1
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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist neben ihrer Schwester zu
1/2 Miterbin ihres am 31.12.2004 verstorbenen Vaters (V). Ihre
Mutter (M) war bereits am 13.11.2004 vorverstorben. Für 2004
wurden V und M zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für
Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag
für 2004 waren - nach Anrechnung der von V und M entrichteten
Vorauszahlungen, des Zinsabschlags und der Kapitalertragsteuer -
Abschlusszahlungen in Höhe von insgesamt 1.823.885 EUR zu
entrichten.
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2
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Die Klägerin machte die Hälfte
der Abschlusszahlungen als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) versagte in
dem geänderten Steuerbescheid vom 22.9.2008 einen Abzug und
setzte die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin auf 473.936 EUR
fest.
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3
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Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die Einkommensteuer des
Todesjahres des Erblassers beim Erben nicht als
Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden könne, weil sie am
maßgeblichen Stichtag noch nicht entstanden gewesen sei. Das
Urteil des FG ist veröffentlicht in EFG 2011, 1342 = SIS 11 21 29.
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Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG).
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Während des Revisionsverfahrens hat
das FA mit Bescheid vom 5.6.2012 die Erbschaftsteuer wegen hier
nicht streitiger Punkte auf 532.817 EUR erhöht.
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In der mündlichen Verhandlung hat die
Klägerin erklärt, ihre Eltern hätten ein Berliner
Testament errichtet. Danach hätten sich die Eltern gegenseitig
zu alleinigen Erben eingesetzt. Die Erbschaft nach ihrer Mutter sei
ausgeschlagen worden.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom
5.6.2012 dahin zu ändern, dass die von ihr zu tragenden
Zahlungen der Einkommensteuer, der Kirchensteuer sowie des
Solidaritätszuschlags für V und M für 2004 in
Höhe von 911.942,50 EUR als zusätzliche
Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.
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8
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zur
Aufhebung der Vorentscheidung. Da während des
Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid ergangen ist, ist
das Urteil des FG gegenstandslos geworden (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.1.2008 VI R 44/07, BFHE 220, 269,
BStBl II 2011, 21 = SIS 08 12 30).
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10
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Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die vom FG
getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um den von der
Klägerin begehrten Abzug der Nachlassverbindlichkeiten
beurteilen zu können. Die anteilig auf die Klägerin als
Miterbin entfallenden Abschlusszahlungen für Einkommensteuer,
Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2004 sind,
soweit sie V betreffen, entgegen der Auffassung des FG als
Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Soweit die
Abschlusszahlungen M betreffen, sind sie als
Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig, wenn V Alleinerbe der
vorverstorbenen M war. Ist dagegen V wegen einer Ausschlagung der
Erbschaft nicht Alleinerbe der M geworden, scheidet ein Abzug der M
betreffenden Abschlusszahlungen als Nachlassverbindlichkeiten bei
dem hier der Besteuerung zugrunde liegenden Erwerb von Todes wegen
nach V aus. Das FG hat - aus seiner Sicht zu Recht - noch keine
Feststellungen dazu getroffen, ob V Alleinerbe der M war oder ob
die Erbschaft ausgeschlagen wurde.
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1. Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1
ErbStG sind von dem Erwerb des Erben die vom Erblasser
herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb
gehörenden Gewerbebetrieb oder Anteil an einem Gewerbebetrieb
in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits nach § 12
Abs. 5 und 6 ErbStG berücksichtigt worden sind, als
Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig.
Nachlassverbindlichkeiten in diesem Sinne sind auch die vom
Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die
gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB), § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auf den
Erben übergegangen sind (ständige Rechtsprechung, vgl.
BFH-Urteil vom 17.2.2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010,
641 = SIS 10 14 77, m.w.N.).
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Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tod
einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den oder
die Erben über. Gemäß § 1967 BGB haften die
Erben für die Nachlassverbindlichkeiten. Das hierin für
den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge
beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts, sondern
erstreckt sich auch auf das Steuerrecht (vgl. Beschluss des
Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129,
BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73, unter D.I.). So ordnet § 45
Abs. 1 Satz 1 AO an, dass bei der Gesamtrechtsnachfolge
„die Forderungen und Schulden aus dem
Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger
über(gehen)“. Ungeachtet des restriktiv gehaltenen
Wortlauts des § 45 Abs. 1 Satz 1 AO leitet der BFH in
ständiger Rechtsprechung aus dieser Bestimmung her, dass der
Erbe als Gesamtrechtsnachfolger grundsätzlich in einem
umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in
verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung
des Erblassers eintritt (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl
II 2008, 608 = SIS 08 13 73, unter D.I.1., m.w.N.).
