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Aussetzung der Vollziehung eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge

Aussetzung der Vollziehung eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge: Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO, soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind (Anschluss an BFH-Beschlüsse vom 23.5.2022 - V B 4/22 (AdV) = SIS 22 12 06, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, und vom 31.8.2021 - VII B 69/21 (AdV), n.v.). - Urt.; BFH 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV); SIS 22 20 30

Kapitel:
Verschiedenes > Säumniszuschlag, Verspätungszuschlag
Fundstellen
  1. BFH 11.11.2022, VIII B 64/22 (AdV) (ECLI:DE:BFH:2022:BA.111122.VIIIB64.22.0)

    Anmerkungen:
    J.H. in StuB 2/2023 S. 104
    M. Neuffer in NWB 51/2022 S. 3626
    B. Rätke in BBK 24/2022 S. 1125
    F. Werth in BFH/PR 3/2023 S. 90
Normen
[AO 1977] § 240 Abs. 1 Satz 1
[FGO] § 69 Abs. 3
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Rheinland-Pfalz 23.11.2023, SIS 23 19 87, Ernstliche Zweifel an der Grundsteuerwertfeststellung im sog. Bundesmodell: 1. Steuerpflichtige können ge...
  • FG Rheinland-Pfalz 23.11.2023, SIS 23 19 88, Ernstliche Zweifel an der Grundsteuerwertfeststellung im sog. Bundesmodell: 1. Steuerpflichtige können ge...
  • FG München 27.10.2023, SIS 24 04 39, Aussetzung der Vollziehung bei negativem Feststellungsbescheid: 1. Wenn die Finanzbehörde den Erlass eine...
  • BFH 22.9.2023, SIS 23 16 33, Aussetzung der Vollziehung eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge: Bei der im Aussetzungsverfah...
  • BFH 13.9.2023, SIS 24 00 27, Zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge: Es bestehen auch nach dem 31.12.2018 keine ernstlichen Zwe...
  • BFH 13.9.2023, SIS 24 00 31, Zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge: Es bestehen in den Jahren 2016 und 2017 keine ernstlichen ...
  • BFH 13.9.2023, SIS 23 17 34, Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen, Zuständigkeit des Präsidiums bei Meinungsverschiedenheiten üb...
  • BFH 23.8.2023, SIS 24 00 42, Festsetzung von Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer, Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Säumniszuschla...
  • FG München 16.8.2023, SIS 23 15 58, Verwaltungsvollstreckung in Forderungen: 1. Die Aufhebung der Vollziehung einer bereits vollzogenen Volls...
  • FG München 3.8.2023, SIS 23 15 56, Ausbeutekalkulation bei Gaststätten: 1. Die Übertragung der ermittelten Werte aus einer Kalkulation für e...
  • FG Hamburg 2.8.2023, SIS 23 16 51, Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen nach § 240 AO: 1. § 240 AO ist für Säumniszuschläge, die in de...
  • Niedersächsisches FG 16.5.2023, SIS 24 05 23, Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge: 1. Ein Verstoß der gesetzlichen Regelung zur Höhe der Säumnisz...
  • BFH 9.3.2023, SIS 23 04 47, AdV-Verfahren, keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge: Bei s...
  • FG Düsseldorf 24.1.2023, SIS 23 05 46, Anwendbarkeit der Rspr. des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen: 1. An der Rechtmäßigk...
  • BFH 18.1.2023, SIS 23 03 01, Vorläufiger Rechtsschutz, Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses bei verfassungsrechtlichen Z...
  • BFH 28.12.2022, SIS 23 09 02, Aussetzung der Vollziehung, Säumniszuschläge: 1. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des...
  • FG Münster 22.12.2022, SIS 23 01 94, Verfassungs- oder Unionsrechtswidrigkeit von Säumniszuschlägen: 1. Die Höhe der Säumniszuschläge begegnet...
  • Niedersächsisches FG 21.12.2022, SIS 23 03 32, Verfassungskonforme Höhe von steuerrechtlichen Säumniszuschlägen: Die Höhe der Säumniszuschläge ist nicht...
  • BFH 15.11.2022, SIS 23 05 18, Zur Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen: Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Sat...
Anmerkung RiBFH Dr. Levedag

