Entfernungspauschale, Kürzung durch StÄndG 2007, Verfassungswidrigkeit: Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 insoweit mit dem GG vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Arbeitnehmers für seine Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten sind und keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen ansonsten die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern. - Urt.; BFH 10.1.2008, VI R 17/07; SIS 08 08 35
A. Gegenstand der Vorlage (Sachverhalt,
Entscheidung des Finanzgerichts (FG) und Vortrag der
Beteiligten)
I. Sachverhalt
Der verheiratete Kläger und
Revisionskläger (Kläger) erzielt als angestellter
Bäckermeister Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit. Er wohnt mit seiner Familie in X und arbeitet im 70 km
entfernten Y. Seine Ehefrau bezieht ebenfalls Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Nach den Angaben des Klägers
beträgt die Entfernung zwischen der Wohnung und der
Arbeitsstätte seiner Ehefrau in Z 37 km.
Mit seinem Antrag auf
Lohnsteuer-Ermäßigung für das Jahr 2007 beantragte
der Kläger, seine Aufwendungen für die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 4.620 EUR als
Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen (220 Tage x 70 km x
0,30 EUR). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -
) ermittelte den Freibetrag entsprechend der ab 2007
geänderten Gesetzeslage nach der um 20 km gekürzten
Entfernung (220 Tage x 50 km x 0,30 EUR = 3.300 EUR abzüglich
Arbeitnehmer-Pauschbetrag = 2.380 EUR). Gegen den insoweit
ablehnenden Bescheid über die Lohnsteuer-Ermäßigung
2007 legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
II. Entscheidung des FG
Das FG wies die Klage ab und ließ die
Revision zu. Das Urteil des FG vom 7.3.2007 13 K 283/06 ist in
DStRE 2007, 538 = SIS 07 14 06 veröffentlicht. Das FG
führte im Wesentlichen Folgendes aus:
Durch das Steueränderungsgesetz vom
19.7.2006 (BGBl I 2006, 1652, BStBl I 2006, 432 - StÄndG 2007
- ) sei hinsichtlich der Aufwendungen für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte eine Systemumstellung vorgenommen
worden. Der Gesetzgeber gehe nunmehr davon aus, dass die
Berufssphäre erst am „Werkstor“ beginne. Die
Zuordnung der Fahrtkosten zur Privatsphäre sei mit dem
Grundgesetz (GG) vereinbar. Dem Gesetzgeber sei es von Verfassungs
wegen nicht verwehrt, Aufwendungen für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte vom Werbungskostenabzug
auszuschließen. Denn bei diesen Aufwendungen handele es sich
nicht um originäre Werbungskosten. Sie seien im
Einkommensteuergesetz (EStG) bisher lediglich den Werbungskosten
gleichgestellt worden.
Bereits der Reichsfinanzhof (RFH) habe in
einem Urteil aus dem Jahr 1923 zum damaligen § 13 Nr. 1d EStG
1920 die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte als Privatausgaben
betrachtet und ausgeführt: „Nach der
Entstehungsgeschichte des Gesetzes ist die Anerkennung der
Fahrtauslagen als Werbungskosten als Ausnahme von dem Grundsatz
erfolgt, dass Ausgaben nicht abziehbar sind, die keinen
spezifischen Berufsaufwand darstellen“ (RFH-Urteil vom
17.1.1923 III A 421/22, zit. nach Kirchhof, DStR 2003, Beihefter 5,
4 Fn. 36; Olbertz, BB 1996, 2489).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe
die Herabsetzung der früheren Kilometerpauschale von 0,50 DM
auf 0,36 DM als mit dem GG vereinbar erklärt. Es habe
ausgeführt, der Gesetzgeber habe bei dem „Abbau einer
Steuervergünstigung“ weitgehende Gestaltungsfreiheit
(Beschluss vom 2.10.1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, BStBl II
1970, 140 = SIS 70 00 80).
Der Bundesfinanzhof (BFH) sei im Urteil vom
20.12.1982 VI R 64/81 (BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 = SIS 83 08 39) zu der Erkenntnis gelangt, „dass Ausgaben für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ihrer Natur nach an
sich sogenannte gemischte Aufwendungen i.S. des § 12 Nr. 1
Satz 2 EStG sind, da sie teils beruflich und teils privat
veranlasst sind“. So falle das Wohnen und die Wahl der
Wohnung grundsätzlich in den Bereich der privaten
Lebensführung (BFH-Urteil vom 10.11.1978 VI R 21/76, BFHE 126,
511, BStBl II 1979, 219 = SIS 79 01 13). Weiter führe der BFH
in der Entscheidung in BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 = SIS 83 08 39 aus: „Wie sich aus der Entwicklungsgeschichte des
§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ergibt, will der Gesetzgeber aber
grundsätzlich nicht mehr wie früher danach
differenzieren, ob und inwieweit Ausgaben für solche Fahrten
zur Arbeitsstätte hin und zurück beruflich oder privat
veranlasst sind. Er sieht vielmehr seit dem Jahr 1967 solche
Aufwendungen im allgemeinen typisierend als Werbungskosten an mit
der Folge, dass § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG insoweit als lex
specialis zum Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zu
werten ist.“
Das BVerfG führe im Beschluss vom
4.12.2002 2 BvR 400/98, 1735/00 (BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003,
534 = SIS 03 19 40) aus, es sei „traditioneller Teil“
der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die
steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst „am
Werkstor“ beginnen zu lassen. Auch im Schnittbereich von
beruflicher Sphäre und privater Lebensführung liegende
Mobilitätskosten würden als Werbungskosten oder
Betriebsausgaben anerkannt. Danach gehörten vor allem
Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den im
Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen
Aufwendungen, „obwohl solche Aufwendungen wegen der privaten
Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat mitveranlasst
sind.“
Diese vom BVerfG beschriebene
„Tradition“ beinhalte keine
„Ewigkeitsgarantie“ auf Beibehaltung dieser Tradition.
Der Gesetzgeber habe bei der Schaffung einfachgesetzlichen Rechts
auch die Befugnis, eine einfachgesetzliche „Tradition“
zu ändern, zumal die bisherige steuerliche Anerkennung der
Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Ausnahme
vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG und damit als
Steuervergünstigung (Subvention) zu werten gewesen
sei.
Angesichts dieser Rechtslage sei der
Gesetzgeber zutreffend davon ausgegangen, dass es sich wegen der
Verbindung der Fahrtkosten nicht nur zur Arbeit, sondern auch zur
Wohnung um gemischte Aufwendungen handele. Bei gemischten
Aufwendungen sei es dem Gesetzgeber möglich, über den
Umfang der Abziehbarkeit und Nichtabziehbarkeit zu entscheiden. Mit
der Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG 2007 habe der
Gesetzgeber folgerichtig alle Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte als privat veranlasst qualifiziert.
Mit dieser Neuregelung sei das Prinzip der
Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sowie das objektive
Nettoprinzip gewahrt worden. Danach unterliege der Einkommensteuer
grundsätzlich nur das Nettoeinkommen. Dagegen minderten
gemäß § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen für
die Lebensführung außerhalb des Rahmens von
Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen die
einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage nicht; dies gelte
gemäß Satz 2 der Vorschrift auch für solche
Lebensführungskosten, die die wirtschaftliche oder
gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringe,
auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit
des Steuerpflichtigen erfolgten. Mit der Aufhebung des § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als „lex specialis“ zu §
12 Nr. 1 Satz 2 EStG gelte dieses Abzugsverbot wieder für die
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, so dass das
objektive Nettoprinzip damit nicht betroffen sei. Im Übrigen
habe das BVerfG bisher offen gelassen, ob die Geltung dieses
Prinzips auch verfassungsrechtlich geboten sei. Jedenfalls stehe
dem Gesetzgeber bei der Regelung einer Steuervergünstigung
(Subvention) eine weite Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit zu.
Mit der Grundentscheidung, die Arbeitsstätte „am
Werkstor“ beginnen zu lassen, habe der Gesetzgeber zwar eine
„Tradition“ beendet, jedoch eine folgerichtige neue
Belastungsentscheidung getroffen. Dies halte sich im Rahmen des
verfassungsrechtlich anerkannten Gestaltungsspielraums des
Gesetzgebers.
III. Vortrag der Beteiligten im
Revisionsverfahren
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts. Er trägt im Wesentlichen
vor, die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte seien Aufwendungen „zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen“ und damit
Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Die
Fahrtkosten seien ausschließlich beruflich veranlasst. Ohne
die Fahrt zur Arbeitsstätte könne weder die berufliche
Tätigkeit ausgeübt noch könnten berufliche Einnahmen
erzielt werden. Dies könne auch nicht mit Blick auf die
Rückfahrt zur privaten Wohnung infrage gestellt werden. Die
private Wahl des Wohnortes sei ein der beruflich veranlassten Fahrt
vorgelagerter, vorgegebener Sachverhalt, der isoliert zu betrachten
sei und keinen Einfluss auf die Einordnung der Fahrtaufwendungen
als ausschließlich beruflich veranlasste Aufwendungen habe.
Die Fahrtaufwendungen berührten entgegen der Auffassung des FG
nicht den Bereich der privaten Lebensführung. In der
steuerlichen Abzugsfähigkeit könne demzufolge auch keine
Steuervergünstigung bzw. Subvention gesehen werden. Im
Übrigen handele es sich bei der dem
„Werkstorprinzip“ zu Grunde liegenden Überlegung,
dass der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz in die Nähe seiner
Arbeitsstelle verlegen könne, um eine reine Fiktion. In den
Ballungsräumen und in größeren Betrieben könne
aus rein tatsächlichen Gründen regelmäßig nur
ein geringer Teil der Arbeitnehmer seinen privaten Wohnsitz
unmittelbar neben dem „Werkstor“ nehmen.
Das sog. Werkstorprinzip sei nicht als
neues allgemeines Prinzip in das System der Einkommensbesteuerung
eingeführt, sondern nur punktuell fiskalisch eingesetzt
worden: Nach wie vor sei der Steuerabzug der Fahrtkosten ab dem 21.
Entfernungskilometer gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG
möglich. Zwar stellten diese Kosten nach dem Wortlaut der
Vorschrift keine Werbungskosten dar, da sie nur „wie“
Werbungskosten zu behandeln seien. Hierbei handele es sich jedoch
lediglich um eine semantische, nicht um eine inhaltliche
Veränderung. Die fortbestehende Abzugsmöglichkeit der
Fahrtkosten für Fernpendler lasse sich mit dem angeblichen
Übergang zum Werkstorprinzip weder erklären noch
rechtfertigen.
Der Abzug der Fahrtkosten ab dem 21.
Entfernungskilometer sei weiterhin auf den
Arbeitnehmer-Pauschbetrag anzurechnen, was systematisch
unzutreffend sei, wenn es sich nicht um Werbungskosten
handele.
Auch die fortbestehende
Abzugsmöglichkeit der Kosten für Familienheimfahrten im
Rahmen einer doppelten Haushaltsführung sei mit der
behaupteten Geltung des Werkstorprinzips nicht zu
vereinbaren.
Die grundsätzliche
Abzugsbeschränkung gelte gemäß § 9 Abs. 2 Satz
11 EStG nicht für behinderte Menschen. Auch dies sei
inkonsequent.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG
seien die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte sowie
die Familienheimfahrten im Rahmen der Ermittlung des betrieblichen
Nutzungsumfangs eines Kraftfahrzeugs nicht als private, sondern als
betriebliche Nutzung zu werten. Auch dies sei mit dem
Werkstorprinzip nicht vereinbar.
Im Hinblick auf die Regelung des § 8
Abs. 2 Satz 3 EStG sei das Werkstorprinzip nicht umgesetzt worden:
Wenn die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte privat
veranlasst seien, müsse die Nutzung des Fahrzeugs mit dem
pauschalen Ansatz von 1 % des Listenpreises pro Monat abgedeckt
sein.
Der Abzug von Kinderbetreuungskosten als
(bzw. wie) Erwerbsaufwendungen gemäß § 9 Abs. 5
i.V.m. § 4f EStG widerspreche dem Werkstorprinzip. Dies gelte
entsprechend für den teilweisen Abzug von
Bewirtungsaufwendungen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr.
2 EStG.
Die genannten Wertungswidersprüche
machten deutlich, dass mit der Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG
und der Aufhebung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ein
Werkstorprinzip als allgemeine Grundentscheidung der
Einkommensbesteuerung noch nicht geschaffen worden sei.
Da die Aufwendungen für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ausschließlich
beruflich veranlasst seien, sei ein Abzug dieser
Erwerbsaufwendungen aufgrund des objektiven Nettoprinzips zwingend
geboten. Aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1
GG), dessen spezielle Ausprägung das Gebot der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit sei, sei es dem Staat verwehrt,
aus rein fiskalischen Gründen bestimmte Erwerbsaufwendungen,
denen sich der Steuerpflichtige zur Erzielung der Erwerbseinnahmen
nicht entziehen könne, vom Abzug auszuschließen.
Selbst wenn man die Aufwendungen für
die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als gemischt
veranlasst betrachte, verstoße die Neuregelung gegen
verfassungsrechtliche Vorgaben, nämlich gegen das subjektive
Nettoprinzip, das ebenfalls Ausfluss des Grundsatzes der
Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sei. Nach der
Rechtsprechung des BVerfG seien auch privat veranlasste
Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen zwangsläufig und im
Hinblick auf grundrechtlich geschützte Werte entständen,
dem Zugriff der Einkommensbesteuerung im Rahmen der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit entzogen. Es stehe nicht ohne
weiteres zur Disposition des Gesetzgebers, ob er privat
veranlassten Aufwand steuerlich berücksichtige oder nicht.
Vielmehr habe der Gesetzgeber die unterschiedlichen Gründe,
die den Aufwand veranlassten, auch dann im Lichte der betroffenen
Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn sie der
Sphäre der allgemeinen privaten Lebensführung zuzuordnen
seien. Deshalb komme es auf die Unterscheidung, ob die Aufwendungen
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in vollem
Umfang durch die Berufstätigkeit veranlasst seien oder ob hier
auch eine private Mitveranlassung gegeben sei, nicht entscheidend
an. Denn die Aufwendungen entständen dem Steuerpflichtigen
zwangsläufig. Die Fahrtkosten könnten nur dadurch
vermieden werden, dass die Arbeitnehmer ständig zum Werkstor
zögen. Eine solche Forderung sei jedoch unrealistisch und mit
dem grundrechtlich verbürgten Schutz von Ehe und Familie (Art.
6 Abs. 1 GG) und dem Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG)
nicht vereinbar.
Die Neuregelung verstoße ferner gegen
das Gebot der folgerichtigen Umsetzung. Nach der Rechtsprechung des
BVerfG stelle es eine Grundentscheidung des deutschen
Einkommensteuerrechts dar, die steuerrechtlich erhebliche
Berufssphäre nicht erst am Werkstor beginnen zu lassen.
Traditionell erkenne das deutsche Einkommensteuerrecht
Mobilitätskosten, die im Schnittbereich von Beruf und privater
Lebensführung lägen, als Werbungskosten oder
Betriebsausgaben an. Danach gehörten, so das BVerfG in seinem
Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40,
vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu
den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen
beruflichen Aufwendungen, obwohl solche Aufwendungen wegen der
privaten Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat
mitveranlasst seien. Zwar genieße diese Tradition des
deutschen Einkommensteuerrechts keine
„Ewigkeitsgarantie“. Deshalb könne sie der
Gesetzgeber im Rahmen einer neuen Konzeption auch aufgeben. Dazu
bedürfe es jedoch eines besonderen sachlichen Grundes. Ein
solcher sei hier nicht gegeben. Die rein fiskalischen
Erwägungen, die für die gesetzliche Neuregelung
ausschlaggebend gewesen seien, stellten jedenfalls einen solchen
besonderen sachlichen Grund nicht dar. Zudem habe der Gesetzgeber
das Werkstorprinzip nur im Hinblick auf die Fahrten von der Wohnung
zur Arbeitsstätte bis zum 20. Entfernungskilometer
eingeführt. Bei einer folgerichtigen Umsetzung des
Werkstorprinzips hätten auch die grundsätzlichen
Regelungen zur Abzugsfähigkeit von Werbungskosten (§ 9
Abs. 1 EStG) und Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) eine
Änderung erfahren müssen. Auch der Umstand, dass der
Abzug der Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer und der
Aufwendungen für Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten
Haushaltsführung weiterhin uneingeschränkt möglich
sei, sei ein Verstoß gegen das Gebot der folgerichtigen
Umsetzung einer (angeblich) neuen Grundentscheidung des
Gesetzgebers.
