Die Revision der Kläger gegen das Urteil
des Sächsischen Finanzgerichts vom 10.11.2015 2 K 741/15 wird
als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu
tragen.
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I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger), Eheleute, hatten vor dem 1.1.2009 Verluste aus
privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien erzielt,
die zum 31.12.1998 und in den folgenden Jahren jeweils gesondert
festgestellt wurden (zuletzt zum 31.12.2012 Ehemann: 10.680 EUR;
Ehefrau: 1.891 EUR).
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Mit Bescheid über die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer
zum 31.12.2013 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) den verbleibenden Verlustvortrag für
Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften
i.S. des § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der bis
zum 31.12.2008 geltenden Fassung jeweils mit 0 EUR fest. Zugleich
stellte es in der zum 31.12.2012 festgestellten Höhe
Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften
i.S. des § 23 EStG in der ab dem 1.1.2009 anzuwendenden
Fassung fest.
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Gegen die Feststellung der Einkünfte
aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des §
23 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung mit jeweils 0
EUR erhoben die Kläger erfolglos Einspruch. Das Finanzgericht
(FG) hat die Klage abgewiesen (EFG 2016, 196 = SIS 15 29 37).
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Dagegen richtet sich die Revision der
Kläger, mit der sie die Verfassungswidrigkeit von Bundesrecht
(§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des
Unternehmensteuerreformgesetzes - UntStRefG - 2008 vom 14.8.2007,
BGBl I 2007, 1912) rügen.
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Die Kläger beantragen,
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1. unter Abänderung des angefochtenen
Urteils des Sächsischen FG vom 10.11.2015 2 K 741/15 nach den
Anträgen der Kläger zu erkennen und dem FA die Kosten des
Verfahrens aufzuerlegen,
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2. hilfsweise, das Urteil des
Sächsischen FG vom 10.11.2015 2 K 741/15 aufzuheben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das
Sächsische FG zurückzuverweisen und die Entscheidung
über die Kosten dem Sächsischen FG zu
übertragen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der Senat legt das Begehren der
Kläger dahin aus, dass sie eine Vorlage gemäß Art.
100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) an das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anregen wollen. Der Senat ist
indes nicht davon überzeugt, dass die dem angefochtenen Urteil
zugrunde liegenden Vorschriften verfassungswidrig sind. Eine
Vorlage an das BVerfG kommt deshalb nicht in Betracht. Es
verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, dass Altverluste
aus Aktienverkäufen ab dem Veranlagungszeitraum 2014 nicht
mehr mit neuen Gewinnen aus Aktienverkäufen ausgeglichen
werden können. Die zugrunde liegenden Normen verstoßen
nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und
verletzen auch nicht verfassungsrechtlich geschütztes
Vertrauen.
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1. Mit Einführung der Abgeltungsteuer
durch das UntStRefG 2008 hat der Gesetzgeber die Einkünfte aus
der Veräußerung von Aktien (u.a.) ohne
Berücksichtigung einer bestimmten Haltefrist den
Einkünften aus Kapitalvermögen zugewiesen.
Maßgeblicher Stichtag für den Systemwechsel war der
1.1.2009 (vgl. BTDrucks 16/4841, S. 33). Bei
Veräußerungsvorgängen mit Aktien kommt es auf das
Datum der Anschaffung der Aktien an (§ 52a Abs. 10 Satz 1,
Abs. 11 Satz 3 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008).
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a) Aktien, die nach dem 31.12.2008 im
Privatvermögen erworben worden sind: Gewinne aus der
Veräußerung unterliegen der Besteuerung nach § 20
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG und der Abgeltungsteuer (§ 32d EStG).
Verluste können weder mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten
ausgeglichen noch nach § 10d abgezogen werden (§ 20 Abs.
