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Sog. Mindestbesteuerung nicht verfassungswidrig

Sog. Mindestbesteuerung nicht verfassungswidrig: Die sog. Mindestbesteuerung verstößt in ihrer Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags nicht gegen Verfassungsrecht. - Urt.; BFH 22.8.2012, I R 9/11; SIS 12 30 99

Kapitel:
Unternehmensbereich > Körperschaftsteuer
Fundstellen
  1. BFH 22.08.2012, I R 9/11
    BStBl 2013 II S. 512
    BFH/NV 2013 S. 161
    DStR 2012 S. 2435
    LEXinform 0928302

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 21.6.2013
    jh in StuB 23/2012 S. 222
    -/- in NWB 50/2012 S. 4036
    P.B. in DB 4/2013 S. 144
    M.G./P.F. in DStZ 3/2013 S. 85
    D.G. in BFH/PR 2/2013 S. 41
    T.B./V.F. in NWB 19/2013 S. 668
Normen
[GG] Art. 3 Abs. 1
[KStG 2002 n.F.] § 7 Abs. 3 Satz 1, § 7 Abs. 3 Satz 2
[EStG 2002 n.F.] § 2 Abs. 7 Satz 1, § 2 Abs. 7 Satz 2, § 10 d Abs. 2 Satz 1
[GewStG 2002 n.F.] § 7 Satz 1, § 10 a Satz 1, § 10 a Satz 2, § 14 Satz 2
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • nach: 2 BvR 2998/12 (BVerfG), Mindestbesteuerung, Verlustausgleich, Abschnittsbesteuerung
  • vor: FG Berlin-Brandenburg, 16.09.2010, SIS 11 17 40, Mindestbesteuerung, Verlustvortrag, Verfassungswidrigkeit, Leistungsfähigkeit, Nettoprinzip
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Baden-Württemberg 29.4.2024, SIS 24 10 58, Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in der Fassung des Jahr...
  • FG Köln 9.3.2023, SIS 24 05 90, Höhe des ausgleichsfähigen Verlustes eines Kommanditisten bei nachträglicher Einlage: 1. Nachträgliche Ei...
  • FG Hamburg 30.9.2022, SIS 22 21 60, Betriebsausgabenabzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG, verfassungsrechtliche Überprüfung des Be...
  • FG Baden-Württemberg 12.11.2021, SIS 23 12 23, Keine sachliche Unbilligkeit bei Ausschluss der Verrechnung von Verlusten aus Aktienveräußerungen mit Sti...
  • FG Münster 22.7.2021, SIS 21 16 77, Abzinsung von Darlehensverbindlichkeiten: 1. Verbindlichkeiten sind für Zwecke der steuerlichen Gewinnerm...
  • FG Münster 5.5.2021, SIS 21 09 71, Abzinsung einer Darlehensverbindlichkeit: 1. Jedenfalls für das Streitjahr 2013 bestehen keine ernstliche...
  • BFH 17.11.2020, SIS 21 08 94, Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste nach § 20 Abs. 6 ...
  • BFH 1.7.2020, SIS 20 21 32, Klagebefugnis bei Feststellungsbescheid i.S. des § 14 Abs. 5 KStG, Betriebsausgaben-Abzugsverbot für die ...
  • FG Hamburg 20.2.2020, SIS 19 22 43, Verlustabzugsbeschränkung bei Steuerstundungsmodellen gem. § 15 b EStG: 1. Die Beschränkung des Verlustab...
  • FG Münster 21.3.2018, SIS 18 12 88, Nichtabziehbarkeit der Bankenabgabe verfassungsgemäß: Das Betriebsausgabenabzugsverbot für die Jahresbeit...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 28.2.2018, SIS 18 05 86, Kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz hinsichtlich § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. (keine Verre...
