Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 14.05.2019 - 2 K 798/15
= SIS 20 11 95 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Nürnberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
7
|
Mit der hiergegen gerichteten Klage vertrat
der Kläger seine Auffassung weiter, dass die Aufrechnung
unzulässig sei. Mit Schreiben vom 23.01.2018 erklärte
sich das FA im Klageverfahren bereit, in Höhe von 3.226,64 EUR
die Aufrechnung wegen anfechtbarer Rechtshandlungen als
unzulässig zu behandeln. Mit Schreiben vom 11.02.2019
erklärte der Kläger hilfsweise, dass dieser Betrag im
Rahmen des § 131 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) zu
erstatten sei. Die Insolvenzschuldnerin verstarb nach
Klageerhebung.
|
|
|
8
|
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
seinem in EFG 2020, 1383 = SIS 20 11 95 veröffentlichten Urteil ab. Das FG hielt die im
Nachlassinsolvenzverfahren erhobene Klage für zulässig.
Es war der Ansicht, dass das Guthaben der Insolvenzschuldnerin
durch Aufrechnung des FA erloschen sei. Die Aufrechnung sei nicht
deswegen ausgeschlossen, weil das FA den Anspruch auf die
Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2010 und auf Lohnsteuer
einschließlich Solidaritätszuschlag und
Lohnkirchensteuer durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt
hätte.
|
|
|
9
|
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts. Das FG weiche von der
gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ab, wenn es
die Lohnsteuer als Nebenleistung bzw. Bestandteil des Lohns unter
den Begriff des Bargeschäfts nach § 142 InsO einordne. Im
Übrigen fehle es in Bezug auf die Lohnsteuer bereits an der
Leistung und Gegenleistung. Die Insolvenzschuldnerin habe im
Gegenzug zur Lohnsteuerzahlung keine gleichwertige Gegenleistung
erhalten. Wenn Lohnsteuerzahlungen nicht von § 142 InsO
erfasst würden und damit anfechtbar seien, sei auch die
Aufrechnungslage nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO in anfechtbarer
Weise erlangt.
|
|
|
10
|
In Bezug auf die Umsatzsteuer trägt
der Kläger vor, der Aufrechnung stünden danach § 131
Abs. 1 und § 133 Abs. 1 InsO entgegen. Das Urteil des FG
weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24.04.2018 - VII R
24/16 (nicht veröffentlicht) ab. Die anfechtbare
Rechtshandlung sei die Herbeiführung der Aufrechnungslage.
Diese sei durch die Vorsteuerberichtigung (im Dezember 2009 oder im
Februar 2010) und damit in kritischer Zeit herbeigeführt
worden. Hilfsweise seien alle Umsatzsteuerforderungen für das
Jahr 2009 nach der BGH-Rechtsprechung gemäß § 133
InsO anfechtbar. Weiter hilfsweise sei jedenfalls ein Betrag in
Höhe von 3.226,64 EUR anfechtbar.
|
|
|
11
|
Der Kläger beantragt,
|
|
das Urteil des FG aufzuheben sowie den
Abrechnungsbescheid vom 24.03.2014 (in Gestalt der
Einspruchsentscheidung) dahingehend zu ändern, dass die
Aufrechnung in voller Höhe, also in Höhe von 57.932,03
EUR, für unzulässig erklärt wird und dieser Betrag
der Insolvenzmasse erstattet wird.
|
|
|
12
|
Das FA beantragt,
|
|
die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
13
|
Es trägt vor, dass der BFH
hinsichtlich der Lohnsteuer bisher noch nicht entschieden habe, ob
es sich bei Lohnsteuerzahlungen um anfechtbare Rechtshandlungen
i.S. des § 129 InsO handele. Die Aufrechnung der
Umsatzsteuerforderungen für das Jahr 2009 und für
September 2009 seien zulässig. Eine
Anfechtungsmöglichkeit nach § 133 InsO bestehe nicht. Die
für die Insolvenzanfechtung maßgebliche Rechtshandlung
sei die dem einzelnen Umsatz zugrunde liegende Leistungserbringung.
