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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der
R GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) am 16.12.2002 eröffneten
Insolvenzverfahren. Für seine vorausgegangene Tätigkeit
als vorläufiger Insolvenzverwalter seit dem 11.11.2002 ist vom
Amtsgericht im Jahr 2003 eine Vergütung von rund ... EUR
festgesetzt worden. Den darin enthaltenen Umsatzsteuerbetrag hat
der Kläger für die Schuldnerin als Vorsteuer in der
Voranmeldung für das 1. Quartal 2005 angemeldet, in welchem er
sein Honorar der Insolvenzmasse entnommen hat. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) hat den Vorsteuerbetrag
mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen gegen die Schuldnerin
(Umsatzsteuer 2001 sowie Juli bis September 2002) verrechnet und
hierüber später den in diesem Verfahren angefochtenen
Abrechnungsbescheid vom 16.3.2006 erlassen.
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Das Finanzgericht (FG) hat die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage durch das in EFG
2010, 774 = SIS 10 10 48 veröffentlichte Urteil abgewiesen,
weil es die Aufrechnung für zulässig hält. Es
urteilte, der Aufrechnung stehe § 96 Abs. 1 Nr. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) nicht entgegen, weil die strittige
Vorsteuer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet
worden sei. Der Aufrechnung stehe aber auch § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO nicht entgegen, weil das FA die Möglichkeit der
Aufrechnung nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne
dieser Vorschrift erlangt habe.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision des Klägers, der im Wesentlichen
vorträgt:
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Die Befürchtung des FG, es würde
im Insolvenzfall zu einem vollständigen Ausschluss der
Aufrechnung von Steuerforderungen kommen, gehe fehl. Es komme nur
dann zu einem solchen Ausschluss, wenn die Finanzverwaltung in der
Erwartung, die Aufrechnung durchzuführen, nicht
schützenswert sei; wann das der Fall sei, regelten die
§§ 129 ff. InsO.
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§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO betreffe
Fälle, in denen sich Haupt- und Gegenforderung bereits vor
Insolvenzeröffnung aufrechenbar gegenüberständen und
deshalb an sich § 94 InsO gelte, also die Aufrechnung noch im
eröffneten Insolvenzverfahren erklärt werden könne.
Das missbillige der Gesetzgeber jedoch, wenn für den
Aufrechnenden bereits absehbar gewesen sei, dass die Hauptforderung
demnächst nur noch im Insolvenzverfahren zur Tabelle
angemeldet werden könne. Hier sei der Aufrechnende nicht mehr
schützenswert. Im Streitfall lägen die Voraussetzungen
des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor, weil die Aufrechnungslage
gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar zustande
gekommen sei. Zwar sei der Vorsteuervergütungsanspruch der
Schuldnerin aufschiebend bedingt bereits vor
Insolvenzeröffnung entstanden, die Aufrechnungslage selbst
jedoch erst nach Insolvenzeröffnung infolge der
gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) vorzunehmenden Saldierung. Dies sei als anfechtbare
Rechtshandlung zu qualifizieren, weil es dafür ausreiche, dass
es sich um einen Vorgang handele, der rechtliche Wirkung
entfalte.
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Weiterhin sei das FA
Insolvenzgläubiger, da seine Forderungen bereits bei
Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden hätten und
die Aufrechnungslage erst nach der Stellung des Insolvenzantrags
begründet worden sei. Dem FA sei diese Tatsache
spätestens seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bekannt gewesen. Allerdings schade anfechtungsrechtlich nur eine
Kenntnis, die bereits bei Vornahme der anzufechtenden
Rechtshandlung vorgelegen habe. Bei der Rechtshandlung handele es
sich hier jedoch um das Gesamtgeschehen, welches zum Entstehen der
Aufrechnungslage geführt habe. Die Aufrechnungslage sei zwar
bereits vor Insolvenzeröffnung begründet worden, jedoch
gelte eine Rechtshandlung nach § 140 InsO erst als in dem
Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen
entstanden, im Streitfall also mit der Saldierung nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
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Die Revision verweist im Übrigen auf
das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9.7.2009 IX ZR 86/08
(Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht -
NJW-RR - 2010, 118 = SIS 09 33 67), wonach auch das Brauen von Bier
infolge der dadurch begründeten Sachhaftung für die
Biersteuer eine anfechtbare Rechtshandlung sein könne. Von
diesen vom BGH aufgestellten Grundsätzen könne der
erkennende Senat nicht abweichen, ohne den gemeinsamen Senat der
obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen.
