Bilanzberichtigung, nachträgliche Bildung von Rückstellungen: 1. Eine Bilanz kann nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert ("berichtigt") werden, wenn sie nach dem Maßstab des Erkenntnisstands im Zeitpunkt ihrer Erstellung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht (Bestätigung des Senatsurteils vom 5.6.2007 I R 47/06, BFHE 218 S. 221, BStBl 2007 II S. 818 = SIS 07 31 76). - 2. Eine Bilanz kann nicht mit dem Ziel eines niedrigeren Gewinnausweises nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG geändert werden, wenn das Finanzamt den Gewinn zwar höher als vom Unternehmer erklärt ansetzt, dies aber auf einer Berücksichtigung von außerbilanziellen Gewinnerhöhungen beruht. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 13.8.2008, IV C 6 - S 2141/07/1004, BStBl 2008 I S. 845 = SIS 08 31 36) - Urt.; BFH 23.1.2008, I R 40/07; SIS 08 24 13
I. Die Beteiligten streiten über die
Zulässigkeit der Änderung einer Bilanz.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren
Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht. Sie stellte am
30.4.2002 ihren Jahresabschluss für das Streitjahr (2001) auf.
Den auf dieser Basis ermittelten Gewinn berücksichtigte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) in
Steuerbescheiden, die gemäß § 164 Abs. 1 der
Abgabenordnung unter Vorbehalt der Nachprüfung
ergingen.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung
gelangte die Prüferin zu der Auffassung, dass der von der
Klägerin erklärte Gewinn um 6.347 DM (Verminderung eines
Aktivpostens) und um weitere 51.330 DM (Erhöhung von
Rückstellungen) zu vermindern sowie um 135.000 DM (Ansatz
eines Übernahmegewinns gemäß § 12 Abs. 2 Satz
2 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 - UmwStG 1995 - ) und um
weitere 29.913 DM (Erhöhung der nicht abziehbaren
Betriebsausgaben) zu erhöhen sei. Daraufhin machte die
Klägerin mit Schreiben vom 22.3.2006 unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geltend, dass sie
für das Streitjahr eine Rückstellung für die Kosten
der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen hätte bilden
müssen (BFH-Urteil vom 19.8.2002 VIII R 30/01, BFHE 199, 561,
BStBl II 2003, 131 = SIS 03 01 98), was bisher nicht geschehen sei.
Das FA erließ im Anschluss an die Betriebsprüfung
Änderungsbescheide, in denen es diese Rückstellung nicht
berücksichtigte.
Die deshalb erhobene Klage hat das
Finanzgericht (FG) abgewiesen (FG Köln, Urteil vom 21.3.2007
13 K 4358/06). Sein Urteil ist in EFG 2007, 1472 = SIS 07 23 11
abgedruckt.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die
angefochtenen Bescheide dahin zu ändern, dass die
Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuermessbetrag für
das Streitjahr unter Berücksichtigung einer zusätzlichen
Rückstellung in Höhe von 90.755,33 EUR festgesetzt
werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FA hat es zu
Recht abgelehnt, die Bildung einer Rückstellung für die
Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen bei der
Besteuerung der Klägerin für das Streitjahr zu
berücksichtigen.
1. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn
nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997 i.d.F. des
Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 22.12.1999 (BGBl I 1999, 2601,
BStBl I 2000, 13) - EStG 1997 - (i.V.m. § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes, § 7 Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes). Da sie nach Handelsrecht
buchführungspflichtig ist, muss sie dabei für den Schluss
eines Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen, das
nach den handelsrechtlichen Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§
5 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997). Zu diesen Grundsätzen gehört,
dass im Jahresabschluss eine Rückstellung für die
zukünftigen Kosten der Aufbewahrung von
Geschäftsunterlagen gebildet werden muss, soweit der
Unternehmer zu einer solchen Aufbewahrung verpflichtet ist
(BFH-Urteil in BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131 = SIS 03 01 98).
Um eine solche Rückstellung geht es im Streitfall.
2. Das FG hat nicht festgestellt, ob die
Klägerin am hier maßgeblichen Bilanzstichtag zur
künftigen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen
verpflichtet war und mit welchen Aufwendungen sie in diesem
Zusammenhang ggf. rechnen musste. Revisionsrechtlich bindend
(§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt hat es jedoch, dass die
Klägerin in ihrer ursprünglichen Bilanz für das
Streitjahr keine Rückstellung für eine solche
Verpflichtung gebildet hat. Das steht dem Erfolg der Klage
entgegen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Änderung jener Bilanz im Streitfall nicht erfüllt
sind.
a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 darf
eine Bilanz auch nach ihrer Einreichung beim FA geändert
werden, wenn sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger
Buchführung unter Befolgung der Vorschriften des EStG nicht
entspricht. Dazu hat der Senat wiederholt entschieden, dass diese
Vorschrift nicht schon dann eingreift, wenn ein Bilanzansatz bei
rückschauender Betrachtung objektiv gegen Grundsätze
ordnungsmäßiger Buchführung verstößt.
