3
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Der handelsrechtliche Jahresabschluss wurde
vom Vorstand und dem Steuerberater der Klägerin am 14.3.2002
unterzeichnet; die Steuerklärungen 2001 sind am 16.6.2003 dem
Beklagten, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagten
(Finanzamt - FA - ) eingereicht worden. Die auf der Grundlage der
Kurswerte zum 31.12.2001 von der Klägerin vorgenommenen
Teilwertabschreibungen in Höhe von insgesamt 218.190,52 EUR (=
68.517,15 EUR [AG I] + 114.754,86 EUR [AG II] + 34.918,51 EUR [AG
III]) erkannte das FA bei der Festsetzung der
Körperschaftsteuer 2001 sowie des Gewerbesteuermessbetrags
2001 nicht an. Das FA änderte mit den Einspruchsentscheidungen
beide Bescheide lediglich insoweit, als es die Teilwertabschreibung
auf eine weitere - vorliegend nicht streitige - Aktienposition
anerkannte, weil deren Kurswert zum 31.12.2001 um 52,66 % unter die
Anschaffungskosten gesunken war. Es nahm hierbei auf das Schreiben
des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 26.3.2009 (BStBl I
2009, 514 = SIS 09 09 98) Bezug, nach welchem von einer
voraussichtlich dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1
Nr. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I
1999, 402, BStBl I 1999, 304) - EStG 1997 n.F. - nur dann
auszugehen sei, wenn der Börsenkurs zum jeweiligen
Bilanzstichtag um mehr als 40 % oder an zwei aufeinander folgenden
Bilanzstichtagen um jeweils mehr als 25 % unter die
Anschaffungskosten gesunken sei.
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4
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Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit
Urteil vom 31.8.2010 9 K 3466/09 K,G = SIS 10 37 75 nur insoweit
stattgegeben, als es eine Teilwertabschreibung auf die Anteile an
der AG I in Höhe von 18.073,31 EUR zugelassen hat. Zur
Begründung führte es u.a. aus, dass nach dem Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26.9.2007 I R 58/06 (BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294 = SIS 08 08 30) bei börsennotierten Aktien
des Finanzanlagevermögens eine voraussichtlich dauernde
Wertminderung vorliege, wenn deren Kurswert zum Bilanzstichtag
unter die Anschaffungskosten gesunken sei und zum Zeitpunkt der
Aufstellung der Bilanz keine Anhaltspunkte für ein alsbaldiges
Ansteigen des Kurses vorlägen. Zu berücksichtigen sei
hierbei zum einen, dass Kursverluste innerhalb einer gewissen
Bandbreite aus Gründen der Verwaltungsökonomie als nur
vorübergehende - und damit nicht dauerhafte - Wertminderungen
zu qualifizieren seien. Nur so könne vermieden werden, dass
jede Kursminderung zu einer Teilwertabschreibung führe und die
Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. leer
laufe. Zum anderen lasse sich eine dauerhafte Wertminderung nur
dann allein aus der Entwicklung der Börsenkurse ableiten, wenn
diese den Erwerbspreis nicht unerheblich unterschritten. Zur
Bestimmung dieser Schwellenwerte seien allerdings die im
BMF-Schreiben in BStBl I 2009, 514 = SIS 09 09 98 vertretenen
Grenzen nicht geeignet, da es insbesondere keinen Erfahrungssatz
gebe, nach dem Kurseinbrüche um 40 % üblicherweise kurz-
bis mittelfristig aufgeholt würden. Vielmehr sei auf den vom
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW)
für die Bilanzierung in der Versicherungswirtschaft (§
341b i.V.m. § 253 des Handelsgesetzbuchs a.F. - HGB a.F. - )
erarbeiteten Standard IDW RS VFA 2 vom 8.4.2002 (Die
Wirtschaftsprüfung - WPg - 2002, 475, Rz 19)
zurückzugreifen, nach dem dann von einer voraussichtlich
dauernden Wertminderung auszugehen sei, wenn (1) entweder der
Zeitwert des Wertpapiers innerhalb von sechs Monaten vor dem
Bilanzstichtag ständig um mehr als 20 % unter dem Buchwert
oder (2) der Zeitwert über einen längeren Zeitraum als
ein Geschäftsjahr unter dem Buchwert und der Durchschnittswert
der täglichen Börsenkurse des Wertpapiers in den letzten
12 Monaten um mehr als 10 % unter dem Buchwert liege. Mit
Rücksicht auf die gebotene Vereinfachung sei die
zeitraumbezogene Betrachtung des IDW jedoch zugunsten der
Maßgeblichkeit von Stichtagskursen zu modifizieren mit der
Folge, dass bei im laufenden Geschäftsjahr angeschafften
Aktien eine dauernde Wertminderung voraussetze, dass der Kurs am
Bilanzstichtag denjenigen bei Erwerb um mehr als 20 %
unterschreite; zudem werde die Höhe der Teilwertabschreibung
durch eine etwaige Wertaufholung am Tag der Bilanzerstellung sowie
die im Falle einer Wiederbeschaffung der Aktien anfallenden
Anschaffungsnebenkosten begrenzt. Eine Teilwertabschreibung sei
nach diesen Maßstäben nur bei den Aktien an der AG I
gerechtfertigt. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die in EFG 2011,
124 = SIS 10 37 75 abgedruckten Urteilsgründe
verwiesen.