Diese liege außerhalb des Dreimonatszeitraums der
§§ 130, 131 InsO.
|
|
|
14
|
II. Die Revision des Klägers ist
begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an
das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
15
|
1. Das Urteil der Vorinstanz ist nicht mit
Gründen versehen und verletzt daher Bundesrecht. Es kann
danach keinen Bestand haben.
|
|
|
16
|
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
ist eine Entscheidung i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit
Gründen versehen, wenn das FG einen selbständigen
Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder
Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergeht oder einen
bestimmten Sachverhaltskomplex überhaupt nicht
berücksichtigt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29.11.2000 - I R
16/00, BFH/NV 2001, 626 = SIS 01 64 65, unter II.2.; vom 24.04.2008
- IV R 69/05, BFH/NV 2008, 1550 = SIS 08 32 34, unter II.B.2.b; vom
18.06.2009 - V R 4/08, BFHE 226, 382, BStBl II 2010, 310 = SIS 09 30 58, Rz 14; vom 09.02.2012 - V R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II
2012, 844 = SIS 12 06 37, Rz 38). Unter selbständigen
Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und
Verteidigungsmitteln sind dabei die eigenständigen
Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu
verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit
selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (vgl.
dazu BFH-Urteile vom 02.10.2001 - IX R 25/99, BFH/NV 2002, 363 =
SIS 02 53 58, unter II.2.a; in BFHE 226, 382, BStBl II 2010, 310 =
SIS 09 30 58, Rz 14).
|
|
|
17
|
b) Im Streitfall ist das FG nicht auf den vom
Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren hilfsweise geltend
gemachten selbständigen Anspruch eingegangen, dass selbst bei
einer Betrachtung entsprechend dem FA (d.h. bei einem Abstellen auf
die Eingangsleistungen, die dem insolvenzbedingten
Vorsteuerberichtigungsanspruch zugrunde lagen), die Aufrechnung in
Höhe von 3.226,64
EUR anfechtbar sei. Damit hat das FG den diesbezüglichen
Vortrag des Klägers übergangen und damit einen
eigenständigen Klagegrund unerörtert gelassen, der den
Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten
Rechtsnorm (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) bildet, ohne dass das
angefochtene Urteil dabei erkennen lässt, aus welchen
Gründen dieser vom Kläger hilfsweise geltend gemachte
Anspruch vom FG abgelehnt wurde, obwohl es hierauf auch nach der
eigenen materiell-rechtlichen Beurteilung des FG (vgl.
BFH-Beschluss vom 19.12.2016 - XI B 57/16, BFH/NV 2017, 599 = SIS 17 05 94, Rz 25) ankam.
|
|
|
18
|
c) Der Kläger hat diesen
Verfahrensfehler, auf dem das FG-Urteil beruht (§ 119 Nr. 6
FGO), in seiner Revisionsbegründung hinreichend gerügt;
denn er hat hilfsweise eingewendet, dass das FA im
finanzgerichtlichen Verfahren eingeräumt habe, dass der
insolvenzbedingte Berichtigungsanspruch in Höhe von 3.226,64
EUR auf Eingangsleistungen, die in kritischer Zeit bezogen worden
seien, beruhe. Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, bei dem der
Verfahrensfehler unbeachtlich ist, da das übergangene
Angriffs- oder Verteidigungsmittel ungeeignet war und eine erneute
Entscheidung des FG deshalb nur zu einer Bestätigung des
Urteils führen könnte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 226, 382,
BStBl II 2010, 310 = SIS 09 30 58, Rz 16).
|
|
|
19
|
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat
kann nicht entscheiden, ob die Gegenforderung, mit der das FA
aufgerechnet hat, besteht.
