1
|
I. Mit Beschluss vom 23.8.2006 wurde
über das Vermögen des H das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt. Ausgehend von den
Umsatzsteuer-Voranmeldungen des H für die Monate Juni bis
August 2006 meldete der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) neben anderen Ansprüchen mit Schreiben vom
11.9.2006 eine Insolvenzforderung für Umsatzsteuer Juni bis
August 2006 an. Die Forderungsanmeldung wurde vom Kläger als
Insolvenzverwalter am 26.1.2007 „zur Tabelle anerkannt“
und in Höhe von 36.416,67 EUR in die Tabelle als festgestellt
eingetragen.
|
|
|
2
|
Am 25.5.2007 ging beim FA eine
Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum 1. Januar bis
22.8.2006 ein, die eine geringere Steuerschuld als nach den
Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2006 auswies. Das FA erteilte
hierzu am 19.7.2007 nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG)
seine Zustimmung gemäß § 168 Satz 2 der
Abgabenordnung (AO).
|
|
|
3
|
Das FA behandelte die für den Zeitraum
1. Januar bis 22.8.2006 eingereichte Umsatzsteuererklärung im
Übrigen als Antrag auf Änderung des Tabelleneintrags und
lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 10.4.2008 ohne
Ermessensausübung ab. Der Tabelleneintrag wirke
gemäß § 178 Abs. 3 der Insolvenzordnung (InsO) wie
ein rechtskräftiges Urteil und sei nur unter den
Voraussetzungen einer Restitutionsklage abzuändern. Der
Einspruch hatte keinen Erfolg.
|
|
|
4
|
Demgegenüber gab das FG der Klage
statt. Es bestehe kein Streit darüber, dass dem
Tabelleneintrag ein überhöhter Betrag zugrunde liege, da
sich die Steuerschuld nur auf 27.263,45 EUR belaufe. Eine Korrektur
des Tabelleneintrags auf die zutreffende richtige Höhe sei
möglich. § 178 Abs. 3 InsO bestimme zwar, dass die
Eintragung einer Forderung in die Insolvenztabelle gegenüber
dem Insolvenzverwalter wie ein rechtskräftiges Urteil wirke.
Dementsprechend könne der Insolvenzverwalter die Änderung
eines Tabelleneintrags nur unter den Voraussetzungen einer
Restitutionsklage erreichen. Würden allerdings
Steuerforderungen in die Insolvenztabelle eingetragen, stehe §
178 Abs. 3 InsO zur Disposition. Die Änderung in der
Insolvenztabelle eingetragener Steuerforderungen erfordere nicht in
jedem Fall die Voraussetzungen einer Restitutionsklage. Zudem habe
das FA der Umsatzsteuerjahreserklärung zugestimmt, wodurch
sich die Umsatzsteuer-Voranmeldungen, die dem Tabelleneintrag
zugrunde lagen, erledigt hätten. Daher sei ein
Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO zu erlassen. Ein
Ermessensspielraum habe für das FA dabei nicht
bestanden.
|
|
|
5
|
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung von § 178 Abs. 3 InsO. Die Vorschrift enthalte
entgegen dem FG-Urteil keine abweichende Regelung für
Steuerforderungen. Die Korrekturvorschriften der AO seien daher
nicht anwendbar.
|
|
|
6
|
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
7
|
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
Zwar sei eine Änderung des
Tabelleneintrags grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen
einer Restitutionsklage möglich, dies gelte aber nicht
für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, bei
denen es auf § 110 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
ankomme. Die danach bestehenden Änderungsbefugnisse
würden durch die InsO nur eingeschränkt. Für die
Umsatzsteuer 2006 liege kein Tabelleneintrag vor.
|
|
|
9
|
II. Die Revision des FA ist mit der
Maßgabe begründet, dass das Urteil des FG aufzuheben ist
und das FA verpflichtet wird, über den Antrag des Klägers
auf Änderung der widerspruchslos in die Tabelle eingetragenen
Umsatzsteuer-Insolvenzforderung gemäß § 130 AO nach
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden; im Übrigen
wird die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
|
|
|
10
|
1. Der insolvenzrechtliche Tabelleneintrag
betrifft Insolvenzforderungen; diese sind der Streitgegenstand, auf
den sich die Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO bezieht.
Insolvenzgläubiger können gemäß § 87 InsO
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre
Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur
Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner
„begründeten“ Vermögensansprüche
nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren
verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO
Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens -
anders als bei sog. Masseverbindlichkeiten gemäß §
55 InsO (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.12.2010 V R
22/10, BFHE 232, 301, BFH/NV 2011, 952 = SIS 11 11 55, unter II.1.)
- nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern nur
erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen. Dem geht
die Anmeldung der Insolvenzforderung (§ 38 InsO)
gemäß § 174 InsO beim Insolvenzverwalter zur
Eintragung in die Tabelle (§ 175 InsO) und zur Prüfung
(§ 176 InsO) mit dem Ziel der Feststellung (§ 178 InsO)
voraus.
