Wirtschaftliche Identität, Neuregelung durch UnStRFoG, Gleichheitsverstoß, BVerfG-Vorlage: Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung (BGBl 1997 I S. 3121, BStBl 1998 I S. 7) insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (BGBl 1997 I S. 2590, BStBl 1997 I S. 928) für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität - gemessen an den Maßstäben der Neuregelung - vor dem 1.1.1997 verloren haben, bereits 1997 anzuwenden ist, dagegen für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verloren haben, erst im Jahr 1998. - Urt.; BFH 8.10.2008, I R 95/04; SIS 09 00 45
A. Gegenstand des Unternehmens der
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer
GmbH, war bei ihrer Gründung im Jahre 1994 die Herstellung und
der Vertrieb von visuellen Programmen jeder Art zur Verwendung auf
allen Trägern einschließlich Film, Fernsehen und neuen
Medien, insbesondere Video und CD. Sie erwarb Auswertungsrechte
für Videos, CD’s, CD-ROM’s und CDI’s,
hauptsächlich im esoterischen und astrologischen Themenbereich
und bot entsprechende Videos in Fachzeitschriften einem speziell
interessierten Publikum an. Ihre Gesellschafter waren im Jahre 1994
G und A mit jeweils 12.500 DM und K mit 25.000 DM des Stammkapitals
von 50.000 DM.
Mit Vertrag vom 20.12.1995 hatte A ihren
Anteil von 12.500 DM auf G übertragen. Zugleich wurde das
Kapital um 100.000 DM erhöht und von G und K jeweils
hälftig übernommen, so dass nunmehr beide Gesellschafter
mit je 75.000 DM an der Klägerin beteiligt waren.
1995 erwirtschaftete die Klägerin
erhebliche Verluste. Am 26.6.1996 schloss sie einen Vertrag mit der
X-Gruppe, in dem sie sich verpflichtete, für diese Prospekte,
Kataloge, Handzettel und Plakate herzustellen. K übertrug
ihren Gesellschaftsanteil mit Vertrag vom 18.7.1996 auf G. Die
Rechte an den Filmen sowie noch vorhandene Filme verkaufte die
Klägerin am 16.4.1996.
1996 wurden der Klägerin erhebliche
Konzessionen und gewerbliche Schutzrechte (31.12.1996: 889.978 DM,
31.12.1995: 100.000 DM) sowie Anlagen, Maschinen, Betriebs- und
Geschäftsausstattung (31.12.1996: 2.278.466 DM, zum
31.12.1995: 20.429 DM) zugeführt. Ferner erhöhten sich
der Personalaufwand (1996: 726.310,45 DM; 1995: 37.204,29 DM) und
die sonstigen betrieblichen Aufwendungen (z.B. Raumkosten 1996:
106.435,32 DM; 1995: 19.152 DM) beträchtlich. Die
Umsatzerlöse steigerten sich von 127.011,37 DM (1995) auf
1.666.064,72 DM im Jahr 1996.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte den auf den 31.12.1996
festgestellten Verlustabzug bei der Körperschaftsteuer 1997
und im Bescheid zur gesonderten Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1997 nicht,
da er der Auffassung war, die Klägerin habe ihre
wirtschaftliche Identität i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 2 des
Körperschaftsteuergesetzes 1996 i.d.F. des Gesetzes zur
Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform (KStG 1996 i.d.F. des
UntStRFoG) vom 29.10.1997 (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928)
i.V.m. § 54 Abs. 6 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Finanzierung
eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen
Rentenversicherung vom 19.12.1997 (BGBl I 1997, 3121, BStBl I 1998,
7 - KStG 1996 i.d.F. des RVFinG -, nunmehr § 34 Abs. 6 KStG
1999 i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes - StSenkG - vom 23.10.2000,
BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428), verloren. Mit ihrer dagegen
gerichteten Klage machte die Klägerin u.a. geltend, § 8
Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG sei nicht anwendbar,
weil die Anteilsübertragung bereits 1996 abgeschlossen gewesen
sei.
