Ausbildungsort, Fahrtkosten: Führt ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer eine längerfristige, jedoch vorübergehende berufliche Bildungsmaßnahme durch, so wird der Veranstaltungsort im Allgemeinen nicht zu einer weiteren regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. Die Fahrtkosten des Arbeitnehmers zu der Bildungseinrichtung sind deshalb nicht mit der Entfernungspauschale, sondern in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten zu berücksichtigen. - Urt.; BFH 10.4.2008, VI R 66/05; SIS 08 24 17
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden zur Einkommensteuer des Streitjahres (2003)
zusammen veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr als
technischer Angestellter Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit. Neben dieser Vollbeschäftigung nahm er an einer
Bildungsmaßnahme zum Werkzeugkonstrukteur an der Beruflichen
Schule in X teil. Die Bildungsmaßnahme hatte am 1.8.2000
begonnen und sollte Ende Juli 2004 beendet sein. Der Kläger
besuchte die Bildungsstätte dienstags und freitags nach
Feierabend jeweils von 17.30 Uhr bis 21.00 Uhr und samstags von
8.30 Uhr bis 15.15 Uhr.
In der Einkommensteuer-Erklärung des
Streitjahres machte der Kläger im Zusammenhang mit dieser
Bildungsmaßnahme Aufwendungen in Höhe von 2.672 EUR als
Werbungskosten geltend und zwar Fahrtkosten nach
reisekostenrechtlichen Grundsätzen in Höhe von 2.480 EUR
(106 Tage x 78 km x 0,30 EUR) sowie Mehraufwendungen für
Verpflegung in Höhe von 192 EUR (32 Samstage x 6 EUR).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) sah die Bildungseinrichtung als weitere
regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr
geltenden Fassung (EStG a.F.) an. Das FA berücksichtigte
deshalb nur die Entfernungspauschale in Höhe von 1.612 EUR.
Mehraufwendungen für Verpflegung ließ es außer
Ansatz. Derartige Aufwendungen könnten nur für die ersten
drei Monate der Bildungsmaßnahme berücksichtigt werden;
der Dreimonatszeitraum sei aber bereits im Kalenderjahr 2000
abgelaufen.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage blieb mit den in EFG 2006, 101 veröffentlichten
Gründen erfolglos. Ein Arbeitnehmer könne mehrere
regelmäßige Arbeitsstätten haben. Die
Bildungseinrichtung in X sei eine weitere regelmäßige
Arbeitsstätte.
Mit ihrer Revision bringen die Kläger
im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung des Finanzgerichts
(FG) seien die Fahrtkosten zu der auswärtigen
Bildungsstätte auch über die ersten drei Monate hinaus
mit den tatsächlichen Aufwendungen als Werbungskosten zu
berücksichtigen. Er - der Kläger - habe nur eine
regelmäßige Arbeitsstätte als dauerhaften
Mittelpunkt seiner beruflichen Arbeit gehabt. Der Veranstaltungsort
in X für die von vornherein bis Juli 2004 befristete
Bildungsmaßnahme sei nur zeitweilig hinzugetreten und
begründe keine weitere regelmäßige
Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
a.F.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der
Einspruchsentscheidung vom 21.4.2005 zusätzliche Fahrtkosten
in Höhe von 868 EUR und Mehraufwendungen für Verpflegung
in Höhe von 192 EUR als Werbungskosten bei den Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist
überwiegend begründet. Sie führt unter Aufhebung des
erstinstanzlichen Urteils zur überwiegenden Stattgabe der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die Kosten für die Fahrten des Klägers zur
Beruflichen Schule in X sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz
1 EStG in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten
abziehbar. Die vom Kläger geltend gemachten
Verpflegungsmehraufwendungen sind hingegen nicht zu
berücksichtigen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 9
Abs. 5 EStG).
1. Aufwendungen für eine
Bildungsmaßnahme können, wenn sie beruflich veranlasst
sind, Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
sein. Im Streitfall hat das FG zutreffend entschieden, dass die
Kosten des Klägers für die Bildungsmaßnahme
beruflich veranlasst sind. Diese Frage ist zwischen den Beteiligten
auch nicht im Streit.
a) Als Werbungskosten abziehbar sind
sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der
beruflichen Bildungsmaßnahme stehen. Hierzu gehören auch
Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher
Höhe zu berücksichtigen (Vorlagebeschluss des Senats vom
10.1.2008 VI R 17/07, BStBl II 2008, 234 ff. = SIS 08 08 35).
aa) Im Interesse der verfassungsrechtlich
gebotenen steuerlichen Lastengleichheit hat sich der Gesetzgeber
dafür entschieden, im Einkommensteuerrecht die objektive
finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem Saldo aus den
Erwerbseinnahmen einerseits und den beruflichen Erwerbsaufwendungen
andererseits zu bemessen (objektives Nettoprinzip). Auch Kosten
für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind nach
Auffassung des Senats beruflich veranlasst und damit
Erwerbsaufwendungen (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - in
BStBl II 2008, 234, 244 f. = SIS 08 08 35).