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Das FA ist dem entgegengetreten. Es weist
darauf hin, dass das vom Kläger im Zusammenhang mit seinen
Ausführungen zur Saldierung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG
angeführte Urteil des erkennenden Senats vom 16.1.2007 VII R
4/06 (BFHE 216, 385, BStBl II 2007, 747 = SIS 07 61 28) im
Streitfall nicht einschlägig sei, weil es dort nach der
Saldierung zu einer Steuerschuld gekommen sei, im Streitfall die
Umsatzsteuer-Voranmeldung jedoch eine Erstattung bewirkt
habe.
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Entscheidend für den Streitfall sei
die Frage, ob das Entstehen der Aufrechnungslage entsprechend der
Rechtsprechung des BGH auf einer nach der InsO anfechtbaren
Rechtshandlung beruhe. Eine Rechtshandlung i.S. der §§
129 ff. InsO sei jedoch nur eine vom Willen getragene
Betätigung, die in irgendeiner Weise Rechtswirkungen
auslösen könne, ohne dass der Wille allerdings auf deren
Eintritt gerichtet sein müsse. Die Umsatzsteuer entstehe
hingegen wie jede Steuer kraft Gesetzes durch Erfüllung der
gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen (Hinweis auf das Urteil des
Senats vom 16.11.2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006,
193 = SIS 05 17 32).
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Das FA hat gleichwohl inzwischen den
angefochtenen Abrechnungsbescheid aufgehoben und den Rechtsstreit
für in der Hauptsache erledigt erklärt.
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Der Kläger hat sich jedoch der
Erledingungserklärung nicht angeschlossen. Er beantragt
vielmehr, festzustellen, dass der Abrechnungsbescheid des FA vom
16.3.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1.12.2006
rechtswidrig gewesen sei.
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Er trägt dazu vor, angesichts der
unterschiedlichen Rechtsprechung von Bundesfinanzhof und BGH sei
die entscheidungserhebliche Rechtsfrage der Zulässigkeit einer
Aufrechnung weiterhin klärungsbedürftig. Sie stelle sich
in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auch künftig.
Er selbst betreibe ein beim FG anhängiges Klageverfahren (5 K
2230/06) mit rechtlich identischem Streitgegenstand. Dieses
Verfahren ruhe lediglich deshalb, weil sich die Beteiligten eine
Klärung der Rechtsfrage im Rahmen des vorliegenden
Rechtsstreits erhofften. Es entspreche deshalb der
Prozessökonomie, dieses Verfahren fortzusetzen.
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II. Die Revision des Klägers ist
zulässig und begründet.
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1. Die Klage ist in Gestalt der vom
Kläger jetzt begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit des
vom FA aufgehobenen und deshalb erledigten Abrechnungsbescheids
gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) zulässig. Es fehlt dem Kläger nicht an dem von
dieser Vorschrift verlangten berechtigten Interesse an der
begehrten Feststellung.
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Ist ein Klageverfahren anhängig geworden
und hat es unter entsprechendem Aufwand einen bestimmten Stand
(hier: mündliche Verhandlung des Revisionsgerichts über
die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids)
erreicht, so muss bei einer Erledigung des ursprünglichen
Antrags die Frage gestellt werden, ob dieser Aufwand nutzlos
gewesen sein soll und der Kläger der (zumal nicht auf sein
Verhalten zurückgehenden) Erledigung wegen in diesem Verfahren
leer ausgehen darf (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG -
vom 28.4.1967 IV C 163.65, NJW 1967, 1819). Das mutet ihm das
Gesetz nur dann zu, wenn er an der Klärung der
Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts kein bei
vernünftigen Erwägungen erkennbares Interesse
wirtschaftlicher, ideeller oder auch rein persönlicher Art
haben kann (Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 22 Rz 16, mit
Rspr.nachw.). Ob ein solches Interesse gegeben ist, hängt von
den konkreten Gegebenheiten des einzelnen Falles ab. Es kann sich -
wie es hier tatsächlich der Fall ist - u.a. daraus ergeben,
dass die Feststellung (zumindest präjudizielle) Bedeutung
für einen anderweit von dem Betreffenden geführten
Rechtsstreit hat und es ihm erleichtert, seine dort geltend
gemachten Rechte durchzusetzen, wie dies seit jeher insbesondere im
Falle der Vorbereitung eines Staatshaftungsprozesses anerkannt ist,
aber auch bei Anhängigkeit eines Parallelverfahrens
anzuerkennen ist.
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Es muss sich allerdings stets um ein eigenes
Interesse des Klägers handeln. Dieser kann sich auch im Rahmen
einer Fortsetzungsfeststellungsklage nicht zum Anwalt der
Allgemeinheit aufschwingen, weshalb, anders als der Kläger
offenbar meint, die Notwendigkeit einer Wiederherstellung der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendung des
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Zulässigkeit der
Fortsetzungsfeststellungsklage nicht zu begründen vermag.
