I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union
werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Übt unter Umständen wie denen des
Ausgangsverfahrens eine Gemeinde, die aufgrund einer kommunalen
Satzung von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten
(Kurgäste), für die Bereitstellung von Kureinrichtungen
(zum Beispiel Kurpark, Kurhaus, Wege) eine
„Kurtaxe“ (in Höhe eines
bestimmten Betrages pro Aufenthaltstag) erhebt, mit der
Bereitstellung der Kureinrichtungen an die Kurgäste gegen
Kurtaxe auch dann eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem aus, wenn
die Kureinrichtungen ohnehin für jedermann (und daher zum
Beispiel auch für nicht kurtaxepflichtige Einwohner oder
andere nicht kurtaxepflichtige Personen) frei zugänglich
sind?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Ist unter
den oben genannten Umständen des Ausgangsverfahrens bei der
Prüfung, ob die Behandlung der Gemeinde als
Nicht-Steuerpflichtige zu „größeren
Wettbewerbsverzerrungen“ im Sinne des Art.
13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
führen würde, der räumlich relevante Markt nur das
Gemeindegebiet?
II. Das Revisionsverfahren wird bis zur
Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
ausgesetzt.
1
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I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine juristische Person des
öffentlichen Rechts, in den Jahren 2009 bis 2012 (Streitjahre)
als Unternehmerin eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt
hat und ihr deshalb der Vorsteuerabzug zusteht.
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2
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Die Klägerin, eine Gemeinde, ist ein
staatlich anerkannter heilklimatischer Luftkurort. Die
Kurverwaltung der Klägerin wird seit 01.01.1997 (zuletzt unter
der Bezeichnung „B“) kommunalrechtlich
als sogenannter Eigenbetrieb geführt und ist
körperschaftsteuerrechtlich ein Betrieb gewerblicher Art
(nachfolgend: Kurbetrieb).
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3
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Die Klägerin erhebt gemäß
§ 4 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg
(Gemeindeordnung - GemO - ) in der Fassung vom 24.07.2000
(Gesetzblatt für Baden-Württemberg - GBl BW - 2000, 581)
in Verbindung mit (i.V.m.) §§ 2, 8 Abs. 2 und 43 des
Kommunalabgabengesetzes für Baden-Württemberg (KAG) vom
17.03.2005 (GBl BW 2005, 206) i.V.m. der Satzung der Klägerin
über die Erhebung einer Kurtaxe vom XX.XX.2006 (Ortsrecht der
Gemeinde A, Aktenzeichen ...) eine Kurtaxe:
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“§ .. Erhebung
einer Kurtaxe
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Die Gemeinde erhebt zur Deckung ihres
Aufwands für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und
Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen und für die zu
diesem Zweck durchgeführten Veranstaltungen eine
Kurtaxe.
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§ .. Kurtaxepflichtige
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(1) Kurtaxepflichtige sind alle Personen,
die sich in der Gemeinde aufhalten, aber nicht Einwohner der
Gemeinde sind (ortsfremde Personen) und denen die Möglichkeit
zur Benutzung der Einrichtungen und zur Teilnahme an den
Veranstaltungen i.S. [im Sinne] von § .. geboten ist.
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(2) Kurtaxepflichtig sind darüber
hinaus auch die Einwohner der Gemeinde, die den Schwerpunkt der
Lebensbeziehungen in einer anderen Gemeinde haben (pauschale
Jahreskurtaxe) sowie ortsfremde Personen, die sich aus beruflichen
Gründen zur Teilnahme an Tagungen oder sonstigen
Veranstaltungen in der Kurgemeinde aufhalten.
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(3) Die Kurtaxe wird nicht von ortsfremden
Personen und von Einwohnern erhoben, die in der Gemeinde arbeiten
oder in Ausbildung stehen. ...
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§ .. Maßstab und Satz der
Kurtaxe
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(1) Die Kurtaxe beträgt je Person und
Aufenthaltstag ...
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...
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(3) Der Tag der Ankunft und der Tag der
Abreise werden zusammen als ein Aufenthaltstag gerechnet.
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(4) Kurtaxepflichtige Einwohner der
Gemeinde haben - unabhängig von der Dauer und Häufigkeit
sowie der Jahreszeit des Aufenthaltes - eine pauschale
Jahreskurtaxe zu entrichten. Diese beträgt je Person
...
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§ .. Meldepflicht
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(1) Wer Personen gegen Entgelt beherbergt,
einen Campingplatz betreibt oder seine Wohnung als Ferienwohnung
ortsfremden Personen gegen Entgelt zur Verfügung stellt, ist
verpflichtet, bei ihm verweilende Personen innerhalb von 3 Tagen
nach Ankunft bzw. [beziehungsweise] Abreise an- bzw. abzumelden.
...
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(2) Daneben sind Reiseunternehmen
meldepflichtig, wenn in dem von dem Reiseteilnehmer an den
Unternehmer zu entrichtenden Entgelt auch die Kurtaxe enthalten
ist. ...