|
|
|
20
|
a) Die Gegenforderung Februar 2010, mit der
das FA aufgerechnet hat, ergab sich im Wesentlichen aus dem
insolvenzbedingten Vorsteuerberichtigungsanspruch. Dieser ist
materiell-rechtlich bei der Berechnung der sich für den
Besteuerungszeitraum 2009 ergebenden Umsatzsteuer zu erfassen
(BFH-Urteil vom 08.08.2013 - V R 18/13, BFHE 242, 433, BStBl II
2017, 543 = SIS 13 23 09). Auf dieser Grundlage bezieht sich die
vom FA erklärte Aufrechnung mit der Gegenforderung Februar
2010 auf eine im Wesentlichen nicht bestehende Gegenforderung.
|
|
|
21
|
b) Die Aufrechnungserklärung des FA kann
daher nur dann wirksam sein, wenn zur Umsatzsteuer Februar 2010
eine bestandskräftig wirksame Steuerfestsetzung (§ 124
Abs. 2 der Abgabenordnung - AO - ) vorläge, bei der der
insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch erfasst worden
wäre. Im Streitfall ist zwar das Vorliegen einer derartigen
Steuerfestsetzung im Hinblick auf die Insolvenzeröffnung am
01.03.2010 auszuschließen.
|
|
|
22
|
c) Eine vergleichbare Bindungswirkung kann
sich aber aus der Feststellung zur Insolvenztabelle nach § 178
Abs. 3 InsO ergeben (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 21.11.2013 - V
R 21/12, BFHE 244, 70, BStBl II 2016, 74 = SIS 14 06 91, Rz 23). Ob
eine derartige Feststellung vorliegt, ist aber aufgrund
widersprüchlicher Feststellungen des FG hierzu (vgl. hierzu
allgemein z.B. BFH-Urteil vom 20.10.2021 - XI R 24/20, BFH/NV 2022,
620 = SIS 22 06 25, Rz 22) unklar.
|
|
|
23
|
Denn im Streitfall hat das FG zum einen
festgestellt, dass die vom FA zur Tabelle angemeldete Umsatzsteuer
für Februar 2010 in Höhe von 49.413,43 EUR am 20.12.2011
zur Tabelle festgestellt worden sei. Zum anderen hat das FG auch
festgestellt, dass das FA mit Schreiben vom 28.10.2015 Umsatzsteuer
für das Rumpfwirtschaftsjahr von Januar bis Februar 2010 in
Höhe von 9.476,72 EUR zur Tabelle angemeldet habe. Diese
Tabellenanmeldung habe auf einer Steuerberechnung vom 21.09.2015
beruht, der Umsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von
27.521 EUR, ein Vorsteuerberichtigungsbetrag in Höhe von
54.191,33 EUR sowie eine bereits erfolgte Tilgung in Höhe von
49.944,60 EUR zugrunde lagen. Dies spricht dafür, dass das FA,
wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem
Senat vorgetragen hat, mit Schreiben vom 28.10.2015 seine
frühere Forderungsanmeldung im Hinblick auf die vorliegend
streitige Aufrechnung herabgesetzt hat, so dass der Betrag, mit dem
das FA die Aufrechnung erklärt hat, somit als nicht zur
Tabelle festgestellt anzusehen wäre. Letzteres erscheint auch
deshalb naheliegend, da es ansonsten zu einer (teilweisen)
Doppelbefriedigung des FA durch Aufrechnung und quotaler Tilgung
der eingetragenen Insolvenzforderung gekommen wäre, obwohl der
zur Aufrechnung berechtigte Gläubiger seine Forderung nur dann
in voller Höhe anmelden kann, wenn er auf die Aufrechnung
verzichtet (vgl. Uhlenbruck/Sinz, Insolvenzordnung, 15. Aufl.,
§ 174 Rz 8, und Preuß in Jaeger, Insolvenzordnung,
§ 174 Rz 25).