Vielmehr ist ein Bilanzansatz i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
1997 „richtig“, wenn er denjenigen Kenntnisstand
widerspiegelt, den ein ordentlicher Kaufmann im Zeitpunkt der
Bilanzaufstellung bei pflichtgemäßer und gewissenhafter
Prüfung haben konnte (Senatsurteile vom 5.6.2007 I R 47/06,
BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818 = SIS 07 31 76; vom 5.4.2006 I R
46/04, BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98, m.w.N.).
Das gilt nicht nur insoweit, als es um die Einschätzung
tatsächlicher Umstände geht, sondern ebenso im Hinblick
auf die daraus zu ziehenden rechtlichen Folgerungen (Senatsurteil
in BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818 = SIS 07 31 76). Ein
Bilanzansatz, der dieser Vorgabe entspricht, darf nicht nach §
4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 geändert
(„berichtigt“) werden. Daran hält der Senat
weiterhin fest.
b) Im Streitfall ist hiernach für die von
der Klägerin angestrebte Berichtigung der Bilanz für das
Streitjahr kein Raum. Denn selbst wenn die Klägerin am
maßgeblichen Bilanzstichtag mit künftigen Aufwendungen
für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen rechnen
musste, könnte das Fehlen einer entsprechenden
Rückstellung nur dann zur „Unrichtigkeit“
ihrer ursprünglichen Bilanz führen, wenn ein ordentlicher
Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei ordentlicher und
gewissenhafter Prüfung die Notwendigkeit der
Rückstellungsbildung hätte erkennen müssen. Das aber
hat das FG ohne Rechtsfehler verneint: Nach seinen
revisionsrechtlich bindenden Feststellungen hat die Klägerin
ihre Bilanz für das Streitjahr im April 2002 aufgestellt; sie
konnte dabei das einschlägige Urteil des BFH in BFHE 199, 561,
BStBl II 2003, 131 = SIS 03 01 98, das vom 19.8.2002 datiert, nicht
berücksichtigen. Vor Ergehen jenes Urteils gab es indessen
keinen verfestigten Meinungsstand des Inhalts, dass Aufwendungen
der genannten Art durch eine Rückstellung zu
berücksichtigen seien; vielmehr hatte das FG München die
Bildung eines Passivpostens für solche Aufwendungen noch im
Jahr 2001 für unzulässig erachtet (FG München,
Urteil vom 23.5.2001 9 K 5141/98, EFG 2001, 1357 = SIS 02 79 12).
Dass seinerzeit die Bildung einer Rückstellung der hier in
Rede stehenden Art in sonstiger Rechtsprechung, in
Verwaltungsanweisungen oder im Fachschrifttum befürwortet
wurde, ist weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst
erkennbar. Angesichts dessen ist es mit dem Gebot
kaufmännischer Sorgfalt vereinbar, wenn die Klägerin in
ihrer Bilanz für das Streitjahr eine Rückstellungsbildung
unterließ. Darin liegt mithin kein Bilanzierungsfehler, der
gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 berichtigt werden
könnte.
c) Zu einer abweichenden Beurteilung
führt nicht der Hinweis der Revision auf das bilanzrechtliche
Vorsichtsprinzip. Denn aus diesem Prinzip lässt sich nicht
ableiten, dass ein Kaufmann schon dann eine Rückstellung
bilden muss, wenn die Notwendigkeit der Rückstellungsbildung
rechtlich ungeklärt ist und das Bestehen eines entsprechenden
Grundsatzes ordnungsmäßiger Buchführung denkbar
erscheint. Vielmehr ist der Senat in seiner Rechtsprechung stets
davon ausgegangen, dass es in dieser Situation mit der
kaufmännischen Sorgfalt vereinbar sein kann, die Bildung einer
Rückstellung zu unterlassen (Senatsurteile in BFHE 213, 326,
BStBl II 2006, 688 = SIS 06 29 98, und in BFHE 218, 221, BStBl II
2007, 818 = SIS 07 31 76). Das muss namentlich dann gelten, wenn es
- wie im Streitfall - im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung keine
gewichtigen Stimmen gab, die eine entsprechende
Rückstellungsbildung forderten.
d) Ebenso hat das FG ohne Rechtsfehler
angenommen, dass die von der Klägerin begehrte
Rückstellungsbildung nicht nach Maßgabe des § 4
Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 steuerlich berücksichtigt werden kann.
