Insolvenz, Werklieferung, USt als Masseverbindlichkeit: 1. Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung eines bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht oder nicht vollständig erfüllten Werkvertrages, wird die Werklieferung - wenn keine Teilleistungen i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG gesondert vereinbart worden sind - erst mit der Leistungserbringung nach Verfahrenseröffnung ausgeführt. - 2. Bei der hierauf entfallenden Umsatzsteuer handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit, soweit das vereinbarte Entgelt nicht bereits vor Verfahrenseröffnung vereinnahmt wurde. - Urt.; BFH 30.4.2009, V R 1/06; SIS 09 26 33
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts E vom
1.5.2001 Insolvenzverwalter über das Vermögen der B-KG,
die ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten
versteuerte.
Bei der B-KG handelte es sich um ein
Bauunternehmen, das bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
mehrere Bauvorhaben noch nicht fertig gestellt hatte. Hinsichtlich
dieser Bauvorhaben lagen zwischen der B-KG und ihren Auftraggebern
weder Vereinbarungen über Teilleistungen noch Abrechnungen
über die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens
erbrachten Leistungen vor. Die B-KG hatte bis zur
Verfahrenseröffnung lediglich Abschlagsrechnungen erteilt und
die in Rechnung gestellten Beträge vereinnahmt. Der
Kläger verlangte als Insolvenzverwalter jeweils
Vertragserfüllung gemäß § 103 Abs. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) und stellte die Bauvorhaben in den
Streitjahren 2001 und 2002 fertig. Diese wurden nach Fertigstellung
in den Streitjahren von den Auftraggebern abgenommen.
Der Kläger erklärte als
Insolvenzverwalter in den für die B-KG für beide
Streitjahre eingereichten Umsatzsteuererklärungen Umsätze
aus den von ihm fertig gestellten Bauvorhaben nur insoweit, als
diese seiner Ansicht nach auf Arbeiten nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entfielen. Für die zuvor ausgeführten
Arbeiten ging der Kläger unter Berufung auf das Urteil des
Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25.4.2002 IX ZR 313/99 (BGHZ 150, 353,
NJW 2002, 2783) davon aus, dass die hierauf entfallende
Umsatzsteuer als Insolvenzforderung i.S. von § 38 InsO
anzusehen sei. Dementsprechend minderte er die von ihm nach
Verfahrenseröffnung für die fertig gestellten Bauvorhaben
vereinnahmten Entgelte um die Beträge, die seiner Ansicht nach
auf Arbeiten vor Verfahrenseröffnung entfielen.
Im Rahmen einer
Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat die Prüferin die
Auffassung, dass die vom Kläger vereinnahmten Entgelte
für die nach Verfahrenseröffnung in den Streitjahren
fertig gestellten Bauvorhaben in voller Höhe zu
Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 InsO
geführt hätten, da die Werklieferungen erst mit der
Fertigstellung und Abnahme der Bauvorhaben während des
Insolvenzverfahrens ausgeführt worden seien.
Insolvenzforderungen lägen nur insoweit vor, als die B-KG bis
zur Verfahrenseröffnung Abschlagszahlungen vereinnahmt habe.
Dem folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -
) und setzte mit Umsatzsteuerbescheid für 2001 und mit
Bescheid über Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für den Monat
Oktober 2002 die Umsatzsteuer entsprechend dieser Rechtsauffassung
fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Im Rahmen des finanzgerichtlichen
Verfahrens erließ das FA erstmalig einen Umsatzsteuerbescheid
für das Jahr 2002, den es im Klageverfahren nochmals
änderte. Beide Bescheide wurden gemäß § 68 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens.
