1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Insolvenzverwalter einer GmbH, die Flachglas
produzierte und lieferte.
|
|
|
2
|
Die GmbH erwarb im August 2000 ein
Erbbaurecht an einem Grundstück, für das sie den
Vorsteuerabzug geltend machte. Am 1.4.2004 wurde über das
Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der
Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger
veräußerte mit Vertrag vom 23.12.2004 das Erbbaurecht
umsatzsteuerfrei mit Lastenwechsel zum 1.10.2005.
|
|
|
3
|
Am 10.11.2005 reichte der Kläger eine
Umsatzsteuervoranmeldung Oktober 2005 unter der Steuernummer der
GmbH ein, in der er eine Vorsteuerberichtigung zu Lasten der GmbH
in Höhe von 367.065 EUR berücksichtigte. In der
Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr 2005 vom
15.9.2006, die der Kläger für das sog. Massekonto der
GmbH abgab, berücksichtigte er diese Vorsteuerberichtigung
nicht.
|
|
|
4
|
Im Anschluss an eine
Umsatzsteuer-Sonderprüfung war der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) der Auffassung, dass die
Vorsteuerberichtigung aus der steuerfreien Veräußerung
des Erbbaurechts beim Massekonto in Höhe von 366.905,58 EUR zu
erfassen sei, da insoweit eine Masseverbindlichkeit vorliege.
Dementsprechend erging am 17.1.2007 ein geänderter
Umsatzsteuerbescheid 2005, in dem eine Umsatzsteuer von 411.574,79
EUR festgesetzt wurde; daraus ergab sich eine Nachzahlung in
Höhe von 366.905,54 EUR.
|
|
|
5
|
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, dass die
Umsätze in dem für das Massekonto ergangenen
Umsatzsteuerbescheid 2005 um 433.792 EUR zu mindern seien, da in
dieser Höhe uneinbringliche Entgelte aus der Zeit vor der
Insolvenzeröffnung vorlägen. Dem folgte das FA und setzte
die Umsatzsteuer 2005 durch Bescheid vom 4.11.2009 auf 342.168,07
EUR herab. Die Steuer wurde um 69.406,72 EUR und somit um den
Betrag gemindert, der sich aufgrund des im Streitjahr geltenden
Steuersatzes von 16 % bei einer Entgeltminderung von 433.792 EUR
ergab.
|
|
|
6
|
Für die Klageabweisung führte das
Finanzgericht (FG) an, dass es sich bei der Vorsteuerberichtigung
um eine Masseverbindlichkeit und nicht um eine Insolvenzforderung
gehandelt habe. Hierfür spreche, dass sowohl das
schuldrechtliche Grundgeschäft als auch das dingliche
Vollzugsgeschäft nach Insolvenzeröffnung verwirklicht
worden seien. Auf insolvenzaufrechnungsrechtliche Überlegungen
komme es nicht an.
|
|
|
7
|
Das Urteil ist in EFG 2011, 1385
veröffentlicht worden.
|
|
|
8
|
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der
Vorsteuerberichtigungsanspruch sei eine Insolvenzforderung.
Maßgeblich sei, dass der Anspruch in seinem Kern bereits vor
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei und nur
noch vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhänge. Es
könne nicht bei § 38 der Insolvenzordnung (InsO) auf den
Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem der den Umsatzsteueranspruch
begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit
abgeschlossen sei, wenn es für § 96 InsO auf die den
Umsatzsteuererstattungsansprüchen zugrunde liegenden
Lieferungen und Leistungen ankomme. Für § 38 InsO sei
daher maßgeblich, ob der Rechtsgrund für die Entstehung
der Forderung bereits vor Verfahrenseröffnung gelegt wurde.