Schließlich verstoße die
gesetzliche Neuregelung in den Fällen beiderseits
berufstätiger Ehegatten auch gegen den grundgesetzlich
garantierten Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6
Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber müsse Regelungen vermeiden, die
geeignet seien, in die freie Entscheidung der Ehegatten über
ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen. Im Streitfall
seien beide Ehegatten berufstätig und arbeiteten an
unterschiedlichen Orten. Einen „aufwandsneutralen“
gemeinsamen Familienwohnsitz könne es nicht geben. Die
Verlagerung des Familienwohnsitzes in die Nähe des
Arbeitsplatzes eines Ehegatten würde einen deutlich
erhöhten Zeitaufwand des anderen Ehegatten zur Folge haben.
Wenn Art. 6 Abs. 1 GG den Ehegatten einen gemeinsamen
Familienwohnsitz garantiere, dann stellten die Kosten der Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für beide Ehegatten
einen zwangsläufigen Aufwand für die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf dar.
Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil sowie den Bescheid vom 23.10.2006 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 14.11.2006 aufzuheben und das FA zu
verpflichten, einen weiteren Freibetrag in Höhe von 1.320 EUR
auf der Lohnsteuerkarte 2007 einzutragen. Vorsorglich beantragt er
festzustellen, dass die Ablehnung des FA, einen weiteren Freibetrag
in Höhe von 1.320 EUR auf der Lohnsteuerkarte 2007
einzutragen, rechtswidrig ist.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Nach Auffassung des FA verstößt
die gesetzliche Neuregelung nicht gegen die Verfassung. Aus dem
allgemeinen Gleichheitssatz leiteten sich im Steuerrecht das
Prinzip der Steuergerechtigkeit, das Willkürverbot und das
Leistungsfähigkeitsprinzip ab. Konkretisierungen des
Leistungsfähigkeitsprinzips seien das objektive und das
subjektive Nettoprinzip. Der Gesetzgeber habe durch die Neuregelung
den Anwendungsbereich des objektiven Nettoprinzips neu definiert.
Dadurch, dass diese gemischten Aufwendungen ausschließlich
der privaten Sphäre zugeordnet würden, seien sie nicht
mehr als Werbungskosten anzusehen. Sie seien damit dem
Anwendungsbereich des objektiven Nettoprinzips entzogen. Der
Gesetzgeber habe insoweit seinen verfassungsrechtlich anerkannten
Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraum bei der Schaffung
einfachgesetzlicher Vorschriften genutzt. Entgegen der Auffassung
des Klägers seien die Aufwendungen für die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte auch nicht verfassungsrechtlich
zwangsläufig. Es sei zu berücksichtigen, dass die Wahl
des Wohnorts ein Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit des
Steuerpflichtigen sei und private Motive überwiegend für
die Wahl maßgebend seien. Der Steuerpflichtige habe jedoch
keinen Anspruch auf Förderung dieser
Grundrechtsbetätigung durch den Staat. Die Wohnortfrage
müsse aufgrund eines neuen Arbeitsplatzes überprüft
und eventuell neu entschieden werden. Da ein Arbeitnehmer seinen
Arbeitsplatz im Laufe seines Berufslebens regelmäßig
häufiger wechseln müsse, könne die Wahl des Wohnorts
auch eine direkte Folge eines Arbeitsplatzwechsels oder einer
erstmaligen Berufsaufnahme sein.
Nach Auffassung des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF), das dem Verfahren beigetreten ist (§ 122 Abs.
2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ), hat der Gesetzgeber
seine bisherige „Grundentscheidung (…), die
steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst ‘am
Werkstor’ beginnen zu lassen“, geändert und einen
hinreichend folgerichtigen, verhältnismäßigen
Übergang zum „Werkstorprinzip“ vollzogen. Dabei
habe eine gebotene Würdigung der Änderung der
Grundentscheidung „im Lichte der Grundrechte“ den
Gesetzgeber veranlasst, im Wege von Härteregelungen in §
9 Abs. 2 Sätze 2 bis 10 EStG den Abzug der
Pauschalbeträge für Entfernungen ab dem 21. Kilometer
sowie für Familienheimfahrten zuzulassen, weil besondere
Härten für Fernpendler entstehen könnten, deren
Wohnortwahl durch familiäre Erfordernisse bestimmt sein
könne. Auch vor dem Hintergrund, dass von Arbeitnehmern heute
eine erhöhte Mobilität und Flexibilität gefordert
werde, habe der Gesetzgeber zur Wahrung der sozialen Ausgewogenheit
diese Härteregelung für sachgerecht gehalten.
Maßstab der verfassungsrechtlichen
Prüfung des § 9 Abs. 2 EStG sei der für den Bereich
des Steuerrechts aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3
Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip der Art. 1 Abs. 1 und Art.
20 Abs. 1 GG abgeleitete Grundsatz der Besteuerung nach der
objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit. In engem
Zusammenhang mit diesem Grundsatz sei ebenso das aus Art. 3 Abs. 1
GG abgeleitete verfassungsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit
sowie das Gebot zum Schutz von Ehe und Familie des Art. 6 Abs. 1 GG
für die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung von
Bedeutung. Die genannten verfassungsrechtlichen Maßstäbe
würden durch die Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG
gewahrt.
Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber
habe für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte den
Anwendungsbereich des objektiven Nettoprinzips definiert und damit
eine frühere (einfachrechtliche) Grundentscheidung zur
steuerlichen Qualifikation dieser Aufwendungen geändert. Die
gemischte Veranlassung dieser Aufwendungen erfordere zur
Sicherstellung einer gleichmäßigen Steuererhebung eine
eindeutige gesetzgeberische Zuordnungsentscheidung. Bei den
Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte handele es sich um gemischte Aufwendungen. Dies
habe das BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung zur doppelten
Haushaltsführung in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 so gesehen. Auch der Steuergesetzgeber sei für das
einfachgesetzliche Steuerrecht seit jeher davon ausgegangen, dass
die Fahrtaufwendungen sowohl beruflich als auch privat veranlasst
seien.
Mit dem Übergang zum sog.
Werkstorprinzip habe der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlich
anerkannten Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraum bei der
Auswahl eines Steuergegenstandes und der Ausgestaltung
gesetzgeberischer Grundentscheidungen in
verfassungsmäßiger Weise in Anspruch genommen. Das
BVerfG habe in seinem Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003,
534 = SIS 03 19 40 ausgeführt, es sei eine
„Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die
steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst ‘am
Werkstor’ beginnen zu lassen.“ Bei sachgerechter
Würdigung dieser Ausführungen im Kontext der Entscheidung
lasse sich diese Formulierung nur dahingehend verstehen, dass nach
Auffassung des Gerichts der verfassungsrechtlich garantierte
gesetzgeberische Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraum gerade
auch die Entscheidung über die Zuordnung von Aufwendungen
für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur
beruflichen oder zur privaten Sphäre des Steuerpflichtigen
umfasse. Der weite Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraum des
Gesetzgebers schließe daher denknotwendig auch die Befugnis
zur Änderung dieser systembildenden einfachgesetzlichen
„Grundentscheidung“ ein. Indem der Gesetzgeber die
gemischten Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nunmehr grundsätzlich ausschließlich
und vollständig der Privatsphäre des Steuerpflichtigen
zuordne, seien diese Aufwendungen dem Anwendungsbereich des
objektiven Nettoprinzips entzogen. In § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
regele der Gesetzgeber also nicht eine Durchbrechung des objektiven
Nettoprinzips, sondern definiere dessen Anwendungsbereich selbst,
indem er gemäß seiner originären Befugnis im
gewaltenteilenden Verfassungsstaat eine neue steuerliche
Belastungsentscheidung treffe und eine Neubestimmung von steuerlich
als gleich zu behandelnden Sachverhalten vornehme. Der
Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers sei auch nicht deshalb
überschritten, weil die Änderung der Grundentscheidung
lediglich fiskalisch motiviert gewesen sei.
Die Neuregelung verletze auch das
subjektive Nettoprinzip nicht. Weder führe die Neuregelung zu
einer verfassungsrechtlich unzulässigen Besteuerung des
Existenzminimums noch seien die Aufwendungen für Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte im verfassungsrechtlichen Sinne
zwangsläufig, soweit nicht überdurchschnittlich lange
Fahrtwege aus überwiegend durch Art. 6 Abs. 1 GG
geschützten ehelichen oder familiären Gründen
entständen. Der einkommensmindernde steuerliche Abzug dieser
Aufwendungen sei jedenfalls nicht über die mit den
Härteregelungen in § 9 Abs. 2 Sätze 2 ff. EStG
geschaffenen Abzugsmöglichkeiten hinaus von Verfassungs wegen
geboten:
Durch die Neuregelung komme es nicht zu
einer Besteuerung des Existenzminimums, auch nicht im unteren
Einkommensbereich. Zwar könnten aufgrund der Neuregelung
Fallgestaltungen möglich sein, in denen Steuerpflichtige in
Abhängigkeit von der Länge ihres Fahrtweges und der
Höhe ihres zu versteuernden Einkommens künftig nur
deshalb überhaupt mit Einkommensteuer belastet würden,
weil der einkommensmindernde Abzug der Aufwendungen für Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Entfernungen bis
20 km nicht möglich sei. Über die Anzahl der Fälle
lägen keine statistischen Daten vor. Voraussetzung sei das
Zusammentreffen von geringem Einkommen nahe dem Existenzminimum und
zugleich sehr hohen Fahrtkosten in Verbindung mit hohen
Werbungskosten. Das spreche dafür, dass es sich um seltene,
besonders gelagerte Ausnahmefälle handele. Im Übrigen
folge daraus nicht, dass die Neuregelung zu einer Besteuerung des
steuerfrei zu stellenden Existenzminimums führe. Vielmehr
werde dieses in Höhe des - auf der Grundlage des in den
Existenzminimumberichten der Bundesregierung realitätsgerecht
typisierten - lebensnotwendigen Bedarfs entsprechend den Vorgaben
des BVerfG durch den Grundfreibetrag und die Vorschriften des
Familienleistungsausgleichs in jedem Fall von der Besteuerung
freigestellt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei der
sozialhilferechtliche Mindestbedarf die Maßgröße
für die Ermittlung des steuerfrei zu stellenden
sächlichen Existenzminimums. Die Berechnungsmethode
berücksichtige die sozialhilferechtlichen Bedarfskomponenten:
Regelsätze sowie Miet- und Heizkosten. Aufwendungen für
die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seien nicht Teil
des existenznotwendigen sächlichen Bedarfs.
Über die Freistellung des
existenznotwendigen sächlichen Bedarfs im Rahmen des
steuerlichen Existenzminimums hinaus könne nach der
Rechtsprechung des BVerfG der steuerliche Abzug privat veranlasster
Aufwendungen von Verfassungs wegen nur zwingend sein, soweit die
Aufwendungen „im Lichte der Grundrechte“
pflichtbestimmt bzw. unvermeidbar, also „verfassungsrechtlich
zwangsläufig“ seien. Das treffe für die Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte grundsätzlich nicht
zu. Lediglich wenn und soweit Steuerpflichtige
überdurchschnittlich lange Arbeitswege aus überwiegend
ehelichen oder familiären Gründen in Kauf nähmen,
erscheine ein verfassungsrechtlicher Schutz geboten. Den habe die
Neuregelung jedoch im Wege der Härteregelungen des § 9
Abs. 2 Sätze 2 ff. EStG gewährleistet.
Bei der Beurteilung, was
überdurchschnittliche Belastungen infolge
überdurchschnittlich langer Fahrtwege seien, stehe dem
Gesetzgeber von Verfassungs wegen eine weitreichende Befugnis zur
Typisierung und Pauschalierung zu. Davon habe der Gesetzgeber durch
die Härteregelungen Gebrauch gemacht. Insbesondere habe er die
20-km-Grenze, ab der von einer überdurchschnittlich weiten
Entfernung ausgegangen werden könne und daher ein Abzug der
Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
als Härteregelung typisierend zugelassen werde, anhand
sachgerechter Maßstäbe bestimmt. Die Festlegung der
km-Grenze sei nicht realitätsfern oder gar willkürlich.
Vielmehr habe sich der Gesetzgeber anhand statistischer Daten
orientiert, nach denen 83 % der Pendler eine Entfernung zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte von weniger als 26 km
hätten.
Der Gesetzgeber habe auch
berücksichtigt, dass die durch die Änderung der
Grundentscheidung bewirkte Mehrbelastung mit der Entfernung
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steige. Einer
Modellrechnung lasse sich entnehmen, dass sich insbesondere
für Fernpendler mit Entfernungen über 20 km, die etwa 1/4
aller Steuerpflichtigen (6,8 Mio.) ausmachten, deutliche
Mehrbelastungen ergäben. Während - bezogen auf die
Gesamtheit der veranlagten Arbeitnehmer (26,6 Mio.) - rund 42 %
(11,3 Mio.) mit einem Jahresbetrag von durchschnittlich 239 EUR
mehrbelastet würden, seien von den Fernpendlern - trotz
Härteregelung - rund 84 % (5,8 Mio.) mit einem
durchschnittlichen Jahresbetrag von 322 EUR mehrbelastet. Der
Gesetzgeber habe daher typisierend davon ausgehen können, dass
eine überdurchschnittliche Belastung von Pendlern, die im
Lichte der Grundrechte Anlass für eine Härteregelung
geben könne, erst ab einem Fahrtweg von mehr als 20 km
eintreten könne. Darüber hinaus spreche auch viel
für die Annahme, dass überdurchschnittlich lange
Fahrtwege durch Steuerpflichtige insbesondere auch aus ehelichen
und familiären Gründen in Kauf genommen würden.
Schon die allgemeine Lebenserfahrung lege nahe, dass
überwiegend eheliche und familiäre Bindungen
Steuerpflichtige veranlassten, überdurchschnittlich lange
Arbeitswege in Kauf zu nehmen. Statistisch sei zu belegen, dass die
Mehrzahl der sog. Fernpendler, deren Arbeitsweg länger als 20
km sei, verheiratet sei (rd. 53 %).
Die Härteregelung bewirke auch, dass
beiderseits berufstätige Ehegatten durch die Neuregelung nicht
benachteiligt würden. Durch § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG sei im
Zusammenhang mit der speziellen Härteregelung für
Familienheimfahrten hinreichend sichergestellt, dass jeder Ehegatte
unabhängig davon, ob und wo ein gemeinsamer Familienwohnsitz
begründet werde und ob ein Ehegatte an seinem vom
Familienwohnsitz abweichenden Beschäftigungsort eine doppelte
Haushaltsführung begründe, stets die Aufwendungen
für Wege abziehen könne, die über Entfernungen von
20 km hinausgingen. Darüber hinaus gebe es kein
verfassungsrechtliches Gebot, beiderseits berufstätige
Ehegatten gegenüber allen anderen Steuerpflichtigen etwa
dahingehend zu privilegieren, dass diese auch Aufwendungen für
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis zu 20
Entfernungskilometern steuerlich abziehen können
müssten.