|
|
|
24
|
3. Für das weitere Verfahren weist der
Senat in rechtlicher Hinsicht mit Bindungswirkung nach § 126
Abs. 5 FGO auf Folgendes hin:
|
|
|
25
|
a) Sollte es an einer den insolvenzbedingten
Vorsteuerberichtigungsanspruch umfassenden Tabelleneintragung
Umsatzsteuer für Februar 2010 fehlen, hätte das FG zu
entscheiden, ob die vom FA abgegebene Aufrechnungserklärung
gleichwohl wirksam sein könnte. Dies könnte sich daraus
ergeben, dass sich die Umbuchungsmitteilung des FA nicht nur auf
die Umsatzsteuer für Februar 2010, sondern auch auf die
Umsatzsteuer für das Jahr 2009 bezog, bei deren Berechnung der
insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch
materiell-rechtlich zu erfassen ist (BFH-Urteil in BFHE 242, 433,
BStBl II 2017, 543 = SIS 13 23 09). Für eine derartige
Auslegung (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) der
Aufrechnungserklärung des FA könnte sprechen, dass es
letztlich im Rahmen der zahlreichen Einzelpositionen umfassenden
Umbuchungsmitteilung nur um eine betragsmäßige
Verschiebung geht.
|
|
|
26
|
b) Sollte die Aufrechnungserklärung des
FA einer derartigen Auslegung zugänglich sein, hätte das
FG über die Höhe des sich für den
Besteuerungszeitraum 2009 aufrechenbar ergebenden
Umsatzsteueranspruchs zu entscheiden. Dabei hat das FG von
Folgendem auszugehen:
|
|
|
27
|
aa) Der BGH hat zu § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
entschieden, dass die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die
mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt,
selbständig angefochten werden kann. Danach stellen Handlungen
des Schuldners oder Dritter, die zum Entstehen einer
Umsatzsteuerschuld führen, eine Rechtshandlung dar, durch die
das Schuldnervermögen belastet wird. Er verweist hierfür
darauf, dass Steuertatbestände - wie bei der Umsatzsteuer -
„in der Regel“ ihrerseits an
Rechtshandlungen des Steuerpflichtigen oder Dritter anknüpfen
und gerade die Geschäfte des Schuldners und Steuerpflichtigen
zum Entstehen der Steuerforderung des FA führen. Hieraus
leitet der BGH ab, dass das FA „die Möglichkeit der
Aufrechnung (...) in anfechtbarer Weise
erlangt“, wenn es zwischen der
„Antragstellung und Eröffnung entstanden[e]
Umsatzsteuerforderungen“ aus monatlichen
Vorauszahlungsfestsetzungen gegen Ansprüche der Masse
aufrechnet (BGH-Urteil vom 22.10.2009 - IX ZR 147/06,
Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und
Bankrecht - WM - 2009, 2394 = SIS 10 06 34). Dem hat sich der BFH insbesondere für die
umgekehrte Fallgestaltung, dass für einen
Voranmeldungszeitraum in sog. kritischer Zeit ein
Vergütungsanspruch (§ 168 Satz 2 AO) festzusetzen ist,
angeschlossen (BFH-Urteil vom 02.11.2010 - VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011,
439 = SIS 11 09 31).
|
|
|
28
|
bb) Diese Rechtsprechung zur anfechtbaren
Herstellung einer Aufrechnungslage betrifft Steuer- und
Vergütungsansprüche, die sich aufgrund einer
Steuerberechnung gemäß §§ 16 ff. des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) für einen Voranmeldungszeitraum
ergeben, ist aber für die Steuerberechnung durch Saldierung
einzelner Besteuerungsgrundlagen ohne Bedeutung. Denn diese
Steuerberechnung ist weder eine Aufrechnung noch eine anfechtbare
Rechtshandlung, so dass sie als solche auch nicht den
Beschränkungen der §§ 94 ff. InsO unterliegt
(BFH-Urteile vom 24.11.2011 - V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II
2012, 298 = SIS 11 39 41, Rz 21 ff.; ebenso vom 25.07.2012 - VII R
44/10, BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33 = SIS 12 28 20, Rz 10).