Hierfür sei auf die der Umsatzsteuer zugrunde liegenden
Lieferungen und Leistungen abzustellen. Eine Klärung durch den
Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) sei
erforderlich.
|
|
|
9
|
Zu beachten sei weiter, dass es im
Streitfall nicht um die Besteuerung eines Verwertungsvorgangs i.S.
von § 55 Abs. 1 InsO gehe, sondern um eine Änderung in
Bezug auf die Besteuerung des im Jahr 2000 erfolgten
Erwerbsvorgangs. Im Hinblick auf diesen Erwerb führe die
Veräußerung im Streitjahr nicht zu einem neuen
umsatzsteuerbaren Vorgang, sondern nur zu einer Änderung bei
der Besteuerung des damaligen Erwerbsvorgangs. Die
Vermögensmasse sei bereits vor der Insolvenz mit einem
latenten Vorsteuerberichtigungsanspruch belastet gewesen. Daher
seien der Rechtsgrund und der umsatzsteuerrechtlich relevante
Lebenssachverhalt für die Vorsteuerberichtigung bereits vor
Verfahrenseröffnung gelegt gewesen. Beim
Vorsteuerberichtigungsanspruch handele es sich um eine Berichtigung
der Besteuerung vor Insolvenzeröffnung, nicht aber um eine
Besteuerung einer vom Verwalter neu geschaffenen
Schuldrechtsbeziehung. Nur die vom Insolvenzverwalter neu
geschaffenen Rechtsbeziehungen, nicht aber auch die Abwicklung von
Altbeziehungen könnten Masseverbindlichkeiten begründen.
Auch bei der Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 des
Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) habe sich der Lebenssachverhalt
vor Verfahrenseröffnung zugetragen. Dementsprechend sei das FA
insoweit seiner Auffassung gefolgt. Für eine unterschiedliche
Behandlung bestehe kein nachvollziehbarer Grund. Daher sei es zu
der Vorsteuerberichtigung aufgrund einer Änderung der
Verhältnisse bereits mit und damit vor der
Insolvenzeröffnung gekommen.
|
|
|
10
|
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben, den Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 4.11.2009
dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ./. 24.737,51
EUR festgesetzt wird und weiter, dass die Umsatzsteuer in Höhe
von 366.905,58 EUR zuzüglich Zinsen an die Insolvenzmasse
ausgezahlt wird.
|
|
|
11
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
12
|
Sowohl schuldrechtliches Grundgeschäft
als auch dingliches Vollzugsgeschäft seien erst nach
Insolvenzeröffnung verwirklicht worden. Hierauf komme es
für die Frage der Tatbestandsverwirklichung an. Es liege daher
eine Masseverbindlichkeit vor.
|
|
|
13
|
II. Die Revision des Klägers ist
unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.
2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Im Streitfall führt
erst die Veräußerung des mit Vorsteuerabzug erworbenen
Wirtschaftsguts durch den Insolvenzverwalter zu einer Änderung
der Verhältnisse i.S. von § 15a UStG. Der dadurch
entstandene Berichtigungsanspruch ist eine
Masseverbindlichkeit.
|
|
|
14
|
1. Die von § 15a UStG vorausgesetzte
Änderung der Verhältnisse wurde erst durch die
steuerfreie Veräußerung des Wirtschaftsguts durch den
Insolvenzverwalter, nicht aber - entsprechend der Auffassung des
Klägers - bereits durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens bewirkt.
|
|
|
15
|
a) § 15a Abs. 1 UStG hatte im Streitjahr
folgenden Wortlaut: Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das
nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet
wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der
erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen
Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für
jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine
Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder
Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen.
Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen
Bestandteile, bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des
bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei
Gebäuden auf fremdem Grund und Boden tritt an die Stelle des
Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von zehn Jahren.
|
|
|
16
|
Der Steueranspruch gemäß § 15a
Abs. 1 UStG aufgrund einer Änderung der für den
Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse setzt danach
einen Vergleich zwischen der Verwendungsabsicht beim Entstehen des
Anspruchs auf Vorsteuerabzug und der umsatzsteuerrechtlichen
Beurteilung der späteren tatsächlichen Verwendung voraus
(BFH-Urteil vom 9.2.2011 XI R 35/09, BFHE 233, 86, BStBl II 2011,
1000 = SIS 11 18 67, unter II.2.c).
|
|
|
17
|
b) Im Streitfall begründete erst die nach
§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreie Veräußerung
des Wirtschaftsguts, nicht aber bereits die zuvor erfolgte
Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Änderung der
Verhältnisse hinsichtlich des Wirtschaftsguts, das die GmbH
zuvor für steuerpflichtige Umsätze erworben hatte.
Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers
nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu § 17 Abs. 2 Nr. 1
UStG.
|
|
|
18
|
aa) Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG hat der
leistende Unternehmer den Steuerbetrag und der
Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn das
vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung
„uneinbringlich“ wird. Die von dieser Vorschrift
vorausgesetzte Uneinbringlichkeit von Entgelten tritt sowohl bei
Eingangsleistungen als auch bei Ausgangsleistungen nicht bereits
aufgrund der bloßen Eröffnung des Insolvenzverfahrens,
sondern aufgrund der mit der Insolvenzeröffnung verbundenen
Besonderheiten ein. So ergibt sich die Uneinbringlichkeit des
Entgelts für eine vor Insolvenzeröffnung an den
Insolvenzschuldner erbrachte Leistung daraus, dass der
Entgeltgläubiger seinen Forderungsanspruch nur noch unter
Beachtung der insolvenzrechtlichen Beschränkungen geltend
macht (BFH-Urteil vom 13.11.1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II
1987, 226 = SIS 87 08 26, Leitsatz) und daher nur noch zur
Insolvenztabelle anmelden kann. Die Uneinbringlichkeit des Entgelts
für eine durch den Insolvenzschuldner vor
Insolvenzeröffnung erbrachte Ausgangsleistung beruht darauf,
dass mit Verfahrenseröffnung die
Vereinnahmungszuständigkeit für diese Forderung auf den
Insolvenzverwalter und die seiner Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis unterliegende Tätigkeit übergeht
(BFH-Urteil vom 9.12.2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011,
996 = SIS 11 11 55, unter II.3.c).
|
|
|
19
|
bb) Die Insolvenzeröffnung ist dagegen
für die Berichtigung nach § 15a UStG ohne Bedeutung. Die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt weder
tatsächlich noch rechtlich eine Änderung in der
Verwendung von Wirtschaftsgütern.
|
|
|
20
|
Allein die Insolvenzeröffnung ändert
die tatsächliche Verwendung nicht. Auch in rechtlicher
Hinsicht wirkt sich - anders als bei dem von § 15a Abs. 7 UStG
vorausgesetzten Übergang zum Kleinunternehmerstatus nach
§ 19 Abs. 1 UStG oder zur Pauschalbesteuerung nach § 24
UStG - die Insolvenzeröffnung nicht auf die für den
Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse aus;
insbesondere enthält die InsO anders als z.B. §§ 19,
24 UStG keine materiell-rechtlichen Regelungen, die für den
Vorsteuerabzug maßgeblich sind.
|
|
|
21
|
cc) Entgegen der Auffassung des Klägers
kann die Insolvenzeröffnung auch nicht einer Entnahme
gleichgesetzt werden, die gemäß § 15a Abs. 9 UStG
i.V.m. § 3 Abs. 1b UStG eine Änderung der
Verhältnisse bewirkt.
|
|
|
22
|
Bedingt durch die Erfordernisse des
Insolvenzrechts besteht das Unternehmen zwar nach
Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zu denen
die Insolvenzmasse und das vorinsolvenzrechtliche Vermögen
gehören (BFH-Urteile in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 =
SIS 11 11 55, unter II.3.c aa, und vom 24.11.2011 V R 13/11, DB
2011, 2818 = SIS 11 39 41, unter II.1.). Die im Insolvenzfall
entstehenden Unternehmensteile gehören aber aufgrund des
fortgeltenden Grundsatzes der Unternehmenseinheit (BFH-Urteile vom
28.6.2000 V R 87/99, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639 = SIS 00 12 59, unter II.5.; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 = SIS 11 11 55, unter II.3.c aa, und in DB 2011, 2818 = SIS 11 39 41, unter
II.1.) gleichwohl zu einem einheitlichen Unternehmen. Die
Insolvenzeröffnung führt daher nicht, wie von § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 bis 3 UStG vorausgesetzt, zu einer Verwendung
für außerhalb des Unternehmens liegende Zwecke oder zu
einer unentgeltlichen Zuwendung.
