Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird
der Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 11.01.2022 - 12 V
1805/21 = SIS 22 01 65 dahin abgeändert, dass Aussetzung der
Vollziehung der Abrechnungsbescheide vom 27.04.2021 über
Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2016 in Höhe von
... EUR, zur Umsatzsteuer für das zweite Quartal 2016 in
Höhe von ... EUR, zur Umsatzsteuer für das dritte Quartal
2016 in Höhe von ... EUR und zur Umsatzsteuer 2017 in
Höhe von ... EUR gewährt wird; im Übrigen werden die
Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die
Antragstellerin zu 58 % und der Antragsgegner zu 42 % zu
tragen.
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I. Die Beteiligten streiten über die
Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden zur
Umsatzsteuer Mai 2013 sowie 2014 bis 2017 vom 27.04.2021
ausgewiesenen entstandenen und nicht erlassenen
Säumniszuschläge.
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Die Antragstellerin,
Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin)
ist eine GmbH & Co. KG, die ... vermietet.
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3
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Nachdem der Antragsgegner, Beschwerdegegner
und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA - ) am XX.XX.2019 einen
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der Antragstellerin gestellt hatte, beantragte diese
die Erteilung von Abrechnungsbescheiden für alle ab dem
01.01.2010 angefallenen Säumniszuschläge. Die
Säumniszuschläge seien im Hinblick auf den darin
enthaltenen Zinsanteil verfassungswidrig zu hoch. Die
Säumniszuschläge seien auch insoweit zu erlassen, als sie
Druckcharakter hätten. Diesen Zweck könnten die
Säumniszuschläge nicht erreichen, da seit dem XX.XX.2016
keine Zahlungen mehr geleistet wurden und das FA im ... 2019 einen
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt
habe.
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Gegen die am 27.04.2021 erlassenen
Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer Mai 2013 sowie 2014 bis 2017,
in denen das FA die entstandenen und die noch zu verwirklichenden
Säumniszuschläge auswies, legte die Antragstellerin
Einspruch ein, der im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH)
anhängige Revisionsverfahren VII R 55/20 ruht. Das FA lehnte
die im Hinblick auf die Säumniszuschläge begehrte
Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung (AdV) am 14.06.2021 ab.
Hierauf beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) die
AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide.
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Während des finanzgerichtlichen
AdV-Verfahrens erklärte das FA seinen Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens für erledigt und teilte
der Antragstellerin am 30.07.2021 mit, dass der begehrte Teilerlass
der Säumniszuschläge inzwischen verfügt worden
sei.
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6
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Die Antragstellerin begründete ihre
ernstlichen Zweifel mit dem in den Säumniszuschlägen
enthaltenen Zinsanteil und verwies auf die BFH-Beschlüsse vom
26.05.2021 - VII B 13/21 (AdV) (BFH/NV 2022, 209 = SIS 21 21 18)
und vom 10.06.2021 - VII B 54/21 (AdV) (nicht veröffentlicht -
n.v. - ). Der vom FA verfügte Erlass der
Säumniszuschläge betreffe ausschließlich die
Druckfunktion der Säumniszuschläge und berühre nicht
deren Zinsanteil. Im Hinblick auf die beim 5. Senat des FG erhobene
Klage wegen Umsatzsteuer rügte die Antragstellerin die
Unzuständigkeit des 12. Senats des FG.
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Der 12. Senat des FG bejahte hingegen seine
Zuständigkeit und gab dem AdV-Antrag mit seinem in EFG 2022,
297 = SIS 22 01 65 veröffentlichten Beschluss vom 11.01.2022 -
12 V 1805/21 hinsichtlich der hälftigen nach dem 31.12.2018
entstandenen Säumniszuschläge statt; im Übrigen wies
das FG den Antrag mangels ernstlicher Zweifel als unbegründet
zurück. Es begründete seinen Beschluss in der Weise, dass
die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden
ausgewiesenen Säumniszuschläge ernstlich zweifelhaft sei,
soweit sie nach dem 31.12.2018 entstanden seien, weil insoweit die
Höhe des darin enthaltenen Zinsanteils zweifelhaft sei
(FG-Beschluss S. 10, unter II.3.b bb). Soweit die
Säumniszuschläge vor dem 01.01.2019 entstanden seien,
lägen keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit vor (FG-Beschluss S. 11, unter II.3.b
cc).
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Die vom FG zugelassene Beschwerde haben
sowohl die Antragstellerin als auch das FA eingelegt. Das FG hat am
15.02.2022 beschlossen, den jeweiligen Beschwerden nicht
abzuhelfen.
