1
|
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie
erwarben mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 18.7.2007 zwei
unsanierte Eigentumswohnungen in L, die im Rahmen der Sanierung
durch eine innenliegende Treppe zusammengelegt wurden. Der
Kaufpreis von 545.000 EUR wurde so aufgeteilt, dass auf das
Grundstück 84.749 EUR, auf die Altbausubstanz 67.799 EUR und
auf die Sanierungskosten 392.452 EUR entfielen. Die Kläger
bezogen im Dezember 2008 die sanierte Wohnung. Aus der dem Vertrag
beigefügten Anlage 3 ergibt sich, dass im Dachbereich ein
Atrium statt einer Dachterrasse erstellt werden sollte. Mit
Eingangsbestätigung vom 27.3.2009 teilte das Amt für
Bauordnung und Denkmalpflege der Stadt L (Denkmalbehörde) mit,
ein Antrag der Kläger auf Ausstellung einer Bescheinigung
gemäß §§ 7i, 10f und 11b des
Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 2008 geltenden Fassung
(EStG) sei am 25.3.2009 eingegangen. Die Antragssumme für die
zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an
einem denkmalgeschützten Gebäude belaufe sich auf 392.452
EUR. Außerdem enthält die Eingangsbestätigung den
Hinweis, eine Bestätigung der unteren Denkmalbehörde
liege vor, nach der das erforderliche Abstimmungsverfahren
eingehalten worden sei.
|
|
|
2
|
Die Kläger machten im Streitjahr 2008
Aufwendungen in Höhe von 35.321 EUR als Sonderausgaben
für selbstgenutztes Wohneigentum gemäß § 10f
Abs. 1 EStG geltend. Sie sind der Auffassung, diese Aufwendungen
seien auch ohne Vorlage der erforderlichen Bescheinigung im Wege
der Schätzung zum Sonderausgabenabzug zuzulassen. Aufgrund des
Kaufvertrages könne der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) ohne Weiteres die Höhe der von den
Klägern aufgewendeten Sanierungskosten ermitteln. Die
Einsichtnahme in die Denkmalliste zeige, dass die Wohnung in einem
denkmalgeschützten Gebäude liege. Es bestehe für das
FA auch die Möglichkeit, in die Unterlagen der
Denkmalbehörde Einsicht zu nehmen. Anhaltspunkte dafür,
dass der Erwerb zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in dem die
Sanierung schon teilweise oder gar vollständig abgeschlossen
gewesen sei, lägen nicht vor. Es sei ihnen, den Klägern,
nicht zuzumuten, wegen einer mehrere Jahre dauernden Bearbeitung
ihres Antrags durch die Denkmalbehörde auf den
Sonderausgabenabzug in dieser Zeit zu verzichten.
|
|
|
3
|
Das FA lehnte den geltend gemachten
Sonderausgabenabzug sowohl bei der Einkommensteuerveranlagung als
auch im Einspruchsverfahren ab. Die gemäß § 10f
Abs. 1 i.V.m. § 7i EStG gesetzlich vorgeschriebene
Bescheinigung der zuständigen Denkmalbehörde sei unter
Berücksichtigung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
22.9.2005 IX R 13/04 (BFHE 215, 158, BStBl II 2007, 373 = SIS 06 44 45) eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die
Gewährung der Steuervergünstigung. Soweit der BFH meine,
die Finanzbehörde müsse gemäß § 155 Abs.
2 i.V.m. § 162 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) von ihrem
Ermessen Gebrauch machen und prüfen, ob und gegebenenfalls in
welcher Höhe ein Abzugsbetrag vorläufig zu
berücksichtigen sei, habe die Ermessensausübung im
vorliegenden Fall zu dem Ergebnis geführt, dass eine
vorläufige Berücksichtigung der Sanierungsaufwendungen
nicht in Betracht komme. Ihm, dem FA, sei zwar bekannt gewesen,
dass ein Antrag auf Erteilung der Bescheinigung gestellt worden sei
und sich aus dem Kaufvertrag Sanierungskosten in Höhe von
392.452 EUR ergäben. Es könne aber nicht erkennen, welche
konkreten Baumaßnahmen hiervon betroffen seien und wie sich
die Kosten hierauf im Einzelnen verteilten. Auch könne
aufgrund der fehlenden Sachkunde nicht ausgeschlossen werden, dass
es sich bei den beantragten Aufwendungen um nicht begünstigte
Sanierungskosten handele.
|
|
|
4
|
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
dem in EFG 2012, 1001 = SIS 12 12 06 veröffentlichten Urteil
überwiegend statt.
|
|
|
5
|
Seine Revision begründet das FA mit
der Verletzung des § 7i EStG i.V.m. § 155 Abs. 2 und
§ 162 Abs. 5 AO. Das FG habe nicht erkannt, dass das FA im
Streitfall keine Schätzungsbefugnis gehabt habe. Ressortfremde
Grundlagenbescheide fielen nicht in den Anwendungsbereich der
§§ 155 Abs. 2 und 162 Abs. 5 AO. Sinn und Zweck dieser
Regelungen sei die Erleichterung und Beschleunigung des
Steuerfestsetzungsverfahrens gewesen. Um dies zu erreichen, sei
davon auszugehen, dass die Begriffe „Festsetzungs- und
Feststellungsverfahren“ nur die Verfahren der
Finanzbehörde meinten, aus denen sich numerische
Besteuerungsgrundlagen ergäben, die von dem
Veranlagungsbeamten nur noch übernommen werden
müssten.