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§ .. Einzug und Abführung der
Kurtaxe
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(1) Die nach § .. Abs. .. und ..
Meldepflichtigen haben, soweit nicht nach § .. Abs. .. ein
Kurtaxebescheid ergeht, die Kurtaxe von den kurtaxepflichtigen
Personen einzuziehen und an die Gemeinde abzuführen. Sie
haften der Gemeinde gegenüber für den vollständigen
und richtigen Einzug der Kurtaxe. ...“
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4
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Mit diesen Einnahmen finanzierte die
Klägerin in den Streitjahren die Herstellung, den Unterhalt
und die Sanierung von Kureinrichtungen (zum Beispiel - z.B. -
Kurpark, Kurhaus, Wege). Diese Einrichtungen sind für
jedermann frei zugänglich; eine Kurkarte wird zum Eintritt
nicht benötigt.
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5
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Im Rahmen der Umsatzsteuererklärungen
für die Streitjahre sah die Klägerin die Kurtaxe als
Entgelt für eine umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit
(Kurbetrieb) an und begehrte den Vorsteuerabzug aus allen
Eingangsleistungen, die mit dem Fremdenverkehr
zusammenhingen.
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6
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) führte eine Außenprüfung durch.
Der Prüfer ging ebenfalls davon aus, dass die Klägerin
als Unternehmerin eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt
habe, nahm aber umfangreiche Kürzungen bei der geltend
gemachten Vorsteuer vor. Vorsteuerbeträge, die nicht mit dem
Kurbetrieb im Zusammenhang standen, wurden nicht anerkannt. Des
Weiteren wurden Vorsteuerbeträge, die das Kurhaus betrafen,
nur insoweit berücksichtigt, als das Kurhaus entgeltlich
verpachtet wurde. Vorsteuerbeträge aus Eingangsleistungen
für Wege, Loipen und andere Einrichtungen außerhalb des
Kurparks wurden vom Prüfer nicht zum Vorsteuerabzug
zugelassen.
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7
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Das FA folgte diesen Feststellungen und
erließ am 20.03.2015 entsprechende
Umsatzsteuer-Änderungsbescheide. Nach erfolglosem
Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 03.02.2016) wies
das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg die Klage mit seinem
in Zeitschrift für Kommunalfinanzen 2019, 36
veröffentlichten Urteil vom 18.10.2018 - 1 K 1458/18 ab. Es
vertrat die Ansicht, dass die Klägerin - abgesehen von der
(teilweisen) privatrechtlichen, entgeltlichen Überlassung des
Kurhauses für Veranstaltungs- und Restaurationszwecke - durch
ihre Betätigung zur Erhebung einer Kurtaxe nicht
unternehmerisch gehandelt habe. Sie habe gegenüber den
Kurgästen insoweit keine Leistungen als Unternehmerin
erbracht; denn eine Behandlung der Klägerin als
Nichtsteuerpflichtige führe nicht zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen. Die Leistungen in ihrer Gesamtheit
könnten nicht von privaten Anbietern erbracht werden, da
solche nicht in der Lage seien, das gleiche Bedürfnis der
Kurgäste zu befriedigen. Da der „Betrieb der
Kureinrichtungen“ gegen eine Kurtaxe keine
unternehmerische Tätigkeit darstelle, seien die erklärten
Umsätze aus der Erhebung der Kurtaxe im Übrigen nicht
umsatzsteuerbar und folglich die vom FA bereits gewährten
Vorsteuerbeträge abzuerkennen. Allerdings sei eine
Verböserung der Steuerfestsetzung zu Lasten der Klägerin
verboten.
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8
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Hilfsweise führte das FG aus, selbst
wenn die Klägerin durch den „Betrieb der
Kureinrichtungen“ gegen eine Kurtaxe
unternehmerisch tätig gewesen sein sollte, würde der
begehrte (weitere) Vorsteuerabzug jedenfalls am fehlenden
Zusammenhang zwischen den Kosten für die Errichtung, die
Unterhaltung und den Betrieb der Anlagen und ihrer (unterstellten)
wirtschaftlichen Tätigkeit
(„Kurbetrieb“) scheitern.
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9
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Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie
begehrt über ihren ursprünglichen Klageantrag hinaus die
Berücksichtigung weiterer Vorsteuerbeträge.
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10
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Der Senat hat am 21.04.2021
gemäß § 90a Abs. 1 i.V.m. § 121 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Gerichtsbescheid erlassen; da die
Klägerin rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt hat,
gilt dieser Gerichtsbescheid nach nationalem Verfahrensrecht als
nicht ergangen (§ 90a Abs. 3 FGO).
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11
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II. Der Senat setzt das Verfahren aus und legt
dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die im Tenor
genannten Fragen gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags
über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur
Vorabentscheidung vor.
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12
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1. Die maßgeblichen Vorschriften und
Bestimmungen
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13
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a) Nationales Recht
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§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG)
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(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden
Umsätze:
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1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen,
die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines
Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht,
wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher
Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift
als ausgeführt gilt;
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15
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§ 2 Abs. 1 und 3 UStG in der in den
Streitjahren geltenden Fassung
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(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder
berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das
Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche
Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede
nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn
die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine
Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig
wird.