|
|
|
11
|
Da zur Insolvenztabelle nur
Insolvenzforderungen, nicht aber auch Masseverbindlichkeiten
anzumelden sind, ist bei der Forderungsanmeldung zu
berücksichtigen, dass, wie der Senat in seinem Urteil in BFHE
232, 301, BFH/NV 2011, 952 = SIS 11 11 55, unter II.3.c aa unter
Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 1.9.2010 VII R 35/08 (BFHE 230,
490, BStBl II 2011, 336 = SIS 10 36 67) und vom 28.6.2000 V R 87/99
(BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639 = SIS 00 12 59) entschieden hat,
zwar auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Grundsatz
der Unternehmereinheit gilt. Bedingt durch die Erfordernisse des
Insolvenzrechts besteht das Unternehmen nach
Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen,
zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und
Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Zu
unterscheiden sind der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil,
gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden sind
(§§ 174 ff. InsO), der die Insolvenzmasse betreffende
Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu
machen sind, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene
Vermögen, bei dem Steueransprüche gegen den
Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche
Einschränkungen geltend gemacht werden können. Diese
Teilbereiche sind bei allen Umsatzsteuersachverhalten und damit
auch bei der Zuordnung der dem Gesamtunternehmen zustehenden
Berechtigungen - wie z.B. dem Recht auf Vorsteuerabzug nach §
15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) - zu beachten.
|
|
|
12
|
2. Bei der Anmeldung zur Insolvenztabelle
(§§ 174 ff. InsO) ist der gegen den
vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil bestehende
Umsatzsteueranspruch für jedes Kalenderjahr gesondert zu
berechnen und nach Abzug der vom Unternehmer jeweils geleisteten
Zahlungen anzumelden. Für das Kalenderjahr der
Insolvenzeröffnung ist die für den
vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil entstandene Umsatzsteuer
grundsätzlich für den Zeitraum bis zur
Insolvenzeröffnung zu berechnen und anzumelden.
|
|
|
13
|
a) Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG ist die
Steuer, soweit nicht § 20 UStG gilt, nach vereinbarten
Entgelten zu berechnen. Bei der Berechnung der Steuer ist von der
Summe der Umsätze nach § 1 Abs. 1 UStG auszugehen, soweit
für sie die Steuer in dem Besteuerungszeitraum entstanden und
die Steuerschuldnerschaft gegeben ist (§ 16 Abs. 1 Satz 3
UStG). Von der so berechneten Steuer sind die in den
Besteuerungszeitraum fallenden, nach § 15 UStG abziehbaren
Vorsteuerbeträge abzusetzen und die Berichtigungen
gemäß §§ 15a, 17 UStG zu berücksichtigen
(§ 16 Abs. 2 Satz 1 und 2 UStG, § 18 Abs. 3 Satz 1
UStG).
|
|
|
14
|
b) Besteuerungszeitraum ist auch für den
vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil nach § 16 Abs. 1 Satz
2 UStG das Kalenderjahr, so dass Grundlage der Forderungsanmeldung
nach § 174 InsO die Steuer für das Kalenderjahr ist. Im
Jahr der Insolvenzeröffnung ist die Steuerberechnung
demgegenüber grundsätzlich für den Zeitraum bis zur
Insolvenzeröffnung vorzunehmen. Denn hat der Unternehmer seine
gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nur in einem Teil des
Kalenderjahres ausgeübt, tritt gemäß § 16 Abs.
3 UStG dieser Teil an die Stelle des Kalenderjahres. Dies ist auch
in Bezug auf den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zu
beachten und entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats.
Denn nach dem BFH-Urteil vom 26.11.1987 V R 130/82 (BFHE 151, 349,
BStBl II 1988, 124 = SIS 88 11 25, unter II.3.) ist erforderlich
aber auch ausreichend, dass - nicht anders als bei einem
Umsatzsteuerjahresbescheid - der Inhalt der Forderungsanmeldung die
Individualisierung der Besteuerungssachverhalte
ermöglicht.
|
|
|
15
|
Anzumelden ist die Steuer für das
Kalenderjahr oder die Steuer für den abgekürzten
Besteuerungszeitraum bis zur Insolvenzeröffnung. Eine
gesonderte Forderungsanmeldung i.S. von § 174 InsO für
einzelne Voranmeldungszeiträume ist jedenfalls nicht
erforderlich, da diesen im Verhältnis zur
Jahressteuerberechnung in verfahrens- und in materiell-rechtlicher
Hinsicht grundsätzlich nur vorläufiger Charakter zukommt
(BFH-Urteil vom 7.7.2011 V R 42/09, juris = SIS 11 31 06, unter
II.3.a aa) und es sich bei der für einzelne
Voranmeldungszeiträume entstandenen Steuer daher nur um eine
unselbständige Berechnungsgrundlage für den sich für
das Kalenderjahr oder den kürzeren Besteuerungszeitraum im
Jahr der Insolvenzeröffnung ergebenden Steueranspruch
handelt.
|
|
|
16
|
c) Bei der Steuerberechnung für den
vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil sind die sich für die
einzelnen Umsätze ergebenden Steueransprüche und die
damit zusammenhängenden Vorsteuerbeträge und
Berichtigungen (s. oben II.2.a) nur insoweit zu
berücksichtigen, als es sich bei diesen jeweils um
„einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
begründeten Vermögensanspruch gegen den
Schuldner“ i.S. von § 38 InsO handelt und insoweit
keine Masseverbindlichkeit - z.B. gemäß § 55 Abs. 2
InsO - vorliegt.
|
|
|
17
|
Für die Begründetheit des sich
für den Besteuerungszeitraum (s. oben II.2.c) ergebenden
Umsatzsteueranspruchs kommt es dabei nicht auf den Zeitpunkt der
Entstehung der Steuer für diesen Besteuerungszeitraum an.