Das Finanzgericht (FG) Köln wies die
Klage mit Urteil vom 20.1.2004 13 K 5241/02, veröffentlicht in
EFG 2005, 565 = SIS 05 19 88, ab. Es war der Auffassung, wegen der
ab 1997 geltenden verschärften Voraussetzungen für den
Verlustabzug bestehe keine Bindung an den auf den 31.12.1996
gesondert festgestellten vortragsfähigen Verlust. Nach dem
eindeutigen Wortlaut erfasse die Neuregelung alle Altfälle.
Nur für den Sonderfall eines Identitätsverlusts im Jahr
1997 werde eine abweichende Regelung getroffen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestünden
nicht.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin
geltend, das Urteil des FG verstoße gegen materielles Recht,
da es § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG i.V.m. §
54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG anwende, obwohl der Verlust
der wirtschaftlichen Identität in einem Veranlagungszeitraum
vor 1997 liege.
Sie beantragt, unter Aufhebung des
FG-Urteils den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid 1997
und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des
verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer auf den
31.12.1997 vom 18. Juni bzw. 4.9.2001 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 19.8.2002 dahingehend zu ändern,
dass der auf den 31.12.1996 festgestellte Verlust in Höhe von
454.192 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das im Revisionsverfahren gemäß
§ 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf
entsprechende Aufforderung durch den Senat (Beschluss vom 6.4.2005
I R 95/04, BFHE 209, 350 = SIS 05 30 38) beigetretene
Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat sich in der Sache dem FA
angeschlossen, jedoch keine eigenen Anträge gestellt.
B. Das durch Beschluss des Senats vom
19.7.2006 gemäß § 155 FGO i.V.m. § 251 der
Zivilprozessordnung auf übereinstimmenden Antrag der
Beteiligten zum Ruhen gebrachte Revisionsverfahren ist
fortzuführen. Der Ruhensgrund ist entfallen, nachdem das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluss vom 15.1.2008 2
BvL 12/01 (DStR 2008, 556 = SIS 08 16 84) über die ihm vom
Senat durch Senatsbeschluss vom 18.7.2001 I R 38/99 (BFHE 196, 232,
BStBl II 2002, 27 = SIS 02 01 28) nach Art. 100 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) zur Vorabentscheidung vorgelegte Rechtsfrage
entschieden hat.
C. Infolge der vom Senat angenommenen
Verfassungswidrigkeit von § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F.
des RVFinG war das Revisionsverfahren gemäß Art. 100
Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) auszusetzen und die Entscheidung
des BVerfG einzuholen.
Nach Überzeugung des Senats ist die zu
§ 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG ergangene
Anwendungsregelung des § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des
RVFinG jedenfalls insoweit verfassungswidrig, als für
Körperschaften, die nach Maßgabe der Neufassung ihre
wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6.
August verloren haben, die Neufassung erst ab 1998, für
Körperschaften, die nach Maßgabe der Neufassung ihre
wirtschaftliche Identität vor dem 1.1.1997 verloren haben, die
Neufassung jedoch bereits 1997 gelten soll. Diese Regelung
verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
I. Rechtsentwicklung der im Streitfall
maßgeblichen Vorschriften
Das Körperschaftsteuergesetz enthielt
zunächst keine § 8 Abs. 4 KStG entsprechende Regelung.
Jedoch war nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom
19.12.1973 I R 137/71, BFHE 111, 155, BStBl II 1974, 181 = SIS 74 00 96; vom 17.5.1966 I 141/63, BFHE 86, 369, BStBl III 1966, 513 =
SIS 66 03 22; vom 15.2.1966 I 112/63, BFHE 85, 217, BStBl III 1966,
289 = SIS 66 01 73) bei einer Kapitalgesellschaft der Verlustabzug
zu versagen, wenn sie vor einem grundlegenden Gesellschafterwechsel
ihre wesentlichen Geschäftsgrundlagen und Vermögenswerte
verloren hatte und durch die Zuführung von Mitteln der
Neugesellschafter wirtschaftlich wieder belebt wurde. Diese
Rechtsprechung wollte verhindern, dass Verlustvorträge
gemäß § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG)
durch Veräußerung der Geschäftsanteile im
wirtschaftlichen Ergebnis verkauft werden (sog. Mantelkauf).
