1
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A. Vorgelegte
Rechtsfrage, Sachverhalt und Ausgangsverfahren, Anrufungsbeschluss,
Stellungnahmen der Beteiligten
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2
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I. Vorgelegte
Rechtsfrage
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3
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Der I. Senat des
Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Beschluss vom 7.4.2010 I R 77/08
(BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739 = SIS 10 14 76) dem Großen
Senat gemäß § 11 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung
vorgelegt:
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4
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Ist das Finanzamt
im Rahmen der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung in Bezug auf zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung ungeklärte bilanzrechtliche
Rechtsfragen an die Auffassung gebunden, die der vom
Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz zugrunde liegt, wenn diese
Rechtsauffassung aus der Sicht eines ordentlichen und
gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war?
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5
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II. Sachverhalt und
Ausgangsverfahren
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6
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Die Klägerin
und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die die
Konstruktion, die Herstellung und den Betrieb eines mobilen
Zellularfunknetzes (Mobilfunknetzes) zum Gegenstand hat. Im
Streitjahr (1996) bot sie ihren Kunden den verbilligten Erwerb von
Mobiltelefonen für den Fall an, dass diese mit ihr einen
Mobilfunkdienstleistungsvertrag (MFD-Vertrag) mit einer Laufzeit
von mindestens 24 Monaten abschlossen oder einen bestehenden
Vertrag entsprechend verlängerten.
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7
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Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) war der Auffassung, die
durch die verbilligte Abgabe der Mobiltelefone entstandene
Betriebsvermögensminderung stelle einen Aufwand dar, der sich
im Streitjahr nicht in vollem Umfang gewinnmindernd auswirken
dürfe. Vielmehr müsse der Aufwand gemäß §
5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG, hier und
im Folgenden i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes) durch Ansatz eines aktiven
Rechnungsabgrenzungspostens (RAP) periodengerecht über die
Laufzeit des MFD-Vertrags verteilt werden. Dementsprechend legte es
der Steuerfestsetzung für das Streitjahr abweichend von der
Bilanz, die die Klägerin eingereicht hatte, einen um einen
entsprechenden aktiven RAP erhöhten Bilanzgewinn
zugrunde.
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8
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Die Klage blieb
erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in EFG 2008, 1607
abgedruckt.
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9
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Mit der Revision
rügt die Klägerin die Verletzung von § 5 Abs. 5 Satz
1 Nr. 1 EStG. Die Voraussetzungen für die Bildung des aktiven
RAP lägen nicht vor. Sehe man dies anders, sei das FA dennoch
unter Berücksichtigung des subjektiven Fehlerbegriffs an die
in der eingereichten Bilanz zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung
gebunden, der RAP sei nicht zu bilden. Diese Rechtsauffassung habe
nämlich bei der Aufstellung der Bilanz wegen der seinerzeit
ungeklärten Rechtslage der kaufmännischen Sorgfalt nicht
widersprochen. Die angefochtenen Bescheide seien daher entsprechend
zu ändern.
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10
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III.
Vorlagebeschluss des I. Senats
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11
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Der I. Senat
teilt die Auffassung von FA und FG zu den materiell-rechtlichen
Voraussetzungen für die Bildung des RAP. Er ist ferner der
Ansicht, der RAP sei bei der Steuerfestsetzung zu
berücksichtigen, obwohl die Entscheidung der Klägerin,
den RAP in der von ihr eingereichten Bilanz zum 31.12.1996 nicht zu
bilden, zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung der kaufmännischen
Sorgfalt entsprochen habe und somit subjektiv nicht fehlerhaft
gewesen sei. Da diese Ansicht von der bisherigen Rechtsprechung des
BFH zum subjektiven Fehlerbegriff abweiche und es sich um eine
zentrale und umstrittene, alle mit Bilanzrecht befassten Senate des
BFH betreffende Grundfrage des Bilanzsteuerrechts mit großer
praktischer Bedeutung handele, sei die Vorlage an den Großen
Senat gemäß § 11 Abs. 4 FGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung geboten.
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12
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IV.
Stellungnahmen der Beteiligten
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13
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1. Die
Klägerin hält die Vorlage für unzulässig. Die
vorgelegte Rechtsfrage sei nicht entscheidungserheblich, da im
Streitfall offensichtlich kein aktiver RAP zu bilden
sei.
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14
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Im Übrigen
müsse hinsichtlich der Beurteilung von Rechtsfragen durch den
bilanzierenden Steuerpflichtigen am subjektiven Fehlerbegriff
festgehalten werden, der zu den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) gehöre und
auch bei der Abschlussprüfung und Bilanzkontrolle angewendet
werde. Er sei daher für das Steuerrecht ebenfalls verbindlich,
zumal aufgrund der „Zweischneidigkeit der Bilanz“ eine
zutreffende Totalgewinnermittlung gewährleistet sei. Darin
unterscheide sich die Gewinnermittlung durch
Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5 EStG)
von der Ermittlung des Gewinns als Überschuss der
Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3
EStG) und von der Ermittlung der Einkünfte als Überschuss
der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 i.V.m. §§ 8 bis 9a EStG). Eine Änderung des
ursprünglichen Jahresabschlusses sei zudem zeit- und
kostenaufwendig, könne eine Nachtragsprüfung
gemäß § 316 Abs. 3 des Handelsgesetzbuchs (HGB)
sowie eine erneute Feststellung und Offenlegung (§ 325 Abs. 1
Satz 6 HGB) notwendig machen und auf der Grundlage des
Jahresabschlusses gefasste Gewinnverwendungsbeschlüsse infrage
stellen. Dem sorgfältig Bilanzierenden dürften aus
späterer besserer Tatsachen- oder Rechtserkenntnis keine
Nachteile erwachsen. Dem subjektiven Fehlerbegriff komme deshalb
eine Schutzfunktion zugunsten des Steuerpflichtigen zu. Es
dürfe sich nicht zu seinen Lasten auswirken, wenn er sich bei
der Bilanzierung an später aufgegebener
höchstrichterlicher Rechtsprechung orientiert habe. Wenn sich
die Rechtsprechung aber zugunsten des Steuerpflichtigen
ändere, müsse er zu einer rückwirkenden
Bilanzberichtigung berechtigt sein.
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15
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2. Das FA sieht
die Vorlage als zulässig an. Der Große Senat habe die
Rechtmäßigkeit der Bildung des RAP nicht zu prüfen.
Die Vorlagefrage sei zu verneinen.
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16
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3. Das
Bundesministerium der Finanzen (BMF), das dem Verfahren nach §
122 Abs. 2 FGO beigetreten ist, bejaht ebenfalls die
Zulässigkeit der Vorlage. Über die
Rechtmäßigkeit der Bildung des RAP habe der Große
Senat nicht zu entscheiden.
