorliegenden Verfahren offen lassen, ob die von Teilen der
Literatur (vgl. z.B. Ruppe, DStJG 10 (1987), S. 45, 55)
geäußerte Kritik an dieser vom BFH und von der
überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. z.B.
Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 45 Rz 1) befürworteten
weiten Auslegung des § 45 AO berechtigt ist. Denn im Kern
besteht zwischen den Vertretern einer weiten und einer engen
Interpretation des § 45 AO Einigkeit darüber, dass
jedenfalls höchstpersönliche Verhältnisse und
unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers
verknüpfte Umstände nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger
übergehen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.11.1971 V R 111/68,
BFHE 103, 453, BStBl II 1972, 80 = SIS 72 00 48, zu § 8 des
Steueranpassungsgesetzes; vom 15.3.2000 X R 130/97, BFHE 191, 360,
BStBl II 2001, 530 = SIS 00 08 65, unter II.4.a; in BFHE 199, 19,
BStBl II 2002, 441 = SIS 02 08 24, unter II.1.a; Kruse in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 45 AO Rz
12, m.w.N.).
Des Weiteren besteht ungeachtet des
Meinungsstreits über die Grenzen des sachlichen
Anwendungsbereichs von § 45 AO auch Einigkeit darüber,
dass die Antwort auf die Frage, ob und in welchem Umfang
steuerrechtliche Positionen vererblich sind oder wegen ihres
höchstpersönlichen Charakters und ihrer unlösbaren
Verknüpfung mit der Person ihres Inhabers nicht auf den
Gesamtrechtsnachfolger übergehen können, nicht allein
durch eine isolierte Auslegung der allgemeinen und für alle
Steuerarten geltenden Vorschrift des § 45 AO, sondern nur
unter Heranziehung der für die betreffende Rechtsbeziehung
einschlägigen materiell-rechtlichen Normen und Prinzipien des
jeweiligen Einzelsteuergesetzes gefunden werden kann (vgl. z.B.
BFH-Urteil in BFHE 199, 19, BStBl II 2002, 441 = SIS 02 08 24,
unter II.1.a).
II. Bestimmt sich danach die Vererblichkeit
steuerrechtlicher Rechtspositionen vorrangig nach den
maßgeblichen Regelungen und Grundsätzen des jeweils
einschlägigen (Einzel)Steuergesetzes, so ist die Frage nach
dem Übergang des vom Erblasser nicht aufgezehrten
Verlustabzugs i.S. von § 10d EStG auf seine(n) Erben in erster
Linie durch Auslegung dieser Norm sowie unter Heranziehung der das
Einkommensteuerrecht beherrschenden Prinzipien zu beantworten.
1. § 10d EStG ermöglicht unter den
dort bezeichneten Voraussetzungen eine interperiodische Verrechnung
von Verlusten, die im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht
ausgeglichen werden konnten. Auf diese Weise trägt die
Regelung - wenn auch nur in begrenztem Maße - zur Milderung
der Härten bei, die sich durch die Anwendung des dem
Einkommensteuergesetz zugrunde liegenden Abschnittsprinzips
(Periodizitätsprinzip; Jahresprinzip; s. § 25 Abs. 1
EStG) ergeben (vgl. hierzu z.B. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd.
II, 2. Aufl., S. 758 ff.).
2. § 10d EStG gewährt dem
Steuerpflichtigen unter den dort statuierten Voraussetzungen eine
subjektiv-öffentliche Berechtigung zum Verlustabzug, d.h. zur
Verrechnung der im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung nicht
ausgeglichenen negativen Einkünfte mit den positiven
Einkünften vorangegangener (Verlustrücktrag) oder
nachfolgender Veranlagungszeiträume (Verlustvortrag). Sieht
man vom Verlustrücktrag ab, so hat der Verlustabzug den
Rechtscharakter eines aufschiebend, durch die Entstehung
künftiger positiver Gesamtbeträge der Einkünfte
bedingten Einkommensteuerminderungsanspruchs. Einem solchen
potenziellen Verrechnungsanspruch kommt dem Grunde nach ein
wirtschaftlicher (Vermögens-)Wert zu.
Allerdings kann nicht schon allein aus der
potenziellen Vermögensqualität der dem Erblasser
zustehenden Berechtigung zum Verlustabzug auf deren Vererblichkeit
geschlossen werden. Denn eine solche Folgerung würde in
unzulässiger Weise das Ergebnis der Prüfung der
Vererblichkeit des Verlustabzugs vorwegnehmen.
III. Obwohl § 10d EStG einerseits
detaillierte Regelungen über Inhalt und Umfang des
interperiodischen Verlustausgleichs trifft, enthält er sich
andererseits jeder (ausdrücklichen) Aussage zur Frage der
Zulässigkeit des interpersonellen Verlustausgleichs. Daher
kann die Antwort auf die streitige Rechtsfrage nicht allein durch
eine isolierte Interpretation dieser Norm gefunden werden. Nach der
systematischen und teleologischen Auslegungsmethode sind
hierfür vielmehr die Prinzipien und grundlegenden Wertungen
des Einkommensteuerrechts heranzuziehen. Hieraus ergibt sich, dass
der vom Erblasser nicht verbrauchte Verlustabzug nicht auf den
Erben übergeht.
1. Die Einkommensteuer ist eine
Personensteuer. Sie erfasst die im Einkommen zu Tage tretende
Leistungsfähigkeit der einzelnen natürlichen Person. Sie
wird daher vom Grundsatz der Individualbesteuerung und vom Prinzip
der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit
beherrscht. Die personale Anknüpfung der Einkommensteuer
garantiert die Verwirklichung des verfassungsrechtlich fundierten
Gebots der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit (vgl. Lehner/Waldhoff, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 1 Rz A 6;
Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262 = SIS 05 03 66, unter B.III.2. a). Die einzelne natürliche Person ist das
Zurechnungssubjekt der von ihr erzielten Einkünfte (§ 2
Abs. 1 EStG). Die persönliche Steuerpflicht erstreckt sich auf
die Lebenszeit einer Person; sie endet mit ihrem Tod. In diesem
Fall ist die Veranlagung auf das bis zum Tod erzielte Einkommen zu
beschränken. Erblasser und Erbe sind verschiedene
Rechtssubjekte, die jeweils für sich zur Einkommensteuer
herangezogen werden und deren Einkünfte getrennt ermittelt und
dem jeweiligen Einkommensteuerrechtssubjekt zugerechnet werden.
2. Diese Grundsätze sprechen dagegen, die
beim Erblasser bis zu seinem Tod nicht aufgezehrten
Verlustvorträge auf ein anderes Einkommensteuerrechtssubjekt -
und sei es auch nur auf seinen Erben (Gesamtrechtsnachfolger) - zu
übertragen und diesem zu gestatten, die
„Verluste“ mit eigenen - positiven -
Einkünften zu verrechnen.