Mit Urteilen vom 29.10.1986 I R 202/82 (BFHE
148, 153, BStBl II 1987, 308 = SIS 87 03 21) und I R 318-319/83
(BFHE 148, 158, BStBl II 1987, 310 = SIS 87 03 20) gab der Senat
diese Rechtsprechung auf, da sie weder dem Wortlaut noch dem Zweck
des § 10d EStG entnommen werden könne.
Als Reaktion hierauf wurde § 8 Abs. 4
erstmals durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.7.1988 (BGBl I
1988, 1093, BStBl I 1988, 224) in das Körperschaftsteuergesetz
aufgenommen. Danach ist Voraussetzung für den Verlustabzug
nach § 10d EStG bei einer Körperschaft, dass sie nicht
nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der
Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat.
Wirtschaftliche Identität liegt insbesondere dann nicht vor,
wenn mehr als drei Viertel der Anteile an einer Kapitalgesellschaft
übertragen werden und die Gesellschaft danach ihren
Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem
Betriebsvermögen wieder aufnimmt. Hierdurch sollte verhindert
werden, dass Verlustvorträge von vermögenslosen
Kapitalgesellschaften durch Veräußerung der
Geschäftsanteile und Zuführung neuer Mittel auf neue
Unternehmen übertragen werden konnten (s. BTDrucks 11/2157, S.
171).
Durch das Gesetz zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform wurde § 8 Abs. 4 KStG 1996
geändert. Zum einen ist nach der Neufassung eine
Anteilsübertragung bereits schädlich, wenn mehr als die
Hälfte der Anteile an der Kapitalgesellschaft übertragen
werden. Ferner ist nicht mehr die Einstellung und Wiederaufnahme
des Geschäftsbetriebes erforderlich. Ausreichend ist vielmehr,
dass der Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem
Betriebsvermögen fortgeführt wird.
Die Neufassung des § 8 Abs. 4 KStG 1996
ging auf eine Initiative des Vermittlungsausschusses zurück
(vgl. BTDrucks 13/8325, S. 4, sowie Beschluss des Senats in BFHE
196, 232, BStBl II 2002, 27 = SIS 02 01 28) und sollte erstmals
für den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden sein (§ 54
Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform). Da eine Änderung des
Körperschaftsteuergesetzes im Gesetzgebungsverfahren
zunächst nicht beabsichtigt war (s. dazu Senatsbeschluss vom
22.8.2006 I R 25/06, BFHE 214, 424, BStBl II 2007, 793 = SIS 06 44 42), gibt es hierzu keine Begründung. Das Gleiche gilt
für die Anwendungsregelung des § 54 Abs. 6 KStG 1996
(nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG), die durch
das Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen
Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung ihre jetzige
Fassung erhalten hat. Danach ist § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F.
des UntStRFoG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1997
anzuwenden. Ist der Verlust der wirtschaftlichen Identität
aber erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August eingetreten, gilt die
Neufassung erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1998. Bei dem
Stichtag (5.8.1997) handelt es sich um jenen Tag, an dem der
Bundestag das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform
beschlossen hat (vgl. Plenarprotokoll der Sitzung des Deutschen
Bundestages 13/186, S. 16860).
II. Einfachgesetzliche Rechtslage
Die Revision der Klägerin ist
unbegründet, wenn § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des
UntStRFoG i.V.m. § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG
verfassungsgemäß ist. Sie hat jedoch Erfolg, wenn §
54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstößt und der Gesetzgeber die bestehende
Vertrauensschutzregelung auf Körperschaften ausdehnt, die ihre
wirtschaftliche Identität vor dem 1.1.1997 verloren haben.