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Der Kläger hat jedoch unwidersprochen
geltend gemacht, ein persönliches Interesse an der
Klärung der Frage, ob jene Vorschrift bei Entstehen
steuerlicher Forderungen unter den Voraussetzungen des § 130
oder § 131 InsO anzuwenden ist, zu haben, weil sich diese
Frage auch in einem von ihm gegen das FA betriebenen weiteren
Klageverfahren stelle, welches mit Zustimmung des FA gerade im
Hinblick auf die Entscheidung des erkennenden Senats in diesem
Verfahren zur Ruhe gebracht worden sei. Unter diesen Umständen
kann dem Kläger ein berechtigtes Interesse an einer
Sachentscheidung in diesem bereits weitgehend geförderten
Verfahren nicht abgesprochen werden.
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2. Die Revision des Klägers ist auch
begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des FG und
zur antragsgemäßen Entscheidung über den
Klageantrag (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Der angefochtene
Abrechnungsbescheid war rechtswidrig, soweit er den
Vorsteuervergütungsanspruch der Schuldnerin als durch
Verrechnung mit den gegen sie gerichteten Umsatzsteuerforderungen
des FA erloschen ausweist. Der vom FA erklärten Aufrechnung,
welche diesem Ausspruch des Bescheids zugrunde liegt, steht §
96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine
Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die
Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare
Rechtshandlung erlangt hat.
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a) Die Vorschrift verfolgt das Ziel, den
Anfechtungsvorschriften der InsO (§§ 129 ff. InsO) im
Hinblick auf eine von einem Insolvenzgläubiger erklärte
Aufrechnung in dem Sinne Geltung zu verschaffen, dass einer
etwaigen Aufrechnungserklärung die Rechtswirkung genommen und
dadurch eine anderenfalls etwa notwendige Anfechtung der
betreffenden Rechtsvorgänge seitens des Insolvenzverwalters
überflüssig wird (vgl. Windel in Jaeger,
Insolvenzordnung, § 96 Rz 45 f.; Uhlenbruck/Sinz,
Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 96 Rz 46; Bork, Zeitschrift
für das gesamte Insolvenzrecht 2003, 686, 687). Sie ist dahin
zu verstehen, dass der Erwerb der Möglichkeit der Aufrechnung
zugunsten eines späteren Insolvenzgläubigers erfolgt sein
muss, dieser also nicht etwa bereits beim Erwerb dieser
Möglichkeit Insolvenzgläubiger, mithin das
Insolvenzverfahren beim Erwerb noch nicht anhängig gewesen
sein muss. Vielmehr schränkt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
gerade § 94 InsO ein, der grundsätzlich eine vor
Verfahrenseröffnung eingetretene Aufrechnungslage während
des Insolvenzverfahrens fortbestehen lässt und die Abgabe
einer Aufrechnungserklärung während desselben
zulässt (Uhlenbruck/Sinz, a.a.O.; vgl. auch Onusseit in
Festschrift für Walter Gerhardt, 2004, S. 725, 737 ff.).
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b) Das FA ist im Streitfall
Insolvenzgläubiger; denn es hat gegen die Schuldnerin vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete
(Steuer-)Forderungen, die nicht beglichen worden sind (vgl. §
38 InsO). Fraglich und für die Beurteilung der Streitsache
entscheidend ist, ob das FA die Möglichkeit der Aufrechnung
i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO „durch eine
anfechtbare Rechtshandlung“ erlangt hat, sofern es - wie
hier einstweilen unterstellt werden soll - unter den in § 130
InsO oder § 131 InsO bezeichneten Voraussetzungen,
insbesondere etwa in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des
Steuerschuldners (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO), Schuldner
eines Anspruchs desselben, wie im Streitfall des
Vergütungsanspruchs der Schuldnerin aufgrund eines
Vorsteuerüberhangs, oder Gläubiger von Steuerforderungen
gegen den (späteren) Insolvenzschuldner geworden ist. Denn ob
das eine oder das andere eingetroffen ist, ist für die
Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ohne Belang. Die
Vorschrift nimmt einer Aufrechnungserklärung ihre Wirksamkeit
(d.h.: erklärt sie für unzulässig) ungeachtet
dessen, ob die anfechtbare Rechtshandlung - wie hier - die
Begründung der Haupt- oder ob sie die Begründung einer
Gegenforderung zur Folge hat. Danach zu unterscheiden gäbe
weder der Wortlaut noch der eben erläuterte Sinn der
Vorschrift irgendeinen Anhaltspunkt. Die anfechtbare Rechtshandlung
kann also sowohl eine Vermehrung der Schulden des
Insolvenzschuldners als auch eine Verringerung seines
Aktivvermögens auslösen (Uhlenbruck/Sinz, a.a.O.;
MünchKommInso/Kirchhof, 2. Aufl., § 129 Rz 100, beide mit
zahlr. Nachw.).