|
|
|
6
|
Die mit der Bescheinigung der
Denkmaleigenschaft eines Gebäudes verbundene Prüfung
obliege originär den Denkmalschutzbehörden. Ob ein
Gebäude oder einzelne Gebäudeteile diese Merkmale
aufwiesen und welche der getätigten Aufwendungen
begünstigt seien, könne von einem Steuerbeamten nicht
fehlerfrei beantwortet werden. In jedem Fall sei es sehr
zeitaufwändig, sich mit den Aufgaben anderer Fachbehörden
zu befassen und zu einer eigenen Entscheidung zu gelangen. Die
Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, über die
abschließend in Grundlagenbescheiden ressortfremder
Behörden entschieden werde, stehe daher im Widerspruch zu dem
in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Zweck der
neu eingefügten Vorschriften.
|
|
|
7
|
Die verfahrensrechtliche Situation bei der
Gewerbesteuer sei insoweit vergleichbar. Solange die
Verwaltungsbefugnis hinsichtlich des Messbetragsverfahrens ihnen
nicht übertragen worden sei, dürften die Gemeinden die
Bemessungsgrundlagen auch nicht schätzen.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
9
|
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
10
|
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten und unterstützt das Vorbringen
des FA. Das FG habe dem Umstand, dass die nach § 7i Abs. 2
EStG für die Gewährung erhöhter Abschreibungen
erforderliche Bescheinigung materiell-rechtliche
Tatbestandsvoraussetzung sei, bei seiner Entscheidung nicht
hinreichend Rechnung getragen. Den Finanzbehörden sei es
mangels eigener Sachkunde nicht möglich zu
überprüfen, ob die Maßnahmen gemäß der
§§ 7h und 7i EStG durchgeführt worden seien.
|
|
|
11
|
Gemäß § 38 AO
entständen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis,
wenn der Tatbestand verwirklicht sei, an den das Gesetz die
Leistungspflicht knüpfe. Liege die tatbestandlich
erforderliche Bescheinigung (noch) nicht vor, sei folglich auch
(noch) kein Anspruch auf die Steuervergünstigung entstanden.
Diese fehlende Tatbestandsvoraussetzung könne nicht
geschätzt werden.
|
|
|
12
|
Das FG berufe sich zwar auf den
Senatsbeschluss vom 20.7.2010 X B 70/10 (BFH/NV 2010, 2007 = SIS 10 31 89), nach dem auch qualitative Besteuerungsgrundlagen
gemäß § 162 Abs. 5 AO dem Grunde nach
geschätzt werden könnten. Geschätzt werden
könnten aber nur messbare Sachverhalte und Vorgänge;
Besteuerungsvorgänge also nur insoweit, als sie
Quantitäten zum Gegenstand hätten. Ob nach den jeweiligen
landesrechtlichen Vorschriften ein Baudenkmal vorliege, lasse sich
durch die Finanzbehörden nicht schätzen; allenfalls sei
die Höhe der Aufwendungen schätzbar.
|
|
|
13
|
Auch die systematischen Erwägungen des
FG überzeugten nicht, um die Schätzungsbefugnis nach
§ 162 Abs. 5 AO auch auf materiell-rechtliche
Tatbestandsvoraussetzungen auszudehnen. Es sei anerkannt, dass nach
§ 162 Abs. 1 und 2 AO nur quantitative Größen,
nicht aber qualitative Merkmale geschätzt werden könnten.
Wenn als Begründung für eine Ausdehnung der
Schätzungsbefugnis auf die Besteuerungsgrundlagen geltend
gemacht werde, die Schätzung nach § 162 Abs. 1 und 2 AO
sei „endgültig“, während die Schätzung
gemäß § 162 Abs. 5 AO lediglich
„vorläufig“ erfolge (so Seer in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 162 AO Rz 87),
könne dieser Ansatz insbesondere in diesem Falle nicht
überzeugen. Sollte nämlich die zuständige
Denkmalbehörde überhaupt nicht entscheiden oder den
Antrag ablehnen, sei fraglich, ob und wann die Finanzbehörde
davon erfahre. Hätte in einem solchen Fall die
Finanzbehörde die Sanierungskosten bereits geschätzt und
bliebe das FA in Unkenntnis der Ablehnung des Antrags,
bestünde die Gefahr, dass die steuerbegünstigende
Schätzung der Tatbestandsvoraussetzungen zu Unrecht
fortbestehe.
|
|
|
14
|
Folge man der Vorinstanz und dem
Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2007 = SIS 10 31 89, bleibe es der
Finanzverwaltung verwehrt, in eigener Zuständigkeit eine
Schätzung von Tatbestandsmerkmalen vorzunehmen, während
sie im fachfremden Bereich qualitative Besteuerungsgrundlagen
schätzen müsse, obgleich der Gesetzgeber bewusst die
Expertise anderer besonders sachkundiger Behörden vorsehe. Es
sei damit sachwidrig, in dieser Situation der Finanzverwaltung eine
besondere Schätzungskompetenz zuzubilligen. Dies zeigten auch
andere Beispiele aus dem Einkommensteuerrecht. So sei unumstritten,
dass die Pauschbeträge für behinderte Menschen nach
§ 33b EStG nur dann gewährt werden dürften, wenn die
nach § 33b Abs. 7 EStG i.V.m. § 65 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vorgeschriebenen
Nachweise erbracht würden.
|
|
|
15
|
Der Bescheinigung der zuständigen
Denkmalbehörde, auf deren Gültigkeit weitgehend gebaut
werden könne, werde im Funktionsgebilde des § 7i EStG
eine überragende Bedeutung beigemessen (vgl. z.B. Senatsurteil
vom 24.6.2009 X R 8/08, BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960 = SIS 09 26 28). Auch vor diesem Hintergrund könne die Bescheinigung
nicht mit der Folge ersetzt werden, dass die Finanzbehörde
verpflichtet werde, sich im Wege der Schätzung
denkmalschutzrechtlichen Fragen zu widmen.
|
|
|
16
|
Den Klägern obliege es, den
tatbestandlich in § 7i Abs. 2 EStG festgeschriebenen Nachweis
zu erbringen. Auch eine Verteilung der Beweislast nach Sphären
führe zu diesem Ergebnis, denn es liege in den Händen des
Steuerpflichtigen, die erforderliche Bescheinigung zu erwirken.