1. Wie ausgeführt, ist Voraussetzung
für den Verlustabzug nach § 10d EStG, dass die
Körperschaft, die den Verlust geltend machen will, nicht nur
rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft
identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG
1996 in seinen hier streitigen Fassungen definiert die
„wirtschaftliche Identität“ einer
Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich
beispielhaft, wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr
gegeben ist (BFH-Urteile vom 22.10.2003 I R 18/02, BFHE 204, 273,
BStBl II 2004, 468 = SIS 04 05 86, und vom 13.8.1997 I R 89/96,
BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829 = SIS 97 23 44). Nach dem
Regelbeispiel der bis einschließlich 1996 geltenden Fassung
des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG fehlt einer Kapitalgesellschaft die
wirtschaftliche Identität insbesondere dann, wenn mehr als 75
v.H. (drei Viertel) aller Geschäftsanteile übertragen
werden und die Gesellschaft danach ihren Geschäftsbetrieb mit
überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnimmt.
Die Klägerin hat hiernach ihre
wirtschaftliche Identität im Jahr 1996 nicht verloren, da
nicht mehr als 75 v.H. aller Geschäftsanteile übertragen
wurden. Zwar kann der Verlust der wirtschaftlichen Identität
auch dann eintreten, wenn nicht mehr als 75 v.H. aller
Geschäftsanteile übertragen werden, jedoch der
Anteilserwerber eine Rechtsposition erhält, die mit der eines
Gesellschafters wirtschaftlich vergleichbar ist, der mehr als 75
v.H. der Geschäftsanteile einer Kapitalgesellschaft hält
(BFH-Urteil in BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829 = SIS 97 23 44).
Ein derartiger Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor.
Da die Klägerin durch die
Anteilsübertragung und die Zuführung neuen
Betriebsvermögens ihre wirtschaftliche Identität im Jahr
1996 nicht eingebüßt hat, hat das FA zu Recht den
verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf den
31.12.1996 festgestellt.
2. Die Klägerin kann diesen Verlust
jedoch im Streitjahr 1997 nicht mehr geltend machen, weil sie nach
den Maßstäben des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996
i.d.F. des UntStRFoG mit der Kapitalgesellschaft, die den Verlust
erlitten hat, wirtschaftlich nicht mehr identisch ist und diese
Vorschrift bereits 1997 anwendbar ist.
a) Nach der Neuregelung geht die
wirtschaftliche Identität schon dann verloren, wenn mehr als
die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft
übertragen werden und der Geschäftsbetrieb mit
überwiegend neuem Betriebsvermögen fortgeführt oder
wieder aufgenommen wird.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
erfüllt. Zum einen hat G am 20.12.1995, bezogen auf das
damalige Stammkapital der Klägerin, 25 % der Anteile von A,
darüber hinaus am 18.7.1996 weitere 50 % von K erworben. Im
zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der
Anteilsübertragung (vgl. Senatsurteile vom 29.4.2008 I R
91/05, BFH/NV 2008, 1965 = SIS 08 37 69, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt; vom 14.3.2006 I R 8/05, BFHE 212,
517, BStBl II 2007, 602 = SIS 06 25 15) wurde der Klägerin in
erheblichem Umfang neues Betriebsvermögen zugeführt und
mit einem anderen Geschäftsgegenstand der Betrieb
fortgeführt.
b) § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des
UntStRFoG ist - seine Wirksamkeit vorausgesetzt - bei der
Besteuerung der Klägerin für das Streitjahr
anzuwenden.
Nach § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des
RVFinG (nunmehr § 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) ist
§ 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals für
den Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden. Ist der Verlust der
wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6.
August eingetreten, gilt die Neufassung erstmals für den
Veranlagungszeitraum 1998.
aa) Wie der Senat bereits in seinen
Beschlüssen in BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27 = SIS 02 01 28
und in BFHE 209, 350 = SIS 05 30 38 im Einzelnen ausgeführt
hat, wird § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG (§ 34
Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) unterschiedlich ausgelegt.
