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Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei ressortfremden Grundlagenbescheiden

Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei ressortfremden Grundlagenbescheiden: Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen worden sind. - Urt.; BFH 21.2.2013, V R 27/11; SIS 13 14 72

Kapitel:
Verschiedenes > Verjährung, Verwirkung
Fundstellen
  1. BFH 21.02.2013, V R 27/11
    BStBl 2013 II S. 529
    DStR 2013 S. 1081
    BFH/NV 2013 S. 1138

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 10.7.2013
    Ch.St. in NWB 33/2013 S. 2630
    J.Pf./M.R. in NWB 33/2013 S. 2620
    JB in DStZ 13/2013 S. 449
    S.M. in BFH/PR 8/2013 S. 296
    wt in UVR 2/2014 S. 34
Normen
[RAO] § 144
[AO 1977] § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10
[EGAO] Art. 97 § 9, Art. 97 § 10
[UStG 1991] § 4 Nr. 20 Buchst. a, § 4 Nr. 21 Buchst. b
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 16.09.2010, SIS 10 38 40, Ablaufhemmung, Festsetzungsfrist, Verjährung
  • nach: 1 BvR 1787/13 (BVerfG), Hemmung der Verjährung, Änderung, Steuerbescheid, Bindung, Fremde Behörde, Festsetzungsfrist, Folgebescheid
Zitiert in... / geändert durch...
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  • BFH 27.7.2021, SIS 21 18 12, Entfallen des unberechtigten Steuerausweises: 1. Hat der Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend ge...
  • FG Köln 16.6.2021, SIS 21 14 55, Frage des Vorliegens einer Lieferung bei dezentral verbrauchtem Strom: 1. Strom ist grundsätzlich ein Geg...
  • FG Köln 16.6.2021, SIS 21 13 83, Frage des Vorliegens einer Lieferung bei dezentral verbrauchtem Strom: 1. Strom ist grundsätzlich ein Geg...
  • FG Köln 22.1.2020, SIS 20 13 43, Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO: 1. Gemäß § 171 Abs. 10 Satz 3 AO löst ein Grundlagenbescheid (Festst...
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  • BMF 31.1.2014, SIS 14 04 33, Ressortfremde Grundlagenbescheide, verjährungshemmende Wirkung: Nach dem BFH-Urteil vom 21.2.2013 (BStBl ...
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  • FG des Landes Sachsen-Anhalt 1.8.2013, SIS 14 14 60, Uneingeschränkte Anwendung des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO auf außersteuerliche Grundlagenbescheide, Verwirku...
  • FG des Landes Sachsen-Anhalt 17.7.2013, SIS 13 28 85, Hemmung der Festsetzungsverjährung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden, Rückübertragung eines Rechtss...
  • OFD Magdeburg 10.6.2013, SIS 13 24 71, Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde als Grundlagenbescheid, Rückwirkung: Nach dem BFH-Urteil vom ...

 

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb eine Ballettschule. Sie unterwarf in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersatz. Die Umsatzsteuerbescheide wurden bestandskräftig.

 

 

2

Auf Antrag der Klägerin erteilte die Bezirksregierung am 30.9.2004 der Klägerin eine Bescheinigung „gemäß § 4 Nr. 21 a bb des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vom 24.3.1999“, wonach die Ballettschule - je nach Studio mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995 - als Privatschule ordnungsgemäß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Balletttänzer oder Musicaldarsteller vorbereite. Auf weiteren Antrag erteilte das Ministerium für Wissenschaft und Kultur am 24.1.2008 zudem eine Bescheinigung „nach § 4 Nr. 20 a UStG“ (gemeint ist § 4 Nr. 20 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes - UStG - ) mit Wirkung ab dem 1.1.1973, wonach die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezeichneten „öffentlichen Einrichtungen“ erfüllen. Die Klägerin beantragte daraufhin am 14.9.2006 und am 18.2.2008 die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992.

 

 

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) lehnte die Anträge der Klägerin, die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992 entsprechend den Bescheinigungen zu ändern und die Umsätze steuerfrei zu belassen, ab.