Durch die Neuregelung werde auch das
verfassungsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit gewahrt. Dieses
werde insbesondere nicht dadurch verletzt, dass ein Abzug der
Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
ab dem 21. Entfernungskilometer typisierend zugelassen werde. Diese
Regelung sei vielmehr Ausdruck der sachgerechten Würdigung des
Übergangs zum Werkstorprinzip im Licht der Grundrechte und des
Verhältnismäßigkeitsprinzips und damit gerade
notwendige Voraussetzung für die Vereinbarkeit der Neuregelung
mit grundlegenden allgemeinen Verfassungsprinzipien. Ebenso wenig
verletzten die Härteregelungen über Familienheimfahrten
oder die weiter bestehenden Regelungen über den Abzug
notwendiger Mehraufwendungen bei doppelter Haushaltsführung
das Gebot der Folgerichtigkeit. Diese Aufwendungen seien nach der
Rechtsprechung des BVerfG zwangsläufige Mehraufwendungen
für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf, soweit beiderseits
berufstätige Ehegatten betroffen seien. An dieser Wertung habe
sich mit dem Übergang zum Werkstorprinzip nichts
geändert. Denn nach der Neuregelung seien bei der
Begründung einer doppelten Haushaltsführung die
Wegeaufwendungen desjenigen Ehegatten, der die doppelte
Haushaltsführung begründet habe, vor Ort an seinem vom
gemeinsamen Familienwohnort abweichenden Beschäftigungsort
ebenfalls nur steuerlich abziehbar, soweit sie 20 km
überstiegen. Das Werkstorprinzip wirke hier für den
betreffenden Ehegatten also am Beschäftigungsort. Die neben
den Wegeaufwendungen am Beschäftigungsort anfallenden
Aufwendungen für Familienheimfahrten stellten darüber
hinausgehende Mehrbelastungen dar, die der Gesetzgeber im Licht des
Art. 6 Abs. 1 GG in zulässiger Weise typisierend zum Abzug
zulasse. Wenn der Gesetzgeber dabei aus wirtschafts- und
sozialpolitischen Gründen und auch aus
Vereinfachungsgründen ledigen Steuerpflichtigen diese
Härteregelung ebenfalls gewähre, sei dies
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
B. Entscheidung des Senats
Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage
an das BVerfG sind gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG
i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) geboten, weil der Senat § 9
Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 insoweit mit dem GG
für unvereinbar hält, als die Aufwendungen des
Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten
sind und auch nicht in anderer Weise die einkommensteuerliche
Bemessungsgrundlage mindern.
I. Beurteilung am Maßstab des einfachen
Rechts
Das FA hat die Vorschriften über die
Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte zutreffend
angewendet. Auf der Grundlage der einfachgesetzlichen Rechtslage
müsste die Revision des Klägers zurückgewiesen
werden.
Gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG
werden als vom Arbeitslohn abzuziehender Freibetrag die
Werbungskosten eingetragen, die bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit anfallen, soweit sie den
Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a)
übersteigen. Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege
zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte
sind in diesem Sinne keine Werbungskosten (§ 9 Abs. 2 Satz 1
EStG i.d.F. des StÄndG 2007). Sie können, wie im
Streitfall geschehen, lediglich ab dem 21. Entfernungskilometer
pauschal „wie“ Werbungskosten steuerlich
berücksichtigt werden (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG).
II. Rechtsentwicklung der im Streitfall
maßgeblichen Vorschriften
Die im Streitfall einschlägigen Normen
des Einkommensteuerrechts haben sich entstehungsgeschichtlich wie
folgt entwickelt:
1. Während die Preußischen
Einkommensteuergesetze von 1891 und 1906 - entgegen der
Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts - die
Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
bei Arbeitnehmern nicht als Werbungskosten anerkannten, wurden
diese Kosten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EStG
vom 29.3.1920 (RGBl 1920, 359) zum Abzug zugelassen, soweit sie
notwendig waren (BFH-Urteil vom 18.2.1966 VI 219/64, BFHE 86, 39,
BStBl III 1966, 386 = SIS 66 02 40). Diese Regelung wurde ohne
inhaltliche Änderung im EStG vom 10.8.1925 (RGBl I 1925, 189;
§ 16 Abs. 5 Nr. 4) sowie im EStG vom 16.10.1934 (RGBl I 1934,
1005, RStBl 1934, 1261; § 9 Satz 3 Nr. 4) weitergeführt.
§ 9 Satz 3 Nr. 4 EStG 1934 wurde unverändert in das EStG
vom 28.12.1950 (BGBl I 1951, 1, BStBl I 1951, 5)
übernommen.
2. Durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern
vom 16.12.1954 (BGBl I 1954, 373, BStBl I 1954, 575) wurde § 9
Satz 3 Nr. 4 EStG neu gefasst. Die Beschränkung auf notwendige
Fahrtkosten wurde aufgegeben. Zur Abgeltung des Abzugs der
Fahrtkosten bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs sollte durch
Rechtsverordnung je ein Pauschbetrag für die Benutzung eines
Kraftwagens, Motorrads oder Fahrrads mit Motor festgesetzt werden.
Aufgrund dieser Ermächtigungsgrundlage wurden gemäß
§ 26 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung
(EStDV) vom 21.12.1955 (BGBl I 1955, 756, BStBl I 1955, 710) bzw.
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Satz 3 der
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) vom 27.8.1955 (BGBl
I 1955, 542, BStBl I 1955, 461) bei Benutzung eines eigenen
Kraftfahrzeugs die Aufwendungen durch Pauschbeträge limitiert
(je Entfernungskilometer 0,50 DM für Kraftwagen, 0,22 DM
für Motorrad und Motorroller und 0,12 DM für Fahrrad mit
Motor). Darüber hinaus konnten gemäß § 26 Abs.
1 EStDV bzw. § 20 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Satz 2 LStDV die
Fahrtkosten grundsätzlich nur bis zu einer Entfernung von 40
km als Werbungskosten in Abzug gebracht werden.
3. Das Gesetz zur Änderung des
Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom
5.10.1956 (BGBl I 1956, 781, BStBl I 1956, 433) erweiterte § 9
Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG um die Ermächtigung zur Festsetzung
eines besonderen Pauschbetrags für Kleinstkraftwagen. §
26 Abs. 2 EStDV und § 20 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 Satz 3 LStDV
wurden daraufhin entsprechend geändert (Art. 1 Nr. 10 der
Zweiten Verordnung zur Änderung der EStDV vom 7.2.1958, BGBl I
1958, 70, BStBl I 1958, 32, bzw. § 1 Nr. 8 der Verordnung zur
Änderung und Ergänzung der LStDV 1955 vom 21.12.1956,
BGBl I 1956, 979, BStBl I 1957, 34).
4. Die Abziehbarkeit der Kosten für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wurde durch das
Steueränderungsgesetz 1966 vom 23.12.1966 (BGBl I 1966, 702,
BStBl I 1967, 2) im Wesentlichen in der Weise neugestaltet, dass
die Regelungen in § 26 EStDV bzw. § 20 Abs. 2 Satz 4 Nr.
2 LStDV modifiziert in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
übernommen wurden. In Satz 2 der Vorschrift wurde die
Entfernungsbegrenzung von 40 km für alle Arten von
Verkehrsmitteln ausnahmslos festgeschrieben. Der Abzug von
Fahrtaufwendungen mit dem eigenen Kraftfahrzeug wurde in Satz 3
geregelt. Dabei wurden die Pauschbeträge auf zwei reduziert,
nämlich für solche bei Benutzung eines Kraftwagens
einerseits und bei Benutzung eines Motorrads oder Motorrollers
andererseits. Diese Maßnahme war mit einer
betragsmäßigen Herabsetzung der Pauschbeträge
verbunden (bei Benutzung eines Kraftwagens von 0,50 DM auf 0,36 DM
und bei Benutzung eines Motorrads oder Motorrollers von 0,22 DM auf
0,16 DM je Entfernungskilometer). Für den Fall, dass dem
Arbeitnehmer vom Arbeitgeber für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte ein Kraftfahrzeug zur Verfügung gestellt
wurde, bestimmte Satz 4 der Vorschrift, dass der Arbeitnehmer
höchstens die Pauschbeträge geltend machen durfte.
Gemäß dem neu geschaffenen Abs. 2 des § 9 EStG
waren die in der Vorschrift genannten Körperbehinderten von
den Bestimmungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 3 und
4 EStG ausgenommen.
Für die Herabsetzung der Pauschalen waren
nach den Gesetzesmaterialien in erster Linie allgemeine
verkehrspolitische Erwägungen maßgebend. Der Gesetzgeber
erhoffte sich durch die Kürzung eine Milderung der
Verkehrsschwierigkeiten in den Ballungsräumen zu den
Hauptverkehrszeiten und eine gewisse Verlagerung des Berufsverkehrs
von den Kraftfahrzeugen auf die öffentlichen Verkehrsmittel
(BTDrucks V/1068, 23; IV/2661, 87).
5. Das Steueränderungsgesetz 1971 vom
23.12.1970 (BGBl I 1970, 1856, BStBl I 1971, 8) führte zur
Aufhebung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG und damit
zum Wegfall der Entfernungsbegrenzung auf 40 km.
6. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG wurde
durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.7.1988 (BGBl I 1988, 1093,
BStBl I 1988, 224) neugefasst. Die Pauschbeträge für
Fahrten mit einem eigenen oder zur Nutzung überlassenen
Kraftfahrzeug wurden bei Benutzung eines Kraftwagens auf 0,50 DM
und bei Benutzung eines Motorrads oder Motorrollers auf 0,22 DM
erhöht (Satz 4 der Vorschrift). Für den
Veranlagungszeitraum 1989 betrugen die Pauschbeträge 0,43 DM
bzw. 0,19 DM (§ 52 Abs. 13 EStG). Nach Satz 2 des § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG durften arbeitstägliche
Zwischenheimfahrten nur berücksichtigt werden, soweit sie
durch einen zusätzlichen Arbeitseinsatz außerhalb der
regelmäßigen Arbeitszeit oder durch eine mindestens
vierstündige Arbeitszeitunterbrechung veranlasst waren.
Fahrten zur Arbeitsstätte von der weiter entfernt liegenden
Wohnung waren nur zu berücksichtigen, wenn sie den Mittelpunkt
der Lebensinteressen bildete und nicht nur gelegentlich aufgesucht
wurde (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG).
7. Durch das Steueränderungsgesetz 1991
vom 24.6.1991 (BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) wurden die in
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG genannten
Kilometer-Pauschbeträge auf 0,65 DM bzw. 0,30 DM angehoben
(für 1991 auf 0,58 DM bzw. 0,26 DM gemäß § 52
Abs. 13 EStG).
8. Das Missbrauchsbekämpfungs- und
Steuerbereinigungsgesetz vom 21.12.1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I
1994, 50) hob mit Wirkung ab 1994 die Kilometer-Pauschbeträge
auf 0,70 DM bzw. 0,33 DM an.
9. Durch das Gesetz zur Einführung einer
Entfernungspauschale vom 21.12.2000 (BGBl I 2000, 1918, BStBl I
2001, 36 - EntfPauschG - ) wurden § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und
Abs. 2 EStG völlig neu gefasst. Die bisherigen
Kilometer-Pauschbeträge bei Fahrten mit dem eigenen oder zur
Nutzung überlassenen Kraftfahrzeug wurden durch eine
verkehrsmittelunabhängige gestaffelte Entfernungspauschale von
0,70 DM für die ersten 10 Kilometer bzw. 0,80 DM für
jeden weiteren Kilometer, höchstens jedoch 10.000 DM, ersetzt.
Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel konnten in tatsächlicher Höhe angesetzt
werden (§ 9 Abs. 2 Satz 2 EStG). Durch die
Entfernungspauschalen waren sämtliche Aufwendungen abgegolten
(§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Mit der Gesetzesänderung wollte der
Gesetzgeber die sozialen Auswirkungen der seinerzeitigen starken
Preissteigerungen für Mineralöl auf den Weltmärkten
auf Personen und Haushalte, die den damit verbundenen Lasten nicht
ausweichen und diese Entwicklung finanziell kaum bewältigen
konnten, abfedern (BTDrucks 14/4242, 5).
Die genannten Beträge wurden durch Art. 1
Nr. 10 des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher
Euro-Beträge vom 19.12.2000 (BGBl I 2000, 1790, BStBl I 2001,
3) i.d.F. des EntfPauschG auf 0,36 EUR, 0,40 EUR und 5.112 EUR
umgestellt.
10. Die erneute Änderung des § 9
Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG durch das Steueränderungsgesetz 2001
vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4) führte
u.a. zur Klarstellung, dass sich die Grenze von 10.000 DM/5.112 EUR
auf das Kalenderjahr bezog.
11. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom
29.12.2003 (BGBl I 2003, 3076, BStBl I 2004, 120) wurde die
Entfernungspauschale in der Weise herabgesetzt, dass ab dem
Veranlagungszeitraum 2004 einheitlich für alle Entfernungen
nur noch eine Pauschale von 0,30 EUR je Kilometer Entfernung
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, höchstens ein Betrag
von 4.500 EUR jährlich in Abzug gebracht werden durfte, es sei
denn, der Arbeitnehmer benutzte einen eigenen oder ihm zur Nutzung
überlassenen Kraftwagen.
12. Das StÄndG 2007 führte zur
Aufhebung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Gleichzeitig wurde
§ 9 Abs. 2 EStG neu gefasst. § 9 Abs. 2 Sätze 1 und
2 EStG lauten nunmehr wie folgt:
„Keine Werbungskosten sind die
Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung
und regelmäßiger Arbeitsstätte und für
Familienheimfahrten. Zur Abgeltung erhöhter Aufwendungen
für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist ab
dem 21. Entfernungskilometer für jeden Arbeitstag, an dem der
Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, für jeden vollen
Kilometer der Entfernung eine Entfernungspauschale von 0,30 EUR wie
Werbungskosten anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 EUR im
Kalenderjahr; ein höherer Betrag als 4.500 EUR ist anzusetzen,
soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung
überlassenen Kraftwagen benutzt.“
III. Das Gesetzgebungsverfahren zum
StÄndG 2007
Das Gesetzgebungsverfahren stellte sich -
soweit es für den Streitfall von Bedeutung ist - wie folgt
dar:
1. Ausgangspunkt des StÄndG 2007 waren
textgleiche Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD (BTDrucks 16/1545) und der Bundesregierung (BTDrucks 16/1859).
In der Begründung betreffend die Aufhebung der Nr. 4 von
§ 9 Abs. 1 Satz 3 EStG heißt es u.a. (BTDrucks 16/1545,
13):
|
„Nach geltendem Recht erhalten
Arbeitnehmer, Selbständige und Gewerbetreibende wegen der
Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte/Betriebsstätte eine
verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale von 0,30 Euro
für jeden vollen Entfernungskilometer. Bei der Ermittlung der
Einkünfte werden diese Aufwendungen nach bisheriger Regelung
als Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben/Werbungskosten)
abgezogen. Wegen der Verbindung nicht nur zur Arbeit sondern auch
zur Wohnung handelt es sich aber nach überwiegender Auffassung
um gemischte Aufwendungen, also um Aufwendungen, die auch die
Lebensführung betreffen. Bei gemischten Aufwendungen ist es
dem Gesetzgeber möglich, über den Umfang der
Abziehbarkeit und Nichtabziehbarkeit zu entscheiden. Bereits heute
sind deswegen die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte nur begrenzt abziehbar. Es ist dem
Gesetzgeber darüber hinaus aber auch möglich, die
Aufwendungen grundsätzlich als nicht abzugsfähige
Ausgaben zu qualifizieren. Die notwendige Haushaltskonsolidierung
erfordert eine derartige Einordnung. Die Wege zwischen Wohnung und
Berufsstätte oder Arbeitsstätte werden der
Privatsphäre zugeordnet; die Neuregelung geht davon aus, dass
die Berufssphäre erst am ‘Werkstor’ beginnt
(für diese Möglichkeit bereits: BVerfGE 107, 27 [50] =
SIS 03 19 40). Die Nummer 4 in § 9 Abs. 1 Satz 3 EStG wird
deshalb aufgehoben.
|
|
|
|
Dabei soll aber nicht unberücksichtigt
bleiben, dass eine Reihe von Steuerpflichtigen
überdurchschnittlich weite Wege zur
Betriebsstätte/Arbeitsstätte zurücklegt. Aus dem
Mikrozensus 2004 ergibt sich, dass rd. 83 Prozent der Pendler eine
Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von weniger als
26 km haben; bei rd. 17 Prozent beträgt die Entfernung mehr
als 25 km. …“
|
Zur Änderung des § 9 Abs. 2 EStG
heißt es u.a.:
|
„Satz 1 sieht vor, dass die Aufwendungen
für die Wege zwischen Wohnung und
Betriebsstätte/Arbeitsstätte grundsätzlich nicht
mehr als Erwerbsaufwendungen abgezogen werden dürfen. Die
Arbeitssphäre beginnt nach dieser gesetzgeberischen
Grundentscheidung am Werkstor: die Aufwendungen für die Wege
zwischen Wohnung und Betriebsstätte/Arbeitsstätte werden
der Privatsphäre zugerechnet …. Dem Umstand
überdurchschnittlicher Entfernung (bei den sog. Fernpendlern)
wird dadurch Rechnung getragen, dass Aufwendungen für mehr als
20 Entfernungskilometer in Höhe von 0,30 Euro pro
Entfernungskilometer wie Werbungskosten abgezogen werden
können (Satz 2). Aus dem Wort ‘wie’ wird
ersichtlich, dass es sich bei der Entfernungspauschale für
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht mehr um
Werbungskosten handelt, sie aber technisch als solche zu behandeln
sind. Dies hat z.B. zur Folge, dass der Arbeitnehmer-Pauschbetrag
von 920 Euro (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG) und das
Verfahren bei der Eintragung eines Freibetrags auf der
Lohnsteuerkarte (§ 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG) auf sie in gleicher
Weise wie bei ‘echten’ Werbungskosten anzuwenden ist.