Das Finanzgericht (FG) stützte die
Klageabweisung darauf, dass der Kläger die von ihm als
Insolvenzverwalter erbrachten Werklieferungen erst in den
Voranmeldungszeiträumen ausgeführt habe, in denen die
Abnehmer die fertig gestellten Bauwerke abgenommen hätten. Die
Bauwerke seien erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in
den Streitjahren 2001 und 2002 abgenommen worden. Das FA habe die
bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der B-KG
vereinnahmten Abschlagszahlungen bei den Umsatzsteuerfestsetzungen
zutreffend in Abzug gebracht. Ein Widerspruch zu den Vorschriften
der InsO und zum Urteil des BGH in BGHZ 150, 353, NJW 2002, 2783
bestehe nicht, da die Entstehung der Umsatzsteuer bei
Werklieferungen in § 13 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999
(UStG) abschließend geregelt sei.
Das Urteil des FG ist in EFG 2006, 1024 =
SIS 06 27 35 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt der
Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 13 Abs. 1 Nr. 1
UStG, § 103 InsO). Das FG habe die insolvenzrechtliche
Bedeutung des BGH-Urteils in BGHZ 150, 353, NJW 2002, 2783
verkannt. Der BGH habe den auch im Streitfall zu beachtenden
Grundsatz aufgestellt, dass bei einem durch eine
Insolvenzeröffnung unterbrochenen Bauvorhaben -
unabhängig von einer etwaigen Vereinbarung von Teilleistungen
nach werkvertragsrechtlichen Grundsätzen - eine Teilung des
Bauvorhabens in vor- und nachinsolvenzrechtliche Leistungen des
Gemeinschuldners zu erfolgen habe. Auch die Umsatzsteuerforderung
des FA könne daher nur auf der Grundlage des Bautenstandes zum
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der B-KG beurteilt werden. Anderenfalls käme es
zu einer ungerechtfertigten Privilegierung des
Steuergläubigers gegenüber anderen
Insolvenzgläubigern. Der Vorrang des Insolvenzrechts vor
steuerrechtlichen Vorschriften stelle nicht auf die
zivilrechtlichen Regelungen zu Teilleistungen i.S. des § 641
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), sondern auf das
Insolvenzrecht ab. Auch das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
17.12.1998 VII R 47/98 (BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29) enthalte keine andere Wertung. Aufgrund der sich aus der
Rechtsprechung des BGH ergebenden Fiktion zweier selbständiger
Teilleistungen vor und nach Insolvenzeröffnung handele es sich
bei Umsatzsteueransprüchen, die vorinsolvenzrechtlichen
Bauleistungen zuzuordnen seien, um Insolvenzforderungen.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, das Urteil des FG und die
Einspruchsentscheidung vom 5.5.2004 aufzuheben und die
Umsatzsteuerbescheide 2001 vom 17.7.2003 und 2002 vom 23.8.2005
dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2001 um
490.120,04 EUR und für 2002 um 473.980,64 EUR herabgesetzt
wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die B-KG habe nach positiver Ausübung
des Wahlrechts des § 103 Abs. 1 InsO Leistungen an ihre
Vertragspartner erbracht. Insoweit finde § 55 Abs. 1 InsO
Anwendung. Wähle der Insolvenzverwalter wie im Streitfall
Erfüllung, entstehe die Umsatzsteuer als
Masseverbindlichkeit.
II. Die Revision ist unbegründet und war
daher nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Wählt
der Insolvenzverwalter die Erfüllung eines bei Eröffnung
des Insolvenzverfahrens noch nicht oder nicht vollständig
erfüllten Werkvertrages, wird die Werklieferung - wenn keine
Teilleistungen i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze
2 und 3 UStG gesondert vereinbart worden sind - erst mit der
Leistungserbringung ausgeführt. Das FG hat deshalb zu Recht
entschieden, dass es sich bei der hierauf entfallenden Umsatzsteuer
um Masseverbindlichkeiten handelt, soweit die hierfür zu
erbringenden Entgelte nicht bereits vor Verfahrenseröffnung
vereinnahmt wurden.
1. Insolvenzgläubiger können
gemäß § 87 InsO nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38
InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner
„begründeten“ Vermögensansprüche
nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren
verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 der
Abgabenordnung (AO) Insolvenzforderungen während eines
Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen,
sondern nur erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen.
