Bilanzberichtigung, Bilanzerstellung bei unklarer Rechtslage: Eine Bilanz kann nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert ("berichtigt") werden, wenn sie nach dem Maßstab des Erkenntnisstandes zum Zeitpunkt ihrer Erstellung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht. Dabei ist, wenn eine bestimmte Bilanzierungsfrage nicht durch die Rechtsprechung abschließend geklärt ist, jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als in diesem Sinne "richtig" anzusehen (Bestätigung des Senatsurteils vom 5.4.2006 I R 46/04, BFHE 213 S. 326, BStBl 2006 II S. 688 = SIS 06 29 98). - Urt.; BFH 5.6.2007, I R 47/06; SIS 07 31 76
I. Die Beteiligten streiten über die
Zulässigkeit der Änderung einer Bilanz nach § 4 Abs.
2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine Sparkasse, gewährt einigen ihrer aktiven
und ehemaligen Beschäftigten im Krankheitsfall Beihilfen nach
beamtenrechtlichen Grundsätzen. Sie bildete erstmals in ihren
Bilanzen zum 31.12.1998 und zum 31.12.1999 (Streitjahre) eine
Rückstellung für Beihilfen an Pensionäre. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
erließ im Anschluss an eine Außenprüfung
Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen
die Zuführungen zu der Rückstellung nicht gewinnmindernd
berücksichtigt waren.
Die Klägerin legte gegen diese
Bescheide Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens
wurde ihr das Urteil des erkennenden Senats vom 30.1.2002 I R 71/00
(BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279 = SIS 02 84 93) bekannt. Nach
diesem Urteil ist für die Verpflichtung, Pensionären und
aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestandes
Beihilfen zu gewähren, eine Rückstellung zu bilden. Die
Klägerin erweiterte daraufhin ihr Begehren dahin, dass auch
die Zuführungen zu einer Rückstellung für
entsprechende Verpflichtungen gegenüber noch im aktiven Dienst
befindlichen Bediensteten zu berücksichtigen seien. Das FA
folgte diesem Begehren in der Einspruchsentscheidung nicht.
Der daraufhin erhobenen Klage gab das
Finanzgericht (FG) statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 1.6.2006
15 K 143/04 K). Die Entscheidungsgründe seines Urteils sind in
EFG 2006, 1410 = SIS 06 43 14 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,
das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen
Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat die von der
Klägerin geltend gemachten (zusätzlichen)
Gewinnminderungen zu Recht nicht berücksichtigt.
1. Die Klägerin begehrt die
Berücksichtigung einer Rückstellung für
künftige Beihilfeverpflichtungen gegenüber Arbeitnehmern,
die in den Streitjahren noch in aktiven
Beschäftigungsverhältnissen standen. Nach der
Rechtsprechung des Senats musste sie nach den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung in den Bilanzen
für die Streitjahre eine solche Rückstellung bilden
(Senatsurteil in BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279 = SIS 02 84 93).
Davon geht ersichtlich auch das FA aus.
2. Dem Erfolg der Klage steht jedoch entgegen,
dass die Klägerin in ihren ursprünglichen Bilanzen
für die Streitjahre die hiernach gebotenen Rückstellungen
nicht gebildet hat und dass dies nach dem damaligen Erkenntnisstand
mit den Grundsätzen kaufmännischer Sorgfalt vereinbar
war.
a) Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn
gemäß § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG
durch Vermögensvergleich. Sie muss dabei für den Schluss
eines jeden Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen,
das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§
5 Abs. 1 Satz 1 EStG).
b) Die Bilanzen der Klägerin werden zwar,
was die Rückstellungen für Beihilfeleistungen an
künftige Pensionäre angeht, bei objektiver Betrachtung
den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung
nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
kann ein Bilanzansatz aber nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
geändert („berichtigt“) werden, wenn und
soweit er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den der Kaufmann
im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer
und gewissenhafter Prüfung haben konnte (Senatsurteil vom
5.4.2006 I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98, m.w.N.). Das gilt nicht nur insoweit, als es um die
Einschätzung tatsächlicher Umstände geht (dazu
BFH-Urteil vom 27.11.1997 IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl II 1998,
375 = SIS 98 13 21), sondern ebenso im Hinblick auf die aus diesen
Umständen zu ziehenden rechtlichen Folgerungen (BFH-Urteile
vom 14.8.1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44, 53, BStBl II 1976, 88, 92 =
SIS 76 00 51; vom 12.11.1992 IV R 59/91, BFHE 170, 217, BStBl II
1993, 392 = SIS 93 09 17). Die „Richtigkeit“
eines Bilanzansatzes, der im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung den
Grundsätzen kaufmännischer Sorgfalt entsprach, wird
mithin durch eine später eingetretene Veränderung in der
rechtlichen Beurteilung des betreffenden Vorgangs nicht
berührt. Ein solcher Bilanzansatz ist deshalb auch dann der
Besteuerung zugrunde zu legen, wenn er im Lichte der
nachträglich gewonnenen Erkenntnisse als objektiv unrichtig
erscheint.