Das bedeutet: Abzug bei der Einkunftsermittlung und
Berücksichtigung im Lohnsteuerermäßigungsverfahren
nur, soweit sie zusammen mit anderen Werbungskosten den
Arbeitnehmer-Pauschbetrag übersteigen ….“
|
2. In seiner Stellungnahme zum Entwurf eines
StÄndG 2007 hat der Bundesrat die Bundesregierung gebeten,
„die im Entwurf vorgesehene Regelung zur Entfernungspauschale
auf ihre Verfassungsfestigkeit insbesondere hinsichtlich der
Kappungsgrenze von 20 Entfernungskilometern sowie der Einhaltung
des steuerlichen Nettoprinzips zu prüfen und den
Prüfbericht dem Bundestag und Bundesrat zeitnah zukommen zu
lassen“ (BRDrucks 330/06; BTDrucks 16/1859 Anlage 2). Die
Bundesregierung äußerte sich dazu wie folgt (BTDrucks
16/1969):
|
„… Der Gesetzgeber hat bei der
Schaffung einfachgesetzlichen Rechts einen weiten
Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraum, der grundsätzlich
auch die Entscheidung mit einschließt, einfachgesetzliche
Grundentscheidungen zu ändern. Dies hat der Gesetzgeber mit
dem Gesetzentwurf zum Steueränderungsgesetz 2007 hinsichtlich
der steuerrechtlichen Qualifikation von Aufwendungen für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte
vorgesehen. Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und
Arbeits- oder Betriebsstätte werden künftig -
unabhängig von der Entfernung - nicht mehr als Werbungskosten
angesehen. Alle Fahrten zur Arbeit gelten künftig als
ausschließlich privat veranlasst.
|
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|
|
Der Gesetzgeber erkennt jedoch, dass die
Änderung der Grundentscheidung zu besonderen Härten
für Fernpendler führen kann, deren Wohnortwahl oft durch
familiäre Erfordernisse bestimmt wird. Diesem Umstand wird
dadurch Rechnung getragen, dass im Wege von Härteregelungen
der Abzug der Pauschalbeträge für Entfernungen ab dem 21.
Kilometer zulässig bleibt. Vor dem Hintergrund, dass von
Beschäftigten heute eine erhöhte Mobilität und
Flexibilität gefordert wird, hält die Bundesregierung zur
Wahrung der sozialen Ausgewogenheit der Regelung und im Hinblick
auf Artikel 6 Abs. 1 GG die vorgeschlagene Härtefallregelung
für sachgerecht und im Hinblick auf das
Verhältnismäßigkeitsprinzip für
verfassungsrechtlich möglich.
|
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Das aus Artikel 3 Abs. 1 GG abgeleitete
Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen
Leistungsfähigkeit sowie das objektive Nettoprinzip werden
gewahrt. Zum objektiven Nettoprinzip, bei dem es sich um eine
einfachgesetzliche, durch den Steuergesetzgeber bestimmte
Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebots der Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit handelt, hat das
Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen, ob die Geltung
dieses Prinzips auch verfassungsrechtlich geboten ist (BVerfGE 107,
27 [48] = SIS 03 19 40). Indem der Gesetzgeber alle Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte künftig
als privat veranlasst ansieht, definiert er den Anwendungsbereich
des objektiven Nettoprinzips neu und hält sich somit im Rahmen
seines verfassungsrechtlich anerkannten Einschätzungs- und
Gestaltungsfreiraums.
|
|
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|
Die geänderte Grundentscheidung des
Gesetzgebers wird durch den Gesetzentwurf auch folgerichtig
umgesetzt. Die sich aus der Änderung der Grundentscheidung
ergebenden notwendigen Folgeänderungen wurden
vorgenommen.“
|
3. Darüber hinaus hat die Bundesregierung
auch in der Antwort auf eine Kleine Anfrage verschiedener
Abgeordneter des Deutschen Bundestags
(„Verfassungsmäßigkeit und Auswirkungen der
Abschaffung der Entfernungspauschale“) die Auffassung
vertreten, dass die Zuordnung der Aufwendungen für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Privatsphäre mit
dem GG vereinbar sei (BTDrucks 16/1802).
IV. Rechtsprechung zu den
Verfassungsfragen
1. Mit dem Beschluss in BVerfGE 27, 58, BStBl
II 1970, 140 = SIS 70 00 80 hat das BVerfG entschieden, dass die
Herabsetzung der Kilometer-Pauschale von 0,50 DM auf 0,36 DM auf
Grund des Steueränderungsgesetzes 1966 mit dem GG vereinbar
war. Das Gericht ging davon aus, dass die Einkommensteuer als
Personensteuer die steuerliche Leistungsfähigkeit erfassen
will. Daraus ergebe sich vor allem das Prinzip der Nettobesteuerung
des Einkommens. Danach dürfe bei Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit nur der Überschuss über
die Werbungskosten besteuert werden. Alle beruflich veranlassten
Aufwendungen stellten grundsätzlich auch Werbungskosten dar.
Das BVerfG ließ es in dieser Entscheidung im Ergebnis
dahinstehen, ob dem geltenden Einkommensteuerrecht eine
Sachgesetzlichkeit der Nettobesteuerung innewohne. Auch wenn dies
zuträfe, könne der Gesetzgeber von diesem Prinzip
abweichen, sofern er hierfür sachlich einleuchtende
Gründe habe. Solche Gründe sah der Senat seinerzeit als
gegeben an, weil für die Kürzung der Pauschale nach den
Gesetzesmaterialien in erster Linie allgemeine verkehrspolitische
Erwägungen maßgebend gewesen seien. Der Senat
bescheinigte dem Gesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit
beim Abbau einer Steuervergünstigung. Dies gelte insbesondere
dann, wenn sie in den Rahmen eines Gesamtprogramms zur Herstellung
eines ausgeglichenen Haushalts eingefügt werde. Es sei nicht
Sache des BVerfG, die vom Gesetzgeber gewählte Lösung
daraufhin zu untersuchen, ob sie die gerechteste sei. Trotz der
Kürzung der Kilometerpauschale sei das Prinzip der
Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht erhalten geblieben.
Zu einer reinen Verwirklichung dieses Prinzips sei der Gesetzgeber
von Verfassungs wegen nicht verpflichtet (vgl. zu dem Beschluss
Wieland, Verfassungsfragen der geplanten Streichung der
Pendlerpauschale im Einkommensteuerrecht, Rechtsgutachten für
die Hans-Böckler-Stiftung, 8).
2. Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 107,
27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 bringt den Stand der
Rechtsprechung des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben
für die Ausgestaltung des Werbungskostenabzugs auch der
Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte zum Ausdruck (Wieland, a.a.O.). Gegenstand des
Beschlusses war die Begrenzung des Abzugs der Aufwendungen für
doppelte Haushaltsführung bei einer Beschäftigung am
selben Ort auf insgesamt zwei Jahre durch das Jahressteuergesetz
1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438).
Das Gericht stellt fest, dass die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich des
Einkommensteuerrechts durch das Gebot der Ausrichtung der
Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und
das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt werde (vgl. dazu auch
Beschluss des BVerfG vom 8.6.2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 =
SIS 04 36 31). Der Gesetzgeber müsse im Interesse
verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf
abzielen, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit
auch gleichhoch zu besteuern und damit horizontale
Steuergerechtigkeit herzustellen. Der Gesetzgeber habe bei der
Auswahl des Steuergegenstandes und der Bestimmung des Steuersatzes
einen weitreichenden Entscheidungsspielraum, jedoch müsse er
unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung
aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen
Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung
folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen. Ausnahmen
von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürften eines
besonderen sachlichen Grundes.
Das BVerfG legt dar, dass der Gesetzgeber die
für die Lastengleichheit maßgebliche finanzielle
Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und dem subjektiven
Nettoprinzip bemesse. Zwar lässt das BVerfG weiterhin offen,
ob das objektive Nettoprinzip über seine einfachrechtliche
Geltung hinaus auch verfassungsrechtlich geboten ist. Jedenfalls
dürfe der Gesetzgeber das Nettoprinzip beim Vorliegen
gewichtiger Gründe durchbrechen. Insoweit entfalte das
objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den
Anforderungen an eine hinreichende Folgerichtigkeit bei der
näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen
Grundentscheidungen: Zu ihnen gehöre die Beschränkung des
steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven
Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer; Ausnahmen
von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven
Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung bedürften
eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes.
In Abgrenzung zum einfachgesetzlichen
Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG stellt das BVerfG klar, dass
es für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach
finanzieller Leistungsfähigkeit nicht nur auf die
Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem
Veranlassungsgrund der Aufwendungen ankomme, sondern auch auf die
Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung
einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand
andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten
Aufwands stehe nicht ohne weiteres zur Disposition des
Gesetzgebers. Dieser habe die unterschiedlichen Gründe, die
den Aufwand veranlassten, auch dann im Lichte betroffener
Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche
Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen
(privaten) Lebensführung zuzuordnen seien.
Das BVerfG bezeichnet es als Grundentscheidung
des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche
Berufssphäre nicht erst „am Werkstor“ beginnen zu
lassen. Auch im Schnittbereich von beruflicher Sphäre und
privater Lebensführung liegende Mobilitätskosten
würden als Werbungskosten anerkannt. Danach gehörten -
hinreichend folgerichtig - vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte zu den im Rahmen des objektiven
Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen Aufwendungen, obwohl
solche Aufwendungen wegen der privaten Wahl des Wohnortes
zwangsläufig auch privat mitveranlasst seien.
3. Der vorlegende Senat hat im Beschluss vom
23.8.2007 VI B 42/07 (BStBl II 2007, 799 = SIS 07 31 55) ernstliche
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 2
EStG n.F. geäußert. Im Übrigen hat er, soweit
ersichtlich, in der Vergangenheit zu den hier interessierenden
Verfassungsfragen nicht Stellung genommen. Unter Bezugnahme auf den
Beschluss des BVerfG in BVerfGE 27, 58, BStBl II 1970, 140 = SIS 70 00 80 hat er allerdings die Verfassungsmäßigkeit eines
nicht kostendeckenden Kilometer-Pauschbetrags bejaht
(BFH-Entscheidungen vom 15.3.1994 X R 58/91, BFHE 174, 84, BStBl II
1994, 516 = SIS 94 12 05, und vom 23.9.1999 VI B 82/99, BFH/NV
2000, 318 = SIS 00 52 24; zur Funktion der Pauschbetragsregelung s.
BFH-Urteil vom 11.5.2005 VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005,
785 = SIS 05 36 03).
4. In der Finanzgerichtsbarkeit hat die Frage
der Verfassungsmäßigkeit zu unterschiedlichen
Ergebnissen geführt (s. dazu BFH-Beschluss in BStBl II 2007,
799 = SIS 07 31 55).
V. Auffassungen zu den aktuellen
Verfassungsfragen in der Literatur
1. Soweit die derzeitige Rechtslage (zu
älteren Äußerungen s. Wieland, a.a.O., m.w.N.) als
rechtens akzeptiert wird, beruht dies im Wesentlichen auf folgenden
Erwägungen: Bei den Aufwendungen für die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte handele es sich um gemischte
Aufwendungen. Indem der Gesetzgeber diese Aufwendungen durch die
Neuregelung ausschließlich der Privatsphäre zugeordnet
habe, habe er seinen verfassungsrechtlich anerkannten
Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraum bei der Schaffung
einfachgesetzlichen Rechts in verfassungsrechtlich zulässiger
Weise genutzt. Die Aufwendungen seien auch nicht im Sinne der
Rechtsprechung des BVerfG verfassungsrechtlich zwangsläufig.
Das Gebot der Folgerichtigkeit sei hinreichend gewahrt. Die
steuerliche Berücksichtigung des Aufwands ab dem 21.
Entfernungskilometer lasse sich vor Art. 3 Abs. 1 GG als
Härteregelung rechtfertigen (vgl. u.a. von Beckerath in
Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 9 Rz 352 ff.; Fuhrmann in Korn,
§ 9 EStG Rz 26.2 ff.; Offerhaus, BB 2006, 129; ders.,
Festschrift für Bareis, 197 ff.; Wernsmann, DStR 2007, 1149;
einschr. Leisner-Egensperger, BB 2007, 639; ebenso Stuhrmann, NJW
2006, 2513).
2. Die überwiegende Meinung im Schrifttum
tritt dem mit unterschiedlicher Begründung und Akzentuierung
entgegen. Im Ergebnis sind sich die Autoren darin einig, dass die
Neuregelung gegen das verfassungsrechtliche Gebot der
folgerichtigen Umsetzung des objektiven Nettoprinzips
verstoße. Sie sei nicht durch den verfassungsrechtlich
gebotenen besonderen sachlichen Grund gerechtfertigt (vgl. u.a. von
Bornhaupt, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F
40 ff.; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 541; Zimmer in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 9
Rz 972; Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 9 Rz 110;
Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 9 EStG Rz 633;
Brenner, Deutsches Autorecht - DAR - 2007, 441; Wieland, a.a.O.;
Tipke, BB 2007, 1525; Lang, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2007, 3;
Karrenbrock/Fehr, DStR 2006, 1303; Micker, DStR 2007, 1145;
Elicker, Der Steuerberater - StB - 2005, 209; Hennrichs, BB 2004,
584; Stahlschmidt, FR 2006, 818; Lenk, BB 2006, 1305; Drenseck, DB
2007, Beilage 2/2007, 7 ff.; ders., FR 2006, 1; Brandt,
Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht - DSWR - 2006,
168; Weber, DStZ 2007, 736; Dziadkowski, Zeitschrift für
Steuern und Recht 2007, 477).
VI. Rechtsauffassung des beschließenden
Senats zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen
Regelung
Prüfungsmaßstäbe sind, wie
sich vor allem aus der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 107, 27,
BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 ergibt, der allgemeine
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), und, soweit beiderseits
beschäftigte Ehegatten betroffen sind, Art. 6 Abs. 1 GG.
1. Nach der Überzeugung des vorlegenden
Senats ist § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht mit der
bereichsspezifischen Ausprägung des allgemeinen
Gleichheitssatzes im Einkommensteuerrecht vereinbar.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergeben
sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
verfassungsrechtliche Einschränkungen bei der Bestimmung der
Besteuerungstatbestände des Einkommensteuerrechts, die der
Gesetzgeber zu beachten hat. Dazu zählen vor allem das Gebot
der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen
Leistungsfähigkeit und das eng damit verbundene Gebot der
Folgerichtigkeit (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II
2003, 534 = SIS 03 19 40; vgl. dazu auch Kyrill-A. Schwarz in
„Staat im Wort“, Festschrift für Josef Isensee,
Heidelberg 2007).
a) Im Interesse der verfassungsrechtlich
gebotenen Lastengleichheit (vgl. Urteile des BVerfG vom 27.6.1991 2
BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01;
vom 7.12.1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 =
SIS 99 24 15) hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, im
Einkommensteuerrecht die objektive finanzielle
Leistungsfähigkeit nach dem Saldo aus den Erwerbseinnahmen
einerseits und den beruflichen Erwerbsaufwendungen andererseits zu
bemessen (objektives Nettoprinzip; vgl. Beschluss des BVerfG vom
11.11.1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502 = SIS 99 08 48; BFH-Urteile vom 11.5.2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl
II 2005, 782 = SIS 05 36 04; vom 4.12.2002 VI R 120/01, BFHE 201,
156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; zur Bedeutung und Dogmatik
des objektiven Nettoprinzips vgl. u.a. Deutscher Juristentag 1988,
Sitzungsbericht N, 214; Lang, StuW 2007, 3; Tipke, Die
Steuerrechtsordnung, Band II, 762 ff; ders., BB 2007, 1525; ders.
in Festschrift für Raupach, 177; Wernsmann, Verhaltenslenkung
in einem rationalen Steuersystem, 317 ff.; Drenseck, FR 2006, 1;
Jachmann in Brandt, Deutscher Finanzgerichtstag 2005, 59, jeweils
m.w.N.). Zwar ist weiterhin offen, ob die Geltung des objektiven
Nettoprinzips im Einkommensteuerrecht verfassungsrechtlich geboten
ist. Selbst wenn dem so wäre, könnte der Gesetzgeber
dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen.
