Musikschule, Bescheinigung der Landesbehörde als Grundlagenbescheid: 1. Bei der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG handelt es sich um einen Grundlagenbescheid i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. - 2. Bescheinigungen nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG kann Rückwirkung zukommen, ohne dass dem der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegensteht. - Urt.; BFH 20.8.2009, V R 25/08; SIS 09 33 07
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) war u.a. als selbständiger Musiklehrer an der
Musikschule H e.V. (Musikschule) tätig. Er reichte für
das Streitjahr 2004 eine Umsatzsteuer-Jahreserklärung ein, aus
der sich eine Umsatzsteuer von 0 EUR ergab. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) folgte dem nicht und
setzte mit Bescheid vom 19.9.2005 Umsatzsteuer fest, da die
Leistungen des Klägers mangels Bescheinigung nicht steuerfrei
seien. Den hiergegen zunächst eingelegten Einspruch nahm der
Kläger zurück. Mit Schreiben vom 27.2.2006 beantragte der
Kläger, den Umsatzsteuerbescheid vom 19.9.2005
gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu
ändern, da seine Unterrichtsleistungen an der Musikschule
steuerfrei seien. Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom
8.3.2006 ab, da keine Bescheinigung gemäß § 4 Nr.
21 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG)
vorliege und die Voraussetzungen des § 173 AO nicht
erfüllt seien. Hiergegen legte der Kläger erfolglos
Einspruch ein.
Während des Einspruchsverfahrens
bescheinigte das Niedersächsische Ministerium für
Wissenschaft und Kultur (MWK) zum einen mit Bescheid vom 27.7.2006,
dass die Musikschule gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. a
Doppelbuchst. bb UStG unter anderem mit dem Erteilen von
Musikunterricht in den Kursen Instrumentenkarussell, Bariton,
Posaune, Tenorhorn, Trompete, Tuba, Bläserklassen ab der
Unterstufe (Anfänger) durch den Kläger auf einen Beruf
(Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule für Musik) oder
eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
abzulegenden Prüfung (Abitur) ordnungsgemäß
vorbereite. Die Bescheinigung wurde mit Wirkung ab dem 1.9.2001 zur
Vorlage beim FA erteilt. Am gleichen Tag bescheinigte das
Niedersächsische MWK zum anderen mit Wirkung ab 1.1.2001, dass
der vom Kläger als selbständiger Musiklehrer erteilte
Musikunterricht in den Kursen Bariton, Posaune, Tenorhorn,
Trompete, Tuba ab der Unterstufe (Anfänger) geeignet sei,
seine Schüler und Vertragspartner i.S. des § 4 Nr. 21
Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG auf einen Beruf
(Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule für Musik) oder
eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts
abzulegende Prüfung (Abitur) ordnungsgemäß
vorzubereiten.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
(veröffentlicht in EFG 2008, 1933 = SIS 09 01 01).
Materiell-rechtlich seien die Leistungen, die der Kläger an
die Musikschule erbracht habe, aufgrund der Bescheinigung des
Niedersächsischen MWK vom 27.7.2006 nach § 4 Nr. 21
Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei. Der Kläger habe
als selbständiger Lehrer mit seinen Kursen in den Fächern
Bariton, Posaune, Tenorhorn, Trompete, Tuba unmittelbar dem Schul-
und Bildungszweck der Musikschule dienenden Unterricht erteilt. Das
Niedersächsische MWK habe u.a. für das Streitjahr 2004
bescheinigt, dass der Kläger mit seiner selbständigen
Unterrichtstätigkeit an der Musikschule
ordnungsgemäß auf einen Beruf vorbereite. Der
bestandskräftige Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 19.9.2005 sei
nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzuheben. § 4 Nr. 21 Buchst.
a Doppelbuchst. bb UStG setze für die Steuerfreiheit der
Umsätze die Erteilung einer Bescheinigung der zuständigen
Landesbehörde über die ordnungsgemäße
Vorbereitung auf einen Beruf voraus. Diese Bescheinigung binde im
Umfang der durch diese Vorschrift geregelten Aussage die
Finanzbehörden. Die Bescheinigung stelle im Umfang ihrer
Bindungswirkung einen Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs.
10 AO dar. Zwar sei die Bescheinigung der Landesbehörde nur
ein Tatbestandsmerkmal des § 4 Nr. 21 UStG. Daneben habe die
Finanzbehörde in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob
die fragliche Einrichtung allgemeinbildend oder berufsbildend sei.
Liege keine allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung vor,
sei der Steuerbescheid trotz Vorlage einer Bescheinigung der
Landesbehörde nicht zu ändern. Unzutreffend sei entgegen
der Auffassung des FA, dass eine Änderung des Steuerbescheides
nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nur in Betracht komme, wenn
der Grundlagenbescheid Bindungswirkung hinsichtlich sämtlicher
Tatbestandsmerkmale der Steuerbefreiungsvorschrift entfalte. Diese
einschränkende Auslegung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
finde in dessen Wortlaut keinen Anhalt. Dass aufgrund der
Neuregelung in § 175 Abs. 2 Satz 2 AO eine Änderung
aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gemäß
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht komme, sei
somit unerheblich.