Maßgeblich ist vielmehr, ob bei Insolvenzeröffnung der
Tatbestand für die in diesem Besteuerungszeitraum vorliegenden
Steueransprüche, Vorsteuerbeträge und Berichtigungen (s.
oben II.2.a) bereits vollständig verwirklicht und damit
abgeschlossen ist (BFH-Urteile vom 29.1.2009 V R 64/07, BFHE 224,
24, BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24, unter II.1.; vom 30.4.2009 V
R 1/06, BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138 = SIS 09 26 33, unter
II.1., und vom 9.2.2011 XI R 35/09, BFHE 233, 86, BFH/NV 2011, 1445
= SIS 11 18 67, unter II.2.).
|
|
|
18
|
Dies widerspricht entgegen Kahlert (DStR 2011,
1973 ff., 1978) nicht insolvenzrechtlichen Wertungen. Denn unter
welchen Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall von der
„Begründetheit“ i.S. von § 38 InsO
auszugehen ist, kann nur unter Berücksichtigung des
Rechtsverhältnisses entschieden werden, auf dem der jeweilige
Anspruch beruht - hier der sich aus dem UStG ergebende Anspruch - .
Wie der Senat bereits entschieden hat (BFH-Urteil in BFHE 224, 24,
BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24, unter II.4.), besteht - entgegen
Kahlert in DStR 2011, 1973 ff., 1979 ff. - bei der Beurteilung der
Begründetheit i.S. von § 38 InsO auch keine Bindung an
die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote der §§ 94
ff. InsO. So ist über das Vorliegen einer Insolvenzforderung
unabhängig von der Zulässigkeit der Aufrechnung nach
diesen Vorschriften zu entscheiden. Dementsprechend kann z.B. nach
dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19.7.2007 IX ZR 81/06
(UR 2007, 742, Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht - NJW-RR - 2008,
206, unter II.2.c) eine Aufrechnung auch dann an den §§
94 ff. InsO scheitern, wenn der Insolvenzgläubiger mit der ihm
zustehenden „Insolvenzforderung“ aufrechnen
will. Stehen die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote sogar
einer Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger mit seiner
Insolvenzforderung entgegen, kommt den Aufrechnungsverboten
für die Definition der Insolvenzforderung aufgrund
„Begründetheit“ i.S. von § 38 InsO
keine Bindungswirkung zu.
|
|
|
19
|
d) Von der für das jeweilige Kalenderjahr
und im Kalenderjahr der Insolvenzeröffnung bis zur
Insolvenzeröffnung entstandenen Steuer sind bei der
Forderungsanmeldung nach §§ 174 ff. InsO die
Steuerzahlungen abzusetzen, die der Unternehmer z.B. für
einzelne Voranmeldungszeiträume des jeweiligen
Besteuerungszeitraums entrichtet hat. Soweit derartige Zahlungen
vorliegen, liegt im Hinblick auf die insoweit eingetretene
Tilgungswirkung keine Insolvenzforderung vor.
|
|
|
20
|
3. Bei der Anmeldung der Umsatzsteuerforderung
für den jeweiligen Besteuerungszeitraum zur Insolvenztabelle
(§§ 174 ff. InsO) sind die insolvenzrechtlichen
Aufrechnungs- und Anfechtungsregelungen nicht zu beachten (offen
gelassen in BFH-Urteil vom 2.11.2010 VII R 6/10, BFHE 231, 488,
BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56, unter II.2.b).
|
|
|
21
|
a) Die Steuerberechnung nach §§ 16
ff. UStG ist keine Aufrechnung, so dass sie auch nicht den
Beschränkungen der §§ 94 ff. InsO unterliegt.
|
|
|
22
|
aa) Schulden zwei Personen einander
Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, kann
gemäß § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)
jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils
aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und
die ihm obliegende Leistung bewirken kann.
|
|
|
23
|
Nach § 226 Abs. 1 AO gelten für die
Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die
Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß,
soweit nichts anderes bestimmt ist. Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis sind dabei die Ansprüche i.S. von
§ 37 AO (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 226 AO Rz 13).
|
|
|
24
|
bb) Gemäß § 38 AO entsteht der
Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand
verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht
knüpft. Die Umsatzsteuer entsteht i.S. des § 38 AO in dem
Zeitpunkt, in dem sie nach § 16 Abs. 1 und 2 UStG berechenbar
ist (vgl. BFH-Urteil vom 9.5.1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl
II 1996, 662 = SIS 96 22 77, unter II.1.). Bei den sich aus dem
UStG ergebenden Ansprüchen liegt danach ein Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis erst aufgrund der Steuerberechnung nach
§§ 16 ff. UStG (s. oben II.2.a) für einen
Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum vor. Daher kann nur mit
oder gegen den Anspruch aufgerechnet werden, der sich aus der
Steuerberechnung für einen derartigen Zeitraum ergibt.
|
|
|
25
|
cc) Bei der Steuerberechnung nach §§
16 ff. UStG selbst handelt es sich demgegenüber - entgegen dem
Urteil des FG Baden-Württemberg vom 6.4.2011 1 K 808/08 (EFG
2011, 1407 = SIS 11 21 82, Rev. VII R 30/11) - nicht um eine
Aufrechnung nach § 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff.