6 Satz 1 EStG in der aktuellen Fassung). Sie mindern auch nicht die
Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden
Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt,
sondern sie dürfen nur mit zukünftigen Gewinnen, die aus
der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen
werden (§ 20 Abs. 6 Satz 2, Satz 4 EStG in der aktuellen
Fassung).
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b) Aktien, die vor dem 1.1.2009 erworben
worden sind: Gewinne und Verluste unterliegen weiterhin der
Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der bis zum
31.12.2008 anzuwendenden Fassung (im Folgenden EStG a.F.). Das gilt
unabhängig davon, ob die Veräußerung vor oder nach
dem 1.1.2009 stattgefunden hat. Einnahmen und Ausgaben aus solchen
Geschäften werden jeweils nur zur Hälfte erfasst (§
3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG a.F.; § 3c Abs. 2 EStG a.F.;
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3.11.2015 VIII R 37/13,
BFHE 252, 274, BStBl II 2016, 273 = SIS 16 04 65). Verluste
dürfen nur bis zur Höhe des Gewinns, den der
Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten
Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen
werden. Sie dürfen nicht nach § 10d abgezogen werden,
mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem
unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den
folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten
Veräußerungsgeschäften nach Absatz 1 erzielt hat
oder erzielt (§ 23 Abs. 3 Satz 8 und 9 EStG a.F.). Sie
können danach weiterhin ausgeglichen werden mit
sämtlichen zukünftigen Gewinnen aus
Veräußerungsgeschäften i.S. von § 23 EStG,
nicht jedoch mit Gewinnen aus der Veräußerung von
Aktien, die nach dem 31.12.2008 angeschafft worden sind.
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c) Davon abweichend konnten Verluste aus
privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien i.S. des
§ 23 EStG a.F. (sog. Altverluste) für eine
Übergangszeit auch mit Einkünften aus
Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG i.d.F. des
UntStRefG 2008 (Neugewinne) ausgeglichen werden und minderten nach
Maßgabe des § 10d EStG auch die Einkünfte, die der
Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus
§ 20 Abs. 2 EStG i.d.F. UntStRefG 2008 erzielte (§ 23
Abs. 3 Satz 9 und 10 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008). Diese
Regelung war jedoch befristet und letztmals anzuwenden für den
Veranlagungszeitraum 2013 (§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F.
des UntStRefG 2008).
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2. § 23 Abs. 3 Satz 9 und 10 i.V.m.
§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008
verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
(Art. 3 Abs. 1 GG). Zwar kann die zeitliche Beschränkung des
Ausgleichs von Altverlusten mit Neugewinnen aus
Aktienverkäufen zu einer ungleichen Belastung mit
Einkommensteuer bei Steuerpflichtigen mit Altverlusten führen.
Der Ausschluss der Verrechenbarkeit ist jedoch dem zulässigen
Systemwechsel geschuldet. Der Gesetzgeber war auch befugt, den
Systemwechsel in überschaubarer Zeit abzuschließen.
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a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet,
wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seiner
Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Er gilt für
ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche
Begünstigungen. Aus ihm ergeben sich je nach
Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche
Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen
Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an
Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Der
Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten verlangt eine
gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die den Steuergegenstand in
den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine
gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt.
Ausnahmen von dem jedenfalls für die Ertragsteuern geltenden
Gebot gleicher Besteuerung bei gleicher Ertragskraft bedürfen
eines besonderen sachlichen Grundes. Bei der Bestimmung der Bindung
des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz ist allerdings zu
berücksichtigen, dass das BVerfG dem Gesetzgeber gerade bei
der Umstrukturierung komplexer Regelungssysteme stets einen
besonders weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der
Übergangsvorschriften einräumt. Art. 3 Abs. 1 GG ist
jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus
der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund
für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung
nicht finden lässt (BVerfG-Beschluss vom 17.11.2009 1 BvR
2192/05, BVerfGE 125, 1, BFH/NV 2010, 803 = SIS 10 02 74). Die
verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags- und
Übergangsvorschriften beschränkt sich grundsätzlich
darauf, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in
sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche
Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend
gewürdigt hat und die gefundene Lösung im Hinblick auf
den Sachverhalt und das System der Gesamtregelung sachlich
vertretbar erscheint (BVerfG-Beschluss vom 1.4.2014 2 BvL 2/09,
BVerfGE 136, 127 = SIS 14 14 36, Rz 50, m.w.N.).