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Mit seiner Revision rügt das FA u.a.,
dass angesichts der erheblichen Schwankungen der Börsenwerte
die vom FG vertretene 20 %-Grenze nicht geeignet sei, auf eine
voraussichtlich dauernde Wertminderung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz
2 EStG 1997 n.F.) zu schließen. Die Klägerin macht mit
ihrer Anschlussrevision geltend, das FG hätte der begehrten
Teilwertabschreibung in vollem Umfang entsprechen müssen. Die
Vorinstanz habe die ihr zustehenden Befugnisse zur
Gesetzesauslegung durch die Bestimmung letztlich willkürlicher
Schwellenwerte für die Teilwertabschreibung
überschritten. Maßgeblich im Sinne der Rechtsprechung
des BFH sei nur der Börsenkurs am Bilanzstichtag.
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Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz
aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussrevision der
Klägerin zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die
angefochtenen Steuerbescheide dahin zu ändern, dass weitere
Teilwertabschreibungen auf die Aktien des Anlagevermögens in
Höhe von 218.190,52 EUR zugelassen werden, sowie die Revision
des FA zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Anschlussrevision der
Klägerin führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache nach § 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2 FGO, da der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht
beurteilen kann, in welchem Umfang die von der Klägerin
insgesamt begehrten Teilwertabschreibungen (218.190,52 EUR) -
über den von der Vorinstanz zugesprochenen Betrag (18.073,31
EUR) hinaus - anzuerkennen sind.
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1. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 1997
n.F. sind nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des
Betriebsvermögens mit ihren Anschaffungs- oder
Herstellungskosten zu bilanzieren. Jedoch kann gemäß
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. der Teilwert angesetzt
werden, wenn dieser aufgrund einer voraussichtlich dauernden
Wertminderung niedriger ist.
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2. Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung
liegt vor, wenn der Teilwert nachhaltig unter den
maßgeblichen Buchwert gesunken ist (BTDrucks 14/443, S. 22;
BFH-Urteil vom 9.9.1986 VIII R 20/85, BFH/NV 1987, 442 = SIS 87 15 12) und deshalb aus Sicht des Bilanzstichtags aufgrund objektiver
Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen Anhalten der
Wertminderung gerechnet werden muss (Senatsurteil vom 27.11.1974 I
R 123/73, BFHE 114, 415, BStBl II 1975, 294 = SIS 75 01 73).
Hierfür bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes
ausgerichteten Prognose (Senatsurteil vom 14.3.2006 I R 22/05, BFHE
212, 526, BStBl II 2006, 680 = SIS 06 31 17). Der Senat hat diese -
soweit ersichtlich - nicht umstrittenen allgemeinen Grundsätze
mit seinem Urteil in BFHE 219, 100, BStBl II 2009, 294 = SIS 08 08 30 dahin konkretisiert, dass allein die Möglichkeit einer
Wertsteigerung in der Zukunft einer Teilwertabschreibung nicht
entgegensteht; abzustellen ist deshalb darauf, ob aus Sicht des
Bilanzstichtages mehr Gründe für ein Andauern der
Wertminderung sprechen als dagegen. Hiernach ist bei
börsennotierten und im Anlagevermögen gehaltenen Aktien
dann von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen,
wenn der Börsenkurs der Aktie (zuzüglich der im Falle
eines Erwerbs anfallenden Nebenkosten) zum Bilanzstichtag unter
ihren Buchwert gesunken ist und keine konkreten Anhaltspunkte
für eine baldige Wertsteigerung vorliegen.