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(3) Die juristischen Personen des
öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe
gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des
Körperschaftsteuergesetzes) und ihrer land- oder
forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich
tätig. ...
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16
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§ 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG
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(2) Die Steuer ermäßigt sich auf
sieben Prozent für die folgenden Umsätze:
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...
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9. die unmittelbar mit dem Betrieb der
Schwimmbäder verbundenen Umsätze sowie die Verabreichung
von Heilbädern. Das Gleiche gilt für die Bereitstellung
von Kureinrichtungen, soweit als Entgelt eine Kurtaxe zu entrichten
ist; …
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17
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§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1
UStG
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(1) Der Unternehmer kann die folgenden
Vorsteuerbeträge abziehen:
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1. die gesetzlich geschuldete Steuer für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen
Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
...
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18
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§ 13 Abs. 1 Satz 1 des
Straßengesetzes für Baden-Württemberg
(Straßengesetz - StrG - ) in der Fassung vom 11.05.1992 (GBl
BW 1992, 329)
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(1) Der Gebrauch der öffentlichen
Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der
Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der
verkehrsüblichen Grenzen gestattet (Gemeingebrauch).
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19
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§ 4 Abs. 1 GemO
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(1) Die Gemeinden können die
weisungsfreien Angelegenheiten durch Satzung regeln, soweit die
Gesetze keine Vorschriften enthalten. Bei Weisungsaufgaben
können Satzungen nur erlassen werden, wenn dies im Gesetz
vorgesehen ist.
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20
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§ 10 Abs. 2 und 3 GemO
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(2) Die Gemeinde schafft in den Grenzen ihrer
Leistungsfähigkeit die für das wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Wohl ihrer Einwohner erforderlichen
öffentlichen Einrichtungen. Die Einwohner sind im Rahmen des
geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen
der Gemeinde nach gleichen Grundsätzen zu benutzen. Sie sind
verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen.
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(3) Personen, die in der Gemeinde ein
Grundstück besitzen oder ein Gewerbe betreiben und nicht in
der Gemeinde wohnen, sind in derselben Weise berechtigt, die
öffentlichen Einrichtungen zu benutzen, die in der Gemeinde
für Grundbesitzer oder Gewerbetreibende bestehen, und
verpflichtet, für ihren Grundbesitz oder Gewerbebetrieb zu den
Gemeindelasten beizutragen.
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§ 2 Abs. 1 KAG
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(1) Die Kommunalabgaben werden auf Grund einer
Satzung erhoben. Die Satzung soll insbesondere den Kreis der
Abgabenschuldner, den Gegenstand, den Maßstab und den Satz
der Abgabe sowie die Entstehung und die Fälligkeit der
Abgabenschuld bestimmen.
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22
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b) Unionsrecht
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23
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Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG
des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)
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(1) Als
„Steuerpflichtiger“ gilt, wer
eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort,
Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Als
„wirtschaftliche Tätigkeit“
gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder
Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der
Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen
gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt
insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht
körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von
Einnahmen.
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...
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24
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Art. 168 Buchst. a MwStSystRL
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Soweit die Gegenstände und
Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten
Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt,
in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom
Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge
abzuziehen:
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a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete
oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und
Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen
geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
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...
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25
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2. Zur ersten Vorlagefrage
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a) Der Senat hält es nicht für
ausgeschlossen, dass es im Streitfall - abweichend von der
übereinstimmenden Auffassung der beiden Beteiligten - bereits
an einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. des Art. 2 Abs. 1
Buchst. c MwStSystRL fehlt.
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26
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aa) Das Recht auf Vorsteuerabzug setzt voraus,
dass die streitigen Eingangsleistungen im Zusammenhang mit einer
entgeltlichen Leistung stehen. Bei richtlinienkonformer Auslegung
setzt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG voraus, dass der
Unternehmer Leistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1
UStG, Art. 9 MwStSystRL) und damit für seine wirtschaftlichen
Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (§ 1
Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL) zu
verwenden beabsichtigt (ständige Rechtsprechung, vergleiche
(vgl.) z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 09.02.2012 - V
R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II 2012, 844 = SIS 12 06 37, Rz 19
ff.; vom 15.04.2015 - V R 44/14, BFHE 250, 263, BStBl II 2015, 679
= SIS 15 11 13, Rz 10; vom 21.10.2015 - XI R 28/14, BFHE 252, 460,
BStBl II 2016, 550 = SIS 16 05 52, Rz 28; vom 02.12.2015 - V R
15/15, BFHE 252, 472, BStBl II 2016, 486 = SIS 16 05 55, Rz 14; vom
18.09.2019 - XI R 19/17, BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172 = SIS 19 20 49, Rz 15).