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2. Zu den abzugsfähigen
Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG
gehören nicht nur die Steuerschulden, die zum Zeitpunkt des
Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren, sondern auch die
Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger
durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet
hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen.
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a) Der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten
nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG setzt ebenso wie die
Erbenhaftung nach § 1967 Abs. 2 BGB voraus, dass Schulden vom
Erblasser herrühren. Aus dem Begriff
„herrühren“ ergibt sich, dass die
Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht voll
wirksam entstanden sein müssen. Zivilrechtlich gehen mit dem
Erbfall auch „verhaltene“, noch werdende und
schwebende Rechtsbeziehungen des Erblassers auf den Erben über
(ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -
BGH - vom 7.6.1991 V ZR 214/89, NJW 1991, 2558, m.w.N.). Deshalb
sind Erblasserschulden i.S. des § 1967 Abs. 2 BGB auch die
erst in der Person des Erben entstehenden Verbindlichkeiten, die
als solche schon dem Erblasser entstanden wären, wenn er nicht
vor Eintritt der zu ihrer Entstehung nötigen weiteren
Voraussetzung verstorben wäre (vgl. BGH-Urteil in NJW 1991,
2558).
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b) Diese zivilrechtlichen Grundsätze sind
auch für die Beurteilung der Nachlassverbindlichkeiten i.S.
des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zu beachten (vgl. BFH-Urteil vom
5.7.1978 II R 64/73, BFHE 126, 55, BStBl II 1979, 23 = SIS 79 00 12; Weinmann in Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 51). Der Abzug
der vom Erblasser herrührenden Schulden setzt nicht zwingend
voraus, dass beim Tod des Erblassers, also zum maßgeblichen
Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), eine
rechtliche Verpflichtung bestanden haben muss (vgl. BFH-Urteile vom
18.11.1963 II 166/61, HFR 1964, 83, und in BFHE 126, 55, BStBl II
1979, 23 = SIS 79 00 12). Bei einem Erwerb von Todes wegen wirken
sich auch Steuerschulden aus der Veranlagung des Erblassers
für das Todesjahr bereicherungsmindernd aus, obwohl sie beim
Erbfall noch nicht rechtlich entstanden waren. Denn der Erbe hat
diese Steuerschulden zu tragen. Entscheidend für den Abzug der
Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist, dass der
Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als
Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände
verwirklicht hat und deshalb „für den
Erblasser“ als Steuerpflichtigen eine Steuer
entsteht.
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c) Das für das Erbschaftsteuerrecht
maßgebliche Stichtagsprinzip (§ 9 und § 11 ErbStG)
steht dem Abzug dieser Steuerverbindlichkeiten nicht entgegen.
Bereits zum Zeitpunkt der Steuerentstehung, also beim Tod des
Erblassers steht fest, dass die Belastung kraft Gesetzes mit Ablauf
des Todesjahres eintreten wird (nachfolgend unter II.2.e). Dabei
ist unschädlich, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls die Belastung
durch Steuerverbindlichkeiten der Höhe nach nicht genau
feststeht, weil noch mögliche Wahlrechte ausgeübt werden
oder besondere steuerrelevante Ereignisse eintreten
können.