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Die Antragstellerin macht - neben der
Unzuständigkeit des 12. Senats des FG - geltend, die Erhebung
der Säumniszuschläge sei aus verfassungs- und auch aus
europarechtlichen Gründen rechtswidrig:
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Der VII. Senat des BFH habe in mehreren
Beschlüssen bezüglich Säumniszuschlägen, die in
den Jahren 2020 und 2021 entstanden seien, AdV gewährt
(Beschlüsse in BFH/NV 2022, 209 = SIS 21 21 18; vom 31.08.2021
- VII B 69/21 (AdV), n.v.; s.a. nicht veröffentlichter
Beschluss VII B 54/21 (AdV)). In allen Fällen sei AdV
antragsgemäß in Höhe der Hälfte der
Säumniszuschläge (Zinsanteil) gewährt worden, weil
das Gericht nicht über den Antrag habe hinausgehen
dürfen. Aus den Beschlüssen folge, dass die
Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe auf die
Säumniszuschläge
„ausstrahle“.
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Die Verzinsungstatbestände sowie die
Höhe der Säumniszuschläge seien auch aus
europarechtlichen Gründen rechtswidrig. Die
Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten werde durch die
Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität begrenzt,
zudem müssten die Mitgliedstaaten die Grundsätze des
Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit
berücksichtigen. Schließlich sei bei der Umsatzsteuer
der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zu beachten.
Diese Grundsätze seien auch dann anwendbar, wenn es um die
mehrwertsteuerliche Beurteilung von Sanktionen gehe, wie
Säumniszuschläge oder Zinsen. Nach dem Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Farkas vom
26.04.2017 - C-564/15 (EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36) stehe der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einer Regelung
entgegen, der zufolge nach nationalem Recht eine Geldbuße in
Höhe von 50 % des Steuerbetrags verhängt werden
könne. Die nationale Regelung zu den
Säumniszuschlägen entspreche diesem Regelungskonzept
nicht, da Säumniszuschläge auch dann erhoben werden, wenn
die Anforderung der Steuer durch die Finanzbehörde nicht
berechtigt war (§ 240 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung - AO -
). Davon gehe die Antragstellerin im Streitfall aus. Selbst wenn
die Steuern zu Recht festgesetzt worden wären, sei die
konkrete Erhebung nicht vertretbar. Die Erhebung von unangemessen
hohen steuerlichen Säumniszuschlägen sei weder
erforderlich noch angemessen, um die gleichmäßige
Erhebung der Umsatzsteuer sicherzustellen. Im Hinblick darauf, dass
die Zinsen auch im Zeitraum 2013 wirtschaftlich deutlich zu hoch
gewesen seien, bestünden Zweifel, ob die vom
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bejahte
Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers auch auf Basis
der europarechtlichen Regelungen bestehe. AdV sei daher auch
für den Zeitraum 2013 und somit insgesamt in voller Höhe
zu gewähren.
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Der Spezialsenat für Umsatzsteuer (5.
Senat) und nicht der „Bezirkssenat“ sei
für die Entscheidung über ihren AdV-Antrag zuständig
gewesen, sodass ein Verstoß gegen ihren Anspruch auf
Entscheidung durch den gesetzlichen Richter vorliege. Da nicht nur
verfassungsrechtliche, sondern auch europarechtliche Zweifel an den
Säumniszuschlägen bestünden, liege eine
Sachnähe zur Zuständigkeit des Umsatzsteuersenats
vor.
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Die Antragstellerin beantragt
sinngemäß,
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die Vollziehung der verwirkten
Säumniszuschläge in voller Höhe auszusetzen und die
Beschwerde des FA zurückzuweisen.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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den Beschluss des FG vom 11.01.2022 - 12 V
1805/21 aufzuheben und den Antrag auf AdV insgesamt abzulehnen,
sowie die Beschwerde der Antragstellerin
zurückzuweisen.
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AdV sei bereits wegen Fehlens des
besonderen Aussetzungsinteresses abzulehnen. Das Interesse der
Allgemeinheit am Vollzug des Gesetzes überwiege das
Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (BFH-Beschluss vom
01.04.2010 - II B 168/09 (BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 588 = SIS 10 08 14). Deren Interesse gehe nicht über eine reine
Zahlungssuspendierung hinaus, während die Gewährung der
AdV zur faktischen Nichtanwendung des § 240 AO führen
würde. Im Rahmen der gebotenen Abwägung sei zulasten
einer AdV-Gewährung auch zu berücksichtigen, dass mit den
Säumniszuschlägen unterschiedliche Zweckrichtungen
verfolgt würden und der streitgegenständliche
Zinscharakter lediglich einen untergeordneten Zweck der
Säumniszuschläge einnehme.