Der Verlustvortrag i.S. von § 10d EStG
beruht auf einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte. Er
resultiert aus einem Überschuss der in einem bestimmten
Veranlagungszeitraum angefallenen Erwerbsaufwendungen über die
im selben Besteuerungsabschnitt erzielten Erwerbsbezüge. Dem
verfassungsrechtlichen Gebot der einkommensteuerlichen
Lastengleichheit (vgl. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - )
Rechnung tragend, bemisst der Einkommensteuergesetzgeber die im
Einkommen einer bestimmten natürlichen Person dokumentierte
finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und
subjektiven Nettoprinzip (vgl. hierzu z.B. Tipke, Die
Steuerrechtsordnung, Bd. II, a.a.O., S. 762 ff. und S. 784 ff.;
Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 9 Rz 54 f. und Rz 68
ff.). Abziehbar ist nach Maßgabe des sog.
Kostentragungsprinzips (vgl. dazu z.B. Tipke/Lang, Steuerrecht,
a.a.O., § 9 Rz 223) nur der vom Steuerpflichtigen selbst
erbrachte Aufwand. Es entspricht demnach allgemeinen
Grundsätzen des Einkommensteuerrechts, dass ein
Steuerpflichtiger Aufwendungen und Verluste eines Dritten nicht
abziehen kann (Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005,
262 = SIS 05 03 66, unter B.III.2.b, m.w.N.; vgl. ferner
Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 23.8.1999 GrS
1/97, BFHE 189, 151, BStBl II 1999, 778 = SIS 99 20 54, und GrS
3/97, BFHE 189, 172, BStBl II 1999, 787 = SIS 99 20 56). Auf eine
nach diesen Maßstäben unzulässige Abziehbarkeit von
Drittaufwand liefe es indessen im wirtschaftlichen Ergebnis hinaus,
wenn der Erbe die aus Aufwandsüberschüssen des Erblassers
resultierenden Verlustvorträge bei der Ermittlung seiner
eigenen Einkünfte abziehen könnte.
3. Die durch die Annahme der Vererblichkeit
des Verlustabzugs ermöglichte, dem Einkommensteuerrecht
ansonsten aber fremde Abziehbarkeit von Drittaufwand und der
dadurch zugleich bewirkte Widerspruch zum Prinzip der Besteuerung
des Erben nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit lassen
sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, dass der Erbe
gemäß § 1967 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 AO - von
Sonderfällen abgesehen - uneingeschränkt für die vom
Erblasser herrührenden Schulden hafte und eine solche
wirtschaftliche Belastung des Erben mit den
Nachlassverbindlichkeiten nach der Rechtsprechung des BFH (vgl.
z.B. Urteile vom 17.2.1961 VI 66/59 U, BFHE 72, 630, BStBl III
1961, 230 = SIS 61 01 59; in HFR 1963, 8; in BFHE 75, 328, BStBl
III 1962, 386 = SIS 62 02 53; in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653 =
SIS 99 17 09) eine unerlässliche Voraussetzung für den
Übergang der vom Erblasser nicht aufgezehrten
„Verluste“ auf den Erben darstelle.
Die vom Erblasser erzielten negativen
Einkünfte und seine Verbindlichkeiten sind strikt voneinander
zu unterscheiden und getrennt zu beurteilen. Negative
Einkünfte verkörpern unlösbar mit der Person des
Einkünftebeziehers verbundene Besteuerungsgrundlagen (vgl.
§ 157 Abs. 2, § 179, § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO).
Schulden sind hingegen im Grundsatz verkehrsfähige negative
Wirtschaftsgüter (vgl. z.B. § 414 ff., § 1967 Abs. 1
BGB).
a) Ebenso wie positive Einkünfte des
Erblassers dessen einkommensteuerrechtliche Leistungsfähigkeit
erhöht haben, ist diese umgekehrt durch seine negativen
Einkünfte gemindert oder gar beseitigt worden. Die durch
Verluste und Werbungskostenüberschüsse verursachte
„negative Leistungsfähigkeit“ kann als
personenbezogene und mithin nicht fungible Eigenschaft des
betreffenden Einkommensteuerrechtssubjekts genauso wenig auf eine
andere Person übergehen, wie dies in der entgegengesetzten
Situation der durch Gewinne und Einnahmenüberschüsse
vermittelten „positiven Leistungsfähigkeit“
in Betracht kommt. Demgemäß entspricht es einhelliger
Ansicht, dass der Verlustvortrag weder für sich genommen noch
in Verbindung mit der die Verluste verursachenden Einkunftsquelle
(z.B. Betrieb) durch (unentgeltliches) Rechtsgeschäft unter
Lebenden übertragen werden kann. Dies gilt mangels einer
gegenteiligen gesetzlichen Anordnung in gleicher Weise für die
im Erbfall eintretende Gesamtrechtsnachfolge, und zwar gleichviel,
ob die Erbfolge auf Gesetz, auf einseitigem Rechtsgeschäft des
Erblassers (Testament) oder auf einem (Erb-)Vertrag beruht.
b) Grundlegend anders verhält es sich
dagegen bei den Erblasserschulden. Sie gehen gemäß
§ 1967 BGB mit dem Erbfall ohne Weiteres - ipso iure - auf den
Erben über. Diese noch in der Person des Erblassers
begründeten Verbindlichkeiten haben naturgemäß
dessen (Rein-)Vermögen gemindert. Beim Übergang auf den
Erben schmälern sie dessen erbschaftsteuerrechtliche
Bereicherung (vgl. § 10 des Erbschaft- und
Schenkungsteuergesetzes - ErbStG - ). Allerdings ist diese
Reduzierung des Vermögens in einkommensteuerrechtlicher
Hinsicht ohne Bedeutung; denn sie wirkt sich ebenso wie die
umgekehrt durch den im Erbwege vollzogenen Übergang aktiver
Wirtschaftsgüter hervorgerufene Steigerung des Vermögens
lediglich auf die Höhe der Erbschaftsteuer aus.
4. Der Übergang des vom Erblasser nicht
verbrauchten Verlustabzugs auf seine(n) Erben kann nicht aus der
vorgeblichen „Leitidee“ eines sog.