BGB.
|
|
|
26
|
(1) Anders als bei einer Aufrechnung, die
selbständige Forderungen voraussetzt (E. Wagner in Ermann,
BGB, 13. Aufl. 2011, vor § 387 Rz 6), sind die im Rahmen der
Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG miteinander zu
saldierenden Steueransprüche, Vorsteuerbeträge und
Berichtigungen (s. oben II.2.a) lediglich unselbständige
Besteuerungsgrundlagen innerhalb einer Steuerberechnung und
-festsetzung, nicht aber Ansprüche mit verfahrensrechtlichem
Eigenleben; erst wenn sich bei der Steuerberechnung
gemäß §§ 16 ff. UStG als Saldo eine
Steuerschuld oder - als Vergütungsanspruch - ein rechnerischer
Überschuss und damit eine „negative
Steuerschuld“ zugunsten des Unternehmers ergibt, besteht
ein selbständiger und damit abtretbarer oder aufrechenbarer
Steuer- oder Vergütungsanspruch (BFH-Urteil vom 24.3.1983 V R
8/81, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612 = SIS 83 15 21, unter 1.a,
m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung). Ebenso ist es entgegen den
Senatsurteilen vom 26.2.1987 V R 114/79 (BFHE 149, 98, BStBl II
1987, 471 = SIS 87 09 48, unter II.2.) und vom 26.11.1987 V R
133/81 (BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199 = SIS 88 11 47, unter
II.1.b) auch im Feststellungsverfahren nach § 251 Abs. 3 AO.
Als insolvenzrechtliche Einschränkung ist entsprechend dem
Senatsurteil in BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471 = SIS 87 09 48,
unter II.2. nur zu berücksichtigen, dass ein
Forderungsaustausch im Feststellungsverfahren nicht zulässig
ist.
|
|
|
27
|
Die Auffassung, Umsatzsteuer und Vorsteuer
seien selbständige Ansprüche, lässt sich
darüber hinaus auch nicht mit der dem nationalen Recht
zugrunde liegenden Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) vereinbaren.
Nach Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie ist der Vorsteuerabzug vom
Steuerbetrag „abzusetzen“. Übersteigt der
Betrag der zulässigen Abzüge und damit der Betrag des
Vorsteuerabzugs den Betrag der für den Erklärungszeitraum
geschuldeten Steuer, können die Mitgliedstaaten nach Art. 18
Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG den Überschuss entweder auf
den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder ihn nach den von ihnen
festgelegten Einzelheiten erstatten. Dies schließt eine
isolierte Geltendmachung der einzelnen Berechnungsgrundlagen
für die Umsatzsteuer aus. Denn es besteht unter
Berücksichtigung der Richtlinie 77/388/EWG für den
Unternehmer keine Rechtsgrundlage dafür, sich den Betrag
seines Vorsteuerabzugs voll auszahlen zu lassen und die ohne
Saldierung mit dem Vorsteuerabzug geschuldete Steuer an das FA zu
entrichten oder z.B. diese Zahlung schuldig zu bleiben.
Dementsprechend kann weder das FA noch der Unternehmer mit oder
gegen einzelnen Ansprüchen auf Umsatzsteuer aus
Ausgangsleistungen oder mit oder gegen Vorsteueransprüchen aus
einzelnen Leistungsbezügen aufrechnen.
|
|
|
28
|
(2) Zum anderen ist die Aufrechnung ein
Gestaltungsrecht und setzt als einseitiges Rechtsgeschäft eine
Aufrechnungserklärung voraus (Schlüter, in Münchener
Kommentar, BGB, 5. Aufl. 2007, § 388 Rz 1; E. Wagner, a.a.O.,
§ 388 Rz 1). Die Steuerberechnung gemäß
§§ 16 ff. UStG ist demgegenüber weder ein
„einseitiges Rechtsgeschäft“ noch ein
„Gestaltungsrecht“. Denn die Rechtsfolgen der
nach diesen Vorschriften vorzunehmenden Steuerberechnung treten
kraft Gesetzes und damit unabhängig von den darüber
hinaus abzugebenden Erklärungen, wie z.B. Steuer- oder
Voranmeldungen, ein. Deshalb lässt sich die Steuerberechnung
nach §§ 16 ff. UStG entgegen Onusseit (Festschrift
für Walter Gerhardt, 2004, S. 730 ff., 736 f.) nicht mit einer
rechtsgeschäftlich vereinbarten Verrechnungsabrede im
Kontokorrent vergleichen.
|
|
|
29
|
b) Die Steuerberechnung nach §§ 16
ff. UStG ist auch keine anfechtbare Rechtshandlung i.S. der
§§ 129 ff. InsO.
|
|
|
30
|
aa) Gemäß § 129 Abs. 1 InsO
kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und
die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der
§§ 130 bis 146 InsO anfechten.
|
|
|
31
|
bb) Für die Ausübung des
Anfechtungsrechts genügt jede erkennbare - auch konkludente -
Willensäußerung, dass der Insolvenzverwalter eine
Gläubigerbenachteiligung in der Insolvenz nicht hinnehme,
sondern diese zur Masseanreicherung wenigstens wertmäßig
auf Kosten des Anfechtungsgegners wieder auszugleichen suche
(BGH-Urteil vom 21.2.2008 IX ZR 209/06,
Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und
Bankrecht - WM - 2008, 935, Leitsatz. unter Bezugnahme auf Kirchhof
in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2008, § 129 Rz
194; ebenso de Bra, in Braun, InsO, 4. Aufl. 2010, § 129 Rz
45). Dementsprechend stellt auch das (nachträgliche)
Bestreiten der vom FA gemäß §§ 174 ff. InsO
zur Tabelle angemeldeten Forderung eine Ausübung des
Anfechtungsrechts dar.