 

 

4

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (EFG 2011, 25 = SIS 10 38 40). Die Umsätze seien nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei, weil die Klägerin die Schüler auf den Beruf des Tänzers vorbereite, unabhängig davon, zu welchem Anteil die Schüler tatsächlich später diesen Beruf ergreifen würden. Entsprechendes gelte für die Umsätze mit Theater- und Schulaufführungen, für die die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG erteilt worden sei. Bei den Bescheinigungen handele es sich um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO), die gemäß § 175 AO auch rückwirkend für einen Zeitraum vor dem Ausstellungsdatum erteilt werden könnten. Der Grundsatz von Treu und Glauben führe nicht zu einer zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung, denn die langjährige Untätigkeit der Klägerin bei der Beantragung der außersteuerlichen Grundlagenbescheide allein reiche für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht aus, vielmehr müsse neben dem Zeitablauf ein Umstandsmoment hinzutreten, aus dem das FA schließen könne, dass die Klägerin auf die Steuerbefreiung durch die Beantragung der Bescheinigungen verzichten wolle. Daran fehle es.

 

 

5

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts durch fehlerhafte Auslegung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben sowie wegen Nichtbeachtung der Verjährungsvorschriften. Die Geltendmachung der Steuerbefreiung in einem Zeitraum von 12 bis 30 Jahren nach vorangegangener Erklärung steuerpflichtiger Umsätze verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Verwirkung eines Anspruchs als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlichen Tuns setze voraus, dass ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen habe, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden müsse.

 

 

6

Zwar reiche nach der Rechtsprechung in der Regel ein bloßes Untätigbleiben in der Regel nicht aus und werde zusätzlich zu dem Zeitmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten gefordert, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf habe vertrauen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) und der Berechtigte tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet habe (Vertrauensfolge). Ausnahmen seien jedoch möglich. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) in Entscheidungen zur Verwirkung der Rechtsbehelfsbefugnis (BFH-Urteil vom 14.6.1972 II 149/65, BFHE 106, 134) und zur Klagebefugnis (BFH-Beschluss vom 19.8.1987 IV B 70/86, BFH/NV 1988, 244) allein den Zeitablauf ausreichen lassen und im BFH-Urteil vom 14.9.1978 IV R 89/74 (BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121 = SIS 79 00 65) ausgeführt, die Voraussetzungen der Verwirkung könnten nicht für alle Fälle von vornherein festgelegt werden.

 

 

7

Danach habe das FA spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr mit der Geltendmachung der Steuerbefreiung rechnen müssen. Die Vorschrift über die Verjährung der Steuerhinterziehung müsse analog angewendet werden. Zudem habe der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz vom 8.12.2010 - JStG 2010 - (BGBl I 2010, 1768 ff.) eine Verjährungsregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG n.F. mit Wirkung vom 1.1.2011 geschaffen, wonach die Festsetzungsfrist für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide der vierjährigen Festsetzungsfrist für Feststellungsbescheide angepasst werde. Die neu geschaffene Verjährungsregelung für § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG n.F. müsse analog für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG für die Jahre 1972 bis 1992 angewendet werden.

 

 

8

Für die Veranlagungszeiträume 1972 bis 1976 habe das FG jedenfalls übersehen, dass die Festsetzungsverjährung nach der Reichsabgabenordnung (RAO) bereits eingetreten sei.

 

 

9

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil des FG Niedersachsen vom 16.9.2010 16 K 295/09 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

10

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

 

 

11

Das FG-Urteil sei zutreffend. Nach dem Anwendungserlass zur AO vom 12.1.2004 (BStBl I 2004, 31 = SIS 03 53 74) zu § 175 Nr. 1.4 stehe der Anpassung des Folgebescheides an den Grundlagenbescheid nicht entgegen, dass sie, die Klägerin, den für eine Steuerbegünstigung erforderlichen, aber nicht fristgebundenen Antrag erst nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides gestellt habe. Ob bei einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG die Rückwirkung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausgeschlossen sei, spiele im Streitfall keine Rolle, weil die Regelung erst für Bescheinigungen gelte, die ab dem 28.10.2004 vorgelegt worden seien (Art. 32 Abs. 5 JStG 2010, BGBl I 2010, 1768).