Hierdurch komme es auch nicht zu unsachgemäßen
Ergebnissen. Denn sobald die erforderliche Bescheinigung vorliege,
könne über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auch ein
bereits bestandskräftiger Steuerbescheid geändert werden.
Den Klägern drohe also kein endgültiger Verlust ihres
Anspruchs auf erhöhte Absetzungen.
|
|
|
17
|
II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§
126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
18
|
Das Verfahren ist nicht auszusetzen (dazu
unter 1.). Die Voraussetzungen zum Abzug der von den Klägern
geltend gemachten Sanierungsaufwendungen gemäß §
10f Abs. 1 i.V.m. § 7i Abs. 1 EStG lagen im Zeitpunkt des
finanzgerichtlichen Urteils (noch) nicht vor (unter 2.), so dass
das FA vor Ablehnung der Berücksichtigung der
Sanierungsaufwendungen im Rahmen seines pflichtgemäßen
Ermessens zu prüfen hatte, ob und in welcher Höhe der
Abzugsbetrag gemäß § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162
Abs. 5 AO bereits vor dem Erlass der Bescheinigung der
Denkmalbehörde anzusetzen war (unter 3.). Die Entscheidung des
FA, im Streitfall die Sanierungsaufwendungen nicht bereits
gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO zu
berücksichtigen, ist ermessensgerecht (unter 4.).
|
|
|
19
|
1. Das Verfahren war nicht gemäß
§ 74 FGO auszusetzen. Nach ständiger Rechtsprechung des
BFH ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig,
dass das Gericht den Streit um die Rechtmäßigkeit eines
Folgebescheides aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der
angegriffene Grundlagenbescheid geändert wird. Das gilt auch,
wenn die Finanzbehörde zunächst einen Folgebescheid
erlassen hat und der Grundlagenbescheid noch nachgeholt werden soll
(vgl. u.a. BFH-Urteil vom 7.11.1996 IV R 72/95, BFH/NV 1997, 574 =
SIS 98 02 97). Nur in seltenen Ausnahmefällen kann deshalb
trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid
eine Fortführung des Verfahrens ermessensgerecht sein (vgl.
BFH-Beschluss vom 3.8.2000 III B 179/96, BFHE 192, 255, BStBl II
2001, 33 = SIS 01 02 22).
|
|
|
20
|
Eine solche Ausnahmekonstellation ist nach
Ansicht des erkennenden Senats im Streitfall gegeben. Das
Kernproblem liegt in den - kontrovers diskutierten - Fragen, ob die
Finanzbehörde ohne weitere Prüfung den Ansatz von
Sanierungsaufwendungen im Einkommensteuerbescheid verweigern kann,
wenn der Steuerpflichtige Sanierungsaufwendungen gemäß
§§ 10f, 7i EStG geltend macht, ohne die erforderliche
Bescheinigung der Denkmalbehörde zu erbringen, oder ob sie
nicht vielmehr verpflichtet ist, eine Ermessensentscheidung zu
treffen und - falls dies zu bejahen sein sollte - ob sie ihr
Ermessen im Einzelfall auch pflichtgemäß ausgeübt
hat.
|
|
|
21
|
Die Notwendigkeit und die
Ordnungsmäßigkeit der Ermessensausübung können
nur in einem Verfahren gegen den gemäß §§ 155
Abs. 2, 162 Abs. 5 AO erlassenen Folgebescheid gerichtlich
überprüft werden; in einem Verfahren gegen den
Grundlagenbescheid stellen sich diese Fragen überhaupt nicht.
Müsste das Gericht das Verfahren gegen den Folgebescheid
aussetzen, bestünde die Gefahr, dass die genannten
Streitfragen niemals einer gerichtlichen Entscheidung in einem
Hauptsacheverfahren zugeführt würden (zur
Möglichkeit des vorläufigen Rechtsschutzes s.
BFH-Beschluss vom 1.2.2000 IV B 138/98, BFH/NV 2000, 713 = SIS 00 55 38; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69
Rz 55, Stichwort Folgebescheid; s. auch Senatsbeschluss in BFH/NV
2010, 2007 = SIS 10 31 89).
|
|
|
22
|
2. Nach § 7i Abs. 1 EStG in der im
Streitjahr 2008 geltenden Fassung kann der Steuerpflichtige bei
einem im Inland gelegenen Gebäude, das nach den jeweiligen
landesrechtlichen Vorschriften ein Baudenkmal ist, abweichend von
§ 7 Abs. 4 und 5 EStG im Kalenderjahr der Herstellung und in
den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9 % und in den folgenden
vier Jahren bis zu 7 % der Herstellungskosten für
Baumaßnahmen, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des
Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung
erforderlich sind, absetzen. Die erhöhten Absetzungen
können jedoch nur in Anspruch genommen werden, wenn der
Steuerpflichtige die Voraussetzungen des Absatzes 1 für das
Gebäude und die Erforderlichkeit der Aufwendungen durch eine
Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nachweist
(§ 7i Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei der Bescheinigung nach §
7i Abs. 2 EStG handelt es sich um einen Grundlagenbescheid, dessen
verbindliche Feststellungen sich auf die Tatbestände des zum
Landesrecht gehörenden Denkmalrechts beschränken,
nämlich die Denkmaleigenschaft des Gebäudes, sowie
darauf, ob die Aufwendungen nach Art und Umfang zur Erhaltung des
Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung
erforderlich sind (ständige BFH-Rechtsprechung, s. z.B. Urteil
in BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960 = SIS 09 26 28, unter II.3.a,
m.w.N.).