|
|
|
32
|
cc) Für die Entscheidung über das
Bestehen des Anfechtungsrechts ist, wenn sich die Anfechtung auf
einen Anspruch auf Abgaben bezieht, die der Gesetzgebung des Bundes
unterliegen, gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO der
Finanzrechtsweg eröffnet. Dies trifft auf die im vorliegenden
Fall streitige Umsatzsteuer zu. Maßgeblich für die
Bestimmung der Rechtswegzuständigkeit ist insoweit nicht der
insolvenzanfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch als
solcher, sondern das Rechtsverhältnis, das der angefochtenen
Rechtshandlung zugrunde liegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der
obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.9.2010 GmS-OGB 1/09,
BGHZ 187, 105, NJW 2011, 1211, unter III.2.) (Anm. BStBl: Nach
dem BGH-Beschluss vom 24.3.2011, IX ZB 36/09 ist der Beschluss des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
27.9.2010, GMS-OGB 1/09, der zur Arbeitsgerichtsbarkeit erging,
weder auf die Sozialgerichtsbarkeit noch auf die anderen
Gerichtsbarkeiten, die über öffentlich-rechtliche
Streitigkeiten zu entscheiden haben, übertragbar. Für
insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen ist daher der Rechtsweg zu
den ordentlichen Gerichten gegeben.).
|
|
|
33
|
dd) Der Senat kann im Streitfall offen lassen,
ob er sich der Auffassung des IX. Senats des BGH und des VII.
Senats des BFH anschließt, nach der bei
„Geschäften des Schuldners und
Steuerpflichtigen“, die als
„umsatzsteuerpflichtige Leistungen an Kunden … zum
Entstehen der Steuerforderung des Finanzamts
[führen]“, von einer anfechtbaren Rechtshandlung
auszugehen ist (BGH-Urteil vom 22.10.2009 IX ZR 147/06, WM 2009,
2394, HFR 2010, 413 = SIS 10 06 34, unter II.2.b cc; ebenso
BFH-Urteil in BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56,
unter II.2.c aa zur „Leistungserbringung“ als
Rechtshandlung). Denn die Steuerberechnung gemäß
§§ 16 ff. UStG hat keine gläubigerbenachteiligende
Wirkung und führt daher nicht zu einer anfechtbaren
Rechtshandlung i.S. von § 129 InsO (unzutreffend daher auch
insoweit Urteil des FG Baden-Württemberg in EFG 2011, 1407 =
SIS 11 21 82).
|
|
|
34
|
(1) Da es anfechtungsrechtlich auf die
jeweilige, durch die Rechtshandlung ausgelöste Rechtswirkung,
die gläubigerbenachteiligend ist, ankommt (BGH-Urteil vom
9.7.2009 IX ZR 86/08, NJW-RR 2010, 118, WM 2009, 1750 = SIS 09 33 67, unter II.2.c bb (2)), ist für die Beurteilung, ob die
Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG der
Insolvenzanfechtung unterliegt, die Rechtsprechung zur
Insolvenzanfechtbarkeit bei Erlangen einer Aufrechnungslage mit
einem aufgrund dieser Steuerberechnung entstandenen Anspruch aus
dem Steuerschuldverhältnis (vgl. hierzu BGH-Urteil in WM 2009,
2394, HFR 2010, 413 = SIS 10 06 34, und BFH-Urteil in BFHE 231,
488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56) nicht
entscheidungserheblich.
|
|
|
35
|
(2) Nach dem BGH-Urteil in NJW-RR 2010, 118,
WM 2009, 1750, unter II.2.c ist das Herstellen von Bier - ohne
Erlaubnis zur Herstellung unter Steueraussetzung - nicht nur eine
Rechtshandlung, sondern auch gläubigerbenachteiligend, da die
dadurch entstehende Sachhaftung für Biersteuer das
Schuldnervermögen mit einer dinglichen Haftung für eine
Insolvenzforderung belastet.
|
|
|
36
|
(3) Selbst wenn das Erbringen entgeltlicher
Leistungen als anfechtbare Rechtshandlung anzusehen ist, wirkt die
Umsatzsteuer - anders als die Biersteuer, die einen Steueranspruch
unabhängig vom Vorliegen eines korrespondierenden
Zahlungsanspruchs des Steuerschuldners gegen Kunden begründet
- aufgrund des dem Umsatzsteuerrecht immanenten
Neutralitätsgrundsatzes nicht
gläubigerbenachteiligend.
|
|
|
37
|
(a) Nach dem im Streitjahr zu beachtenden Art.
2 der Ersten Richtlinie des Rates vom 11.4.1967 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuer (Richtlinie 67/227/EWG), der inhaltlich Art. 1 Abs. 2
der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie entspricht, beruht das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz, dass auf
Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der
Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden
Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine,
zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau
proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist. Dabei wird bei allen
Umsätzen die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand
oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des
Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich
des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen
Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
|
|
|
38
|
Nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ergibt sich aus dem
Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass der
Steuerpflichtige (Unternehmer) weder ganz noch teilweise durch die
Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) belastet werden darf. Der
Steuerpflichtige muss in der Lage sein, unter angemessenen
Bedingungen den gesamten aus einem Mehrwertsteuerüberschuss
resultierenden Forderungsbetrag zu erlangen. Dem Steuerpflichtigen
darf somit durch die Steuererhebung kein finanzielles Risiko
entstehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 28.7.2011 C-274/10,
Kommission/Ungarn, UR 2011, 755 = SIS 11 26 59 Rdnr. 45, m.w.N. zur
EuGH-Rechtsprechung). In Bezug auf das vom Steuerpflichtigen zu
vereinnahmende Entgelt folgt aus dem Grundsatz steuerlicher
Neutralität insbesondere, dass der Betrag, der als
Bemessungsgrundlage für die vom Steuerpflichtigen geschuldete
Mehrwertsteuer dient, nicht höher sein darf als der Betrag,
den er letztlich erhält (EuGH-Urteil vom 24.10.1996 C-317/94,
Elida Gibbs, Slg. 1996, I-5339 = SIS 97 04 27 Rdnr. 28).
