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I. Der Kläger und Beschwerdegegner
(Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem am 16.9.2010
eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des
M (Schuldner). Mit an den Beklagten und Beschwerdeführer
(Finanzamt - FA - ) gerichtetem Schreiben vom 9.11.2010 focht der
Kläger die Abbuchungen vom Konto des Schuldners durch das FA
aufgrund erteilter Einzugsermächtigung in der Zeit von Januar
bis einschließlich März 2010 an. Das FA bestritt das
Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr.
2 der Insolvenzordnung (InsO) und erließ einen
Abrechnungsbescheid, der hinsichtlich der eingezogenen
Kraftfahrzeugsteuern für mehrere Fahrzeuge des Schuldners
einen Erstattungsanspruch in Höhe von 0 EUR ausweist. Der
Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
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Hiergegen richtet sich die beim
Finanzgericht (FG) anhängige Klage, mit der der Kläger
geltend macht, das FA habe nicht durch Abrechnungsbescheid
über den Rückgewähranspruch nach
insolvenzrechtlicher Anfechtung entscheiden dürfen. Der
Kläger hat außerdem gegen das FA eine zivilrechtliche
Klage auf Rückzahlung der eingezogenen Beträge erhoben,
die nach bereits ergangener Entscheidung des Landgerichts in
zweiter Instanz beim Oberlandesgericht anhängig ist.
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Das FG hat mit dem vorliegend angefochtenen
Beschluss das Verfahren gemäß § 74 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über die zivilrechtliche Klage ausgesetzt. Zwar
sei der auf die Anfechtungsvorschriften der InsO gestützte
Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters ein
zivilrechtlicher Anspruch, jedoch werde mit der Entscheidung, ob
dieser Anspruch bestehe, zugleich darüber entschieden, ob ein
bereits erloschener Steueranspruch wieder auflebe. Der Streitfall
sei deshalb dem Fall einer Aufrechnung mit einer rechtswegfremden
Gegenforderung vergleichbar, für den anerkannt sei, dass der
Rechtsstreit bis zur Entscheidung des zuständigen Gerichts
über den Bestand der Gegenforderung auszusetzen sei.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des
FA, das der Ansicht ist, die Entscheidung des FG hänge nicht
vom Ausgang der zivilrechtlichen Klage ab; vielmehr sei der vor dem
FG geführte Rechtsstreit über den Abrechnungsbescheid
gegenüber der zivilrechtlichen Klage vorgreiflich.
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II. Die zulässige Beschwerde des FA ist
begründet. Die Voraussetzungen des § 74 FGO für eine
Aussetzung des Verfahrens liegen nicht vor. Die Entscheidung
über die vom Kläger betriebene zivilrechtliche Klage auf
Rückgewähr der abgebuchten Beträge ist nicht
vorgreiflich. Die Entscheidung des FG über die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids
hängt von dem Ausgang jener zivilrechtlichen Klage nicht
ab.
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1. Nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung
(AO) wird über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch
Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid) entschieden; dies gilt
auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch betrifft, der
nach § 37 Abs. 1 AO ebenfalls ein Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis ist. Gegenstand des
Abrechnungsbescheids ist die Frage des Bestehens oder
Nichtbestehens reiner Zahlungsansprüche; er entscheidet,
inwieweit bestimmte Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) noch bestehen
oder durch einen der in § 47 AO aufgeführten
Erlöschenstatbestände ganz oder teilweise erloschen sind
(vgl. Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 218 Rz 13,
m.w.N.).
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Ob ein Steuerpflichtiger einen
Erstattungsanspruch hat, hängt nach § 37 Abs. 2 AO davon
ab, ob auf seine Rechnung eine Steuer ohne rechtlichen Grund
gezahlt worden bzw. ein für die Leistung zunächst
vorhandener rechtlicher Grund später weggefallen ist. Als
rechtlicher Grund im Sinne dieser Vorschrift kommen nur die in
§ 218 Abs. 1 AO genannten Bescheide in Betracht
(Klein/Rüsken, a.a.O., § 218 Rz 3). Der Erstattungsbetrag
ist die Differenz zwischen dem bereits an die Finanzbehörde
geleisteten Betrag und dem durch Bescheid i.S. des § 218 Abs.