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27
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bb) Ob die Voraussetzungen für einen
Leistungsaustausch vorliegen, ist dabei nicht nach
zivilrechtlichen, sondern ausschließlich nach den vom
Unionsrecht geprägten umsatzsteuerrechtlichen
Maßstäben zu beurteilen (vgl. BFH-Urteile vom 17.12.2009
- V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869 = SIS 10 27 73, Rz 17; vom 16.01.2014
- V R 22/13, BFH/NV 2014, 736 = SIS 14 11 15, Rz 22; Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 18.05.2011 - VIII ZR 260/10, UR 2011, 813 =
SIS 11 20 65, Rz 11; jeweils mit weiteren Nachweisen - m.w.N. - ;
BFH-Urteil vom 22.05.2019 - XI R 20/17, BFH/NV 2019, 1256 = SIS 19 13 81, Rz 18). Es stellt eine unionsrechtliche - unabhängig
von der Beurteilung nach nationalem Recht zu entscheidende - Frage
dar, ob die Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für die
Erbringung von Dienstleistungen erfolgt (vgl. EuGH-Urteil Meo -
Serviços de Comunicações e Multimédia
vom 22.11.2018 - C-295/17, EU:C:2018:942 = SIS 18 18 95, Rz 68;
BFH-Urteile vom 21.12.2016 - XI R 27/14, BFHE 257, 154, BStBl II
2021, 779 = SIS 17 06 23, Rz 29; jeweils m.w.N.; vom 13.02.2019 -
XI R 1/17, BFHE 263, 560, BStBl II 2021, 785 = SIS 19 05 51, Rz 18;
in BFH/NV 2019, 1256 = SIS 19 13 81, Rz 18).
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28
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cc) Für eine entgeltliche Leistung muss
zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein
Rechtsverhältnis bestehen, in dessen Rahmen gegenseitige
Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene
Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem
Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet
(vgl. z.B. EuGH-Urteile Société thermale
d’Eugénie-les-Bains vom 18.07.2007 -
C-277/05, EU:C:2007:440 = SIS 07 28 58, Rz 19; Air France-KLM und
Hop!-Brit Air vom 23.12.2015 - C-250/14 und C-289/14, EU:C:2015:841
= SIS 16 02 97, Rz 22; Cesky rozhlas vom 22.06.2016 - C-11/15,
EU:C:2016:470 = SIS 16 14 60, Rz 21; SAWP vom 18.01.2017 - C-37/16,
EU:C:2017:22 = SIS 17 00 20, Rz 25; Meo - Serviços de
Comunicações e Multimédia, EU:C:2018:942 = SIS 18 18 95, Rz 39; BFH-Urteile in BFHE 257, 154, BStBl II 2021, 779 =
SIS 17 06 23, Rz 16; in BFHE 263, 560, BStBl II 2021, 785 = SIS 19 05 51, Rz 16; in
BFH/NV 2019, 1256 = SIS 19 13 81, Rz 15). Der Leistungsempfänger muss identifizierbar
sein. Er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im
Sinne (i.S.) des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 07.07.2005 - V R 34/03, BFHE 211, 59,
BStBl II 2007, 66 = SIS 05 42 06, unter II.1., Rz 14, m.w.N. zur
Rechtsprechung des EuGH; in BFH/NV 2014, 736 = SIS 14 11 15, Rz 20;
in BFH/NV 2019, 1256 = SIS 19 13 81, Rz 16).
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29
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dd) Entscheidend für das Vorliegen eines
verbrauchsfähigen Vorteils ist nach der Rechtsprechung des
BFH, dass der individuelle Leistungsempfänger aus der Leistung
einen konkreten Vorteil zieht (vgl. BFH-Urteile vom 18.12.2008 - V
R 38/06, BFHE 225, 155, BStBl II 2009, 749 = SIS 09 19 44, unter
II.3.b, Rz 38; vom 28.05.2013 - XI R 32/11, BFHE 243, 419, BStBl II
2014, 411 = SIS 14 04 58, Rz 49). Erfolgt die Finanzierung einer
Leistung durch (Pflicht-)Beiträge, liegt keine Leistung gegen
Entgelt vor, wenn sich die Vorteile, die sich aus einer
Dienstleistung ergeben, (nur) mittelbar aus den Vorteilen ableiten,
die allgemein dem gesamten Wirtschaftszweig oder Ähnlichem
erwachsen (vgl. EuGH-Urteil Apple and Pear Development Council vom
08.03.1988 - C-102/86, EU:C:1988:120; BFH-Urteil vom 23.09.2020 -
XI R 35/18, BFHE 271, 243 = SIS 21 03 43, Rz 53 ff., m.w.N.).