Während ein Teil des Schrifttums die Auffassung vertritt, der
Verlustabzug richte sich ausnahmslos nach § 8 Abs. 4 KStG
1996, wenn die wirtschaftliche Identität - gemessen an §
8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG - erstmals vor dem 6.8.1997
verloren gegangen ist (z.B. Ulbrich, DStR 1998, 445;
Füger/Rieger, DStR 1998, 64 und 1153; Plewka/ Höppner,
Neue Wirtschafts-Briefe, Fach 2, 6899, 6905), vertritt die
Gegenmeinung im Einklang mit der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben
vom 16.4.1999, BStBl I 1999, 455 = SIS 99 10 18, Tz. 35) die
Auffassung, Satz 2 der Vorschrift solle keine Ausnahme für den
Verlust der wirtschaftlichen Identität allgemein vorsehen,
sondern lediglich für den erstmaligen Verlust im Jahr 1997
(vgl. z.B. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG
Rz 182c; Bott in Ernst & Young, KStG, § 34 Rz 77; B. Lang
in Ernst & Young, a.a.O., § 8 Rz 1302 ff., sowie weitere
Nachweise in BFHE 196, 232, BStBl II 2002, 27 = SIS 02 01 28).
Schließlich wird § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG
dahingehend ausgelegt, dass der „Verlust der
wirtschaftlichen Identität“ in allen Fällen, in
denen er sich nur aus der Neufassung des Gesetzes ergibt, erst mit
dem Inkrafttreten dieser Neufassung eintritt und somit alle
„Altfälle“ unter die
Vertrauensschutzregelung des § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996
i.d.F. des RVFinG fallen (Roser in Gosch,
Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz 1489). § 8 Abs. 4
KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG wäre danach für alle
„Altfälle“ erst ab 1998 anzuwenden.
bb) § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des
RVFinG (§ 34 Abs. 6 KStG 1999 i.d.F. des StSenkG) ist nach
Auffassung des Senats im Sinne der Finanzverwaltung und der dieser
zustimmenden Literatur auszulegen. § 8 Abs. 4 KStG i.d.F. des
UntStRFoG gilt demnach bereits im Veranlagungszeitraum 1997 auch
für solche Körperschaften, die - wie die Klägerin -
nach den Maßstäben der Neuregelung ihre wirtschaftliche
Identität bereits vor dem 1.1.1997 verloren haben. Lediglich
für diejenigen Körperschaften, die ihre wirtschaftliche
Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verloren
haben, ist § 8 Abs. 4 KStG 1996 erst ab dem
Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden. Der Wortlaut und die
Entstehungsgeschichte des § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des
RVFinG lassen hinreichend klar erkennen, dass er auf den Zeitpunkt
des Verlustabzugs und nicht auf den Zeitpunkt des Verlusts der
wirtschaftlichen Identität abstellt (s. im Einzelnen die
Ausführungen unter C.III.3.).
III. Verfassungsrechtliche Beurteilung
§ 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG,
nach dem nur bei Körperschaften, bei denen die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 KStG 1996
i.d.F. des UntStRFoG erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August
verwirklicht wurden, die erstmalige Anwendung des § 8 Abs. 4
KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG auf das Jahr 1998 hinausgeschoben
wird, nicht dagegen bei denjenigen Körperschaften, die ihre
wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1.1.1997 verloren
haben, verletzt Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs.
1 GG) gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich
Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom
21.6.2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 = SIS 06 33 60). Dabei ist
es Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte
auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die
er also im Rechtssinne als gleich ansehen will. Der Gesetzgeber
muss allerdings eine Auswahl sachgerecht treffen
(BVerfG-Beschlüsse vom 8.4.1987 2 BvR 909, 934, 935, 936, 938,
941, 942, 947/82, 64/83 und 142/84, BVerfGE 75, 108, 156; vom
12.2.2003 2 BvL 3/00, BVerfGE 107, 218, 244).
2. a) Körperschaften, die - nach den
Maßstäben der Neuregelung - ihre wirtschaftliche
Identität bereits vor dem 1.1.1997 verloren haben, können
nach der Anwendungsregelung ihre Verluste im Jahr 1997 nicht
geltend machen, während Körperschaften, die ihre
wirtschaftliche Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6.