|
|
|
29
|
cc) Der Rechtsprechung zur anfechtbaren
Herstellung einer Aufrechnungslage kommt zudem nur
eingeschränkte Bedeutung zu, da auch im Insolvenzfall für
das Steuerschuldverhältnis die nach Maßgabe der
Regelungen des UStG zu berechnende
„Jahressteuer“ für den
jeweiligen Besteuerungszeitraum des § 16 Abs. 1 Satz 2 UStG
maßgeblich ist, sobald die Jahressteuer entstanden ist und
berechnet werden kann. Dabei verwirklicht sich die nach § 16
UStG vorzunehmende Steuerberechnung „gleichsam
automatisch“, wenn wegen der
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Steuer nicht mehr
festgesetzt werden kann. Eine Aufrechnung mit Ansprüchen und
gegen Ansprüche aus Voranmeldungszeiträumen desselben
Besteuerungszeitraums wird somit
„gegenstandslos“, da die diesen
Ansprüchen zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen in die
Jahressteuer eingegangen und nach Maßgabe des § 16 UStG
zu saldieren sind (BFH-Urteil in BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33 =
SIS 12 28 20, Rz 7 ff.). Im Hinblick hierauf erübrigt sich die
Betrachtung nach einem Steuer- oder Vergütungsanspruch, der
sich nach dem BGH-Urteil in WM 2009, 2394 = SIS 10 06 34 und nach dem BFH-Urteil in BFHE
232, 290, BStBl II 2011, 439 = SIS 11 09 31 für
Voranmeldungszeiträume in kritischer Zeit ergibt.
|
|
|
30
|
dd) Gleichwohl ist die anfechtungsrechtliche
Betrachtung nach den Urteilen des BGH in WM 2009, 2394 =
SIS 10 06 34 und des BFH in BFHE
232, 290, BStBl II 2011, 439 = SIS 11 09 31 auch für die
Frage, inwieweit das FA mit einem sich für den
Besteuerungszeitraum ergebenden Steueranspruch aufrechnen kann,
nicht völlig bedeutungslos. Denn ergibt sich aufgrund der
Steuerberechnung durch vorrangige Saldierung aller
Besteuerungsgrundlagen dieses Zeitraums ein Steueranspruch, ist zu
prüfen, inwieweit einer Aufrechnung mit diesem Steueranspruch
als Gegenforderung § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegensteht.
|
|
|
31
|
Hierfür ist zu ermitteln, welche der im
Rahmen der Steuerberechnung für den Besteuerungszeitraum
saldierten Besteuerungsgrundlagen auf Rechtshandlungen in
kritischer Zeit beruhen. Dies erfordert eine eigenständige
Saldierung der steuererhöhenden und steuermindernden
Besteuerungsgrundlagen, die sich aus Ausgangs- und
Eingangsleistungen in kritischer Zeit ergeben. Beruht ein sich
für den Besteuerungszeitraum ergebender Steueranspruch von
z.B. 15.000 EUR in Höhe von 5.000 EUR auf den gesondert zu
saldierenden Besteuerungsgrundlagen aufgrund von Rechtshandlungen
in kritischer Zeit, ist die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO nur in einem Umfang von 10.000 EUR zulässig. Hatte der
Steuerpflichtige auf den Steueranspruch nicht in die Masse
zurückzugewährende Zahlungen von z.B. 2.000 EUR
geleistet, mindert dies die Aufrechnungsmöglichkeit in
entsprechender Höhe.
|
|
|
32
|
ee) Die sich auf dieser Grundlage stellende
Frage, ob der insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch als
Rechtshandlung in kritischer Zeit anzusehen sein könnte, so
dass die sich hieraus ergebende Steuererhöhung dem
Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unterliegt, ist
zu verneinen.