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 25.04.2022 - 12 V 570/22 AO = SIS 22 08 33 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

 

1

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden jeweils vom 10.01.2022 ausgewiesenen und nicht erlassenen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 2019, zum Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2019 sowie zur Einkommensteuervorauszahlung für das erste Kalendervierteljahr 2021.

 

 

2

Gegen die Abrechnungsbescheide vom 10.01.2022 legten die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) Einspruch ein und beantragten zugleich die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung (AdV).

 

 

3

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA - ) lehnte die begehrte AdV ab und stellte die gegen die Abrechnungsbescheide erhobenen Einsprüche im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Revisionsverfahren VII R 55/20 ruhend. Hierauf beantragten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) Münster die AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide.

 

 

4

Das FG gab dem Antrag auf AdV mit seinem in EFG 2022, 1083 veröffentlichten Beschluss vom 25.04.2022 - 12 V 570/22 AO = SIS 22 08 33 statt. Es war der Auffassung, die Rechtmäßigkeit der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge sei ernstlich zweifelhaft, soweit die Säumniszuschläge - wie im Streitfall - nach dem 31.12.2018 entstanden seien. Die ernstlichen Zweifel ergäben sich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) daraus, dass auch Säumniszuschlägen nicht nur die Funktion eines Druckmittels, sondern auch die einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin auch eine zinsähnliche Funktion zukomme.

 

 

5

Der hiergegen vom FG zugelassenen Beschwerde des FA hat das FG mit Beschluss vom 06.05.2022 nicht abgeholfen.

 

 

6

Das FA macht mit der Beschwerde geltend, die AdV sei im Streitfall bereits deswegen abzulehnen, weil den Antragstellern das besondere Aussetzungsinteresse fehle. Ein solches besonderes Aussetzungsinteresse sei erforderlich, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes beruhten. Zwar werde auch in diesen Fällen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen der Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse eingeräumt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt habe. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23) zur Höhe der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht auf Säumniszuschläge übertragbar, weil sich der Normzweck des § 240 AO erheblich von dem des § 233a AO unterscheide. Bei Säumniszuschlägen handele es sich nicht in erster Linie um Zinsen, sondern um ein Sanktionsmittel eigener Art.

 

 

7

Das FA beantragt,

 

den Beschluss des FG vom 25.04.2022 - 12 V 570/22 AO aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.

 

 

8

Die Antragsteller beantragen,

 

die Beschwerde des FA zurückzuweisen.

 

 

9

II. Die nach § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet.

 

 

10

Das FG hat die angefochtenen Abrechnungsbescheide zu Recht von der Vollziehung ausgesetzt. Bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 69 FGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Senat der Auffassung, dass an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der nach dem 31.12.2018 verwirkten Säumniszuschläge ernstliche Zweifel bestehen.

 

 

11

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 7 FGO).

 

 

12

Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 30.03.2021 - V B 63/20 (AdV), BFH/NV 2021, 1212 = SIS 21 12 83, und vom 08.04.2009 - I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437 = SIS 09 26 67). Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. BFH-Beschluss vom 15.04.2020 - IV B 9/20 (AdV), BFH/NV 2020, 919 = SIS 20 07 34, m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060 = SIS 19 12 30, m.w.N.).

 

 

13

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG die begehrte AdV der streitgegenständlichen Säumniszuschläge zu Recht gewährt.