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d) Soweit aus den hauptsächlich zum
Erfordernis einer wirtschaftlichen Belastung ergangenen
Entscheidungen des BFH entnommen werden könnte bzw. kann, dass
der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1
ErbStG „nur“ bei einer zum Zeitpunkt des
Erbfalls bestehenden rechtlichen Verpflichtung möglich ist,
hält der Senat daran jedenfalls für die kraft Gesetzes
aufgrund einer Tatbestandsverwirklichung des Erblassers
entstehenden Steueransprüche nicht mehr fest (vgl. hierzu
BFH-Urteile vom 24.3.1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339 = SIS 99 51 43; vom 15.1.2003 II R 23/01, BFHE 200, 413, BStBl II 2003, 267 =
SIS 03 16 83; vom 14.12.2004 II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093 = SIS 05 26 08; vom 14.11.2007 II R 3/06, BFH/NV 2008, 574 = SIS 08 14 18;
in BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641 = SIS 10 14 77; BFH-Beschluss
vom 15.5.2009 II B 155/08, BFH/NV 2009, 1441 = SIS 09 26 69;
differenzierend BFH-Urteil vom 27.6.2007 II R 30/05, BFHE 217, 190,
BStBl II 2007, 651 = SIS 07 27 18, unter II.3.a). Es verbleibt
jedoch dabei, dass der Abzug einer Steuerschuld als
Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG -
abweichend vom Zivilrecht - zusätzlich voraussetzt, dass sie
eine wirtschaftliche Belastung darstellt (vgl. BFH-Urteil vom
2.3.2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147 = SIS 11 19 17, unter III.7.c
aa aaa).
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e) Nach diesen Grundsätzen ist die auf
den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallende Abschlusszahlung
für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des
Todesjahres als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10
Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig (vgl. Kapp/Ebeling, § 10
ErbStG Rz 82; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 10
Rz 119, 140; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Kommentar, 16. Aufl., § 10 Rz 32, unter a und c;
Kämper/Milatz, Zeitschrift für Erbrecht und
Vermögensnachfolge - ZEV - 2011, 70; Billig, UVR 2012, 61;
a.A. Weinmann, a.a.O., § 10 ErbStG Rz 54; Jüptner in
Fischer/Jüptner/Pahlke/ Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 10
Rz 134; Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
§ 10 Rz 121; Hartmann, Der Erbschaft-Steuer-Berater 2007, 170,
unter 3.c; Gleichlautender Ländererlass vom 18.1.2010, ZEV
2010, 107; R E 10.8 Abs. 3 Satz 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien
2011, BStBl I Sonder-Nr. 1/2011, 2, 23 f.).
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aa) Stirbt ein Steuerpflichtiger vor Ablauf
des Kalenderjahres, ist zum Zeitpunkt des Erbfalls zwar noch keine
Einkommensteuer für das Todesjahr entstanden. Der
Steuerpflichtige hat aber bis zu seinem Ableben selbst
Steuertatbestände verwirklicht und damit das spätere
Entstehen der Steuerverbindlichkeiten begründet. Mit seinem
Ableben tritt der Erbe in die Rechtsstellung des Verstorbenen
(Erblasser) ein; der durch den Erblasser (Steuerpflichtiger)
begründete, mit Ablauf des Todesjahres entstehende Anspruch
aus dem Steuerschuldverhältnis geht auf den Erben
über.
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bb) Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand
verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht
knüpft (§ 38 AO). Die Einkommensteuer ist eine
Jahressteuer (§ 2 Abs. 7 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in
der für 2004 maßgeblichen Fassung - EStG - ), die nach
§ 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums
entsteht.
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Sie wird nach Ablauf des Kalenderjahres
(Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der
Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit
nicht nach § 46 EStG eine Veranlagung unterbleibt (§ 25
Abs. 1 EStG). Stirbt der Steuerpflichtige vor Ablauf des
Kalenderjahres und endet damit seine persönliche
Steuerpflicht, wird der Veranlagung für das Todesjahr
(Kalenderjahr) ein abgekürzter Ermittlungszeitraum zugrunde
gelegt. Die Veranlagung ist auf das bis zum Tod des
Steuerpflichtigen erzielte Einkommen zu beschränken (vgl.
BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73,
unter D.III.1.). Im Hinblick darauf, dass das Einkommen des
Erblassers erfasst und damit an die Verwirklichung des
Steuertatbestands durch den Erblasser angeknüpft wird, ist die
Einkommensteuer des Todesjahres unmittelbar in der Person des
Erblassers (Steuerpflichtiger) begründet. Eine etwaige
Einkommensteuerschuld für das Todesjahr des Erblassers bleibt
trotz des Übergangs auf den Erben eine vom Erblasser
herrührende Steuerschuld. Insoweit ist unerheblich, dass der
Einkommensteuerbescheid für den Erblasser gegenüber dem
Erben als Gesamtrechtsnachfolger ergeht.