|
|
|
23
|
2. Wie das FG zu Recht entschieden hat, war
der Berichtigungsanspruch nach § 15a UStG als
Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei der
Steuerfestsetzung für die Masse zu berücksichtigen.
|
|
|
24
|
a) Masseverbindlichkeiten sind nach § 55
Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, „die durch
Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die
Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse
begründet werden ...“. Bei der Besteuerung der Masse
sind diese Verbindlichkeiten durch Steuerbescheid gegenüber
dem Insolvenzverwalter geltend zu machen (BFH-Urteile vom 30.4.2009
V R 1/06, BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138 = SIS 09 26 33, unter
II.1., und in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000 = SIS 11 18 67,
unter II.1.), während der „zur Zeit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete
Vermögensanspruch“ i.S. von § 38 InsO als sog.
Insolvenzforderung gemäß §§ 174 ff. InsO zur
Insolvenztabelle anzumelden ist.
|
|
|
25
|
Die Steuerfestsetzung für die Masse
erfordert eine Steuerberechnung gemäß §§ 16
ff. UStG, bei der Umsätze, abziehbare Vorsteuerbeträge
und Berichtigungen insoweit zu berücksichtigen sind, als diese
der Masse zuzuordnen sind. Dies richtet sich für Umsätze,
abziehbare Vorsteuerbeträge und Berichtigungen
gleichermaßen nach den Kriterien des § 55 InsO. Die der
Steuerfestsetzung zugrunde liegende Steuerberechnung für die
Masse ist keine Aufrechnung und unterliegt deshalb nicht den
Aufrechnungsbeschränkungen der §§ 94 ff. InsO (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639 = SIS 00 12 59,
unter II.4. zu Umsätzen und Vorsteuerbeträgen, die im
Rahmen des dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des
Konkursverwalters unterliegenden Unternehmensteils ausgeführt
werden, und BFH-Urteil in DB 2011, 2818 = SIS 11 39 41, unter
II.2.c und II.3. zur Parallelfrage der Steuerberechnung für
die Anmeldung als Insolvenzforderung zur Tabelle gemäß
§ 174 InsO).
|
|
|
26
|
b) Der Berichtigungsanspruch nach § 15a
UStG aufgrund der steuerfreien Veräußerung des
Wirtschaftsguts ist eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55
Abs. 1 Nr. 1 InsO und in die Steuerberechnung (§ 16 Abs. 2
Satz 2 UStG) und Steuerfestsetzung für die Masse
einzubeziehen.
|
|
|
27
|
aa) Die Abgrenzung zwischen
Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimmt sich nach
ständiger Rechtsprechung der beiden Umsatzsteuersenate des BFH
danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand
nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach
Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit
abgeschlossen ist; nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt der
Steuerentstehung nach § 13 UStG (BFH-Urteile vom 29.1.2009 V R
64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24, unter
II.1.; in BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138 = SIS 09 26 33, unter
II.1.; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 = SIS 11 11 55, unter
II.1., und in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000 = SIS 11 18 67,
unter II.2.).