 

 

14

a) Das FG ist insoweit zu Recht von dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23 ausgegangen. Danach verstößt § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes und ist daher verfassungswidrig, soweit er auf Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 zur Anwendung gelangt. Aufgrund einer Fortgeltungsanordnung für die Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist der Zinssatz von 6 % p.a. allerdings erst für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 nicht mehr anwendbar.

 

 

15

b) Das BVerfG hat zwar in seinem Beschluss in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23 festgestellt, dass andere Verzinsungstatbestände der AO einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürften (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23, Rz 241 f.). Sowohl der VII. Senat des BFH als auch der V. Senat des BFH haben jedoch auch im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge geäußert, soweit Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern sie die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern haben (zinsähnliche Funktion) (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV), nicht veröffentlicht - n.v. -, unter Hinweis u.a. auf BFH-Beschluss vom 14.04.2020 - VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177 = SIS 20 19 00; BFH-Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030 = SIS 22 12 06). Soweit nach dem Beschluss des BVerfG hinsichtlich anderer Verzinsungstatbestände zu berücksichtigen sei, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafften (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23, Rz 243), müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden, welche Bedeutung diesen Überlegungen in Bezug auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO zukomme.

 

 

16

c) Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und teilt daher bei der gebotenen summarischen Prüfung die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO. Denn es ist in der Rechtsprechung und überwiegend auch im Schrifttum anerkannt, dass Säumniszuschlägen auch die Funktion einer Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zukommt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30.06.2020 - VII R 63/18, BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191 = SIS 20 19 13, Rz 23; vom 17.09.2019 - VII R 31/18, BFHE 266, 113 = SIS 20 00 20, Rz 22, und vom 24.04.2014 - V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106 = SIS 14 19 39, Rz 13; Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 240 Rz 3; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 240 AO Rz 13; Haselmann/Maciejewski, Die Unternehmensbesteuerung 2022, 422, 427 f.; Steck, DStZ 2019, 143, 144 ff.). Der Umstand, dass Säumniszuschläge nicht ausschließlich zinsähnlichen Charakter haben, sondern ihnen auch die Funktion eines Druckmittels zukommt, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung fälliger Steuern anhalten, also verhaltenslenkend wirken, und zugleich entstandenen Verwaltungsaufwand ausgleichen soll, steht der Annahme ernstlicher Zweifel in Bezug auf die Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO nicht entgegen. Vielmehr führt das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO dazu, dass die streitgegenständlichen Säumniszuschläge in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen sind, da es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt (vgl. bereits BFH-Beschluss in BFH/NV 2019, 1060 = SIS 19 12 30, Rz 16 zu ernstlichen Zweifeln bei Aussetzungszinsen; gleicher Ansicht BFH-Beschluss in BFH/NV 2022, 1030 = SIS 22 12 06, Rz 47 zu Säumniszuschlägen).

 

 

17

d) Anders als das FA meint, hat das FG zu Recht auch ein berechtigtes Interesse der Antragsteller an der AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide bejaht. Dabei kann offen bleiben, ob es in den Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm beruhen, eines besonderen Aussetzungsinteresses bedarf (vgl. zum Streitstand BFH-Beschluss in BFH/NV 2022, 1030 = SIS 22 12 06, Rz 22 f., m.w.N.; vgl. auch BVerfG-Beschlüsse vom 24.10.2011 - 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, HFR 2012, 89 = SIS 12 07 62, Rz 4, und vom 06.05.2013 - 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639 = SIS 13 24 82, Rz 7). Jedenfalls im Streitfall fällt die Interessenabwägung zugunsten der Antragsteller aus. Bei dieser Abwägung hat sich der Senat davon leiten lassen, dass die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO von hinreichendem Gewicht sind, zumal die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23) bei der gebotenen summarischen Prüfung auch eine Überprüfung und ggf. Anpassung des in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteils erforderlich erscheinen lässt (vgl. aber Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung, BR-Drucks. 157/22, S. 6). Außerdem ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Gewährung der AdV im Streitfall das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte. Angesichts dessen ist dem Interesse der Antragsteller an einer AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide Vorrang zu geben.