|
|
|
33
|
(1) Zwar ist bei der Prüfung, ob der
insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch auf einer
anfechtbaren Rechtshandlung beruht, entgegen der Rechtsauffassung
des FG nicht auf die Eingangsleistungen abzustellen, sondern auf
die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit
Zustimmungsvorbehalt durch das Insolvenzgericht als
Berichtigungsereignis, wie sich aus der geänderten
BFH-Rechtsprechung zur korrespondierenden Betrachtung bei § 96
Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt (BFH-Urteil vom 25.07.2012 - VII R 29/11,
BFHE 238, 307, BStBl II 2013, 36 = SIS 12 28 19), worauf der
Kläger zutreffend hinweist.
|
|
|
34
|
Insolvenzgerichtliche Maßnahmen sind
jedoch - ebenso wie Rechtshandlungen des sog. starken
vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis (vgl. BGH-Urteile vom 09.12.2004 - IX ZR
108/04, BB 2005, 401, Rz 10; vom 20.02.2014 - IX ZR 164/13, BGHZ
200, 210, Rz 11) - keine Rechtshandlungen im Sinne der
Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO. Zudem beruht
die insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigung darauf, dass
Ansprüche des Leistenden gegen den Leistungsempfänger,
für den der Insolvenzantrag gestellt wurde, „nicht
mehr durchsetzbar“ sind (vgl. BFH-Urteile
vom 13.11.1986 - V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226 = SIS 87 08 26, unter II.2.c; in BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543 = SIS 13 23 09, Rz 42). Der Nichtdurchsetzbarkeit einer Forderung aus
Rechtsgründen (im Sinne einer aus Gründen des
Insolvenzrechts fehlenden Gläubigerrechtsmacht) kommt nicht
der Charakter einer Rechtshandlung zu. Auf dieser Grundlage ist es
ohne Bedeutung, dass der BGH in den Handlungen - und
dementsprechend auch in den Unterlassungen (§ 129 Abs. 2 InsO)
- des vorläufigen Verwalters mit allgemeinem
Zustimmungsvorbehalt anfechtbare Rechtshandlungen sieht (vgl. dazu
BGH-Urteil in BGHZ 200, 210, Rz 11).
|
|
|
35
|
(2) Der Senat weicht damit nicht von dem
unveröffentlichten BFH-Urteil vom 24.04.2018 - VII R 24/16 ab.
Zwar hat der BFH dort für den insolvenzbedingten
Vorsteuerberichtigungsanspruch auf eine Betrachtung nach dem
Zeitpunkt der Eingangsleistungen abgestellt, die den
insolvenzbedingt zu berichtigenden Vorsteuerabzug begründet
haben, und hat auf dieser Grundlage im Hinblick auf
Leistungsbezüge vor der kritischen Zeit die Anwendung von
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO verneint. Dies entspricht aber im
Ergebnis der auch vorliegend verneinten Anwendung dieser
Vorschrift. Mit der zudem verneinten Frage, ob das
Aufrechnungsverbot eine Aufrechnung mit einem Berichtigungsanspruch
unzulässig macht, der sich auf Leistungsbezüge in
kritischer Zeit bezieht, hatte sich der VII. Senat des BFH in
seinem unveröffentlichten Urteil demgegenüber nicht zu
befassen, so dass es einer Abweichungsanfrage nicht bedarf.
