Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 07.04.2020 - 15 K 3019/17 U =
SIS 20 20 30 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens
übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist im Rahmen seines Einzelunternehmens als ...
tätig. Der Kläger ging in Übereinstimmung mit dem
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) davon aus,
dass er gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) Organträger der PL-GmbH und der
PR-GmbH war. Beide GmbHs erbrachten steuerbare Leistungen gegen
Entgelt an drei KGs (C-KG, P-KG und R-KG), bei denen der
Kläger jeweils einziger Kommanditist sowie
Alleingesellschafter und einziger Geschäftsführer der
jeweiligen Komplementär-GmbH war. Dabei handelte es sich in
Bezug auf die C-KG um die C-GmbH und in Bezug auf die beiden
anderen KGs um die F-GmbH.
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Für das Streitjahr 2008 setzte das FA
die Umsatzsteuer für die C-KG mit Bescheid vom 17.01.2012 auf
./. 2.140.477,81 EUR, für die P-KG durch Bescheid vom
04.08.2010 auf 0 EUR und für die R-KG mit Bescheid vom
19.03.2015 auf ./. 89.011,20 EUR fest. Für das Streitjahr 2009
setzte das FA die Umsatzsteuer für die C-KG mit Bescheid vom
17.01.2012 auf ./. 410.276,39 EUR und für die R-KG mit
Bescheid vom 19.03.2015 auf 3.192 EUR fest. Für die P-KG
erging bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung für
das Jahr 2009 kein Steuerbescheid.
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Bei Erlass der jeweiligen Steuerbescheide
blieb der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß §
164 der Abgabenordnung (AO) bei der C-KG bestehen, während er
bei der R-KG aufgehoben wurde.
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Der Kläger gab für das Streitjahr
2008 eine Jahreserklärung mit einem Vergütungsbetrag von
813.176,98 EUR und für das Streitjahr 2009 eine
Jahreserklärung mit einem Vergütungsbetrag von 369.009,44
EUR ab. Das FA stimmte dem mit den Mitteilungen vom 10.03.2010 und
16.09.2011 zu.
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Am 16.10.2013 beantragte der Kläger
die Änderung seiner Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 und 2009,
da er gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auch
Organträger der drei KGs gewesen sei. Diesen Antrag lehnte das
FA durch Bescheid vom 24.10.2013 ab. Hiergegen legte der
Kläger Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens
kam es zur Änderung seiner Steuerfestsetzungen für 2008
und 2009 wegen hier nicht streitiger Einzelfragen. Das FA wies
beide Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 30.08.2017 als
unbegründet zurück. Eine Änderung zugunsten des
Klägers sei nur möglich, wenn die Steuerfestsetzungen bei
den KGs noch änderbar seien. Dies komme aber nicht mehr in
Betracht, da für alle drei KGs spätestens mit Ablauf des
31.12.2016 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Bei der
C-KG sei die Festsetzungsfrist für beide Jahre (aufgrund der
in 2010 abgegebenen Jahreserklärungen) zum 31.12.2014, bei der
R-KG aufgrund von Änderungsbescheiden für beide Jahre am
23.04.2015 und bei der P-KG für 2008 zum 31.12.2015 und
für 2009 zum 31.12.2016 abgelaufen. Daher komme auch eine
Hinzuziehung nach § 174 Abs. 5 AO nicht mehr in
Betracht.