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Auf die Frage, ob eine gemäß §
96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässige Aufrechnung auch dann
vorliegt, wenn der zugunsten der Schuldnerin anzurechnenden
Vorsteuer positive Umsatzsteuerbeträge in demselben
Voranmeldungszeitraum gegenüberstehen und mithin infolge der
gemäß § 16 UStG vorzunehmenden Verrechnung ein
umsatzsteuerrechtlich selbständiger Vergütungsanspruch
des Schuldners nicht entsteht, braucht der erkennende Senat nicht
einzugehen (dazu eingehend - diese Frage bejahend - Onusseit in
Festschrift für Walter Gerhardt, a.a.O., S. 730 ff.), weil ein
solcher Sachverhalt hier nicht vorliegt; der aufgrund anrechenbarer
Vorsteuer entstandene Umsatzsteuervergütungsanspruch der
Schuldnerin ist (umsatzsteuerrechtlich) selbständig und zwar
in einem anderen Voranmeldungszeitraum entstanden als die
Steuerforderungen des FA. Dass bei der Jahressteuerfestsetzung
positive Umsatzsteuerforderungen und anrechenbare Vorsteuern ggf.
gemäß § 16 UStG zu verrechnen sind, nimmt ihnen in
einem solchen Fall insolvenzrechtlich nicht ihre
Selbständigkeit, welche aus Voranmeldungen herrührende
Umsatzsteueransprüche auch sonst nach Ergehen der
Jahressteuerfestsetzung behalten, soweit sie mit ihren
Rechtswirkungen nicht völlig in der Jahresteuerfestsetzung
aufgehen (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 17.3.2009 VII R 38/08,
BFHE 224, 396, BStBl II 2009, 953 = SIS 09 16 41). Es kann daher
unerörtert bleiben, ob im Streitfall bei der Jahresveranlagung
2005 eine Saldierung des strittigen Vorsteuerüberhangs mit
positiven Umsatzsteuerbeträgen vorzunehmen war.
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c) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil
vom 16.11.2004 VII R 75/03 (BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 = SIS 05 17 32) erkannt, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hindere die
Aufrechnung des FA mit Steuerforderungen aus der Zeit vor
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen einen durch einen
Vorsteuerüberhang ausgelösten Vergütungsanspruch des
Insolvenzschuldners (dort ebenso wie hier: aufgrund der Vorsteuer
aus dem Vergütungsanspruch eines vorläufigen
Insolvenzverwalters), der in „kritischer“ Zeit
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens seinen Entstehungsgrund
hat, nicht; denn es fehle in einem solchen Fall an einer
Rechtshandlung, weil die Verpflichtung des Schuldners zur
Vergütung der Tätigkeit eines vorläufigen
Insolvenzverwalters nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung,
sondern auf dessen Bestellung durch das Insolvenzgericht und der
von diesem vorgenommenen Festsetzung seiner Vergütung beruhe,
die vom vorläufigen Insolvenzverwalter für die
Ausführung seiner Leistung zu entrichtende Umsatzsteuer - wie
jede Steuer - kraft Gesetzes entstehe und das Gleiche für die
damit korrespondierende Berechtigung des Leistungsempfängers
(Insolvenzschuldner) zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG
gelte.
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Demgegenüber hat der BGH in seinem Urteil
vom 22.10.2009 IX ZR 147/06 (HFR 2010, 413 = SIS 10 06 34) darauf
hingewiesen, dass Steuertatbestände in der Regel an
Rechtshandlungen des Steuerpflichtigen oder Dritter anknüpfen
und hieraus die Steuerpflicht ableiten, so wie es auch bei
umsatzsteuerpflichtigen Leistungen der Fall sei, die zum Entstehen
einer Steuerforderung des Finanzamts führen. Das ändert
aber nach Auffassung des BGH nichts daran, dass die betreffenden
(umsatzsteuerpflichtigen) Leistungen, welche zum Entstehen der
Steuerforderung führen, eine Rechtshandlung i.S. des § 96
Abs. 1 Nr. 3 InsO darstellen.
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Der erkennende Senat folgt nach erneuter
rechtlicher Prüfung dieser Beurteilung des BGH.
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aa) Der in diesem Zusammenhang entscheidende
Begriff „Rechtshandlung“ ist in § 129 InsO
als Handlung definiert, die vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist und die
Insolvenzgläubiger benachteiligt; er bezeichnet also, wie es
der Senat in seinem Urteil in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 =
SIS 05 17 32 einleitend ausgeführt hat, ein von einem Willen
getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das
Vermögen des Schuldners zum Nachteil der
Insolvenzgläubiger verändern kann. Umsatzsteuer (auch: zu
vergütende Umsatzsteuer) entsteht zwar von Gesetzes wegen -
sowohl die Steuerschuld des Leistenden wie der Anspruch des
Leistungsempfängers auf Anrechnung der im an den Leistenden zu
entrichtenden Entgelt enthaltenen sog. Vorsteuer -, das Entstehen
von Umsatzsteuer bzw. Vorsteuer setzt jedoch voraus, dass eine
Leistung erbracht wird. Diese Leistungserbringung sieht der
erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem BGH und der auch
im Schrifttum allgemein vertretenen Auffassung als eine
Rechtshandlung i.S. des § 129 InsO an.