  • FG Berlin-Brandenburg 14.3.2017, SIS 17 09 19, Anwendung der Spartenrechnung bei Altverlusten aus dauerdefizitärem Betrieb einer Eigengesellschaft: 1. §...
  • BFH 6.12.2016, SIS 16 28 02, Übergangsregelung zur Verrechnung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien, Verfassun...
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  • FG Köln 16.6.2016, SIS 16 22 36, Abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO: 1. Die Finanzbehörden dürfen für die...
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  • BMF 13.11.2014, SIS 14 30 32, AdV wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der sog. Zinsschranke: Der BFH hat am 18.12.201...
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  • BFH 26.2.2014, SIS 14 22 37, Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten: Es wird eine Entscheidung des BVe...
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  • BFH 18.12.2013, SIS 14 10 54, Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 4 h EStG 2002 n.F.: 1. Es ist ernstlich zweifelhaft,...
  • Hessisches FG 16.12.2013, SIS 14 17 12, Verfassungsmäßigkeit der Verlustausgleichsbeschränkung des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG: Die Versagung der Verr...
  • FG Münster 29.4.2013, SIS 13 19 30, Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke: 1. An der Verfassungsmäßigkeit des § 4 h EStG i.V.m. § 8 a Abs. 1 ...
  • FG Berlin-Brandenburg 25.4.2013, SIS 13 18 85, Private Wertpapierveräußerungsgeschäfte: Es ist verfassungsgemäß, wenn Verluste aus privaten Wertpapierve...
  • FG Köln 11.4.2013, SIS 13 20 68, Mindestbesteuerung, Definitivbelastung, Ermessensentscheidung: Bei einer Veranlagung, die unter Anwendung...
  • BFH 23.1.2013, SIS 13 08 24, Kein mehrfacher "Sockelbetrag" von 1 Mio. EUR gemäß § 10 d Abs. 2 EStG im mehrjährigen Besteuerungszeitra...
  • FG Baden-Württemberg 26.11.2012, SIS 13 18 95, Zinsschranke ist verfassungsgemäß: 1. Die Zinsschranke gemäß § 4 h EStG und § 8 a KStG ist verfassungsgem...
  • FG Baden-Württemberg 22.11.2012, SIS 13 06 07, Anwendbarkeit und Verfassungsmäßigkeit des § 2 b EStG: 1. Nach der Übergangsregelung des § 52 Abs. 4 Satz...
  • BFH 20.9.2012, SIS 12 32 51, Gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung verfassungsgemäß: Die Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähi...
  • BMF 19.10.2011, SIS 11 34 29, Mindestgewinnbesteuerung, AdV: Im Hinblick auf den BFH-Beschluss vom 26.8.2010 (BFHE 230 S. 445 = SIS 10 ...
Fachaufsätze
  • LIT 02 56 24 M. Geurts/P. Faller, DStZ 3/2013 S. 85: Grenzen der Mindestbesteuerung - Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 22.8.2012, I R 9/11 = SIS 12 30 99 - Lit....
  • LIT 02 56 83 P. Bareis, DB 4/2013 S. 144: Ist die Mindestbesteuerung verfassungsgemäß? - Zugleich Anm. zu den BFH-Urteilen vom 22.8.2012 (I R 9/11 ...