Totalitätsprinzips gefolgert werden. Der Große Senat des
BFH kann dahinstehen lassen, wie das Spannungsverhältnis
zwischen dem Abschnittsprinzip und dem - verfassungsrechtlich durch
Art. 3 Abs. 1 GG in Gestalt des Leistungsfähigkeitsprinzips
geschützten - abschnittsübergreifenden Nettoprinzip zu
lösen ist. Denn jedenfalls können aus den für einen
interperiodischen Verlustausgleich sprechenden Grundsätzen
keine Anhaltspunkte für einen interpersonellen
Verlustausgleich gewonnen werden. Selbst wenn man gestützt auf
ein Totalitätsprinzip davon ausgehen würde, dass es bei
einem im Zeitpunkt des Todes des Erblassers eintretenden Wegfall
des von ihm nicht verbrauchten Verlustabzugs im Hinblick auf das
Fehlen eines zeitlich unbegrenzten Verlustrücktrags sowie
einer Schlussbesteuerung in Form der Aufdeckung sämtlicher
stiller Reserven zu einer Überbesteuerung des Erblassers
käme (so der Beschluss des I. Senats des BFH in BFHE 203, 496,
BStBl II 2004, 414 = SIS 03 53 41, unter 3.b bb), so lieferte auch
dies keine hinreichende Legitimation für eine
Gesetzesinterpretation in Richtung auf die Vererblichkeit des
Verlustabzugs. Wie schon dargelegt (oben D.III.1.), beruht das
Einkommensteuerrecht auf dem Grundsatz der Besteuerung nach der
individuellen, auf die einzelne natürliche Person bezogenen
Leistungsfähigkeit. Diese individuelle
einkommensteuerrechtliche Leistungsfähigkeit des Erben wird
durch die vom Erblasser erlittenen Verluste nicht
beeinträchtigt (vgl. oben D.III.3.). Gemindert wird insoweit
lediglich die im Rahmen der Einkommensbesteuerung belanglose
erbschaftsteuerliche Leistungsfähigkeit des Erben. Von daher
kann es verfassungsrechtlich nicht geboten sein, die (vorgeblich)
durch einen ersatzlosen „Untergang“ der nicht
verrechneten Verluste ausgelöste
„Überbesteuerung“ des Erblassers durch eine
- gemessen an der eigenen einkommensteuerrechtlichen
Leistungsfähigkeit des Erben nicht gerechtfertigte -
„Unterbesteuerung“ des Erben auszugleichen.
Hierdurch würde selbst unter Zugrundelegung des beschriebenen
Besteuerungsideals, nämlich der Erfassung des gesamten Lebens-
bzw. Erwerbseinkommens des Individuums, der unrichtigen
Einkommensbesteuerung des Erblassers - wenn auch mit umgekehrten
Vorzeichen - eine ebenso fehlerhafte Besteuerung des Erben
hinzugefügt (vgl. auch Schmitt-Homann, Die Vererbung
einkommensteuerlicher Rechtspositionen, 2005, S. 102 f.).
5. Für die Vererblichkeit des
Verlustabzugs spricht nicht die § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz
EStG zugrunde liegende Wertung (a.A. jedoch z.B. BFH-Urteil in BFHE
195, 328, BStBl II 2002, 487 = SIS 01 12 27, unter II.4.a bb).
a) § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG
regelt nach herrschender und zutreffender Auffassung (vgl. z.B.
Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 24 Rz 70; Schiffers
in Korn, § 24 EStG Rz 64) mit rechtsbegründender Wirkung
die persönliche Zurechnung der Einkünfte beim
Rechtsnachfolger. Sein sachlicher Anwendungsbereich beschränkt
sich auf solche Fälle, in denen die Einkünfte nach
Maßgabe des Zu- und Abflussprinzips (§ 11 EStG)
ermittelt werden. Nach allgemeinen Grundsätzen sind die
Einkünfte derjenigen Person zuzurechnen, die sie erzielt
(§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG), d.h. den
Einkünfteerzielungstatbestand erfüllt hat (vgl. hierzu
Tipke, StuW 1977, 293, 298; Ruppe, DStJG 1 (1978), S. 7, 18
f.).
Stirbt der
„Überschussrechner“, bevor er die von ihm
durch eine Erwerbstätigkeit i.S. von § 2 Abs. 1 EStG
erlangten Forderungen eingezogen (= Zufluss i.S. von § 11 Abs.
1 EStG) oder die von ihm begründeten und bei ihrer
Erfüllung zu Erwerbsaufwand führenden Verbindlichkeiten
beglichen hat (= Abfluss i.S. von § 11 Abs. 2 EStG), so hat er
den Tatbestand der Einkünfteerzielung insoweit (noch) nicht
vollständig verwirklicht. Auch der Erbe erfüllt den
Einkünfteerzielungstatbestand in diesen Fällen nur
fragmentarisch; denn seine Tätigkeit beschränkt sich auf
die Einziehung der bereits in der Person des Erblassers
begründeten Forderungen sowie auf die Begleichung der
entsprechenden Nachlassverbindlichkeiten (vgl. z.B. Schmidt/
Seeger, EStG, 26. Aufl., § 24 Rz 51; Mellinghoff in Kirchhof,
a.a.O., § 24 Rz 70). Nur für diese - nicht
verallgemeinerungsfähige - Sonderkonstellation der sog.
gespaltenen Tatbestandsverwirklichung (vgl. Rodin, Disagio, Diskont
und Damnum im Einkommensteuerrecht, 1988, S. 64 f.; Staats,
Einkommensteuer und Erbenhaftung, 2006, S. 82 ff; Raupach/Schenking
in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 EStG Rz 133), in welcher der
Einkünfteerzielungstatbestand teils durch den
Rechtsvorgänger und teils durch den Rechtsnachfolger
verwirklicht wird, regelt § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG in
der Weise zur Schließung einer sonst bestehenden
Besteuerungslücke konstitutiv, dass die vom
Rechtsvorgänger erfüllten Tatbestandsmerkmale dem
Rechtsnachfolger zugerechnet werden (vgl. z.B. Schmidt/Seeger,
a.a.O., § 24 Rz 51; Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 24
Rz 70). Aus dieser speziellen Zwecksetzung des § 24 Nr. 2
letzter Halbsatz EStG folgt zugleich dessen Subsidiarität
gegenüber den allgemeinen Prinzipien der
Tatbestandsverwirklichung sowie dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit
der Einkommensverwendung (vgl. z.B. Schmidt/Seeger, a.a.O., §
24 Rz 52; Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 24 Rz 70).
b) Daran wird deutlich, dass der dem § 24
Nr. 2 letzter Halbsatz EStG zugrunde liegende Rechtsgedanke
für die hier zu beantwortende Frage der Vererblichkeit des
Verlustabzugs nichts hergibt. Der vom Erblasser nicht aufgezehrte
Verlustabzug ist auf dessen (negative) Einkünfte
zurückzuführen, wobei die entsprechenden
Einkünfteerzielungstatbestände bereits in vollem Umfang
vom Erblasser erfüllt wurden. Die in § 24 Nr. 2 letzter
Halbsatz EStG angeordnete
„Tatbestandsverklammerung“ ist hier nicht
gegeben (vgl. z.B. auch Blümich/Stuhrmann, § 24 EStG Rz
68).
c) Dieselben Erwägungen gelten
hinsichtlich des für die Vererblichkeit des Verlustabzugs
herangezogenen Arguments, der BFH (vgl. Urteile vom 1.3.1957 VI
57/55 U, BFHE 64, 358, BStBl III 1957, 135 = SIS 57 00 96; vom
5.2.1960 VI 204/59, BFHE 70, 374, BStBl III 1960, 140 = SIS 60 00 81) habe wiederholt entschieden, „dass vom Erben
nachträglich gezahlte Vermögensteuer oder Kirchensteuer
Sonderausgaben des Erben darstellen, wenn und soweit dem Erblasser
für einen entsprechenden von ihm selbst gezahlten Betrag der
Sonderausgabenabzug zugestanden hätte“ (BFH-Urteil
in BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487 = SIS 01 12 27, unter II.4.a
bb). Auch diese Rechtsprechung lässt sich allein unter dem
Aspekt der besonderen Konstellation der
„Tatbestandsspaltung“ und
„Verklammerung von sowohl in der Person des Erblassers als
auch in derjenigen des Erben jeweils teilweise verwirklichten
Besteuerungsmerkmalen“ erklären, wobei die in §
24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG für die
Einkünfteerzielungsebene getroffene Wertung auf den Bereich
der Sonderausgaben ausgedehnt wird.