Das objektive Nettoprinzip erfuhr allerdings
durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. insoweit eine
Einschränkung, als die Fahrtkosten zwischen Wohnung und
(regelmäßiger) Arbeitsstätte nicht im
tatsächlichen Umfang steuerlich abziehbar waren, sondern nur
nach Maßgabe einer Entfernungspauschale. Diese Begrenzung ist
nach Ansicht des Senats im Grundsatz sachlich gerechtfertigt
(BFH-Urteil vom 11.5.2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005,
782 = SIS 05 36 04). Denn liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit
angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann
sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer
gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten
hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine
entsprechende Wohnsitznahme geschehen. Für diesen Grundfall
erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
a.F. als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven
Nettoprinzip (z.B. BFH-Urteil vom 11.5.2005 VI R 25/04, BFHE 209,
523, BStBl II 2005, 791 = SIS 05 36 01).
bb) Liegt jedoch keine auf Dauer und
Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige)
Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer
typischerweise in der aufgezeigten Weise einstellen kann, ist eine
Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster
Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
sachlich nicht gerechtfertigt. Dies gilt nicht nur für
Auswärtstätigkeiten (vgl. BFH-Urteile in BFHE 209, 502,
BStBl II 2005, 782 = SIS 05 36 04; vom 11.5.2005 VI R 70/03, BFHE
209, 508, BStBl II 2005, 785 = SIS 05 36 03), sondern u.a. auch
dann, wenn ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer mit
regelmäßiger Arbeitsstätte eine - zeitlich
befristete bzw. nicht auf Dauer angelegte - Bildungseinrichtung an
einem anderen Ort aufsucht (vgl. auch FG Münster, Urteil vom
27.8.2002 1 K 5930/01 E, EFG 2002, 1588 = SIS 03 00 34). Ein
solcher Arbeitnehmer hat typischerweise nicht die vorbezeichneten
Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten.
cc) Nach diesen Grundsätzen und den im
Streitfall vorliegenden Umständen ist die Berufliche Schule in
X nicht als weitere regelmäßige Arbeitsstätte
anzusehen. Die in der Freizeit ausgeübte
(Fort-)Bildungsmaßnahme des Klägers erstreckte sich zwar
über vier Jahre und war damit längerfristig; sie war
indessen vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt.
b) Entgegen der Ansicht des FA wurde die
Bildungseinrichtung in X auch nicht mit Ablauf von drei Monaten zur
regelmäßigen Arbeitsstätte. Der Senat hat bereits
in seinem Urteil vom 19.12.2005 VI R 30/05 (BFHE 212, 218, BStBl II
2006, 378 = SIS 06 13 17) ausgeführt, dass eine
auswärtige Tätigkeitsstätte durch bloßen
Zeitablauf von drei Monaten nicht zur regelmäßigen
Arbeitsstätte wird (vgl. auch Schmidt/Drenseck, EStG, 26.
Aufl., § 19 Rz 60, Stichwort: Reisekosten
(Auswärtstätigkeit); Niermann/Plenker, DB 2007, 1885,
1886; Hartmann, DStR 2007, 2239, 2246). Eine Dreimonatsfrist sieht
das Gesetz nur bei Mehraufwendungen für Verpflegung vor (vgl.
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 5 und 6 EStG i.V.m. §
9 Abs. 5 EStG).
c) Diese Beurteilung steht im Einklang mit der
Rechtsprechung des Senats, wonach der Begriff der
„regelmäßigen Arbeitsstätte“
i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG dem Begriff des
„Tätigkeitsmittelpunkts“ i.S. des § 4
Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG (zum Verpflegungsmehraufwand)
entspricht (u.a. BFH-Urteil vom 11.5.2005 VI R 16/04, BFHE 209,
518, BStBl II 2005, 789 = SIS 05 36 00; Schmidt/Drenseck, a.a.O.,
§ 19 Rz 60, Stichwort: Reisekosten
(Auswärtstätigkeit)). Ein Arbeitnehmer ist nicht am
Tätigkeitsmittelpunkt (regelmäßige
Arbeitsstätte), sondern auch dann auswärts
beschäftigt, wenn er - wie hier - einer
„längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit
an derselben Tätigkeitsstätte“ nachgeht (vgl.
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG).
d) Mit dieser Entscheidung setzt sich der
erkennende Senat nicht in Widerspruch zu seinem Urteil vom
29.4.2003 VI R 86/99 (BFHE 202, 299, BStBl II 2003, 749 = SIS 03 27 09). Bei Erwerbsaufwendungen für eine Bildungsmaßnahme
(Vollstudium) können die an eine regelmäßige
Arbeitsstätte anknüpfenden Rechtsfolgen des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. bzw. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zum
Zuge kommen (vgl. auch BFH-Urteil vom 22.7.2003 VI R 190/97, BFHE
203, 111, BStBl II 2004, 886 = SIS 03 45 47 -
Bildungsmaßnahme mit Vollzeitunterricht). Dies ist jedoch
dann anders, wenn ein Arbeitnehmer - wie hier - neben seiner
Vollbeschäftigung mit regelmäßiger
Arbeitsstätte eine zeitlich befristete Bildungsmaßnahme
an einem anderen Ort absolviert.
2. Die Vorentscheidung erweist sich allerdings
hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Mehraufwendungen
für Verpflegung als zutreffend. Nach der Sonderregelung des
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5
EStG beschränkt sich der Abzug der Pauschbeträge nach
Satz 2 der erstgenannten Vorschrift auf „die ersten drei
Monate“ der streitbefangenen Bildungsmaßnahme. Der
Dreimonatszeitraum war indessen im Streitjahr 2003 seit langem
abgelaufen.
3. Die Sache ist spruchreif. Zugunsten des
Klägers sind zusätzliche Fahrtkosten in Höhe von 868
EUR als Werbungskosten zu berücksichtigen. Das zu versteuernde
Einkommen von (bisher) 35.794 EUR ist um 868 EUR auf 34.926 EUR zu
mindern und die Einkommensteuer für 2003 auf 5.044 EUR
festzusetzen.