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17
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Zur Vorlagefrage
selbst vertritt das BMF die Auffassung, am subjektiven
Fehlerbegriff könne bezogen auf die Beurteilung von
Rechtsfragen nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden.
Das Finanzamt habe die Richtigkeit der Bilanz auf der Grundlage der
maßgeblichen Vorschriften zu prüfen und könne und
müsse bei einem Verstoß gegen diese Vorschriften bei der
Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung der allgemeinen
verfahrensrechtlichen Bestimmungen zugunsten oder zuungunsten des
Steuerpflichtigen von der Bilanz abweichen. Es komme dabei nicht
darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Berichtigung der
Bilanz durch den Steuerpflichtigen selbst erfüllt seien. Bei
der Steuerfestsetzung könne es kein auf die Gewinnermittlung
durch Betriebsvermögensvergleich beschränktes Wahlrecht
zwischen subjektiver und objektiver Rechtmäßigkeit
geben. Dies folge insbesondere auch aus der verfassungsrechtlichen
Bindung der Finanzverwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3
des Grundgesetzes - GG - ). Es könne sich dabei nur um das
„objektiv richtige“ Recht handeln, und zwar auch bei
einer im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung noch ungeklärten
Rechtslage.
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18
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Am subjektiven
Fehlerbegriff müsse hinsichtlich der Beurteilung von
Rechtsfragen auch nicht im Hinblick auf den Schutz des Vertrauens
auf eine zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung geltende, für den
Steuerpflichtigen steuerlich günstige Verwaltungsauffassung
oder Rechtsprechung festgehalten werden. Ändere sich die
Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung nach diesem Zeitpunkt
zulasten des Steuerpflichtigen, sei ihm entsprechend der bisherigen
Praxis unabhängig vom subjektiven Fehlerbegriff
Vertrauensschutz zu gewähren.
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19
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Falls sich der
Große Senat der Auffassung des I. Senats anschließe,
solle er im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens
Übergangsregelungen zugunsten der Finanzverwaltung treffen,
und zwar vor allem hinsichtlich der bisher mit Hinweis auf den
subjektiven Fehlerbegriff abgelehnten Passivierung von den
Steuerpflichtigen materiell-rechtlich zustehenden
Rückstellungen.
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20
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B. Entscheidung
des Großen Senats zu Verfahrensfragen
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I. Keine
mündliche Verhandlung
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22
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Der Große
Senat entscheidet gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 FGO ohne
mündliche Verhandlung, weil eine weitere Förderung der
Entscheidung durch eine mündliche Verhandlung nicht zu
erwarten ist. Die Vorlagefrage und die unterschiedlichen
Auffassungen, die dazu in Rechtsprechung, Schrifttum und
Verwaltungsanweisungen vertreten werden, sind im Vorlagebeschluss
eingehend dargestellt worden. Die Beteiligten hatten Gelegenheit,
zu der Vorlagefrage Stellung zu nehmen.
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23
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II.
Zulässigkeit der Vorlage
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24
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Die Vorlage ist
zulässig.
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1.
Vorlagegrund
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26
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Die vorgelegte Frage
ist gemäß § 11 Abs. 4 FGO von grundsätzlicher
Bedeutung. Ob an der bisherigen Rechtsprechung des BFH zum
subjektiven Fehlerbegriff festzuhalten ist, ist für die
Bilanzierungspraxis von großer Tragweite und in der Literatur
umstritten (BFH-Beschluss in BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739 =
SIS 10 14 76, Rz 36 ff., und unten C.I.3.). Die vorgelegte Frage
kann sich bei allen Senaten des BFH stellen, die mit
Bilanzierungsfragen befasst sind. Im Übrigen entscheidet der
vorlegende Senat, ob die Anrufung des Großen Senats zur
Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich ist (BFH-Beschluss vom 7.8.2000 GrS
2/99, BFHE 192, 339, BStBl II 2000, 632 = SIS 00 12 43, unter
B.II.1., m.w.N.).
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27
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2.
Entscheidungserheblichkeit
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28
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Die vorgelegte
Rechtsfrage ist für die Entscheidung des I. Senats
rechtserheblich. Je nach ihrer Beantwortung hat die Revision der
Klägerin nach der der Vorlage zugrunde liegenden, die Bildung
des RAP betreffenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den
I. Senat Erfolg oder nicht. Der Große Senat hat die vom I.
Senat vertretene Ansicht zur Bildung des RAP nicht auf ihre
Richtigkeit zu prüfen. Er hat nach § 11 Abs. 7 Satz 1 FGO
nur über die ihm vorgelegte Rechtsfrage, nicht aber über
Vorfragen (wie diejenige nach der Rechtmäßigkeit der
Bildung des RAP) zu entscheiden. Die Entscheidung über solche
Vorfragen ist ausschließlich Sache des vorlegenden Senats.
Aus der Verpflichtung des Großen Senats, die
Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu prüfen, ergibt
sich nichts anderes. Der Große Senat muss über die
Entscheidungserheblichkeit einer vorgelegten Frage auf der
Grundlage der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats zu den
Vorfragen befinden (BFH-Beschlüsse in BFHE 192, 339, BStBl II
2000, 632 = SIS 00 12 43, unter B.II.2.; vom 3.9.2001 GrS 3/98,
BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802 = SIS 01 14 64, unter B.II.2.b;
vom 10.12.2001 GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 = SIS 02 06 32, unter B.II.; vom 12.5.2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II
2004, 95 = SIS 03 42 57, unter B.II.; vom 12.5.2003 GrS 2/00, BFHE
202, 477, BStBl II 2004, 100 = SIS 03 42 58, unter B.II.;
Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz
31; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
§ 11 FGO Rz 12; Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO §
11 Rz 20; kritisch Sunder-Plassmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 11 FGO Rz 105
f.).
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29
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Der von der
Klägerin angeführte BFH-Beschluss vom 17.7.1967 GrS 3/66
(BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285 = SIS 68 01 85) führt zu
keinem anderen Ergebnis. Der Große Senat hat in diesem
Beschluss zwar ausgeführt, bei Rechtsfragen, die
offensichtlich nicht entscheidungserheblich sein könnten,
müsse der Große Senat wegen des Fehlens der nach §
11 Abs. 4 FGO erforderlichen Voraussetzungen eine Anrufung als
unzulässig verwerfen. Die vom I. Senat zur Bildung des RAP
vertretene Ansicht ist aber nicht offensichtlich unzutreffend. Der
I. Senat hat diese Ansicht unter Heranziehung der bisherigen
BFH-Rechtsprechung sowie eines Schreibens des BMF und von Literatur
eingehend begründet. Sie wird zudem vom BMF und vom FA
geteilt.