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3. Der Senat hält an dieser
Rechtsprechung fest und präzisiert sie mit Rücksicht auf
die im Urteil in BFHE 219, 100, BStBl II 2009, 294 = SIS 08 08 30
offengebliebene Frage, ob Kursverluste innerhalb einer gewissen
Bandbreite als nur vorübergehende Wertschwankungen zu
beurteilen sind, dahin, dass grundsätzlich jede Minderung des
Kurswerts die Annahme einer - gegenüber dem Kurswert im
Zeitpunkt des Aktienerwerbs - voraussichtlich dauernden
Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F.
rechtfertigt und damit weder die im BMF-Schreiben in BStBl I 2009,
514 = SIS 09 09 98 vertretenen noch die von der Vorinstanz in
Anlehnung an die Auffassung des IDW befürworteten
Schwellenwerte (WPg 2002, 475, s. zu I.4.) unterschritten sein
müssen. Zum anderen ist die im Senatsurteil in BFHE 219, 100,
BStBl II 2009, 294 = SIS 08 08 30 - mangels
Entscheidungserheblichkeit - gleichfalls offengebliebene Frage, ob
die bis zum Tag der Bilanzaufstellung eingetretenen
Kursänderungen als für die Verhältnisse am
Bilanzstichtag werterhellend anzusehen sind, dahin zu beantworten,
dass es sich hierbei um wertbeeinflussende (wertbegründende)
Umstände handelt, die grundsätzlich die Bewertung der
Aktien zum Bilanzstichtag nicht berühren.
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a) Das Senatsurteil in BFHE 219, 100, BStBl II
2009, 294 = SIS 08 08 30, nach welchem das Merkmal der
voraussichtlich dauernden Wertminderung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz
2 EStG 1997 n.F.) am Kurswert auszurichten ist, beruht auf einer
typisierenden Gesetzesauslegung. Hierzu ist auch die Rechtsprechung
jedenfalls dann befugt, wenn eine Einzelfallprüfung der
steuergesetzlichen Tatbestandsmerkmale angesichts der Vielzahl der
hiervon betroffenen Sachverhalte nicht unerhebliche Schwierigkeiten
bereiten würde. Bei Fällen dieser Art gestattet deshalb
das berechtigte Interesse sowohl der Steuerpflichtigen als auch der
Finanzbehörden nach einem raschen und praktikablen
Gesetzesvollzug eine typisierende Bestimmung der gesetzlichen
Tatbestandsmerkmale, vorausgesetzt, die Typisierung führt
weder zu einem Verstoß gegen das Verbot willkürlicher
Rechtsanwendung noch zur Verletzung von Grundrechten
(Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom
31.5.1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 227 = SIS 88 22 02, 228
f.; vom 4.2.2005 2 BvR 1572/01, Höchstrichterliche
Finanzrechtsprechung - HFR - 2005, 352).
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aa) Der Senat hat hierzu erläutert, dass
die verschiedenen im Handelsrecht sowohl zu § 253 Abs. 2 Satz
3 HGB a.F. (heute: Abs. 3 Satz 4 HGB n.F.) als auch zu § 341b
Abs. 1 Satz 3 HGB a.F. (heute Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 253 Abs.
3 Satz 4 HGB n.F.) vertretenen Auffassungen, denen zufolge eine
voraussichtlich dauernde Wertminderung an die - unterschiedlich
bestimmte - Höhe der Differenz zwischen den historischen und
den aktuellen Börsenkursen sowie der - gleichfalls nicht
einheitlich bestimmten - Dauer solcher Kursabweichungen gebunden
ist, sowohl die Finanzbehörden als auch die steuerlichen
Berater überfordern würden und es deshalb für das
durch die Bewältigung einer Vielzahl von Fällen
gekennzeichnete Steuerverfahren (Massenverfahren) einfacher und
leicht überprüfbarer Kriterien bedürfe (vgl. -
einschließlich der Darstellung der handelsrechtlichen
Stellungnahmen - Senatsurteil in BFHE 219, 100, BStBl II 2009, 294
= SIS 08 08 30, zu II.1.e und II.1.c).