|
|
|
23
|
Im Streitfall konnten die Kläger
lediglich eine Eingangsbestätigung der Denkmalbehörde
vorlegen, in der bestätigt wurde, dass ein Antrag der
Kläger auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß
§§ 7i, 10f und 11b EStG eingegangen sei, die Antragssumme
für die zu bescheinigenden Aufwendungen für
Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten Gebäude
sich auf 392.452 EUR belaufe und eine Bestätigung der unteren
Denkmalbehörde vorliege, nach der das erforderliche
Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei. Dies ist keine
Bescheinigung i.S. von § 7i Abs. 2 Satz 1 EStG, da es an einer
Entscheidung mit verbindlichem Charakter zur Höhe der
berücksichtigungsfähigen Aufwendungen fehlt.
|
|
|
24
|
3. Das FA hatte folglich eine
Ermessensentscheidung zu treffen, ob auch ohne die notwendige
Bescheinigung nach § 7i Abs. 2 EStG der
Einkommensteuerbescheid 2008 gemäß § 155 Abs. 2 AO
zu erlassen sowie ob und in welcher Höhe der geltend gemachte
Abzugsbetrag gemäß § 162 Abs. 5 AO zu
berücksichtigen war.
|
|
|
25
|
a) Gemäß § 155 Abs. 2 AO kann
ein Steuerbescheid auch dann erteilt werden, wenn ein
Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde. Macht das FA von
dieser Möglichkeit im Rahmen seines Ermessens (so FG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.9.1980 1 K 166/80, EFG 1981, 2;
Schuster in Hübschmann/Hepp/ Spitaler - HHSp -, § 155 AO
Rz 44; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., §
155 Rz 47; Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl., § 155 Rz 39;
Frotscher in Schwarz, AO, § 155 Rz 46; v. Wedelstädt in:
Kühn/v.Wedelstädt, 20. Aufl., AO, § 155 Rz 18;
Forchhammer in Leopold/Madle/Rader AO, § 155, Rz 24) Gebrauch
und erlässt vor Ergehen des Grundlagenbescheides - wie im
Streitfall - einen Einkommensteuerbescheid, muss es alle
betroffenen Besteuerungsgrundlagen (also auch alle Sonderausgaben)
berücksichtigen und selbst überprüfen (s.
BFH-Beschluss vom 24.2.1981 VIII B 14/78, BFHE 132, 402, BStBl II
1981, 416 = SIS 81 15 39; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., §
155 Rz 41). Dies folgt aus dem Untersuchungsgrundsatz des § 88
Abs. 2 AO, wonach die Finanzbehörde alle für den
Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten
günstigen Umstände zu berücksichtigen hat
(BFH-Beschluss in BFHE 132, 402, BStBl II 1981, 416 = SIS 81 15 39,
unter 2.b).
|
|
|
26
|
b) Lassen sich die Besteuerungsgrundlagen
nicht ohne Weiteres ermitteln, können die
feststellungsbedürftigen Voraussetzungen nach § 162 Abs.
5 AO geschätzt werden. Die Ermessensausübung der
Finanzbehörde bezieht sich damit zum einen gemäß
§ 155 Abs. 2 AO auf den Zeitpunkt, zum anderen
gemäß § 162 Abs. 5 AO auch auf den Inhalt der
Steuerfestsetzung (so auch Schuster in HHSp, § 155 Rz 44). Die
Frage, ob gemäß § 155 Abs. 2 AO ein Folgebescheid
zu erlassen ist und - wenn ja - in welcher Höhe die noch nicht
durch einen Grundlagenbescheid festgestellten (positiven oder
negativen) Einkünfte nach § 162 Abs. 5 AO anzusetzen
sind, kann nur einheitlich beantwortet werden, so dass insgesamt
nur eine Ermessensentscheidung vorliegt.
|
|
|
27
|
c) Die Befugnis zur Schätzung nach §
162 Abs. 5 AO hat damit einen anderen rechtlichen Hintergrund als
die Schätzung nach § 162 Abs. 1 und 2 AO. Während
die letztgenannte Schätzung notwendig wird, wenn sich die
Finanzbehörde oder das Gericht nicht in der Lage sehen,
bestimmte Besteuerungsgrundlagen konkret und präzise zu
ermitteln, ist die Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO die
Antwort auf die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die
Finanzbehörde ihr Ermessen in dem Sinne ausübt, dass sie
bereits nach § 155 Abs. 2 AO einen Folgebescheid erlässt,
obwohl ein Grundlagenbescheid noch aussteht.