August verloren haben, einen Verlustvortrag im Jahr 1997 nutzen
können. Ein hinreichend sachlicher Grund für diese
Benachteiligung ist nicht ersichtlich.
b) Auch wenn eine Begründung der
Gesetzesinitiative fehlt, ist offenkundig, dass der an § 54
Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG angefügte Satz 2
Vertrauensschutz in Fällen gewähren will, in denen die
wirtschaftliche Identität im Jahr 1997 vor dem Zeitpunkt des
Gesetzesbeschlusses verloren gegangen ist. Der Gesetzgeber hat
damit auf die im Schrifttum geäußerte Kritik an §
54 Abs. 6 KStG 1996 in seiner ursprünglichen Fassung des
UntStRFoG reagiert, nach der die Neuregelung in § 8 Abs. 4
KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG unterschiedslos ab dem
Veranlagungszeitraum 1997 gelten sollte. Hielt der Gesetzgeber aber
eine das Vertrauen in die bisherige Rechtslage schützende
Übergangsregelung in diesen Fällen für geboten, ist
nicht erkennbar, weswegen Körperschaften, die - gemessen an
der Neuregelung - ihre wirtschaftliche Identität bereits vor
dem 1.1.1997 verloren haben, weniger schutzwürdig sein sollen
als die Körperschaften, bei denen dies erstmals im Jahr 1997
vor dem 6. August der Fall war. Beide haben sich an der bisherigen
Rechtslage orientiert (Senatsbeschluss vom 19.12.2001 I R 58/01,
BFHE 197, 248, BStBl II 2002, 395 = SIS 02 06 29).
c) Soweit das BMF vorträgt, die
Benachteiligung der Unternehmen, die nach der Neuregelung ihre
wirtschaftliche Identität bereits vor dem 1.1.1997 verloren
haben, sei deshalb gerechtfertigt, weil diese mindestens einmal
ihre Verluste hätten geltend machen können, ist dem nicht
zu folgen. Die Möglichkeit der Verlustverrechnung mit
künftig anfallenden Gewinnen in diesen Fällen entsprach
geltendem Recht. Sie war keine Maßnahme des
Vertrauensschutzes und war daher nicht geeignet, das Vertrauen in
den Fortbestand der geltenden Rechtslage zu mindern. Diese
Körperschaften erscheinen eher schutzwürdiger als
diejenigen, die den Tatbestand des § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F.
des UntStRFoG erstmals im Jahr 1997 vor dem 6. August verwirklicht
haben, da ihr Vertrauen in die bestehende Rechtslage
zusätzlich durch den Ablauf mindestens eines
Veranlagungszeitraums sowie gegebenenfalls den Erlass eines
rechtmäßigen Verwaltungsakts (Feststellungsbescheid
gemäß § 8 Abs. 1 KStG 1996, § 10d EStG zum
31.12.1996) bekräftigt wurde, nach dem sie die festgestellten
Verluste mit künftigen Gewinnen verrechnen können.
Es kann auch nicht unterstellt werden, dass
die Neuregelung diese Unternehmen wirtschaftlich weniger hart
trifft. Insbesondere in Fällen, in denen der Verlust der
wirtschaftlichen Identität nach den Maßgaben der
Neuregelung erst Ende 1996 eingetreten ist, konnten die Verluste
regelmäßig noch nicht genutzt werden. Da die
Gesetzesänderung nicht angekündigt wurde, haben die
betroffenen Körperschaften auch keine Maßnahmen zur
Aufdeckung eventuell vorhandener stiller Reserven ergreifen
können.
d) Diese Beurteilung gilt unabhängig
davon, ob der Gesetzgeber verpflichtet war, aus rechtsstaatlichen
Gründen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) eine
Übergangsregelung zu schaffen oder ob er auch berechtigt
gewesen wäre, die Neuregelung übergangslos auf alle
„Altfälle“ anzuwenden. Denn
entschließt sich der Gesetzgeber zu einem bestimmten
Regelungskonzept - hier: zu einer Übergangsregelung - muss er
diese Entscheidung folgerichtig weiterverfolgen. Er darf daher
nicht eine Person oder Gruppe, die unter dem Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes eher schutzwürdiger erscheint,
gegenüber einer anderen Person oder Gruppe benachteiligen
(BVerfG-Urteil vom 30.7.2008 1 BvR 3262/07, 402/08, 906/08, BGBl I
2008, 1686; Beschluss in BVerfGE 116, 164, 180 f. = SIS 06 33 60,
jeweils m.w.N.).