6. Die entsprechenden Erwägungen treffen
darüber hinaus auch auf eine Vielzahl weiterer Konstellationen
zu, in denen die Rechtsprechung bereits beim Rechtsvorgänger
(hier: Erblasser) vorliegende objektbezogene Tatumstände nach
dem (unentgeltlichen) Übergang der betreffenden
Gegenstände auf den Rechtsnachfolger (hier: Erben) diesem
zugerechnet hat. Auch die dort angenommenen, im Übrigen nicht
einmal auf die unentgeltliche Gesamtrechtsnachfolge begrenzten
Perpetuierungen lassen sich im weiteren Sinne als Fälle der
„gespaltenen Tatbestandsverwirklichung“
begreifen.
a) Dies gilt zunächst für die in
§ 6 Abs. 3 EStG bzw. § 7 Abs. 1 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV a.F.)
geregelten Tatbestände der unentgeltlichen Übertragung
von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen.
aa) So hat bereits der Rechtsvorgänger
mit der Anschaffung der (aktiven) Wirtschaftsgüter des
Betriebsvermögens sowie der Bildung der in deren
Buchwertansätzen ruhenden stillen Reserven den Grundstein
dafür gelegt, dass der die Buchwerte fortführende
unentgeltliche Betriebsübernehmer im Fall der späteren
Erfüllung eines Realisationstatbestandes
(Veräußerung, Betriebsveräußerung) oder
Ersatzrealisationstatbestandes (Entnahme, Betriebsaufgabe) oder
über die Minder-AfA betriebliche Einkünfte erzielt. Die
in § 6 Abs. 3 EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV a.F.) für die
unentgeltliche Übertragung der dort bezeichneten
Organisationseinheiten (Betriebe etc.) getroffene Regelung
ähnelt deshalb, soweit sie den Erbfall betrifft, trotz der
ansonsten bestehenden Unterschiede unter dem Aspekt der
„Tatbestandsspaltung“ der auf die
„Überschussrechner“ zugeschnittenen
Vorschrift des § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG.
bb) § 6 Abs. 3 EStG und sein im
Streitfall noch einschlägiger Vorläufer - § 7 Abs. 1
EStDV a.F. - nehmen im Übrigen insoweit eine Sonderstellung im
System des vom Grundsatz der Individualbesteuerung geprägten
Einkommensteuerrechts ein, als sie ausnahmsweise und im Widerstreit
zur personalen Struktur des Einkommensteuerrechts eine
interpersonelle Übertragung der stillen Reserven auf den
Rechtsnachfolger anordnen (vgl. auch Reiß, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 16 Rz B 80, m.w.N.).
Dies gilt aber nur für den Sonderfall der unentgeltlichen
Übertragung ganzer Betriebe und vergleichbarer
Organisationseinheiten. Bei der unentgeltlichen Übertragung
einzelner Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens, welche
das Gesetz grundsätzlich als Entnahme beurteilt (vgl. § 4
Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG), verbleibt
es hingegen bei der systemkonformen Besteuerung des
Rechtsvorgängers sowie des Rechtsnachfolgers nach ihrer
jeweiligen individuellen Leistungsfähigkeit.
cc) Im Gegensatz zur Regelung des § 10d
EStG liegt § 6 Abs. 3 EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV a.F.) eine
streng objekt- und einkunftsquellenbezogene Konzeption zugrunde.
Die stillen Reserven sind unlösbar mit denjenigen
Wirtschaftsgütern verknüpft, in deren
Buchwertansätzen sie ruhen. Dementsprechend gehen die stillen
Reserven im Falle des § 6 Abs. 3 EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV
a.F.) zusammen mit den übertragenen Wirtschaftsgütern
ausschließlich und allein auf den unentgeltlichen
Betriebserwerber über. Dieser muss beim unentgeltlichen
Betriebsübergang von Todes wegen nicht zwingend mit dem Erben
als derjenigen Person identisch sein, die nach der bisherigen
Rechtsprechung des BFH den vom Erblasser nicht aufgezehrten
Verlustabzug - entsprechend der auf sie entfallenden Erbquote -
geltend machen konnte. So kann der Erblasser etwa durch
Vermächtnis oder Vorausvermächtnis verfügt haben,
dass ein anderer als der Erbe oder nur einer von mehreren Miterben
den Betrieb erhalten soll. Wirtschaftlich wie ein (gesetzliches)
Vorausvermächtnis wirkt überdies der im vorliegenden
Ausgangsverfahren zu beurteilende Sachverhalt, in dem der Erblasser
einen von mehreren Miterben zum Hofnachfolger bestimmt hat.
dd) Schon diese Beispiele belegen, dass mit
dem Argument, der Verlustabzug sei derart eng mit der einzelnen
Einkunftsquelle, aus der er resultiere, verbunden, dass er zusammen
mit dieser Quelle auf den Erben übergehen müsse, die
Vererblichkeit des Verlustabzugs nicht zu rechtfertigen ist.
Darüber hinaus ist zu beachten, wie der Verlustabzug in die
Reihenfolge der bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens
anzusetzenden Positionen eingeordnet ist.
Bis zum Veranlagungszeitraum 1998 und damit
auch im hier zu beurteilenden Streitzeitraum waren
Verlustabzüge „wie Sonderausgaben“ zu
berücksichtigen. Seither sind sie vorrangig vor
Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und
sonstigen Abzugsbeträgen - aber ebenfalls erst nach der
Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte - abzuziehen.
Bereits auf der Ebene der Ermittlung der Einkünfte sowie des
Gesamtbetrags der Einkünfte wird nicht nach einzelnen
Einkunftsquellen unterschieden, sondern ein zusammengefasster
Betrag je Einkunftsart gebildet. Deshalb kann schon auf dieser
Ebene nicht von einer „gegenstandsbezogenen“
Ermittlung der Einkünfte gesprochen werden. Dies gilt umso
mehr für Beträge, die - wie der Verlustabzug - erst nach
Bildung des Gesamtbetrags der Einkünfte abgezogen werden. Auf
dieser Ebene ist die Beziehung der Aufwandsüberschüsse zu
einer bestimmten - einzelnen - Einkunftsquelle vollends
gelöst, weil hier die Einkünfte aus sämtlichen
Einkunftsquellen zusammengefasst sind. Der Verlustabzug stellt
mithin lediglich eine Rechengröße auf dem Weg zur
Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, nicht hingegen ein
Merkmal dar, welches einer konkreten einzelnen Einkunftsquelle
anhaftet. Die im BFH-Urteil in HFR 1963, 8, 9 enthaltene Aussage,
der Verlustabzug stehe „in engstem Zusammenhang mit der
betrieblichen Gewinnermittlung“, kann jedenfalls seit der
Ausdehnung des Verlustabzugs auf alle Einkunftsarten durch das
Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vom 20.4.1976
(BGBl I 1976, 1054, BStBl I 1976, 282) nicht mehr aufrechterhalten
werden.