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30
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ee) Auf dieser Grundlage kann das Vorliegen
einer Leistung gegen Entgelt zu verneinen sein. Denn die
Kureinrichtungen der Klägerin stehen der Allgemeinheit
kostenlos zur Verfügung, und eine Kurkarte wird nicht zum
Eintritt benötigt. Die Kureinrichtungen können daher auch
von nicht kurtaxepflichtigen Personen (z.B. den Einwohnern der
Gemeinde oder Tagesgästen, die in Nachbargemeinden
übernachten) kostenfrei genutzt werden. Der
Leistungsempfänger ist bei dieser Sichtweise nicht
identifizierbar; denn die kurtaxepflichtige Person hat nach den
tatsächlichen Feststellungen des FG gegenüber der
Allgemeinheit keinen verbrauchsfähigen konkreten Vorteil
erhalten, der über den Vorteil der Allgemeinheit, die die
Kureinrichtungen der Klägerin ebenfalls nutzen darf, hinaus
geht. Dass aufgrund der Zahlung der Kurtaxe ein Recht auf
irgendwelche Leistungen bestünde, die der Allgemeinheit nicht
offenstehen, hat das FG nicht festgestellt. In diesem Zusammenhang
hatte der BFH auch bereits entschieden, dass mit der Widmung zum
Allgemeingebrauch die Kureinrichtung (dort: ein Spazier- und
Wanderweg) nicht mehr zu den Einrichtungen gehören kann,
für deren Benutzung Kurbeiträge als Benutzungsentgelt
erhoben werden können (vgl. BFH-Urteil vom 26.04.1990 - V R
166/84, BFHE 161, 182, BStBl II 1990, 799 = SIS 90 17 31; ebenso
auch FG München, Urteil vom 24.07.2013 - 3 K 3274/10, DStRE
2014, 1065, 1067 = SIS 13 29 74).
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31
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b) Diese Sichtweise ist jedoch unionsrechtlich
nicht zweifelsfrei i.S. des Art. 267 Abs. 3 AEUV.
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32
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Die Klägerin weist zutreffend darauf hin,
dass bei isolierter Betrachtung des Rechtsverhältnisses
zwischen ihr und den Kurgästen die Kurgäste aufgrund der
Satzung für die Bereitstellung von Kureinrichtungen (z.B.
Kurpark, Kurhaus, Wege) die Kurtaxe in Höhe eines bestimmten
Betrages pro Aufenthaltstag zahlen, so dass sich bei isolierter
Betrachtung dieses Rechtsverhältnisses die Zahlungen als
Gegenleistung für die Möglichkeit zur Nutzung der
Kureinrichtungen darstellen. Ob sich daran etwas ändert, wenn
daneben auch nicht
kurtaxepflichtige Einwohner oder andere nicht kurtaxepflichtige
Personen freien Zugang zu den Kureinrichtungen haben, hält
der Senat ungeachtet der unter II.2.a zitierten Rechtsprechung
nicht für unionsrechtlich zweifelsfrei. So hat der EuGH in der
Rechtssache Gemeente Borsele (vgl. EuGH-Urteil Gemeente Borsele und
Staatssecretaris van Financien vom 12.05.2016 - C-520/14,
EU:C:2016:334 = SIS 16 09 60, Rz 27) einen Leistungsaustausch im
Bereich der Schülerbeförderung geprüft, obwohl nur
ein Drittel der Eltern einen Beitrag zu den Transportkosten gezahlt
haben. Es ist daher für den Senat zweifelhaft, ob der - bei
isolierter Betrachtung der Kurtaxesatzung - Leistungsaustausch
zwischen der Klägerin und dem jeweiligen Kurgast nach einer
Gesamtbetrachtung zu verneinen ist, weil jedermann, das heißt
auch die nicht kurtaxepflichtigen Personen, die Einrichtungen in
gleicher Weise uneingeschränkt unentgeltlich nutzen
können und die Kurgäste daher gegenüber der
Allgemeinheit keinen verbrauchsfähigen Vorteil erhalten.
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33
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Daraus ergibt sich die erste Vorlagefrage.
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34
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c) Der Senat weist im Zusammenhang mit der
Frage 1 darauf hin, dass das FG, das mit den Beteiligten eine
wirtschaftliche Tätigkeit bejaht hat, aus seiner Sicht
konsequenterweise nicht festgestellt hat, zu welchem Prozentsatz
die von der Klägerin erhobene Kurtaxe die Kosten der
Bereitstellung der Kureinrichtungen deckt. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass eine dauerdefizitäre Tätigkeit
vorliegt, da die Kurtaxe die Betriebskosten der Kureinrichtungen
nicht deckt (vgl. zur Bedeutung der fehlenden Deckung der
Betriebskosten als Kriterium für eine fehlende wirtschaftliche
Tätigkeit EuGH-Urteile Kommission/ Finnland vom 29.10.2009 -
C-246/08, EU:C:2009:671 = SIS 09 37 70, Rz 50; Gemeente Borsele und
Staatssecretaris van Financien, EU:C:2016:334 = SIS 16 09 60, Rz
33; Nagyszénás
Településszolgáltatási Nonprofit Kft vom
22.02.2018 - C-182/17, EU:C:2018:91 = SIS 18 02 37, Rz 38;
Administration de l’Enregistrement, des Domaines
und de la TVA, EQ vom 15.04.2021 - C-846/19, EU:C:2021:277 = SIS 21 05 98, Rz 49). Sollte die Antwort auf die Frage 1 - entgegen der
Auffassung des vorlegenden Senats - davon abhängen, ob die
Kurtaxe die Betriebskosten deckt, bittet der Senat im Rahmen der
Antwort um einen entsprechenden Hinweis.