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30
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C. Entscheidung
des Großen Senats über die vorgelegte
Rechtsfrage
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31
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Der Große
Senat entscheidet die vorgelegte Rechtsfrage im Wesentlichen im
Sinne der Auffassung des vorlegenden Senats.
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32
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I. Bisher in der
Rechtsprechung, in Verwaltungsvorschriften und im Schrifttum
vertretene Auffassungen
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33
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1.
Höchstrichterliche Rechtsprechung
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34
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a) Rechtsprechung
des Reichsfinanzhofs (RFH)
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35
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Der RFH hat -
abgesehen von den Fällen, in denen Bilanzansätze auf
Schätzungen oder Prognosen beruhen (vgl. dazu RFH-Urteile vom
13.11.1930 VI A 844/30, RStBl 1931, 110; vom 15.1.1931 VI A 31/31,
RStBl 1931, 201; vom 22.4.1931 VI A 743/31, RFHE 28, 289, RStBl
1931, 384; vom 17.6.1931 VI A 533/31, RStBl 1931, 813; vom
1.12.1931 I A 325/31, RStBl 1932, 145; vom 2.3.1932 VI A 381/31,
RStBl 1932, 510; vom 2.6.1932 VI A 797/32, RStBl 1932, 824; vom
14.7.1932 I A 81/30, RStBl 1932, 737; vom 19.8.1942 VI 280/42,
RStBl 1942, 934) - soweit ersichtlich der subjektiven Beurteilung
durch den Steuerpflichtigen keine Bedeutung beigemessen. Im Urteil
vom 4.9.1934 I A 97/34 (RStBl 1934, 1366) führte er im Rahmen
der Darlegungen zur grundsätzlichen Bindung der Steuerbilanz
an die Handelsbilanz aus, die steuerlichen Vorschriften strebten
objektiv richtige Bilanzansätze in den Steuerbilanzen an und
schlössen es daher in aller Regel aus, dass der Besteuerung
zugunsten des Steuerpflichtigen andere Werte als die in der
Handelsbilanz ausgewiesenen zugrunde gelegt würden.
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36
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b) Rechtsprechung
des BFH
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37
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aa) Der BFH
entschied mit Urteil vom 11.10.1960 I 56/60 U (BFHE 72, 8, BStBl
III 1961, 3 = SIS 61 00 03), dass bei der Bewertung einer Forderung
zum Bilanzstichtag auch bis zur Bilanzaufstellung erworbene
Kenntnisse zu berücksichtigen seien. Nachträglich
erworbene Kenntnisse, die der Steuerpflichtige bei der
Bilanzaufstellung nicht gehabt habe und die sich ein
sorgfältiger Kaufmann bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht
hätte verschaffen können, könnten eine spätere
Bilanzberichtigung oder Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2
EStG nicht rechtfertigen. Zur Begründung führte der BFH
aus, Handelsrecht und Steuerrecht könnten von dem Kaufmann
nicht mehr verlangen, als dass er bei der Aufstellung der Bilanz
seine bis dahin erlangte Kenntnis von dem am Bilanzstichtag
vorliegenden Sachverhalt pflichtgemäß und gewissenhaft
verwerte. Erfahre er erst nach der Aufstellung der Bilanz von
Tatsachen, die eine bilanzierte Forderung als nicht vollwertig
erscheinen ließen, sei er weder verpflichtet noch berechtigt,
die von ihm nach bestem Wissen aufgestellte Bilanz zu
berichtigen.
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38
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bb) Mit Urteil vom
14.8.1975 IV R 30/71 (BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88 = SIS 76 00 51, unter 3.c) hat der BFH die Maßgeblichkeit der
Erkenntnismöglichkeiten des Bilanzierenden bei der Aufstellung
der Bilanz über die Beurteilung von Tatsachen hinaus auch auf
die rechtlichen Verhältnisse ausgedehnt. Eine Bilanz sei
danach nicht stets falsch, wenn sich nach ihrer Aufstellung
herausstelle, dass bestimmte tatsächliche oder rechtliche
Verhältnisse am Bilanzstichtag objektiv anders gewesen seien,
als bei der Aufstellung der Bilanz angenommen worden sei. Vielmehr
sei eine Bilanz in einem solchen Fall richtig und daher nicht zu
berichtigen, wenn sie den im Zeitpunkt ihrer Aufstellung
bestehenden Erkenntnismöglichkeiten über die am
Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse entspreche,
d.h. wenn sie subjektiv richtig sei. In der Entscheidung ging es
allerdings nicht um die Auslegung von Rechtsvorschriften, sondern
um die Frage, ob die seinerzeitige Klägerin ihre Bilanz habe
berichtigen können, weil vereinbarte Pachtzinsen objektiv zu
niedrig gewesen seien und deshalb verdeckte
Gewinnausschüttungen vorgelegen hätten. Der IV. Senat
verneinte diese Frage mit der Begründung, die Klägerin
habe die unangemessene Höhe der Pachtzinsen bei der
Aufstellung der Bilanz weder gekannt noch bei entsprechender
Sorgfalt ohne weiteres erkennen können.
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39
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cc) Nach dem
BFH-Urteil vom 25.4.1990 I R 78/85 (BFH/NV 1990, 630 = SIS 90 22 53) ist eine zu Unrecht gebildete Rückstellung
rückwirkend in der Schlussbilanz des ersten Jahres, dessen
Veranlagung noch geändert werden kann, aufzulösen, und
zwar auch dann, wenn die frühere Bilanzierung infolge
Rechtsunkenntnis oder -irrtums subjektiv richtig gewesen und vom
Finanzamt auch nach einer Außenprüfung nicht beanstandet
worden ist. Dies folge aus dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung,
nach dem die Besteuerungsgrundlagen für jeden
Veranlagungszeitraum selbständig festzustellen und der
Sachverhalt und die Rechtslage neu zu prüfen seien.
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40
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dd) Ein Bilanzansatz
ist nach dem BFH-Urteil vom 12.11.1992 IV R 59/91 (BFHE 170, 217,
BStBl II 1993, 392 = SIS 93 09 17) nicht fehlerhaft, wenn er den im
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und
gewissenhafter Prüfung objektiv bestehenden
Erkenntnismöglichkeiten entspricht und somit subjektiv richtig
ist. Ein Bilanzansatz, der im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung entspreche, sei deshalb
nicht fehlerhaft. Komme es nach der Bilanzaufstellung zu einer
Änderung der Rechtsprechung, werde der (fortbestehende)
Bilanzansatz erst in der Bilanz fehlerhaft, in der die
Änderung der Rechtsprechung erstmals hätte
berücksichtigt werden können.
