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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob die Einkommensteuerschuld für Einkünfte der
Insolvenzschuldnerin aus nichtselbständiger Arbeit in einem
Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vorrangig
zu befriedigende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 der
Insolvenzordnung (InsO) ist.
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Über das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin ist am 20.4.2005 und über das
Vermögen des Ehegatten am 6.4.2005 das vereinfachte
Insolvenzverfahren eröffnet worden. Treuhänder in beiden
Verfahren ist der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger).
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Die Insolvenzschuldnerin wurde in den
Jahren 2005 und 2006 mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer
erklärungsgemäß veranlagt. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) erteilte dem
Kläger als Treuhänder für die Zeiträume bis zur
Insolvenzeröffnung eine Steuerberechnung für das Jahr
2005. Für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung des Jahres
2005 sowie für das Jahr 2006 erließ das FA jeweils
Einkommensteuerbescheide an den Kläger. Auf die
Insolvenzschuldnerin entfiel dabei nach beantragter Aufteilung der
Steuerschuld ein Nachzahlungsbetrag für 2005 in Höhe von
insgesamt 845,74 EUR und für 2006 in Höhe von 582,88 EUR.
Beide Einkommensteuerbescheide enthielten den Hinweis, dass die
Steuerfestsetzung die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit
betreffe. Die vom Kläger eingelegten Einsprüche richteten
sich gegen die Einordnung der Einkommensteuerschuld als
Masseverbindlichkeit.
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Die vom Kläger nach erfolglosem
Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG)
gab der Klage mit den in EFG 2010, 883 = SIS 10 11 37
veröffentlichten Gründen statt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung der §§ 35, 55 InsO.
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Es beantragt sinngemäß, das
angefochtene Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 24.2.2010 2 K
90/08 aufzuheben.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG entschieden, dass die
Einkommensteuerschuld der Insolvenzschuldnerin keine
Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 InsO ist.
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Masseverbindlichkeiten sind gemäß
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch
Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die
Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse
begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens
zu gehören. Vorliegend ist die Einkommensteuerverbindlichkeit
der Insolvenzschuldnerin nicht in anderer Weise durch die
Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, als
einzig in Betracht kommende Tatbestandsalternative, begründet
worden.
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Die Entstehung der Schuld muss auf eine
Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die
Insolvenzmasse zurückzuführen sein (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21.7.2009 VII R 49/08, BFHE 226, 97,
BStBl II 2010, 13 = SIS 09 33 10). Ein Unterlassen des
Insolvenzverwalters genügt als „verwalten“
nur, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt wurde
(BFH-Urteil vom 18.5.2010 X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114 = SIS 10 32 64). Vorliegend führte die Verwaltung der Masse durch den
Kläger nicht zu der streitigen Einkommensteuernachzahlung.
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a) Keine Verwaltungsmaßnahme des
Klägers ist die Arbeitstätigkeit der Insolvenzschuldnerin
als solche. Ein Bezug zur Masse ist schon deswegen ausgeschlossen,
weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse
gehört (Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom
18.12.2008 IX ZB 249/07, Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht - ZInsO - 2009, 299). Der Kläger hatte auch
keine Pflicht zum Tätigwerden, da er als Insolvenzverwalter
bzw. Treuhänder keine Möglichkeit hat, die Tätigkeit
zu unterbinden oder zu beeinflussen (BFH-Urteil in BFHE 226, 97,
BStBl II 2010, 13 = SIS 09 33 10).
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b) Entgegen der Auffassung des FA liegt eine
Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters nicht allein
deshalb vor, weil das Arbeitseinkommen der Insolvenzschuldnerin als
Neuerwerb (teilweise) zur Masse gelangt ist und diese damit
vermehrt wurde. Zwar ist eine Verwaltungsmaßnahme des
Insolvenzverwalters ausgeschlossen, wenn tatsächlich keine
Erträge zur Masse gezogen worden sind (BFH-Urteil in BFH/NV
2010, 2114 = SIS 10 32 64). Der Umkehrschluss ist jedoch nicht ohne
weiteres möglich (BFH-Urteil in BFHE 226, 97, BStBl II 2010,
13 = SIS 09 33 10).