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Die Klage zum Finanzgericht (FG) hatte
Erfolg. Nach dem in EFG 2020, 1181 = SIS 20 20 30
veröffentlichten Urteil sind die drei KGs sowohl nach der
Rechtsprechung des V. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) als auch
nach der des XI. Senats (Urteile vom 02.12.2015 - V R 25/13, BFHE
251, 534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91, und vom 19.01.2016 -
XI R 38/12, BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567 = SIS 16 04 58) als
Organgesellschaften des Klägers anzusehen. Entgegen einer vom
Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Schreiben vom 26.05.2017
(BStBl I 2017, 790 = SIS 17 08 95) getroffenen
Übergangsregelung komme es im Streitfall auf eine
Änderbarkeit der gegenüber den KGs ergangenen
Steuerfestsetzungen nicht an. Es bestehe keine Vorschrift zu einer
materiellen oder formellen Korrespondenz. Ein Korrespondenzprinzip
ergebe sich auch nicht aus dem Grundsatz der steuerrechtlichen
Neutralität. Dem Klagebegehren stehe auch nicht der Grundsatz
von Treu und Glauben entgegen, da der Kläger seinen Antrag
bereits im Jahr 2013 gestellt habe. Damals wäre eine
Hinzuziehung der KGs noch möglich gewesen.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision. Sinn und Zweck der Organschaft erforderten eine
korrespondierende Änderbarkeit auf der Ebene von
Organgesellschaft und Organträger. Der Kläger habe
bereits mittelbar als Gesellschafter an den
Vorsteuerüberhängen der KGs partizipiert. Das FG-Urteil
führe zu einer ungerechtfertigten Doppelerstattung. Die
doppelte Erstattung von Vorsteuerbeträgen sei mit Treu und
Glauben nicht zu vereinbaren. Im Übrigen sei das Vorliegen von
Innenumsätzen nach den Feststellungen des FG
unerheblich.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Es bestehe kein Wahlrecht zur Organschaft.
Bereits mit dem Antrag vom 16.10.2013 sei darauf hingewiesen
worden, dass bei mindestens einer der KGs ein Vorsteuerabzug
zurückzufordern sei. Damals sei noch keine
Festsetzungsverjährung eingetreten. Auch in anderen
Organschaftsfällen komme es zu einer Mehrfachbelastung von
Unternehmern, ohne dass darin eine Unbilligkeit gesehen werde. Das
Urteil des FG beruhe nicht ausschließlich auf einer doppelten
Auszahlung von Vorsteuerüberhängen. Der Kläger habe
vielmehr mit den angefochtenen Steuerbescheiden auch Umsätze
versteuert, die an die KGs erbracht worden seien, die aber aufgrund
der auch zu den KGs bestehenden Organschaft als nicht steuerbare
Innenumsätze anzusehen seien. Die KGs hätten insoweit
keinen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen. Es gehe ihm darum,
„zu viel Umsatzsteuern aus Innenumsätzen erstattet zu
erhalten“, nicht aber darum
„Vorsteuerüberhänge doppelt erstattet zu
erhalten“. Die weitergehende Tragweite sei ihm erst
während des finanzgerichtlichen Verfahrens bewusst geworden.
Dem FA sei eine rechtzeitige Beiladung der KGs nach § 174 Abs.
5 AO möglich gewesen. Das Unterbleiben der Beiladung
könne ihm nach Treu und Glauben nicht entgegen gehalten
werden. Es liege auch ein Verstoß gegen den Anwendungserlass
zur Abgabenordnung (AEAO) vor. Er habe einen Antrag auf Beiladung
überhaupt nicht stellen können. Das FA könne sich
auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Das FG hat bei seinem Urteil die Drittwirkung der
Steuerfestsetzung nach § 166 AO nicht beachtet, so dass seine
Entscheidung nur in Bezug auf nicht steuerbare Innenumsätze
zutreffend ist.
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Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen
gegenüber unanfechtbar festgesetzt, hat dies auch gegen sich
gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den
Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter
anzufechten. Im Streitfall begründen die für die KGs
unanfechtbar ergangenen Steuerfestsetzungen eine Drittwirkung i.S.
von § 166 AO bei der Besteuerung des Klägers mit der
Folge, dass er diese Drittwirkung gegen sich gelten lassen muss, da
er vertretungsberechtigter Geschäftsführer der beiden
Komplementär-GmbHs war.