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14
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bb) Dass der Senat hiernach zur Bestimmung der
voraussichtlich dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1
Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. auf das typisierende Kriterium des
gesunkenen Börsenkurses zurückgreift, verstößt
erkennbar weder gegen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung
noch gegen Grundrechte.
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aaa) Nur diese Einschätzung entspricht
der gebotenen Objektivierung der Bewertung (vgl. Senatsurteil vom
7.11.1990 I R 116/86, BFHE 162, 552, BStBl II 1991, 342 = SIS 91 06 20: betreffend Teilwertbestimmung) und sichert damit einen
gleichmäßigen Gesetzesvollzug (BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 78, 214, 229 = SIS 88 22 02), da - worauf der Senat bereits
im Urteil in BFHE 219, 100, BStBl II 2009, 294 = SIS 08 08 30 (zu
II.1.d) hingewiesen hat - der aktuelle Börsenkurs die
informationsgestützte Einschätzung einer großen
Zahl von Marktteilnehmern über die künftigen Risiken und
Erfolgsaussichten des jeweiligen Unternehmens widerspiegelt und
zugleich deren Erwartung ausdrückt, dass der jetzt gefundene
Kurs voraussichtlich dauerhaften Charakter besitzt. Tragend
hierfür ist, dass der aktuelle Börsenwert - im Vergleich
zum Kurswert bei Erwerb der Anteile - eine höhere
Wahrscheinlichkeit aufweist, die künftige Kursentwicklung zu
prognostizieren.
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bbb) Soweit das FA hiergegen einwendet, die
These eines informationseffizienten Kapitalmarkts sei im
finanzwissenschaftlichen Schrifttum zunehmend umstritten (z.B.
Fey/Mujkanovic, Wpg 2003, 212, 213), vermag dies keine andere
Beurteilung zu rechtfertigen. Der Einwand lässt nicht nur
außer Acht, dass - wie nachfolgend auszuführen sein wird
(s. zu cc) - beispielsweise Marktanomalien, die geeignet sind, den
Börsenkurs zu verfälschen, auch im Rahmen der
Entscheidung über die Wertminderung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2
Satz 2 EStG 1997 n.F. zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt vor
allem, dass selbst dann, wenn man allgemein von teilweise
ineffizienten Kapitalmärkten ausgeht, angesichts der Vielzahl
der in Frage stehenden Bewertungen (Steuerfälle) sowie der
begrenzten personellen Ressourcen regelmäßig weder die
Gerichte noch die Finanzbehörden noch die Steuerpflichtigen
oder deren Berater in der Lage wären, eine hinreichend sichere
und objektiv nachprüfbare Aussage darüber zu treffen,
dass die für die einzelnen Aktienwerte vorliegenden
Kursnotierungen nicht alle am Bilanzstichtag verfügbaren
Informationen verarbeitet hätten. Demgemäß kann es
auch nicht in Betracht kommen, bei der Prognose über die
zukünftige Wertentwicklung einer Aktie deren
Börsennotierung durch einen vermeintlich besseren oder
jedenfalls nicht hinlänglich verifizierbaren Schätzwert
zu ersetzen (ähnlich Schön in
Kirchhof/Schmidt/Schön/Vogel [Hrsg.], Steuer- und
Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl,
Festschrift für Raupach 2006, S. 299, 314). Vielmehr
entspricht nur die typisierende - und zudem durch das
Wertaufholungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1
Satz 4 EStG 1997 n.F. legitimierte - Annahme, dass sich im
Regelfall der Kurswert einer Aktie unter den Bedingungen eines
informationseffizienten Kapitalmarkts gebildet habe, dem
Erfordernis eines gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs.