|
|
|
28
|
Der Kläger kann sich für seine
Gegenauffassung auch nicht auf das von ihm angeführte
BFH-Urteil vom 23.2.2011 I R 20/10 (BFHE 233, 114, BStBl II 2011,
822 = SIS 11 16 55) berufen, da es auch danach darauf ankommt, ob
„der anspruchsbegründende Tatbestand
abgeschlossen“ ist und damit „ein gesicherter
Rechtsgrund“ festgestellt werden kann. Die Rechtsprechung
der Umsatzsteuersenate steht im Übrigen in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(BGH), nach der für das Vorliegen einer Insolvenzforderung
entscheidend ist, ob „der anspruchsbegründende
Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung
abgeschlossen“ ist, d.h. ob das diesen Tatbestand
begründende „Schuldverhältnis vor
Verfahrenseröffnung bestand“ (BGH-Beschlüsse
vom 7.4.2005 IX ZB 195/03, ZInsO 2005, 484, unter II.4., und vom
7.4.2005 IX ZB 129/03, ZInsO 2005, 537, unter II.4.; vgl. auch vom
22.9.2011 IX ZB 121/11, NZI 2011, 953, und vom 13.10.2011 IX ZB
80/10, ZInsO 2011, 2184, unter II.2.a).
|
|
|
29
|
bb) Der Berichtigungstatbestand nach §
15a Abs. 1 UStG setzt zusätzlich zu den auf Anschaffungs- und
Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträgen eine
Änderung der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug
maßgeblichen Verhältnisse voraus. Nach ständiger
Rechtsprechung des erkennenden Senats handelt es sich bei der
Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG daher
materiell-rechtlich um einen gegenüber dem Vorsteuerabzug
gemäß § 15 UStG eigenständigen Tatbestand. Der
Berichtigungstatbestand des § 15a UStG erschöpft sich
somit nicht in der Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs
(BFH-Urteile vom 9.4.1987 V R 23/80, BFHE 149, 323, BStBl II 1987,
527 = SIS 87 12 30, unter II.1.b, und vom 6.6.1991 V R 115/87, BFHE
165, 113, BStBl II 1991, 817 = SIS 91 17 28, unter II.;
BFH-Beschluss vom 29.11.1993 V B 93/93, BFH/NV 1995, 351). Hieran
ist auch unter der Geltung der InsO festzuhalten (BFH-Urteil in
BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000 = SIS 11 18 67, unter II.2.).
|
|
|
30
|
cc) Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter
das mit Vorsteuerabzug erworbene Wirtschaftsgut erst nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert. Daher
ist erst hierdurch der Berichtigungstatbestand des § 15a UStG
verwirklicht worden, so dass es sich bei dem Berichtigungsanspruch
um eine Masseverbindlichkeit handelt. Schließlich
erfüllte die steuerfreie Veräußerung im Streitfall
auch die weiteren Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit i.S.
von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Lieferung des
Wirtschaftsguts durch den Insolvenzverwalter zur Verwertung der
Masse erfolgte.
|
|
|
31
|
3. Die Beurteilung des Streitfalls durch den
erkennenden Senat steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des
VII. Senats des BFH, der für den Umkehrfall einer Berichtigung
nach § 15a UStG, die zu einer Steuervergütung führt,
die Aufrechnung gegen diesen Vergütungsanspruch
zulässt.
|
|
|
32
|
a) Bei der Steuerberechnung für den dem
Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters
unterliegenden Unternehmensteil sind gemäß §§
16 ff. UStG i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO steuermindernd die
diesen Unternehmensteil betreffenden Einzelansprüche aus
Vorsteuerbeträgen und Berichtigungen zugunsten des
Unternehmens zu berücksichtigen (s. oben II.2.a).
|
|
|
33
|
Veräußert daher z.B. - anders als
im Streitfall - der Insolvenzverwalter ein Wirtschaftsgut
steuerpflichtig, das aufgrund einer beabsichtigten Verwendung
für überwiegend steuerfreie Umsätze nur teilweise
mit Recht auf Vorsteuerabzug erworben wurde, ergibt sich für
die Masse ein Berichtigungsanspruch aus § 15a UStG, der bei
Fehlen anderer Umsatztatbestände für den
Besteuerungszeitraum zu einem Steuervergütungsanspruch
für die Masse führt.