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1. Für die KGs lagen unanfechtbare
Steuerfestsetzungen vor. Wie sich aus § 155 Abs. 5 AO ergibt,
ist auch die Festsetzung einer Steuervergütung als
Steuerfestsetzung anzusehen. Die Drittwirkung erfasst daher auch
die Steuervergütungsbescheide (Heuermann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 166 AO Rz 4 und Oellerich in
Gosch, AO § 166 Rz 7), die im Streitfall für die KGs
ergangen sind.
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2. Die aus § 166 AO folgende Drittwirkung
betrifft zwar insbesondere Haftungsbescheide nach § 191 AO
(Heuermann, a.a.O., Rz 1, 3 und Oellerich, a.a.O., Rz 1), ist aber
nicht auf diese beschränkt. Dies ergibt sich bereits aus der
systematischen Stellung dieser Vorschrift als Teil der allgemeinen
Vorschriften zur Steuerfestsetzung gemäß §§
154 ff. AO. Sie ist daher auch im hier vorliegenden Verfahren der
vom Kläger begehrten Änderung seiner
Umsatzsteuerfestsetzungen zu berücksichtigen.
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3. Die KGs sind als Steuerpflichtige i.S. von
§ 166 AO zu behandeln. Die Person des Steuerpflichtigen
bestimmt sich nach der allgemeinen Definition in § 33 Abs. 1
AO. Steuerpflichtiger ist danach insbesondere, wer die Steuer
schuldet.
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a) Wer die Steuer schuldet oder Gläubiger
einer Steuervergütung ist, bestimmen gemäß §
43 AO die Steuergesetze. Im Bereich der Umsatzsteuer ergibt sich
dies aus § 13a UStG. Für die steuerbaren Umsätze des
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist daher (vorbehaltlich des § 13b
UStG) gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer
der Steuerschuldner (oder der Vergütungsberechtigte). Im Fall
einer Organschaft ist dies gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG der Organträger, nicht aber die eingegliederte
juristische Person, die ihre Tätigkeit als sog.
Organgesellschaft nicht selbständig ausübt und daher die
Anforderungen des Unternehmerbegriffs nicht erfüllt. Dabei
kann auch eine KG Organgesellschaft sein (BFH-Urteile in BFHE 251,
534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91, und in BFHE 252, 516, BStBl
II 2017, 567 = SIS 16 04 58).
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b) Die Person des Steuerpflichtigen kann sich
aber auch aus einem (die Drittwirkung begründenden)
Steuerbescheid ergeben. Da die Steuerfestsetzung durch einen
Steuerbescheid erfolgt, der gemäß § 157 Abs. 1 Satz
2 AO die Angabe zu enthalten hat, „wer die Steuer
schuldet“, ist Steuerpflichtiger i.S. von § 166 AO
auch derjenige, gegenüber dem eine Steuer zu Unrecht
festgesetzt ist. Denn während der Steuerbescheid (§ 155
AO) im Regelfall lediglich deklaratorischen Charakter hat, da er
lediglich feststellt, welche Steuer nach dem einschlägigen
Gesetz geschuldet wird (Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., §
155 Rz 6, m.w.N.), wirkt der Steuerbescheid konstitutiv, soweit die
Feststellung von der tatsächlich entstandenen Steuer abweicht
(Rüsken, a.a.O.). Denn auch insoweit
„besteht“ nach der Rechtsprechung des BFH
„eine rechtswidrig, jedoch wirksam festgesetzte
Steuerforderung, solange die Festsetzung nicht aufgehoben ist oder
in anderer Weise ihre Rechtswirkungen verloren hat“
(BFH-Urteil vom 15.06.1999 - VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II
2000, 46 = SIS 99 20 76, unter 2.b bb bbb). Für die
Drittwirkung folgt hieraus, dass es unerheblich ist, ob die sie
begründende Steuerfestsetzung rechtmäßig oder
rechtswidrig ist (Rosenke in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO,
16. Ed., § 166 Rz 23). Liegt z.B. ein Steuerbescheid für
eine GmbH vor, ist der GmbH-Geschäftsführer unter den
weiteren Voraussetzungen des § 166 AO mit dem Einwand
ausgeschlossen, dass nicht die GmbH, sondern eine andere Person die
Umsätze ausgeführt habe, so dass der GmbH bereits die
Unternehmereigenschaft fehle.