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An der Verfassungsmäßigkeit des
§ 240 AO bestünden keine ernstlichen Zweifel. Die
Ausführungen des BVerfG in den Beschlüssen vom 08.07.2021
- 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23)
beträfen lediglich die Vollverzinsungstatbestände des
§ 233a i.V.m. § 238 AO. Zweifelhaft erscheine bereits die
Erstreckung auf die anderen Verzinsungstatbestände der AO.
Jedenfalls könnten die vom BVerfG entwickelten
Rechtsgrundsätze nicht auf Säumniszuschläge
übertragen werden, weil sich der Normzweck des § 240 AO
eklatant von dem des § 233a AO unterscheide.
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Ein Verstoß des § 240 AO gegen
Unionsrecht scheide bereits deswegen aus, weil es sich bei den
Säumniszuschlägen um steuerliche Nebenleistungen handele
und diese keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter hätten
(BFH-Urteil vom 28.11.2002 - V R 54/00, BFHE 200, 38, BStBl II,
2003, 175 = SIS 03 10 94, sowie BFH-Beschluss vom 11.05.2020 - V B
76/18, BFH/NV 2020, 1047 = SIS 20 12 81 zu
Nachzahlungszinsen).
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Abgesehen davon berühre die Verwirkung
von Säumniszuschlägen nicht die Grundsätze der
Äquivalenz und der Effektivität. Die pauschale Erhebung
von Säumniszuschlägen verstoße auch nicht gegen den
unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da
eine Individualisierungsmöglichkeit der Sanktion nach den
konkreten Umständen des Einzelfalls (Höhe der
rückständigen Steuer, konkreter Zeitraum der
Säumnis) bestehe. Außerdem sei auf Antrag des
Steuerpflichtigen eine Billigkeitsprüfung im Rahmen eines
Erlassantrags nach § 227 AO möglich. Das
grundsätzlich zweistufige Verfahren (Anfall der
Säumniszuschläge kraft Gesetzes und
Einzelfallprüfung im Erlassverfahren) finde auch bei
Umsatzsteuerforderungen Anwendung und sei damit mit Unionsrecht
vereinbar (BFH-Beschluss vom 14.04.2020 - VII B 53/19, BFH/NV 2021,
177 = SIS 20 19 00).
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19
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II. Die Beschwerden sind zulässig, aber
nur die der Antragstellerin (teilweise) begründet. Die
Beschwerde der Antragstellerin ist insoweit begründet, als AdV
hinsichtlich der nach dem 31.12.2018 entstandenen
Säumniszuschläge, soweit sie nicht erlassen sind, in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu gewähren ist. Der
Beschluss des FG, das die AdV auf die hälftigen nach dem
31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge beschränkt
hat, ist entsprechend zu ändern. Im Übrigen ist die
Beschwerde der Antragstellerin auf AdV der gesamten entstandenen
und nicht erlassenen Säumniszuschläge ebenso
unbegründet wie die des FA auf Ablehnung der vom FG
gewährten AdV.
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1. Die Beschwerde der Antragstellerin und die
des FA sind zulässig.
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a) Das FG hat die Beschwerde zum BFH
zugelassen und den eingelegten Beschwerden mit Beschluss vom
15.02.2022 nicht abgeholfen. Beide Beschwerden wurden auch
fristgemäß innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des §
129 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt.
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b) Entgegen der Ansicht des FA scheitert die
Zulässigkeit des Aussetzungsantrags der Antragstellerin nicht
am fehlenden (besonderen) Aussetzungsinteresse.
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23
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aa) Nach der Rechtsprechung des BFH
(Beschlüsse vom 10.02.1984 - III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl
II 1984, 454 = SIS 84 04 01; vom 01.04.2010 - II B 168/09, BFHE
228, 149, BStBl II 2010, 558 = SIS 10 08 14; vom 09.03.2012 - VII B
171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418 = SIS 12 07 39, sowie vom
15.04.2014 - II B 71/13, BFH/NV 2015, 7 = SIS 14 32 49) ist bei
ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines
formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zwar
grundsätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der AdV
erforderlich.
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24
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Ob an dieser Rechtsprechung weiter
festzuhalten ist, wird jedoch von mehreren Senaten des BFH offen
gelassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 02.08.2007 - IX B 92/07,
BFH/NV 2007, 2270 = SIS 08 00 95; vom 25.08.2009 - VI B 69/09, BFHE
226, 85, BStBl II 2009, 826 = SIS 09 28 98; vom 09.05.2012 - I B
18/12, BFH/NV 2012, 1489 = SIS 12 21 91). Ebenso hat das BVerfG es
zuletzt offengelassen, ob das Erfordernis eines besonderen
Aussetzungsinteresses mit dem Grundsatz der Gewährung
effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist (vgl.