1 AO festgesetzten Betrag (Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 218 AO Rz 6). Sind die
Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach Grund oder
Höhe im Streit, entscheidet die Finanzbehörde
gemäß § 218 Abs. 2 AO durch
Abrechnungsbescheid.
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2. Bei dem vorliegend streitigen auf die
Anfechtungsvorschriften der InsO gestützten Anspruch des
Klägers auf Rückgewähr der im Wege der
Einzugsermächtigung entrichteten Kraftfahrzeugsteuern handelt
es sich nicht um einen aus dem Steuerschuldverhältnis
herrührenden Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO,
über dessen Bestehen dem Grunde oder der Höhe nach im
Wege eines Abrechnungsbescheids verbindlich entschieden werden
kann.
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a) Die Kraftfahrzeugsteuern sind zum einen
nicht ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, weil insoweit (wovon
mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ausgegangen werden kann)
wirksame Steuerbescheide vorliegen, die weder zurückgenommen,
widerrufen, anderweitig aufgehoben noch auf andere Weise erledigt
worden sind (§ 124 Abs. 2 AO). Die Steuerbescheide sind auch
nicht wegen der seitens des Klägers erklärten
Insolvenzanfechtung als unwirksam anzusehen, weil mit der
Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO
gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen, nicht aber etwaige
den Rechtshandlungen zugrunde liegende rechtliche Verpflichtungen
angefochten werden. Die Rechtsfolge einer erfolgreichen
Insolvenzanfechtung ist nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO
vielmehr, dass zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden
muss, was durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem
Vermögen des Insolvenzschuldners veräußert,
weggegeben oder aufgegeben worden ist. Wurde mit einer vom
Insolvenzverwalter erfolgreich angefochtenen Leistung eine
gegenüber dem Anfechtungsgegner bestehende Forderung
erfüllt, lebt diese mit der Rückgewähr der
erhaltenen Leistung gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder
auf. Damit wird deutlich, dass der Rechtsgrund einer anfechtbaren
Leistung von der Insolvenzanfechtung unberührt bleibt. Der
Anfechtungsgegner muss die ihm vom Insolvenzschuldner erbrachte
Leistung zurückgewähren, behält aber seine
(zunächst erfüllte, nunmehr wieder offene) Forderung, die
er zur Insolvenztabelle anmelden kann.
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Hinsichtlich der aufgrund erteilter
Einzugsermächtigung entrichteten Kraftfahrzeugsteuern besteht
somit kein Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2
AO, weil die Steuern nicht ohne Rechtsgrund gezahlt worden sind.
Ein solches Ergebnis kann vom FA durch Abrechnungsbescheid
festgestellt werden, falls insoweit Streit besteht. Hingegen kann
die Frage, ob der Kläger als Insolvenzverwalter einen aus
§ 143 Abs. 1 InsO folgenden Anspruch auf Rückgewähr
dem FA vom Insolvenzschuldner erbrachter Leistungen hat, nicht
Gegenstand eines Abrechnungsbescheids sein, denn dieser Anspruch
ist kein Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO und somit
kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des §
37 Abs. 1 AO.
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b) Dieses Ergebnis entspricht der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - BGH - (Beschluss vom
24.3.2011 IX ZB 36/09, NJW 2011, 1365). Danach ist der auf einer
erfolgreichen Insolvenzanfechtung beruhende
Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters ein
originärer gesetzlicher, zivilrechtlicher Anspruch, der mit
der Insolvenzeröffnung entsteht, dem Insolvenzverwalter
vorbehalten ist und nur nach den Vorschriften der InsO zu
entscheiden ist, welche die Regelungen anderer Rechtsbereiche wie
z.B. des Steuer- und Abgabenrechts verdrängen. Der
anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch ist
gegenüber Ansprüchen aus dem zugrunde liegenden
Rechtsverhältnis (im Streitfall dem
Steuerschuldverhältnis) wesensverschieden, wird nicht aus der
vormaligen Rechtsbeziehung zwischen Insolvenzschuldner und
Anfechtungsgegner hergeleitet und gestaltet dieses
Rechtsverhältnis auch nicht um. Im Streitfall ist somit der
vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung vom
FA eingezogener Kraftfahrzeugsteuern kein Anspruch aus dem
Steuerschuldverhältnis.