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Soweit der Erbe selbst
einkommensteuerrelevante Tatbestände verwirklicht, wie z.B.
beim Zufluss nachträglicher Einnahmen aus einer ehemaligen
Tätigkeit des Erblassers nach § 24 Nr. 2 EStG (vgl.
BFH-Urteil vom 24.1.1996 X R 14/94, BFHE 179, 406, BStBl II 1996,
287 = SIS 96 12 01, unter 3.), sind die darauf entfallenden
Einkommensteuerzahlungen des Erben keine Nachlassverbindlichkeiten
nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Obwohl der Erblasser die
Grundlage für den Zufluss von Einnahmen gesetzt hat, wird der
Steuertatbestand in diesen Fällen erst mit dem Zufluss der
Einnahmen durch den Erben als Steuerpflichtigen verwirklicht (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 179, 406, BStBl II 1996, 287 = SIS 96 12 01).
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cc) Eine bereits am Todestag des Erblassers
bestehende rechtliche Verpflichtung als Voraussetzung für den
Abzug von Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten i.S. des
§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG kann auch nicht daraus hergeleitet
werden, dass nur rechtlich entstandene
Steuererstattungsansprüche zum Erwerb i.S. des § 10 Abs.
1 ErbStG zählen.
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Nach der Rechtsprechung des BFH fallen
Einkommensteuererstattungsansprüche, die das Todesjahr des
Erblassers betreffen, jedenfalls bei einer Zusammenveranlagung mit
dem überlebenden Ehegatten nicht in den steuerpflichtigen
Erwerb nach § 10 Abs. 1 ErbStG, weil sie erst mit Ablauf des
Todesjahres entstehen (vgl. BFH-Urteil vom 16.1.2008 II R 30/06,
BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626 = SIS 08 14 75). Für Erwerbe
ab dem 1.1.2009 gilt zudem § 10 Abs. 1 Satz 3 ErbStG (i.d.F.
des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008, BGBl I 2008,
3018, BStBl I 2009, 140). Danach sind
Steuererstattungsansprüche des Erblassers zu
berücksichtigen, wenn sie rechtlich entstanden sind (§ 37
Abs. 2 AO).
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Das Anknüpfen an unterschiedliche
Voraussetzungen für den Abzug von Steuerschulden als
Nachlassverbindlichkeiten einerseits und für den Ansatz von
Steuererstattungsansprüchen als Erwerb andererseits beruht auf
den unterschiedlichen Regelungen in § 10 Abs. 1 und Abs. 5 Nr.
1 ErbStG. Denn für den Abzug von Schulden als
Nachlassverbindlichkeiten kommt es nach § 10 Abs. 5 Nr. 1
ErbStG nur darauf an, dass sie vom Erblasser
„herrühren“. Für eine
einschränkende Auslegung des Begriffs
„herrühren“ im Sinne von
„rechtlich entstanden“ ist ein zwingender Grund
nicht ersichtlich. Eine solche Auslegung würde auch dem im
Erbschaftsteuerrecht geltenden Bereicherungsprinzip zuwiderlaufen,
weil der Erbe in Höhe der entstehenden und von ihm zu
begleichenden Steuerschulden für das Todesjahr des Erblassers
nicht bereichert ist.
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dd) Hat der Erblasser den Steuertatbestand
verwirklicht, ist als Nachlassverbindlichkeit die
Einkommensteuer-Abschlusszahlung i.S. des § 36 Abs. 4 Satz 1
EStG, also diejenige Einkommensteuer abzugsfähig, die sich
nach Anrechnung der vom Erblasser entrichteten
Einkommensteuer-Vorauszahlungen und der durch Steuerabzug erhobenen
anrechenbaren Einkommensteuer (vgl. § 36 Abs. 2 EStG) ergibt.
Es kommt dabei allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf
die Steuerfestsetzungen an (vgl. BFH-Urteil in BFHE 220, 518, BStBl
II 2008, 626 = SIS 08 14 75).