Bei der Normierung solcher Ausnahmen ist der Gesetzgeber allerdings
nicht völlig frei. Insbesondere muss er darauf achten, dass
sich die Fälle, in denen er eine beruflich veranlasste
Aufwendung nicht als absetzbaren Erwerbsaufwand anerkennt, so
weitgehend von allen übrigen Fällen unterscheiden, dass
diese unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf den allgemeinen
Gleichheitssatz sachlich gerechtfertigt ist (BVerfG-Beschluss vom
23.1.1990 1 BvL 4, 5, 6, 7/87, BVerfGE 81, 228, BStBl II 1990, 483
= SIS 90 09 55). Außerdem kann er sich - wie stets bei der
Ordnung von Massenerscheinungen - bei der Ausgestaltung
generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen
bedienen.
Das objektive Nettoprinzip wird durch das
Gebot der Folgerichtigkeit im Einkommensteuerrecht geprägt. Zu
den gesetzgeberischen Grundentscheidungen, die im gesamten
Einkommensteuerrecht folgerichtig umgesetzt werden müssen,
gehört die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach
Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand
der Einkommensteuer. Hat der Gesetzgeber, wie im
Einkommensteuerrecht, den Steuergegenstand ausgewählt und in
einer Bemessungsgrundlage definiert, so muss er die einmal
getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der
Belastungsgleichheit umsetzen (Wieland, a.a.O.). Zumindest
über den Gedanken der Folgerichtigkeit erlangt damit das
objektive Nettoprinzip auch verfassungsrechtlich im Rahmen des Art.
3 Abs. 1 GG Bedeutung und zeigt damit trotz seiner zunächst
nur einfachgesetzlichen Verankerung Konsequenzen für den
verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab auf (Brenner, DAR
2007, 441).
b) Das objektive Nettoprinzip als
Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts ist durch die
gesetzliche Neuregelung der Behandlung der Fahrtkosten nicht
aufgehoben bzw. modifiziert worden. Zwar lässt sich der
Gesetzesbegründung entnehmen, dass die Neuregelung Ausdruck
einer Aufhebung der Grundentscheidung und ihrer Ersetzung durch das
sog. Werkstorprinzip sei (BTDrucks 16/1545, 8, 13). In der
Unterrichtung des Bundesrats durch die Bundesregierung heißt
es zudem (BTDrucks 16/1969, 1): „Indem der Gesetzgeber alle
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte
künftig als privat veranlasst ansieht, definiert er den
Anwendungsbereich des objektiven Nettoprinzips neu ….“
(vgl. auch BMF-Schreiben vom 4.5.2007, DB 2007, 1053).
Nach Auffassung des beschließenden
Senats kann daraus jedoch nicht auf die Absicht des Gesetzgebers
geschlossen werden, die Grundentscheidung des Einkommensteuerrechts
zu Gunsten des objektiven Nettoprinzips aufzuheben. Vielmehr ist
damit die Entscheidung des Einkommensteuerrechts für die
Abziehbarkeit der Kosten der Fahrt zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte angesprochen, die das BVerfG in seinem Beschluss
in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 selbst als
Grundentscheidung des Einkommensteuerrechts qualifiziert hat. Denn
die Grundentscheidung des Einkommensteuerrechts zu Gunsten des
objektiven Nettoprinzips wird durch die Neuregelung in ihrem Kern
nicht in Frage gestellt. Nach wie vor unterliegt der
Einkommensteuer nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus
dem Erwerbseinkommen einerseits und den Erwerbsaufwendungen
andererseits. Daher sind Aufwendungen für die
Erwerbstätigkeit entsprechend § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 9
EStG steuerlich abziehbar.
Im Übrigen ist das Nettoprinzip dem
Werkstorprinzip auch in seiner Bedeutung als
„Grundentscheidung“ vorrangig. Das Werkstorprinzip kann
nicht den Inhalt des objektiven Nettoprinzips bestimmen oder diesem
seine Gestalt geben. Zu prüfen ist vielmehr, ob das
Werkstorprinzip mit dem objektiven Nettoprinzip vereinbar ist
(Tipke, BB 2007, 1525; Karrenbrock/Fehr, DStR 2006, 1303).
c) Kosten für Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte sind die einkommensteuerliche
Bemessungsgrundlage mindernde Erwerbsausgaben. Sie gehören
deshalb zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips
abzugsfähigen Aufwendungen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107,
27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40). Sie sind nicht wesentlich
privat motiviert. Es handelt sich um Werbungskosten i.S. des §
9 Abs. 1 Satz 1 EStG.
aa) Das Veranlassungsprinzip konkretisiert das
objektive Nettoprinzip (Lang, StuW 2007, 3). § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG definiert Werbungskosten zwar als Aufwendungen zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den
Werbungskostenbegriff allerdings dem Begriff der Betriebsausgaben
nach § 4 Abs. 4 EStG angeglichen. Werbungskosten liegen danach
vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die Erzielung
steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Eine berufliche
Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem
Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des
Berufs getätigt werden (BFH-Entscheidungen vom 20.7.2006 VI R
94/01, BFHE 214, 354, BStBl II 2007, 121 = SIS 06 37 91; in BFHE
201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; vom 28.11.1980 VI R
193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368 = SIS 81 09 56; vom
20.11.1979 VI R 25/78, BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75 = SIS 80 00 46; vom 28.11.1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 =
SIS 78 00 63; vom 27.11.1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II
1979, 213 = SIS 79 01 12; vgl. auch von Bornhaupt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz B 152 ff.;
HHR/Kreft, § 9 EStG Rz 115 ff.; Schmidt/Drenseck, EStG, 26.
Aufl., § 9 Rz 7 ff.; Jachmann in Brandt, a.a.O.; vgl. auch zur
Qualifikation der Aufwendungen nach dem Veranlassungsprinzip Tipke
in Festschrift für Raupach, 177; Lang, StuW 2007, 3;
Jüptner, Leistungsfähigkeit und Veranlassung, Diss.
Augsburg, Heidelberg 1989). Dabei kommt es grundsätzlich nicht
darauf an, ob die Aufwendungen notwendig, üblich oder
zweckmäßig sind (BFH-Urteil vom 12.1.1990 VI R 29/86,
BFHE 159, 341, BStBl II 1990, 423 = SIS 90 08 36; HHR/Kreft, §
9 EStG Rz 201).
bb) Nach diesen Grundsätzen sind Kosten
für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte allein
beruflich veranlasst (BFH-Entscheidungen vom 2.3.1962 VI 79/60 S,
BFHE 74, 513, BStBl III 1962, 192 = SIS 62 01 27; vom 13.2.1970 VI
R 236/69, BFHE 98, 350, BStBl II 1970, 391 = SIS 70 02 19; in BFHE
124, 43, BStBl II 1978, 105 = SIS 78 00 63; vom 14.2.1975 VI R
125/74, BFHE 115, 322, BStBl II 1975, 607 = SIS 75 03 52; vom
11.7.1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 = SIS 80 03 38; vom 25.3.1988 VI R 207/84, BFHE 153, 337, BStBl II 1988, 706 =
SIS 88 17 26; gl.A. FG Saarland, Beschluss vom 22.3.2007 2 K
2442/06, EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81; Schmidt/Drenseck, EStG, 26.
Aufl., § 9 Rz 110; von Bornhaupt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 2 a;
Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 250 f.; HHR/Bergkemper,
§ 9 EStG Rz 632; Tipke, BB 2007, 1525; ders., Festschrift
für Raupach, 177; Lang, StuW 2007, 3; Drenseck, DB 1987, 2483;
ders., FR 2006, 1; Elicker, Entwurf einer proportionalen
Netto-Einkommensteuer, 219 ff.; Hennrichs, BB 2004, 584;
Stahlschmidt, FR 2006, 818; Karrenbrock/Fehr, DStR 2006, 1303;
Jachmann, DAR 1997, 185). Soweit der Senat in der Entscheidung in
BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306 = SIS 83 08 39 eine andere
Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest.
Der Weg zur Arbeitsstätte ist notwendige
Voraussetzung zur Erzielung von Einkünften. Da der
Arbeitnehmer regelmäßig nicht am Ort seiner beruflichen
Tätigkeit wohnt und auch nicht wohnen kann, kann er nur
tätig werden, wenn er sich zur Arbeitsstätte begibt.
Denkt man sich die Erwerbstätigkeit weg, entfallen die
für den Weg zur Arbeitsstätte erforderlichen
Aufwendungen. Der beruflich bedingte Veranlassungszusammenhang wird
nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Erwerbstätigkeit
grundsätzlich erst in der Arbeitsstätte ausgeübt
wird. Denn auch Aufwendungen, die, wie die Fahrtkosten, der
Vorbereitung der Erwerbstätigkeit dienen, sind zweifellos
Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Selbst wenn
der Steuerpflichtige noch keine Einnahmen erzielt, liegen (vorab
entstandene) Werbungskosten vor, sofern die Aufwendungen in einem
hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit
späteren Einnahmen stehen (BFH-Urteil in BFHE 201, 156, BStBl
II 2003, 403 = SIS 03 07 74; vgl. dazu auch Tipke in Festschrift
für Raupach, 177).
Als Werbungskosten haben die Fahrtaufwendungen
entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des BMF nicht den
Charakter einer steuerlichen Förderung (so aber wohl
Offerhaus, Festschrift für Bareis, 197). Konsequenterweise ist
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. in den Subventionsberichten
der Bundesregierung für die Jahre 2001 bis 2006 nicht als
Steuervergünstigung aufgeführt (19. Subventionsbericht
vom 1.10.2003, BTDrucks 15/1635; 20. Subventionsbericht vom
22.3.2006, BTDrucks 16/1020). Auch der Wortlaut des § 9 Abs. 1
Satz 3 EStG („Werbungskosten sind auch“) lässt
nicht den Schluss zu, dass dieser Satz keine echten Werbungskosten
erfasse. Vielmehr macht die Formulierung deutlich, dass hier nur
einzelne Fälle von Werbungskosten besonders aufgezählt
bzw. exemplifiziert werden sollen (BFH-Urteil vom 16.11.1971 VI R
347/69, BFHE 103, 520, BStBl II 1972, 152 = SIS 72 00 92; Tipke, BB
2007, 1525). Andernfalls müsste für alle in § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 1 bis 7 EStG aufgeführten Positionen
Subventionscharakter angenommen werden (Tipke, FR 2007, 962). Das
ist jedoch eindeutig nicht der Fall.
cc) Bei den Aufwendungen für die Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte handelt es sich auch nicht
um sog. gemischte Aufwendungen (so aber u.a. von Beckerath in
Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 9 Rz 352; Zimmer in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 9
Rz 810 f.; Offerhaus, BB 2006, 129; Söhn, FR 1997, 245;
Olbertz, BB 1996, 2489; Micker, DStR 2007, 1145, 1146; Wernsmann,
DStR 2007, 1149; Kirchhof, DStR 2003, Beihefter 5 zu Heft 37).
(1) Eine erhebliche private Mitveranlassung
kann nicht schon darauf gestützt werden, dass das Wohnen
grundsätzlich in den Bereich der privaten Lebensführung
fällt. Maßgeblich kann in diesem Zusammenhang
zunächst nur sein, ob die Wahl des Wohnorts
ausschließlich oder überwiegend privat motiviert ist.
Das kann nicht undifferenziert mit der Begründung bejaht
werden, die Arbeitnehmer könnten in der Nähe der
Arbeitsstätte ihre Wohnungen nehmen. Dieser
realitätsferne Zustand darf vom Gesetzgeber nicht unterstellt
bzw. eingefordert werden (Tipke, BB 2007, 1525; vgl. auch von
Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F
44; Hennrichs, BB 2004, 584; Karrenbrock/Fehr, DStR 2006, 1303). Es
gilt das Gebot realitätsgerechter Tatbestandsgestaltung
(BVerfG-Entscheidungen vom 6.3.2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73,
BStBl II 2002, 618 = SIS 02 04 93; in BVerfGE 107, 27, BStBl II
2003, 534 = SIS 03 19 40). Aufwendungen für Wege zur
Arbeitsstätte sind unumgänglich, selbst wenn der
Arbeitnehmer zufällig nahe der Arbeitsstätte wohnt. Die
berufliche Veranlassung der Fahrtaufwendungen wird erst recht in
den Fällen deutlich, in denen dem Arbeitnehmer, der bisher in
der Nähe des Arbeitsplatzes gewohnt hat, nach Verlegung des
Betriebssitzes oder Verlustes des Arbeitsplatzes nunmehr
erhöhte Wegekosten zum Erreichen seines neuen Arbeitsplatzes
entstehen (von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 9 Rz F 41).
Nach Auffassung des Senats kann eine Fahrt
zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte
typischerweise nicht als privat veranlasst qualifiziert werden,
wenn sich der Wohnsitz im Einzugsbereich der Arbeitsstätte
befindet. Innerhalb einer Distanz von bis zu 20 km kann schwerlich
davon ausgegangen werden, ein Arbeitnehmer hätte, würde
er allein beruflichen Belangen Rechnung tragen, einen der
Arbeitsstätte näheren Wohnsitz wählen können
(vgl. dazu Jachmann, DAR 1997, 185; vgl. dazu auch BFH-Urteil vom
10.10.1994 VI R 2/92, BFHE 175, 553, BStBl II 1995, 137 = SIS 95 03 60).
Auch dann, wenn nennenswerte private
Gründe die Wohnortwahl beeinflussen, kann daraus nicht auf
eine private Mitveranlassung der Fahrtaufwendungen geschlossen
werden. Denn die der privaten Lebensführung zuzurechnende Wahl
des Wohnorts ist ein der Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
vorgelagerter Sachverhalt, der den Veranlassungszusammenhang
zwischen Einnahmen und Aufwendungen nicht wesentlich beeinflusst
(Blümich/ Thürmer, § 9 EStG Rz 251; HHR/Bergkemper,
§ 9 EStG Rz 632; Drenseck, DB 1987, 2483; Tipke, BB 2007,
1525; FG Saarland in EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81). Jedenfalls ist
der Umstand, dass überhaupt Fahrtkosten anfallen, nicht durch
das Wohnen bedingt. Durch die privat motivierte Wohnungswahl werden
die daraus resultierenden Ausgaben für den Weg zur
Arbeitsstätte noch nicht zu privaten Aufwendungen. Der
Zugehörigkeit des Wohnens an sich zur privaten
Lebensführung wird dadurch Rechnung getragen, dass die Kosten
des Wohnens nicht als Werbungskosten abziehbar sind (Jachmann, DAR
1997, 185). Bei der jeweiligen Fahrt steht das
„berufliche“ Erfordernis im Vordergrund, den
täglichen Weg zur Arbeitsstätte zu bewältigen
(BFH-Urteil vom 2.12.1981 VI R 167/79, BFHE 135, 37, BStBl II 1982,
297 = SIS 82 14 31). Die Fahrtaufwendungen stehen in
ausschließlicher Kausalrelation zum Beruf und nicht zum
Wohnen. Durch die Fahrt zur Arbeitsstätte wird jeweils eine
nur berufliche Ursachenkette in Gang gesetzt, die zur
Verdrängung anderer Ursachen führt.
Zwar lässt sich nicht leugnen, dass das
Wohnen außerhalb der Arbeitsstätte auch eine Bedingung
(„conditio sine qua non“) für das Entstehen der
Fahrtaufwendungen ist. Allerdings kann die sog. Bedingungslehre im
Steuerrecht nur eingeschränkt zur Anwendung kommen. Sie ist
zur Abgrenzung von beruflicher und privater Sphäre ungeeignet.
Würde man sie nicht einschränken, würde das
Nettoprinzip aufgelöst. Denn logisch-naturwissenschaftlich
besteht zwischen Erwerbsaufwendungen und der privaten
Lebensführung stets ein entfernter Zusammenhang (Tipke,
Festschrift für Raupach, 177; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht,
18. Aufl., § 9 Rz 219; ders., StuW 2007, 3).
Da für den Steuerzugriff das
Nettoeinkommen maßgebend ist, muss sich die Abziehbarkeit der
Erwerbsaufwendungen an den tatsächlichen Kosten orientieren.
