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I. Nach der von der Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH,
durchgeführten Steuerberechnung für das Streitjahr 2003
ergab sich zu ihren Gunsten ein Vergütungsanspruch. Am
31.12.2010 ging um 23:07 Uhr per Telefax das Deckblatt einer vom
Geschäftsführer der Klägerin unterschriebenen
Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein, mit dem sie den von ihr
berechneten Vergütungsanspruch im Regelbesteuerungsverfahren
geltend machte. Am gleichen Tag wurde in den Nachtbriefkasten des
örtlichen Gerichtszentrums die
Umsatzsteuerjahreserklärung eingeworfen. Die
Umsatzsteuerjahreserklärung lag dem FA am 5.1.2011
vor.
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Am 2.5.2011 reichte die Klägerin eine
geänderte Umsatzsteuerjahreserklärung ein, aus der sich
ein erhöhter Vergütungsanspruch ergab.
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Am 2.12.2011 erließ das FA einen
Umsatzsteuerjahresbescheid, mit dem es eine Steuervergütung
von 625,05 EUR festsetzte. Hiergegen legte die Klägerin
Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren drohte das FA eine
Verböserung an.
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Am 13.12.2012 erhob die Klägerin
Untätigkeitsklage. Während des finanzgerichtlichen
Verfahrens erging die Einspruchsentscheidung vom 19.12.2012, mit
der das FA den Einspruch als unbegründet zurückwies und
zugleich den Umsatzsteuerbescheid vom 2.12.2011 aufhob, da dieser
erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen
sei.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
den in EFG 2014, 806 = SIS 14 10 13 veröffentlichtem Urteil
als unbegründet ab. Die reguläre Festsetzungsfrist
für das Streitjahr sei am 31.12.2010 abgelaufen. Zuvor habe
die Klägerin keinen ablaufhemmenden Antrag nach § 171
Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) gestellt. Selbst wenn davon
auszugehen sei, dass der Nachtbriefkasten des Justizzentrums auch
als Nachtbriefkasten des FA anzusehen sei, liege nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der
Abgabe einer Umsatzsteuererklärung kein ablaufhemmender
Antrag.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer Revision. Unter Berücksichtigung der zur Richtlinie des
Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
2006/112/EG (MwStSystRL) ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Union (EuGH) seien die Grundsätze der
Äquivalenz und der Effektivität zu beachten. Das FA
müsse eine rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist
eingegangene Steuererklärung bearbeiten. Lasse das FA eine
eingereichte Steuererklärung unbearbeitet, bis
Festsetzungsverjährung eingetreten sei, verweigere es das
europarechtlich gewährleistete Recht auf Vorsteuerabzug.
Dieses werde bereits mit Einreichen der Steuererklärung
ausgeübt, ohne dass es auf eine behördeninterne
Bearbeitung ankomme. Beschränkungen des Rechts auf
Vorsteuerabzug seien an einem strengen
Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu messen. Es sei
nicht erforderlich, materiell unrichtige Ergebnisse durch eine enge
Auslegung von § 171 Abs. 3 AO zu erzielen. Der Eintritt der
Festsetzungsverjährung sei nur erforderlich, wenn der
Steuerpflichtige bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist nichts
unternommen habe. Das FG habe auch die Sachaufklärungspflicht
und damit § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt, da es
den Eingang des Begleitschreibens als verjährungshemmenden
Vorgang nicht geprüft habe. Eine Vorlage an den EuGH sei
notwendig.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids
2003 vom 2.12.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
19.12.2012 die Umsatzsteuer auf ./. 8.582 EUR festzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Wie das FG zutreffend entschieden hat und zwischen den
Parteien nicht streitig ist, trat mit Ablauf des 31.12.2010
für das Streitjahr Festsetzungsverjährung ein, soweit
keine Hemmung nach § 171 Abs. 3 AO vorliegt. Eine
verjährungshemmende Wirkung nach dieser Vorschrift hat das FG
zu Recht verneint.
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1. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist
außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag
auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer
Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO
gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist gemäß
§ 171 Abs. 3 AO insoweit nicht ab, bevor über den Antrag
unanfechtbar entschieden worden ist. Nach der ständigen
BFH-Rechtsprechung ist die Abgabe einer Steuererklärung auch
dann kein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO, wenn sie zu einer
Erstattung führen soll (BFH-Urteile vom 11.5.1995 V R 136/93,
BFH/NV 1996, 1, unter II.1.b aa, und vom 18.2.2009 V R 82/07, BFHE
225, 198, BStBl II 2009, 876 = SIS 09 16 37, unter II.4.b bb). Dies
gilt auch, wenn die Erklärung zusammen mit einem
Begleitschreiben eingereicht wird (BFH-Urteil vom 15.5.2013 IX R
5/11, BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143 = SIS 13 23 19, unter
II.2.b). In seinem Urteil vom 18.6.1991 VIII R 54/89 (BFHE 165,
445, BStBl II 1992, 124 = SIS 92 02 48) hat der BFH dies damit
begründet, dass als „Antrag“ i.S. von
§ 171 Abs. 3 AO nur solche Willensbekundungen zu verstehen
sind, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden
außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen
Verwaltungshandelns auslösen sollen. Die Abgabe von gesetzlich
vorgeschriebenen Steuererklärungen gehört hierzu nicht.