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c) Deshalb ist die Wirksamkeit
rechtswidrig-bestandskräftiger Steuerbescheide (§ 124
Abs. 2 AO) auch im Verhältnis zwischen Organträger und
Organgesellschaft zu berücksichtigen. Ist für eine
Organgesellschaft entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine
Steuerfestsetzung ergangen, ergibt sich hieraus eine Drittwirkung
i.S. von § 166 AO, nach der aus dieser (materiell-rechtlich
unzutreffenden) Steuerfestsetzung die Stellung der
Organgesellschaft als eigenständiger Unternehmer und
Steuerpflichtiger folgt, was eine Berücksichtigung dieser
Gesellschaft als Organgesellschaft beim Organträger
ausschließt. Aufgrund dieser Steuerfestsetzungen ist es
unerheblich, dass es materiell-rechtlich an einem
Drittverhältnis fehlt, da es sich nach der geänderten
BFH-Rechtsprechung bei den drei KGs um Organgesellschaften i.S. von
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG handelt (BFH-Urteile in BFHE 251, 534,
BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91, und in BFHE 252, 516, BStBl II
2017, 567 = SIS 16 04 58).
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d) Im
Übrigen entspricht es bereits bisheriger BFH-Rechtsprechung zu
§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO, dass sich Organträger und
Organgesellschaft bei Anwendung von § 166 AO als Dritte
gegenüberstehen können. Danach ist Dritter jeder, der
in dem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner
angegeben ist, so dass auch eine Organgesellschaft im
Verhältnis zum Organträger Dritter sein kann, was der BFH
insbesondere mit deren Haftung nach § 73 AO begründet hat
(BFH-Urteil vom 19.12.2013 - V R 5/12, BFHE 244, 494, BStBl II
2016, 585 = SIS 14 15 47, Rz 43). Dies gilt ebenso für den
Umkehrfall, so dass auch der Organträger Dritter in Bezug auf
eine für die Organgesellschaft (entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG) vorliegende Steuerfestsetzung sein kann.
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Dem steht nicht entgegen, dass § 174 Abs.
5 Satz 1 AO anders als § 166 AO auf die „Aufhebung
oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides“
abstellt. Denn wie bei § 174 Abs. 5 Satz 1 AO geht es im
vorliegenden Zusammenhang bei § 166 AO um die Bedeutung einer
Steuerfestsetzung im Verhältnis zwischen Organträger und
Organgesellschaft. Dass sich aus diesen Vorschriften
unterschiedliche Rechtsfolgen (Bindung an die einer Aufhebung oder
Änderung eines Steuerbescheids zugrunde liegenden Beurteilung
einerseits und Drittwirkung einer bestehenden Steuerfestsetzung
andererseits) ergeben, ist dabei ohne Bedeutung.
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e) Das Unionsrecht steht der Anwendung von
§ 166 AO nicht entgegen. Denn aufgrund fehlender
unionsrechtlicher Vorschriften ist es nach dem Grundsatz der
Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen der
Mitgliedstaaten, z.B. die Modalitäten der Wirkung der
Rechtskraft festzulegen. Diese Modalitäten dürfen jedoch
nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen
internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und
nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte,
die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich
machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der
Effektivität), wie der Gerichtshof der Europäischen Union
bereits entschieden hat (Urteil Cabinet de avocat UR vom 16.07.2020
- C-424/19, EU:C:2020:581 = SIS 20 08 76, Rz 25). Danach
können die Mitgliedstaaten verfahrensrechtliche Regelungen wie
z.B. in § 166 AO treffen. Äquivalenz wie auch
Effektivität werden dabei gewahrt. Letzteres ergibt sich
bereits daraus, dass es Sache des Vertreters ist, die
Steuerfestsetzung nicht unanfechtbar werden zu lassen. Zudem ist im
Bereich der Umsatzsteuer auch die nach § 164 AO
grundsätzlich bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung
bestehende Änderungsmöglichkeit zu beachten.