 

1

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Festsetzungen zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag des Streitjahres 2004, bei denen ein Verlustvortrag sowie ein vortragsfähiger Gewerbeverlust nur zu einem Teil bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens und des Gewerbeertrags einkommens- bzw. gewerbeertragsmindernd zum Abzug kamen (sog. Mindestbesteuerung).

 

 

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH mit mehreren Tausend Gesellschaftern, betreibt den Erwerb und die Verwaltung von Vermögensanlagen jeder Art. Aus Aktien und Aktienfonds erzielt sie Erträge, die bei der Ermittlung des Einkommens weitgehend außer Betracht bleiben; diese Erträge machen ca. 2/3 der Gesamterträge aus. Die übrigen Erträge (aus festverzinslichen Wertpapieren und Festgeldern) entsprechen der Höhe nach den im Gesamtunternehmen regelmäßig anfallenden betrieblichen Aufwendungen. Die Klägerin schließt aus ihrer Betriebsart darauf, dass sie nicht auf unbegrenzte Zeit bestehen bleibe; sie werde voraussichtlich bis zum Jahre 2020 aktiv und dann bis spätestens im Jahre 2025 nach der Liquidation aufgelöst sein.

 

 

3

Die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (2.002.474 EUR) und des vorläufigen Gewerbeertrags (2.327.228 EUR) des Streitjahres ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte bei der Veranlagung des Streitjahres allerdings unter Hinweis auf § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22.12.2003 (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) - EStG 2002 n.F. - sowie auf § 10a Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23.12.2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) - GewStG 2002 n.F. - einen zum 31.12.2003 festgestellten Verlustvortrag (36.532.178 EUR) sowie einen vortragsfähigen Gewerbeverlust (38.411.472 EUR) nur teilweise einkommens- bzw. gewerbeertragsmindernd. Das FA setzte daraufhin eine Körperschaftsteuer von 100.427 EUR (zu versteuerndes Einkommen: 400.989 EUR) und eine Gewerbesteuer von 108.814 EUR (nach einem Gewerbeertrag von 530.800 EUR) fest. Die Klage, mit der geltend gemacht worden war, dass die Klägerin bei unveränderter Geschäftspolitik bis zu ihrer Liquidation nicht in der Lage sein werde, die erheblichen Verlustvorträge zu nutzen, blieb erfolglos (Finanzgericht - FG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.9.2010 12 K 8212/06 B).

 

 

4

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung der angefochtenen Steuerbescheide den Gewerbesteuermessbetrag 2004 und die Körperschaftsteuer 2004 dahingehend festzusetzen, dass bei der Ermittlung des Gewerbeertrags bzw. des Einkommens die abzugsfähigen Verluste in Höhe von 2.327.228 EUR bzw. in Höhe von 2.002.474 EUR berücksichtigt werden.

 

 

5

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

 

6

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Es hat keinen Antrag gestellt.

 

 

7

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass bei der Einkommensermittlung bzw. der Gewerbeertragsermittlung des Streitjahres ein zum 31.12.2003 festgestellter Verlustvortrag und vortragsfähiger Gewerbeverlust nach Maßgabe der sog. Mindestbesteuerung nur teilweise einkommens- und gewerbeertragsmindernd zu berücksichtigen ist.

 

 

8

1. Im Rahmen der Festsetzungen, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegen, hat das FA die gesetzlichen Regelungen der sog. Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F., § 10a Sätze 1 und 2 GewStG 2002 n.F.) ohne Rechtsfehler angewendet.

 

 

9

a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz ließ der Gesetzgeber zwar den zuvor eingeschränkten innerperiodischen Verlustausgleich im Rahmen von § 2 Abs. 3 EStG 2002 n.F. wieder uneingeschränkt zu, er verschärfte aber die Beschränkung des überperiodischen Verlustabzugs nach § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.: Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen werden konnten, sind ab dem Veranlagungszeitraum 2004 im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig. Gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. können sie nur noch bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. EUR unbeschränkt abgezogen werden. Darüber hinausgehende negative Einkünfte aus früheren Veranlagungszeiträumen sind nur noch in Höhe von 60 % des 1 Mio. EUR übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte ausgleichsfähig. Im Ergebnis werden 40 % des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. EUR überschreiten.

 

 

10

b) Diese Neuerungen im Bereich der Einkommensteuer (sog. Mindestbesteuerung) sind auch bei der Veranlagung der Klägerin zur Körperschaftsteuer im Streitjahr zu beachten (§ 8 Abs. 1 KStG 2002), ebenso die gleichlautende Einschränkung des gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags der Klägerin durch § 10a Sätze 1 und 2 GewStG 2002 n.F. Dies ist unter den Beteiligten im Grundsatz nicht streitig und bedarf keiner weiteren Erörterungen.

 

 