 

 

12

Im Streitfall sei eine Bescheinigung bereits am 30.9.2004 vorgelegt worden. Der BFH habe weiter ausgeführt, dass entgegen den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die Rückwirkung nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße. Die gegenteilige Rechtsansicht des XI. Senats des BFH (Urteil vom 15.9.1994 XI R 101/92, BFHE 176, 146, BStBl II 1995, 912 = SIS 95 04 23), wonach einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG 1980 keine Rückwirkung vor ihrem Ausstellungsdatum zukomme, sei von der Verwaltung mit einem Nichtanwendungserlass belegt worden (Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 30.11.1995 IV C 4 - S 7177 - 22/95, BStBl I 1995, 827 = SIS 96 04 30). Eine analoge Anwendung der Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG n.F., wonach die Festsetzungsverjährungsfrist auch für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide entsprechend gelten solle, komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht, da der Gesetzgeber die Geltung dieser Neuregelung erst ab dem 1.1.2011 angeordnet habe. Zudem habe der Gesetzgeber bewusst von einer Änderung des § 4 Nr. 21 UStG abgesehen, weil die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens beabsichtigt worden sei. Durch das Rechtsinstitut von Treu und Glauben in Form einer Verwirkung durch Zeitablauf dürfe nicht die gesetzgeberische Grundwertung unterlaufen werden, wonach die in § 4 Nr. 20 UStG enthaltene Begrenzung auf vier Jahre erst ab dem 1.1.2011 anzuwenden sei. Zudem dürfe eine in Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) angelegte Steuerbefreiung nicht durch nationales Recht beschränkt werden.

 

 

13

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

 

14

Zu Recht geht das FG davon aus, dass die Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG und § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der in den Streitjahren 1972 bis 1992 geltenden Fassung Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 AO) sind, deren Erlass grundsätzlich zu einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen kann. Entgegen der Auffassung des FG ist die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für 1972 bis 1992 jedoch rechtswidrig, weil die Bescheinigungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Streitjahre 1972 bis 1992 erteilt worden sind. Denn auch Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur dann, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betreffende Steuer erlassen worden sind.

 

 

15

1. Von der Umsatzsteuer befreit sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre 1972 bis 1992 u.a. die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre sind befreit die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer, wenn die Darbietungen von den unter Buchst. a der Vorschrift bezeichneten Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles oder Chören erbracht werden.

 

 

16

2. Das FG geht zu Recht davon aus, dass es sich bei den für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 und Nr. 21 UStG erforderlichen Bescheinigungen der zuständigen Behörden um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 AO handelt, die grundsätzlich Grundlage für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein können (zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 20.8.2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15 = SIS 09 33 07, Rz 27 f.; ebenso BFH-Urteil vom 19.10.2011 XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798 = SIS 12 10 75).

 

 

17

a) Die Wirkung der Bescheinigung bezieht sich grundsätzlich auf den in ihr bezeichneten Gegenstand und Zeitraum, auch wenn letzterer vor der Bekanntgabe der Bescheinigung liegt (BFH-Urteile vom 18.2.2010 V R 28/08, BFHE 228, 474, BStBl II 2010, 876 = SIS 10 11 57; in BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15 = SIS 09 33 07; vom 24.9.1998 V R 3/98, BFHE 187, 334, BStBl II 1999, 147 = SIS 99 05 34).

 

 

18

b) Der Klägerin wurde am 24.1.2008 bescheinigt, dass die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule der Klägerin ab 1.1.1973 die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen, wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG genannten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen und am 30.9.2004, dass die Ballettkurse in den vier Studios jeweils mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995 i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG ordnungsgemäß auf verschiedene Berufe vorbereiteten.

 

 

19

3. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für Umsatzsteuer 1972 bis 1976 steht jedoch entgegen, dass die Bescheinigungen erst am 24.1.2008 bzw. am 30.9.2004 und damit nach Ablauf der nach der RAO zu bestimmenden Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer diesen Streitjahren erteilt worden sind.

 

 

20

Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 21.7.1993 X R 113/91, BFH/NV 1994, 221; vom 8.4.1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717; vom 23.6.1993 X R 214/87, BFH/NV 1994, 295; vom 22.2.1991 III R 35/87, BFHE 164, 198, BStBl II 1991, 717 = SIS 91 16 57; vom 18.5.1990 VI R 17/88, BFHE 160, 425, BStBl II 1990, 770 = SIS 90 19 51) richtet sich zwar die Korrekturbefugnis von Steuerbescheiden ab dem 1.1.1977 grundsätzlich nach der AO (Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -, BGBl I 1976, 3341, 3382); dagegen bestimmt sich die Verjährung u.a. für die Festsetzung von Steuern wie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Art. 97 § 10 EGAO 1977) nach der RAO. Für eine Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gelten keine Besonderheiten (BFH-Urteil in BFHE 164, 198, BStBl II 1991, 717 = SIS 91 16 57).

 

 

21

Für die Umsatzsteuer betrug die Verjährungsfrist nach § 144 RAO fünf Jahre. Sie begann nach § 144 RAO spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung der Steuer folgt und ist für die Streitjahre 1972 bis 1976 offensichtlich bereits seit langem abgelaufen.