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4. Der Unanfechtbarkeit standen die bis zu
ihrer Aufhebung oder bis zum Eintritt der
Festsetzungsverjährung geltenden Nachprüfungsvorbehalte
i.S. von § 164 AO nicht entgegen.
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a) Zwar entfällt bei Steuerfestsetzungen,
die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehen, die Drittwirkung
bereits mit dem Stellen von Änderungsanträgen nach §
164 Abs. 2 AO durch den vertretungsberechtigten Dritten. Hat z.B.
der Geschäftsführer einer GmbH namens der GmbH die
Änderung eines ihr gegenüber unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung ergangenen Steuerbescheids beantragt, ist er im
Verfahren wegen Haftung für gegenüber der GmbH
festgesetzte Steuer nicht mit Einwendungen gegen die Richtigkeit
der Steuerfestsetzung ausgeschlossen, solange der Vorbehalt wirksam
ist (BFH-Urteil vom 22.04.2015 - XI R 43/11, BFHE 249, 315, BStBl
II 2015, 755 = SIS 15 13 69, Leitsatz 1).
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b) Derartige Änderungsanträge hat
der Kläger, der auf der Grundlage der vom FG getroffenen
Feststellungen bei jeder der KGs (über die vereinzelte
Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts gemäß §
164 Abs. 3 Satz 1 AO hinaus) bis zum Eintritt der
Festsetzungsverjährung (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO)
vertretungsberechtigt war, weder ausdrücklich noch konkludent
gestellt. Auch aus dem Hinweis auf Folgeänderungen im
Schreiben vom 16.10.2013 ergibt sich dies nicht mit hinreichender
Deutlichkeit. Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass das
Erfordernis der fortdauernden Anfechtungsbefugnis (vgl. BFH-Urteil
vom 24.08.2004 - VII R 50/03, BFHE 207, 5, BStBl II 2005, 127 = SIS 04 41 16, Leitsatz) bis zur Aufhebung oder dem Entfallen des
Nachprüfungsvorbehalts bestanden hat.
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c) Gegen das sich hieraus ergebende
Erfordernis, Änderungsanträge zur Besteuerung der KGs zu
stellen, spricht nicht, dass die KGs aufgrund derartiger
Anträge einen für sie ansonsten bestehenden Schutz nach
§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO verloren hätten. Denn bei
einer Rechtsprechungsänderung können Organträger und
Organgesellschaften nicht beanspruchen, im selben
Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier:
Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung
und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organträger)
nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden.
Aufgrund des vom Kläger gestellten Antrags verlieren die KGs
daher als dessen Organgesellschaften den Änderungsschutz.
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aa) Zwar darf bei der Aufhebung oder
Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 176
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen
berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines
obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der
bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt
worden ist.
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Dies trifft auf die durch die BFH-Urteile in
BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91, und in BFHE 252,
516, BStBl II 2017, 567 = SIS 16 04 58 ausgelöste
Rechtsprechungsänderung zur Organschaft zu, da der BFH (Urteil
vom 08.02.1979 - V R 101/78, BFHE 127, 267, BStBl II 1979, 362 =
SIS 79 01 77) und die Finanzverwaltung (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 2 des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses in der Fassung vor der
Änderung durch das BMF-Schreiben in BStBl I 2017, 790 = SIS 17 08 95) bis dahin einer Personenhandelsgesellschaft die Stellung als
Organgesellschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG versagt
hatten.