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung materiellen Rechts. Eine Änderung des
Umsatzsteuerbescheides sei nicht möglich. Zwar sei in § 4
Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG vorgesehen, dass die
zuständige Landesbehörde die ordnungsgemäße
Vorbereitung auf einen Beruf bescheinige. Diese Bescheinigung binde
insoweit auch die Finanzbehörden. Ob die Voraussetzungen der
Steuerfreiheit im Übrigen vorlägen - insbesondere, ob es
sich um eine allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung
handele -, entscheide die Finanzbehörde jedoch in eigener
Zuständigkeit. Grundlagenbescheide seien nach der
Legaldefinition des § 171 Abs. 10 AO alle
Feststellungsbescheide, Steuerbescheide und alle anderen
Verwaltungsakte, die für die Festsetzung einer Steuer bindend
seien. Bindungswirkung habe ein Verwaltungsakt aber nur, wenn die
Bindungswirkung durch Gesetz ausdrücklich angeordnet sei.
Bloße Zuständigkeitsvorschriften oder die allgemeine
Verpflichtung der Behörden, die von anderen
Verwaltungsbehörden erlassenen Verwaltungsakte zu beachten,
reichten für die Annahme eines Grundlagenbescheids nicht aus.
Im Streitfall komme der maßgeblichen Bescheinigung nur
insoweit Grundlagencharakter zu, als die Finanzbehörden an die
Feststellung gebunden seien, dass eine Einrichtung auf einen Beruf
oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen
Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß
vorbereite. Eine weiter gehende Bindungswirkung, die eine
Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO
zuließe, komme der Bescheinigung nicht zu.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Der Umsatzsteuerbescheid 2004 sei
gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, da es
sich bei der Bescheinigung des Niedersächsischen MWK um einen
Grundlagenbescheid handele. Auch Bescheide anderer Behörden,
die keine Finanzbehörden seien, könnten
Grundlagenbescheide sein, wie die Rechtsprechung zu
Schwerbehindertenausweisen zeige. Da die Bescheinigung nach §
4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG Tatbestandsmerkmal
für die Umsatzsteuerbefreiung sei, komme der Bescheinigung
rechtliche Außenwirkung zu.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Leistungen des Klägers
sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb i.V.m. Buchst.
a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei und der bestandskräftige
Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 19.9.2005 war nach § 175 Abs. 1
Nr. 1 AO zu ändern, weil es sich bei der Bescheinigung des
Niedersächsischen MWK vom 27.7.2006 um einen
Grundlagenbescheid handelte.
1. Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 21
UStG
„a)
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die unmittelbar dem Schul- und
Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer
allgemein bildender oder berufsbildender Einrichtungen,
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aa)
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wenn sie als Ersatzschulen gemäß
Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach
Landesrecht erlaubt sind oder
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bb)
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wenn die zuständige Landesbehörde
bescheinigt, daß sie auf einen Beruf oder eine vor einer
juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende
Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten,
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b)
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die unmittelbar dem Schul- und
Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger
Lehrer
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aa)
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an Hochschulen im Sinne der §§ 1
und 70 des Hochschulrahmengesetzes und öffentlichen allgemein
bildenden oder berufsbildenden Schulen oder
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bb)
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an privaten Schulen und anderen allgemein
bildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit diese die
Voraussetzungen des Buchstabens a erfüllen;“.
|
Die Vorschrift beruhte im Streitjahr 2004
gemeinschaftsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j
der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG. Steuerfrei waren danach
„i)
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die Erziehung von Kindern und Jugendlichen,
den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die
Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng
verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen
durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen
Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem
betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer
Zielsetzung;
|
|
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j)
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den von Privatlehrern erteilten Schul- und
Hochschulunterricht“.
|
2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die
Steuerfreiheit der durch den Kläger erbrachten Leistungen nach
§ 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb i.V.m. Buchst. a
Doppelbuchst. bb UStG bejaht.
a) Der Kläger erbrachte als
selbständiger Lehrer unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck
dienende Leistungen im Sinne des Einleitungssatzes von § 4 Nr.