|
|
|
39
|
(b) Aufgrund des Neutralitätsprinzips ist
die Umsatzsteuer nicht gläubigerbenachteiligend i.S. von
§ 129 InsO. Denn sowohl bei den vom Unternehmer erbrachten
Ausgangsleistungen wie auch bei den vom Unternehmer bezogenen
Eingangsleistungen besteht eine umsatzsteuerrechtliche
Verpflichtung oder Berechtigung gegenüber dem Fiskus als
Steuergläubiger grundsätzlich nur insoweit, als der
Unternehmer das Entgelt für eine von ihm erbrachte
Ausgangsleistung vereinnahmt oder das Entgelt für die von ihm
bezogene Eingangsleistung entrichtet. Selbst wenn die
Entgeltvereinnahmung oder -entrichtung zunächst unterbleibt
(vgl. zur sog. Sollbesteuerung von Ausgangsleistungen § 13
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG), wirkt die Umsatzsteuer im
Insolvenzfall nicht gläubigerbenachteiligend. Denn nach der
Rechtsprechung des Senats sind alle noch nicht vereinnahmten oder
entrichteten Entgelte mit der Insolvenzeröffnung
gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auf null zu
berichtigen (BFHE 232, 301, BFH/NV 2011, 952 = SIS 11 11 55, unter
II.3.b und c; s. hierzu auch unten II.5.a). Damit ist
gewährleistet, dass der Unternehmer im Zeitpunkt der
Insolvenzeröffnung Ausgangsleistungen nur in dem Umfang zu
versteuern hat, als er Entgelte auch vereinnahmen konnte und er den
Vorsteuerabzug nur in dem Umfang in Anspruch nimmt, als er Entgelte
für Eingangsleistungen entrichtet hat.
|
|
|
40
|
Dem steht nicht entgegen, dass nach dem
BGH-Urteil in NJW-RR 2010, 118, WM 2009, 1750, unter II.2.c bb (1)
der Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung isoliert mit Bezug
auf die konkret bewirkte Minderung des Aktivvermögens oder der
Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen ist und daher
bei der Sachhaftung für Biersteuer die durch den Brauvorgang
einhergehende Wertschöpfung kein saldierungsfähiger
Vorteil ist. Denn die Berichtigung der zuvor erfolgten Besteuerung
nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG lässt den zuvor
begründeten Steueranspruch in vollem Umfang wieder entfallen
und schließt damit - anders als bei einer bloßen
Saldierung mit einem unbestimmten „Vorteil“ -
eine Gläubigerbenachteiligung aus.
|
|
|
41
|
4. Im Streitfall hat das FA zwar einen sich
aus dem UStG ergebenden Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis zur Insolvenztabelle angemeldet. Die
unwidersprochene Anmeldung zur Forderungstabelle kann jedoch -
entgegen der Auffassung des FG - nur unter den Voraussetzungen des
§ 130 Abs. 1 AO geändert werden. Die Feststellungen des
FG erlauben keine abschließende Entscheidung, denn das FA hat
von dem ihm insoweit zustehenden Ermessen aufgrund seiner anderen
Rechtsauffassung keinen Gebrauch gemacht. Das FG durfte diese nicht
ersetzen (§ 102 FGO). Das Urteil des FG war daher aufzuheben
und das FA zur erneuten Bescheidung zu verpflichten.
|
|
|
42
|
a) Erhebt - wie im Streitfall - weder der
Insolvenzverwalter noch ein Insolvenzgläubiger gegen die
angemeldete Forderung Widerspruch, gilt sie gemäß §
178 Abs. 1 InsO als festgestellt. Für die festgestellte
Forderung wirkt die Eintragung in die Tabelle nach § 178 Abs.
3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil. Die Urteilswirkung des
§ 178 Abs. 3 InsO entfällt aber bei der Eintragung von
Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs.
2 AO) wie beim Erlass eines Feststellungsbescheids nach Bestreiten
gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO unter
den Voraussetzungen des § 130 AO.
|
|
|
43
|
aa) Bei Forderungen, die dem ordentlichen
Verfahren gemäß § 180 InsO unterliegen, macht es
nach der Rechtsprechung des BGH für die
Rechtskraftfähigkeit und den Rechtskraftumfang keinen
Unterschied, ob die Forderung widerspruchslos eingetragen wird oder
ob sie vom Insolvenzverwalter oder von einem anderen
Insolvenzgläubiger bestritten und für sie die
Feststellung gemäß § 179 InsO betrieben wird.
Während im ersten Fall die Forderung nach § 178 Abs. 1
Satz 1 InsO kraft Gesetzes als festgestellt gilt, erfolgt im
zweiten Fall die Feststellung durch das Urteil im ordentlichen
Verfahren gemäß § 180 Abs. 1 InsO und die sich
hieran anschließende Berichtigung der Tabelle nach § 183
Abs. 2 InsO. Die Wirkung des Feststellungsurteils liegt damit in
der Beseitigung des Widerspruchs. Die Sachlage ist dieselbe, als
wäre im Prüfungstermin gar kein Widerspruch erhoben und
die Forderung als unstreitig festgestellt worden. In beiden
Fallgruppen wirkt erst die Eintragung durch das Insolvenzgericht in
die Tabelle gemäß § 178 Abs. 3 InsO für die
festgestellte Forderung nach Betrag und Rang wie ein
rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter
und allen Insolvenzgläubigern (BGH-Urteil vom 13.6.2006 IX ZR
15/04, BGHZ 168, 112, unter III.2.a).