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41
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ee) Nach dem
BFH-Urteil vom 5.9.2001 I R 107/00 (BFHE 196, 515, BStBl II 2002,
134 = SIS 02 04 07) ist eine sachlich richtige Bilanz der
Besteuerung zugrunde zu legen (§ 158 der Abgabenordnung - AO -
). Die „Richtigkeit“ einer Bilanz könne
nicht nur an objektiven Kriterien gemessen werden. Sachlich richtig
sei eine Bilanz vielmehr schon dann, wenn sie denjenigen
Kenntnisstand widerspiegele, den der Kaufmann im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter
Prüfung hätte haben können. Dieser Grundsatz
könne jedoch im Zusammenhang mit Umständen, die
steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkten (z.B.
Nichteinhaltung der gesetzlich angeordneten zeitlichen
Voraussetzungen für die Gewährung einer
Steuervergünstigung), nicht uneingeschränkt
gelten.
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42
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ff) Eine
Rückstellung, die nach dem Kenntnisstand des sorgfältigen
Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung nicht zu bilden war,
kann nach dem BFH-Urteil vom 5.4.2006 I R 46/04 (BFHE 213, 326,
BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98) auch dann nicht
nachträglich im Wege einer Bilanzberichtigung gebildet werden,
wenn sie bei objektiver Beurteilung hätte gebildet werden
müssen und die auf der Bilanz beruhende Steuerfestsetzung
verfahrensrechtlich noch geändert werden könnte; die
Bilanz sei in einem solchen Fall trotz objektiver Fehlerhaftigkeit
im Hinblick auf § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG als
„richtig“ anzusehen. Dies gelte zum einen dann,
wenn die Bilanz der zur Zeit der Bilanzaufstellung vorliegenden
höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprochen habe. Zum
anderen müsse jede der kaufmännischen Sorgfalt
entsprechende Bilanzierung als „richtig“
angesehen werden, wenn es in diesem Zeitpunkt noch keine
Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Bilanzierungsfrage gegeben
habe.
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43
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Der BFH hat diese
Rechtsprechung durch das Urteil vom 5.6.2007 I R 47/06 (BFHE 218,
221, BStBl II 2007, 818 = SIS 07 31 76) bestätigt (ebenso
BFH-Urteile vom 23.1.2008 I R 40/07, BFHE 220, 361, BStBl II 2008,
669 = SIS 08 24 13; vom 17.7.2008 I R 85/07, BFHE 222, 418, BStBl
II 2008, 924 = SIS 08 37 68; vom 16.12.2008 I R 54/08, BFH/NV 2009,
746 = SIS 09 12 46, und vom 16.12.2009 IV R 18/07, BFH/NV 2010,
1419 = SIS 10 21 09).
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44
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gg) In anderen
Entscheidungen hat der I. Senat des BFH allerdings die Abweichung
von Bilanzansätzen des Steuerpflichtigen zu dessen Lasten
aufgrund der objektiven Rechtslage gebilligt, ohne zu prüfen,
ob die der Bilanz zugrunde liegende Rechtsauffassung des
Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aus der Sicht
eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar war (so
etwa in den Urteilen vom 30.11.2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl
II 2007, 251 = SIS 06 12 91; vom 25.8.2010 I R 103/09, BFHE 231,
57, BStBl II 2011, 215 = SIS 10 36 84; vom 21.9.2011 I R 89/10,
BFHE 235, 263 = SIS 11 39 99; vom 30.11.2011 I R 100/10, BFHE 235,
476, BStBl II 2012, 332 = SIS 12 06 17).
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45
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2.
Verwaltungsauffassung
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46
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Die Finanzverwaltung
wendet den subjektiven Fehlerbegriff im Bereich der
Bilanzberichtigung durch den Steuerpflichtigen gemäß
§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich so an, wie er vom
BFH entwickelt wurde; eine Bilanzberichtigung sei unzulässig,
wenn der Bilanzansatz im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung subjektiv
richtig gewesen sei (R 4.4 Abs. 1 Sätze 1 bis 5 der
Einkommensteuer-Richtlinien). Die Frage, ob die Finanzbehörden
an eine der Bilanz zugrunde liegende objektiv unrichtige, zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aber subjektiv vertretbare
Rechtsauffassung gebunden seien, ist in Verwaltungsvorschriften
nicht ausdrücklich geregelt.
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47
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3.
Schrifttum
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48
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a) Die dem
subjektiven Fehlerbegriff allgemein zukommende Bedeutung ist im
Schrifttum umstritten.
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49
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aa) Im Bereich des
Handelsrechts folgt das Schrifttum grundsätzlich dem
subjektiven Fehlerbegriff (Grottel/Schubert in Beck Bil-Komm., 8.
Aufl., § 253 HGB Rz 805; Adler/Düring/ Schmaltz,
Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., AktG
§ 172 Rz 43; Stellungnahme des Instituts der
Wirtschaftsprüfer - IDW - vom 12.4.2007, Fachnachrichten IDW
2007, 265, 267, Rz 14; Welf Müller in H.P. Westermann/ Rosener
[Hrsg.], Festschrift Quack, 1991, S. 359, 367; Schön in
Canaris/Heldrich/Hopt/Roxin/Widmaier [Hrsg.], 50 Jahre
Bundesgerichtshof, 2000, Bd. II, S. 153, 155 f., 162;
Schulze-Osterloh, BB 2007, 2335). Unterschiedliche Auffassungen
bestehen zu der Frage, ob die Erkenntnismöglichkeiten des
gewissenhaften und pflichtgemäß handelnden Kaufmanns zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (so hinsichtlich der vorhersehbaren
Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden
sind, der Wortlaut des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) oder zum
(späteren) Zeitpunkt der Feststellung der Bilanz
maßgeblich sein sollen (zum Diskussionsstand Küting/
Kaiser, Die Wirtschaftsprüfung 2000, 577, und Hüttemann
in Hommelhoff/Rawert/K. Schmidt [Hrsg.], Festschrift Priester,
2007, S. 301, 331 ff.).
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50
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bb) Für die
Steuerbilanz werden in der Literatur unterschiedliche Positionen
vertreten.
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51
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(1) Ein Teil der
Literatur folgt der Rechtsprechung des BFH zum subjektiven
Fehlerbegriff in vollem Umfang (Hennrichs in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 21. Aufl., § 9 Rz 32 ff.) oder für
Bilanzansätze, die wie etwa die Bewertung von Forderungen von
Prognosen und Schätzungen abhängen (Grottel/Schubert,
a.a.O., § 253 HGB Rz 805; Ritzrow in
Federmann/Kußmaul/Müller, Handbuch der Bilanzierung, Nr.