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3. Zur zweiten Vorlagefrage
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Falls die Frage 1 bejaht wird, könnte die
Auffassung vertreten werden, dass die Klägerin als juristische
Person des öffentlichen Rechts bei der Bereitstellung der
Kureinrichtungen nicht als Unternehmerin gehandelt hat, weil ihre
Behandlung als Nichtsteuerpflichtige nicht zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen führt. Dies ist jedoch ebenfalls
unionsrechtlich nicht zweifelsfrei.
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a) Rechtsgrundlage ist § 2 Abs. 3 UStG
alte Fassung - a.F. - (§ 27 Abs. 22 und 22a UStG); in den
Streitjahren findet (der mit Art. 13 MwStSystRL weitgehend
übereinstimmende) § 2b Abs. 1 UStG noch keine Anwendung
(§ 27 Abs. 22 Satz 2 UStG).
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b) Jedoch war auch im Rahmen einer
unionsrechtskonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 UStG a.F. -
ungeachtet seines erheblich von Art. 13 MwStSystRL abweichenden
Wortlauts - eine juristische Person des öffentlichen Rechts
nur dann Unternehmerin, wenn sie eine wirtschaftliche und damit
eine nachhaltige Tätigkeit zur Erbringung entgeltlicher
Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeit) ausübte. Handelte
sie dabei auf privatrechtlicher Grundlage durch Vertrag, kam es auf
weitere Voraussetzungen nicht an. Erfolgte ihre Tätigkeit
dagegen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, war sie nur
Unternehmerin, wenn ihre Behandlung als Nichtunternehmerin zu
größeren Wettbewerbsverzerrungen geführt hätte
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15.04.2010 - V R 10/09, BFHE 229, 416,
BStBl II 2017, 863 = SIS 10 18 69, Rz 14 bis 48, m.w.N. zur
EuGH-Rechtsprechung; vom 03.03.2011 - V R 23/10, BFHE 233, 274,
BStBl II 2012, 74 = SIS 11 18 30, Rz 21; vom 01.12.2011 - V R 1/11,
BFHE 236, 235, BStBl II 2017, 834 = SIS 12 04 14, Rz 15; vom
14.03.2012 - XI R 8/10, BFH/NV 2012, 1667 = SIS 12 24 86, Rz 28;
vom 13.02.2014 - V R 5/13, BFHE 245, 92, BStBl II 2017, 846 = SIS 14 15 48, Rz 15; vom 03.08.2017 - V R
62/16, BFHE 259, 380, BStBl II 2021, 109 = SIS 17 21 50, Rz 23).
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c) Dabei ist unionsrechtlich zweifelsfrei,
dass die Klägerin i.S. des Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1
MwStSystRL eine Tätigkeit ausgeübt hat, die ihr im Rahmen
der öffentlichen Gewalt obliegt (vgl. dazu EuGH-Urteile
Saudacor vom 29.10.2015 - C-174/14, EU:C:2015:733 = SIS 15 25 72,
Rz 70 ff.; Gmina Wroclaw vom 25.02.2021 - C-604/19, EU:C:2021:132 =
SIS 21 02 94, Rz 76 ff.). Sie wurde mit der Bereitstellung der
Kureinrichtungen im Rahmen öffentlich-rechtlicher
Sonderregelungen (§ 13 Abs. 1 StrG; § 10 Abs. 2 und 3
GemO) tätig und hat dabei ihre hoheitliche Befugnis zur
Erhebung kommunaler Abgaben (§ 4 GemO i.V.m. §§ 2, 8
Abs. 2 und 43 KAG) ausgeübt.
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d) Dem Handeln der Klägerin als
Unternehmerin steht nicht entgegen, dass sie im Zusammenhang mit
ihrer Tätigkeit, wie unter c ausgeführt, Abgaben erhebt
(Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 letzter Halbsatz MwStSystRL). Die
Steuerbarkeit der Umsätze, falls der EuGH diese in seiner
Antwort auf die Frage 1 bejaht, entfällt auch nicht dadurch,
dass die Umsätze auf Grund gesetzlicher oder behördlicher
Anordnung ausgeführt werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
UStG).