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Eine Leistungserbringung mag zwar kein
Rechtsgeschäft sein, aber sie ist eine Rechtshandlung. Dass
die (unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 130 ff.
InsO anfechtbare) Rechtshandlung unmittelbar und unabhängig
vom Hinzutreten etwaiger weiterer Umstände von dem
(späteren) Insolvenzschuldner vorgenommen wird, setzen die
§§ 129 und 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ebenso wenig voraus (dazu
u.a. MünchKommInsO/Brandes, a.a.O., § 96 Rz 29), wie dass
sie unmittelbar und unabhängig vom Hinzutreten etwaiger
weiterer Umstände (hier insbesondere der späteren
gerichtlichen Festsetzung der Vergütung des vorläufigen
Insolvenzverwalters aufgrund der von diesem erstellten Rechnung
sowie ggf. dem Fehlen verrechnungsfähiger positiver
Umsatzsteuerbeträge in dem - insolvenzrechtlich -
maßgeblichen Voranmeldungszeitraum) eine Aufrechnungslage zum
Entstehen bringen müssten. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
verlangt lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist - die Leistungen des
vorläufigen Insolvenzverwalters wurden in diesem Zeitraum
erbracht -, dass sie irgendeine Voraussetzung für die
Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzschuldners geschaffen hat
(vgl. Uhlenbruck/Sinz, a.a.O.) und dass die Rechtshandlung die
Insolvenzgläubiger benachteiligt. Wenn es an Letzterem auch im
Hinblick auf die Leistungserbringung des vorläufigen
Insolvenzverwalters als solcher fehlen mag - der Verpflichtung der
Masse zur Zahlung des Entgelts für die der Schuldnerin
erbrachten Leistungen des vorläufigen Insolvenzverwalters
steht gegenüber, dass zugunsten der Insolvenzschuldnerin
(mutmaßlich zumindest) gleichwertige Leistungen erbracht
worden sind -, fehlt es daran nicht im Hinblick auf die durch die
Leistungserbringung und den daraus folgenden Anspruch auf
Anrechnung von Vorsteuer ausgelöste Möglichkeit des FA
zur Aufrechnung seiner vorinsolvenzlich begründeten
Forderungen.
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Die Leistungserbringung zeitigte im Streitfall
neben einem Anspruch auf das Leistungsentgelt u.a. das Entstehen
einer Aufrechnungslage für das FA. Dadurch sind die
übrigen Gläubiger des Schuldners benachteiligt. Denn
durch eine Aufrechnung erhält das FA nach Art einer
abgesonderten Befriedigung vollständige Befriedigung für
seine verrechneten Forderungen, für die es sonst, weil es sich
um Insolvenzforderungen handelt, nur mit einer Befriedigung nach
Maßgabe der im Insolvenzverfahren errechneten Quote rechnen
könnte.
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Hat eine (an sich einheitliche) Rechtshandlung
in solcher Weise mehrere, abtrennbare Rechtswirkungen, darf deren
anfechtungsweise Rückgewähr nicht mit der Begründung
ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für
sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe (BGH-Urteil vom
5.4.2001 IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233). Denn Gegenstand der
Anfechtung ist nicht die Rechtshandlung selbst, sondern angefochten
wird eine bestimmte gläubigerbenachteiligende Wirkung, die
durch eine Rechtshandlung ausgelöst wird (BGH-Urteil vom
21.1.1999 IX ZR 329/97, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und
Insolvenzpraxis - ZIP - 1999, 406, mit Schrifttumsnachweisen; vgl.
statt aller auch MünchKommInso/Kirchhof, a.a.O., § 129 Rz
56a). Es ist folglich belanglos, ob die Umsätze, aus denen die
betroffenen Vorsteuerbeträge herrühren, im Interesse der
Masse liegen und insofern als solche nicht anfechtbar sind. Einen
Rechtsgrundsatz, dass mehrere durch eine Handlung ausgelöste
Rechtswirkungen nur ganz oder gar nicht anfechtbar sind, gibt es
nicht (siehe auch Rz 11 des BGH-Urteils in HFR 2010, 413 = SIS 10 06 34). Das gilt auch für solche Folgen - z.B. eine
Aufrechnungslage -, die im Kausalverlauf einen Schritt ferner
liegen als nähere, unanfechtbare Rechtsfolgen, z.B. ein die
Aufrechnungslage herbeiführender Vertragsschluss oder - wie
hier - die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen
Insolvenzverwalters (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 147, 233).