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bb) Allerdings darf nach der vom FG bei seiner
Entscheidung nicht berücksichtigten Rechtsprechung des BFH die
Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO nicht zu einem
Widerspruch zum Grundsatz von Treu und Glauben führen. Dabei
verstößt es gegen Treu und Glauben („venire
contra factum proprium“), wenn der Steuerpflichtige
aufgrund einer Rechtsprechungsänderung z.B. die Aufhebung
eines ihn belastenden Bescheids fordert und erreicht und
später geltend macht, er habe auf die Anwendung der
früheren Rechtsprechung vertraut und sei nicht bereit, die
für ihn negativen Folgen der Rechtsprechungsänderung
hinzunehmen (BFH-Urteil vom 08.02.1995 - I R 127/93, BFHE 177, 332,
BStBl II 1995, 764 = SIS 95 16 51, unter II.C.4.; vgl. auch
BFH-Urteil vom 25.04.2013 - V R 2/13, BFHE 241, 304, BStBl II 2013,
844 = SIS 13 23 10, Leitsatz 1). Ebenso ist es, wenn der
Steuerpflichtige auf der Grundlage einer geänderten
Rechtsprechung eine Erweiterung seiner bisherigen Rechtsstellung
erreichen will. Er hat dann gleichfalls die sich aus der neuen
Rechtsprechung ergebenden negativen Folgen hinzunehmen.
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Dies gilt ebenso für einen
Steuerpflichtigen i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit
auch im Verhältnis von Organträger und Organgesellschaft.
Denn die organschaftliche Verknüpfung gemäß §
2 Abs. 2 Nr. 2 UStG führt unter Berücksichtigung der sich
aus Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)
ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben dazu, dass Organträger
und Organgesellschaft umsatzsteuerrechtlich wie im Fall des
BFH-Urteils in BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764 = SIS 95 16 51 als
ein Steuerpflichtiger anzusehen sind. Waren ein Einzelunternehmer
und eine KG nach bisheriger Rechtsprechung gesonderte
Steuerpflichtige, während der Einzelunternehmer nach der
(durch die BFH-Urteile in BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91, und in BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567 = SIS 16 04 58)
geänderten Rechtsprechung Organträger der KG als
Organgesellschaft ist, ist es mit dem Grundsatz von Treu und
Glauben nicht vereinbar, dass bei dem einen Unternehmensteil (hier:
Organträger) entsprechend dem Antrag des Organträgers die
bislang für den anderen Unternehmensteil (hier: KG)
festgesetzte Steuervergütung berücksichtigt wird,
während eine korrespondierende Änderung der
Steuerfestsetzung beim anderen Unternehmensteil (hier: KG) an
§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO scheitern soll. Daher kann der
Organträger im Anwendungsbereich von § 166 AO eine
Änderung zu seinen Gunsten nur erreichen, wenn er die ihn
bindende Festsetzung für die Organgesellschaft über einen
Antrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO (s. oben II.4.b) entfallen
lässt.
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30
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5. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des
Klägers greifen nicht durch. Soweit er sich auf das BFH-Urteil
vom 17.01.1995 - VII R 28/94 (BFH/NV 1995, 580) bezieht,
berücksichtigt er nicht, dass sich aus dieser - zudem nur das
Abrechnungs-, nicht aber das hier vorliegende Festsetzungsverfahren
betreffenden - Entscheidung nur ergibt, dass eine gegen die
Organgesellschaft festgesetzte und von dieser gezahlte Umsatzsteuer
auf die Umsatzsteuerschulden des Organträgers erst dann
angerechnet werden kann, wenn die Umsatzsteuer-Festsetzungen
gegenüber der Organgesellschaft aufgehoben worden sind. Der
BFH hat auch hier - wie vorliegend in Bezug auf § 166 AO - auf
die „formelle Bescheidlage“ abgestellt, der bis
zur Aufhebung der jeweiligen Steuerbescheide Vorrang gegenüber
der materiellen Rechtslage zukommt (BFH-Urteil, unter
Entscheidungsgründe 3.).