11

c) Dabei begegnet es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass auf dieser Grundlage der Abzug (auch) solcher bisher nicht ausgeglichener Verluste betroffen ist, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung entstanden sind. Dass der zum 31.12.2003 festgestellte nicht ausgeglichene (Gewerbe-)Verlust in den sachlichen Anwendungsbereich der Neuregelung fällt, stellt sich - wie der Senat in einer vergleichbaren Konstellation schon entschieden hat (Senatsurteil vom 11.2.1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485 = SIS 98 16 36; s.a. Senatsbeschluss vom 8.10.2008 I R 95/04, BFHE 223, 105, BFH/NV 2009, 500 = SIS 09 00 45) - als eine tatbestandliche Rückanknüpfung dar, die nicht gegen das Vertrauensschutzgebot verstößt (s.a. z.B. Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz A 288; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10d EStG Rz 12). Das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Ausgestaltung einer Verlustabzugsregelung muss schon angesichts der Ungewissheit, ob und wann es tatsächlich zur Möglichkeit einer Verlustverrechnung kommt, gegenüber einem gesetzgeberischen Änderungsinteresse zurücktreten. Denn es fehlt an einer rechtlichen Verfestigung der wirtschaftlichen Position der Verlustausgleichsmöglichkeit im Augenblick der Gesetzesänderung (Heuermann, FR 2012, 435, 442; s. allgemein zum fehlenden Schutz eines sog. Kontinuitätsvertrauens Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1 = SIS 10 22 45; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.6.2010 III R 35/09, BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176 = SIS 10 36 62, jeweils m.w.N.).

 

 

12

2. Die sog. Mindestbesteuerung verstößt in ihrer Grundkonzeption nicht gegen Verfassungsrecht.

 

 

13

a) Die normative und systematische Grundlegung sowie die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG und des BFH und die Auseinandersetzung im Schrifttum stellen sich wie folgt dar:

 

 

14

aa) Aus dem generellen verfassungsrechtlichen Maßstab des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - ) lässt sich für die direkten Steuern sowohl ein systemtragendes Prinzip ableiten - die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts - als auch das Gebot, dieses Prinzip bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts folgerichtig umzusetzen (s. nur BVerfG-Beschluss vom 12.10.2010 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 = SIS 10 36 57 Rz 50 f., m.w.N.). Zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts bedarf es eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten besteuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten Ausgaben. Das damit beschriebene („objektive“) Nettoprinzip ist jedenfalls einfachgesetzlich in § 2 Abs. 2 EStG 2002 angelegt (s. BVerfG-Beschluss vom 12.5.2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111 = SIS 09 21 10 Rz 27 f.) und auf der Grundlage der Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG 2002 auch im Bereich der Körperschaftsteuer anzuwenden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224 = SIS 10 36 57 Rz 57 f.; s.a. Hey, DStR 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 110; Heger, ebenda, S. 117, 118; Heuermann, FR 2012, 435, 436). Für die Gewerbesteuer gilt infolge der Verweisung in § 7 Satz 1 GewStG 2002 auf die Grundsätze der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung als Grundlage für die Ermittlung des Gewerbeertrags (vor Hinzurechnungen bzw. Kürzungen) nichts anderes (BFH-Beschluss vom 27.1.2006 VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150 = SIS 06 21 73, zu II.2.a bb; Hey, DStR 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 115; Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Desens, FR 2011, 745, 746; Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, 2010, S. 232; s.a. FG Hamburg, Beschluss vom 29.2.2012 1 K 138/10, EFG 2012, 960 = SIS 12 08 75 Rz 99, 101).

 

 

15

bb) Das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG 2002 (bzw. des § 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 KStG 2002, § 14 Satz 2 GewStG 2002) beschränkt das Nettoprinzip des § 2 Abs. 2 EStG 2002 nicht: Ein Abzug von Erwerbsaufwendungen ist auch dann zuzulassen, wenn die Erwerbsaufwendungen nicht im Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum des Zugangs der Erwerbseinnahmen anfallen (BVerfG-Beschlüsse vom 22.7.1991 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423; vom 30.9.1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 = SIS 98 23 05). Dies kommt einfachgesetzlich in Regelungen zum sog. periodenübergreifenden Verlustausgleich zum Ausdruck (§ 10d EStG 2002, § 10a GewStG 2002). Die Möglichkeit des periodenübergreifenden Verlustausgleichs begründet aber nicht ihrerseits eine Bedingung der (Ertrags-)Besteuerung in der Weise, dass jene erst dann gerechtfertigt ist, wenn das Steuersubjekt gemessen an der Gesamtdauer seines einkommensbezogenen Tätigwerdens bzw. seiner wirtschaftlichen Existenz tatsächlich einen Zuwachs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erzielt (s. Desens, FR 2011, 745, 746 f.; s.a. BFH-Beschluss vom 17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 86; derselbe, FR 2012, 435, 440 f.; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999, S. 103 f.). Eine solche Bedingung würde einem sachangemessenen Ausgleich der widerstreitenden Prinzipien (im Sinne einer wechselseitigen Begrenzung von Periodizitäts- und Nettoprinzip, s. insbesondere BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423) nicht entsprechen (Desens, FR 2011, 745, 747 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 436 ff.; Drüen, a.a.O., S. 96 ff.).