BVerfG-Beschlüsse vom 24.10.2011 - 1 BvR 1848/11, 1 BvR
2162/11, NJW 2012, 372 = SIS 12 07 62, Rz 4, und vom 06.05.2013 - 1
BvR 821/13, HFR 2013, 639 = SIS 13 24 82, Rz 7).
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25
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bb) Im Streitfall bedarf es keiner
Entscheidung darüber, ob an der o.g. Rechtsprechung zum
besonderen Aussetzungsinteresse weiter festzuhalten ist. Denn
jedenfalls dann, wenn es um die Vereinbarkeit einzelner
Steuerrechtsnormen mit Unionsrecht geht, ist nach der
Rechtsprechung des BFH kein besonderes Aussetzungsinteresse
erforderlich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30.11.2000 - V B 187/00,
BFH/NV 2001, 657 = SIS 01 64 97, sowie vom 12.12.2013 - XI B 88/13,
BFH/NV 2014, 550 = SIS 14 07 34). Da es im Streitfall auch um die
Vereinbarkeit des § 240 AO mit unionsrechtlichen
Rechtsgrundsätzen geht, kommt es somit auf das Vorliegen eines
besonderen Aussetzungsinteresses nicht an.
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2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist nur
insoweit begründet, als AdV hinsichtlich der nach dem
31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge, soweit sie
nicht erlassen sind, in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu
gewähren ist. Der Beschluss des FG, das die AdV auf die
hälftigen nach dem 31.12.2018 entstandenen
Säumniszuschläge beschränkt hat, ist entsprechend zu
ändern. Im Übrigen ist die Beschwerde der Antragstellerin
auf AdV der gesamten entstandenen und nicht erlassenen
Säumniszuschläge und die des FA auf Ablehnung der vom FG
gewährten AdV unbegründet und insoweit
zurückzuweisen.
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Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3
Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den
Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.
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Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2
Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer
Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine
Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige
Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit
in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der
Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken
(ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom
30.03.2021 - V B 63/20 (AdV), BFH/NV 2021, 1212 = SIS 21 12 83, und
vom 08.04.2009 - I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437 = SIS 09 26 67). Die
Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren
gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der
sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl.
BFH-Beschluss vom 07.09.2011 - I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II
2012, 590 = SIS 11 37 51, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der
AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die
Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer
Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE
235, 215, BStBl II 2012, 590 = SIS 11 37 51, Rz 12). Ernstliche
Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich
einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein
(vgl. BFH-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, BFH/NV 2019,
1060 = SIS 19 12 30, Rz 12) oder sich aus einem möglichen
Verstoß des Steuergesetzes gegen eine unionsrechtliche
Bestimmung ergeben (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 550 = SIS 14 07 34, Rz 15).
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29
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a) Von diesen Grundsätzen ausgehend ist
die Beschwerde der Antragstellerin auf AdV sämtlicher
entstandenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge
teilweise begründet. Es bestehen nur insoweit ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nach dem 31.12.2018
verwirkten Säumniszuschläge, als das FG in seinem
Beschluss in EFG 2022, 297 = SIS 22 01 65 in seinem Tenor - anders
als in seiner Begründung - die AdV auf die hälftigen nach
dem 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge
beschränkt und zudem insoweit den Teilerlass nicht hinreichend
berücksichtigt hat:
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aa) Verfassungsrechtliche Zweifel an der
Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich insbesondere
nicht im Hinblick auf den BFH-Beschluss in BFH/NV 2022, 209 = SIS 21 21 18. Darin hat der VII. Senat des BFH zwar erhebliche
verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der
Säumniszuschläge bereits für die Jahre ab 2012
geäußert. Dieser Beschluss ist jedoch nach Ansicht des
Senats durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23, jedenfalls bei summarischer Prüfung überholt,
wonach die Vollverzinsung von Steueransprüchen nach §
233a AO trotz Verfassungswidrigkeit erst ab dem Verzinsungszeitraum
2019 unanwendbar ist.