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aa) Im Streitfall ist nach den Feststellungen
des FG ein Teil des Arbeitseinkommens der Insolvenzschuldnerin als
Neuerwerb tatsächlich in die Insolvenzmasse gelangt. Nach
§ 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte
Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des
Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens
erlangt (Insolvenzmasse). Anders als unter Geltung der
Konkursordnung gehört damit der sogenannte Neuerwerb ebenfalls
zur Masse, soweit er der Zwangsvollstreckung unterliegt (§ 36
Abs. 1 InsO). Damit sind sämtliche Forderungen des
Insolvenzschuldners Teil der Masse, ohne dass ein Abzug der
berufsbedingten Aufwendungen erfolgt (BGH-Versäumnisurteil vom
1.2.2007 IX ZR 178/05, ZInsO 2007, 545).
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Anders ist dies jedoch bei den Ansprüchen
des Insolvenzschuldners auf Arbeitslohn. Bei diesen wird der Fiskus
als Gläubiger der Lohnsteuer in zweifacher Weise
gegenüber anderen Neugläubigern privilegiert. § 36
Abs. 1 Satz 2 InsO verweist auf die §§ 850, 850a, 850c,
850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i der
Zivilprozessordnung (ZPO). Die entsprechende Anwendung dieser
Normen hat zur Folge, dass nur der allgemein pfändbare Teil
des Arbeitslohnes zur Masse gelangt. Die Lohnsteuer, die vom
Arbeitgeber direkt an das Finanzamt zu entrichten ist, wird vom
Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners abgezogen, um den
allgemein pfändbaren Betrag zu ermitteln. Damit wird dem
Steuergläubiger nicht nur ein direktes Zugriffsrecht auf die
Erwerbsquelle eingeräumt, sondern der Lohnsteuerabzug erfolgt
zudem unabhängig vom Pfändungsschutz. Zu den
steuerrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen i.S. des § 850e
ZPO gehört jedoch nur die laufende Lohnsteuer, nicht aber eine
auf das Gesamteinkommen zu leistende Abschlusszahlung (Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 24.10.1979 4 AZR 805/77, DB 1980, 835;
Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850e Rz 5) oder
Lohnsteuerhaftungsbeträge (BFH-Urteil in BFHE 226, 97, BStBl
II 2010, 13 = SIS 09 33 10). Für diese Steuerschulden gelten
die allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätze über
Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners im Zusammenhang mit einer
neuen Erwerbstätigkeit.
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bb) Aus der Zugehörigkeit einer Forderung
zur Masse folgt danach nicht, dass die mit dieser Forderung
zusammenhängenden Verbindlichkeiten stets
Masseverbindlichkeiten sind. Einer derart weiten Auslegung des
§ 55 InsO, der allein regelt, was Masseverbindlichkeiten sind,
steht neben dem Wortlaut der Norm auch entgegen, dass nach §
35 InsO der Neuerwerb zur Masse gezogen werden sollte, aber den
Neugläubigern nur das insolvenzfreie Vermögen des
Schuldners verbleiben sollte (vgl. Henckel in Jaeger,
Insolvenzordnung, § 35 Rz 122; Frotscher, Besteuerung bei
Insolvenz, 7. Aufl., S. 78; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12.