|
|
|
28
|
Während nach § 162 Abs. 1 und 2 AO
nur quantitative Größen, nicht aber qualitative
Besteuerungsmerkmale geschätzt werden können, umfasst die
Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 5 AO alle in einem
Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen. Sie
knüpft damit in systematischer Hinsicht nicht an die
Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 und 2 AO an. Deshalb
können die Besteuerungsgrundlagen nicht nur der Höhe,
sondern auch dem Grunde nach geschätzt werden (so die
Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2010, 2007 = SIS 10 31 89; vom
18.7.2012 X S 19/12, BFH/NV 2012, 2008 = SIS 12 30 14, und vom
29.8.2012 X R 5/12, BFH/NV 2013, 53 = SIS 12 33 04; FG
Nürnberg, Urteil vom 26.9.2012 3 K 723/12, EFG 2013, 100 = SIS 13 00 18; FG Münster, Urteil vom 29.8.2012 11 K 977/12 E, EFG
2012, 2194 = SIS 12 28 86; Sächsisches FG, Entscheidungen vom
11.1.2012 2 K 1416/11, EFG 2012, 1633 = SIS 12 14 48; vom
14.11.2011 4 V 989/11, DStRE 2012, 530 = SIS 11 38 54, und vom
5.6.2012 1 V 262/12, EFG 2012, 1883 = SIS 12 20 84; Seer, a.a.O.,
§ 155 AO Rz 29 und § 162 Rz 87; Buciek in Beermann/Gosch,
AO § 162 Rz 278; Cöster, a.a.O., § 162 Rz 92;
Rüsken, a.a.O., § 162 Rz 55; wohl auch Forchhammer,
§ 162 Rz 51; a.A. Frotscher, a.a.O., § 162 Rz 8 und
65).
|
|
|
29
|
d) Die vorstehenden Grundsätze gelten
auch im Rahmen der §§ 10f, 7i EStG, so dass die
Finanzbehörde bei noch fehlender Bescheinigung der
Denkmalschutzbehörde im Rahmen ihres Ermessens zu entscheiden
hat, ob und in welcher Höhe sie die geltend gemachten
Sanierungsaufwendungen bereits in ihrem Folgebescheid
berücksichtigt (so Senatsbeschlüsse in BFH/NV 2010, 2007
= SIS 10 31 89; in BFH/NV 2012, 2008 = SIS 12 30 14, und in BFH/NV
2013, 53 = SIS 12 33 04; FG Nürnberg in EFG 2013, 100 = SIS 13 00 18; FG Münster in EFG 2010, 2194; Sächsisches FG in
EFG 2012, 1633 = SIS 12 14 48, und in EFG 2012, 1883 = SIS 12 20 84; Schmidt/Kulosa, EStG, 33. Aufl., § 7i Rz 7; Kaligin in
Lademann, EStG, § 7i EStG Rz 45a; Kleeberg, in:
Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 7i Rz C 6; Lambrecht
in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 7i Rz 6; Kratzsch in
Frotscher, EStG, § 7i Rz 43; Bartone in Korn, § 7i EStG
Rz 15; Blümich/Erhard, § 7i EStG Rz 44; a.A.
Finanzverwaltung, vgl. z.B. Landesamt für Steuern Bayern,
Verfügung vom 22.7.2011 - S 2198 b.2.1 - 9/9 St 32, DStR 2011,
1761; v. Wedelstädt, AO-Steuerberater 2014, 150).
|
|
|
30
|
Das bedeutet aber nicht, dass die
Finanzbehörde trotz fehlenden Grundlagenbescheides (im
Streitfall Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde) die
Aufwendungen - vorläufig - ansetzen muss: Sie hat lediglich
ihr Ermessen auszuüben, ob sie überhaupt einen
Folgebescheid bereits erlassen will sowie ob und in welcher
Höhe sie die noch fehlenden Grundlagen übernehmen will
bzw. aus welchen Gründen sie davon absieht. Falls die
Finanzbehörde von der Steuererklärung des
Steuerpflichtigen abweichen will, muss sie überprüfbar
darlegen, aus welchem Grund die Anerkennung versagt werden soll (so
bereits Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2007 = SIS 10 31 89, unter
II.2.c bb).
|
|
|
31
|
e) Die vom FA und BMF hiergegen geltend
gemachten Gründe überzeugen den erkennenden Senat
nicht.
|
|
|
32
|
aa) Weder dem Wortlaut des § 155 Abs. 2
AO noch dem des § 162 Abs. 5 AO ist eine Eingrenzung des
Anwendungsbereichs auf die Grundlagenbescheide, die von der
Finanzverwaltung erlassen werden, zu entnehmen.
|
|
|
33
|
Gemäß § 162 Abs. 5 AO
können die „in einem Grundlagenbescheid
festzustellenden Besteuerungsgrundlagen“ geschätzt
werden. Davon sind alle in einem Grundlagenbescheid feststellbaren
Besteuerungsgrundlagen umfasst. Dies sind nicht nur quantitative
Feststellungen, sondern insbesondere bei ressortfremden
Grundlagenbescheiden auch qualitative Feststellungen. Das zeigt
eindrücklich der im Streitfall relevante Grundlagenbescheid
nach § 7i Abs. 2 EStG, dessen verbindliche Feststellungen sich
auf die Tatbestände des zum Landesrecht gehörenden
Denkmalrechts beschränken, nämlich die Denkmaleigenschaft
des Gebäudes, sowie darauf, ob die Aufwendungen nach Art und
Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu
seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind (vgl. Senatsurteil in
BFHE 225, 431, BStBl II 2009, 960 = SIS 09 26 28, unter
II.3.a).
|
|
|
34
|
bb) Auch die Entstehungsgeschichte beider
Vorschriften lässt keine Rückschlüsse auf eine
Eingrenzung der Schätzungsbefugnis auf quantitative
Besteuerungsgrundlagen und die Ausgrenzung ressortfremder
Grundlagenbescheide zu.
|
|
|
35
|
Die Regelungen wurden auf Vorschlag des
Bundesrates durch das Gesetz zur Änderung des
Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und
anderer Gesetze vom 20.8.1980 (BGBl I 1980, 1545) in die
Abgabenordnung eingefügt. Grund war, dass die Finanzämter
in der damaligen Praxis beim Erlass von Folgebescheiden häufig
mit geschätzten Werten gearbeitet hatten, wenn ein an sich
erforderlicher Grundlagenbescheid (z.B. über Verlustanteile,
Einheitswerte usw.) noch nicht vorlag. An der Zulässigkeit
dieses Verfahrens hatte der BFH jedoch in dem Urteil vom 17.5.1978
I R 50/77 (BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579 = SIS 78 03 22)
Zweifel geäußert, so dass von Seiten des Bundesrates
befürchtet wurde, die allgemeine Bestätigung dieser
Zweifel würde zu erheblichen Verzögerungen bei der
Steuerfestsetzung führen. Dies hätte - laut Bundesrat -
einerseits schwerwiegende Verzögerungen im Steuereingang und
damit vorübergehende Einnahmeausfälle zur Folge gehabt.