 

 

18

e) Aus der Entscheidung des BVerfG vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22 (BFH/NV 2022, 895) zur Unzulässigkeit einer Richtervorlage hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge nach § 193 Abs. 6 Satz 2 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) folgt für den Streitfall nichts anderes. Das BVerfG hat seine Entscheidung maßgeblich damit begründet, das vorlegende Gericht habe bereits nicht hinreichend i.S. des § 80 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes dargelegt, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sei und inwiefern von der Verfassungswidrigkeit dieser Norm ausgegangen werden könne (BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2022, 895, Rz 20 ff. und 25 ff.). Ein entscheidungstragender Rechtssatz, dass die Grundsätze der Rechtsprechung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen i.S. des § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282 = SIS 21 14 23) in der Sache nicht auf einen in den Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO enthaltenen Zinsanteil zu übertragen seien, kann der Entscheidung nach Auffassung des Senats nicht entnommen werden.

 

 

19

f) Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht i.S. von § 11 Abs. 2 FGO von der Entscheidung des II. Senats des BFH vom 20.09.2022 - II B 3/22 (AdV) - BB 2022, 2389 = SIS 22 17 18 - ab. Zwar hat der II. Senat des BFH dort die Gewährung der AdV eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer mit der Begründung abgelehnt, dass sich im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BVerfG in BFH/NV 2022, 895, Rz 18 ein Gleichlauf der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Höhe von Zinsen nach § 233a AO und von Säumniszuschlägen nach § 240 AO verbiete. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH wegen einer Rechtsfrage im Verfahren der AdV, in dem die Rechtsfrage nicht abschließend zu beantworten ist, kommt jedoch nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 15.04.2010 - IV B 105/09, BFHE 229, 199, BStBl II 2010, 971 = SIS 10 15 04).

 

 

20

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

 

Anmerkung RiBFH Dr. Levedag

Mit diesem Beschluss hat der VIII. Senat eine Beschwerde des Finanzamts gegen einen stattgebenden AdV-Beschluss des FG Münster v. 25.4.2022 – 12 V 570/22 AO = SIS 22 08 33 zu der Frage, ob ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen, soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind, als unbegründet zurückgewiesen. Im Kern begründet der VIII. Senat seine ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifel an der unveränderten Bemessung der Säumniszuschläge nach dem 31.12.2018 damit, dass

 

1.

in der Entscheidung des BVerfG v. 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 = SIS 21 14 23 (BVerfGE 158, S. 282) zur Höhe der Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen nach § 233 a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO die Höhe der Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2018 verfassungsrechtlich beanstandet wurde und

2.

dies auch auf die Säumniszuschläge durchschlägt, weil Säumniszuschlägen nach der langjährigen BFH-Rechtsprechung nicht nur die Funktion eines Druckmittels und Verwaltungskostenausgleichs zukomme, sondern sie maßgeblich auch die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern haben (zinsähnliche Funktion).

 

Die weiteren Zwecke des Säumniszuschlags neben der zinsähnlichen Funktion stünden der Annahme ernstlicher Zweifel in Bezug auf die Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO nicht entgegen. Vielmehr führe – so der VIII. Senat – das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO dazu, dass die streitgegenständlichen Säumniszuschläge in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen seien, da es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gebe. Der VIII. Senat hat dem individuellen Aussetzungsinteresse der Antragsteller den Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung eingeräumt.