|
|
|
44
|
bb) Auch für Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis sind Rechtskraftfähigkeit und
Rechtskraftumfang von Eintragung und Feststellung identisch.
|
|
|
45
|
(1) Bei Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis tritt beim Bestreiten einer
angemeldeten Forderung an die Stelle des Feststellungsurteils
gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO der
Erlass eines behördlichen Feststellungsbescheids. Dieser ist
nach § 130 Abs. 1 AO änderbar (vgl. z.B. Loose in Tipke/
Kruse, a.a.O., § 251 AO Rz 68). Nach dieser Vorschrift kann
ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft
oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
|
|
|
46
|
(2) Ebenso wie im ordentlichen Verfahren (s.
oben 4.a aa) sind auch bei Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis Rechtskraftfähigkeit und
Rechtskraftumfang von Eintragung und Feststellung identisch. Es ist
kein sachlicher Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte,
der Eintragung aufgrund bloßer Feststellung ohne Bestreiten
weiter gehende Rechtsfolgen als einer Feststellung nach Bestreiten
zuzubilligen. Bei der Eintragung von Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis ist § 178 Abs. 3 InsO daher
einschränkend dahingehend auszulegen, dass dieser Eintragung
lediglich die Wirkung einer behördlichen Feststellung nach
Bestreiten gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs.
3 AO zukommt und wie diese unter den Voraussetzungen des § 130
AO geändert werden kann, wobei die Entscheidung hierüber
wie beim rechtzeitigen Bestreiten von der Verwaltungsbehörde
zu treffen ist. Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtsprechung
des VII. Senats des BFH, der davon ausgeht, dass die Eintragung in
die Tabelle bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
die gleichen Rechtswirkungen wie ein entsprechender
„Steuerbescheid“ (BFH-Urteil vom 19.8.2008 VII R
36/07, BFHE 222, 205, BStBl II 2009, 90 = SIS 08 38 86, unter
II.1.b dd) und damit wie ein Feststellungsbescheid hat.
|
|
|
47
|
b) Im Streitfall ist das Urteil der Vorinstanz
aufzuheben. Zwar hat das FG zu Recht den angefochtenen Bescheid
aufgehoben (vgl. § 102 FGO). Im Hinblick auf das Fehlen
jeglicher Ermessensausübung durch das FA war das FG aber nicht
berechtigt, anstelle des FA zu entscheiden. Vielmehr war das FA zu
verpflichten, das ihm zustehende Ermessen erstmals auszuüben
und den Kläger unter Ausübung pflichtgemäßen
Ermessens zu bescheiden.
|
|
|
48
|
Das FA hat in seinem Ablehnungsbescheid vom
10.4.2008 die für den Zeitraum 1. Januar bis 22.8.2006
eingereichte Umsatzsteuererklärung als Antrag auf
Änderung des Tabelleneintrags behandelt und, anstatt über
den Antrag nach Maßgabe des § 130 Abs. 1 AO eine
Ermessensentscheidung zu treffen, diesen in der unzutreffenden
Annahme, die Änderung sei nur unter den nicht vorliegenden
Voraussetzungen einer Restitutionsklage zulässig,
abgelehnt.
|
|
|
49
|
5. Das FA wird bei seiner
Ermessensentscheidung Folgendes zu berücksichtigen haben:
|
|
|
50
|
a) Dass der Gesetzgeber in § 130 Abs. 1
AO die Rücknahme des Verwaltungsakts ungeachtet des Ablaufs
der Rechtsbehelfsfrist in das Ermessen der Finanzbehörden
gestellt hat, zeigt, dass einerseits nicht jeder als rechtswidrig
erkannte belastende Verwaltungsakt zurückzunehmen ist,
während es andererseits auch nicht dem Zweck der
Ermächtigung zur Ermessensausübung entspricht, das
Ermessen grundsätzlich nicht zugunsten der Steuerpflichtigen
auszuüben. Bei der Entscheidung, ob einem Begehren auf
Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entsprechen
ist, hat die Verwaltung daher im konkreten Fall abzuwägen, ob
dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der
Gerechtigkeit im Einzelfall oder dem Interesse der Allgemeinheit am
Eintritt von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorzug zu geben
ist. Dabei kommt es auf die Schwere und Offensichtlichkeit des
Rechtsverstoßes sowie darauf an, weshalb die Rechtswidrigkeit
des Verwaltungsakts erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vom
Steuerpflichtigen geltend gemacht wird (BFH-Urteil vom 9.3.1989 VI
R 101/84, BFHE 157, 1, BStBl II 1989, 749 = SIS 89 17 37, unter
II.3.a; BFH-Beschluss vom 4.6.2008 I R 9/07, BFH/NV 2008, 1647 =
SIS 08 35 68). Deshalb ist das Ermessen durch das FA in der Regel
ermessensfehlerfrei ausgeübt, wenn der Adressat die
Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme
rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Einspruch gegen
den Bescheid hätte vorbringen können und keine besonderen
Umstände vorliegen, nach denen vom Adressaten die
Rechtsverfolgung im Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung
aller Umstände billigerweise nicht erwartet werden konnte.
|
|
|
51
|
b) Bei der Entscheidung, ob das Festhalten am
Tabelleneintrag ermessensgerecht ist, hat das FA grundsätzlich
auch zu berücksichtigen, ob es seine Forderung entsprechend
den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung (s. oben II.2. und 3.)