ee) Die fehlende Eignung der These, die
Vererblichkeit des Verlustabzugs sei mit dem in § 6 Abs. 3
EStG (§ 7 Abs. 1 EStDV a.F.) angeordneten Übergang der
stillen Reserven zu rechtfertigen, wird nicht zuletzt auch daran
deutlich, dass das Gesetz den Übergang der stillen Reserven
auch bei der unentgeltlichen Betriebsübertragung unter
Lebenden vorsieht. Für diesen Fall entspricht es jedoch
einhelliger Ansicht, dass ein etwaiger Verlustvortrag des
Rechtsvorgängers, und mag jener auch aus der übertragenen
Einkunftsquelle herrühren, nicht auf den
(Einzel-)Rechtsnachfolger übergeht (vgl. z.B. Ruppe, DStJG 10
(1987), S. 45, 95).
ff) Schließlich geht das zur
Begründung der Vererblichkeit des Verlustabzugs benutzte
Argument des § 6 Abs. 3 EStG von vorneherein dann ins Leere,
wenn der Erblasser gar keine betrieblichen Einkünfte erzielte
und schon deswegen seinen Erben auch keinen Betrieb hinterlassen
konnte.
b) Entsprechende Erwägungen gelten auch
für andere - atypische - Regelungen und Tatbestände des
Einkommensteuerrechts, in denen ausnahmsweise bereits in der Person
des Rechtsvorgängers begründete Besteuerungsmerkmale und
Rechtspositionen beim unentgeltlichen Rechtsnachfolger fortwirken
(vgl. insbesondere § 11d Abs. 1 EStDV; ferner BFH-Urteil vom
13.12.1957 VI 234/56 U, BFHE 66, 182, BStBl III 1958, 72 = SIS 58 00 41, betreffend Fortführung der vom Rechtsvorgänger
begonnenen Sonderabschreibungen nach § 7b EStG a.F. durch den
unentgeltlichen Rechtsnachfolger; BFH-Urteil in BFHE 183, 470,
BStBl II 1997, 802 = SIS 97 22 13, unter 2., betreffend die
Bestimmung anschaffungsnahen Aufwands beim Erben unter Einbeziehung
von Verhältnissen beim Erblasser; BFH-Urteil vom 21.3.1969 VI
R 208/67, BFHE 96, 19, BStBl II 1969, 520 = SIS 69 03 29,
betreffend Zurechnung der vom Erblasser vorgenommenen Anschaffung
einer Immobilie beim Erben im Rahmen des § 22 Nr. 2 i.V.m.
§ 23 EStG; § 17 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 EStG
1986). Auch diese Regelungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie im
Gegensatz zum Verlustabzug nach § 10d EStG einer streng
objekt- oder einkunftsquellenbezogenen Konzeption folgen sowie
großenteils der besonderen Konstellation der
„gespaltenen Tatbestandsverwirklichung“ (vgl.
hierzu schon oben D.III.5.a) Rechnung tragen.
7. Nicht zu überzeugen vermag auch das
Argument, dass Verluste des übertragenden Unternehmens
gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 des
Umwandlungssteuergesetzes i.d.F. vor Inkrafttreten des Gesetzes
über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung
der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer
steuerrechtlicher Vorschriften vom 7.12.2006 - SEStEG - (BGBl I
2006, 2782, BStBl I 2007, 4) von dem übernehmenden Unternehmen
abgezogen werden konnten (vgl. aber BFH-Beschluss in BFHE 203, 496,
BStBl II 2004, 414 = SIS 03 53 41; unter 3.b cc).
Einer Entlehnung von Rechtsgedanken des
Umwandlungssteuerrechts oder gar einer entsprechenden Heranziehung
der Regelungen und Wertungen des Umwandlungssteuergesetzes bei der
Beurteilung der durch den Erbfall ausgelösten Rechtsfolgen
stehen bereits generelle und grundsätzliche Erwägungen
entgegen. In Parallele zum Erbfall erfassen zwar auch die im
Umwandlungssteuergesetz geregelten Tatbestände zumeist
Sachverhalte der (gänzlichen oder zumindest partiellen)
Gesamtrechtsnachfolge. Jedoch weisen die erbrechtliche und die
umwandlungssteuerrechtliche Gesamtrechtsnachfolge den in der
Rechtsprechung des BFH mehrfach als gravierend herausgestellten
Unterschied auf, dass der Erbfall einen unentgeltlichen Vorgang
darstellt, „während die Umwandlung wesentliche
Elemente eines entgeltlichen Tauschgeschäfts
enthält“ (Urteil vom 8.4.1964 VI 205/61 S, BFHE 79,
203, 207, BStBl III 1964, 306, 307 = SIS 64 01 84; vgl. auch
Urteile vom 5.11.1969 I R 60/67, BFHE 97, 360, BStBl II 1970, 149 =
SIS 70 00 83, unter 2., und in BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487 =
SIS 01 12 27, unter II.4.b aa).
IV. Der Große Senat des BFH gibt die
bisherige Rechtsprechung des BFH mit Wirkung für alle
Erbfälle auf, die nach Ablauf des Tages der
Veröffentlichung dieses Beschlusses eintreten werden (vgl.
unten 2.b). Er ist an einer solchen Abkehr von der alten
Rechtsprechung weder unter dem Aspekt des Gewohnheitsrechts (unten
1.) noch im Hinblick auf das Gebot zur Wahrung der
Rechtsprechungskontinuität gehindert (unten 2.a).
1. Entgegen einer vereinzelt in der Literatur
vertretenen Ansicht (vgl. Laule/Bott, DStR 2005, 497, 500 ff.) hat
die 1962 begründete und seither von der Finanzverwaltung in
ständiger Übung befolgte Rechtsprechung des BFH über
die Vererblichkeit des Verlustabzugs nicht dazu geführt, dass
sich ein entsprechender gewohnheitsrechtlicher Rechtssatz
herausgebildet hat.
Als Gewohnheitsrecht wird solches Recht
bezeichnet, „das nicht durch förmliche Setzung,
sondern durch längere tatsächliche Übung entstanden
ist ... und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche
Rechtsnorm anerkannt wird“ (BVerfG-Beschluss vom
28.6.1967 2 BvR 143/61, BVerfGE 22, 114, 121, m.w.N.). Hinsichtlich
der hier zu beurteilenden Rechtsfrage lässt sich zwar eine
lang andauernde, über vier Jahrzehnte währende
tatsächliche Übung feststellen. Es fehlt indes an der
zweiten Voraussetzung für die Anerkennung eines entsprechenden
Rechtssatzes als Gewohnheitsrecht, nämlich an dem Bestehen
einer allgemeinen Überzeugung der beteiligten Kreise davon,
dass diese Übung auch rechtmäßig ist (so zutreffend
z.B. Müller-Franken, StuW 2004, 109, 114 f.). Zu den
beteiligten Kreisen in diesem Sinne gehören neben den
betroffenen Steuerpflichtigen, der Finanzverwaltung und den
(Fach-)Gerichten auch die „anerkannten Autoren der
einschlägigen Literatur“ (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
13.7.1972 V R 33/68, BFHE 107, 60, unter 4.; Birk in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rz 157;
Müller-Franken, StuW 2004, 109, 114, unten f.).