Diese Einschränkungen gelten aber nicht für
Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die durch
Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu
machen sind und die der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3
i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen hat (BFH-Urteil
vom 29.8.2007 IX R 4/07, BFHE 218, 435, BFH/NV 2007, 2429 = SIS 07 36 27). Zu den Masseverbindlichkeiten gehören gemäß
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die
„durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer
Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der
Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des
Insolvenzverfahrens zu gehören“. Gleiches gilt nach
§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO für Verbindlichkeiten aus
gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur
Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss.
Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine
Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt,
bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den
Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig
verwirklicht und damit abgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteile vom
13.11.1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226 = SIS 87 08 26; vom 9.4.1987 V R 23/80, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527 = SIS 87 12 30, und vom 21.12.1988 V R 29/86, BFHE 155, 475, BStBl II
1989, 434 = SIS 89 07 52). Unerheblich ist demgegenüber der
Zeitpunkt der Steuerentstehung (vgl. BFH-Urteile in BFHE 148, 346,
BStBl II 1987, 226 = SIS 87 08 26, und in BFHE 155, 475, BStBl II
1989, 434 = SIS 89 07 52; vgl. auch BFH-Urteil vom 29.3.1984 IV R
271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602 = SIS 84 15 30;
BFH-Beschlüsse vom 30.4.2007 VII B 252/06, BFHE 217, 212,
BFH/NV 2007, 1395 = SIS 07 19 55; vom 1.4.2008 X B 201/07, BFH/NV
2008, 925 = SIS 08 20 90, jeweils m.w.N.). Welche Anforderungen im
Einzelnen an die somit erforderliche vollständige
Tatbestandverwirklichung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung
zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des
Steuerrechts, nicht aber nach dem Insolvenzrecht (vgl. BFH-Urteil
in BFHE 218, 435, BFH/NV 2007, 2429 = SIS 07 36 27). Kommt es
umsatzsteuerrechtlich zur vollständigen
Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung,
handelt es sich um eine Insolvenzforderung; erfolgt die
vollständige Tatbestandsverwirklichung dagegen erst nach
Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des
§ 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor.
2. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG
entsteht bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten
(§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) - wie im Streitfall - die Steuer mit
Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen
ausgeführt worden sind. Das gilt auch für Teilleistungen.
Sie liegen vor, wenn für bestimmte Teile einer wirtschaftlich
teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird. Wird das
Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung
oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, so entsteht
insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem
das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
a) § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG in
seiner in den Streitjahren 2001 und 2002 anzuwendenden Fassung
entspricht weitgehend der durch das UStG 1980 in Kraft getretenen
Fassung dieser Vorschrift. Änderungen gegenüber dem UStG
1980 ergaben sich aber daraus, dass mit Wirkung ab 1.1.1994 die bis
dahin in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 5 UStG 1993
vorgesehene Grenze von 10.000 DM für die Steuerentstehung
aufgrund der Entgeltvereinnahmung entfiel, so dass seitdem auch im
Rahmen der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten alle Zahlungen
vor Leistungserbringung (Anzahlungen) zur Steuerentstehung
führen. Bei § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG handelt es
sich daher nicht um eine ausschließliche Sollbesteuerung,
sondern zumindest seit 1994 um eine kombinierte Soll- und
Istbesteuerung, bei der die Steuer aufgrund der
Leistungsausführung (gleichgestellt:
Teilleistungsausführung) oder der Entgeltvereinnahmung
(gleichgestellt: Teilentgeltvereinnahmung und dort Anzahlungen)
entsteht.
Demgegenüber bestand nach dem UStG 1967
eine strikte Trennung zwischen Soll- und Istprinzip. Zwar konnte
die Steuer auch nach dem UStG 1967 entweder nach vereinbarten oder
nach vereinnahmten Entgelten entstehen. Versteuerte der Unternehmer
seine Umsätze aber nach vereinbarten Entgelten, führte
die Entgeltvereinnahmung nicht zu einer Steuerentstehung (vgl.