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Die bei einer durch die
Unwirksamkeitsanordnung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wie
dargelegt, erübrigten Insolvenzanfechtung zu beanspruchende
Rückgewähr der Aufrechnungslage bestünde
demgemäß nicht etwa in der Rückabwicklung des durch
die gerichtliche Bestellung eines vorläufigen
Insolvenzverwalters begründeten Rechtsverhältnisses,
sondern in der Durchsetzung der Steuervergütungsforderung
unabhängig von etwaigen Gegenforderungen des FA.
Dementsprechend lässt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO völlig
unberührt, dass die Vergütungsforderung des Schuldners
(gegenüber der Masse) befriedigt werden muss, allerdings
(sofern eine anfechtbare Rechtshandlung vorliegt) nicht im Wege der
Aufrechnung zur Befriedigung für alte Schulden des
Insolvenzschuldners verwendet werden darf (vgl. BGH-Urteil in BGHZ
147, 233).
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bb) An den Voraussetzungen des § 96 Abs.
1 Nr. 3 InsO fehlt es auch nicht deshalb, weil die
gläubigerbenachteiligende Wirkung der durch die
Inanspruchnahme von Leistungen seitens der Schuldnerin
ausgelösten Aufrechnungslage deshalb in Zweifel gezogen werden
müsste, weil es an der erforderlichen Kausalität der
Rechtshandlung für die anfechtungsrelevante Rechtsfolge - die
Aufrechnungslage - fehlte. Anfechtbarkeit setzt allerdings einen
solchen Kausalzusammenhang voraus (MünchKommInso/Kirchhof,
a.a.O., § 129 Rz 169; FK-Inso/ Dauernheim, § 129 Rz 40).
Der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der angefochtenen
Rechtshandlung und der Beeinträchtigung des
Gläubigerzugriffs auf die Masse ist jedoch schon dann gegeben,
wenn die Rechtshandlung im natürlichen Sinne eine (nicht
hinwegzudenkende) Bedingung für die
Gläubigerbenachteiligung darstellt; er setzt nicht voraus,
dass ggf. ein weiterer Umstand, der zu der angefochtenen
Rechtshandlung hinzutritt und erst mit dieser zusammen die
Gläubigerbenachteiligung auslöst, seinerseits durch eine
anfechtbare Rechtshandlung verursacht ist (BGH-Urteil vom 9.12.1999
IX ZR 102/97, BGHZ 143, 246), und er wird durch das Hinzutreten
solcher weiteren Umstände auch nicht etwa unterbrochen.
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cc) Schließlich fehlt es für die
Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch nicht daran, dass
das FA - wie diese Vorschrift sinngemäß voraussetzt -
infolge einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangenen
Rechtshandlung in den Genuss einer Aufrechnungsmöglichkeit
gelangt ist.
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32
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Die als Anknüpfungspunkt der Anfechtung
maßgebliche Rechtshandlung, das Erbringen der Leistung, ist
im gleichsam natürlichen Sinne vor diesem Zeitpunkt
vorgenommen worden. Durch sie ist der
Vorsteuervergütungsanspruch zwar noch nicht
steuer(verfahrens)rechtlich begründet worden, wohl aber als
insolvenzrechtlicher Anspruch. Denn für das
insolvenzrechtliche Begründetsein einer Forderung oder eines
Anspruchs kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des
erkennenden Senats (vgl. dazu zusammenfassend Rüsken, ZIP
2007, 2053) nicht auf das Entstehen im
steuer(verfahrens)rechtlichen Sinn, sondern auf die Verwirklichung
des Lebenssachverhalts an, der die betreffenden steuerrechtlichen
Folgen hat. Aber schon die tatsächliche Verwirklichung des
Besteuerungstatbestandes lässt den steuerlichen Anspruch
aufschiebend bedingt durch das Eintreten der
steuerverfahrensrechtlichen Voraussetzungen seiner Wirksamkeit
entstehen (vgl. statt aller Senatsurteil vom 17.4.2007 VII R 27/06,
BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589 = SIS 07 19 23, und Frotscher,
Besteuerung bei Insolvenz, 7. Aufl., 95, m.w.N. aus der Rspr.).
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33
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§ 140 Abs. 1 InsO ändert daran
nichts. Denn § 140 Abs. 3 InsO lässt den Eintritt einer
solchen Bedingung für die Bestimmung des Zeitpunkts
außer Betracht, in dem die Rechtshandlung als vorgenommen
anzusehen ist, welcher sonst durch § 140 Abs. 1 InsO auf den
Zeitpunkt gelegt wird, in dem die Rechtswirkungen der
Rechtshandlung eintreten (i.e.: die Aufrechnungslage entsteht). Das
gilt nicht nur für Forderungen des Finanzamts, sondern auch
für steuerliche Forderungen des Steuerpflichtigen.