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cc) Die Rechtsprechung des Senats ist auch
insofern verfassungsrechtlich unbedenklich, als die vorgenannte
Typisierung - wie bereits angedeutet - nicht dazu führt, den
zukünftigen Wert der Aktie im Sinne einer unwiderlegbaren
Vermutung aus dem Börsenkurs am Bilanzstichtag abzuleiten
(vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2005, 352). Der Senat hat hierzu im
Urteil in BFHE 219, 100, BStBl II 2009, 294 = SIS 08 08 30
dargelegt, dass ein - gegenüber den Anschaffungskosten der
Aktie - gesunkener Börsenkurs dann nicht auf eine
voraussichtlich dauernde Wertminderung schließen lasse, wenn
(spätestens) im Zeitpunkt der Bilanzerstellung konkrete
Anhaltspunkte für eine baldige Werterholung vorliegen.
Letzteres ist dahin zu präzisieren, dass der Teilwert einer
Aktie und damit auch deren voraussichtlich dauernde Wertminderung
i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. nicht nach dem
Kurswert bestimmt werden können, wenn aufgrund konkreter und
objektiv überprüfbarer Anhaltspunkte davon auszugehen
ist, dass der Börsenpreis den tatsächlichen Anteilswert
nicht widerspiegelt. Dies kann - ohne dass der Senat vorliegend die
hierfür maßgeblichen Umstände abschließend zu
benennen hätte - dann der Fall sein, wenn der Kurs am
Bilanzstichtag durch Insidergeschäfte beeinflusst
(manipuliert) war (Gosch, BFH/PR 2008, 138) oder wenn über
einen längeren Zeitraum hinweg mit den zu bewertenden Aktien
praktisch kein Handel stattgefunden hat (vgl. Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 12.3.2001 II ZB 15/00, BGHZ 147, 108;
Senatsurteil vom 25.8.2009 I R 88, 89/07, BFHE 226, 296 = SIS 09 33 70).
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b) Aus der typisierenden Annahme, dass der
Börsenkurs sich - vorbehaltlich der dargelegten
Ausnahmen - auf der Grundlage eines informationseffizienten
Kapitalmarkts gebildet hat, sind mit Rücksicht auf das
anhängige Verfahren Folgerungen zweierlei Art abzuleiten.
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aa) Zum einen ergibt sich hieraus, dass die
(typisierende) Prämisse der Informationseffizienz nicht nur
der Kursbildung am Bilanzstichtag, sondern auch den
anschließenden Notierungen bis zum Tag der Bilanzaufstellung
zugrunde zu legen ist. Demgemäß ist es - entgegen der
Einschätzung der Vorinstanz - ausgeschlossen,
Kursänderungen in der Zeit bis zur Aufstellung der Bilanz bei
der Entscheidung über die Teilwertminderung am Bilanzstichtag
als sog. werterhellende Umstände zu berücksichtigen
(gl.A. Heger, Die Unternehmensbesteuerung - Ubg - 2008, 68, 71;
Gosch, BFH/PR 2008, 138; Schlotter, BB 2008, 546, 548; Korn/Strahl
in Korn, EStG, § 6 Rz 204.1; Schneider, Zeitschrift für
Bankrecht und Bankwirtschaft 2000, 121, 128). Soweit sich das
handelsrechtliche Schrifttum mit Rücksicht auf das
Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) dafür
ausspricht, die Geschehensabläufe bis zur Aufstellung der
Bilanz als werterhellend zu würdigen (z.B. Kessler, DB 1999,
2577, 2580), kann dies schon mit Rücksicht darauf, dass das
Tatbestandsmerkmal der dauernden Wertminderung i.S. von § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. einer steuerrechtlich
eigenständigen und durch die
Informationseffizienzprämisse gekennzeichneten Auslegung
unterworfen ist, keine andere Beurteilung rechtfertigen.
Unberührt hiervon bleibt allerdings, dass werterhellende
Erkenntnisse darüber, dass bereits am Bilanzstichtag objektive
Anhaltspunkte für Kursverfälschungen vorgelegen haben
(vgl. vorstehend zu II.3.a cc), auch in der Zeit bis zur
Aufstellung der Bilanz mit der Folge gewonnen werden können,
dass der tatsächliche Wert der betroffenen Aktien - ohne
Bindung an den Börsenkurs zum Bilanzstichtag - zu
schätzen ist (Gosch, BFH/PR 2008, 138).