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e) Im Revisionsverfahren kann nach den
dortigen Maßstäben die Auffassung vertreten werden, dass
die tatsächliche Würdigung des FG, die Qualifizierung der
Klägerin als Nichtunternehmerin führe nicht zu
größeren Wettbewerbsverzerrungen, revisionsrechtlich
nicht zu beanstanden ist. Dies kann im Wesentlichen auf die
EuGH-Urteile Isle of Wight Council u.a. vom 16.09.2008 - C-288/07
(EU:C:2008:505 = SIS 08 38 55), Saudacor (EU:C:2015:733 = SIS 15 25 72, Rz 74) und National Roads Authority vom 19.01.2017 - C-344/15
(EU:C:2017:28 = SIS 17 00 19, Rz 44) sowie auf das BFH-Urteil in
BFHE 259, 380, BStBl II 2021, 109 = SIS 17 21 50, Rz 24 und die
tatsächlichen Feststellungen des FG gestützt werden. Das
FG hat ausgeführt, dass die Leistungen der Klägerin in
ihrer Gesamtheit am Ort der Klägerin nicht von privaten
Anbietern erbracht werden könnten, da private Anbieter nicht
in der Lage seien, das gleiche Bedürfnis der Kurgäste zu
befriedigen. Selbst wenn private Anbieter (zumindest teilweise)
vergleichbare Einrichtungen - wie die Klägerin - zu Kur- und
Erholungszwecken anbieten könnten, könnten sie
hierfür keine Kurtaxe erheben, da derartige Abgaben
ausschließlich von Trägern der öffentlichen Gewalt
beschlossen und erhoben werden dürfen. Das FG hat daher den
Wettbewerb am Ort der Klägerin untersucht, ohne die Situation
in Nachbargemeinden, im Bundesland Baden-Württemberg oder im
Bundesgebiet in den Blick zu nehmen, und am Ort der Klägerin
einen potentiellen Wettbewerb verneint. Immerhin hatte das FG nicht
festgestellt, ob es z.B. in Bezug auf Nachbargemeinden zu
Wettbewerbsverzerrungen kommen könne.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat
die Klägerin nun jedoch vorgetragen, dass mit den
Nachbargemeinden X und Y (beide Gemeinden befinden sich in ca. 10
km Entfernung von der Klägerin) ein Wettbewerb bestehe. Es
handele sich bei diesen beiden Gemeinden ebenfalls um Kurorte, in
denen die Kurleistungen allerdings von einer privatrechtlichen
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) auf
privatrechtlicher Grundlage erbracht würden. Der rechtliche
Ausgangspunkt des FG, nur auf das Gemeindegebiet der Klägerin
als Markt anzusehen, sei daher unzutreffend.
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f) Der Senat hat aufgrund dieser Einwendungen
Zweifel, ob das FG bei seiner tatsächlichen Würdigung von
zutreffenden unionsrechtlichen Rechtsgrundsätzen ausgegangen
ist.
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(1) Der Streitfall ähnelt aus Sicht des
vorlegenden Senats in gewisser Weise dem der Rechtssache Isle of
Wight Council u.a. (EU:C:2008:505 = SIS 08 38 55).
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Das Isle of Wight Council verwaltete eine
Insel und erhob auf dieser Insel Parkgebühren, wofür nach
Auffassung des Isle of Wight Council keine Mehrwertsteuer habe
erhoben werden dürfen. Das erstinstanzliche britische Gericht
gab der Klage statt, stellte einzelfallbezogen auf jede einzelne
Behörde ab und verneinte für jede von ihnen, und damit
unter anderem auch für das Isle of Wight Council, das
Vorliegen größerer Wettbewerbsverzerrungen.
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Die Große Kammer des EuGH entschied
hingegen, dass auf die fragliche Tätigkeit als solche
abzustellen sei, ohne dass sie sich auf einen lokalen Markt im
Besonderen beziehe. Die Mehrwertsteuerpflicht von Einrichtungen des
öffentlichen Rechts ergebe sich aus der Ausübung einer
bestimmten Tätigkeit als solcher, unabhängig davon, ob
die betreffenden Einrichtungen auf der Ebene des lokalen Marktes,
auf dem sie diese Tätigkeit ausüben, Wettbewerb
ausgesetzt seien oder nicht (EuGH-Urteil Isle of Wight Council
u.a., EU:C:2008:505 = SIS 08 38 55, Rz 40). Dieses Ergebnis werde
im Übrigen durch die Grundsätze der steuerlichen
Neutralität und der Rechtssicherheit bestätigt
(EuGH-Urteil Isle of Wight Council u.a., EU:C:2008:505, Rz 41). Die
von den lokalen Behörden vertretene Auffassung laufe darauf
hinaus, dass nur einige lokale Behörden der Mehrwertsteuer
unterworfen würden und andere nicht, je nachdem, ob es auf dem
jeweiligen lokalen Markt, auf dem sie tätig sind,
Wettbewerbsverzerrungen gebe oder nicht, und das, obwohl die
fragliche Dienstleistung im Wesentlichen die gleiche sei. Diese
Auffassung habe somit auch zur Folge, dass es zu einer
Ungleichbehandlung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts
untereinander komme (EuGH-Urteil Isle of Wight Council u.a.,
EU:C:2008:505 = SIS 08 38 55, Rz 45). Würden die
Wettbewerbsverzerrungen hingegen in Bezug auf die Tätigkeit
als solche geprüft, unabhängig von den