Andererseits weist der Bundesrat aber auch ausdrücklich darauf
hin, dass in vielen Fällen Steuerpflichtige mit Anspruch auf
Abschreibungen nach § 7b EStG a.F. nicht mehr zur
Einkommensteuer veranlagt werden könnten, bevor nicht der
Einheitswert des Gebäudes festgestellt worden sei. Dies
würde zu steuerpolitisch nicht vertretbaren Verzögerungen
im Erstattungsverfahren führen (vgl. BTDrucks 8/3648, 35). Zur
Behebung der bestehenden Rechtsunsicherheiten werde durch
Änderungen des § 155 Abs. 2 AO klargestellt, dass ein
Steuerbescheid auch dann erteilt werden könne, wenn in einem
Grundlagenbescheid gesondert festzustellende Besteuerungsgrundlagen
noch nicht festgestellt seien. Korrespondierend damit habe in
§ 162 Abs. 3 AO (jetzt § 162 Abs. 5 AO) auch klarstellend
geregelt werden müssen, dass die Finanzbehörde - wie
bisher in der Praxis - diese Besteuerungsgrundlagen schätzen
könne (BTDrucks 8/3648, a.a.O.).
|
|
|
36
|
Die Gesetzgebungsmaterialien nennen zwar nur
Grundlagenbescheide, die von anderen Finanzbehörden
festgestellt werden, schließen aber ressortfremde
Grundlagenbescheide nicht aus. Das in der Gesetzesbegründung
aufgeführte Beispiel zeigt zudem, dass die nunmehr gesetzliche
Normierung der Schätzungsbefugnis nicht nur der schnelleren
Steuererhebung dienen, sondern ebenfalls dadurch zugunsten des
Steuerpflichtigen wirken sollte, dass dieser zeitnah
Abschreibungsmöglichkeiten nutzen kann.
|
|
|
37
|
cc) Auch die vom BMF vorgebrachten
systematischen Gründe erfordern keine Eingrenzung des
Anwendungsbereichs der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO auf
Grundlagenbescheide der Finanzbehörden.
|
|
|
38
|
(1) Das BMF äußert zunächst
Bedenken, dass es der Finanzverwaltung bei Zugrundelegung der
Senatsrechtsprechung verwehrt sei, in eigener Zuständigkeit
nicht numerische Tatbestandsmerkmale zu schätzen, während
sie im fachfremden Bereich qualitative Besteuerungsgrundlagen
schätzen müsse. Das BMF übersieht dabei jedoch, dass
sich die - auch die qualitative Merkmale umfassende -
Schätzungsbefugnis gemäß §§ 155 Abs. 2,
162 Abs. 5 AO unterschiedslos auf alle Grundlagenbescheide bezieht.
Eine Ungleichbehandlung von ressortfremden Grundlagenbescheiden mit
denen anderer Finanzbehörden ist damit nicht erkennbar.
|
|
|
39
|
(2) Die Überlegung des BMF, die
Schätzung nach §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO sei
nicht in allen Fällen als lediglich vorläufig anzusehen,
sondern könne auch zur Folge haben, dass die
steuerbegünstigende Schätzung der
Tatbestandsvoraussetzungen zu Unrecht fortbestehe, wenn
nämlich die zuständige (ressortfremde) Behörde
überhaupt nicht entscheide oder den Antrag ablehne und die
Finanzbehörde davon nicht oder verspätet erfahre, kann im
Ergebnis nicht zur Versagung der Schätzungsbefugnis
führen.
|
|
|
40
|
Zum einen ist darauf zu verweisen, dass dieses
- nicht wünschenswerte - Ergebnis die mögliche Folge der
Regelungen der §§ 155 Abs. 2 AO, 162 Abs. 5 AO ist. Zum
anderen kann die Finanzverwaltung den nicht mehr änderbaren
Ansatz von materiell unrichtigen Besteuerungsgrundlagen dadurch
vermeiden, dass sie von der Möglichkeit Gebrauch macht, den
auf §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO gestützten
Steuerbescheid im Hinblick auf die geschätzten
Besteuerungsgrundlagen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO
für vorläufig zu erklären. Damit kann die
Finanzbehörde dann, wenn der Grundlagenbescheid nicht erlassen
wird, gemäß § 165 Abs. 2 Satz 1 AO die im
„vorauseilenden Folgebescheid“ (Buciek, a.a.O.,
§ 162 Rz 282) erfolgte Schätzung korrigieren und die
geschätzten Besteuerungsgrundlagen, hier die
Sanierungsaufwendungen, wieder außer Ansatz lassen (vgl. auch
Buciek, a.a.O., § 162 Rz 282 und § 165 Rz 22). Die durch
§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO ermöglichte anderweitige
Festsetzung setzt nicht den Wegfall der Ungewissheit voraus,
sondern ergeht im Regelfall unter Fortbestand der
tatsächlichen Ungewissheit (vgl. BFH-Beschluss vom 20.7.2004
XI B 189/03, BFH/NV 2005, 206 = SIS 05 07 73, unter 2.a).