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bb) Mit der typisierenden Annahme eines
informationseffizienten Kapitalmarkts ist zum anderen auch
verbunden, dass eine objektiv nachvollziehbare Unterscheidung
zwischen nur vorübergehenden üblichen Kursschwankungen
einerseits und Kursveränderungen aufgrund längerfristig
wirkender Faktoren andererseits nur schwer zu treffen sein wird
(Schön in Festschrift Raupach, a.a.O., S. 319; Heger, Ubg
2008, 68, 71). Deshalb kann es - entgegen der Ansicht der
Vorinstanz sowie der Ansicht der Finanzverwaltung (s. zu I.2.) -
auch nicht in Betracht kommen, eine Teilwertabschreibung wegen
voraussichtlich dauernder Wertminderung im Grundsatz davon
abhängig zu machen, dass der aktuelle Börsenkurs
denjenigen im Zeitpunkt des Aktienerwerbs um einen bestimmten
Schwellenwert (Signifikanzwert) unterschreitet.
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aaa) Der Senat kann sich auch nicht dem
Vorschlag anschließen, entsprechend der allgemein im
Steuerrecht vertretenen Erheblichkeitsschwelle (vgl. z.B.
BFH-Beschluss vom 7.4.2011 IV B 157/09, BFH/NV 2011, 1392 = SIS 11 23 78) nur Kursrückgänge von mehr als 10 % der
Erwerbsnotierung als Ausdruck einer voraussichtlich dauernden
Wertminderung zu qualifizieren (z.B. Schlotter, BB 2009, 892).
Vielmehr muss - annahmegemäß - auch bei geringeren
Kursminderungen davon ausgegangen werden, dass der Markt auch die
Dauerhaftigkeit einer solchen Wertminderung verarbeitet hat.
Abweichend von der Einschätzung der Vorinstanz führt
diese Beurteilung auch nicht dazu, dass dem Tatbestandmerkmal der
voraussichtlich dauernden Wertminderung kein relevanter
Regelungsbereich mehr verbleibt (vgl. hierzu allgemein
BFH-Beschluss vom 1.2.2006 X B 166/05, BFHE 212, 242, BStBl II
2006, 420, 425 = SIS 06 12 72, m.w.N.). Der Einwand lässt
nicht nur außer Acht, dass der typisierende Rückgriff
auf die Börsenkurse am Bilanzstichtag insbesondere durch den
Aspekt des gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs legitimiert ist
und - wie erläutert - unter dem Vorbehalt steht, dass die
Annahme einer im wesentlichen informationseffizienten Kursbildung
nicht durch konkrete (objektive) Anhaltspunkte widerlegt wird.
Hinzu kommt, dass die Ansicht des erkennenden Senats nur
börsennotierte Werte und damit keinesfalls die Gesamtheit
aller von den Bewertungsregeln des § 6 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 1
EStG 1997 n.F. erfassten Wirtschaftsgüter betrifft (vgl. z.B.
zu Gebäuden sowie Fremdwährungsverbindlichkeiten
BFH-Urteile in BFHE 212, 526, BStBl II 2006, 680 = SIS 06 31 17;
vom 29.4.2009 I R 74/08, BFHE 225, 357, BStBl II 2009, 899 = SIS 09 25 84; vom 23.4.2009 IV R 62/06, BFHE 224, 564, BStBl II 2009, 778
= SIS 09 19 43; Senatsurteil vom 8.6.2011 I R 98/10, BFH/NV 2011,
1758 = SIS 11 26 70). Auch insofern verbietet sich die Annahme,
dass den Tatbestandsmerkmalen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 oder
Nr. 1 Satz 2 EStG 1997 n.F. kein relevanter Anwendungsbereich mehr
zukomme.
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bbb) Unberührt bleibt hiervon
andererseits jedoch, dass es mit Rücksicht auf die gebotene
Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens und damit im Einklang mit
der für börsennotierte Aktien geltenden typisierenden
Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F.
sachgerecht erscheint, Kursverluste innerhalb einer Bandbreite
minimaler und in ihrer Höhe zu vernachlässigender
Wertschwankungen außer Ansatz zu lassen (Bagatellgrenze). In
Anlehnung an den bilanzrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz (vgl.