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bb) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin
folgen ernstliche Zweifel auch nicht aus dem Unionsrecht. Das
Unionsrecht enthält keinerlei Normen zu steuerlichen
Nebenleistungen i.S. des § 3 Abs. 4 AO. Diese gehören zum
Verfahrensrecht, für das der Grundsatz der Autonomie der
Mitgliedstaaten gilt (vgl. hierzu EuGH-Urteile SC Cridar Cons vom
24.02.2022 - C-582/20, EU:C:2022:114 = SIS 22 03 44, Rz 42; Farkas,
EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 52, und Reemtsma
Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 - C-35/05, EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88, Rz 40). Danach legen die Mitgliedstaaten die
verfahrensrechtlichen Bestimmungen und Abläufe
grundsätzlich autonom fest (EuGH-Urteile Enel Maritsa Iztok 3
vom 12.05.2011 - C-107/10, EU:C:2011:298 = SIS 11 16 24, Rz 29;
Test Claimants in the Franked Investment Income Group Litigation
vom 12.12.2013 - C-362/12, EU:C:2013:834 = SIS 14 00 63, Rz 31,
sowie Farkas, EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 52, m.w.N.).
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cc) Die Verfahrensautonomie der
Mitgliedstaaten wird jedoch durch die zum Unionsrecht
gehörenden Grundsätze der Äquivalenz und
Effektivität begrenzt (EuGH-Urteile SC Cridar Cons,
EU:C:2022:114 = SIS 22 03 44, Rz 43 und 44, sowie Enel Maritsa
Iztok 3, EU:C:2011:298 = SIS 11 16 24, Rz 29). Außerdem
müssen die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von
Unionsregelungen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit berücksichtigen
(EuGH-Urteile Grupa Warzywna vom 15.04.2021 - C-935/19,
EU:C:2021:287 = SIS 21 06 01, Rz 26; Rçdlihs vom 19.07.2012
- C-263/11, EU:C:2012:497 = SIS 12 24 97, Rz 44, und Farkas,
EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Leitsatz 3 und Rz 59) und auch den
Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer beachten
(EuGH-Urteile INSS vom 12.05.2021 - C-844/19, EU:C:2021:378 = SIS 21 08 32, Rz 37; Rusedespred vom 11.04.2013 - C-138/12,
EU:C:2013:233 = SIS 13 11 62, Rz 36 ff., 39, sowie Rodopi-M 91 vom
20.06.2013 - C-259/12, EU:C:2013:414 = SIS 13 24 79, Rz 32).
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33
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Entgegen der Ansicht der Antragstellerin
bestehen jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen
Prüfung keine ernstlichen Zweifel an einem Verstoß des
§ 240 AO gegen die o.g. unionsrechtlichen Grundsätze:
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(1) Nach dem Äquivalenzgrundsatz
dürfen die verfahrensrechtlichen Modalitäten nicht
ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen nationalen
Sachverhalten gelten (EuGH-Urteil SC Cridar Cons, EU:C:2022:114 =
SIS 22 03 44, Rz 42; BFH-Urteile vom 26.08.2021 - V R 13/20, BFHE
273, 364 = SIS 21 15 89, Rz 21, sowie vom 28.08.2014 - V R 8/14,
BFHE 247, 21, BStBl II 2015, 3 = SIS 14 28 06, Rz 14 f.). Diese
verfahrensrechtliche Ausprägung der Nichtdiskriminierung wird
offensichtlich nicht verletzt, da Säumniszuschläge in
gleicher Höhe und ohne Rücksicht darauf anfallen, ob die
fällige Steuerschuld auf nationalem Recht oder auf Unionsrecht
beruht.
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35
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(2) Es ist auch weder dargelegt noch für
den Senat ersichtlich, dass die Verwirkung von
Säumniszuschlägen auf der Grundlage des § 240 AO die
Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte
praktisch unmöglich macht oder übermäßigt
erschwert (Effektivitätsgrundsatz).
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(3) Zu Sanktionen wegen Nichtbeachtung von
Steuervorschriften ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung, dass
die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Sanktionen wählen
können, die ihnen sachgerecht erscheinen (EuGH-Urteil Farkas,
EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 59). Derartige Sanktionen
dürfen aber nicht über das hinausgehen, was zur
Erreichung der Ziele erforderlich ist, die genaue Erhebung der
Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Bei
der Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, sind u.a. die
Art und die Schwere des Verstoßes, der mit dieser Sanktion
geahndet werden soll, sowie die Methoden für die Bestimmung
der Höhe dieser Sanktion zu berücksichtigen (EuGH-Urteil
Farkas, EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 60).