berechnet und dabei insbesondere beachtet hat, dass bei
Insolvenzeröffnung nicht nur die bis dahin noch nicht
entrichteten Entgelte für bezogene Leistungen, sondern auch
die bis dahin noch nicht vereinnahmten Entgelte für erbrachte
Leistungen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich werden
(BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BFH/NV 2011, 952 = SIS 11 11 55,
unter II.3.a und b).
|
|
|
52
|
aa) Der sich aus dem Senatsurteil in BFHE 232,
301, BFH/NV 2011, 952 = SIS 11 11 55, unter II.3.a und b ergebende
Berichtigungsanspruch für Entgelte aus durch den insolventen
Unternehmer erbrachten Leistungen entsteht dabei
„mit“ und damit eine juristische Sekunde vor der
Insolvenzeröffnung, so dass es sich sowohl bei dem
Vorsteuerberichtigungsanspruch für bezogene Leistungen wie
auch bei dem Steuerberichtigungsanspruch für erbrachte
Leistungen um vor der Verfahrenseröffnung begründete
Ansprüche und damit um bei der Forderungsanmeldung nach §
174 InsO zu berücksichtigende Insolvenzforderungen handelt
(Wäger, DStR 2011, 1925 ff., 1926, 1929).
|
|
|
53
|
Der Gegenauffassung von Heinze (Deutsche
Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht - DZWiR -
2011, 276 ff., 279) und Onusseit (DZWiR 2011, 353 ff., 355), nach
der der Steuerberichtigungsanspruch erst nach der
Verfahrenseröffnung als Anspruch der Masse entstehen soll,
schließt sich der Senat nicht an, da für den
Steuerberichtigungsanspruch nichts anderes gilt als für den
Vorsteuerberichtigungsanspruch, den der Senat bereits in seinem
Urteil vom 13.11.1986 V R 59/79 (BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226
= SIS 87 08 26, Leitsatz) als Konkursforderung angesehen hat.
Soweit es der BGH in diesem Zusammenhang für unzutreffend
hält, dass „eine Forderung, die mit
Insolvenzeröffnung entstehe, … so zu behandeln [sei],
als sei sie vor diesem Zeitpunkt entstanden“ (BGH-Urteil
in UR 2007, 742, NJW-RR 2008, 206, unter II.2.c aa), betrifft dies
nur die Zulässigkeit der Aufrechnung im Insolvenzfall nach
§§ 94 ff. InsO, der bei der Abgrenzung zwischen
Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten aber keine
entscheidende Bedeutung zukommt (s. oben II.2.c). Im Übrigen
geht auch der BGH in diesem Urteil trotz der von ihm angenommenen
Unzulässigkeit der Aufrechnung von einer
„bloßen Insolvenzforderung“ aus und
verneint dabei ausdrücklich das Vorliegen einer
Masseverbindlichkeit (BGH-Urteil in UR 2007, 742, NJW-RR 2008, 206,
unter II.2.c bb).
|
|
|
54
|
bb) Im Übrigen hält der Senat an
seinem Urteil in BFHE 232, 301, BFH/NV 2011, 952 = SIS 11 11 55
trotz der hieran geäußerten Kritik fest. Insbesondere
liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der
Gläubigergleichbehandlung (vgl. § 1 InsO) vor (a.M.
Kahlert, DStR 2011, 921 ff., 925 f., und DStR 2011, 1973 ff., 1978
f.). Zwar rechtfertigt der Umstand, dass der Steuergläubiger
nicht freiwillig zum Gläubiger geworden ist, nach dem zur
Einkommensteuer ergangenen BFH-Urteil vom 24.2.2011 VI R 21/10
(BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520 = SIS 11 13 35, unter II.b cc)
keine Besserstellung gegenüber anderen Gläubigern. Bei
der Umsatzsteuer besteht aber die Besonderheit, dass die bei
Insolvenzeröffnung noch offenen Ansprüche auf
Gegenleistungen aus zuvor erbrachten Leistungen neben dem Entgelt
einen Umsatzsteueranteil aufweisen, der zusammen mit dem Entgelt
vom Insolvenzverwalter im Rahmen der Verwaltung der Masse
gemäß §§ 148 ff. InsO einzuziehen ist. Die
für den Insolvenzverwalter auch für den
Umsatzsteueranteil bestehende Einziehungsbefugnis rechtfertigt die
Annahme, dass im Umfang der durch den Insolvenzverwalter
vereinnahmten Umsatzsteuer - unter Berücksichtigung der zuvor
eingetretenen Uneinbringlichkeit - keine Insolvenzforderung,
sondern eine Masseverbindlichkeit vorliegt.
|
|
|
55
|
c) Im Hinblick auf die vom FA zu treffende
Ermessensentscheidung weist der Senat im Übrigen vorsorglich
darauf hin, dass es für die weitere Beurteilung unerheblich
ist, ob die vom Kläger abgegebene Steuererklärung - ggf.
nach Zustimmung durch das FA - gemäß § 168 AO als
Steuerfestsetzung anzusehen ist. Denn können gemäß
§ 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens nicht mehr durch Steuerbescheid festgesetzt
werden (BFH-Urteil in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24, unter II.1.), steht dies auch einer sich aus § 168 AO
ergebenden Annahme einer Steuerfestsetzung nach
Verfahrenseröffnung entgegen. Schließlich wird bei der
Ermessensausübung auch zu berücksichtigen sein, dass die
Forderungsanmeldung im Streitfall nicht - wie erforderlich (s. oben
II.2.b) eine Steuerberechnung für den abgekürzten
Besteuerungszeitraum vom Beginn des Kalenderjahres bis zum
Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zugrunde lag.
|