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f) Zu den vom Erblasser herrührenden
Schulden gehören diejenigen Steuerverbindlichkeiten, die durch
ihn selbst begründet wurden. Das sind Steuerverbindlichkeiten,
die entstehen, weil der Erblasser den Steuertatbestand verwirklicht
hat. Bei einer Zusammenveranlagung von Ehegatten zur
Einkommensteuer für das Todesjahr eines oder beider Ehegatten
sind Steuerverbindlichkeiten grundsätzlich auf die Ehegatten
aufzuteilen.
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aa) Werden Ehegatten zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt, werden die Einkünfte, die die
Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam
zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die
Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt (§
26b EStG). Aufgrund dieser Zusammenveranlagung sind die Ehegatten
Gesamtschuldner der Einkommensteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO).
Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner
die gesamte Leistung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AO).
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bb) Stirbt einer der Ehegatten und ergibt sich
aufgrund der Zusammenveranlagung der Ehegatten für das
Todesjahr eine Abschlusszahlung, ist die vom verstorbenen Ehegatten
als Erblasser herrührende Einkommensteuerschuld analog §
270 AO (in der für 2004 maßgeblichen Fassung) zu
ermitteln.
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Gesamtschuldner können für das
Vollstreckungsverfahren so gestellt werden, als seien sie
Einzelschuldner (§ 268 AO). Hierzu wird nach Maßgabe der
§§ 269 ff. AO die Gesamtschuld auf die einzelnen
Steuerschuldner aufgeteilt. Zur Bestimmung des
Aufteilungsmaßstabs sind grundsätzlich fiktive getrennte
Veranlagungen durchzuführen; das Verhältnis der sich
daraus ergebenden Steuerbeträge ergibt den
Aufteilungsschlüssel für die rückständige
Steuer (§ 270 AO in der für 2004 maßgeblichen
Fassung). Dadurch wird erreicht, dass jeder der Gesamtschuldner nur
noch mit dem Steuerbetrag in Anspruch genommen wird, der seinem
Anteil am zusammen veranlagten Einkommen entspricht (vgl.
BFH-Urteil vom 17.1.2008 VI R 45/04, BFHE 220, 204, BStBl II 2008,
418 = SIS 08 16 96; BFH-Beschluss vom 3.11.2010 X S 28/10, BFH/NV
2011, 203 = SIS 11 00 53).
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Ebenso ist zu verfahren, wenn die
Zusammenveranlagung von Ehegatten für das Jahr, in dem einer
der Ehegatten verstorben ist, zu einer
Einkommensteuer-Abschlusszahlung (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1
EStG) führt und zu klären ist, inwieweit diese zu den
Nachlassverbindlichkeiten gehört. Soweit die Abschlusszahlung
nach einer Aufteilung analog § 270 AO (in der für 2004
maßgeblichen Fassung) auf den Verstorbenen (Erblasser)
entfällt, ist sie beim Erwerb des Erben als eine vom Erblasser
herrührende Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig.
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cc) Entsprechendes gilt, wenn zusammen
veranlagte Ehegatten im selben Jahr versterben und die Veranlagung
zur Einkommensteuer für das Todesjahr zu einer
Abschlusszahlung führt. Die Abschlusszahlung ist analog §
270 AO (in der für 2004 maßgeblichen Fassung) auf die
Ehegatten aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeit beim
jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.
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Ist jedoch bei einem Ableben der Ehegatten im
selben Jahr der zweitverstorbene Ehegatte Alleinerbe des zuerst
verstorbenen Ehegatten gewesen, ist beim Erwerb der Erben des
zweitverstorbenen Ehegatten die gesamte Abschlusszahlung aus der
Zusammenveranlagung der verstorbenen Ehegatten für das
Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Soweit die
Abschlusszahlung auf den zweitverstorbenen Ehegatten entfällt,
ist sie eine von diesem als Erblasser herrührende
Steuerverbindlichkeit, weil er den Steuertatbestand verwirklicht
hat. Soweit die Abschlusszahlung auf den zuerst verstorbenen
Ehegatten entfällt, handelt es sich um eine Steuerschuld, die
zivil- und steuerrechtlich mit dem Ableben des zuerst verstorbenen
Ehegatten als schwebende Rechtsbeziehung auf den zunächst
überlebenden Ehegatten und bei dessen Ableben auf seine Erben
übergegangen ist. Diese Steuerschuld, die auf einer
Verwirklichung des Steuertatbestands durch den zuerst verstorbenen
Ehegatten beruht, ist erbschaftsteuerrechtlich als eine vom
zweitverstorbenen Ehegatten herrührende
Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig, weil sie bereits den
Erwerb des zweitverstorbenen Ehegatten minderte und bei seinem
Ableben mangels entsprechender Tilgung als schwebende, mit Ablauf
des Jahres entstehende Belastung weiterbestand. Sie mindert deshalb
auch die Bereicherung der Erben des zweitverstorbenen
Ehegatten.