Nieskens, in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13 Rz
151).
b) Obwohl im Rahmen der kombinierten Soll- und
Istbesteuerung § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG für
Zwecke der Steuerentstehung jeweils eigenständig an
Leistungsausführung und Entgeltvereinnahmung anknüpft,
sind beide Tatbestände eng miteinander verknüpft. Wird
etwa - wie im Streitfall - die Leistung nach der Vereinnahmung von
Anzahlungen ausgeführt, hat der Unternehmer die Leistung
für den Voranmeldungszeitraum der Leistungsausführung nur
insoweit zu versteuern, als die Steuer nicht schon aufgrund der
zuvor vereinnahmten Anzahlungen entstanden ist. Auch steht die
Besteuerung aufgrund der Leistungserbringung einerseits unter dem
Vorbehalt, dass das Entgelt tatsächlich vereinnahmt und nicht
uneinbringlich wird (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 UStG),
während andererseits die Steuererhebung aufgrund der
Entgeltvereinnahmung unter der Bedingung erfolgt, dass die Leistung
ausgeführt wird (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2
UStG).
3. Der Senat kann im Streitfall offenlassen,
ob es für die vollständige Tatbestandsverwirklichung im
Rahmen der kombinierten Soll- und Istbesteuerung nach vereinbarten
Entgelten (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG) vorrangig auf die
Leistungsausführung oder die Entgeltvereinnahmung ankommt
(für vollständige Tatbestandsverwirklichung durch
Entgeltvereinnahmung bei § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG:
Urteil vom 29.1.2009 V R 64/07, BFH/NV 2009, 1045 = SIS 09 13 24).
Werden die Leistungen - wie im Streitfall - erst nach
Verfahrenseröffnung erbracht, liegen Masseverbindlichkeiten
jedenfalls insoweit vor, als die Entgelte hierfür nicht
bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht wurden. Das FG hat zu
Recht entschieden, dass der Kläger die Leistungen in vollem
Umfang erst nach Verfahrenseröffnung erbracht hat.
a) Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen
eines Unternehmers Leistungen, durch die er den Abnehmer
befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu
verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Für
Werklieferungen i.S. des § 3 Abs. 4 UStG gilt nichts anderes.
Dies entspricht der gemeinschaftsrechtlichen Definition des
Tatbestandes der Lieferung: Nach Art. 5 Abs. 1 der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) gilt als Lieferung eines
Gegenstandes die Übertragung der Befähigung, wie ein
Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu
verfügen. Da der Begriff der Lieferung autonom
gemeinschaftsrechtlich und daher nicht nach Maßgabe des
zivilrechtlichen Eigentumsübergangs oder nach Maßgabe
der sachenrechtlichen Vorschriften des BGB auszulegen ist (vgl.
z.B. BFH-Urteil vom 16.4.2008 XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II
2008, 909 = SIS 08 25 75), ist für den Zeitpunkt der Lieferung
eines Bauwerks unerheblich, ob und in welchem Umfang der
Werkbesteller bereits vor Fertigstellung des Bauwerks
zivilrechtlich aufgrund einer Verbindung der Baumaterialien mit dem
Grundstück nach §§ 946 ff. BGB Eigentum am Werk im
jeweiligen Bauzustand erlangt hat.
Nach den für den Senat bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) sind die Bauwerke
erst nach Verfahrenseröffnung fertig gestellt worden, so dass
auch von erst nach Verfahrenseröffnung ausgeführten
Werklieferungen auszugehen ist. Im Übrigen sind die nach
Verfahrenseröffnung erfolgten Abnahmen (§ 640 BGB) Indiz
für den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht
(vgl. BFH-Urteil vom 9.11.2006 V R 9/04, BFHE 215, 372, BStBl II
2007, 285 = SIS 07 07 86, unter II. 2. b).
b) Im Streitfall liegen keine zum Zeitpunkt
der Verfahrenseröffnung erbrachten Teilleistungen vor.