Wettbewerbsbedingungen, die auf einem bestimmten lokalen Markt
herrschen, bleibe der Grundsatz der steuerlichen Neutralität
gewahrt, da alle Einrichtungen des öffentlichen Rechts
entweder mehrwertsteuerpflichtig seien oder nicht (EuGH-Urteil Isle
of Wight Council u.a., EU:C:2008:505, Rz 46). Die Auffassung, die
Wettbewerbsverzerrungen seien mit Blick auf jeden einzelnen der
lokalen Märkte zu beurteilen, setze außerdem eine
systematische Neubewertung auf der Grundlage oft komplexer
wirtschaftlicher Analysen der Wettbewerbsbedingungen auf einer
Vielzahl von lokalen Märkten voraus, deren Ermittlung sich als
besonders schwierig erweisen könne, da die Grenzen dieser
Märkte nicht unbedingt mit der örtlichen
Zuständigkeit der lokalen Behörden zusammenfallen; auch
könne es im Gebiet einer einzigen lokalen Behörde mehrere
lokale Märkte geben (EuGH-Urteil Isle of Wight Council u.a.,
EU:C:2008:505, Rz 49). Dies könne zu zahlreichen
Streitigkeiten führen (EuGH-Urteil Isle of Wight Council u.a.,
EU:C:2008:505 = SIS 08 38 55, Rz 50). Weder die lokalen
Behörden noch die privaten Wirtschaftsteilnehmer wären in
der Lage, mit der für die Führung ihrer Geschäfte
notwendigen Gewissheit vorherzusehen, ob die Leistung der lokalen
Behörden auf einem bestimmten lokalen Markt der Mehrwertsteuer
unterliege oder nicht. Dies berge die Gefahr einer
Beeinträchtigung der Grundsätze der steuerlichen
Neutralität und der Rechtssicherheit (EuGH-Urteil Isle of
Wight Council u.a., EU:C:2008:505, Rz 51 und 52).
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Diese Erwägungen des EuGH sprechen unter
Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem eine
Gemeinde als juristische Person des öffentlichen Rechts eine
Leistung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage erbracht hat,
die möglicherweise in Nachbargemeinden von einer GmbH als
juristischer Person des Privatrechts, die im Eigentum der
jeweiligen Gemeinde steht, auf privatrechtlicher Grundlage erbracht
werden, obwohl zur Finanzierung trotzdem eine Kurtaxe erhoben wird,
dafür, dass das FG die Prüfung größerer
Wettbewerbsverzerrungen zu Unrecht auf das Gemeindegebiet
beschränkt haben könnte.
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(2) Andererseits hat der EuGH u.a. in den
Rechtssachen Götz vom 13.12.2007 - C-408/06 (EU:C:2007:789 =
SIS 08 10 52) und National Roads Authority (EU:C:2017:28 = SIS 17 00 19), auf die sich das FG gestützt hat, das Vorliegen
größerer Wettbewerbsverzerrungen in bestimmten
„Monopol“-Konstellationen
für ein bestimmtes Teilgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats
verneint, was zu unionsrechtlichen Zweifeln i.S. des Art. 267 Abs.
3 AEUV führt. Daraus ergibt sich die zweite Vorlagefrage.
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4. Entscheidungserheblichkeit
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Beide Vorlagefragen sind
entscheidungserheblich.
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a) Ist die Frage 1 zu verneinen, ist die Klage
abzuweisen. Gleiches gilt, wenn nach der Antwort auf Frage 2 der
räumlich relevante Markt nur das Gemeindegebiet ist, wie dies
das FG unter Berufung auf das EuGH-Urteil National Roads Authority
(EU:C:2017:28 = SIS 17 00 19) sowie das BFH-Urteil in BFHE 259,
380, BStBl II 2021, 109 = SIS 17 21 50 angenommen hat.
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b) Ist hingegen die Frage 1 zu bejahen und die
Frage 2 zu verneinen, müsste der Senat den Rechtsstreit an das
FG zurückverweisen, damit das FG die Wettbewerbsprüfung
für die fragliche Tätigkeit als solche (ohne
Beschränkung auf das Gemeindegebiet der Klägerin)
vornimmt. Hinsichtlich der Hilfsbegründung des FG, dass der
Klägerin der geltend gemachte Vorsteuerabzug auch deshalb
nicht zustehe, weil der Zusammenhang zwischen den Kosten für
die Errichtung, Unterhaltung und den Betrieb der Anlagen und der
(unterstellten) wirtschaftlichen Tätigkeit (Kurbetrieb) fehle,
müsste der Senat dem FG aufgeben, diese Prüfung unter
Beachtung der Rechtsgrundsätze aus den EuGH-Urteilen Sveda vom
22.10.2015 - C-126/14 (EU:C:2015:712 = SIS 15 25 71), Iberdrola
Inmobiliaria Real Estate Investments vom 14.09.2017 - C-132/16
(EU:C:2017:683 = SIS 17 16 05) und Mitteldeutsche
Hartstein-Industrie vom 16.09.2020 - C-528/19 (EU:C:2020:712 = SIS 20 12 33) erneut vorzunehmen.
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5. Rechtsgrundlage der Anrufung,
Nebenentscheidungen
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Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH
ist Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf
§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO.
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