26 Rz 46 ff.; Frotscher in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 4
Rz 434 ff.; Crezelius in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 4 Rz 116
f.; Bode in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 4 Rz 116 f.;
Schmidt/Heinicke, EStG, 31. Aufl., § 4 Rz 681, 687; Hennrichs,
DStR 2009, 1446, 1448; Günther, Die steuerliche
Betriebsprüfung - StBp - 1963, 63; Hoffmann, DStR 2011,
88).
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(2) Einzelne Autoren
lehnen die Rechtsprechung des BFH zum subjektiven Fehlerbegriff -
mit teilweise unterschiedlicher Beurteilung von Einzelfragen - ab
(Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4
Rz C 106 ff.; Schmidt/ Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 81;
Stapperfend in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 411;
ders., Bilanzberichtigung und Bindung der Finanzverwaltung an die
eingereichte Bilanz - Subjektiver Fehlerbegriff auf dem
Prüfstand, Institut Finanzen und Steuern e.V., IFSt-Schrift
Nr. 464, 2010, S. 26 ff.; ders., DStR 2010, 2161, 2162 ff.;
Kühnen in Bordewin/Brandt, § 4 EStG Rz 1040, 1046; Meurer
in Lademann, EStG, § 4 EStG Rz 815; Sauer, StBp 1963, 93, 95
ff., und StBp 1977, 173, 175; Flume, DB 1981, 2505, 2507; von
Beckerath in Doralt [Hrsg.], Probleme des Steuerbilanzrechts,
Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft - DStJG -, Bd. 14, 1991, S.
65, 113 ff.; ders., FR 2011, 349; Schuhmann, StBp 1996, 1;
Tetzlaff/Schallock, StBp 2007, 148, 150 f.; Rätke, Steuern und
Bilanzen 2010, 528, 531 f.; Hey in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 20.
Aufl., § 17 Rz 37; Knobbe-Keuk, Bilanz- und
Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 3 V, S. 61; Knobbe, Der
Grundsatz der subjektiven Richtigkeit im Handels- und
Steuerbilanzrecht, 2009, S. 85 ff.). Diese Autoren sehen die
Funktion der Steuerbilanz als Mittel zur Gewinnermittlung und damit
zur gesetzmäßigen und gleichmäßigen
Besteuerung nur auf der Grundlage von objektiv richtigen
Ansätzen als gewährleistet an. Dabei wird allerdings der
Beurteilungsspielraum, welcher dem Steuerpflichtigen bei
Bilanzansätzen, die eine Schätzung oder Prognose
erfordern, im Rahmen einer vernünftigen, sorgfältigen
kaufmännischen Beurteilung zusteht, nicht infrage gestellt
(Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., §
4 Rz C 112; Stapperfend in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 4 EStG
Rz 411; ders., IFSt-Schrift Nr. 464, S. 26, 47; ders., DStR 2010,
2161, 2166; von Beckerath, DStJG, Bd. 14, 1991, S. 65, 117 f.;
ders., FR 2011, 349, 355 ff.). Hennrichs (DStR 2009, 1446, 1447,
m.w.N.) weist darauf hin, dass solche Bilanzansätze stets mit
Unsicherheiten behaftet und Wertansätze innerhalb eines
Korridors vertretbarer Werte daher insoweit rechtlich fehlerfrei
seien. Teilweise wird zumindest die Anwendung des subjektiven
Fehlerbegriffs auf die Beurteilung von Rechtsfragen abgelehnt (U.
Prinz, DB 2010, 2634; M. Prinz, FR 2010, 803).
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(3) Ferner wird die
Ansicht vertreten, der Maßstab der subjektiven Richtigkeit
dürfe sich immer nur zugunsten des Bilanzierenden auswirken,
schließe also eine freiwillige Berichtigung oder
Änderung der objektiv fehlerhaften Bilanz und somit
insbesondere die Berücksichtigung einer nachträglich
ergangenen, für den Steuerpflichtigen günstigeren
Rechtsprechung des BFH nicht aus (Hüttemann
in Hommelhoff/Rawert/K. Schmidt
[Hrsg.], a.a.O., S. 310; U. Prinz/Schulz, DStR 2007, 776,
778 f.; Schön, Beihefter zu DStR 2007, Heft 39, 20, 22 f.;
ebenso bereits Sauer, StBp 1963, 93, 96 f.).
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54
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b) Schließlich
wird teilweise auch eine Bindung der Finanzverwaltung an eine der
Bilanz zugrunde liegende objektiv unzutreffende, aber bei der
Aufstellung der Bilanz vertretbare und somit subjektiv richtige
Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen für zutreffend gehalten
(Rödder/Hageböke, Die Unternehmensbesteuerung 2008, 401,
406; kritisch Tetzlaff/Schallock, StBp 2007, 148, 151; Gosch,
BFH/PR 2008, 336, und BFH/PR 2010, 282). Überwiegend wird eine
solche Bindung aber als „zu weitgehend“
(Werra/Rieß, DB 2007, 2502, 2506) oder unter Hinweis auf die
Gesetzesbindung der Finanzverwaltung nach § 85 Satz 1 AO und
die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Besteuerung
abgelehnt (Schulze-Osterloh, BB 2007, 2335, 2336; von Beckerath, FR
2011, 349, 356 f.; Pohl, FR 2009, 279, 282 f.; Söhn in HHSp,
§ 85 AO Rz 31; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 219, und
in HFR 2008, 1224; Kühnen in Bordewin/Brandt, § 4 EStG Rz
1040).
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II. Auffassung
des Großen Senats
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Der Große
Senat teilt die Ansicht des vorlegenden Senats. Das Finanzamt ist
im Rahmen der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung auch dann
nicht an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der vom
Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz (und deren einzelnen
Ansätzen) zugrunde liegt, wenn diese Beurteilung aus der Sicht
eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung vertretbar war. Das gilt auch für eine in
diesem Zeitpunkt von Verwaltung und Rechtsprechung praktizierte,
später aber geänderte Rechtsauffassung.
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1. Eine Bindung des
Finanzamts an eine objektiv unzutreffende, aber im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung aus der Sicht eines ordentlichen und
gewissenhaften Kaufmanns vertretbare rechtliche Beurteilung, die
der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Handels- oder Steuerbilanz
oder deren einzelnen Ansätzen zugrunde liegt, lässt sich
weder aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG noch aus § 4 Abs. 2 EStG
ableiten.