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37
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(a) Einen Verstoß gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat der EuGH bejaht,
wenn die nationalen Steuerbehörden gegen einen
Steuerpflichtigen, der einen Gegenstand erworben hat, dessen
Lieferung dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegt, eine
Geldbuße in Höhe von 50 % des von ihm an die
Steuerverwaltung zu entrichtenden Mehrwertsteuerbetrags
verhängen, sofern der Steuerverwaltung keine Steuereinnahmen
entgangen sind und keine Anhaltspunkte für eine
Steuerhinterziehung vorliegen (EuGH-Urteil Farkas, EU:C:2017:302 =
SIS 17 08 36, Leitsatz 3). Ebenso hat der EuGH im Urteil Grupa
Warzywna, EU:C:2021:287 = SIS 21 06 01 eine Sanktion von 20 % des
Betrags, um den der Betrag des Mehrwertsteuerüberschusses zu
hoch angesetzt wurde, als unverhältnismäßig
beurteilt, weil die Steuerbehörden aufgrund der
Modalitäten der Festsetzung die Höhe der Sanktion nicht
den konkreten Umständen des Einzelfalls anpassen konnten
(EuGH-Urteil Grupa Warzywna, EU:C:2021:287 = SIS 21 06 01, Rz 34
und 35). Diesen Gesichtspunkt der antragsgemäßen
Herabsetzung oder des Erlasses der Sanktion bei Vorliegen
besonderer Umstände hat der EuGH auch im Urteil Farkas unter
Hinweis auf die Ausführungen des Generalanwalts Bobek in Rz 63
seiner Schlussanträge vom 10.11.2016 (EU:C:2016:864) als
maßgebend dafür erachtet, dass eine Sanktion nicht
über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels erforderlich
ist, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und
Steuerhinterziehungen zu vermeiden (EuGH-Urteil Farkas,
EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 63 und 64).
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(b) Danach verstößt die Regelung
des § 240 AO jedenfalls im Kontext mit § 227 AO nicht
gegen das unionsrechtliche
Verhältnismäßigkeitsprinzip.
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(aa) Eine Sanktion von 1 % je Monat des
fälligen Steuerbetrags (Säumniszuschlag) ist geeignet,
die Steuerpflichtigen zur möglichst raschen Begleichung von
Steuerrückständen zu veranlassen und somit das Ziel zu
erreichen, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen. Diese
Sanktion geht auch nicht über das zur Erreichung dieses Ziels
Erforderliche hinaus. Zwar werden Säumniszuschläge
automatisch bei Nichtzahlung der fälligen Steuerschuld
verwirkt, deren Einziehung kann aber „nach Lage des
einzelnen Falls“ aus sachlichen oder
persönlichen Gründen unbillig sein, sodass ein Erlass in
Betracht kommt (§ 227 AO). Persönliche
Billigkeitsgründe liegen beispielsweise vor bei einer
unverschuldeten finanziellen Notlage (BFH-Urteil vom 27.09.2001 - X
R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176, 179 = SIS 02 04 81;
vgl. allgemein zu persönlichen Billigkeitsgründen Loose
in Tipke/Kruse, § 227 AO Rz 86 ff.), sachliche
Billigkeitsgründe liegen vor, wenn nach dem erklärten
oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers die Einziehung der
Säumniszuschläge den Wertungen des Gesetzgebers
widerspricht (vgl. Loose in Tipke/Kruse, § 227 AO Rz 40 ff.).
Dabei kann es bei Vorliegen zusätzlicher persönlicher
oder sachlicher Billigkeitsgründe gerechtfertigt sein, die
gesamten Säumniszuschläge zu erlassen (BFH-Urteil vom
30.03.2006 - V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612 = SIS 06 23 05). Dieses zweistufige Verfahren berücksichtigt die Art und
Schwere eines Verstoßes hinreichend und ist daher auch
unionsrechtskonform (so auch Heuermann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 240 AO Rz 19,
m.w.N.).
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(bb) Soweit die Antragstellerin behauptet, die
nationale Regelung sei bereits deswegen unionsrechtswidrig, weil
Säumniszuschläge gemäß § 240 Abs. 1 Satz
4 AO auch dann weiterhin erhoben werden, wenn die Steuerfestsetzung
später herabgesetzt wird, hat sie in keiner Weise dargelegt,
dass dies auf die Steuerforderung gegen die Antragstellerin
zutreffen könnte.
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(4) Ein Verstoß gegen das
Neutralitätsprinzip ist nicht ersichtlich. Wie der Senat
bereits entschieden hat, gilt der Grundsatz der
Belastungsneutralität für die Umsatzsteuer, nicht aber
für steuerliche Nebenleistungen wie beispielsweise Zinsen.