|
|
|
36
|
(3) Die Einwendungen des Klägers
hiergegen greifen nicht durch. Soweit der Kläger auf das
Erfordernis der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der
obersten Gerichtshöfe des Bundes und über die von ihm
zitierte Kommentarliteratur auf BGH-Rechtsprechung verweist, aus
der sich nach seiner Auffassung ergibt, dass die Bestellung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters eine anfechtbare
Rechtshandlung i.S. von § 129 InsO sei, da Gegenstand der
Anfechtung nicht die Rechtshandlung, sondern die durch sie
verursachte gläubigerbenachteiligende Wirkung sei und zudem
die Herstellung der Aufrechnungslage als eigene Rechtshandlung
anfechtbar sei, folgt der Senat dem nicht. Denn der Kläger
lässt unberücksichtigt, dass z.B. der von ihm zitierte
Kommentar (Uhlenbruck/Borries/Hirte, a.a.O., § 129 Rz 86)
für die Auffassung, dass Rechtshandlung jedes von einem Willen
getragene Handeln sei, das eine rechtliche Wirkung auslöst und
das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der
Insolvenzgläubiger verändern kann, das BGH-Urteil vom
19.11.2013 - II ZR 18/12 (NJW 2014, 624) anführt, das sich
hierfür aber auf das BGH-Urteil vom 07.05.2013 - IX ZR 191/12
(Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2013, 1180) und damit auf
Fallgestaltungen bezieht, in denen es um Ausgleichsansprüche
des Schuldners nach der Kündigung eines
Vertragshändlervertrags ging. Damit nicht als mitentschieden
ist die hier zu verneinende Frage anzusehen, ob Handlungen des
Insolvenzgerichts dem gleichzustellen sind, wogegen z.B. auch die
BGH-Rechtsprechung zur Nichtanfechtbarkeit der Handlungen des sog.
starken vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis (vgl. BGH-Urteile in BB 2005, 401, Rz 10,
und in BGHZ 200, 210, Rz 11) spricht. Der Senat folgt auch nicht
der Auffassung von Roth (Insolvenzsteuerrecht, 3. Aufl. 2020, Rz
4.530), der aus dem BFH-Urteil vom 02.11.2010 - VII R 6/10 (BFHE
231, 488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56) ableitet, dass der
insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch auf eine
anfechtbare Rechtshandlung zurückzuführen sei. Denn der
dem BFH-Urteil in BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56
zugrunde liegende Anspruch beruhte mit der Leistungserbringung des
vorläufigen Verwalters auf einer Rechtshandlung, nicht aber
auf einer insolvenzgerichtlichen Handlung. Der Senat muss sich
daher nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob der
insolvenzbedingte Vorsteuerberichtigungsanspruch als
Masseverbindlichkeit anzusehen sein könnte.
|
|
|
37
|
ff) Soweit im zweiten Rechtsgang im Hinblick
auf die Anfechtung nach § 133 InsO zu prüfen ist, ob eine
vorsätzliche Benachteiligung von Gläubigern durch
Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners erfolgt ist, verweist der
Senat auf die neuere Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteile vom
06.05.2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 = SIS 21 12 35, Rz 30 ff.;
vom 10.02.2022 - IX ZR 148/19, Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht - NJW-RR - 2022,
483 = SIS 22 04 64, Rz 13; vom
24.02.2022 - IX ZR 250/20, NJW-RR 2022, 557 = SIS 22 04 65, Rz 21;
vom 03.03.2022 - IX ZR 78/20, NJW 2022, 2038 = SIS 22 04 94, Rz
109; vom 03.03.2022 - IX ZR 53/19, NJW 2022, 1457 = SIS 22 06 72,
Rz 11; vom 28.04.2022 - IX ZR 48/21, WM 2022, 1287 = SIS 22 14 96,
Rz 15).
|
|
|
38
|
c) Zur Lohnsteuer weist der Senat das FG
darauf hin, dass es im Streitfall zumindest an einem zeitnahen
Austausch der gleichwertigen Leistungen fehlt.
|
|
|
39
|
aa) Nach § 142 Abs. 1 InsO ist eine
Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine
gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur
anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 bis 3
InsO gegeben sind. Anfechtbar ist nach § 133 Abs. 1 Satz 1
InsO eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn
Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu
benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der
Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.
|
|
|
40
|
bb) Die als Ausnahmevorschrift gefasste
Bestimmung des § 142 InsO beruht darauf, dass es bei zeitnahem
Austausch gleichwertiger Leistungen an einer objektiven
Gläubigerbenachteiligung fehlt. § 142 InsO soll es dem
Schuldner ermöglichen, auch in der Zeit seiner
wirtschaftlichen Krise noch wertäquivalente Bargeschäfte,
d.h. Rechtsgeschäfte, die die Insolvenzgläubiger nicht
unmittelbar benachteiligen, anfechtungsfrei abzuwickeln (vgl.