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a) Gemäß
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG ist bei buchführenden bzw.
buchführungspflichtigen Gewerbetreibenden für den Schluss
des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das
nach den handelsrechtlichen GoB auszuweisen ist. Dem
vergleichbar schreibt § 243 Abs. 1 HGB vor, dass Kaufleute den
Jahresabschluss nach den GoB aufzustellen haben. Neben den speziellen Regelungen des § 5 Abs. 2
bis Abs. 5 EStG sind nach § 5 Abs. 6 EStG die Vorschriften
über die Entnahmen und die Einlagen, über die
Zulässigkeit der Bilanzänderung, über die
Betriebsausgaben, über die Bewertung und über die
Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung zu
befolgen.
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Die GoB sind entweder ausdrücklich
kodifiziert (vgl. etwa § 252 Abs. 1 HGB zur Bewertung) oder
sie haben mittelbar eine Ausprägung in konkreten
Bilanzierungsnormen des Handelsrechts gefunden. Sie haben
normativen Charakter und sind revisibel. Handelsrechtliche GoB sind
insbesondere der Grundsatz der Bilanzwahrheit, der Grundsatz der
Bilanzkontinuität, das Vorsichtsprinzip und das
Stichtagsprinzip.
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b) Es kann
offenbleiben, ob entsprechend der Auffassung der Klägerin und
von Teilen der Literatur auch der subjektive Fehlerbegriff zu den
GoB gehört (vgl. Grottel/Schubert, a.a.O., § 253 HGB Rz
805; Adler/Düring/Schmaltz, a.a.O., AktG § 172 Rz 43;
Knobbe, a.a.O., S. 149; Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzen, 11. Aufl.,
2011, S. 673). Denn ein solcher handelsrechtlicher GoB könnte
eine Steuerfestsetzung auf der Grundlage der jeweils
maßgebenden steuerrechtlichen Vorschriften nicht
verhindern.
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aa) Verwaltung und
Gerichte sind verpflichtet, ihrer Entscheidung die objektiv
richtige Rechtslage zugrunde zu legen. Dies ergibt sich aus dem
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem in Art. 20
Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich
garantierten Rechtsstaatsprinzip sowie für die Gerichte
ergänzend aus Art. 97 Abs. 1 GG, wonach die Richter dem Gesetz
unterworfen sind. An der gesetzmäßigen, d.h.
insbesondere gleichmäßigen Besteuerung besteht ein hohes
öffentliches Interesse, das in diesen grundlegenden
verfassungsrechtlichen Garantien verankert ist und deshalb einen
Rang hat, der über das nur fiskalische Interesse an der
Sicherung des Steueraufkommens hinausgeht (Urteil des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27.6.1991 2 BvR 1493/89,
BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01, unter C.I.1.,
II.2.c; BFH-Urteil vom 18.1.2012 II R 49/10, BFHE 235, 151, BStBl
II 2012, 168 = SIS 12 03 20, Rz 47). Im Steuerrecht müssen von
Verfassungs wegen die steuerbegründenden Vorschriften dem
Prinzip einer möglichst gleichmäßigen Belastung der
Steuerpflichtigen besonders sorgfältig Rechnung tragen
(BVerfG-Urteil in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01, unter C.I.1.a; BVerfG-Beschluss vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05,
BVerfGE 125, 1 = SIS 10 02 74, unter B.I.1.). Dies ist auch bei der
Auslegung steuerrechtlicher Vorschriften zu beachten.
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bb) Für die
Besteuerung ist danach abgesehen von im Einzelfall gebotenen
Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) generell die
objektive Rechtslage maßgebend. Den vom Steuerpflichtigen
vertretenen Rechtsansichten kommt auch dann keine Bedeutung zu,
wenn sie bei der Aufstellung der Bilanz vertretbar waren oder der
damals herrschenden Auffassung entsprachen. Die Besteuerung
knüpft an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt an
(§ 38 AO), nicht aber an Rechtsansichten des
Steuerpflichtigen, und erfolgt materiell-rechtlich ohne
Rücksicht auf deren Vertretbarkeit oder Verschulden des
Steuerpflichtigen.
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cc) Dies gilt auch
bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich, und
zwar sowohl hinsichtlich der Anwendung spezieller
bilanzsteuerrechtlicher Vorschriften (insbesondere § 5 Abs. 2
bis 6 EStG) als auch bei der Heranziehung der handelsrechtlichen
GoB. Mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die
Besteuerung nicht vereinbar wäre eine Auslegung des § 5
Abs. 1 Satz 1 EStG, nach der bei der Gewinnermittlung durch
Betriebsvermögensvergleich hinsichtlich bilanzieller
Rechtsfragen der subjektive Fehlerbegriff zu beachten sei. Die
Verwirklichung eines bestimmten Sachverhalts könnte ansonsten
je nach der subjektiven Beurteilung der Rechtslage durch den
Steuerpflichtigen bei der Aufstellung der Bilanz trotz
vergleichbarer Sachverhalte zu unterschiedlichen steuerlichen
Belastungen führen. Dies würde gegen das Gebot der
gesetz- und gleichmäßigen Besteuerung
verstoßen.
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(1) Nach der Rechtsprechung des BFH steht es
dementsprechend nicht im Belieben des Kaufmanns, durch
handelsbilanzrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten seine
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit steuerrechtlicher
Wirkung unzutreffend darzustellen. So hat etwa der Große
Senat mit Beschluss vom 3.2.1969 GrS 2/68 (BFHE 95, 31, BStBl II
1969, 291 = SIS 69 01 88) ausgesprochen, dass seinerzeit bestehende
handelsrechtliche Bilanzierungswahlrechte nicht ohne
ausdrückliche steuerrechtliche Regelung als Grundlage der
Besteuerung berücksichtigt werden konnten (ebenso BFH-Urteil
vom 21.10.1993 IV R 87/92, BFHE 172, 462, BStBl II 1994, 176 = SIS 94 02 19). Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, dem
Kaufmann hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen bei der
Gewinnermittlung mit für das Finanzamt bindender Wirkung
faktisch ein Wahlrecht zwischen mehreren vertretbaren
Rechtsansichten einzuräumen. Es ist vielmehr Zweck der
steuerrechtlichen Gewinnermittlung, grundsätzlich den
Periodengewinn so zu erfassen, wie er sich aus den steuerrechtlich
maßgeblichen Vorschriften ergibt. Damit wird eine den
Gesetzen entsprechende gleichmäßige Besteuerung
gewährleistet.