Dementsprechend hat es der BFH abgelehnt, eine
ständige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis als
Gewohnheitsrecht zu qualifizieren, wenn sich gegen diese Übung
im Schrifttum nicht nur vereinzelte Gegenstimmen, sondern eine
hinreichend große Zahl namhafter Autoren ausgesprochen hat
(vgl. Urteil in BFHE 107, 60, unter 4.). Dies trifft im
vorliegenden Fall zu. Der vom BFH im Jahr 1962 begründeten
Rechtsprechung von der Vererblichkeit des Verlustabzugs ist in der
Literatur schon frühzeitig widersprochen worden (vgl. z.B.
Trzaskalik, StuW 1979, 97; Ring, DStZ 1981, 24; Ruppe, DStJG 10
(1987), S. 45, 94, m.w.N.; vgl. im Übrigen die Nachweise bei
Müller-Franken, StuW 2004, 109, in Fn. 3, und im
Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262 = SIS 05 03 66, unter B.II.). Unter diesen Umständen konnte
Gewohnheitsrecht nicht entstehen (vgl. auch Beschluss des
Großen Senats des BFH vom 25.6.1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405,
BStBl II 1984, 751 = SIS 84 21 08, unter C.III.3.b cc, und
BFH-Urteil in BFHE 107, 60, unter 4.; vgl. ferner z.B.
Müller-Franken, StuW 2004, 109, 115).
2. Unabhängig davon hat der Große
Senat des BFH erwogen, ob eine Aufrechterhaltung der von der
Finanzverwaltung in der Vergangenheit rd. 46 Jahre akzeptierten
höchstrichterlichen Rechtsprechung unter den Gesichtspunkten
der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu Gunsten der
betroffenen Steuerpflichtigen geboten ist.
a) Der Große Senat des BFH verneint
dies, soweit es die Anwendung der bisherigen Rechtsprechung
für die Zeit ab Veröffentlichung dieses Beschlusses
betrifft.
Zwar hat der Große Senat des BFH schon
in früheren Entscheidungen immer wieder betont, dass der
Kontinuität der höchstrichterlichen Rechtsprechung als
wesentliches Element der Rechtssicherheit im Sinne einer
Voraussehbarkeit der Beurteilung bestimmter Vorgänge durch die
Steuerpflichtigen, die Finanzbehörden und die Steuergerichte
ein hoher Stellenwert zukommt. Jedoch hat er - um eine
„Versteinerung“ der Rechtsprechung zu vermeiden
- stets hervorgehoben, dass der Gesichtspunkt der Kontinuität
der Änderung einer selbst langjährigen ständigen
Rechtsprechung aufgrund besserer Rechtserkenntnisse dann nicht
entgegensteht, wenn für einen solchen Rechtsprechungswandel
gewichtige sachliche Erwägungen sprechen (vgl. z.B.
Entscheidungen des Großen Senats des BFH vom 13.11.1963 GrS
1/63 S, BFHE 78, 315, 319 = SIS 64 00 77, unten f., BStBl III 1964,
124, 126 = SIS 64 00 77, li.Sp.; vom 15.7.1968 GrS 2/67, BFHE 93,
75, BStBl II 1968, 666 = SIS 68 04 55, unter III.2. f.; vom
5.7.1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, BStBl II 1990, 837 = SIS 90 21 12, unter C.III.1.). Solche gewichtigen sachlichen Gründe sind
im vorliegenden Fall - wie unter D.III. näher dargelegt -
gegeben. Im Übrigen weist der vorlegende Senat zu Recht auf
die einschneidenden Änderungen hin, die das
Regelungsgefüge des § 10d EStG seit dem Erlass der
BFH-Urteile in HFR 1963, 8 und in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386
= SIS 62 02 53 erfahren hat. Seinerzeit beschränkte § 10d
EStG den Verlustabzug noch auf die negativen betrieblichen
Einkünfte, welche durch (ordnungsgemäßen)
Bestandsvergleich ermittelt worden waren, und sah lediglich einen
zeitlich (auf fünf Jahre) begrenzten Verlustvortrag vor.
Inzwischen ist sowohl die sachliche Beschränkung des
Verlustabzugs auf die betrieblichen Einkünfte als auch die
zeitliche Begrenzung des Verlustvortrages entfallen. Hierdurch ist
nicht nur dem im BFH-Urteil in HFR 1963, 8 (9) für die dort
eingeleitete Rechtsprechung zur Vererblichkeit des Verlustabzugs
verwendeten Argument, § 10d EStG stehe „in engstem
Zusammenhang mit der betrieblichen Gewinnermittlung“, der
Boden entzogen (vgl. oben D.III.6.a dd), sondern auch der
praktische Anwendungsbereich des Verlustabzugs erheblich
ausgeweitet worden (zur Änderung der Gesetzeslage als
wichtiger Grund für die Einleitung eines
Rechtsprechungswandels vgl. z.B. Beschlüsse des Großen
Senats des BFH vom 26.11.1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II
1974, 132 = SIS 74 00 73, unter C.II.4.a, und in BFHE 141, 405,
BStBl II 1984, 751 = SIS 84 21 08, unter C.III.5 a).
b) Der Große Senat des BFH hält es
jedoch aufgrund des Rechtsstaatsprinzips für geboten, eine
typisierende, nicht als abschließend zu verstehende
Übergangsregelung des Inhalts zu treffen, dass die neue
Rechtsprechung zur (Nicht-)Vererblichkeit des Verlustabzugs erst
mit Wirkung für die Zukunft angewendet wird.
aa) Wie alle Träger hoheitlicher Gewalt
sind auch die Gerichte dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)
verpflichtet. „Legt der Richter offene Rechtsbegriffe in
einem Gesetz aus oder bildet er das Recht fort, stehen die sich
daraus ergebenden Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2
Abs. 1 GG nur mit der Verfassung im Einklang, wenn sie den
Grundentscheidungen des Grundgesetzes, vornehmlich dem Grundsatz
der Rechtsstaatlichkeit, entsprechen“ (BVerfG-Beschluss
vom 14.1.1987 1 BvR 1052/79, BVerfGE 74, 129, 152, m.w.N.).