3. Die Anwendungsregelung lässt eine
verfassungskonforme Auslegung nicht zu.
a) Lassen der Wortlaut, die
Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der
einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere
Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen
Ergebnis führt, so ist diese geboten (ständige
Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschlüsse vom 17.3.1993
1 BvR 720/90, BVerfGE 88, 144, 166; vom 7.4.1997 1 BvL 11/96, NJW
1997, 2230, m.w.N.).
b) Eine Auslegung des § 54 Abs. 6 KStG
1996 i.d.F. des RVFinG dahingehend, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996
i.d.F. des UntStRFoG für Körperschaften, die ihre
wirtschaftliche Identität nach den Maßstäben der
Neuregelung vor dem 1.1.1997 verloren haben, überhaupt nicht
gilt, ist nicht möglich. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut
als auch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
Wie ausgeführt, war § 8 Abs. 4 KStG
1996 i.d.F. des UntStRFoG ursprünglich unterschiedslos bereits
im Veranlagungszeitraum 1997 anwendbar. Dies wurde in der Literatur
kritisiert; dabei wurde insbesondere die rückwirkende
Zerstörung der steuerlichen Dispositionsgrundlagen beklagt
(z.B. Rödder, DStR 1997, 1425; Blumers/Beinert, BB 1997, 1880
f.; Goutier/Müller, BB 1997, 2242; Orth, DB 1997, 2242;
Füger/Rieger, DStR 1997, 1427). Der Gesetzgeber fügte
daraufhin durch das Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen
Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19.12.1997
in § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG einen Satz 2 an,
nach dem § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG erstmals im
Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden ist, wenn der Verlust der
wirtschaftlichen Identität erstmals im Jahr 1997 vor dem 6.
August eingetreten ist. Die ursprünglich in § 54 Abs. 6
KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG getroffene allgemeine
Anwendungsregelung wurde in diesem Zusammenhang hingegen nicht
geändert. Daraus kann nur geschlossen werden, dass für
die nicht von § 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG
erfassten „Altfälle“ die Neuregelung
weiterhin bereits im Jahr 1997 anwendbar sein sollte.
c) Ebenso wenig ist eine Auslegung dahingehend
möglich, dass § 8 Abs. 4 KStG 1996 i.d.F. des UntStRFoG
für Körperschaften, die ihre wirtschaftliche
Identität nach den Maßstäben der Neuregelung vor
dem 1.1.1997 verloren haben, erst ab 1998 gilt. Die Formulierung in
§ 54 Abs. 6 Satz 2 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG, nach der in
Fällen, in denen der Verlust der wirtschaftlichen
Identität „erstmals“ im Jahr 1997 vor dem
6. August eingetreten ist, § 8 Abs. 4 erstmals für den
Veranlagungszeitraum 1998 gilt, schließt es aus, auch
Körperschaften einzubeziehen, die ihre wirtschaftliche
Identität „erstmals“ vor diesem Zeitraum
verloren haben.
IV. Entscheidungserheblichkeit der
Vorlagefrage
Im Rahmen des anhängigen
Revisionsverfahrens ist eine abschließende Sachentscheidung
zu treffen. Ist die Anwendungsregelung verfassungsgemäß,
ist die Revision der Klägerin unbegründet. Hält das
BVerfG hingegen § 54 Abs. 6 KStG 1996 i.d.F. des RVFinG
für verfassungswidrig und erklärt es die Vorschrift
insoweit für unvereinbar mit dem Grundgesetz, muss der
Gesetzgeber eine neue Regelung treffen. Für die Klägerin
besteht die Chance, dass der Gesetzgeber - sofern er hierzu nicht
bereits aus rechtsstaatlichen Gründen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet ist - eine neue Regelung trifft,
die die bestehende Vertrauensschutzregelung auf Körperschaften
erstreckt, die ihre wirtschaftliche Identität vor dem 1.1.1997
verloren haben. In diesem Fall wäre die Revision der
Klägerin erfolgreich.