Vor diesem
Hintergrund hat der BFH entschieden, dass eine
Rechtsprechungsänderung nicht zur
„Unrichtigkeit“ eines Bilanzansatzes führt,
der der zur Zeit der Bilanzaufstellung vorliegenden
höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht (BFH-Urteil in
BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392 = SIS 93 09 17). Zum anderen
muss, wenn in jenem Zeitpunkt noch keine Rechtsprechung zu der in
Rede stehenden Bilanzierungsfrage ergangen ist, im Rahmen der
Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG jede der
kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als
„richtig“ angesehen werden (Senatsurteil in BFHE
213, 326, BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98, m.w.N.). Diese
Rechtsprechung ist zwar im Schrifttum auf Kritik gestoßen
(z.B. Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 411;
Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rz
C 105 ff.; Herzig/Nitzschke, BB 2007, 304; zustimmend hingegen
Crezelius in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 4 Rz 235; Strahl in
Korn, § 4 EStG Rz 421; Blümich/Wied, § 4 EStG Rz
983, m.w.N. zum Meinungsstand). Der Senat hält jedoch an ihr
fest.
c) Im Streitfall
waren die von der Klägerin aufgestellten Bilanzen insoweit,
als dort keine Rückstellungen für künftige
Beihilfeverpflichtungen gegenüber (noch) aktiven Arbeitnehmern
ausgewiesen waren, in dem vorstehend beschriebenen
„subjektiven“ Sinne
„richtig“. Das hat der Senat für einen
Fall, in dem es um dieselbe Problematik im Zusammenhang mit einer
Bilanz für das Jahr 1995 ging, entschieden (Senatsurteil in
BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98). Diese
Beurteilung, an der ebenfalls festzuhalten ist, lässt sich auf
den Streitfall übertragen.
Ein anderes
Ergebnis folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht daraus,
dass es im Streitfall um Bilanzen für die Jahre 1998 und 1999
geht. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang zwar zu
Recht darauf, dass das FG Nürnberg im Jahr 2000 für die
hier in Rede stehende Konstellation die Bildung einer
Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für
notwendig erachtet hatte (FG Nürnberg, Urteil vom 18.4.2000 I
156/95, EFG 2000, 1306 = SIS 01 69 56). Jedoch hat das FG zum einen
nicht festgestellt, ob die hier in Rede stehenden Bilanzen der
Klägerin vor oder nach dem Ergehen und dem Bekanntwerden jenes
Urteils aufgestellt worden sind. Zum anderen ist das Urteil des FG
Nürnberg mit der Revision angegriffen worden, worin zum
Ausdruck kommt, dass es noch nicht zu einer abschließenden
Klärung der Problematik geführt hat. In dieser Situation
musste ein ordentlicher Kaufmann sich im Rahmen der Bilanzierung
nicht notwendig an der vom FG Nürnberg vertretenen Ansicht
orientieren; er war vielmehr berechtigt, der abweichenden
Einschätzung der Finanzverwaltung entsprechend die Bildung
einer Rückstellung zu unterlassen. Eine andere Ausgangslage
ergab sich erst durch das Senatsurteil in BFHE 198, 420, BStBl II
2003, 279 = SIS 02 84 93, mit dem über die Revision gegen das
Urteil des FG Nürnberg entschieden wurde; dieses Urteil ist
jedoch zeitlich nach der Aufstellung der hier in Rede stehenden
Bilanzen ergangen.
d) Angesichts
dessen können die von der Klägerin geltend gemachten
zusätzlichen Zuführungen zu den
Beihilferückstellungen nicht auf den Gesichtspunkt der
Änderung einer unrichtigen Bilanz (§ 4 Abs. 2 Satz 1
EStG) gestützt werden. Einer solchen
„Bilanzberichtigung“ steht entgegen, dass die
ursprünglichen Bilanzen der Klägerin nach dem insoweit
maßgeblichen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt ihrer Aufstellung
im Hinblick auf die Beihilferückstellungen den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung
entsprechen. Abgesehen davon hat das FG nicht festgestellt, dass
die Klägerin geänderte Bilanzen erstellt hat; das
wäre aber Voraussetzung für eine Anwendung des § 4
Abs. 2 Satz 1 EStG, da eine Bilanzberichtigung nur vom Unternehmer
selbst vorgenommen werden kann (BFH-Urteil vom 4.11.1999 IV R
70/98, BFHE 190, 404, BStBl II 2000, 129 = SIS 00 02 30; Schoor,
DStZ 2007, 274, 276; Stapperfend, a.a.O., § 4 EStG Rz 399,
m.w.N.).