 

 

16

Soweit die Klägerin unabhängig von dieser Grundfrage auf einen Vorrang des Nettoprinzips verweist, der aus dem Umstand der jährlichen Verlustfeststellung (§ 10d Abs. 4 EStG 2002, § 10a Satz 6 GewStG 2002) abzuleiten sei, ist ihr nicht zu folgen. Denn die (Verlust-)Feststellung löst das Spannungsverhältnis zwischen Abschnittsbesteuerung und Nettoprinzip nicht in einer eindeutigen Weise auf: Sie schafft zwar durch einen feststellenden Verwaltungsakt zeitnah Rechtssicherheit zur Höhe des in der jeweiligen Ermittlungsperiode erzielten Verlustes, berührt aber die Frage nach der sachangemessenen Ausgestaltung der ertragsteuerlichen Regelungen entsprechend der Maßgabe des „materiell-rechtlichen Prinzips“ der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht.

 

 

17

cc) Die sog. Mindestbesteuerung beschränkt die Wirkung des periodenübergreifenden Verlustausgleichs (nur) „der Höhe nach“. Die Begründung zum Regierungsentwurf des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BTDrucks 15/1518, S. 13) weist zwar darauf hin, dass durch die sog. Mindestbesteuerung „keine Verluste endgültig verloren“ gingen, seine eigentlichen Beweggründe für die Regelungsänderung offenbart der Gesetzgeber dann aber darin, dass „der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen Verlustvortragspotential der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbar zu machen, ist es geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der Staatseinnahmen gewährleistet.“ Damit ist dem Regierungsentwurf zu § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (ebenso zu § 10a GewStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1517, S. 19) eine ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Begründung beigestellt worden (s.a. Dorenkamp, Systemgerechte Neuordnung der Verlustverrechnung - Haushaltsverträglicher Ausstieg aus der Mindestbesteuerung, in Institut „Finanzen und Steuern“, Schrift Nr. 461, 2010, S. 27 ff.).

 

 

18

dd) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach - wenn auch noch nicht mit Blick auf § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. - zu Einschränkungen des periodenübergreifenden Verlustausgleichs bzw. der Verlustverrechnung geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag war ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden (BVerfG-Beschluss vom 8.3.1978 1 BvR 117/78, HFR 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG-Beschluss in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 30.10.1980 1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestanden ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Bedenken gegen eine Beschränkung des Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). Allerdings hat das Gericht im Beschluss in BVerfGE 99, 88 = SIS 98 23 05 den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig erklärt.

 

 

19

ee) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu die Nachweise im Senatsurteil vom 1.7.2009 I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061 = SIS 09 28 67, und in dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150 = SIS 06 21 73; s.a. Senatsbeschluss vom 26.8.2010 I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 = SIS 10 33 11) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des Verlustausgleichs auf spätere Veranlagungszeiträume ist im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das Grundrecht seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfaltet. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten Vermögensposition (Art. 14 Abs. 1 GG; s. BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423; dies relativierend BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73, zu D.II.2.). Immerhin hat der BFH in seinem Beschluss vom 29.4.2005 XI B 127/04 (BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609 = SIS 05 25 19), in dem eine Beschränkung des Verlustvortrags grundsätzlich gebilligt wurde, wenn der Vortrag zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird, ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass „negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“ in einem solchen System „nicht mehr vorgetragen werden können“. Darüber hinaus hat der XI. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 6.9.2006 XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 = SIS 06 44 12) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3 EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten Belastungsunterschieden führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können.

