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I. Streitig ist, ob bei einer zeitlich
unbefristeten Versetzung an eine Einrichtung des Arbeitgebers diese
zur regelmäßigen Arbeitsstätte wird, wenn eine
Rückversetzung zur bisherigen Einrichtung in Aussicht gestellt
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Polizeibeamter im Dienst des Landes
Nordrhein-Westfalen (NRW). Er wohnt mit seiner Familie in S im
Kreis I. Bis einschließlich September 2000 war er bei der
Kreispolizeibehörde I tätig. Mit Verfügung der
Bezirksregierung D vom 17.8.2000 wurde er gemäß §
28 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes NRW mit Wirkung vom 1.10.2000
als Fachlehrer zum Polizeiausbildungsinstitut in H versetzt. Nach
einem persönlichen Verwendungskonzept des Landrats als
Kreispolizeibehörde I sollte die Rückversetzung zur
bisherigen Behörde voraussichtlich zum 1.10.2004
erfolgen.
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Der Einsatz des Klägers bei dem
Polizeiausbildungsinstitut zunächst als Fachlehrer und
später als Jahrgangsleiter im Bereich der Ausbildung des
Laufbahnabschnitts I endete mit Abschluss der Ausbildung des
entsprechenden Jahrgangs am 31.3.2004. Im Anschluss daran wurde der
Kläger bei dem Polizeiausbildungsinstitut in der Zeit bis zum
22.8.2005 als Fachlehrer in der Ausbildung zum gehobenen Dienst des
Laufbahnabschnitts II tätig, dem sich eine Tätigkeit als
Kursleiter anschloss. Diese sollte zunächst bis zum 31.8.2009
andauern, wurde jedoch um ein Jahr bis zum 31.8.2010
verlängert. Ende März 2009 wies das Landesamt für
Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW
dem Kläger eine Stelle als „Modulgruppenleiter“ in
dem Polizeiausbildungsinstitut zu, die mit einem Endtermin vom
31.8.2013 versehen ist. Als jeweils anschließende
Wunschbehörde des Klägers wurde bei den genannten
Stellenzuweisungen die Kreispolizeibehörde in I angegeben.
Auch in den Protokollen über die sog.
Personalverwendungsgespräche im November 2005 und März
2009 ist diese Stelle jeweils als Wunschbehörde des
Klägers vermerkt.
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Nach dem Willen des Dienstherrn des
Klägers soll das in der Aus- und Fortbildung eingesetzte
Personal der Polizei in einem geordneten Verfahren rotieren, um den
Praxisbezug der Aus- und Fortbildung zu gewährleisten. Die
Verwendungsdauer der Dozenten ist deshalb grundsätzlich auf
vier Jahre mit der Möglichkeit der einmaligen
Verlängerung um zwei Jahre begrenzt. Nach Ablauf des
Regelverwendungszeitraums sollen die Dozenten wieder in die
Polizeibehörden unter Berücksichtigung der jeweiligen
„Wunschbehörde“ versetzt werden (Erlass des
Innenministeriums des Landes NRW vom 16.6.2005 Az. 45.2 -
26.09.03).
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) vertrat im angefochtenen Bescheid für das
Streitjahr (2008) die Auffassung, dass es sich bei dem
Polizeiausbildungsinstitut um die regelmäßige
Arbeitsstätte des Klägers handele und dessen Kosten
für die Wege von seiner Wohnung dorthin nur begrenzt
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) als Werbungskosten zum Abzug
zugelassen werden könnten.
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Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne
Erfolg.
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Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für 2008 in der Weise zu ändern,
dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
weitere Werbungskosten in Höhe von 2.970 EUR zum Abzug
gebracht werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung). Das Finanzgericht (FG) hat zu Recht
entschieden, dass das Polizeiausbildungsinstitut im Streitjahr die
regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG des Klägers war.
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1. Als Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG sind sämtliche Aufwendungen abziehbar, die
beruflich veranlasst sind. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw.
Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich in
tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen
(Vorlagebeschluss des Senats vom 10.1.2008 VI R 17/07, BFHE 219,
358, BStBl II 2008, 234 = SIS 08 08 35). Allerdings sind
Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung
und regelmäßiger Arbeitsstätte nach Maßgabe
der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG genannten
Entfernungspauschalen nur eingeschränkt als Werbungskosten
abziehbar.
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a) Regelmäßige Arbeitsstätte
im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des
erkennenden Senats jede ortsfeste dauerhafte betriebliche
Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist
und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen
Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder
aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des
Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb.
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Liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit
angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann
sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer
gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten
hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch
entsprechende Wohnsitznahme geschehen. Für diesen Grundfall
erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als
sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven
Nettoprinzip.