Wesentliche Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips
„verkörpern der Grundsatz der Rechtssicherheit und
die Idee der materiellen Gerechtigkeit“ (BVerfG-Beschluss
in BVerfGE 74, 129, 152, m.w.N.).
bb) Die in Art. 20 Abs. 3 GG statuierte
Bindung von Exekutive (Verwaltung) und Judikative (Rechtsprechung)
an Gesetz und Recht - das Rechtsstaatsgebot - verpflichtet diese
Hoheitsträger nicht nur zur Wahrung des Prinzips der
materiellen Gerechtigkeit („Rechtsrichtigkeit“),
sondern ebenso und gleichrangig zur Beachtung des Grundsatzes der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Beide genannten
Subprinzipien des Rechtsstaatsgebots stehen in einem gewissen
Spannungsverhältnis zueinander und müssen vom
Rechtsanwender im Wege der Konkretisierung und Abwägung zum
Ausgleich (zu einer „praktischen Konkordanz“;
vgl. hierzu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der
Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., S. 142 f., Rz 317 ff.)
geführt werden.
cc) Diesen Grundsätzen Rechnung tragend
ist in der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes
vielfach darauf hingewiesen worden, dass hinsichtlich des
zeitlichen Anwendungsbereichs eines höchstrichterlichen
Rechtsprechungswandels die Prinzipien der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes in gebührender Weise beachtet werden
müssen (vgl. z.B. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom
18.1.1996 IX ZR 69/95, BGHZ 132, 6, 11; vom 29.2.1996 IX ZR 153/95,
BGHZ 132, 119, 129 ff.; vom 7.3.2007 VIII ZR 125/06, juris, Rz 28
ff.; Urteile des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 21.9.2006 2 AZR
284/06, juris, Rz 28 f.; vom 1.2.2007 2 AZR 15/06, juris, Rz 9 f.;
Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 28.9.2005 B 6 KA 71/04
R, juris, Rz 48 f.).
dd) Zwar erzeugen höchstrichterliche
Entscheidungen keine dem Gesetzesrecht vergleichbaren
Rechtsbindungen. Sie stellen lediglich die Rechtslage in einem
konkreten Fall fest. Das schließt es freilich nicht aus, auf
einen Wandel der Rechtsprechung diejenigen Grundsätze
entsprechend anzuwenden, die bei rückwirkenden Gesetzen zu
beachten sind, vorausgesetzt, dass eine solche Analogie nach Lage
der Sache geboten ist (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 8.10.1969 I ZR
7/68, BGHZ 52, 365, 369; BAG-Urteil vom 21.9.2006 2 AZR 284/06,
juris, Rz 28 f.).
ee) Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf
die hier zu beantwortende erste Vorlagefrage erfüllt.
Mit der vorstehenden Entscheidung kehrt der
Große Senat des BFH von einer mehr als vier Jahrzehnte
währenden ständigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung ab, auf deren Fortbestand die Steuerpflichtigen
trotz der im Schrifttum erhobenen Gegenstimmen umso mehr vertrauen
durften, als sie von den Finanzbehörden ungeachtet der
für den Fiskus nachteiligen Wirkung in steter, ebenfalls
Jahrzehnte andauernder Verwaltungsübung praktiziert wurde. Ein
nicht unerhebliches Gewicht kommt in diesem Zusammenhang auch dem
Umstand zu, dass diese Verwaltungspraxis schon kurz nach
Begründung der nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung in den von
der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen
Einkommensteuer-Richtlinien niedergelegt und sodann bis heute in
den Einkommensteuer-Handbüchern fortgeführt wurde. Solche
Richtlinien (Art. 108 Abs. 7 GG) begründen nicht zuletzt
deswegen einen besonderen Vertrauensschutz, weil sie infolge ihrer
Veröffentlichung im Bundesanzeiger, im Bundessteuerblatt und
als selbstständige, vom BMF herausgegebene Schriften eine
große Publizität und Breitenwirkung erfahren (zur
wesentlichen Bedeutung des
„Richtlinien-Arguments“ vgl. z.B. Beschluss des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BVerwGE 39, 355, 371 ff.; vgl. ferner auch
BFH-Urteile vom 26.1.1994 VI R 118/89, BFHE 173, 174, BStBl II
1994, 529 = SIS 94 07 39, und vom 6.10.1994 VI R 136/89, BFHE 175,
548, BStBl II 1995, 184 = SIS 95 02 28).
Entscheidend für die typisierende
Gewährung von Vertrauensschutz in
„Altfällen“ durch den Großen Senat
des BFH spricht darüber hinaus, dass sich die Antwort auf die
erste Vorlagefrage angesichts der lückenhaften gesetzlichen
Regelungen nicht im Wege einer einfachen Subsumtion des
Sachverhalts unter einen gesetzlichen Tatbestand und durch eine
schlichte Deduktion aus den einschlägigen Rechtsnormen,
insbesondere aus § 10d EStG, erschließt. Vielmehr kann
die Beantwortung dieser Rechtsfrage - wie die vorstehenden
Ausführungen unter D.II. und III. dokumentieren - nur unter
Zuhilfenahme abstrakter Rechtsprinzipien, Wertungen und
Abwägungen gefunden werden. De facto wird der Große
Senat des BFH bei einem derartigen Rechtsfindungsprozess
ähnlich einem Normgeber tätig. Dann aber ist nach
rechtsstaatlichen Grundsätzen auch ein dem Schutz vor einer
„verschärfenden“ Gesetzesänderung
entsprechender oder jedenfalls angenäherter Vertrauensschutz
geboten. Die von dem für sie nachteiligen
Rechtsprechungswandel betroffenen Bürger haben hierauf einen
von „Billigkeit und Ermessen“ unabhängigen,
aus dem Rechtsstaatsgebot herzuleitenden Anspruch (vgl. auch Tipke,
Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., S. 174). Mit Recht hat
das BAG in seinem Urteil vom 7.3.1995 3 AZR 282/94 (BAGE 79, 236,
250) betont, „(d)er sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
ergebende Vertrauensschutz (gewinne) jedenfalls um so
größere Bedeutung, je mehr die Rechtsprechung sich der
Rechtssetzung (nähere)“. Ähnlich hebt Buchner
(in: Gedächtnisschrift für Rolf Dietz, 1973, S. 175, 192)
hervor, „(j)e mehr der Gesetzgeber in einem Rechtsbereich
Abstinenz (übe), desto mehr (würden) auch das
Bedürfnis und die verfassungsrechtliche Notwendigkeit bejaht
werden müssen, das Vertrauen auf die in der Rechtsprechung
entwickelten Verhaltensmaßstäbe zu
schützen“.
In diesen Fällen darf der Bürger auf
die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisierte
Rechtslage und deren Bestand vertrauen. „Er wird nicht
unterscheiden müssen - und auch nicht können -, ob sich
die Rechtslage direkt aus der Norm erschließt oder sich aus
den Konkretisierungen der Rechtsprechung ergibt“
(BAG-Urteil vom 21.9.2006 2 AZR 284/06, juris, Rz 28).
ff) Wer dennoch die Befugnis und Verpflichtung
der obersten Gerichte zur Gewährung von Vertrauensschutz gegen
einen „verschärfenden“
Rechtsprechungswandel unter Hinweis darauf in Abrede stellt, das
Gericht entscheide immer nur den konkreten Einzelfall, sein Urteil
entfalte Rechtskraft nur zwischen den Verfahrensbeteiligten und die
Beschränkung der Rechtsprechungsänderung entwerte die
gerichtliche Entscheidung (vgl. z.B. Maurer, in: Isensee/Kirchhof,
Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. Aufl., § 60 Rz 106
ff.), beachtet vor allem die vom Gesetzgeber in den
einschlägigen Verfahrensordnungen den höchstrichterlichen
Entscheidungen beigemessene Wirkung für die Allgemeinheit
(vgl. für den BFH insbesondere § 11 FGO, § 115 Abs.