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(2) Die Anwendung
des subjektiven Fehlerbegriffs auf bilanzielle Rechtsfragen
würde darüber hinaus dem Zeitpunkt der Bilanzaufstellung
eine materiell-rechtliche Bedeutung für die Besteuerung
beimessen. Die Beurteilung, ob ein objektiv fehlerhafter
Bilanzansatz zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vertretbar war,
kann sich nämlich je nach der Entwicklung der
Verwaltungsauffassung, der Rechtsprechung und der Literatur
ändern. Eine solche materiell-rechtliche Bedeutung kommt dem
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung indes nicht zu; denn dieser
Zeitpunkt gehört nicht zu dem im jeweiligen
Veranlagungszeitraum verwirklichten Lebenssachverhalt und somit
nicht zu dem Tatbestand, an den das Einkommensteuergesetz oder
Körperschaftsteuergesetz die Leistungspflicht knüpft
(§ 38 AO).
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(3) Auf die
objektive Rechtslage kommt es auch dann an, wenn die vom
Steuerpflichtigen einem Bilanzansatz zugrunde gelegte
Rechtsauffassung der seinerzeit von der Finanzverwaltung und/ oder
Rechtsprechung gebilligten Bilanzierungspraxis entsprach. Auch in
einem solchen Fall ist allein die im Zeitpunkt der endgültigen
Entscheidung maßgebliche, objektiv zutreffende Rechtslage
zugrunde zu legen. Der Große Senat geht insoweit über
die vom I. Senat vorgelegte Frage hinaus. § 11 Abs. 7 Satz 1
FGO, dem zufolge der Große Senat nur über die
Rechtsfrage entscheidet, steht der Erstreckung der vom I. Senat
vorgelegten Frage, die sich nur auf zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung ungeklärte bilanzielle Rechtsfragen bezieht,
auf alle bilanziellen Rechtsfragen nicht entgegen. Die Erweiterung
der Vorlagefrage und ihre Beantwortung dienen der Fortbildung des
Rechts und der Rechtseinheitlichkeit.
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Eine lediglich
vertretbare Rechtsansicht des Steuerpflichtigen kann daher weder
die Finanzverwaltung noch - nachfolgend - die Gerichte bei der
Steuerfestsetzung binden. Soweit es einem Bilanzierenden erlaubt
sein sollte, die subjektiv richtige Handelsbilanz nicht korrigieren
zu müssen, wenn er bei ihrer Aufstellung die Sorgfalt eines
ordentlichen Kaufmanns an den Tag gelegt hat, könnte dies
nicht auf die Besteuerung übertragen werden.
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(4) Entgegen der
Auffassung der Klägerin ergibt sich aus der sog.
Zweischneidigkeit der Bilanz (und den Grundsätzen des
formellen Bilanzzusammenhangs) nichts anderes. Mit dem Begriff der
Zweischneidigkeit der Bilanz wird umschrieben, dass die Bilanz
Bestandteil der Gewinnermittlung für zwei Wirtschaftsjahre
ist, in denen sich gegenläufige Gewinnauswirkungen ergeben
können. Dies ist eine Folge des Grundsatzes der
Bilanzidentität, nach der das Endvermögen des laufenden
Wirtschaftsjahres zugleich das Anfangsvermögen des folgenden
Wirtschaftsjahres ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Danach
können sich Fehler bei der Bilanzierung später wieder
ausgleichen, so etwa wenn eine zu Unrecht gebildete
Rückstellung später aufgelöst wird.
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Dass sich in einem
solchen Fall der Bilanzierungsfehler nicht auf den während des
Bestehens des Unternehmens entstehenden Gesamtgewinn auswirkt,
bedeutet nicht, dass auch die Steuer in diesem Zeitraum in
identischer Höhe entsteht. Dies wird vielmehr häufig
nicht der Fall sein, z.B. wegen des progressiven
Einkommensteuertarifs (§ 32a EStG), der in § 16 Abs. 4
und § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 EStG vorgesehenen
Vergünstigungen bei der Besteuerung von
Betriebsveräußerungs- und Betriebsaufgabegewinnen sowie
möglichen Änderungen des Steuersatzes in diesem Zeitraum.
Zudem kann eine zu niedrige Steuerfestsetzung in einem
Veranlagungszeitraum u.U. erhebliche Liquiditäts- und
Zinsvorteile zur Folge haben.
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Bilanzierungsfehler
gleichen sich überdies trotz der Zweischneidigkeit der Bilanz
nicht in jedem Fall in späteren Wirtschaftsjahren aus. Zu
einem solchen Ausgleich kommt es beispielsweise dann nicht, wenn zu
Unrecht als Betriebsvermögen behandeltes Privatvermögen
endgültig an Wert verliert und dies zu einer Gewinnminderung
im Betriebsvermögen führt.
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c) § 4 Abs. 2
EStG verlangt ebenfalls nicht die Bindung des Finanzamts an
subjektiv vertretbare Bilanzansätze. Gemäß § 4
Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr (1996) geltenden
Fassung darf der Steuerpflichtige die Vermögensübersicht
(Bilanz) auch nach ihrer Einreichung beim Finanzamt ändern,
soweit sie den GoB unter Befolgung der Vorschriften dieses Gesetzes
nicht entspricht. Nach der aktuell geltenden Fassung der Vorschrift
ist diese Änderung nicht zulässig, wenn die
Vermögensübersicht (Bilanz) einer Steuerfestsetzung
zugrunde liegt, die nicht mehr aufgehoben oder geändert werden
kann. Darüber hinaus ist eine Änderung der
Vermögensübersicht (Bilanz) gemäß § 4
Abs. 2 Satz 2 EStG nur zulässig, wenn sie in einem engen
zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Änderung nach
Satz 1 steht und soweit die Auswirkung der Änderung nach Satz
1 auf den Gewinn reicht.
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Das sich aus §
4 Abs. 2 EStG ergebende Recht des Steuerpflichtigen zur
Änderung der Vermögensübersicht (Bilanz) steht der
Pflicht des Finanzamts zur Steuerfestsetzung nach Maßgabe der
objektiv richtigen Rechtslage nicht entgegen. Entsprechen
Bilanzansätze objektiv nicht den jeweils maßgebenden
speziellen bilanzsteuerrechtlichen Vorschriften oder den
handelsrechtlichen GoB, ist das Finanzamt unabhängig von einem
Recht oder einer Pflicht des Steuerpflichtigen zur Berichtigung der
Bilanz gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG zu einer
eigenständigen Gewinnermittlung berechtigt und
verpflichtet.
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Zwar kann nur der
Steuerpflichtige selbst die Bilanz nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
berichtigen (BFH-Urteile vom 4.11.1999 IV R 70/98, BFHE 190, 404,
BStBl II 2000, 129 = SIS 00 02 30; vom 13.6.2006 I R 84/05, BFHE
214, 178, BStBl II 2007, 94 = SIS 06 44 14, unter II.3.b bb). Indes
ist die Abweichung von der Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen
im Rahmen der Steuerfestsetzung keine Bilanzberichtigung, sondern
eine eigenständige Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch
das Finanzamt, der § 4 Abs. 2 EStG nicht
entgegensteht.