Aufl., § 35 Rz 38). Die Benachteiligung der Neugläubiger
wird damit gerechtfertigt, dass nach der Konkursordnung das
Arbeitseinkommen in der Regel auch vom Altgläubiger
gepfändet gewesen sei, so dass den Neugläubigern
tatsächlich auch kein Vermögen aus dem Neuerwerb zur
Verfügung stand (BRDrucks 1/92, S. 122 zu § 42
InsO-Entwurf; vgl. BTDrucks 16/3227, S. 17 zum geänderten
§ 35 Abs. 2 InsO). Auch der Zusammenhang des § 55 InsO
mit den §§ 80, 81 InsO spricht gegen eine Aufnahme der
Neuverbindlichkeiten als Masseschulden. Nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens hat nur noch der Insolvenzverwalter die
Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse. Wenn die mit
einem Neuerwerb zusammenhängenden Verbindlichkeiten ohne Zutun
des Insolvenzverwalters zu Masseverbindlichkeiten werden
könnten, hätte es der Schuldner in der Hand, die Masse
durch Eingehen von Verbindlichkeiten zu schmälern. Dies soll
jedoch nicht gegen den Willen des Insolvenzverwalters möglich
sein.
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cc) Für die Einkommensteuer, die auf
einen Neuerwerb anfällt, ist keine abweichende Betrachtung
geboten. Diese Einkommensteuer führt ebenso wie die Aufwendung
von Werbungskosten oder Betriebsausgaben zu einer mit einem
Neuerwerb in Verbindung stehenden Verbindlichkeit und ist somit
grundsätzlich aus dem insolvenzfreien Vermögen des
Insolvenzschuldners zu begleichen (Maus, ZInsO 2001, 493;
Frotscher, a.a.O.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., §
60 Rz 5).
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Etwas anderes gilt auch nicht, wenn - wie
vorliegend - die vom Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer nicht
ausreicht, um die endgültige Jahreseinkommensteuer abzudecken.
Dabei ist unerheblich, dass der Arbeitnehmer durch die Wahl der
Steuerklasse die Höhe der Lohnsteuer beeinflussen kann.
Maßgeblich für die Berechnung der vom Arbeitgeber
einzubehaltenden Lohnsteuer i.S. des § 850e ZPO ist die vom
Insolvenzschuldner vorgelegte Lohnsteuerkarte mit den eingetragenen
Merkmalen zur Steuerklasse oder Freibeträgen. Die Folge, dass
der Insolvenzschuldner mit der Wahl der Steuerklasse entweder der
Masse oder sich selbst - im Bereich des unpfändbaren
Arbeitseinkommens - auf Kosten des Steuergläubigers mehr
Vermögen zuwenden kann, ist im System angelegt.
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Auch der Aspekt, dass der Steuergläubiger
- anders als Vertragspartner des Insolvenzschuldners - nicht
freiwillig zum Gläubiger geworden ist, rechtfertigt nicht eine
weitere Besserstellung gegenüber anderen Neugläubigern.
Zu diesen gehören auch Gläubiger gesetzlicher
Schuldverhältnisse mit Ansprüchen aus fahrlässig
begangener unerlaubter Handlung, Gefährdungshaftung,
ungerechtfertigter Bereicherung sowie Geschäftsführung
ohne Auftrag. Viele dieser Gläubiger haben sich ebenso wie der
Steuergläubiger nicht willentlich in die Position des
Anspruchsinhabers gebracht. Auch ihnen verbleibt nur der Zugriff
auf das in der Praxis meist nicht vorhandene insolvenzfreie
Vermögen. Lediglich Gläubiger von vorsätzlich
begangenen unerlaubten Handlungen sind nach § 89 Abs. 2 Satz 2
InsO i.V.m. § 850f Abs. 2 ZPO privilegiert. Sie dürfen
ebenso wie Unterhaltsgläubiger trotz Insolvenzverfahren in
einen Teil des unpfändbaren (zukünftigen)
Arbeitseinkommens des Insolvenzschuldners, das wegen § 36 InsO
nicht zum Neuerwerb gehört, hineinpfänden. Gerade daran
wird deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus Neugläubiger mit
Privilegien ausgestattet hat. Die allgemeine Wertung des
Gesetzgebers, dass der Steuergläubiger - ebenso wie andere
unfreiwillige Neugläubiger - nicht bevorzugt werden soll, ist
zu akzeptieren und nicht durch eine weite Auslegung des § 55
InsO zu umgehen.
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