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Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der
vom Kläger zu Treu und Glauben zitierten BFH-Rechtsprechung
wie insbesondere aus dem BFH-Urteil in BFHE 244, 494, BStBl II
2016, 585 = SIS 14 15 47, nach dem es nicht Aufgabe und Zweck der
allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben ist, eine
unvorteilhafte Verfahrensbehandlung der Finanzbehörde
aufzufangen. Denn vorliegend geht es nicht darum, dass es das FA
versäumt hat, die KGs rechtzeitig zum Verfahren des
Klägers beizuladen, sondern um die Rechtswirkungen, die sich
nach § 166 AO aus den für die KGs vorliegenden
Steuerfestsetzungen ergeben, die der Kläger hätte
anfechten können (s. oben II.3.), und die Frage, ob sich ein
Steuerpflichtiger im Rahmen von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG
kumulativ auf eine frühere (aufgegebene) und eine neue
(geänderte) Rechtsprechung berufen darf (s. oben II.4.c
bb).
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Im Übrigen kann sich der Kläger bei
der Beurteilung der Bedeutung von Treu und Glauben nach den
Verhältnissen des Streitfalls, in denen es ihm möglich
war, als Geschäftsführer der KGs
Änderungsanträge für diese zu stellen, nicht auf den
von ihm angeführten BFH-Beschluss vom 22.12.1988 - VIII B
131/87, BFHE 155, 286, BStBl II 1989, 314 = SIS 89 26 01 berufen,
nach dem das FA für die Antragstellung nach § 174 Abs. 5
AO zuständig ist. Dementsprechend kommt es auch nicht auf die
Bedeutung des AEAO zu § 174 AO an.
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6. Die Sache ist allerdings nicht
spruchreif.
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a) Das FG hat § 166 AO, aus dem sich im
Streitfall eine Bindungswirkung zu Lasten des Klägers ergibt,
zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Dabei kommt es auf die
Vereinbarkeit von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit Art. 11 MwStSystRL
und die sich daraus ergebende Frage, ob Steuerfestsetzungen
gegenüber dem Organträger oder gegenüber einer sog.
Mehrwertsteuergruppe zu erlassen sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom
11.12.2019 - XI R 16/18, BFHE 268, 240 = SIS 20 02 82, und vom 07.05.2020 - V R 40/19, BFHE 270, 166 =
SIS 20 06 63), nicht an. Denn der
Kläger erstrebt die Änderungen von Steuerfestsetzungen zu
seinen Gunsten als Organträger. Nicht entscheidungserheblich
ist weiter, ob sich der erkennende Senat der Regelung im
BMF-Schreiben in BStBl I 2017, 790 = SIS 17 08 95 (Rz 5)
anschließt.
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b) Damit steht zwar fest, dass der Kläger
als Organträger keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen
geltend machen kann, die über die KGs als Organgesellschaften
von Dritten bezogen wurden. Gleichwohl bleibt das Recht des
Organträgers, die Nichtbesteuerung von Innenleistungen geltend
zu machen, die er an die Organgesellschaft erbracht hat,
unberührt. Denn der Kläger ist nicht gehindert, im
Rechtsbehelfsverfahren der ihm gegenüber ergangenen
Steuerfestsetzungen geltend zu machen, dass eine Organschaft
vorliegt und er Umsätze, die aufgrund der Organschaft als
nicht steuerbare Innenumsätze anzusehen sind, zu Unrecht
versteuert hat.