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b) Mit Einführung der Abgeltungsteuer hat
der Gesetzgeber bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
einen grundlegenden Systemwechsel vollzogen (vgl. auch BFH-Urteil
in BFHE 252, 274, BStBl II 2016, 273 = SIS 16 04 65, Rz 25).
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aa) Zwischen den Beteiligten ist nicht
streitig, dass der Gesetzgeber befugt war, die Einkünfte aus
der Veräußerung von Aktien (u.a.) in den Tatbestand der
Einkünfte aus Kapitalvermögen zu verlagern. Diese Frage
ist deshalb nicht Gegenstand der Prüfung.
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bb) Bei dem Systemwechsel hat sich der
Gesetzgeber für einen stichtagsbezogenen Übergang zum
1.1.2009 entschieden. Diese Grundentscheidung hat er konsequent und
in sich stimmig umgesetzt, indem er für Altverluste die
Fortgeltung der bisher anzuwendenden Vorschriften angeordnet hat.
Die vom Gesetzgeber angestrebte vollständige stichtagsbezogene
Trennung der Besteuerungssysteme
(Halbeinkünfteverfahren/Abgeltungsteuer) schließt eine
Verrechnung von Altverlusten mit Neugewinnen grundsätzlich
aus. Dies zugrunde gelegt, stellt sich der Ausschluss des
vertikalen Verlustausgleichs für Altverluste als Grundregel
und die zeitlich zulässige Verrechnung mit Neugewinnen
gemäß § 20 Abs. 2 EStG als Ausnahme dar (ebenso
BTDrucks 16/4841, S. 59: „obwohl diese zukünftig
nicht mehr von § 23 erfasst werden“). Aus diesem
Blickwinkel hat der Gesetzgeber Altverluste für eine gewisse
Dauer privilegiert, indem er zusätzlich die Verrechnung mit
Neugewinnen zugelassen hat (so auch BFH-Urteil in BFHE 252, 274,
BStBl II 2016, 273 = SIS 16 04 65, Rz 21). Eine belastende Wirkung
entfaltet die Vorschrift allenfalls im Hinblick auf ihre zeitliche
Begrenzung.
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c) Es verstößt nicht gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dass Altverluste ab
Veranlagungszeitraum 2014 nicht mehr mit Neugewinnen aus
Aktienverkäufen ausgeglichen werden können.
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aa) Ein völliger Ausschluss der
Verlustverrechnung, der nach der Rechtsprechung des BVerfG
(BVerfG-Beschluss vom 30.9.1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 = SIS 98 23 05) nicht zulässig wäre, ist damit nicht verbunden.
Die Altverluste können weiterhin ohne zeitliche Begrenzung mit
zukünftigen steuerbaren Gewinnen aus privaten
Veräußerungsgeschäften verrechnet werden.
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bb) Die Altverluste werden durch den Wegfall
der Verrechenbarkeit mit Neugewinnen in gewissem Umfang
wirtschaftlich entwertet.
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Es verbleibt jedoch die nicht bloß
theoretische Möglichkeit der Verrechnung mit steuerbaren
Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften mit
anderen Wirtschaftsgütern. In diesem Zusammenhang haben die
Kläger nicht vorgetragen und hat das FG auch nicht
festgestellt, dass oder weshalb die Kläger Gewinne aus
privaten Veräußerungsgeschäften in Zukunft nicht
mehr erzielen können. Die Frage, ob auch eine faktische
Verlustvernichtung („Definitiveffekt“) rechtlich
beachtlich sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 22.8.2012 I R 9/11, BFHE
238, 419, BStBl II 2013, 512 = SIS 12 30 99, und BFH-Beschluss vom
26.2.2014 I R 59/12, BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016 = SIS 14 22 37; Az. des BVerfG 2 BvL 19/14) stellt sich deshalb im Streitfall
nicht.