 

Meines Erachtens ist dem Beschluss vollumfänglich zuzustimmen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts sind grundsätzlich schon dann anzunehmen, wenn mehrere BFH-Senate eine Rechtsfrage unterschiedlich beurteilt haben (vgl. Gräber/Stapperfend, 9. Aufl., § 69 FGO Rz. 161 m.w.N.). Dies ist der Fall, weil in den BFH-Beschlüssen v. 31.8.2021 - VII B 69/21 (AdV), n.v. (unter Hinweis u.a. auf BFH-Beschluss v. 14.4.2020 – VII B 53/19 = SIS 20 19 00, BFH/NV 2021, S177); vom 23.5.2022 – V B 4/22 (AdV) = SIS 22 12 06, BFH/NV 2022, S. 1030 einerseits und in den BFH-Beschlüssen v. 20.9.2022 – II B 3/22 (AdV) = SIS 22 17 18 und v. 28.10.2022 – VI B 15/22 (AdV) = SIS 22 19 76 andererseits das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge unterschiedlich beurteilt worden ist. Die ernstlichen Zweifel an der Verfassungswidrigkeit werden m.E. dadurch verstärkt, dass der Gesetzgeber in § 238 Abs. 1 a AO für die Fälle des § 233 a die Zinsen ab dem 1.1.2019 auf 0,15 Prozent für jeden Monat, das heißt auf 1,8 Prozent für jedes Jahr, festgesetzt hat. Vor dieser Gesetzesänderung wurden im Rahmen der Säumniszuschläge (1 % pro Monat/12 % pro Jahr) das zinsähnliche Element (0,5 % im Monat/6 % pro Jahr), das Element des Druckmittels und die Abgeltung des höheren Verwaltungsaufwands berücksichtigt. Durch die rückwirkende Herabsetzung der Nachzahlungszinsen wird der Zinsvorteil des säumigen Zahlers im Rahmen der Säumniszuschläge und der Nachzahlungszinsen durch den Gesetzgeber nunmehr unterschiedlich bemessen. Das Argument, ernstliche Zweifel zu verneinen, weil im BVerfG-Beschluss v. 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 = SIS 21 14 23 (BVerfGE 158, S. 282) nicht zu den Säumniszuschlägen entschieden worden sei und weil das BVerfG eine Ausstrahlungswirkung der Entscheidung auf andere Zinstatbestände abgelehnt habe, überzeugt mich daher nicht. Die Entscheidung des BVerfG ist insoweit durch die neue Rechtslage überholt.

 

Allerdings stellt der VI. Senat des BFH im Beschluss v. 28.10.2022 – VI B 15/22 (AdV) = SIS 22 19 76 tragend darauf ab, ein Zinsanteil von 0,5 % aus den 1 % für den Säumniszuschlag lasse sich aus dem Gesetz nicht ableiten, da der verbleibende hälftige Anteil nicht nur dem Vorteilsausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern diene und ungeklärt sei, in welchem Verhältnis die Zwecke Druckmittel, Zinsanteil und Verwaltungsentgelt zueinander stünden; zudem hält der VI. Senat die Höhe des Säumniszuschlags selbst bei Annahme eines gedachten Zinsanteils allein aufgrund des Erzwingungscharakters und der Abgeltung des Verwaltungsaufwands in vollem Umfang für gerechtfertigt.

 

Dies verwundert, weil dem zinsähnlichen Element innerhalb des Säumniszuschlags in der feststehenden Rechtsprechung des BFH stets eine signifikante Bedeutung beigemessen wurde und Säumniszuschläge insbesondere bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nur zur Hälfte erlassen werden, weil ihr Zweck, Gegenleistung für die verspätete Steuerzahlung zu sein, bestehen bleibt (z.B. BFH-Urteil v. 30.3.2006 – V R 2/04 = SIS 06 23 05, BFHE 212, S. 23, BStBl 2006 II, S. 612). Von diesen Grundgedanken im Rahmen einer AdV-Entscheidung unter Berufung auf Rechtsprechung des OVG NRW (Beschluss vom 29.4.2022 – 14 B 403/22) abzuweichen, statt zu fragen, ob nicht die Entscheidung des OVG NRW der gefestigten Rechtsprechung des BFH widerspricht, ist meines Erachtens zweifelhaft.