Der Abzug von erwerbsbedingten Fahrtkosten kann daher nicht mit der
Begründung verneint werden, dass dem Arbeitnehmer diese Kosten
nicht entstanden wären, wenn er seine Wohnung an der
Arbeitsstätte genommen hätte. Es bleibt
grundsätzlich dem Steuerpflichtigen überlassen, über
die Geeignetheit, Notwendigkeit, Vernünftigkeit und
Angemessenheit einer Erwerbshandlung zu entscheiden. Das
Einkommensteuerrecht verpflichtet die Steuerpflichtigen nicht zu
möglichst sparsamen Erwerbsaufwendungen und kennt auch keine
Obliegenheit, sparsam zu sein (Wieland, a.a.O.; Hennrichs, BB 2004,
584; Elicker, StB 2005, 209; Tipke, BB 2007, 1525 mit Hinweis auf
RFH-Urteil vom 12.12.1923 III A 362/23, RFHE 13, 166).
(2) Eine erhebliche private Mitveranlassung
kann auch nicht damit begründet werden, dass zwar die Hinfahrt
zur Arbeitsstätte beruflich, die Rückfahrt zur Wohnung
dagegen aus privatem Anlass erfolge (Kirchhof, DStR 2003, Beihefter
5 zu Heft 37). Denn zum Einen müssten danach zumindest die
Kosten für die Hinfahrt zum Abzug zugelassen werden. Zum
Anderen ist die Rückfahrt lediglich die Umkehrung eines
beruflich veranlassten Zustands und deshalb ebenfalls
erwerbsbedingt (Tipke, Festschrift für Raupach, 177; Drenseck,
Gedächtnisschrift für Trzaskalik, 283; BFH-Urteil in BFHE
159, 341, BStBl II 1990, 423 = SIS 90 08 36 zu Reisekosten). Wer
aus Erwerbsgründen zu seiner Arbeit fährt, der muss -
anders als der Nichterwerbstätige - auch zurückfahren
(Tipke, FR 2007, 962). Dies betrifft nicht nur Fahrten im Rahmen
einer Auswärtstätigkeit (vgl. dazu unter B. VI. 1. d bb),
sondern auch die Wege zu einer regelmäßigen
Arbeitsstätte. Im Übrigen wurden nach der bis
Veranlagungszeitraum 2006 geltenden Rechtslage lediglich die
Aufwendungen für die einfache Strecke (Entfernungskilometer)
berücksichtigt (Hennrichs, BB 2004, 584).
(3) Zudem hat das BVerfG in seiner
Entscheidung zur steuerlichen Anerkennung häuslicher
Arbeitszimmer, die nach Ansicht des Gerichts wegen deren privater
Nutzung zumindest nicht ausschließlich einkommenswirksam
motiviert sind, klargestellt, dass der Gesetzgeber wenigstens nicht
vollständig eine Anerkennung als Werbungskosten ablehnen darf,
wenn ein wesentlicher Teil erwerbsmotiviert genutzt wird.
Andernfalls würden deren Charakter und Implikationen für
die Leistungsfähigkeit nicht entsprechend genutzt
(BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 = SIS 99 24 15; Brenner, DAR 2007, 441).
dd) Für den Senat folgt daraus, dass das
Abzugsverbot von Fahrtkosten gemäß § 9 Abs. 2 Satz
1 EStG eine Ausnahme von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem
objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung
darstellt.
Die sich insoweit ergebende Ungleichbehandlung
überschreitet die Grenze zulässiger Typisierung, auch
wenn nach Auffassung des BMF eine
„überdurchschnittliche“ Belastung von Pendlern
erst ab einem Fahrtweg von mehr als 20 km eintreten kann. Der
Gleichheitssatz fordert nach ständiger Rechtsprechung des
BVerfG zwar nicht, dass der Gesetzgeber stets gewillkürten
Aufwand berücksichtigen muss; vielmehr kann es der materiellen
Gleichheit auch genügen, wenn der Gesetzgeber für
bestimmte Arten von Aufwendungen nur den Abzug eines typisiert
festgelegten Betrages gestattet (BVerfG-Entscheidungen vom
10.4.1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, BStBl II 1997, 518 = SIS 97 14 55; in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 = SIS 99 24 15; zur
Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nach der Rechtsprechung des
BVerfG vgl. auch Kirchhof, StuW 2006, 3, 15; kritisch dazu Lang,
StuW 2007, 1). § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG enthält jedoch
keine quantifizierende Regelung in diesem Sinne. Eine
(qualifizierende) Bestimmung, die den Abzug von Erwerbsaufwand
schon dem Grunde nach verbietet, ist durch die dem Gesetzgeber
zustehende Befugnis zur Typisierung nach Auffassung des Senats
nicht gedeckt. Es kommt hinzu, dass für eine solche
Typisierung kein erkennbares Bedürfnis besteht (vgl. dazu
BVerfG-Beschluss vom 6.11.1985 1 BvL 47/83, BVerfGE 71, 146), da
die durch die Regelung eintretende ungerechtfertigte Belastung
nicht nur eine kleine Zahl, sondern die große Mehrheit der
Pendler betrifft und nicht erkennbar ist, dass die Härte nur
unter Schwierigkeiten zu vermeiden wäre (BVerfG-Beschluss vom
8.10.1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 = SIS 91 24 36).
d) Das Werkstorprinzip wird nicht hinreichend
folgerichtig umgesetzt.
Nach der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE
107, 27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 werden aufgrund der
traditionellen Grundentscheidung des deutschen
Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche
Berufssphäre nicht erst „am Werkstor“ beginnen zu
lassen, auch im Schnittbereich von beruflicher Sphäre und
privater Lebensführung liegende Mobilitätskosten als
Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt. Deshalb
„gehören - hinreichend folgerichtig - vor allem
Fahrtkosten zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips
abzugsfähigen Aufwendungen, obwohl solche Aufwendungen wegen
der privaten Wahl des Wohnorts zwangsläufig auch privat
mitveranlasst sind.“ Diese Grundentscheidung ist durch die
gesetzliche Neuregelung zumindest nicht folgerichtig aufgehoben
bzw. geändert worden.
aa) Nach der Gesetzesbegründung soll mit
der Neuregelung grundsätzlich dem Werkstorprinzip Geltung
verschafft werden, das ausschließlich die Arbeitsstätte
der Berufssphäre, das Wohnen dagegen dem Privatbereich
zuordnet (BTDrucks 16/1545, 8, 13). Der Senat lässt
dahinstehen, ob der Gesetzgeber mit der Neuregelung
tatsächlich eine inhaltliche und nicht nur behauptete
Hinwendung zum sog. Werkstorprinzip vorgenommen hat (vgl. dazu
Wieland, a.a.O.; FG Niedersachsen, Beschluss vom 27.2.2007 8 K
549/06, EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03). Denn diese (neue)
Grundentscheidung unterliegt dem verfassungsrechtlichen Gebot der
Folgerichtigkeit. Dem wird sie nicht gerecht. Der Gesetzgeber hat
das sog. Werkstorprinzip allenfalls partiell umgesetzt. Die mit der
behaupteten Grundentscheidung notwendigerweise verbundenen
Folgeänderungen sind ausgeblieben.
(1) Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1
EStG sind die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für
Familienheimfahrten keine Werbungskosten. In Abweichung davon sind
nach § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG „zur Abgeltung
erhöhter Aufwendungen“ für die Wege ab dem 21.
Entfernungskilometer eine Entfernungspauschale oder die
tatsächlichen Kosten „wie“ Werbungskosten
anzusetzen. Das bedeutet, dass die Fahrtaufwendungen ab dem 21.
Entfernungskilometer im Rahmen der Einkünfteermittlung (§
2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) in Abzug gebracht werden dürfen, die
Aufwendungen bis zu einer Entfernung von 20 Kilometern dagegen
steuerlich unberücksichtigt bleiben müssen. Eine solche
Differenzierung ist mit dem behaupteten Übergang zum sog.
Werkstorprinzip nicht vereinbar, nicht erklärbar und nicht
gerechtfertigt. Im Ergebnis führt die Neuregelung zu einer
Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer, die bis zu 20 Kilometer von
ihrer Arbeitsstätte entfernt wohnen, gegenüber den weiter
entfernt wohnenden. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen,
dass nunmehr demjenigen, der bis zu einer Entfernung von 20
Kilometern von seiner Arbeitsstätte entfernt wohnt, der Abzug
sämtlicher Fahrtaufwendungen abgeschnitten ist, während
dem Mitglied einer Fernpendler-Fahrgemeinschaft der Abzug einer
Entfernungspauschale zugebilligt wird, die möglicherweise
seine tatsächlichen Kosten übersteigt (Drenseck, DB 2007,
Beil. 2/2007, 8 f.; vgl. auch von Bornhaupt, in: Kirchhof/
Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 47). Ein konsequenter
Übergang - seine Vereinbarkeit mit dem objektiven Nettoprinzip
unterstellt - läge nur vor, wenn die Kosten der Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte generell nicht mehr
einkünftemindernd berücksichtigt werden dürften.
Eine Regelung, die nur für eine Teilgruppe von Arbeitnehmern
gilt, ist keine Grundsatzentscheidung des Einkommensteuerrechts
(Wieland, a.a.O.).
Diesem Befund kann nicht entgegen gehalten
werden, dass die Bestimmung in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG als
Härteregelung (BTDrucks 16/1545, 13; BTDrucks 16/1802, 3) bzw.
Billigkeitsmaßnahme zu verstehen sei. Die Unterscheidung
zwischen „Werbungskosten“ und
„Wie“-Werbungskosten ist lediglich terminologischer
Natur. Materiell einkommensteuerlich bestehen zwischen beiden
Formen des steuerlichen Abzugs keine Unterschiede (Stuhrmann, NJW
2006, 2513). Steuersystematisch handelt es sich in beiden
Fällen um Erwerbsaufwendungen i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2
EStG. Insoweit konsequent werden die
„Wie“-Werbungskosten beispielsweise auf die
Werbungskosten-Pauschale nach § 9a Satz 1 Nr. 1a EStG
angerechnet. Hätte der Gesetzgeber die Fahrtaufwendungen
für Fernpendler als unvermeidbare Privataufwendungen
angesehen, wäre systematisch korrekt ein Abzug vom
Gesamtbetrag der Einkünfte (vgl. § 2 Abs. 4 EStG) als
außergewöhnliche Belastungen in Betracht gekommen. Wenn,
wie vom Gesetzgeber angenommen, Aufwendungen für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte keine Werbungskosten sind,
können sie bei Überschreiten einer bestimmten Höhe
nicht zu Werbungskosten vergleichbaren Aufwendungen erstarken.
(2) Die entsprechenden Überlegungen
gelten für die nach wie vor bestehende Abzugsmöglichkeit
der Kosten bei Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten
Haushaltsführung in gleicher Weise (vgl. § 9 Abs. 2 Satz
8 EStG). Diese schon ab dem 1. Entfernungskilometer bestehende
Abzugsmöglichkeit ist mit dem Übergang zum sog.
Werkstorprinzip nicht vereinbar. Auch hier ist nicht erkennbar,
warum die Familienheimfahrten gegenüber anderen Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte privilegiert werden.
Hinsichtlich der Mobilitätskosten für die ersten 20
Entfernungskilometer besteht zwischen beiden Fällen kein
sachlich begründeter Unterschied. Das vom BMF zur
Begründung dieser unterschiedlichen Behandlung angeführte
Argument, das Werkstorprinzip finde auch auf den Steuerpflichtigen
mit doppelter Haushaltsführung Anwendung, soweit dieser von
seiner Wohnung am Beschäftigungsort zur Arbeitsstätte
fahre, überzeugt nicht. Vielmehr zeigt dieser Einwand einen
weiteren Bruch in der folgerichtigen Umsetzung des
Werkstorprinzips. Ist nämlich eine Zweitwohnung am
Beschäftigungsort aus beruflichem Anlass begründet (vgl.
BFH-Urteile vom 9.8.2007 VI R 10/06, BStBl II 2007, 820 = SIS 07 29 04, und VI R 23/05, BFH/NV 2007, 1994 = SIS 07 29 05), so ist
für die Annahme einer privaten Sphäre zwischen
Zweitwohnung und Arbeitsstätte kein Raum. Deshalb können
bei konsequenter Befolgung des Werkstorprinzips gerade die Fahrten
von der beruflich veranlassten Zweitwohnung am
Beschäftigungsort zur Arbeitsstätte nicht von dem zur
Prüfung gestellten Abzugsverbot betroffen sein.
(3) Nach § 9 Abs. 2 Satz 11 EStG
können Behinderte im Sinne der Vorschrift die
tatsächlichen Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten ansetzen.
Auch diese Regelung ist, wie das FG Saarland in seinem Beschluss in
EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81 zu Recht ausführt, unter der
Geltung des Werkstorprinzips nicht gerechtfertigt.
(4) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1
EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen
einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten
Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine folgerichtige
Verwirklichung des sog. Werkstorprinzips müsste zum Ausschluss
dieser Kosten führen (FG Saarland in EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81; Lang, StuW 2007, 3; Tipke, BB 2007, 1525; Paus, DStZ 2006,
518).
Nach dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 107,
27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 ist die grundsätzliche
Abzugsfähigkeit der Kosten einer beruflich begründeten
doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten traditioneller
Teil der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die
steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst am sog.
Werkstor beginnen zu lassen. Deshalb werden Mobilitätskosten
wie vor allem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
als Werbungskosten anerkannt. Wenn der Gesetzgeber, wie behauptet,
diese traditionelle Grundentscheidung zu Gunsten des sog.
Werkstorprinzips aufgibt, sind davon zumindest sämtliche
Mobilitätskosten betroffen. Dazu zählen neben den Kosten
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
insbesondere auch die Mehraufwendungen wegen doppelter
Haushaltsführung. Nach der Neuregelung ist aber der Abzug
dieser Mehraufwendungen als Werbungskosten bzw.
„Wie“-Werbungskosten (Familienheimfahrten
gemäß § 9 Abs. 2 Satz 7 EStG) weiterhin
möglich (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG; vgl. dazu
Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 9 Rz 155), der Abzug des
nach Meinung des Gesetzgebers auch beruflich mitveranlassten
Mehraufwands wegen der Fahrten zur Arbeitsstätte dagegen nicht
(§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese unterschiedliche steuerliche
Behandlung ist, wie die zitierte Entscheidung des BVerfG bereits
hinreichend deutlich macht, sachlich nicht gerechtfertigt. Es
handelt sich um Aufwendungen gleicher Veranlassung. Infolgedessen
hatte bislang der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung
des Senats ein Wahlrecht, entweder die Aufwendungen für
sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder
die notwendigen Mehraufwendungen aus Anlass der doppelten
Haushaltsführung (nur eine Familienheimfahrt pro Woche,
Unterkunftskosten etc.) als Werbungskosten geltend zu machen
(BFH-Urteil vom 2.10.1992 VI R 11/91, BFHE 169, 190, BStBl II 1993,
113 = SIS 93 02 37, m.w.N.).
(5) Die vom Gesetzgeber beabsichtigte
Zuordnung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zum
Privatbereich betrifft nicht nur die Aufwands-, sondern auch die
Einnahmenseite. Dies ist bei der gesetzlichen Neuregelung nicht
ausreichend beachtet worden.
Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG ist für
die Bewertung des geldwerten Vorteils, der dem Arbeitnehmer aus der
Privatnutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs erwächst,
§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entsprechend anzuwenden. Danach
ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs für jeden
Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im
Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für
Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer
anzusetzen. Kann vom Arbeitnehmer das Kraftfahrzeug auch für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden,
erhöht sich der so ermittelte Nutzungswert monatlich für
jeden Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
um 0,03 % des Listenpreises (§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG).