Schön in Festschrift Raupach, a.a.O., S. 320; Marx, FR 2011,
267) ist diese Schwelle geringfügiger Kursverluste auf 5 % der
Notierung im Erwerbszeitpunkt zu begrenzen (Heger, Ubg 2008, 68,
71; vgl. auch Blümich/Ehmcke, a.a.O., § 6 EStG Rz
560c).
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4. Die Sache ist nicht spruchreif.
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a) Nach den bis zum Bilanzstichtag erlittenen
Kursverlusten sind die von der Klägerin begehrten
Teilwertabschreibungen bezüglich der Anteile an der X Corp.
und der Y AG zu gewähren. Da der Teilwert der Aktien nicht nur
den Börsenkurs zum 31.12.2001, sondern zudem auch die im Falle
eines Erwerbs anteilig anfallenden Erwerbsnebenkosten umfasst (vgl.
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Nr. 1 Satz 3 EStG 1997 n.F.;
BFH-Urteile vom 15.7.1966 VI 226/64, BFHE 86, 699, BStBl III 1966,
643 = SIS 66 04 18; vom 29.4.1999 IV R 63/97, BFHE 188, 386, BStBl
II 2004, 639 = SIS 99 15 31), ergibt sich hieraus - vor der
gegenläufigen Berücksichtigung der (geminderten)
Gewerbesteuer - eine Teilwertabschreibung auf die Anteile an der X
Corp. in Höhe von 129.671,03 EUR (= 708.002,97 EUR [bisheriger
Buchwert] abzüglich 578.331,94 EUR [100,37% des
Börsenkurses zum Bilanzstichtag]) sowie bezüglich der
Y-Aktie eine Abschreibung in Höhe von 55.089,41 EUR (=
502.706,15 EUR [bisheriger Buchwert] abzüglich 447.616,74 EUR
[100,34 % des Börsenkurses zum Bilanzstichtag]), zusammen
somit eine Gewinnminderung in Höhe von 184.760,44 EUR. Die
Revision des FA ist demnach nicht begründet.
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25
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b) Ob und in welcher Höhe hingegen auch
der Bilanzausweis für die Anteile an der AG I nach § 6
Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. zu mindern und in welchem Umfang
damit dem Begehren der Klägerin (Teilwertabschreibungen in
Höhe von 218.190,52 EUR) insgesamt zu entsprechen ist, kann
der Senat nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
nicht beurteilen. Das FG wird insoweit Feststellungen dazu zu
treffen haben, ob zum Bilanzstichtag (31.12.2001) objektive
Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Börsenkurs der
Aktie I nicht den tatsächlichen Anteilswert abgebildet hat.
Anlass für eine solche Überprüfung besteht
bezüglich der Anteile I deshalb, weil die relativen
Wertverluste dieser Aktie zum Bilanzstichtag in signifikanter Weise
diejenigen der anderen Aktienpositionen (X Corp., Y AG)
übertreffen und zudem die Aktie I nach den Notierungen bis zum
Tag der Aufstellung der Bilanz 2001 - entgegen dem Trend der beiden
anderen Anteilsrechte - einen großen Teil ihres zuvor
erlittenen Verlusts wieder ausgeglichen hat. Sollte sich deshalb im
zweiten Rechtsgang ergeben, dass dieser schwankende Kursverlauf
beispielsweise auf (äußerst) geringe Handelsumsätze
oder auf andere wesentliche Störungen
(Informationsineffizienzen) im Preisbildungsprozess
zurückzuführen ist, so wird das FG unter
Berücksichtigung dieser Umstände - und damit ohne Bindung
an den Börsenkurs am Bilanzstichtag - darüber zu
entscheiden haben, in welcher Höhe zum 31.12.2001 von einer
voraussichtlich dauernden Wertminderung der Anteilsrechte I
auszugehen war.
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5. Die Übertragung der Kostenentscheidung
ergibt sich aus § 143 Abs. 2 FGO. Letztere Bestimmung ist nach
dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch dann
zu beachten, wenn die Revision ohne Erfolg bleibt, über die
Anschlussrevision jedoch nicht abschließend entschieden
werden kann (BFH-Urteile vom 24.9.1985 IX R 39/80, BFH/NV 1986,
337; vom 29.7.1981 I R 119/77, juris).
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