Nach dieser Vorschrift darf zwar eine Bilanz unabhängig von
den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997
geändert werden. Eine solche Bilanzänderung ist aber nur
dann zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung
gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 steht und soweit
die Auswirkung jener Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht. Um
eine solche Situation geht es im Streitfall nicht.
aa) Unter welchen Umständen der in §
4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 geforderte Zusammenhang einer
Bilanzänderung mit einer Bilanzberichtigung vorliegt, ist
nicht abschließend geklärt. Jedenfalls aber besagt der
insoweit eindeutige Gesetzeswortlaut, dass es im Gegenzug zu der
Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 zu einer
Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 gekommen
sein muss. Daran fehlt es im Streitfall. Denn die von der
Klägerin begehrte Bildung einer zusätzlichen
Rückstellung würde zu einer Gewinnminderung führen,
und die dieser gegenüberstehende Gewinnerhöhung beruht
nicht auf einer Bilanzberichtigung:
Nach den Feststellungen des FG ist der Ansatz
eines Mehrgewinns im Anschluss an die Betriebsprüfung darauf
zurückzuführen, dass das FA einen Übernahmegewinn
i.S. des § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 berücksichtigt und zudem
bestimmte Betriebsausgaben der Klägerin als nicht abziehbar
behandelt hat. Sowohl die Erfassung des Übernahmegewinns (vgl.
dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.3.1998,
BStBl I 1998, 268 = SIS 98 09 38, Tz. 12.05; Widmann in
Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 12 UmwStG Rz 366, m.w.N.)
als auch die Berücksichtigung der Nichtabziehbarkeit von
Betriebsausgaben (dazu BFH-Urteile vom 9.6.1999 I R 64/97, BFHE
189, 75, BStBl II 1999, 656 = SIS 99 19 13; vom 6.4.2000 IV R
31/99, BFHE 192, 64, 69, BStBl II 2001, 536, 538 = SIS 00 09 73;
Senatsbeschluss vom 24.3.2004 I B 203/03, BFH/NV 2004, 959 = SIS 04 22 89; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und
Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG Rz 1123) vollziehen
sich indessen durch eine Gewinnerhöhung außerhalb der
Bilanz. Eine außerbilanzielle Gewinnerhöhung
berührt keinen Bilanzansatz und kann daher die Rechtsfolge des
§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 nicht herbeiführen (ebenso FG
Münster, Urteil vom 27.1.2005 12 K 4155/03 E,G, EFG 2006, 1654
= SIS 06 33 25; FG Hamburg, Urteil vom 8.3.2006 V 187/03, EFG 2006,
1153 = SIS 06 27 60; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.,
§ 4 EStG Rz 472; a.A. Wied in Blümich,
Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz,
Gewerbesteuergesetz, § 4 EStG Rz 1035; Korn/Strahl, EStG,
§ 4 Rz 448, m.w.N.). Deshalb ist unabhängig davon, ob
§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 nur bei Bestehen eines
steuerlichen Wahlrechts eingreift (so BFH-Urteil vom 14.8.1975 IV R
30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88 = SIS 76 00 51) oder ob auch
ein objektiv unrichtiger Bilanzansatz nach dieser Vorschrift
geändert werden kann (so z.B. Crezelius in Kirchhof, EStG, 7.
Aufl., § 4 Rz 247 f.; Weber-Grellet in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz
C 188, m.w.N.), im Streitfall für eine solche Maßnahme
kein Raum.
bb) Mit dieser Beurteilung weicht der Senat
nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab.
aaa) Allerdings hat der VIII. Senat in seinem
Urteil vom 15.3.2000 VIII R 34/96 (BFH/NV 2001, 297 = SIS 01 54 08)
ausgeführt, dass ein in § 4 Abs. 5 EStG enthaltenes
Verbot des Abzugs von Betriebsausgaben u.a. die Bildung einer
Rückstellung hindere (ebenso Schreiber in Blümich,
a.a.O., § 5 EStG Rz 745; Crezelius in Kirchhof, a.a.O., §
5 Rz 120). Diese Aussage war aber für seine Entscheidung
letztlich nicht tragend. Denn die Frage nach der systematischen
Einordnung eines Abzugsverbots wirkt sich ertragsteuerrechtlich nur
dann aus, wenn es darum geht, ob eine fehlerhaft unterlassene
Gewinnerhöhung in einem späteren Veranlagungszeitraum
nachgeholt werden kann (vgl. Schreiber in Blümich, a.a.O.,
§ 5 EStG Rz 745), und einen solchen Sachverhalt hatte der
VIII. Senat nicht zu beurteilen. Einer Anfrage nach § 11 Abs.
3 Satz 1 FGO bedarf es daher insoweit nicht.
bbb) Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf
die Rechtsprechung des IV. Senats des BFH, nach der eine
Bilanzänderung auch dann i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG
1997 mit einer Bilanzberichtigung zusammenhängen kann, wenn
sich die gegenläufige Gewinnänderung aus Fehlern bei der
Verbuchung von Entnahmen und Einlagen ergibt (BFH-Urteil vom
31.5.2007 IV R 54/05, BFH/NV 2007, 1973 = SIS 07 31 53). Denn jene
Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken, dass die Verbuchung eines
Vorgangs als Entnahme die Höhe des in der Bilanz ausgewiesenen
Eigenkapitals beeinflusst. Dieser Gedanke kann nicht auf
Sachverhalte übertragen werden, die sich aus steuerrechtlicher
Sicht gänzlich außerhalb der Bilanz vollziehen. Nur um
solche geht es jedoch im Streitfall.