Teilleistungen setzen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3
UStG voraus, dass das Entgelt für bestimmte Teile einer
wirtschaftlich teilbaren Leistung gesondert vereinbart wird (vgl.
auch BFH-Beschluss vom 9.3.2006 V B 77/05, BFH/NV 2006, 1530 = SIS 06 31 03).
An derart gesonderten Entgeltvereinbarungen
hinsichtlich der streitigen Lieferungen fehlt es nach den
Feststellungen des FG im Streitfall. Sie ergeben sich auch nicht
aus § 103 InsO. Diese Vorschrift berechtigt den
Insolvenzverwalter nur, den Vertrag insgesamt zu erfüllen oder
dessen (weitere) Erfüllung abzulehnen. Hieraus folgt weder das
Recht, eine Leistung in Teilen zu erbringen noch eine gesonderte
Entgeltvereinbarung für einzelne Teile der geschuldeten
Leistung. Keine dieser beiden in § 103 InsO genannten
Möglichkeiten ermöglicht es dem Insolvenzverwalter, eine
Leistung in Teilen zu erbringen, wie es etwa auf die monatliche
Zahlungs- und Leistungsabschnitte bei einer Vermietung (BFH-Urteil
vom 9.9.1993 V R 42/91, BFHE 173, 231, BStBl II 1994, 269 = SIS 94 10 32) oder auf einzelne Fahrstunden im Rahmen eines
Fahrunterrichts (BFH-Urteil vom 21.4.1994 V R 59/92, BFH/NV 1995,
367) zutrifft. Das Wahlrecht nach § 103 InsO führt nur
dazu, dass entweder die weitere Erfüllung unterbleibt und sich
der Leistungsaustausch auf das nicht fertig gestellte Werk
beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 2.2.1978 V R 128/76, BFHE 125,
314, BStBl II 1978, 483 = SIS 78 02 72) oder aber die Leistung wie
ursprünglich vorgesehen erbracht wird.
Im Übrigen beschränkt sich die
Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf, dass die
noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre
Durchsetzbarkeit verlieren, ohne dass dabei aber
Erfüllungsansprüche im Sinne einer materiell-rechtlichen
Umgestaltung erlöschen (BGH-Urteil in BGHZ 150, 353, NJW 2002,
2783). Aus dem Verlust der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen
ergibt sich nicht die umsatzsteuerrechtlich erforderliche
Vereinbarung von Teilleistungen. Allein die Tatsache, dass der
spätere Insolvenzschuldner bis zur Verfahrenseröffnung
nur teilweise geleistet hat, rechtfertigt nicht die Annahme einer
für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung als Teilleistung
i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG notwendige
Entgeltvereinbarung für bestimmte Teile einer wirtschaftlich
teilbaren Leistung. Unerheblich ist schließlich entgegen
einer zum Teil vertretenen Auffassung (Onusseit, in Festschrift
für Hans-Peter Kirchhof, S. 373 ff., 386), ob die
Werklieferung zivilrechtlich aufgrund der Erfüllungswahl unter
Berücksichtigung des BGH-Urteils in BGHZ 150, 353, NJW 2002,
2783 rechtlich „auf unterschiedlichen
Grundlagen“ beruht, wenn es sich darüber hinaus
nicht auch umsatzsteuerrechtlich um Teilleistungen handelt.