 

 

20

ff) In der Literatur wird die sog. Mindestbesteuerung teilweise für verfassungskonform gehalten (z.B. Lambrecht in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 10d Rz 4; Schneider/Krammer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10d Rz 6; Müller-Gatermann, Die Wirtschaftsprüfung 2004, 467, 468; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85, 88, und derselbe, FR 2012, 435, 439 ff.): Die im Einzelfall eintretende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips habe der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot in vertretbarer Weise ausgestaltet, da sich Beschränkungen des Verlustvortrags in betragsmäßiger oder zeitlicher Hinsicht jedenfalls im Grundsatz als verfassungskonform erwiesen hätten. Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, die durch die „Deckelung“ des Abzugsbetrags bewirkte zeitliche Streckung des Verlustvortrags sei schon „als solche“ verfassungswidrig (s. z.B. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 9 Rz 66; Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2005, 3, 21 ff.; Röder, a.a.O., S. 263 ff., 355 ff., und derselbe, StuW 2012, 18, 22 ff.; Mönikes, Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung, 2006, S. 223 ff.; Hey, StuW 2011, 131, 140 f.; Dorenkamp, a.a.O., S. 12; Raupach in Lehner [Hrsg.], Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht, 2004, S. 53, 60 f.; Eckhoff in von Groll [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft - DStJG - Band 28 [2005], S. 11, 34; Lüdicke, DStZ 2010, 434, 436; Kaminski in Korn, § 10d EStG Rz 30.9; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DB 2012, 1704, 1707; Esterer/Bartelt, Unternehmensbesteuerung 2012, 383, 392; s.a. die Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren, BTDrucks 15/1665, S. 2). Andere Literaturstimmen nehmen einen Verfassungsverstoß der sog. Mindestbesteuerung nur in den Fällen an, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt, sondern von einer Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens endgültig ausgeschlossen wird („Definitiveffekte“, s. z.B. Hallerbach in Herrmann/ Heuer/Raupach, a.a.O., § 10d EStG Rz 13; Wendt, DStJG, Band 28, S. 41, 74 ff.; Fischer, FR 2007, 281, 283 ff.; Desens, FR 2011, 745, 748 ff.; Klomp, GmbHR 2012, 675, 676 f.; wohl auch Kempf/Vogel in Lüdicke/Kempf/ Brink [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, 2010, S. 81; Blümich/ Schlenker, EStG/KStG/GewStG, § 10d EStG Rz 6, 24; Drüen, ebenda, § 10a GewStG Rz 21, 112; Kube, DStR 2011, 1781, 1789 ff.; Buciek, FR 2011, 79; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 10d EStG Rz 147; s.a. BMF-Schreiben vom 19.10.2011, BStBl I 2011, 974 = SIS 11 34 29), wobei insoweit auch eine verfassungskonforme Reduktion des Wortlauts des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. für möglich gehalten wird (z.B. Wendt, DStJG, Band 28, S. 41, 78; Fischer, FR 2007, 281, 285 f.). Solche Effekte können im Unternehmensbereich insbesondere bei der Liquidation körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmen auftreten, soweit es sich um zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaften handelt, aber auch etwa bei bestimmten Unternehmensgegenständen (z.B. bei langfristiger Fertigung) und in Sanierungsfällen (s. Lang/ Englisch, StuW 2005, 3, 21 ff.; s.a. Dorenkamp, a.a.O., S. 33 f.; Orth, FR 2005, 515, 530; BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung“ vom 15.9.2011, S. 52 mit Fußn. 57).

 

 

21

b) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil in BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485 = SIS 98 16 36 hervorgehoben, dass die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen sein darf (s.a. Senatsurteil vom 5.6.2002 I R 115/00, BFH/NV 2002, 1549 = SIS 03 02 22; Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 = SIS 10 33 11). Er hält daran fest. Diesem Maßstab wird § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. unter Berücksichtigung der beschriebenen Ausgangslage und vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung und des einschlägigen Meinungsbildes im Schrifttum jedenfalls dann gerecht, wenn nicht ein sog. Definitiveffekt eintritt.