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Der hiervon abweichenden, mit Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24.11.2011 V R 13/11 (BFHE 235, 137,
BStBl II 2012, 298 = SIS 11 39 41) vertretenen Rechtsauffassung
folgt der beschließende Senat nicht, ohne insoweit zu einer
Vorlage an den Großen Senat des BFH (§ 11 FGO)
verpflichtet zu sein. Soweit der V. Senat des BFH (ohne
Berücksichtigung vorgenannter BGH-Rechtsprechung) geurteilt
hat, hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung des
insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs komme
es auf das Rechtsverhältnis an, welches der angefochtenen
Rechtshandlung zugrunde liege, handelt es sich erkennbar um eine
die Entscheidung nicht tragende Erwägung. Diese steht im
Zusammenhang mit Ausführungen des V. Senats zu der Frage, ob
die für die Festsetzung der Umsatzsteuer erforderliche
Saldierung der berechneten Steuer und der abziehbaren
Vorsteuerbeträge (§ 16 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes)
eine anfechtbare Rechtshandlung i.S. der §§ 129 ff. InsO
ist. Hierfür sind Überlegungen, ob der
insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch des
Insolvenzverwalters bei erfolgreicher Anfechtung steuerlicher
Rechtshandlungen steuerrechtlicher oder zivilrechtlicher Natur ist,
ohne Belang.
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Die vom BGH mit Beschluss in NJW 2011, 1365
vertretene Rechtsauffassung zur Rechtsnatur des
insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruchs, die der
beschließende Senat für eine gegen eine
Finanzbehörde gerichtete Anfechtung des Insolvenzverwalters
teilt, weicht auch nicht von dem Beschluss des Gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.9.2010 GmS-OGB
1/09 (BGHZ 187, 105) ab. Der Gemeinsame Senat der obersten
Gerichtshöfe des Bundes hat mit vorgenanntem Beschluss das
Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters betreffende Streitigkeiten
ebenfalls als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten angesehen. Er
hatte lediglich zu entscheiden, ob im Fall angefochtener
Lohnzahlungen (um die es vorliegend nicht geht) der ordentliche
Rechtsweg oder der Rechtsweg zu den Gerichten für
Arbeitssachen gegeben ist. Auf die entsprechenden Ausführungen
des BGH in dem Beschluss in NJW 2011, 1365, die der
beschließende Senat für zutreffend hält, wird zur
Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
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Die vom beschließenden Senat mit Urteil
vom 23.9.2009 VII R 43/08 (BFHE 226, 391, BStBl II 2010, 215 = SIS 09 36 87) vertretene Auffassung, das FA könne einen auf §
37 Abs. 2 Satz 1 AO gestützten Rückforderungsbescheid
erlassen, falls es einen vom Insolvenzverwalter geltend gemachten
Rückgewähranspruch erfüllt habe, obwohl die
Anfechtungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten,
dürfte sich nach alledem nicht aufrechterhalten lassen.
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3. Das FG kann danach über die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids
ohne Rücksicht auf das noch ausstehende zivilgerichtliche
Urteil über den geltend gemachten Rückgewähranspruch
des Klägers entscheiden.
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Geht man mit dem FG davon aus, das FA habe mit
dem angefochtenen Abrechnungsbescheid über das Bestehen des
streitigen Rückgewähranspruchs des Klägers
entschieden, wofür die ausführliche Begründung
sowohl des Abrechnungsbescheids als auch der Einspruchsentscheidung
sprechen, ist der Bescheid als rechtswidrig aufzuheben, weil - wie
ausgeführt - andere als Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis nicht Gegenstand eines
Abrechnungsbescheids sein können. Ob in dem zivilgerichtlichen
Rechtsstreit der Kläger oder das FA obsiegen wird, ist
für diese Entscheidung ohne Bedeutung. Da der angefochtene
Abrechnungsbescheid den Rückgewähranspruch als nicht
bestehend feststellt, weil es an den Voraussetzungen für eine
insolvenzrechtliche Anfechtung fehle, und ihn nicht etwa als durch
Aufrechnung mit einer Steuerforderung als erloschen ansieht, ist im
Streitfall - anders als das FG meint - auch nicht nach den
Grundsätzen über die Aufrechnung mit einer
rechtswegfremden Gegenforderung zu verfahren.
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4. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht
(vgl. Senatsbeschluss vom 20.10.1987 VII B 82/87, BFH/NV 1988,
387).
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