21 Buchst. b UStG. Nach den Feststellungen des FG unterrichte der
Kläger als selbständiger Lehrer Kurse in
unterschiedlichen Instrumentenfächern. Es handelte sich
hierbei - wie das FG zutreffend entschieden hat - um unmittelbar
den Schul- und Bildungszweck dienende Unterrichtsleistungen, da der
Musikunterricht ein geistiges Gut vermittelt, das Gegenstand der
Allgemeinbildung ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
3.5.1989 V R 83/84, BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815 = SIS 89 18 29, unter II. 2. d). Es kommt im Übrigen nicht darauf an, ob
die jeweilige Unterrichtsleistung auf eine Berufsausbildung oder
Prüfung vorbereitet (BFH-Urteile in BFHE 157, 458, BStBl II
1989, 815 = SIS 89 18 29, unter II. 2. d, und vom 10.1.2008 V R
52/06, BFHE 221, 295, UR 2008, 276 = SIS 08 12 03, unter II. 2. a
aa; vgl. auch Urteil des Gerichtshofes der Europäischen
Gemeinschaften - EuGH - vom 14.6.2007 Rs. C-434/05, Horizon
College, Slg. 2007, I-4793, BFH/NV Beilage 2007, 389, UR 2007, 587
= SIS 07 34 67 Rn. 26).
b) Der Kläger war auch - wie von § 4
Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG vorausgesetzt - an einer
privaten Schule tätig, die die Voraussetzungen des § 4
Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG erfüllt. Zwar ergibt
sich dies entgegen dem FG-Urteil nicht aus der durch das
Niedersächsische MWK für den Kläger selbst erteilten
Bescheinigung vom 27.7.2006. Nach der durch das
Niedersächsische MWK darüber hinaus für die
Musikschule selbst erteilten Bescheinigung vom gleichen Tag
bereitete jedoch auch die Musikschule mit ihrem Musikunterricht in
den in der Bescheinigung aufgeführten Kursen (wie sie vom
Kläger durchgeführt worden sind) auf die
Aufnahmeprüfung bei Musikfachhochschulen und die
Abiturprüfung vor, so dass es sich bei der Musikschule um eine
berufs- und prüfungsvorbereitende Einrichtung handelte, die
aufgrund dieser Leistungen weiter auch als allgemeinbildend und
berufsbildend anzusehen ist.
3. Das FG hat weiter zutreffend entschieden,
dass der bestandskräftige Umsatzsteuerbescheid auch nach
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aufgrund der Bescheinigung zu
ändern war. Danach ist ein Steuerbescheid zu erlassen,
aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid
(§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen
Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert
wird.
a) Der Umsatzsteuerjahresbescheid vom
19.9.2005 war bestandskräftig, da der Kläger den gegen
diesen Bescheid eingelegten Einspruch zurückgenommen
hatte.
b) Der Bescheid stand nicht unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO). Der Kläger
hatte für das Streitjahr eine
Umsatzsteuer-Jahreserklärung abgegeben, aus der sich eine
Steuerschuld von 0 EUR ergab. Zwar stand diese Steueranmeldung nach
§ 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung gleich, da sie weder zu einer Herabsetzung der
bisher zu entrichtenden Steuer noch zu einer Steuervergütung
führte (§ 168 Satz 2 AO). Bei dem durch das FA erlassenen
Umsatzsteuerbescheid vom 19.9.2005 handelte es sich daher nicht um
einen Erstbescheid, sondern um einen auf § 164 Abs. 2 Satz 1
AO gestützten Änderungsbescheid. Da der Steuerbescheid
vom 19.9.2005 keinen Vorbehalt der Nachprüfung enthielt, galt
jedoch der Vorbehalt der Nachprüfung als aufgehoben. Ein
Steuerbescheid ist nur dann wirksam unter Vorbehalt gestellt, wenn
die Kennzeichnung des Vorbehalts für den Steuerpflichtigen
eindeutig erkennbar ist (z.B. BFH-Urteile vom 2.12.1999 V R 19/99,
BFHE 190, 288, BStBl II 2000, 284 = SIS 00 05 99; vom 15.3.2007 III
R 57/06, BFH/NV 2007, 1461 = SIS 07 23 83). Denn der kraft Gesetzes
für eine Steueranmeldung geltende Vorbehalt der
Nachprüfung entfällt, wenn das FA nach Eingang der
Steuererklärung erstmals einen Steuerbescheid ohne
Nachprüfungsvorbehalt erlässt (BFH-Urteil in BFHE 190,
288, BStBl II 2000, 284 = SIS 00 05 99).
c) Wie das FG zutreffend entschieden hat,
handelt es sich bei der Bescheinigung des Niedersächsischen
MWK um einen Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, der
Grundlage für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO ist.