Denn Zinsen zur Umsatzsteuer haben keinen
umsatzsteuerähnlichen Charakter i.S. von Art. 33 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern (BFH-Urteil in BFHE 200, 38, BStBl II 2003, 175 = SIS 03 10 94, Rz 20) bzw. i.S. von Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG
des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem (BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 1047 = SIS 20 12 81, Rz 6). Dasselbe gilt für Säumniszuschläge als
steuerliche Nebenleistungen i.S. von § 3 Abs. 4 AO.
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dd) Der Höhe nach ist im tenorierten
Umfang infolge der verfassungsrechtlichen Zweifel (s. unter II.2.a
aa) hinsichtlich der nach dem 31.12.2018 entstandenen und insoweit
noch nicht erlassenen Säumniszuschläge AdV zu
gewähren. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die im
FG-Beschluss ausgeführten Beträge derjenigen
Säumniszuschläge, die in den Abrechnungsbescheiden
ausgewiesen sind, die erlassen wurden und die nach dem 31.12.2018
entstanden sind.
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b) Die Beschwerde des FA ist unbegründet.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Säumniszuschläge bestehen insoweit, als die Vollziehung
für die nach dem 31.12.2018 verwirkten
Säumniszuschläge auszusetzen ist.
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aa) Das FG ist insoweit zu Recht vom Beschluss
des BVerfG in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23 ausgegangen. Danach
verstößt § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO
gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und ist daher
verfassungswidrig, soweit er auf Verzinsungszeiträume ab dem
01.01.2014 zur Anwendung gelangt. Aufgrund einer
Fortgeltungsanordnung für die Verzinsungszeiträume bis
zum 31.12.2018 ist der Zinssatz von 6 % p.a. allerdings erst
für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 nicht mehr
anwendbar.
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Das BVerfG hat zwar in seinem Beschluss in
BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23 festgestellt, dass andere
Verzinsungstatbestände der AO einer eigenständigen
verfassungsrechtlichen Wertung bedürften (BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23, Rz 241 f.). Nachdem der VII. Senat
des BFH jedoch bereits vor der Entscheidung des BVerfG (Beschluss
in BFH/NV 2021, 177 = SIS 20 19 00, Rz 3; BFH-Urteil vom 30.06.2020
- VII R 63/18, BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191 = SIS 20 19 13, Rz
23) ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der
gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge
geäußert hatte, hat er diese Zweifel im Anschluss an die
Entscheidung des BVerfG mit Beschluss vom 31.08.2021 - VII B 69/21
(AdV) (n.V.) aufrecht erhalten, soweit Säumniszuschlägen
nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern sie die
Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das
Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern haben
(zinsähnliche Funktion). Soweit nach dem Beschluss des BVerfG
hinsichtlich anderer Verzinsungstatbestände zu
berücksichtigen sei, dass Steuerpflichtige im Bereich der
Teilverzinsungstatbestände grundsätzlich die Wahl
hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen oder ob sie
die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen
Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu
günstigeren Konditionen beschafften (BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23, Rz 243), müsse im
Hauptsacheverfahren geklärt werden, welche Bedeutung diesen
Überlegungen in Bezug auf die Frage nach der
Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO zukomme.
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Der Senat schließt sich dem an und teilt
daher insoweit die ernstlichen Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO. Denn es ist in
Rechtsprechung und überwiegend auch im Schrifttum anerkannt,
dass Säumniszuschlägen auch die Funktion einer
Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger
Steuern zukommt (BFH-Urteile vom 24.04.2014 - V R 52/13, BFHE 245,
105, BStBl II 2015, 106 = SIS 14 19 39, Rz 13; in BFHE 212, 23,
BStBl II 2006, 612 = SIS 06 23 05, und vom 09.07.2003 - V R 57/02,
BFHE 203, 8, BStBl II 2003, 901 = SIS 03 45 46; Heuermann in HHSp,
§ 240 AO Rz 13; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 240
Rz 1; Koenig/ Koenig, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 240 Rz
3).
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bb) Da die gesetzlich festgelegte Höhe
der Säumniszuschläge nur insgesamt
verfassungsgemäß oder -widrig sein kann, weil es keine
Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer
Norm gibt, erfassen die ernstlichen Zweifel die gesamte Höhe
der Säumniszuschläge (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2019,
1060 = SIS 19 12 30, Rz 16 zu ernstlichen Zweifeln bei
Aussetzungszinsen).
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48
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cc) Das Beschwerdeverfahren gegen die AdV der
angefochtenen Abrechnungsbescheide ist nicht geeignet, diese
Rechtsfragen endgültig zu klären. Die Entscheidung muss
dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (vgl. dazu
BFH-Beschlüsse vom 24.02.2000 - IV B 83/99, BFHE 191, 304,
BStBl II 2000, 298 = SIS 00 06 74; vom 30.10.2007 - V B 170/07,
BFH/NV 2008, 627 = SIS 08 14 56; vom 08.08.2011 - XI B 39/11,
BFH/NV 2011, 2106 = SIS 11 36 87, jeweils m.w.N.).