 

 

22

4. Für die Streitjahre unter Geltung der AO (1977) - 1977 bis einschließlich 1992 - ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (bis 31.12.1981: § 175 Satz 1 Nr. 1 AO) ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO sind Grundlagenbescheide die Bescheide, die für die Festsetzung einer Steuer als Feststellungsbescheid, als Steuermessbescheid oder als anderer Verwaltungsakt bindend sind.

 

 

23

a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Ob die Festsetzungsverjährung einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entgegensteht, ist unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO zu bestimmen. Nach der in den Streitjahren geltenden Fassung dieser Vorschrift endete die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des für die Steuerfestsetzung bindenden Grundlagenbescheides.

 

 

24

b) Entgegen der Auffassung des FG stand der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1992 aufgrund der Bescheinigungen vom 30.9.2004 und vom 24.1.2008 nach § 175 Abs. 1 AO entgegen, dass die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer für 1977 bis 1992 bei Erlass der Grundlagenbescheide der ressortfremden Behörde bereits abgelaufen war. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststellungsbescheid - i.S. der §§ 179 ff. AO einem Grundlagenbescheid einer Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 AO) - oder um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handelt.

 

 

25

aa) Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grundsätzlich unselbständiger Teil des Steuerbescheides; eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Steuerfestsetzungsverfahrens (vgl. §§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 2 AO) findet nur statt, wenn und soweit dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11.4.2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679 = SIS 05 31 02, unter C.4.). Insoweit bezwecken die Vorschriften der §§ 179 ff. AO in verfahrensrechtlich gestufter und abschichtender Weise, die notwendigen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser Grundlage die Folgebescheide erlassen zu können (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679 = SIS 05 31 02, unter C.3.b). Steuerrechtliche Grundlagenbescheide - wie z.B. Feststellungsbescheide - unterliegen den Regelungen der AO, die im Gegensatz zur RAO für den Erlass von Feststellungsbescheiden eine eigenständige Feststellungsfrist eingeführt hat. So gelten für die gesonderte Feststellung gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung sinngemäß.

 

 

26

Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist im Übrigen nur insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Festsetzungsfrist und Feststellungsfrist bei steuerrechtlichen Grundlagenbescheiden auseinanderfallen können, weil auch für die Feststellungsfrist die Ablaufhemmungstatbestände maßgeblich sind.

 

 

27

Der AO liegt danach ein Regelungssystem zugrunde, wonach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden sind.

 

 

28

bb) Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden ist § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend dahingehend auszulegen, dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung - wie in den Fällen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO - voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird.

 

 

29

(1) Eine Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist („rechtspolitische Fehler“), reicht nicht aus. Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist. Die Unvollständigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbständigen kritischen Würdigung des Gesetzes. Auch bei einem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslücke vorliegen (BFH-Urteil vom 11.2.2010 V R 38/08, BFHE 229, 385, BStBl II 2010, 873 = SIS 10 15 98, unter II.5.a, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

 

 

30

Liegt eine sog. Gesetzeslücke vor, ist diese in einer dem Gesetzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise zu schließen. Zur Lückenfüllung kommen insbesondere Analogie, teleologische Extension oder Reduktion in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 229, 385, BStBl II 2010, 873 = SIS 10 15 98, unter II.5.a). Dies ist Aufgabe der Fachgerichte (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3.4.1990 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6, NJW 1990, 1593, unter C.I.1.).

 

 

31

(2) Danach enthält § 171 Abs. 10 AO eine Regelungslücke. Denn nach ihrem Grundgedanken und System dienen die §§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dadurch herzustellen, dass Steueransprüche nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden können (vgl. BFH-Urteile vom 31.1.1989 VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442 = SIS 89 10 50, unter II.3.b; vom 26.2.2008 VIII R 1/07, BFHE 220, 229, BStBl II 2008, 659 = SIS 08 25 83, unter II.3.a bb; vom 24.1.2008 VII R 3/07, BFHE 220, 214, BStBl II 2008, 462 = SIS 08 15 08, unter II.2.b; vom 12.5.2009 VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602 = SIS 09 29 26, unter 3.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, vor §§ 169 ff. AO Rz 5).