 

 

22

aa) Die Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags entspricht auch angesichts des Zins- bzw. Liquiditätsnachteils den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insoweit entnimmt der Senat der neueren Rechtsprechung des BVerfG eine Unterscheidung zwischen temporären und endgültigen Steuereffekten (s. den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 111 = SIS 09 21 10; s.a. das BFH-Urteil vom 25.2.2010 IV R 37/07, BFHE 229, 122, BStBl II 2010, 784 = SIS 10 15 76; zustimmend Dorenkamp, a.a.O., S. 61 f.; Desens, FR 2011, 745, 747; Heuermann, FR 2012, 435, 439; Lang, GmbHR 2012, 57, 61; ablehnend Röder, StuW 2012, 18, 24 f.). Wenn sich danach der maßgebliche Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung, nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen lässt, ist eine „Verluststreckung“ verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei liegt es auch innerhalb der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (zu dieser z.B. BVerfG-Beschluss vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74, BGBl I 2010, 326), dass die zeitliche Streckung des Verlustvortrags das Risiko für den einkommenswirksamen Abzug des Verlustes erhöht, da „naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können“ (Senatsurteil in BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061 = SIS 09 28 67; BFH-Beschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 = SIS 06 44 12). Diesem Ergebnis steht auch die Existenz verschiedener gesetzlicher Regelungen nicht entgegen, die als Rechtsfolge eine „Vernichtung“ von Verlustvorträgen in bestimmten Fallsituationen vorsehen (z.B. im Zuge einer Anteilsübertragung: § 8c KStG 2002 n.F.). Dies gilt sinnentsprechend z.B. auch für die Situation der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht angesichts der fehlenden Möglichkeit der „Verlustvererbung“ (BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73).

 

 

23

Der Gesetzgeber hat durch das Grundkonzept der Mindestbesteuerung die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten; er kann sich für diese Ausgestaltung des Verlustabzugs vielmehr auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine Verstetigung des Steueraufkommens (s.a. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung“, vom 15.9.2011, S. 18) infolge der Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen berufen (s. oben zu II.2.a cc; zur Steueraufkommenswirkung s. BTDrucks 17/4653, S. 17, bzw. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung“, vom 15.9.2011, S. 43 f.). Denn damit hat der Gesetzgeber nicht nur auf den (nicht in ausreichender Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern auf einen in der Konzeption der Regelung angelegten „qualifizierten Fiskalzweck“ (Desens, FR 2011, 745, 749; s.a. Kube, DStR 2011, 1781, 1789 und 1790) verwiesen (s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150 = SIS 06 21 73; Heuermann in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85; ablehnend Hey, StuW 2011, 131, 141 f.; Röder, StuW 2012, 18, 25 f.; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DB 2012, 1704, 1707). Daher kann - mit Blick auf § 10a GewStG 2002 n.F. - offenbleiben, ob die Beschränkung (auch) dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf diese Weise die kommunale Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) sichergestellt werden konnte (FG Hamburg, Urteil vom 2.11.2011 1 K 208/10, EFG 2012, 434 = SIS 12 02 35; s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1150 = SIS 06 21 73).

 

 

24

bb) Die Grenze zum notwendigen Kernbereich einer Verlustverrechnung könnte zwar überschritten sein, wenn auf der Grundlage eines inneren Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität der sog. Mindestbesteuerung im Einzelfall („konkret“) die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen (s. dazu Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 = SIS 10 33 11; a.A. Heuermann, FR 2012, 435, 440 f.). Diese Frage kann allerdings im Streitfall offenbleiben. Denn eine sog. Definitivsituation (als endgültiger Ausschluss der Verlustnutzungsmöglichkeit) liegt im Streitfall nicht vor.

 

 

25

aaa) Die Klägerin hat sich insoweit darauf berufen, dass ihr Geschäftsmodell eine Verlustnutzung ausschließe. Denn 2/3 der erzielten Erträge seien zu 95 % steuerfrei und die steuerpflichtigen Erträge würden durch betriebliche Aufwendungen in ungefähr derselben Höhe kompensiert. Insoweit werde sich bis zum Abschluss ihrer Geschäftstätigkeit (in voraussichtlich 20 Jahren) keine Möglichkeit einer Verlustverrechnung ergeben; vielmehr werde es bei der Liquidation der Gesellschaft zu einer Verlustvernichtung kommen.