Denn damit erfüllt der Steuerpflichtige seine allgemeine
Mitwirkungspflicht. Zudem würde, wäre eine
Steuererklärung auch als „Antrag“ i.S. des
§ 171 Abs. 3 AO anzusehen, die zu einer Bevorzugung des
pflichtwidrig handelnden gegenüber dem gesetzestreuen
Bürger führen (BFH-Urteil in BFHE 241, 310, BStBl II
2014, 143 = SIS 13 23 19, Rz 21, m.w.N.).
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2. Diese Rechtsprechung steht nicht im
Widerspruch zum Unionsrecht.
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a) Die MwStSystRL enthält zur
Festsetzungsverjährung keine eigenständigen Regelungen,
so dass insoweit die Regelungshoheit der Mitgliedstaaten
fortbesteht.
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b) Die Ausgestaltung der nationalen Regelung
verstößt nicht gegen allgemeine Rechtsgrundsätze
des Unionsrechts.
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aa) Es liegt kein Verstoß gegen den
Äquivalenzgrundsatz vor.
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Die streitige nationale Regelung gilt
nämlich in gleicher Weise für Rechtsbehelfe, die auf die
Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für
solche, für die es auf das innerstaatliche Recht ankommt (vgl.
EuGH-Urteil vom 19.7.2012, C-591/10, Littlewoods Retail, UR 2012,
772 = SIS 12 25 02, Rdnr. 31). Dem Äquivalenzprinzip wird
genügt, wenn z.B. für Steuerbescheide dieselben
Änderungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der sich aus dem
nationalen Recht und dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche
bestehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 6.10.2009 C-40/08, Asturcom
Telecomunicationes SL, Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, unter
Rdnrn. 49 f.; BFH-Urteil vom 16.9.2010 V R 57/09, BFHE 230, 504,
BStBl II 2011, 151 = SIS 10 36 65, unter II.5.c bb).
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bb) Das nationale Recht steht auch im Einklang
mit dem Effektivitätsgrundsatz.
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Der EuGH hat entschieden, dass die Festlegung
angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im
Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen
und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar
ist und dass solche Fristen nicht geeignet sind, die Ausübung
der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch
unmöglich zu machen oder übermäßig zu
erschweren (EuGH-Urteil vom 15.12.2011, C-427/10, Banca Antoniana
Popolare Veneta, UR 2012, 184 = SIS 11 39 93, Rdnr. 24). So ist
z.B. eine Ausschlussfrist von zwei Jahren nicht zu beanstanden, da
es diese Frist jedem Steuerpflichtigen grundsätzlich
ermöglicht, die Rechte, die er aus der Unionsrechtsordnung
ableitet, ordnungsgemäß geltend zu machen (EuGH-Urteil
Banca Antoniana Popolare Veneta in UR 2012, 184 = SIS 11 39 93,
Rdnr. 25). Der Grundsatz der Effektivität ist auch dann nicht
verletzt, wenn für die Finanzverwaltung eine günstigere
nationale Verjährungsfrist gilt als für den Einzelnen
(EuGH-Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta in UR 2012, 184 = SIS 11 39 93, Rdnr. 26).
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Danach verstößt die im nationalen
Recht gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO vorgesehene
Festsetzungsfrist von vier Jahren nicht gegen das Unionsrecht. Eine
erweiternde Auslegung von § 171 Abs. 3 AO ist zur Festlegung
angemessener Ausschlussfristen nicht erforderlich.
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3. Im Streitfall hat das FG die Klage danach
zu Recht abgewiesen. Auf die Fragen, ob der Nachtbriefkasten der
örtlichen Justizbehörden auch als Nachtbriefkasten des FA
anzusehen war und ob das Telefax eine vollständige
Übermittlung enthielt, kommt es nicht an.
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4. Das FG hat nicht die
Sachaufklärungspflicht in Bezug auf das Begleitschreiben zur
Steuererklärung verletzt. Denn wie der BFH mit Urteil in BFHE
241, 310, BStBl II 2014, 143 = SIS 13 23 19, unter II.2.b
ausdrücklich entschieden hat, ergibt sich auch hieraus kein
Antrag i.S. von § 171 Abs. 3 AO.
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