 

 

32

Dieser auch für die Auslegung des § 171 Abs. 10 AO zu beachtende Normzweck wird für den Fall ressortfremder Grundlagenbescheide nicht verwirklicht, wenn diese wie Feststellungsbescheide der Finanzbehörden i.S. von §§ 179 ff. AO auch bei einer Bekanntgabe nach Ablauf der regulären Festsetzungsfristen des § 169 AO zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 AO führen würden, ohne dass für den Erlass derartiger Grundlagenbescheide - wie nach § 181 AO - zeitliche Grenzen bestehen. Eine für ressortfremde Grundlagenbescheide zeitlich unbegrenzte Änderungsmöglichkeit ist nicht lediglich ein rechtspolitischer Fehler. Die Verselbständigung der Feststellung einzelner für die Besteuerung vorgreiflicher Umstände und Beurteilungen rechtlicher Art (Besteuerungsgrundlagen, vgl. BFH-Urteil vom 9.5.2000 VIII R 40/99, BFH/NV 2001, 17 = SIS 01 50 13) aus verfahrensökonomischen Gründen - z.B. mit Rücksicht auf Sachnähe (z.B. BFH-Beschluss vom 15.9.2011 I R 53/10, BFH/NV 2012, 23 = SIS 11 38 83 zu § 51a des Einkommensteuergesetzes) - hat unabhängig davon, ob die abgeschichtete Feststellung den Finanzbehörden oder einer ressortfremden Behörde obliegt, lediglich dienende Funktion gegenüber der Steuerfestsetzung (Begründung zu § 162 EGAO 1974, BTDrucks VI/1982, 157; z.B. BFH-Urteile vom 12.6.2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681 = SIS 02 93 36; vom 31.10.2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156 = SIS 01 05 78).

 

 

33

(3) Die im Anwendungsbereich des § 171 Abs. 10 AO bei sog. ressortfremden Grundlagenbescheiden bestehende Regelungslücke ist dadurch zu schließen, dass derartige Grundlagenbescheide ebenso wie die in § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO ausdrücklich geregelten Sachverhalte nur dann eine Ablaufhemmung begründen, wenn die Bekanntgabe dieser Grundlagenbescheide noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, erfolgt. Damit trägt der Senat den vom BVerwG (BVerwG-Urteil vom 11.10.2006 10 C 4/06, NJW 2007, 714) und im Schrifttum (vgl. z.B. Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 93; a.A. Bannitza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 206) geäußerten Bedenken gegen eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden Rechnung.

 

 

34

(4) Der teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO bei der Bekanntgabe ressortfremder Grundlagenbescheide steht die mit Wirkung ab 1.1.2011 in Kraft getretene Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG nicht entgegen. Zwar gilt für die Erteilung der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG genannten Bescheinigung § 181 Abs. 1 und 5 AO entsprechend. Die erst nach den Streitjahren in Kraft getretene Neuregelung ist jedoch für die Beurteilung, ob nach der in den Streitjahren bis 1992 bestehenden Rechtslage eine Regelungslücke vorlag und ob der Gesetzgeber eine in den Streitjahren bestehende Regelungslücke für spätere Besteuerungszeiträume geschlossen hat, nicht von Bedeutung.

 

 

35

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt diese Auslegung nicht zu einer Beschränkung der unionsrechtlich vorgegebenen Steuerbefreiung. Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 20 (kulturelle Dienstleistungen) und § 4 Nr. 21 UStG (Privatschulen) ist Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG. Unionsrechtliche Ansprüche werden aber nur im Rahmen der jeweils geltenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gewährleistet (vgl. BFH-Urteil vom 16.9.2010 V R 46/09, juris). Auch der Hinweis der Klägerin auf die sog. „Emmotschen Fristenhemmung“ nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 25.7.1991 C-208/90, Emmot (Slg. 1991, I-4269 = SIS 91 26 03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 137) führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese setzt voraus, dass die entsprechende Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden und die Geltendmachung des Anspruchs unzumutbar erschwert oder versperrt war (BFH-Urteil vom 21.3.1996 XI R 36/95, BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399 = SIS 96 13 26). Im Streitfall ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin von der Beantragung der Grundlagenbescheide in nicht verjährter Zeit abgehalten worden ist.

 

 

36

Der Senat weicht entgegen der Auffassung der Klägerin in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 25.2.2013 nicht i.S. des § 11 FGO von den BFH-Urteilen vom 13.12.1985 III R 204/81 (BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 = SIS 86 05 03) und vom 9.8.1983 VIII R 55/82 (BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86 = SIS 84 02 44) ab. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH ist daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich.