e) Ebenso kann der
Hinweis der Klägerin auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung
(AO) der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Die Klägerin
führt dazu aus, die ursprünglichen Steuerbescheide
für die Streitjahre seien unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) erlassen worden, weshalb
dem FA eine abschließende Überprüfung der
Besteuerungsgrundlagen oblegen habe; im Rahmen dieser
Überprüfung habe das FA die rechtlich zutreffenden
Besteuerungsgrundlagen ansetzen (§ 85 Satz 1 AO) und unter
diesem Gesichtspunkt die Rückstellungen in der (nunmehr)
geltend gemachten Höhe berücksichtigen müssen. Diese
Argumentation geht deshalb fehl, weil das FA im Rahmen der
Steuerfestsetzung an die von der Klägerin zulässigerweise
gebildeten Bilanzansätze gebunden ist. Es darf von diesen
Bilanzansätzen zwar abweichen, wenn sie den Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung nicht entsprechen; das
ist aber auch in diesem Zusammenhang nach dem Maßstab des
Verhaltens eines ordentlichen Kaufmanns zum Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung zu beurteilen, nach denen im Streitfall ein
Verstoß gegen Buchführungsgrundsätze nicht
vorliegt.
f) Das FG hat sein
der Klage stattgebendes Urteil damit begründet, dass nach der
Rechtsprechung des BFH ein unrichtiger Bilanzansatz
grundsätzlich im Rahmen der zeitlich ersten Veranlagung
korrigiert werden muss, für die noch Steuerbescheide erlassen
werden dürfen. Diese Aussage ist zwar als solche zutreffend
(vgl. dazu nur Senatsurteil vom 13.6.2006 I R 58/05, BFHE 213, 559,
BStBl II 2006, 928 = SIS 06 31 47, m.w.N.). Jedoch ist auch in
diesem Zusammenhang das Vorliegen eines
„Bilanzierungsfehlers“ nach Maßgabe des
„subjektiven“ Fehlerbegriffs, also auf der Basis
des tatsächlichen und rechtlichen Erkenntnisstandes zum
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, zu beurteilen. Deshalb darf ein
„subjektiv“ richtiger Bilanzansatz auch dann
nicht korrigiert werden, wenn später - zum Beispiel durch eine
gerichtliche Entscheidung - seine Unrichtigkeit offenbar und der
Bilanzansatz dennoch in nachfolgenden Bilanzen fortgeführt
wird. Vielmehr ist in einem solchen Fall der Bilanzierungsfehler
bei derjenigen Veranlagung, der die erste nach dem Offenbarwerden
des Fehlers aufgestellte Bilanz zugrunde liegt, nach den
Grundsätzen des „formellen
Bilanzenzusammenhangs“ zu behandeln (BFH-Urteile in BFHE
170, 217, BStBl II 1993, 392 = SIS 93 09 17; vom 29.10.1991 VIII R
51/84, BFHE 166, 431, BStBl II 1992, 512, 516 = SIS 92 08 17; vom
25.4.1990 I R 78/85, BFH/NV 1990, 630 = SIS 90 22 53). Dies kann
sich aber im Streitfall auf keine der angefochtenen
Steuerfestsetzungen auswirken.
g) Der Senat weicht mit dieser Beurteilung
nicht von den vom FG zitierten höchstrichterlichen
Entscheidungen ab. Zwar hat der IV. Senat mit Urteil vom 16.2.1967
IV R 62/66 (BFHE 87, 531, BStBl III 1967, 222 = SIS 67 01 31)
entschieden, dass eine Rückstellung für eine
Pensionsverpflichtung einer Personengesellschaft gegenüber
ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer auch dann nicht
anzuerkennen sei, wenn im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung die
höchstrichterliche Rechtsprechung noch von der
Zulässigkeit einer solchen Rückstellung ausgegangen sei.
Jedoch hat er diese Sachbehandlung ausdrücklich von derjenigen
bei Kapitalgesellschaften abgegrenzt (BFH-Urteil in BFHE 87, 531,
538, BStBl III 1967, 222, 225 = SIS 67 01 31), weshalb schon
zweifelhaft ist, ob der genannte Rechtssatz nicht nur für die
Bilanzierung bei Personengesellschaften gelten sollte.
Unabhängig davon hat der IV. Senat sich jedoch in der
Folgezeit wiederholt zum „subjektiven“
Fehlerbegriff bekannt (BFH-Urteile in BFHE 117, 44, BStBl II 1976,
88 = SIS 76 00 51; in BFHE 170, 217, BStBl II 1993, 392 = SIS 93 09 17) und damit eine etwa abweichende andere Rechtsansicht
stillschweigend aufgegeben. Das vom FG weiter zitierte Urteil vom
21.9.1995 IV R 50/93 (BFH/NV 1996, 460 = SIS 96 09 30) betrifft die
hier interessierende Frage nicht, da es dort darum ging, dass im
Anschluss an eine in 1973 vollzogene Rechtsprechungsänderung
ein hierdurch unrichtig gewordener Bilanzansatz in der Bilanz zum
1.1.1980 korrigiert worden war; das entspricht einer Anwendung der
Grundsätze zum „formellen
Bilanzenzusammenhang“ auf eine nur
„subjektiv“ richtige Bilanz.