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b) Liegt dagegen keine auf Dauer und
Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige)
Arbeitsstätte vor, auf die sich der Arbeitnehmer in der
aufgezeigten Weise einstellen kann, ist eine Durchbrechung der
Abziehbarkeit beruflich veranlasster Mobilitätskosten
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sachlich nicht
gerechtfertigt. Dies ist insbesondere bei
Auswärtstätigkeiten der Fall. Ein auswärts
tätiger Arbeitnehmer hat typischerweise nicht die
vorbezeichneten Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu
halten, insbesondere scheidet ein Familienumzug an die
Tätigkeitsstätte aus (ständige Rechtsprechung des
Senats, s. etwa Urteile vom 9.7.2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449,
BStBl II 2009, 822 = SIS 09 29 00; vom 17.6.2010 VI R 35/08, BFHE
230, 147, BStBl II 2010, 852 = SIS 10 22 79; jeweils m.w.N.).
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aa) Eine Auswärtstätigkeit liegt
u.a. vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb
seiner Wohnung und seiner regelmäßigen
Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) beruflich
tätig wird (Senatsurteile vom 15.5.2013 VI R 41/12, BStBl II
2013, 704 = SIS 13 20 31; vom 13.6.2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53,
BStBl II 2013, 169 = SIS 12 25 68; in BFHE 221, 35, BStBl II 2008,
825 = SIS 08 24 17; in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782 = SIS 05 36 04; in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785 = SIS 05 36 03); dies
gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer seiner Berufstätigkeit
vorübergehend längerfristig an einer anderen
betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nachgeht. Denn eine
vorübergehende Tätigkeitsstätte wird nicht durch
bloßen Zeitablauf zum Tätigkeitsmittelpunkt bzw. zur
regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers (vgl.
Senatsurteile vom 19.12.2005 VI R 30/05, BFHE 212, 218, BStBl II
2006, 378 = SIS 06 13 17; vom 10.7.2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391,
BStBl II 2009, 818 = SIS 08 35 53; Schmidt/Krüger, EStG, 32.
Aufl., § 19 Rz 110, Stichwort: Reisekosten
<Auswärtstätigkeit>). Vielmehr wird eine
betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers nur dann zur
regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer dieser
Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet hat (Senatsurteile
vom 19.1.2012 VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503 = SIS 12 09 50; VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936 = SIS 12 13 04; vom 9.6.2011
VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38 = SIS 11 27 14; VI R
36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36 = SIS 11 27 13; VI R 58/09,
BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34 = SIS 11 27 15).
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bb) Ob der Arbeitnehmer lediglich - unter
Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen
Arbeitsstätte - „vorübergehend“ in
einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers
tätig wird oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen
Beschäftigungsort entsandt wurde und dort eine (neue)
regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat, ist
nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Hierfür hat das FG insbesondere die der
Auswärtstätigkeit zugrunde liegenden Vereinbarungen
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Blick zu nehmen und
anhand dieser - ex ante (vgl. hierzu Senatsurteil vom 9.2.2012 VI R
22/10, BFHE 236, 426, BStBl II 2012, 827 = SIS 12 13 68) - zu
beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine
regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und
dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird. Denn das
Gesetz gibt derzeit noch (anders als künftig § 9 Abs. 4
EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der
Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom
20.2.2013, BGBl I 2013, 285) keine zeitliche Obergrenze für
die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit
vor.
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2. Gemessen daran war im Streitfall das
Polizeiausbildungsinstitut im Streitjahr die regelmäßige
Arbeitsstätte des Klägers. Die Kosten für die Wege
von seiner Wohnung in S nach H sind demnach unter den
Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als
Werbungskosten nur beschränkt abziehbar.
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Nach den Feststellungen des FG ist der
Kläger im Jahr 2000 unbefristet an das
Polizeiausbildungsinstitut versetzt worden. Der Kläger musste
demnach zu Beginn seiner Tätigkeit davon ausgehen, an seiner
neuen Dienststelle nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft
tätig zu sein. Es kann dahinstehen, ob im Fall einer
unbefristeten Versetzung an eine andere betriebliche Einrichtung
des Arbeitgebers diese stets zur regelmäßigen
Arbeitsstätte wird. Denn im Streitfall ist dies selbst unter
Beachtung der Tatsache, dass der Verwendungszeitraum als Dozent im
Polizeiausbildungsinstitut nach den ministeriellen Vorgaben
regelmäßig auf vier Jahre begrenzt ist, zu bejahen. Bei
einer absehbaren Verweildauer an einer betrieblichen Einrichtung
des Arbeitgebers nach einer Versetzung von mindestens vier Jahren
liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte
(regelmäßige) Arbeitsstätte vor, auf die sich der
Arbeitnehmer zur Minderung der Wegekosten entsprechend einstellen
kann.
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Soweit der Kläger seit 2000 bis zum
Streitjahr und darüber hinaus in unterschiedlichen Funktionen
im Polizeiausbildungsinstitut tätig war, steht dies der
Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte nicht
entgegen, auch wenn die Funktionszuweisungen jeweils befristet
waren. Denn die unterschiedlichen Aufgaben nahm der Kläger auf
der Grundlage der (unbefristeten) Versetzungsverfügung vom
17.8.2000 in derselben betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers,
dem Polizeiausbildungsinstitut, wahr.
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