 

 

37

d) Eine Abweichung liegt nur bei einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage vor (z.B. BFH-Beschluss vom 21.10.1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207 = SIS 86 05 43; BFH-Urteile vom 15.2.2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267 = SIS 12 11 30, unter II.4.; vom 17.9.2002 IX R 68/98, BFHE 199, 493, BStBl II 2003, 2 = SIS 03 02 17, unter II.1.b) und setzt daher einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt voraus (z.B. BFH-Beschluss vom 5.3.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570 = SIS 79 02 89; BFH-Urteil vom 9.8.1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990 = SIS 89 22 56, unter II.3.c (4)). Liegen den Entscheidungen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde, ergeben sich daraus andere rechtliche Wertungen und die Beurteilung anderer Rechtsfragen. Bei Ausführungen, die verallgemeinernd über den entschiedenen Fall hinausgehen, handelt es sich mithin allenfalls um ein obiter dictum, das regelmäßig die Annahme einer Abweichung i.S. des § 11 FGO nicht indiziert (vgl. dazu BFH-Urteile vom 2.9.2008 VIII R 2/07, BFHE 223, 15, BStBl II 2010, 25 = SIS 08 44 59, unter II.2.e; in BFHE 236, 267 = SIS 12 11 30, unter II.4.; vom 26.5.1993 X R 72/90, BFHE 171, 455, BStBl II 1993, 855 = SIS 93 19 15; BFH-Beschluss vom 22.7.1977 III B 34/74, BFHE 123, 112, BStBl II 1977, 838 = SIS 77 04 65; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 11, m.w.N.). Eine Anrufung des Großen Senats ist in diesem Falle nicht erforderlich (z.B. BFH-Urteile vom 31.7.1990 VII R 60/89, BFHE 162, 1, BStBl II 1990, 1071 = SIS 91 04 53, und in BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990 = SIS 89 22 56).

 

 

38

e) Weder der III. Senat noch der VIII. Senat des BFH haben über die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage der Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides entschieden.

 

 

39

aa) In dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 = SIS 86 05 03 hat der III. Senat vielmehr entschieden, dass sich eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus den Vorschriften der Festsetzungsverjährung ergibt (in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 = SIS 86 05 03, unter II.1.b). Zudem betrifft diese Entscheidung einen bereits vor Erlass des streitigen Steuerbescheides erlassenen Grundlagenbescheid. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber über die Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides zu entscheiden. Das ist ein anderer Sachverhalt. Soweit der III. Senat ausführt, solange der Folgebescheid einen „ - gleichgültig zu welchem Zeitpunkt erlassenen - „ Grundlagenbescheid nicht berücksichtige, sei die diesem zugedachte Aufgabe noch nicht erfüllt, handelt es sich nur um ein obiter dictum.

 

 

40

bb) Auch eine Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86 = SIS 84 02 44 liegt nicht vor. Das Urteil betrifft die Frage, ob ein Steuerbescheid auch dann noch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, wenn der (innerhalb der Festsetzungsfrist des Folgebescheides erlassene) Grundlagenbescheid bereits bei Erlass eines früheren Steuerbescheides hätte berücksichtigt werden können und damit einen anders gelagerten Sachverhalt und eine andere Rechtsfrage betrifft.

 

 

41

f) Aus denselben Gründen liegt auch keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 14.4.1988 IV R 219/85 (BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711 = SIS 88 17 44) vor, weil dieses Urteil eine Fallgestaltung betrifft, in der die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten war. Soweit der IV. Senat darüber hinaus ausgeführt hat, eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergebe sich lediglich aus den Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) und über die Feststellungsverjährung (§ 181 AO) und im „übrigen ist eine Änderung des Folgebescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nur ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen“, war dies nicht entscheidungserheblich.

 

 

42

g) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, der Senat setze sich in Widerspruch zu „Regelungen im Anwendungserlass“ zu § 175 Abs. 1 Satz 1 AO und den Umsatzsteuer-Richtlinien zu § 4 Nr. 21 UStG bzw. dem nachfolgenden Umsatzsteueranwendungserlass. Denn hierbei handelt es sich um sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, denen keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht binden (vgl. BFH-Beschluss vom 4.12.2008 XI B 250/07, BFH/NV 2009, 394 = SIS 09 06 06; vom 19.1.2010 VIII R 40/06, BFHE 228, 216, BStBl II 2011, 254 = SIS 10 06 78; vom 26.4.1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754 = SIS 95 17 45).