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34
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Allerdings wird in der Rechtsprechung des BGH
und im Schrifttum die Auffassung vertreten, § 140 Abs. 3 InsO
sei unmittelbar nur bei Rechtsgeschäften anwendbar, weil
andere Rechtshandlungen nicht bedingt oder befristet sein
könnten (BGH-Urteil vom 14.12.2006 IX ZR 102/03, NJW 2007,
1588; vgl. auch Henckel in Jaeger, a.a.O., § 140 Rz 50). Das
trifft freilich nur für eine rechtsgeschäftliche
Bedingung zu, nicht aber für vom Gesetz aufgestellte
„Bedingungen“, unter denen nach vorgenannter
Rechtsprechung des Senats Ansprüche der hier strittigen Art
stehen. § 140 Abs. 3 InsO ist daher nach Auffassung des
erkennenden Senats in dem hier strittigen Zusammenhang unmittelbar,
zumindest aber entsprechend anzuwenden (vgl. zu dieser
Möglichkeit auch die Urteile des BGH in NJW 2007, 1588, und
vom 14.6.2007 IX ZR 56/06, NJW 2007, 2640).
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§ 140 Abs. 3 InsO verfolgt nämlich
das Ziel, Ansprüche als insolvenzfest zu erhalten, obwohl sich
der Rechtserwerb erst in kritischer Zeit vollendet hat, wofür
dann keine Rechtfertigung besteht, wenn der Anfechtungsgegner vor
Beginn jenes „kritischen“ Zeitraums noch keine
unentziehbare Rechtsposition erlangt hatte (BGH-Urteil in NJW 2007,
2640). Denn § 140 Abs. 1 InsO beruht auf dem Rechtsgedanken,
„dass der Zeitpunkt entscheiden soll, in dem durch die
Handlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die bei
Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfechtung beachtet
werden müsste“ (BGH-Urteil vom 22.1.2004 IX ZR
39/03, BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59). Mit der Leistungserbringung
wird aber aufgrund der einschlägigen Regelungen des UStG eine
gleichsam automatisch ablaufende Ereigniskette in Gang gesetzt
(ähnlich wie in den in § 140 Abs. 2 InsO
ausdrücklich geregelten Fällen), weil der
Insolvenzschuldner gegenüber dem leistenden Unternehmen
Anspruch auf Ausweisung der Umsatzsteuer und gegenüber dem FA
auf deren Berücksichtigung als Vorsteuer hat; es hängt
also nicht etwa von einer im ungewissen Belieben Dritter stehenden
Handlung ab, ob die steuerrechtliche Wirkung der
Leistungserbringung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
eintritt.
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§ 140 Abs. 1 InsO hat im Gegensatz hierzu
sog. mehraktige Rechtshandlungen im Blick, die anfechtbar bleiben
sollen, auch wenn der erste Akt noch in
„unkritischer“ Zeit vorgenommen worden ist (etwa
eine Abtretung künftiger Forderungen oder eine
Vorausverpfändung sowie eine Pfändung einer
künftigen Forderung, welche erst mit deren Entstehen
rechtliche Wirkung i.S. des § 140 Abs. 1 InsO entfalten
sollen; vgl. BGH-Urteil vom 20.3.2003 IX ZR 166/02, BFH/NV 2004,
Beilage 2, 179 = SIS 03 24 97). Eine solche mehraktige
Rechtshandlung i.S. des § 140 Abs. 1 InsO liegt aber hier
nicht deshalb vor, weil die steuerrechtlichen Wirkungen einer
anfechtbaren Rechtshandlung aufgrund steuerverfahrensrechtlicher
Regelungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
eintreten, wenn anders nicht der grundsätzliche Vorrang des
Insolvenzrechts vor dem Steuerverfahrensrecht missachtet werden
soll (vgl. statt aller Urteil des Senats vom 17.12.1998 VII R
47/98, BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29).
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dd) Selbst wenn man indes § 140 Abs. 3
InsO nicht anwenden würde, müsste die Klage im Streitfall
Erfolg haben, weil die Aufrechnung dann aufgrund des § 96 Abs.
1 Nr. 1 InsO - erst recht - unzulässig wäre. Würde
nämlich die insolvenzrechtliche Beachtlichkeit der
Aufrechnungslage erst in dem Zeitpunkt angenommen, in dem auch die
steuerverfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine
Aufrechnung eingetreten sind, also (ggf. nach Saldierung
gemäß § 16 UStG) ein erfüllbarer,
aufrechenbarer Anspruch auch steuerverfahrensrechtlich entstanden
ist, so bedeutete dies, dass das FA die Vorsteuervergütung
erst infolge von Ereignissen schuldig geworden wäre, die das
Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO auslösten,
weil sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten
sind.