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g) Nach diesen Grundsätzen ist auch zu
entscheiden, ob Abschlusszahlungen, die auf den mit Ablauf des
Kalenderjahres entstehenden Solidaritätszuschlag (vgl. §
1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes) sowie für die
ebenfalls an das Einkommen anknüpfende, nach Landesrecht
festzusetzende Kirchensteuer entfallen (vgl. § 51a Abs. 1
EStG), als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig sind.
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3. Die abzugsfähigen
Nachlassverbindlichkeiten sind mit ihrem nach § 12 ErbStG zu
ermittelnden Wert abzuziehen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG).
Schulden sind mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere
Umstände einen höheren oder geringeren Wert
begründen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1
Satz 1 des Bewertungsgesetzes - BewG - ).
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36
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Für Steuerverbindlichkeiten, die mit
Ablauf des Todesjahres des Erblassers entstehen, verbleibt es beim
Ansatz mit dem Nennwert, obwohl die zu einer Abschlusszahlung
führende Festsetzung erst nach dem Stichtag für die
Entstehung der Erbschaftsteuer erfolgt. Besondere Umstände,
die eine Abweichung vom Nennwert rechtfertigen könnten, sind
nicht ersichtlich. Eine Abzinsung nach § 12 Abs. 3 BewG
scheidet ebenfalls aus, weil es an einem von vornherein bestimmten
Zeitpunkt für den Eintritt der Fälligkeit der
Einkommensteuer, der Kirchensteuer und des
Solidaritätszuschlags fehlt und somit die Berechnungs- oder
Schätzungsgrundlagen für eine Abzinsung fehlen (vgl.
BFH-Urteile vom 17.1.1996 II R 4/93, BFH/NV 1996, 649, unter
II.3.b; in BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626 = SIS 08 14 75, betr.
Einkommensteuererstattungsansprüche).
Einkommensteuernachforderungen sind im Übrigen nur innerhalb
des in § 233a Abs. 2 AO bestimmten Zeitraums
unverzinslich.
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4. Danach mindern im Streitfall die anteilig
auf die Klägerin entfallenden Abschlusszahlungen für
Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag
für 2004, soweit sie V betreffen, als
Nachlassverbindlichkeiten den Erwerb der Klägerin. Die Sache
ist jedoch nicht spruchreif. Aufgrund der vom FG getroffenen
tatsächlichen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob
die Abschlusszahlungen, soweit sie M betreffen, ebenfalls als
Nachlassverbindlichkeiten vom Erwerb der Klägerin aufgrund des
Ablebens des V abgezogen werden können. Der von der
Klägerin begehrte Abzug der hälftigen Abschlusszahlungen
in Höhe von 911.942,50 EUR ist nur dann zu gewähren, wenn
V Alleinerbe der M war. Ist dagegen die Erbschaft des V nach M
ausgeschlagen worden, wie die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung vor dem BFH vorgetragen hat, sind die
Abschlusszahlungen nur insoweit abzugsfähig, als sie auf V
entfallen. Das FG wird daher noch festzustellen haben, ob V
Alleinerbe war und die Erbschaft ausgeschlagen wurde. Im Fall der
Ausschlagung ist weiter festzustellen, inwieweit die
Abschlusszahlungen entsprechend § 270 AO (in der für 2004
maßgeblichen) Fassung auf V entfallen; in diesem Fall sind
die auf M entfallenden Abschlusszahlungen nicht als
Nachlassverbindlichkeiten vom Erwerb der Klägerin
abzuziehen.
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