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d) Der
Rechtsprechung des I. Senats, wie sie insbesondere in den
Entscheidungen in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818 = SIS 07 31 76
und in BFHE 222, 418, BStBl II 2008, 924 = SIS 08 37 68 zum
Ausdruck kommt (Maßgeblichkeit der subjektiven Richtigkeit),
kann sich der Große Senat daher nicht anschließen. Das
Finanzamt hat vielmehr bei der Gewinnermittlung durch
Betriebsvermögensvergleich ebenso wie auch sonst bei der
Steuerfestsetzung unabhängig von den Rechtsansichten des
Steuerpflichtigen zu prüfen, ob bei der Gewinnermittlung die
Rechtslage zutreffend beurteilt worden ist. Spezielle
steuerrechtliche Vorschriften sind dabei auch dann
eigenständig auszulegen und anzuwenden, wenn sie im
Handelsrecht eine Entsprechung finden (vgl. BFH-Urteil vom
15.7.1998 I R 24/96, BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728 = SIS 98 20 20, unter II.4.), und zwar unter Berücksichtigung des
systematischen Zusammenhangs, in dem sie im Steuerrecht stehen
(BFH-Beschluss in BFHE 228, 533, BStBl II 2010, 739 = SIS 10 14 76,
Rz 13).
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Ist eine
Rechtsansicht, die der Steuerpflichtige der Gewinnermittlung durch
Betriebsvermögensvergleich zugrunde gelegt hat, mit speziellen
steuerrechtlichen Vorschriften oder den handelsrechtlichen
Bestimmungen für die Handelsbilanz nicht vereinbar, darf das
Finanzamt die Gewinnermittlung insoweit der Besteuerung nicht
zugrunde legen. Es muss vielmehr eine eigene Gewinnermittlung durch
Betriebsvermögensvergleich mit gegenüber der Handels-
oder Steuerbilanz abgeänderten Werten vornehmen (BFH-Urteil in
BFHE 190, 404, BStBl II 2000, 129 = SIS 00 02 30). Ob die
Handelsbilanz trotz eines Verstoßes gegen die GoB unter
Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs handelsrechtlich als
richtig anzusehen ist oder nicht, ist unerheblich. Maßgebend
sind vielmehr die für den Bilanzstichtag geltenden
Vorschriften in objektiv zutreffender Auslegung.
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76
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Die Verpflichtung
des Finanzamts, die Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen
ausschließlich auf der Grundlage des für den
Bilanzstichtag objektiv geltenden Rechts ohne Rücksicht auf
Rechtsansichten des Steuerpflichtigen zu prüfen und ggf. zu
korrigieren, besteht unabhängig davon, ob sich die
unzutreffende Rechtsansicht des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten
oder zu seinen Lasten ausgewirkt hat.
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2. Das Finanzamt hat
einen Bilanzierungsfehler des Steuerpflichtigen grundsätzlich
bei der Steuerfestsetzung oder Gewinnfeststellung für den
Veranlagungszeitraum zu berichtigen, in dem der Fehler erstmals
aufgetreten ist und steuerliche Auswirkungen hat. Das gilt auch
dann, wenn die Bilanzierung auf einer später geänderten
Rechtsprechung beruht. Liegt die fehlerhafte Bilanz einem Steuer-
oder Feststellungsbescheid zugrunde, der aus verfahrensrechtlichen
Gründen nicht mehr geändert werden kann, so ist nach dem
Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs der unrichtige
Bilanzansatz grundsätzlich bei der ersten Steuerfestsetzung
oder Gewinnfeststellung richtigzustellen, in der dies unter
Beachtung der für den Eintritt der Bestandskraft und der
Verjährung maßgeblichen Vorschriften möglich ist
(vgl. BFH-Urteile vom 8.12.1988 IV R 33/87, BFHE 155, 532, BStBl II
1989, 407 = SIS 89 08 12; vom 11.2.1998 I R 150/94, BFHE 185, 565,
BStBl II 1998, 503 = SIS 98 18 22; vom 19.7.2011 IV R 53/09, BFHE
234, 221, BStBl II 2011, 1017 = SIS 11 34 41).
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78
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3. Über die
Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs auf Fälle, in denen
der Steuerpflichtige bei der Bilanzierung von unzutreffenden
Tatsachen (Prognosen oder Schätzungen) ausgegangen ist, ohne
dabei gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen
zu haben, ist aufgrund der vom I. Senat vorgelegten Rechtsfrage im
vorliegenden Verfahren nicht zu befinden.
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79
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4. Eine
Übergangsregelung ist nicht zu treffen. Da sowohl die
Finanzverwaltung als auch die Rechtsprechung gemäß Art.
20 Abs. 3 GG an die Gesetze gebunden sind, kann der Große
Senat nur ausnahmsweise eine Übergangsregelung zugunsten der
Steuerpflichtigen treffen (vgl. BFH-Beschluss vom 17.12.2007 GrS
2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 = SIS 08 13 73, unter
D.IV.2.b).
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80
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Diese
Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zu
der vom Großen Senat entschiedenen Frage gibt es keine
langjährige gefestigte Rechtsprechung des BFH zugunsten der
Steuerpflichtigen. Es kann nur Vertrauensschutz gemäß
§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zu gewähren sein
(§§ 163, 227 AO i.V.m. Art. 108 Abs. 7 GG; vgl.
BFH-Beschlüsse vom 4.7.1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl
II 1990, 817 = SIS 90 21 11, unter C.II.8.; vom 26.9.2007 V B 8/06,
BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405 = SIS 08 07 23; BFH-Urteile vom
12.1.1989 IV R 87/87, BFHE 155, 487, BStBl II 1990, 261 = SIS 89 11 47; vom 7.11.1996 IV R 69/95, BFHE 182, 56, BStBl II 1997, 245 =
SIS 97 09 12).
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81
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Eine
Übergangsregelung zugunsten der Finanzverwaltung scheidet
wegen deren Bindung an die Gesetze von vornherein aus (vgl.
BFH-Urteile vom 17.7.2008 I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl II 2009,
464 = SIS 08 37 67, unter B.III.3.b ee; vom 11.3.2009 XI R 71/07,
BFHE 227, 200, BStBl II 2010, 209 = SIS 10 00 78, Rz
23).
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82
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III. Entscheidung
der Vorlagefrage
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83
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Der Große
Senat des BFH beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage danach wie
folgt:
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84
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Das Finanzamt ist im
Rahmen der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung auch dann nicht
an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der vom
Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz (und deren einzelnen
Ansätzen) zugrunde liegt, wenn diese Beurteilung aus der Sicht
eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung vertretbar war.
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