|
|
|
41
|
(3) Es spricht ebenfalls nicht gegen die
Anwendung der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO, dass in
diesem Verfahrensstadium eine andere Behörde als die
gesetzlich vorgesehene eine Besteuerungsgrundlage (vorläufig)
schätzt. Auch dies ist die Konsequenz der gesetzlich
vorgesehenen Möglichkeit, nach § 155 Abs. 2 AO
„vorauseilende Folgebescheide“ zu erlassen. Dass
es in Ausnahmefällen, wie bei der Gewerbesteuer
gemäß Art. 108 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes, nicht
möglich ist, von §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO
Gebrauch zu machen, ändert nichts an dem grundsätzlichen
Befund.
|
|
|
42
|
dd) Es bedarf keiner teleologischen Reduktion
der §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO dergestalt, dass
ressortfremde Grundlagenbescheide nicht in den Anwendungsbereich
dieser Vorschriften fallen.
|
|
|
43
|
Dem FA und dem BMF ist zwar zuzugeben, dass
sich der Gesetzgeber bewusst dazu entschieden hat, die Kompetenz
von Fachbehörden außerhalb der Finanzverwaltung in die
Beurteilung von bestimmten Sachverhalten einzubeziehen, um sowohl
der Finanzverwaltung die Handhabung zu erleichtern als auch sie
für den Steuerpflichtigen berechenbar auszugestalten (vgl.
dazu z.B. BFH-Urteil vom 21.2.2013 V R 27/11, BFHE 240, 487, BStBl
II 2013, 529 = SIS 13 14 72, unter Rz 32). Eine Schätzung der
„ressortfremden“ Besteuerungsgrundlagen
gemäß § 162 Abs. 5 AO erfordert daher eine nicht
unerhebliche Anstrengung.
|
|
|
44
|
Es ist jedoch zu bedenken, dass der Erlass des
Folgebescheides vor dem Ergehen des Grundlagenbescheides verbunden
mit der gemäß § 162 Abs. 5 AO möglichen
Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eine
Ermessensentscheidung der Finanzbehörde ist. Bei der
Ausübung dieses Ermessens, nämlich der Entscheidung, ob
und wie sie ihr Ermessen ausübt, kann und muss die
Finanzbehörde berücksichtigen, dass die Schätzung
von nichtsteuerlichen Sachverhalten mangels Sachkenntnis schwierig
sein kann. Diese Schwierigkeiten allein können indes nicht
dazu führen, es der Finanzbehörde generell zu verwehren,
auf eine Steuerveranlagung vor dem Erlass des ressortfremden
Grundlagenbescheides zu verzichten bzw. es ihr zu gestatten, die
ressortfremden Besteuerungsgrundlagen bei einer
„vorauseilenden Veranlagung“ von vornherein
überhaupt nicht anzusetzen.
|
|
|
45
|
ee) Eine teleologische Reduzierung der
§§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO ist auch nicht insoweit
vorzunehmen, dass diese Vorschriften in den Fällen nicht
anwendbar sind, in denen durch das Grundlagenverfahren selbst
Nachweise geschaffen werden, die ihrerseits materiell-rechtliche
Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung sind.
|
|
|
46
|
Zwar weisen das FA und das BMF insoweit zu
Recht auf § 38 AO hin und darauf, dass bei dem
(Noch-)Nichtvorliegen einer tatbestandlich erforderlichen
Bescheinigung (noch) kein Anspruch auf die Steuervergünstigung
entstanden ist (BFH-Urteil vom 10.8.1994 II R 103/93, BFHE 175,
288, BStBl II 1994, 951 = SIS 94 23 13; vgl. auch zu den bei §
162 Abs. 1 und 2 AO unbestrittenen Schätzungsverboten Buciek,
a.a.O., § 162 Rz 90; Cöster, a.a.O., § 162, Rz 95
f.; Seer, a.a.O., § 162 Rz 90 f.). Auf der anderen Seite
ermöglicht es aber § 155 Abs. 2 AO, einen Folgebescheid
vor dem Ergehen eines Grundlagenbescheides zu erlassen.
|
|
|
47
|
Damit stehen sich in der Konstellation, in dem
die Bescheinigung ein Grundlagenbescheid ist, zwei Rechtspositionen
gegenüber, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Auf der
einen Seite ist die Verfahrensvereinfachung für die
Finanzbehörde zu bedenken, die lediglich das Vorhandensein der
entsprechenden Bescheinigung einer sachnäheren Behörde zu
prüfen hat. Auf der anderen Seite muss der berechtigte
Anspruch des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, bei
Vorlage aller erforderlichen Belege die beantragte
Steuervergünstigung auch zeitnah in der Steuerveranlagung
berücksichtigt zu wissen.
|
|
|
48
|
Nach Auffassung des erkennenden Senats kann
diese Interessenkollision nicht dazu führen, dass für die
Finanzverwaltung überhaupt keine Möglichkeit besteht,
einen „vorauseilenden Folgebescheid“ mit einer
(vorläufigen) Berücksichtigung der noch nicht
nachgewiesenen Besteuerungsgrundlage zu erlassen. Wie bereits
dargestellt, kann die Finanzbehörde im Rahmen ihres Ermessens
die unterschiedlichen Interessenlagen (z.B. Schwierigkeit der
Ermittlung, Bedeutung der Bescheinigung für den
Steuerpflichtigen, Verhalten der anderen Behörde u.ä.) im
Einzelfall abwägen und auch zu dem Ergebnis kommen, dass sie
mangels Nachweises die angestrebte Steuervergünstigung bis zum
Erlass eines Grundlagenbescheides vorläufig nicht
berücksichtigen will. Sie hat dies lediglich nachvollziehbar
darzulegen.