aa) Die AO definiert in § 171 Abs. 10 AO
den Grundlagenbescheid als einen Verwaltungsakt, der für die
Festsetzung einer Steuer bindend ist, ohne die Voraussetzungen der
Bindungswirkung näher zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung
des BFH ist für die Annahme einer Bindungswirkung
grundsätzlich eine gesetzliche Regelung erforderlich. Ohne
gesetzlich angeordnete Bindungswirkung hat der BFH einen
Grundlagenbescheid nur dort für möglich gehalten, wo
Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels
eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag
(BFH-Entscheidungen vom 10.6.1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl
II 1988, 981 = SIS 88 20 32; vom 11.4.2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399,
BStBl II 2005, 679 = SIS 05 31 02; s. auch Klein/Rüsken, AO,
9. Aufl., § 171 Rz 102; Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Rz 90). Diese Voraussetzungen
sind im Streitfall gegeben. Über die in § 4 Nr. 21
Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG aufgeführte Voraussetzung der
Berufs- oder Prüfungsvorbereitung hat nicht das FA, sondern
die zuständige Landesbehörde in einem gesonderten
Bescheinigungsverfahren zu entscheiden. Die Bescheinigung der
Landesbehörde ist dabei für das FA bindend und der
Nachprüfung durch das FG entzogen (BFH-Urteil in BFHE 157,
458, BStBl II 1989, 815 = SIS 89 18 29, erster Leitsatz). Die durch
die zuständige Landesbehörde zu erteilende Bescheinigung
ist daher ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO
(noch offen gelassen durch BFH-Urteil in BFHE 221, 295, UR 2008,
276 = SIS 08 12 03, unter II. 3.).
bb) Unerheblich ist entgegen der Auffassung
des FA, dass im Bescheinigungsverfahren nur über eine, nicht
aber über alle Voraussetzungen der Steuerfreiheit nach §
4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG zu entscheiden ist.
Nach der Rechtsprechung des BFH steht es dem
Vorliegen eines Grundlagenbescheides i.S. von § 171 Abs. 10 AO
nicht entgegen, dass sich die verbindlichen Feststellungen auf
einzelne Voraussetzungen einer steuerrechtlichen Vorschrift
beschränken (BFH-Urteile vom 15.10.1996 IX R 47/92, BFHE 181,
312, BStBl II 1997, 176 = SIS 97 04 06, unter 1. b zur
Bindungswirkung der Bescheinigung nach § 82i Abs. 2 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung, und vom 21.8.2001 IX
R 20/99, BFHE 196, 191, BStBl II 2003, 910 = SIS 01 13 79, unter
II. 1. b zur Bindungswirkung der Bescheinigung nach § 7h Abs.
2 des Einkommensteuergesetzes). Dass im Bescheinigungsverfahren
nach § 4 Nr. 21 UStG nicht über alle Voraussetzungen der
Steuerfreiheit zu entscheiden ist, spielt daher für das
Vorliegen eines Grundlagenbescheides keine Rolle.
d) Der Korrektur des bestandskräftigen
Steuerbescheides steht auch nicht § 175 Abs. 2 Satz 2 UStG
entgegen. Danach gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage
einer Bescheinigung nicht als rückwirkendes Ereignis. Die
Regelung bezieht sich nur auf die Änderung nach § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Änderung bei rückwirkendem
Ereignis), nicht aber auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
(Änderung bei Grundlagenbescheid) und betrifft daher nur
Bescheinigungen, denen nicht der Charakter eines durch eine
Behörde erlassenen Grundlagenbescheides (§ 171 Abs. 10
AO) zukommt.
4. Die Rückwirkung, die sich aus der im
Streitfall erst nach Entstehen des Steueranspruchs (§ 13 UStG)
erteilten Bescheinigung ergibt, verstößt entgegen der
vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geäußerten
Bedenken (BVerwG-Urteil vom 11.10.2006 10 C 4.06, NJW 2007, 714,
BFH/NV Beilage 2007, 325 = SIS 07 10 30, unter 2.) nicht gegen den
Grundsatz der Rechtssicherheit. Dieser gebietet zwar, dass der
Unternehmer in der Lage sein muss, den Umfang der ihm damit
auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (vgl. EuGH-Urteile
vom 15.12.1987 326/85, NL/Kommission, Slg. 1987, 5091 Rn. 24, und
vom 29.4.2004 C-17/01, Sudholz, Slg. 2004, I-4243 = SIS 04 18 23
Rn. 34). § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG entspricht
jedoch den sich hieraus ergebenden Erfordernissen, da sich aus der
Vorschrift klar und eindeutig ergibt, dass die Steuerfreiheit eine
berufs- oder prüfungsvorbereitende Einrichtung voraussetzt und
dies durch die zuständige Landesbehörde zu bescheinigen
ist. Erfolgt die somit maßgebliche Beurteilung durch die
Landesbehörde und dementsprechend die Erteilung der
Bescheinigung erst nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung,
verstößt dies ebenso wenig gegen den Grundsatz der
Rechtssicherheit wie die - außerhalb des gesonderten
Bescheinigungsverfahrens - durch das FA z.B. im Rahmen einer
Außenprüfung erst nach der Steuerentstehung vorgenommene
Prüfung anderer Voraussetzungen der Steuerfreiheit.