|
|
|
34
|
Die Rechtsprechung des erkennenden Senats hat
daher zur Folge, dass die Berichtigungen nach § 15a UStG
aufgrund einer Lieferung durch den Insolvenzverwalter stets
gleichbehandelt werden und unabhängig davon, ob die
Berichtigung zu Lasten oder zu Gunsten der Masse wirkt,
gleichermaßen im Rahmen der Steuerberechnung und
Steuerfestsetzung für die Masse zu berücksichtigen
ist.
|
|
|
35
|
b) Nach dem Urteil des VII. Senats des BFH vom
16.1.2007 VII R 7/06 (BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745 = SIS 07 07 69, unter II.) ist das FA als Insolvenzgläubiger zur
Aufrechnung berechtigt, wenn sich aus einem der Masse zustehenden
Berichtigungsanspruch nach § 15a UStG ein
Vergütungsanspruch ergibt.
|
|
|
36
|
aa) Insolvenzrechtlich ist die Aufrechnung
nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig, wenn das FA als
„Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden
ist“.
|
|
|
37
|
bb) Ergibt sich bei der Steuerberechnung und
Steuerfestsetzung für die Masse aufgrund von
Vorsteuerbeträgen oder Berichtigungen ein
Vergütungsanspruch (s. oben II.3.a), ist das FA nach der zu
Abrechnungsbescheiden gemäß § 218 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) ergangenen Rechtsprechung des VII. Senats des
BFH auch unter Berücksichtigung von § 96 Abs. 1 Nr. 1
InsO zur Aufrechnung gemäß § 226 AO gegen den sich
für die Masse aus der Steuerberechnung nach §§ 16
ff. UStG ergebenden Vergütungsanspruch berechtigt, wenn und
soweit der Vergütungsanspruch auf Vorsteuer- oder
Berichtigungsbeträgen beruht, die „insolvenzrechtlich
vor Verfahrenseröffnung begründet worden“ sind
(BFH-Urteil in BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745 = SIS 07 07 69,
unter II.).
|
|
|
38
|
Zur Begründung führt er aus, dass
„es aus insolvenzrechtlicher Sicht auf die
vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestandes
nicht ankommt“, sondern maßgeblich „der
zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt [sei], der zu der
Entstehung der Steueransprüche führt“
(BFH-Urteile vom 5.10.2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II
2005, 195 = SIS 05 08 34, unter II.2., und vom 16.11.2004 VII R
75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 = SIS 05 17 32, unter II.;
vgl. auch BFH-Urteil vom 17.4.2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8, BStBl
II 2009, 589 = SIS 07 19 23, unter II.3., wonach es darauf ankommt,
dass der „Anspruch ... in einem
Steuerschuldverhältnis [wurzelt], das ... schon vor
Verfahrenseröffnung bestanden hat“).
|
|
|
39
|
c) Auch wenn der VII. Senat des BFH im
Erhebungsverfahren die Aufrechnung gegen einen der Masse
zustehenden Vergütungsanspruch zulässt, obwohl dieser auf
einer Steuerberechnung für die Masse im Festsetzungsverfahren
beruht, liegt darin keine im Streitfall entscheidungserhebliche
Abweichung, die eine Anfrage an den VII. Senat des BFH
gemäß § 11 Abs. 3 FGO und ggf. eine Vorlage an den
Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 2 FGO
rechtfertigt. Der erkennende Senat schließt sich auch
insoweit dem Urteil des XI. Senats des BFH (in BFHE 233, 86, BStBl
II 2011, 1000 = SIS 11 18 67, unter II.2.f.) an.
|
|
|
40
|
aa) Eine Abweichungsanfrage gemäß
§ 11 Abs. 2 und 3 FGO setzt voraus, dass ein Senat in einer
Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des
Großen Senats abweichen will. Für eine derartige Anfrage
und ggf. Vorlage an den Großen Senat fehlt es im Streitfall
an einer Abweichung hinsichtlich einer entscheidungserheblichen
Rechtsfrage.