2 Nr. 1 und 2 FGO) nicht hinreichend. Rechtssoziologische
Realität ist vielmehr: Nahezu sämtliche Entscheidungen
des BFH entfalten de facto eine mehr oder minder große
Breitenwirkung (plastisch hierzu Kruse, in: Festschrift 75 Jahre
Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, 1993, S. 239). Das trifft in
besonderem Maße auf solche höchstrichterlichen
Entscheidungen - zumal des Großen Senats - zu, die im
Bundessteuerblatt und in den Steuerrichtlinien veröffentlicht
werden.
Solche Entscheidungen tragen überdies
häufig zu einer Konkretisierung und Konstituierung der
„Rechtslage“ bei (vgl. Tipke, Die
Steuerrechtsordnung, Bd. I, a.a.O., S. 175; Flume, in:
Steuerberater-Jahrbuch - StbJb - 1985/1986, S. 277, 299 ff.:
„Rechtszustand kraft Rechtsanwendung“). Bei der
Abkehr von einer bisherigen ständigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung ändert sich daher faktisch die
„Rechtslage“ und damit die Vertrauensbasis
(Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I., a.a.O., S. 175).
Des Weiteren nicht zu überzeugen vermag
die gegen die hier vertretene Auffassung vorgebrachte These, bei
einer Nichtanwendung der geänderten höchstrichterlichen
Rechtsprechung auf „Altfälle“ müssten
die Gerichte „sehenden Auges - wenigstens partiell -
rechtswidrig entscheiden“ (so aber Maurer, in:
Isensee/Kirchhof, a.a.O., § 60 Rz 109, m.w.N.). Dieser Einwand
betont zu einseitig das Prinzip der „materiellen
Rechtsrichtigkeit“ und vernachlässigt damit das
gleichrangige (vgl. z.B. auch BGH-Urteil in BGHZ 132, 119, 130,
m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG), ebenfalls im
Rechtsstaatsprinzip gründende, von allen Trägern
hoheitlicher Gewalt und folglich auch von den Gerichten zu
beachtende Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
(vgl. schon oben unter bb und cc).
Dem gebotenen Vertrauensschutz gegenüber
einer uneingeschränkten rückwirkenden Anwendung einer
verschärfenden Rechtsprechung tragen auch nicht die Regelungen
in § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 AO hinreichend
Rechnung (vgl. hierzu auch Vogel, Juristenzeitung - JZ - 1988, 833,
835; Tipke/Lang, Steuerrecht, a.a.O., § 4 Rz 182). Denn sie
schützen die Bürger nur in denjenigen
„Altfällen“, in denen bereits
Steuerbescheide ergangen sind.
gg) Nach diesen Maßstäben sieht
sich der Große Senat des BFH wegen der hier gegebenen
besonderen Konstellation gehalten, in typisierender Weise
Vertrauensschutz gegenüber der nunmehr zu Lasten der
Steuerpflichtigen geänderten Rechtsprechung in allen
Erbfällen zu gewähren, die bis zum Ablauf des Tages der
Veröffentlichung dieses Beschlusses eingetreten sind. Die
dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen vor: Die gebotene
Vertrauensgrundlage wurde durch eine jahrzehntelange, von allen
befassten Senaten des BFH (mit-)getragene Rechtsprechung sowie eine
entsprechende ständige Verwaltungspraxis geschaffen. Auf deren
Aufrechterhaltung mit Wirkung für die Vergangenheit und bis
zur Veröffentlichung dieser Entscheidung durften sich die
betroffenen Steuerbürger verlassen, ohne dass insoweit in
jedem Einzelfall untersucht werden müsste, ob die
nämlichen Steuerpflichtigen bei der Erwirtschaftung der
negativen Einkünfte tatsächlich auf den Fortbestand deren
Verrechenbarkeit beim Erben vertraut haben. Letzterem stehen schon
Praktikabilitätsgründe und vor allem der Umstand
entgegen, dass sich solche inneren Tatsachen, zumal wenn sie weiter
zurückliegende Ereignisse und bereits verstorbene Personen
(Erblasser) betreffen, kaum je zuverlässig ermitteln lassen.
Im Übrigen kann sich eine vertrauensgeschützte
Disposition schon daraus ergeben, dass für die
Steuerpflichtigen aufgrund der langjährigen Rechtsprechung
kein Anlass zu anderweitigen Gestaltungen bestand, etwa zur
Veräußerung eines verlustbehafteten Betriebes oder zur
sonstigen Aufdeckung von stillen Reserven noch zu Lebzeiten des
Erblassers.
Der Große Senat des BFH weist des
Weiteren darauf hin, dass die von ihm im Hinblick auf die
Besonderheiten der hier zu beurteilenden Sachlage ausnahmsweise
getroffene enge Übergangsregelung keinen abschließenden
Charakter besitzt. Der Finanzverwaltung bleibt es deshalb
unbenommen, auf der Grundlage der §§ 163 und 227 AO einen
weitergehenden typisierenden Vertrauensschutz zu gewähren.
Darüber hinaus kann auch künftig in
seltenen und extrem gelagerten Konstellationen eine auf den
entsprechenden Einzelfall bezogene abweichende Steuerfestsetzung
(§ 163 AO) oder ein Steuererlass (§ 227 AO) in Betracht
kommen (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 29.3.2000 I R 76/99,
BFHE 191, 353, BStBl II 2000, 622 = SIS 00 09 18, unter
III.2.d).
V. Der Große Senat des BFH beantwortet
die erste Rechtsfrage daher wie folgt:
|
Der Erbe kann einen vom Erblasser nicht
ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner
eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Jedoch ist
die bisherige gegenteilige Rechtsprechung des BFH aus Gründen
des Vertrauensschutzes weiterhin in allen Erbfällen
anzuwenden, die bis zum Ablauf des Tages der Veröffentlichung
dieses Beschlusses eingetreten sind.
|
E. Keine Entscheidung des Großen Senats
des BFH über die vorgelegte zweite Rechtsfrage
Da der Große Senat des BFH die
vorgelegte erste Rechtsfrage im Grundsatz verneint hat,
erübrigt sich eine Stellungnahme zu der vom vorlegenden Senat
nur hilfsweise gestellten zweiten Rechtsfrage.
Nach Beantwortung der ersten Vorlagefrage
durch den Großen Senat des BFH kommt der Klärung der
zweiten Rechtsfrage eine rechtliche Relevanz nur mehr für die
Vergangenheit zu. Deren grundsätzliche Bedeutung i.S. von
§ 11 Abs. 4 FGO ist damit entfallen.