BGH-Urteil vom 07.03.2002 - IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122; Urteile
des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 06.10.2011 - 6 AZR 262/10,
BAGE 139, 235, Rz 18; vom 29.01.2014 - 6 AZR 345/12, BAGE 147, 172,
Rz 47). Jedoch muss der zeitliche Zusammenhang zwischen den
Leistungen selbst gewahrt bleiben und die Leistung des anderen
Teils tatsächlich in das Aktivvermögen des Schuldners
gelangt sein, wofür u.a. die Aufrechnung oder Verrechnung mit
einem schon bestehenden Anspruch gegen einen neuen Anspruch des
Schuldners als Gegenleistung nicht ausreicht (vgl. BGH-Urteil vom
11.02.2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711, Rz 34, 36; BAG-Urteil vom
27.10.2004 - 10 AZR 123/04, BAGE 112, 266, Rz 21).
|
|
|
41
|
cc) An einem solchen zeitlichen Zusammenhang
fehlt es im Streitfall. Es ist nicht zur Zahlung der streitigen
Lohnsteuer durch den Insolvenzschuldner gekommen, sondern es wurde
erst mit der Umbuchungsmitteilung vom 05.06.2013 eine Aufrechnung
mit den Lohnsteuerforderungen erklärt.
|
|
|
42
|
dd) Auf die Frage, ob Lohnsteuerzahlungen
Bargeschäfte sein können (vgl. dazu BFH-Beschlüsse
vom 13.07.1995 - VII S 1/95, BFH/NV 1996, 10; vom 26.09.1995 - VII
B 117/95, BFH/NV 1996, 281; BAG-Urteile in BAGE 139, 235, Rz 17,
und in BAGE 147, 172, Rz 49; BGH-Urteile vom 22.01.2004 - IX ZR
39/03, BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59; in BB 2005, 401, Rz 6;
BGH-Beschluss vom 22.10.2015 - IX ZR 74/15, Zeitschrift für
das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht 2016, 341 = SIS 16 01 30; offengelassen: BFH-Beschluss vom
11.08.2005 - VII B 244/04, BFHE 210, 410, BStBl II 2006, 201 = SIS 05 41 70, Rz 16), kommt es daher im Streitfall nicht an.
|
|
|
43
|
Die Feststellung, ob bezüglich der
Lohnsteuer im Übrigen anfechtbare Rechtshandlungen vorliegen,
die nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu einer unzulässigen
Aufrechnung führen, wird das FG im zweiten Rechtsgang daher
noch zu treffen haben.
|
|
|
44
|
4. Soweit der Kläger seine Argumente zum
Teil im nachgereichten Schriftsatz vom 05.08.2022 ergänzt hat,
besteht aus den dargelegten Gründen kein Erfordernis zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (vgl.
BFH-Urteile vom 31.05.2017 - XI R 2/14, BFHE 258, 191, BStBl II
2017, 1024 = SIS 17 14 27, Rz 45 ff.; vom 23.10.2003 - V R 24/00,
BFHE 203, 523, BStBl II 2004, 89 = SIS 03 52 07, unter II.1.a aa;
vom 16.01.2007 - IX R 69/04, BFHE 216, 329, BStBl II 2007, 579 =
SIS 07 13 19, unter II.2.; BFH-Beschluss vom 05.09.2005 - IV B 155/03, BFH/NV 2006, 98 =
SIS 06 03 02).
|
|
|
45
|
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
|