Der Zuschlag nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG
ist nur gerechtfertigt, wenn die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte der Erwerbssphäre zugeordnet werden. Bei
einer Zuordnung der Fahrten zur Privatsphäre greift die
Abgeltungswirkung der 1 %-Regelung. Der Gesetzgeber hätte
deshalb zur Vermeidung einer Überbesteuerung konsequenterweise
die Zuschlagregelung in § 8 Abs. 2 EStG betreffend Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufheben müssen. Das
ist jedoch unterblieben. Nach wie vor unterscheidet die Vorschrift,
wie aufgezeigt, zwischen Privatfahrten einerseits und solchen
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte andererseits. Es entspricht
nicht dem Gebot der Folgerichtigkeit, auf der Einnahmenseite eine
andere systematische Einordnung der Fahrtkosten zugrunde zu legen
als auf der Ausgabenseite (HHR/Birk/Kister, § 8 EStG Rz 96;
Blut, DStR 2007, 572).
Nicht folgerichtig ist nach Auffassung des
Senats die durch das StÄndG 2007 eingeführte Vorschrift
des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG (FG Saarland in EFG 2007, 853
= SIS 07 12 81). Danach gelten bei der Nutzungswertermittlung i.S.
des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG die Fahrten zwischen Wohnung
und Betriebsstätte und Familienheimfahrten als betriebliche
und nicht als private Fahrten (zur Begründung vgl. BTDrucks
16/1545, 12; vgl. auch HHR/Hick, Jahresband 2007, § 6 EStG Rz
J 06-3 ff.).
bb) Mit der Begründung, die
Berufssphäre beginne erst am Werkstor, müssten auch
andere außerhalb dieser Sphäre anfallende, dem Erwerb
dienende Ausgaben vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen werden.
Diese Konsequenz hat der Gesetzgeber jedoch nicht gezogen. Vielmehr
stellen solche Aufwendungen unter den Voraussetzungen des § 9
Abs. 1 Satz 1 EStG nach wie vor Werbungskosten dar. § 9 Abs. 2
Satz 1 EStG nimmt ausdrücklich nur die Aufwendungen des
Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte und für
Familienheimfahrten vom Werbungskostenabzug i.S. des § 9 Abs.
1 Satz 1 EStG aus. Eine einschränkende Auslegung dieser
Grundnorm „im Lichte“ des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
scheidet aus.
(1) Zu den nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
abziehbaren Mobilitätskosten zählen Aufwendungen für
sonstige Fahrten des Steuerpflichtigen von seiner Wohnung zum Ort
der Erwerbstätigkeit und zurück. Das kann etwa bei
Fahrtkosten im Zusammenhang mit einer Reisetätigkeit der Fall
sein. Entsprechendes gilt beispielsweise für von der Wohnung
angetretene Fahrten zu Vorstellungsgesprächen,
Fortbildungsveranstaltungen oder Kongressen. Zu den als
Werbungskosten zu berücksichtigenden Mobilitätskosten
gehören auch die Aufwendungen für beruflich veranlasste
auswärtige Übernachtungen am Ort der
regelmäßigen Arbeitsstätte (BFH-Urteil vom 5.8.2004
VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074 = SIS 04 37 81).
Als Reisekosten können Fahrtaufwendungen
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG pauschal oder in
tatsächlicher Höhe uneingeschränkt geltend gemacht
werden. Die Einschränkungen des Werbungskostenabzugs
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. kommen bei
Auswärtstätigkeiten nicht zur Anwendung. Dies gilt auch,
soweit es hier von Bedeutung ist, für die Wege zwischen
Wohnung und auswärtiger Tätigkeitsstätte und
zurück (BFH-Urteile in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785 = SIS 05 36 03; vom 11.5.2005 VI R 15/04, BFHE 209, 515, BStBl II 2005,
788 = SIS 05 35 99; zu Zwischenheimfahrten vgl. BFH-Urteil vom
11.2.1993 VI R 50/92, BFH/NV 1993, 716; Schmidt/Drenseck, EStG, 26.
Aufl., § 9 Rz 120). Die Finanzverwaltung teilt diese
Auffassung (vgl. R 9.5 i.V.m. H 9.5 (Allgemeines) des Amtlichen
Lohnsteuer-Handbuchs 2008). Der Einwand, es handele sich insoweit
nicht um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, ist unter
dem Aspekt der Folgerichtigkeit nicht relevant (Tipke, BB 2007,
1525). Denn auch hier ist wie im Fall des § 9 Abs. 2 Satz 1
EStG die nach dem Willen des Gesetzgebers dem Privatbereich
zuzuordnende Wohnung Ausgangspunkt der jeweiligen Fahrt.
(2) Ebenfalls nicht vereinbar mit der
genannten These ist der Abzug beruflich bedingter Umzugskosten
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Nach ständiger Rechtsprechung sind
Umzugskosten Werbungskosten, wenn der Umzug dienstlich veranlasst
ist. Ein dienstlicher Anlass liegt nicht nur beim erstmaligen
Antritt einer Stellung oder beim Wechsel des Arbeitgebers vor,
sondern auch, wenn durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand
für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
wesentlich vermindert wird (BFH-Urteil vom 21.2.2006 IX R 79/01,
BFHE 212, 456, BStBl II 2006, 598 = SIS 06 25 21, m.w.N.;
Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 19 Rz 60, Stichwort
„Umzugskosten“).
Werden die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte unter Berufung auf das Werkstorprinzip dem
Privatbereich zugeordnet, müssten konsequenterweise auch die
Kosten für den Umzug in die Nähe des Werkstores vom Abzug
ausgeschlossen sein (Paus, DStZ 2006, 518). Diese Konsequenz hat
der Gesetzgeber jedoch nicht gezogen. Vielmehr ist in den genannten
Fällen der Werbungskostenabzug gemäß § 9 Abs.
1 Satz 1 EStG möglich.
(3) Da die Reichweite des Werkstorprinzips
nicht allein auf die bislang behandelten Kosten der Mobilität
eines Arbeitsnehmers beschränkt sein kann, ergeben sich
hinsichtlich der folgerichtigen Umsetzung dieses Prinzips noch
weiter gehende Zweifel. Im Schrifttum wird zu Recht darauf
hingewiesen, dass über die genannten Beispielsfälle
hinaus die Verallgemeinerung der These, die Berufssphäre
beginne am Werkstor („job inside, privacy outside“),
letztlich auch zur Konsequenz hat, dass entgegen § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG sämtliche vorweggenommenen und nachträglichen
Erwerbsaufwendungen nicht mehr erwerbsmindernd berücksichtigt
werden dürften (Tipke, BB 2007, 1525).
cc) Selbst wenn die Aufwendungen für die
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als gemischt
veranlasst zu werten wären, wird die Entscheidung, im
Schnittbereich von beruflicher Sphäre und privater
Lebensführung liegende Aufwendungen ausschließlich dem
Bereich der Privatsphäre zuzuordnen, nur dann im Sinne einer
Belastungsgleichheit folgerichtig umgesetzt, wenn sie sich auf
sämtliche gemischt veranlassten Aufwendungen erstreckt. Dies
hat der Gesetzgeber nicht beachtet. Er hat nur die nach seiner
Auffassung gemischt veranlassten Kosten für die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte als nicht (mehr) erwerbsveranlasst
qualifiziert. Für die steuerliche Behandlung sonstiger
gemischt veranlasster Aufwendungen ist die Rechtslage dagegen
unverändert geblieben.
Zwar verbietet § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG
nach der Auslegung, die diese Vorschrift durch die Rechtsprechung
des Großen Senats des BFH bisher erfahren hat
(Beschlüsse vom 19.10.1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II
1971, 17 = SIS 71 00 11; in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 = SIS 79 01 12), den Abzug von Aufwendungen, die sowohl der privaten
Lebensführung dienen als auch den Betrieb fördern. Die
Rechtsprechung des BFH hat das sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot
des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG allerdings seit jeher
einschränkend dahin ausgelegt, dass es nicht anzuwenden ist,
wenn das Hineinspielen der Lebensführung unbedeutend ist und
nicht ins Gewicht fällt oder wenn und soweit sich der dem
Beruf dienende Teil der Aufwendungen nach objektiven
Maßstäben mit Sicherheit und leicht - gegebenenfalls im
Wege der Schätzung - abgrenzen lässt (vgl. im Einzelnen
BFH-Beschluss in BFHE 214, 354, BStBl II 2007, 121 = SIS 06 37 91
mit Hinweis auf die überwiegend gegenteiligen Auffassungen im
Schrifttum; zu Beispielsfällen vgl. Schmidt/Drenseck, EStG,
26. Aufl., § 12 Rz 13).
Daraus folgt, dass unter den genannten
einschränkenden Voraussetzungen der Werbungskostenabzug
(§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) auch gemischt veranlasster
Aufwendungen ganz oder teilweise zulässig ist (zu
Kraftfahrzeug-Kosten vgl. BFH-Beschluss in BFHE 100, 309, BStBl II
1971, 17 = SIS 71 00 11). Es erscheint nicht sachgesetzlich, von
dieser Abzugsmöglichkeit allein die Aufwendungen für die
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auszunehmen.
2. § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG stellt eine
Ausnahme von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven
Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung dar. Diese Ausnahme
ist nicht durch einen besonderen, sachlichen Grund gerechtfertigt
(FG Niedersachsen und Saarland in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03 bzw.
853).
Die Neuregelung wird in der
Gesetzesbegründung lediglich finanzpolitisch
(„Haushaltskonsolidierung“) gerechtfertigt (BTDrucks
16/1545, 8, 13). Lenkungseffekte werden als Rechtfertigung nicht
genannt und sind auch nicht tatbestandlich vorgezeichnet (vgl.
BVerfG-Beschluss in BVerfGE 27, 58, BStBl II 1970, 140 = SIS 70 00 80; zur Bedeutung von Förderungs- und Lenkungszwecken vgl.
auch BVerfG-Beschluss vom 21.6.2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 =
SIS 06 33 60). Sie sind zudem nicht ersichtlich. Insbesondere
kommen verkehrs- oder umweltpolitische Gründe nicht in
Betracht (vgl. dazu FG Saarland in EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81;
Wieland, a.a.O.).
Die Haushaltskonsolidierung allein liefert
für sich genommen noch keinen sachlichen Grund für
Ungleichbehandlungen (Osterloh, in Sachs, Grundgesetz, 4. Aufl.,
Art. 3 Rz 145) und rechtfertigt deshalb die Sonderbelastung der
Pendler nicht (Tipke, BB 2007, 1525; vgl. auch BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 116, 164 = SIS 06 33 60). Zwar kann die Verringerung der
pauschalierten Werbungskosten und damit die entsprechende
Erhöhung der Erträge der Einkommensteuer gerechtfertigt
sein, wenn diese Maßnahme im Rahmen eines inhaltlichen
Gesamtprogramms zur Herstellung eines ausgeglichenen Haushalts eine
Konsolidierungsrolle einnimmt (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 27, 58,
BStBl II 1970, 140 = SIS 70 00 80). Fiskalische Erwägungen
dieser Art rechtfertigen jedoch kein Sonderopfer der Arbeitnehmer
durch Nichtabziehbarkeit der Aufwendungen für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte (von Bornhaupt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 46; Wieland,
a.a.O.).
3. Geht man mit dem Gesetzgeber davon aus,
dass die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte keine Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG sind, verstößt die Neuregelung nach
Auffassung des Senats gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3
Abs. 1 GG) in der Ausprägung des Grundsatzes der Besteuerung
nach der subjektiven Leistungsfähigkeit. Dieser Grundsatz
verlangt, dass unvermeidbare Ausgaben, die in der privaten
Sphäre anfallen, die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer
mindern (BFH-Beschluss vom 14.12.2005 X R 20/04, BFHE 211, 351,
BStBl II 2006, 312 = SIS 06 06 88). Aufwendungen, die nicht nur in
objektivem Zusammenhang mit einer steuerbaren Tätigkeit
stehen, sondern zur Einnahmenerzielung erforderlich sind
(notwendige Erwerbsaufwendungen), sind unvermeidbare Ausgaben in
diesem Sinne. Durch sie wird die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gemindert (Jachmann,
DAR 1997, 185).
a) Für den Bereich des subjektiven
Nettoprinzips ist das Verfassungsgebot der steuerlichen Verschonung
des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner
unterhaltsberechtigten Familie zu beachten. Wie weit über den
Schutz des Existenzminimums hinaus auch sonstige unvermeidbare oder
zwangsläufige private Aufwendungen bei der Bemessungsgrundlage
einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, ist zwar
verfassungsrechtlich bislang noch nicht abschließend
geklärt. Entschieden ist jedoch, dass es für die
verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller
Leistungsfähigkeit nicht nur auf die Unterscheidung zwischen
beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen
ankommt, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen
freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und
zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die
Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne
weiteres zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser hat die
unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch
dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu
würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der
Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung
zuzuordnen sind (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27, BStBl II
2003, 534 = SIS 03 19 40, m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen entstehen die
Kosten, die für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte aufzubringen sind, den Arbeitnehmern
zwangsläufig (FG Niedersachsen in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03; FG Saarland in EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81; Lang, StuW 2007,
3; Tipke, Festschrift für Raupach, 177; ders., BB 2007, 1525;
Brenner, DAR 2007, 441; Hennrichs, BB 2004, 584; Karrenbrock/Fehr,
DStR 2006, 1303; Drenseck, Gedächtnisschrift für
Trzaskalik, 283, 292; ders. in Schmidt, EStG, 26. Aufl., § 9
Rz 110). Betroffen sind insbesondere die Grundrechte aus Art. 11,
12 und Art. 6 Abs. 1 GG.
aa) Fahrtaufwendungen entstehen zwar nicht mit
der gleichen Zwangsläufigkeit wie der Sicherung des
Existenzminimums dienende Leistungen. Dennoch können sich
ihnen die Steuerpflichtigen nicht beliebig entziehen, wie dies bei
anderen privaten Aufwendungen der Fall ist. Denn ohne Fahrt zur
Arbeitsstätte kann der Steuerpflichtige regelmäßig
nicht arbeiten und folglich keine Einnahmen erzielen. Die
Fahrtkosten sind somit zur Existenzsicherung unvermeidlich. Sie
können nur dadurch vermeiden werden, dass die
erwerbstätigen Steuerpflichtigen stets dorthin ziehen, wo sie
eine Erwerbstätigkeit gefunden haben. Das zu erwarten und
zuzumuten, verletzt das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11
GG; Tipke, Festschrift für Raupach, 177, 185; Elicker, Entwurf
einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, 221 ff.); erwartet wird
dadurch auch eine Unmöglichkeit (zur Bedeutung des Gebots der
realitätsgerechten Tatbestandsgestaltung vgl.
BVerfG-Entscheidungen in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618 = SIS 02 04 93; in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40).
Es kann nicht jeder in oder in der Nähe seiner
Arbeitsstätte wohnen (FG Niedersachsen in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03). Deshalb stellt auch das Werkstorprinzip lediglich eine
Fiktion dar. Zumindest bis zu einer gewissen Entfernung sind
Aufwendungen für die Wege zur Arbeit im Regelfall
unumgänglich.
Entgegen der Auffassung des FA und des BMF
kann der Wohnort nicht regelmäßig frei gewählt
werden. Zu berücksichtigen sind der Wohnungsmarkt, die
finanziellen Verhältnisse, die Bedürfnisse der Familie
und andere Zwänge (vgl. dazu Wesselbaum-Neugebauer, FR 2004,
385, 386; Tipke, BB 2007, 1525). Die Forderung, trotz dieser
Zwänge an das Werkstor zu ziehen, kann den Steuerpflichtigen
veranlassen, den Beruf oder Arbeitgeber zu wechseln oder sogar
seine Erwerbstätigkeit einzustellen. Dies bedeutet jedoch eine
Einschränkung der von Art. 12 GG geschützten
Berufswahlfreiheit. Soweit der Steuerpflichtige wegen seiner
Familie in größerer Entfernung von seiner
Arbeitsstätte wohnt und deshalb entsprechende
Fahrtaufwendungen auf sich nehmen muss, hat dem der
Steuergesetzgeber im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung zu
tragen. Denn Art. 6 Abs. 1 GG ist grundsätzlich verletzt, wenn
eine steuerliche Mehrbelastung darauf basiert, dass ein
Steuerpflichtiger verheiratet ist oder eine Familie hat (Jachmann,
DAR 1997, 185).
bb) Die Zwangsläufigkeit ist vor allem
dann offenkundig, wenn der Arbeitnehmer mehrere
Berufstätigkeiten an verschiedenen Orten ausübt (z.B.