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aa) Die Bindungswirkung des § 166 AO zu
Lasten des Klägers bezieht sich nur auf die
Besteuerungsgrundlagen, die Gegenstand der unanfechtbar
gegenüber den KGs ergangenen Steuerfestsetzungen sind, nicht
aber auf die Umsätze, die (wie im Streitfall die von den
Organ-GmbHs an die KGs erbrachten Ausgangsleistungen) Gegenstand
der vorliegend angefochtenen Steuerfestsetzungen sind. Ohne diese
Einschränkung käme einer für eine Organgesellschaft
entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit rechtswidrig
ergangenen Steuerfestsetzung der Charakter eines
Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO) für die
steuerrechtliche Beurteilung der vom Organträger selbst
verwirklichten Umsätze (hier Ausgangsleistungen der bei ihm
erfassten Organ-GmbHs an die KGs) zu. Demgegenüber erhält
die Steuerfestsetzung i.S. von § 166 AO durch den dort
angeordneten Einwendungsausschluss nicht den Charakter eines
Grundlagenbescheids (Oellerich, a.a.O, Rz 76 zum Verhältnis zu
einem nachfolgenden Haftungsbescheid).
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Daher ist die rechtswidrige Steuerfestsetzung
für die Organgesellschaft und die sich hieraus ergebende
Verneinung der Organschaft in Bezug auf die vom Organträger
selbst verwirklichten Besteuerungsgrundlagen ohne Bedeutung. Denn
durch die Steuerfestsetzung für die Organgesellschaft wird
nicht mit Wirkung für die vom Organträger selbst
verwirklichten Besteuerungsgrundlagen verbindlich festgestellt,
dass keine Organschaft vorliegt. Maßgeblich ist, dass §
166 AO nur Einwendungen erfasst, die an die Besteuerungsgrundlagen
im bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid anknüpfen
(Oellerich, a.a.O., Rz 80). Die durch § 166 AO angesprochenen
Personen verlieren daher nur die Einwände, die sie im
Rechtsbehelfsverfahren gegen den Steuerbescheid geltend machen
konnten (Heuermann, a.a.O., Rz 15).
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Dementsprechend hat der Organträger den
Einwand, seine Ausgangsleistungen an eine Organgesellschaft seien
als innerorganschaftliche Innenumsätze nicht steuerbar und
daher auch nicht steuerpflichtig, nicht in einem
Rechtsbehelfsverfahren gegen die für die Organgesellschaft
ergangene Steuerfestsetzung geltend zu machen, sondern wie
vorliegend in seinem eigenem Rechtsbehelfsverfahren. Im Streitfall
wirkt sich die Unternehmereigenschaft der KGs, wie sie sich aus den
für diese ergangenen Steuerfestsetzungen ergibt und die der
Kläger nach § 166 AO gegen sich gelten lassen muss, daher
nicht dergestalt aus, dass der Kläger das Bestehen dieser
Unternehmereigenschaft auch in Bezug auf die Besteuerungsgrundlagen
gegen sich gelten lassen muss, die bereits Gegenstand des für
ihn ergangenen Steuerbescheids sind, dessen Änderung er nach
§ 164 AO beantragt hat.
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bb) Auf die steuerrechtliche Behandlung dieser
Umsätze bei den KGs und insbesondere auf die Frage, ob die KGs
aus diesen Leistungen einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen
haben, kommt es im Übrigen nicht an, da insoweit kein
Korrespondenzprinzip besteht. Ist aufgrund der Unanfechtbarkeit von
Steuerfestsetzungen (hier bei den KGs) eine dem materiellen Recht
(hier § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) entsprechende Besteuerung nicht
möglich, kann das FA, wenn wie vorliegend § 174 AO und
andere Korrekturgrundlagen nicht anwendbar sind, gegen das Begehren
des Organträgers, Ausgangsleistungen entsprechend dem
materiellen Recht als nicht steuerbare Innenumsätze zu
behandeln, nicht entgegenhalten, dass ein von den
Organgesellschaften (hier den KGs) nach dem materiellen Recht
rechtswidrig in Anspruch genommener Vorsteuerabzug
verfahrensrechtlich nicht mehr korrigierbar ist.
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cc) Zum Umfang dieser Umsätze hat das FG
indes keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Diese sind in
einem zweiten Rechtsgang nachzuholen. Dass das FA im
erstinstanzlichen Verfahren der Gesamtkonsolidierungsberechnung des
Klägers „zugestimmt“ hat, reicht nicht
aus.
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7. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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