|
|
|
49
|
Für das vom Senat gefundene
Abwägungsergebnis spricht zudem, dass ein Steuerpflichtiger -
falls §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO in einer solchen
Konstellation nicht anwendbar wären - dadurch schlechter
gestellt wäre, dass die Sachverhaltsmerkmale, die zu einer
Steuervergünstigung führen, in einem separaten Verfahren
einer ressortfremden Behörde geprüft werden und er auf
deren Grundlagenbescheid (ggf. lange) zu warten hat. Würde der
betreffende steuerlich relevante Umstand nicht durch einen
Grundlagenbescheid, sondern im Veranlagungsverfahren selbst
geprüft, müsste das FA bereits bei der Steuerfestsetzung
die Entscheidung über die Erfüllung der Voraussetzungen
einer Steuervergünstigung treffen.
|
|
|
50
|
4. Der erkennende Senat teilt jedoch nicht die
Auffassung des FG, das FA habe im Streitfall rechtsfehlerhaft keine
Ermessensentscheidung gemäß §§ 155 Abs. 2, 162
Abs. 5 AO getroffen.
|
|
|
51
|
a) Während die Auslegung von
Verträgen zu der dem FG obliegenden Feststellung der Tatsachen
gehört, die der BFH lediglich daraufhin überprüfen
kann, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157
des Bürgerlichen Gesetzbuchs), die Denkgesetze und die
Erfahrungssätze zutreffend angewandt worden sind (vgl. z.B.
Senatsurteil vom 9.12.2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860 = SIS 10 11 86, unter II.3.b), ist die Auslegung des Inhalts von
Verwaltungsakten durch das FG im Revisionsverfahren in vollem
Umfang nachprüfbar (BFH-Urteil vom 26.11.2009 III R 93/07,
BFH/NV 2010, 856 = SIS 10 11 83).
|
|
|
52
|
b) Bei der dem erkennenden Senat im Streitfall
obliegenden Auslegung ist zu berücksichtigen, dass eine
Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO) von den
Gerichten nur in den von § 102 FGO - ggf. i.V.m. § 121
Satz 1 FGO - gezogenen Grenzen überprüft werden kann
(Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II
1972, 603 = SIS 72 03 54). Nach dieser Vorschrift ist die
gerichtliche Prüfung darauf beschränkt, ob die
Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Senatsurteil vom
12.12.2013 X R 39/10, BFH/NV 2014, 670 = SIS 14 15 56, Rz 13).
Ebenfalls liegt ein Ermessensfehler - in Form der
Ermessensunterschreitung - vor, wenn die Behörde das Ermessen,
das ihr nach dem Gesetz eingeräumt ist, überhaupt nicht
ausübt. Auch insoweit unterliegt die nach Ermessen zu
treffende Entscheidung der gerichtlichen Nachprüfung
gemäß § 102 FGO (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 2.11.1994
VII R 94/93, BFH/NV 1995, 754). Wegen der Befugnis und
Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung
behördlicher Ermessensentscheidungen müssen die bei der
Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen
aus der Entscheidung erkennbar sein (ständige
BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 2.9.2010 VI R 3/09, BFHE
230, 500, BStBl II 2011, 233 = SIS 10 33 60, unter II.2.c,
m.w.N.).
|
|
|
53
|
c) Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze hat das FA nach Ansicht des erkennenden Senats in
der Einspruchsentscheidung vom 15.12.2011 sein Ermessen
ordnungsgemäß ausgeübt. Zwar hat es zunächst
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es im Einvernehmen mit
den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder der
Auffassung sei, eine Berücksichtigung der
Steuerbegünstigung nach § 10f EStG komme im Rahmen einer
Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ohne Vorlage der
gesetzlich geforderten Bescheinigung - entgegen der
Senatsrechtsprechung - nicht in Betracht.
|
|
|
54
|
In einem weiteren Begründungsstrang hat
das FA aber - insoweit der Senatsrechtsprechung folgend -
Ermessensüberlegungen angestellt und begründet, warum es
im Streitfall insbesondere unter Hinweis auf die von den
Klägern vorgelegten Unterlagen, die keine Informationen
darüber enthielten, auf welche einzelnen Baumaßnahmen
sich die in dem Antrag genannten Sanierungskosten in Höhe von
392.452 EUR konkret bezogen, nicht habe ausschließen
können, dass es sich um Aufwendungen gehandelt habe, die nicht
gemäß §§ 10f, 7i EStG begünstigt seien.
Unter Berücksichtigung der fehlenden eigenen Sachkunde, der
Tatsache, dass der erforderliche Grundlagenbescheid auch im
Rechtsbehelfsverfahren noch nicht vorgelegt werden konnte, sowie
der Gefahr von ungerechtfertigten Steuervergütungen hat das FA
entschieden, die Steuerermäßigung nach § 10f EStG
im Streitfall erst bei Vorlage der Bescheinigung des Denkmalamtes
zu gewähren. Der erkennende Senat sieht diese Begründung
als nachvollziehbar und ausreichend an.
|
|
|
55
|
d) Damit kommt es nicht mehr darauf an, dass
das FG zu Unrecht von einer eigenen Schätzungsbefugnis
gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ausgegangen
ist. Bei einer Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung
gemäß §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO ist
für eine finanzgerichtliche Schätzung gemäß
§ 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO kein Raum.
|