Nebenerwerbslandwirt), wenn er seine Arbeitsstelle verliert oder
der Betriebssitz des Arbeitgebers wechselt und mangels Alternativen
an einem auswärtigen Ort eine neue Arbeit aufgenommen werden
muss. Entsprechendes gilt in den Fällen befristeter
Beschäftigungsverhältnisse oder Kettenabordnungen (FG
Niedersachsen in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03; Micker, DStR 2007,
1145; Lenk, BB 2006, 1305). Die Fahrtaufwendungen sind hier keine
Mittel, die zur Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt
werden (vgl. dazu BVerfG-Beschlüsse vom 10.11.1998 2 BvR 1057,
1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 = SIS 99 04 06;
vom 26.1.1994 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346, BStBl II 1994, 307 =
SIS 94 05 12). Den Arbeitnehmern ist es aus familiären und
sozialen Gründen nicht zumutbar, ihren (Familien-)Wohnsitz bei
jedem Arbeitsplatzwechsel aufzugeben und jeweils dauerhaft in die
Nähe des neuen Arbeitsplatzes zu verlegen (FG Saarland in EFG
2007, 853 = SIS 07 12 81; Drenseck, Gedächtnisschrift für
Trzaskalik, 283, 293). Hier sind die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1
und Art. 12 GG berührt.
cc) Insbesondere in den Fällen
beiderseits berufstätiger Ehegatten bedarf die behauptete
freie Wahl des Wohnorts im Licht des durch Art. 6 Abs. 1 GG
gewährleisteten Schutzes der Ehe und Familie einer umfassenden
Würdigung (vgl. dazu auch unter B. VI. 3. der Gründe).
Denn wenn die Ehepartner - wie im Streitfall - an verschiedenen
Orten arbeiten, steht ihnen tatsächlich nicht mehr frei, den
Wohnort unabhängig von familiären Bindungen und nur
abhängig von der Arbeitsstätte zu wählen (Brenner,
DAR 2007, 441). Den Ehegatten bleibt nur die „Wahl“
zwischen „Fahrt oder Fahrt“ (Hennrichs, BB 2004, 584).
Das gilt im Hinblick auf Art. 12 GG auch dann, wenn die Eheleute an
näher zusammenliegenden Orten eine Arbeitsstelle finden
könnten. Nach dem Ehebild des GG sind beide Ehepartner
gleichberechtigt und frei in der Entscheidung, welche Rolle jeder
Ehepartner im Rahmen der Gestaltung des Ehelebens übernimmt
(Jachmann, DAR 1997, 185).
dd) Der Befund, dass Fahrtkosten
zwangsläufiger pflichtbestimmter Aufwand sind, kann nicht mit
dem Hinweis auf die sog. Härteregelung für die
Fernpendler (§ 9 Abs. 2 Satz 2 ff. EStG) in Frage gestellt
werden. Denn das Einkommensteuerrecht ist auf die
Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin
angelegt. Ob eine „Härte“ vorliegt, hängt von
der Höhe des Einkommens ab. Wer ein geringes Einkommen
bezieht, kann bei einer Entfernung von 15 km im Hinblick auf sein
disponibles Einkommen härter betroffen sein als ein Pendler
mit hohem Einkommen bei einer Entfernung von 25 oder 75 km (Tipke,
BB 2007, 1525), zumal wenn diesem als Mitfahrer einer
Fernpendler-Fahrgemeinschaft nur anteilige oder keine Wegekosten
entstehen. Die vom BMF vorgenommene Differenzierung zwischen
durchschnittlicher (bei Entfernung bis 20 km) und
überdurchschnittlicher (ab 21. Entfernungskilometer) Belastung
von Pendlern ist auch auf der Grundlage der dem Gesetzgeber
„im Rahmen der im gewaltenteilenden Verfassungsstaat ihm
zugewiesenen Typisierungsbefugnis“ nicht gerechtfertigt. Auch
wenn man davon ausgeht, dass gerade bei extremen Fernpendlern
private Motive für den Wohnsitzwechsel nicht mehr von
untergeordneter Bedeutung sind, erscheint die Härteregelung in
sich widersprüchlich, weil sie gerade diejenigen
begünstigt, die sich nicht der Mühe unterziehen, ihren
Wohnsitz in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu nehmen.
c) Nach Auffassung der FG Niedersachsen und
Saarland in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03 bzw. 853 kann die
Neuregelung bei Geringverdienern mit hinreichend hohen Fahrtkosten
zu einem Verstoß gegen das Verfassungsgebot der steuerlichen
Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner
unterhaltsberechtigten Familienangehörigen führen (vgl.
dazu BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534
= SIS 03 19 40; vom 10.11.1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl
II 1999, 174 = SIS 99 04 07; vom 25.9.1992 2 BvL 5, 8, 14/91,
BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 = SIS 92 21 01; BFH-Beschluss
in BFHE 211, 351, BStBl II 2006, 312 = SIS 06 06 88). Dieser
Ansicht schließt sich der Senat an (ebenso Karrenbrock/Fehr,
DStR 2006, 1303; Lenk, BB 2006, 1305; Micker, DStR 2007, 1145;
Leisner-Egensperger, BB 2007, 639; vgl. auch Jachmann, DAR 1997,
185).
Das Verfassungsgebot der steuerlichen
Verschonung des Existenzminimums und das Gebot der Folgerichtigkeit
werden verletzt, wenn durch den in Rede stehenden Paradigmenwechsel
Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
nicht mehr als Erwerbsaufwand, sondern als Kosten der privaten
Lebensführung qualifiziert werden, aber der Gesetzgeber es
unterlässt, den einkommensteuerrechtlichen Grundfreibetrag
entsprechend anzupassen. Soweit das BMF demgegenüber geltend
macht, dass Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte nicht Teil des existenznotwendigen
sächlichen Bedarfs seien, kann dem nicht gefolgt werden. Denn
die Fahrtkosten sind nicht nur, wie bereits ausgeführt, zur
Existenzsicherung unvermeidlich. Ihre einkommensteuerliche
Berücksichtigung ergibt sich auch aus dem Sozialhilferecht,
das eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene
bietet. Danach muss der Gesetzgeber dem Einkommensbezieher von
dessen Erwerbsbezügen mindestens das belassen, was er dem
Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen
Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174 = SIS 99 04 07).
Mit diesem Grundsatz ist nicht in
Übereinstimmung zu bringen, wenn einerseits das
Einkommensteuerrecht Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte nicht (mehr) als Teil des
existenznotwendigen Bedarfs betrachtet, aber andererseits das
derzeit geltende Sozialhilferecht (weiter) das anzurechnende
Einkommen sozialhilferechtlicher Leistungsempfänger um die mit
ihrer Einkommenserzielung verbundenen notwendigen Ausgaben
kürzt (§ 11 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch -
SGB II -, § 82 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch
- SGB XII - ) und zu diesen notwendigen Ausgaben - so
ausdrücklich die dazu ergangenen
Durchführungsverordnungen - auch die Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte zählen. Denn nach § 3 Abs. 1 Nr. 3
Buchst. b der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur
Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim
Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (BGBl I 2004, 2622) bzw. § 6
Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b der genannten Verordnung i.d.F. vom
17.12.2007 (BGBl I 2007, 2942) sind vom Einkommen der
Hilfebedürftigen bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs für
die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 0,20 EUR
für jeden Entfernungskilometer der kürzesten
Straßenverbindung abzusetzen.
Für das anzurechnende Einkommen der nach
SGB XII Leistungsberechtigten gilt Entsprechendes. Denn auch nach
§ 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. a der Verordnung zur
Durchführung des § 82 SGB XII (BGBl I 1962, 692, zuletzt
geändert durch Art. 11 des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes
vom 21.3.2005, BGBl I 2005, 818) ist für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte für die ersten 40 Kilometer das
Einkommen um monatliche Pauschbeträge von 5,20 EUR für
jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte
entfernt liegt, zu kürzen. Bei 20 Arbeitstagen im Monat
entspricht dies einer Entfernungspauschale von 0,26 EUR je
Kilometer.
4. Die Neuregelung genügt im Fall
beiderseits berufstätiger Ehegatten, um die es hier geht,
nicht den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6
Abs. 1 GG (FG Saarland in EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81; FG
Niedersachsen in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03; von Bornhaupt, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 48; Brenner,
DAR 2007, 441; Leisner-Egensperger, BB 2007, 639; Micker, DStR
2007, 1145; Karrenbrock/Fehr, DStR 2006, 1303; Hennrichs, BB 2004,
584; Stahlschmidt, FR 2006, 818).
Der besondere verfassungsrechtliche Schutz von
Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG erstreckt sich
auf die „Alleinverdienerehe“ ebenso wie auf die
„Doppelverdienerehe“. In der Entscheidung des BVerfG in
BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40 heißt
es:
|
„Den gebotenen Schutz der
‘Doppelverdienerehe’ verfehlt der
Einkommensteuergesetzgeber, wenn er Aufwendungen, die für
beiderseits berufstätige Ehegatten zwangsläufiger Aufwand
für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf unter Bedingungen
hoher Mobilität sind, nach Ablauf von zwei Jahren mit beliebig
disponibler privater Einkommensverwendung gleichsetzt und für
die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der
Ehegatten unberücksichtigt lässt. Art. 3 Abs. 1 GG in
Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es, Aufwendungen für
eine doppelte Haushaltsführung bei der Bemessung der
finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen,
soweit es sich um zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits
berufstätiger Ehegatten handelt, der dadurch entsteht, dass
ein gemeinsamer Wohnsitz bei dem Beschäftigungsort des einen
Ehegatten besteht und zugleich die Unterhaltung eines weiteren
Wohnsitzes durch die Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an
einem anderen Ort veranlasst ist. Aus welchen Gründen sich
einer der Ehegatten für eine Berufstätigkeit an einem vom
gemeinsamen Wohnort abweichenden Beschäftigungsort
entschlossen hat, ist dabei auch nach Ablauf von zwei Jahren
doppelter Haushaltsführung nicht von Belang; es liegt im
Rahmen der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Sphäre
privater Lebensgestaltung, ob dieser Ehepartner in Wahrnehmung
seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) einen solchen Entschluss
fasst, um überhaupt eine Arbeitsstelle zu finden, oder ob er
damit beispielsweise nur die Erwartung einer höheren
Arbeitsplatzattraktivität oder besserer Karrierechancen
verbindet.“
|
Das BVerfG fährt fort:
|
„Das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende
Verbot, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider
Ehegatten zu erschweren, führt dazu, dass der Gesetzgeber bei
beiderseits berufstätigen Ehegatten Aufwendungen für
doppelte Haushaltsführung nicht deshalb als beliebig
disponibel betrachten darf, weil solche Aufwendungen privat
(mit-)veranlasst sind. Werden Aufwendungen für doppelte
Haushaltsführung bei dieser Fallgruppe zwangsläufig zur
Gewährleistung der Berufstätigkeit beider Ehegatten
erbracht, so sind sie auch über einen Zweijahreszeitraum
hinaus grundsätzlich als Minderung finanzieller
Leistungsfähigkeit steuerlich zu
berücksichtigen.“
|
Diese Erwägungen gelten in gleicher
Weise, wenn die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf statt mittels einer
doppelten Haushaltsführung durch tägliches Pendeln vom
gemeinsamen Familienwohnsitz zur jeweiligen Arbeitsstätte
erreicht wird. Die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 110, 412 =
SIS 04 36 31 steht dem nicht entgegen (so aber wohl Wernsmann, DStR
2007, 1149). Anders als im Streitfall ging es dort um das
Fördergebot des Art. 6 Abs. 1 GG.
Dieser, beiderseits erwerbstätige
Ehegatten treffende, Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG kann
entgegen der Auffassung des BMF auch nicht von der sog.
Härteregelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG aufgefangen
werden, weil er bereits die ersten 20 km der Fahrtstrecke zwischen
der gemeinsamen Ehewohnung und den unterschiedlichen
Arbeitsstätten erfasst.
VII. Entscheidungserheblichkeit der
Vorlage
Der Senat setzt das Verfahren aus und holt
eine Entscheidung des BVerfG zu der Vorlagefrage ein, da es
für die Entscheidung des Streitfalles auf die
Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
ankommt (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG).
Der Kläger ist durch den nach Auffassung
des beschließenden Senats verfassungswidrigen Ausschluss der
Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte vom Werbungskostenabzug betroffen.
1.
|
Erweist sich § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG als
mit der Verfassung vereinbar, wäre die Revision gegen das
klageabweisende Urteil des FG als unbegründet
zurückzuweisen (vgl. dazu unter B. I. und BFH-Beschluss in
BStBl II 2007, 799 = SIS 07 31 55).
|
|
|
2.
|
Ist die Regelung jedoch verfassungswidrig,
müsste der Senat zu einer anderen Entscheidung kommen.
|
a) Die Revision ist zulässig.
Zwar wirkt sich nach Ablauf des Monats
März 2008 die Eintragung des Freibetrags auf der
Lohnsteuerkarte 2007 nicht mehr auf das Lohnsteuerabzugsverfahren
aus (§ 42b Abs. 3 Satz 1 EStG), so dass das
Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage
entfällt (BFH-Entscheidungen vom 7.4.1987 IX R 41/86, BFH/NV
1987, 714; vom 2.11.2000 X R 156/97, BFH/NV 2001, 476 = SIS 01 58 73). Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der
Revision. Vielmehr kann auf Antrag das Anfechtungsverfahren in ein
Feststellungsverfahren nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO
übergeleitet werden, wenn der Kläger ein berechtigtes
Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der abgelehnten
Eintragung auf der Lohnsteuerkarte hat. Davon ist im Hinblick auf
das Lohnsteuerverfahren für das Folgejahr und die das Jahr
2007 betreffende Veranlagung zur Einkommensteuer auszugehen
(BFH-Urteile vom 7.6.1989 X R 12/84, BFHE 157, 370, BStBl II 1989,
976 = SIS 89 20 27; vom 7.8.1991 X R 116/89, BFHE 165, 267, BStBl
II 1992, 736 = SIS 91 21 07; Gräber/von Groll,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 100 Rz 58).
b) Erklärt das BVerfG die
kostenbegrenzende Vorschrift für nichtig, wäre dem
Klagebegehren (zumindest teilweise) stattzugeben. Kosten für
die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wären bis
zum 20. Entfernungskilometer in tatsächlicher oder
pauschalierter Höhe als Werbungskosten zu
berücksichtigen. Im derzeitigen Stadium des Verfahrens kann
hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit der Vorfrage
offenbleiben, in welcher konkreten Höhe die Fahrtkosten
abzugsmindernd anzusetzen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang
auch nicht darauf an, ob im Fall der Nichtigerklärung die bis
2006 geltende Regelung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 9 Abs.
2 Sätze 1 und 2 EStG) wieder auflebt (vgl. dazu
BVerfG-Beschluss vom 19.7.2000 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197; FG
Niedersachsen in EFG 2007, 690 = SIS 07 14 03) oder § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG als Grundtatbestand heranzuziehen ist (so FG Saarland
in EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81).
Hält das BVerfG die vollständige
Versagung des Werbungskostenabzugs für die streitigen
Aufwendungen für verfassungswidrig und erklärt es die
genannte Bestimmung für unvereinbar mit dem GG, so muss der
Gesetzgeber eine Neuregelung treffen. In diesem Fall müsste
das Revisionsverfahren bis zu einer Neuregelung durch den
Gesetzgeber ausgesetzt werden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 107, 27,
BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40).
Die Möglichkeit, dass das BVerfG die
Regelung trotz Verfassungswidrigkeit zeitweise für weiterhin
anwendbar hält, ist für die Frage der
Entscheidungserheblichkeit unbeachtlich (BVerfG-Beschluss vom
22.6.1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 = SIS 95 17 08).
3. Eine verfassungskonforme Auslegung ist in
Anbetracht des klaren und dem Gesetzeszweck entsprechenden
Wortlauts nicht möglich (ebenso FG Saarland in EFG 2007, 853 =
SIS 07 12 81). Die Kosten für die Wege zur Arbeitsstätte
mindern das zu versteuernde Einkommen auch nicht in sonstiger
Weise. Sie sind weder Sonderausgaben gemäß § 10
EStG noch „außergewöhnliche“
Belastungen. Entsprechende Aufwendungen entstehen der
überwiegenden Mehrzahl der steuerpflichtigen Arbeitnehmer.