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Zu berücksichtigen ist weiter, dass es
der Steuerpflichtige bei privaten
Veräußerungsgeschäften durch die Wahl des
Veräußerungszeitpunkts weitgehend in der Hand hat, ob er
steuerbare oder nicht steuerbare Gewinne erzielen will. Diese
Besonderheit der Einkunftsart rechtfertigt nach der Rechtsprechung
des Senats den vollständigen Ausschluss des vertikalen
Verlustausgleichs bei den privaten
Veräußerungsgeschäften (BFH-Urteile vom 18.10.2006
IX R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259 = SIS 07 00 44; vom
12.7.2016 IX R 11/14, BFH/NV 2016, 1691 = SIS 16 23 36). Die
Erwägung trifft zwar auf Neugewinne aus Aktienverkäufen
nicht mehr zu, weil sie bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen ohne Berücksichtigung einer Haltefrist
steuerbar sind. Für die (anderen) von § 23 EStG erfassten
Einkünfte, die durch die Altverluste aus Aktienverkäufen
weiterhin gemindert werden, gilt dies jedoch unverändert
fort.
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cc) Bei der gebotenen Zusammenschau dieser
Gegebenheiten, hält der erkennende Senat die gegenüber
dem vorherigen Zustand eingetretene sachliche Beschränkung der
Verlustverrechnung für Altverluste aus
Aktienveräußerungen durch den vom Gesetzgeber ins Werk
gesetzten Systemwechsel zur Abgeltungsteuer für
gerechtfertigt.
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d) § 23 Abs. 3 Satz 9 und 10 i.V.m.
§ 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008
verstößt auch nicht deshalb gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil Altverluste nur bis zum
Veranlagungszeitraum 2013 mit Neugewinnen ausgeglichen werden
konnten. Der Gesetzgeber war insbesondere nicht verpflichtet, diese
vorübergehende Privilegierung der Altverluste für einen
längeren Zeitraum zu gewähren.
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aa) Das BVerfG hat sogar eine generelle
zeitliche Beschränkung des Verlustvortrags auf fünf Jahre
gebilligt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22.7.1991 1 BvR 313/88, NJW
1992, 168). Daran gemessen kann die zeitliche Befristung einer
Übergangsregelung auf fünf Jahre keinen Bedenken
unterliegen.
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bb) Im Übrigen teilt der Senat schon
nicht die Grundannahme der Kläger, dass der Gesetzgeber
sachliche Gründe für die zeitliche Befristung der
Übergangsregel anführen müsse (a.A. Hey, FR 2014,
349). Der Gesetzgeber ist zum Systemwechsel befugt. Zwar hat das
BVerfG im Zusammenhang mit dem Übergang vom
Vollanrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren bei der
Überleitung von Körperschaftsteuerminderungspotential in
einem Sonderfall eine Übergangsregelung für
verfassungswidrig erklärt, weil der Gesetzgeber seine
(legitimen) Ziele vollständig erreichen und die Ungleichheit
hätte vermeiden können (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE
125, 1, BFH/NV 2010, 803 = SIS 10 02 74). Eine solche Situation
liegt hier jedoch nicht vor. Die Verrechnung von Altverlusten aus
Aktienverkäufen mit entsprechenden Neugewinnen durchbricht den
generellen Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs bei §
23 EStG. Sie stellt mithin einen Fremdkörper dar in dem auf
eine strikte, stichtagsbezogene Trennung der Besteuerungssysteme
angelegten Systemwechsel.