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d) Die Entscheidung hängt nach alledem
davon ab, ob das FA im Streitfall die Möglichkeit der
Aufrechnung unter den Voraussetzungen des § 130 InsO oder des
§ 131 InsO erlangt hat oder sich - was freilich nicht
ernstlich in Betracht zu ziehen ist - die Anfechtbarkeit seiner
Aufrechnungsmöglichkeit anderweit ergibt. Dazu hat das FG
entsprechend seinem Rechtsstandpunkt nichts festgestellt.
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Allerdings ist es auch ohne
diesbezügliche Feststellung zwingend und der Tatbestand des
§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO insofern erfüllt, dass der
Vergütungsanspruch der Schuldnerin, durch dessen
Begründung für das FA eine Aufrechnungsmöglichkeit
entstanden ist, nach dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründet worden ist, welcher nämlich
erst zur Bestellung des Klägers als vorläufiger
Insolvenzverwalter geführt hat, die ihrerseits Voraussetzung
für die Erbringung der Leistungen desselben war. Ob - was
vorgenannte Vorschrift weiter verlangt - das FA damals die
Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin kannte oder bereits von
dem Insolvenzantrag erfahren hatte, steht allerdings nicht fest.
Mit Recht hat der Kläger zwar bereits in seinem
erstinstanzlichen Vortrag darauf hingewiesen, dass das FA eine
öffentliche Bekanntmachung der Bestellung des Klägers
gemäß § 9 Abs. 3 InsO gegen sich gelten lassen
müsste und aus dieser hätte erkennen müssen (§
130 Abs. 2 InsO), dass ein Insolvenzantrag gestellt worden ist.
Eine öffentliche Bekanntmachung der Bestellung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters schreibt § 23 Abs. 1 Satz
1 InsO jedoch nur vor, sofern zugleich
Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO
erlassen worden sind. Das ist im Streitfall nicht festgestellt,
ebenso wenig, dass die Bestellung des Klägers
möglicherweise ungeachtet einer gesetzlichen Verpflichtung
öffentlich bekannt gemacht worden ist.
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Gleichwohl kann der Senat abschließend
entscheiden, ohne dass jene Tatsachen vom FG aufgeklärt werden
müssten. Denn selbst wenn es, anders als der Kläger
meint, im Streitfall an den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 InsO fehlen sollte, lägen doch die
Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Nach dieser
Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, wenn sie einem
Insolvenzgläubiger eine Befriedigung ermöglicht, die er
nicht beanspruchen kann, und wenn die betreffende Rechtshandlung im
letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden
ist.
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Die hier maßgebliche Rechtshandlung -
Erbringung der Leistungen des Klägers als vorläufiger
Insolvenzverwalter - ist jedenfalls nach Stellung des Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Diese
Rechtshandlung hat, wie bereits ausgeführt, dem FA im Weiteren
die Möglichkeit einer Aufrechnung und damit einer Befriedigung
seiner Steuerforderungen gegen die Schuldnerin verschafft. Dass ihm
diese Aufrechnungsmöglichkeit verschafft wird, konnte das FA
nicht i.S. des § 131 Abs. 1 InsO gegenüber der
Schuldnerin beanspruchen, so dass es auch an dieser Voraussetzung
des § 131 Abs. 1 InsO nicht fehlt. Nach der Rechtsprechung des
BGH ist nämlich § 131 InsO einschlägig (und nicht
ein Fall einer sog. kongruenten Deckung gemäß § 130
InsO gegeben), wenn sich die Aufrechnungsbefugnis nicht aus dem
zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger zuerst entstandenen
Rechtsverhältnis ergibt (BGH-Urteil vom 9.2.2006 IX ZR 121/03,
NJW-RR 2006, 1062; vgl. u.a. auch BGH-Urteil in BGHZ 147, 233). Aus
den hier zuerst entstandenen Steuerschulden der
Insolvenzschuldnerin ergab sich im Streitfall ein Anspruch auf
Begleichung der Steuern durch Zahlung, nicht aber darauf, dem FA
eine Aufrechnungsbefugnis (und damit die Möglichkeit der
Befriedigung außerhalb der Verteilung im Insolvenzverfahren)
zu verschaffen; diese ist erst dadurch entstanden, dass die
Schuldnerin einen (insolvenzrechtlich vor Verfahrenseröffnung
entstandenen) Vorsteuervergütungsanspruch erlangt hat (vgl.
Bork, a.a.O., 689; Onusseit in Festschrift für Walter
Gerhardt, a.a.O., S. 741, beide mit zahlr. Nachw.).
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