|
|
|
41
|
(1) Nach dem für die Entscheidung
maßgebenden Geschäftsverteilungsplan (Teil A VII. Senat
5 c) ist der VII. Senat des BFH zuständig für
Aufrechnung, Abtretung von Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis sowie für Abrechnungsbescheide,
Rückforderungsbescheide und Anrechnungsverfügungen im
Erhebungsverfahren, wenn nicht zugleich die Steuerfestsetzung
streitig ist. Die Zuständigkeitsverteilung im Verhältnis
zum VII. Senat des BFH entspricht daher der
steuerverfahrensrechtlichen Unterscheidung zwischen dem
Festsetzungs- und dem Erhebungsverfahren (§§ 155 ff. AO
und §§ 218 ff. AO). Im Streitfall entscheidet der
erkennende Senat im Festsetzungsverfahren über die
gemäß §§ 16 ff. UStG i.V.m. § 55 Abs. 1
Nr. 1 InsO für die Masse vorzunehmende Steuerberechnung und
-festsetzung und berücksichtigt dabei, den
insolvenzrechtlichen Besonderheiten entsprechend, nur die
umsatzsteuerrechtlichen Einzelansprüche aus Umsätzen,
abziehbaren Vorsteuerbeträgen und Berichtigungen, die nicht
nach § 38 InsO bei der Berechnung der Insolvenzforderung dem
vorinsolvenzrechtlichen Bereich, sondern nach den Bedingungen des
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem dem Verwaltungs- und
Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegenden
Unternehmensteil zuzuordnen sind (s. oben II.2.a und 3.a).
Demgegenüber betrifft die Rechtsprechung des VII. Senats des
BFH Abrechnungsbescheide nach § 218 AO, mit denen über
die Wirksamkeit von Aufrechnungen gemäß § 226 AO
unter Beachtung von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entschieden wird,
und damit das Erhebungsverfahren (s. oben II.3.b).
|
|
|
42
|
(2) Im Verhältnis zwischen Festsetzungs-
und Erhebungsverfahren ist die im Festsetzungsverfahren
vorgenommene Steuerfestsetzung für das Erhebungsverfahren
vorgreiflich. Denn Grundlage für die Verwirklichung von
Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind
gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 AO Steuerbescheide und
Steuervergütungsbescheide. Daher ist im Verfahren über
einen Abrechnungsbescheid z.B. nicht über das
materiell-rechtliche Bestehen der Gegenforderung des FA zu
entscheiden, da dies Gegenstand des Festsetzungsverfahrens und des
dieses Verfahren betreffenden Rechtsbehelfs ist. Hiervon geht auch
die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH aus (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 4.5.1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285).
|
|
|
43
|
Im Hinblick auf diese Vorgreiflichkeit
berührt die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH nicht die
Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides, der zu der
Steuervergütung führt, gegen die das FA nach der
Rechtsprechung des VII. Senats des BFH auch unter
Berücksichtigung der §§ 94 ff. InsO zur Aufrechnung
berechtigt ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.5.1998 V R 74/97, BFHE
185, 552, BStBl II 1998, 634 = SIS 98 19 50, unter II.1. zum
Vorsteuerabzug aus der Rechnung eines Sequesters bei der
Steuerfestsetzung für die Masse trotz der vom VII. Senat des
BFH insoweit angenommenen Aufrechnungsbefugnis des FA).
Dementsprechend hat die Aufrechnung keinen Einfluss auf die der
Steuervergütung zugrunde liegenden Steuerfestsetzung
(BFH-Urteil in BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634 = SIS 98 19 50,
unter II.1.).
|
|
|
44
|
bb) Nach § 11 Abs. 4 FGO kann dem
Großen Senat auch eine Frage von grundsätzlicher
Bedeutung zur Entscheidung vorlegt werden, wenn das nach Auffassung
des vorlegenden Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall aufgrund der
Vorgreiflichkeit des Festsetzungs- für das Erhebungsverfahren
(s. oben II.3.c.aa(1) gleichfalls nicht vor.
|