 

 

26

bbb) Der Senat folgt dieser Einschätzung nicht. Dabei lässt er offen, ob das „Definitivwerden“ von Liquidationsverlusten den Abschluss des entsprechenden Liquidationsverfahrens erfordert (s. insoweit FG Düsseldorf, Urteil vom 12.3.2012 6 K 2199/09 K, EFG 2012, 1387 = SIS 12 17 43); er lässt ebenfalls offen, ob - wie vom FA und vom BMF in der mündlichen Verhandlung betont - die Situation der Liquidation einer Kapitalgesellschaft wegen der auf einem Willensentschluss (der Organe) des Steuersubjekts beruhenden Entscheidung zur Liquidation („gewillkürte Maßnahme“) von einer Berücksichtigung auszuschließen sei (s.a. Gosch, BFH/PR 2011, 10, 11). Schließlich kann auch offenbleiben, ob die auf einen 20-jährigen Zeitraum bzw. die Restdauer ihrer wirtschaftlichen Existenz bezogene Prognose der Klägerin schon insoweit zeitlich zu weit greift, als sie einen Ausgleich zwischen Periodizitäts- und Nettoprinzip (s. oben zu II.2.a bb; s.a. Klomp, GmbHR 2012, 675, 678 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 441 f.) vollständig vermissen lässt.

 

 

27

Der Prognose der Klägerin ist schon allein aus dem Grund nicht zu folgen, dass sie nicht ausreichend berücksichtigt, dass es sowohl zu Änderungen des Geschäftsfelds kommen kann als auch insbesondere zu Änderungen der steuerrechtlichen Regelungslage. Und beides kann einen Einfluss auf den Umfang der Steuerfreistellung der erzielten Einnahmen haben. So ist eine Einschränkung des sachlichen Umfangs der Steuerbefreiung in § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 zur Zeit wieder (s. Patzner/Frank, IStR 2008, 433; Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8b Rz 62 – zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2009) Gegenstand politischer Beratungen (s. dazu die Stellungnahme des Bundesrats [zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013, BRDrucks 302/12] vom 6.7.2012, DStR 2012, Heft 28, S. VI). Der Bundesrat fordert vor dem Hintergrund der infolge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20.10.2011 C-284/09 „Kommission ./. Deutschland“ (DStR 2011, 2038 = SIS 11 34 05) zu erwartenden Einbußen bei der Kapitalertragsteuer, dass die Steuerfreiheit von Dividenden und Veräußerungsgewinnen nach § 8b KStG für Streubesitzanteile (Anteile von weniger als 10 % am Nennkapital) aufgehoben wird. Auf dieser Grundlage lässt sich daher eine „Definitivsituation“ unter Annahme einer fortgeltenden Wirkung des § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 nicht zuverlässig prognostizieren.

 

 

28

Dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die von ihr erzielten Verluste seien durch Provisionsaufwand bei der Einwerbung ihrer Gesellschafter entstanden, muss nicht nachgegangen werden. Denn es bestünde kein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang derartiger Aufwendungen mit den später erzielten - steuerauslösenden - Erträgen, der die Rechtfertigung der Mindestbesteuerung berühren könnte.

 

 

29

3. Schließlich ist dem Einwand der Klägerin, sie führe der Sache nach wegen fehlender Überschusserzielungsabsicht einen sog. Liebhabereibetrieb, was einer Besteuerung entgegenstehe, nicht zu folgen. Dies beruht auf grundsätzlichen - bereits im Senatsurteil vom 22.8.2007 I R 32/06 (BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961 = SIS 07 36 22) näher ausgeführten und hier nicht im Einzelnen zu wiederholenden - Erwägungen zur Frage, ob einer Kapitalgesellschaft eine außerbetriebliche Sphäre zukommen kann (s. zuletzt Senatsbeschluss vom 15.2.2012 I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012, 697 = SIS 12 07 31). An diesen Erwägungen hält der Senat weiterhin fest. Es kommt daher weder in Betracht, den durch § 8b Abs. 1 und 2 KStG 2002 begünstigten Bereich der Kapitalanlagen aus der gewerblichen (§ 8 Abs. 2 KStG 2002; § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG 2002) Gesamttätigkeit der Klägerin herauszulösen noch die Tätigkeit der Klägerin insgesamt als nicht besteuerbar anzusehen.