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c) Eine über den tenorierten Umfang
hinausgehende AdV ist auch nicht im Hinblick auf das Vorliegen
einer unbilligen Härte veranlasst. Die Antragstellerin hat
weder Tatsachen vorgebracht, aus denen sich das Vorliegen einer
unbilligen Härte ergeben könnte noch sind derartige
Tatsachen für den Senat ersichtlich. Abgesehen davon kommt
eine AdV wegen unbilliger Härte mangels ernstlicher Zweifel an
der Rechtmäßigkeit nicht in Betracht (vgl. hierzu
BFH-Beschlüsse vom 02.11.2004 - XI S 15/04, BFH/NV 2005, 490 =
SIS 05 15 56, unter II.3.; vom 26.10.2011 - I S 7/11, BFH/NV 2012,
583 = SIS 12 06 77, Rz 11, sowie vom 19.02.2018 - II B 75/16,
BFH/NV 2018, 706 = SIS 18 06 94, Rz 53).
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3. Der Beschluss des FG ist entgegen der
Auffassung der Antragstellerin auch nicht wegen einer fehlenden
Zuständigkeit des 12. Senats des FG aufzuheben und deswegen an
das FG zurückzuverweisen. Der insoweit von der Antragstellerin
gerügte Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen
Richters (§ 119 Nr. 1 FGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegt
nicht vor.
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51
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a) Ein Verstoß gegen den gerichtlichen
Geschäftsverteilungsplan führt nur dann zu einem
Verfahrensfehler, wenn er sich zugleich als Verletzung des
verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art.
101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt (BFH-Beschluss vom 12.05.2021 - IX
B 72/20, BFH/NV 2021, 1080 = SIS 21 09 84, Rz 3, m.w.N.). Dies ist
allein bei willkürlichen Verstößen gegen diese
Verfahrensvorschriften der Fall. Von Willkür kann nur dann die
Rede sein, wenn die Entscheidung sich so weit von dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt
hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.02.2014 - I B
14/13, BFH/NV 2014, 880 = SIS 14 13 40, Rz 4; vom 13.01.2016 - IX B 94/15, BFH/NV 2016, 581 =
SIS 16 05 12, Rz 5; Brandis in
Tipke/Kruse, § 4 FGO Rz 26, m.w.N.; Gräber/ Ratschow,
Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 310, h ABC
Verfahrensmängel unter Stichwort
„Geschäftsverteilungsplan“,
sowie Gräber/Herbert, a.a.O., § 4 Rz 27, m.w.N.).
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52
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b) Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze liegt im Streitfall kein Verfahrensfehler in
Gestalt eines Verstoßes gegen den gerichtlichen
Geschäftsverteilungsplan vor. Der 12. Senat des FG hat nach
dem im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geltenden
Geschäftsverteilungsplan als sog. Bezirkssenat
willkürfrei seine Zuständigkeit für die Entscheidung
über die Rechtmäßigkeit der verwirkten
Säumniszuschläge bejaht. Das FG hat seine
Zuständigkeit für den Rechtsstreit nachvollziehbar damit
begründet, dass die Bezirkszuständigkeit nach dem
geltenden Geschäftsverteilungsplan auch Verfahren aus dem
Bereich des allgemeinen Abgabenrechts umfasst, sofern keine
Spezialzuständigkeit (B.II. des
Geschäftsverteilungsplanes) eingreift. Eine
Spezialzuständigkeit des Umsatzsteuersenats scheide aus,
obwohl es sich bei den Säumniszuschlägen um steuerliche
Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 Nr. 5 AO) handelt. Denn ein
Sachzusammenhang mit einem weiteren Klagegegenstand aus der
Spezialzuständigkeit des 5. Senats besteht nicht, da es in
diesem Verfahren allein um Verfassungsmäßigkeit der
Höhe der Säumniszuschläge geht. Dass beim 5. Senat
eine Klage wegen Umsatzsteuer eingereicht wurde, begründet
keine Zuständigkeit auch für die Entscheidung über
die Rechtmäßigkeit der verwirkten
Säumniszuschläge.
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53
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
136 Abs. 1 FGO und berücksichtigt, dass die Antragstellerin
AdV der gesamten verbliebenen Säumniszuschläge (... EUR)
beantragt, sie aber nur hinsichtlich der nach dem 31.12.2018
verwirkten Säumniszuschläge (... EUR) Erfolg hat.
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