c) Auch auf das Senatsurteil in BFHE 125, 314,
BStBl II 1978, 483 = SIS 78 02 72 lässt sich die Auffassung
des Klägers, die Umsatzsteuer für ein nach
Verfahrenseröffnung fertig gestelltes Bauwerk sei unter
Berücksichtigung des Baustandes bei Insolvenzeröffnung in
eine Insolvenzforderung und eine Masseverbindlichkeit aufzuteilen,
nicht stützen. Dieses Urteil betrifft den Fall, dass über
das Vermögen eines Werkunternehmers, der seine Umsätze
nach vereinbarten Entgelten zu versteuern hat, nach Beginn der
Bauarbeiten aber vor der Lieferung des zu errichtenden Bauwerks das
Konkursverfahren eröffnet wird und sein Konkursverwalter die
weitere Vertragserfüllung ablehnt. Für diesen Fall hat
der Senat entschieden, dass neu bestimmter Gegenstand der
Werklieferung das nicht fertig gestellte Bauwerk sei. Dieses werde
im Zeitpunkt der Konkurseröffnung geliefert mit der Folge,
dass es sich bei der für diese Lieferung entstehenden
Umsatzsteuer um eine Konkursforderung handele.
Anders als im Urteil in BFHE 125, 314, BStBl
II 1978, 483 = SIS 78 02 72 hat der Kläger als
Insolvenzverwalter des Werkunternehmers im Streitfall
Vertragserfüllung gewählt. Für den Fall der
Erfüllungswahl hat der BFH in diesem Urteil die
Möglichkeit einer Aufteilung verneint.
4. Zu Recht hat das FG ferner entschieden,
dass keine Masseverbindlichkeit vorliegt, soweit der spätere
Insolvenzschuldner Entgelte bereits vor Verfahrenseröffnung
vereinnahmt hatte.
a) § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG
enthält einen selbständigen und abschließenden
Steuerentstehungstatbestand (ausführlich BFH-Urteil vom
21.6.2001 V R 68/00, BFHE 195, 446, BStBl II 2002, 255 = SIS 01 14 15). Die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom
späteren Insolvenzschuldner gemäß § 13 Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG zu versteuernden Anzahlungen sind
deshalb von der Bemessungsgrundlage für die nach
Insolvenzeröffnung durch aufgrund der Fertigstellung der
Bauwerke geschuldeten Umsatzsteuer abzuziehen.
Käme es für die vollständige
Tatbestandsverwirklichung nur auf die Leistungsausführung an,
hätte der Insolvenzverwalter das für die nach
Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen geschuldete Entgelt
auch insoweit als Masseverbindlichkeit zu versteuern, als
Anzahlungen für diese Leistungen bereits vor
Verfahrenseröffnung vom späteren Insolvenzschuldner
vereinnahmt wurden, die Umsatzsteuer hierfür aber nicht vor
Verfahrenseröffnung abgeführt worden ist. Dies würde
zu einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des
Steuergläubigers gegenüber anderen Gläubigern
führen.
b) Der Kläger handelte bei
Leistungsausführung auch im Rahmen der Verwaltung und
Verwertung der Masse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (vgl. hierzu
BFH-Urteil vom 29.1.2009 V R 64/07, unter II. 3.).
c) Schließlich kommt es für die
Beurteilung im Streitfall nicht auf die vom Kläger für
seine Auffassung angeführte Rechtsprechung des VII. Senats des
BFH wie das zu § 55 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) ergangene
BFH-Urteil in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29 an.
Denn diese Rechtsprechung bezieht sich, wie der VII. Senat im
Urteil vom 16.1.2007 VII R 4/06 (BFHE 216, 385, BStBl II 2007, 747
= SIS 07 61 28) ausdrücklich betont, auf das
insolvenzrechtliche Aufrechnungshindernis des § 96 Abs. 1 Nr.
1 InsO (zuvor § 55 Nr. 1 KO) und die Frage, welcher Zeitpunkt
maßgebend dafür ist, ob ein aufrechnender
Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.
Demgegenüber geht es im Streitfall um die Frage, inwieweit der
Besteuerungstatbestand nach Insolvenzeröffnung verwirklicht
ist, wenn der Insolvenzverwalter nach § 103 InsO die
vollständige Erfüllung eines bei Insolvenzeröffnung
nicht oder nur teilweise erfüllten Werkvertrages
wählt.