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In diesem Fall misst der Senat dem Interesse
des Gesetzgebers an der zeitnahen Vollendung des Systemwechsels ein
höheres Gewicht bei als der Besteuerungsgleichheit. Eine
Übergangszeit von fünf Jahren, in denen der Gesetzgeber
eine systemfremde Verrechnung im Interesse der betroffenen
Steuerpflichtigen zulässt, erscheint nach allem ausreichend
und angemessen.
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3. Die partielle Entwertung der Altverluste
infolge des Übergangs zur Abgeltungsteuer verletzt auch nicht
verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen.
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a) Die Übergangsregel, die eine zeitlich
begrenzte Verrechnung mit Neugewinnen erlaubt (§ 23 Abs. 3
Satz 9 und 10 i.V.m. § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG i.d.F. des
UntStRefG 2008), verletzt schon deshalb nicht Vertrauen, weil sie
zusätzliche Rechte schafft. Beeinträchtigt wird das
Vertrauen in die Werthaltigkeit der gesondert festgestellten
Verluste in der zu beurteilenden Konstellation allein dadurch, dass
die Einkünfte aus Aktienveräußerungen aus dem
Tatbestand des § 23 ausgegliedert und den Einkünften aus
Kapitalvermögen zugewiesen worden sind. Im Zusammenwirken mit
dem unverändert beibehaltenen Ausschluss des vertikalen
Verlustausgleichs bei privaten
Veräußerungsgeschäften sind die Altverluste dadurch
- nach Auslaufen der Übergangsregelung - partiell
wirtschaftlich entwertet worden.
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b) Die Voraussetzungen für eine echte
Rückwirkung, bei der die Rechtsfolge einer Rechtsnorm mit
belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung
für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen), liegen nicht vor. Aufgrund
der Übergangsregelung des § 52a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4
Satz 2, Abs. 10 und Abs. 11 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 gilt
hinsichtlich der Besteuerung von Gewinnen und Verlusten aus der
Veräußerung von Wertpapieren, die vor dem 1.1.2009
angeschafft wurden, die alte Rechtslage auch nach der
Einführung der Abgeltungsteuer fort (vgl. BFH-Urteil in BFHE
252, 274, BStBl II 2016, 273 = SIS 16 04 65, Rz 31).
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c) Eine nachträgliche, belastende
Änderung der Rechtsfolge eines in der Vergangenheit liegenden
Verhaltens liegt jedoch darin, dass (die gesondert festgestellten)
Altverluste infolge des Systemwechsels ab dem Veranlagungszeitraum
2014 nicht mehr mit Neugewinnen aus Aktienveräußerungen
ausgeglichen werden können. Selbst wenn darin eine
grundsätzlich rechtfertigungsbedürftige sog. unechte
Rückwirkung liegen sollte, begegnet dies keinen
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
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aa) Zwar kommt dem Verlustverrechnungsanspruch
ein gewisser wirtschaftlicher Vermögenswert zu, der durch den
Wegfall der Verrechnungsmöglichkeit mit gleichartigen Gewinnen
partiell vermindert wird. Der Anspruch ist aber von der Entstehung
positiver Einkünfte abhängig und somit aufschiebend
bedingt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom
17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73, unter D.II.2.). Danach konnte mit einer vollen
Verlustverrechnung ohnehin nicht sicher gerechnet werden. Die
bloße Möglichkeit, Gewinne aufgrund einer
Verlustverrechnung später steuerfrei vereinnahmen zu
können, begründet noch keine vertrauensrechtlich
geschützte Position (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010 2 BvL
14/02, 2/04, 13/05, BVerfGE 127, 1 = SIS 10 22 45, unter
C.II.2.a).
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bb) Die partielle Entwertung der
festgestellten Altverluste ist zudem verfassungsrechtlich
gerechtfertigt. Sie ist zur Förderung des Gesetzeszweckes
(Systemwechsel) geeignet und erforderlich. Bei einer
Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten
Vertrauens und dem Gewicht der Dringlichkeit der die
Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe (vgl. BTDrucks
16/4841, S. 1) ist die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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