Pendlerpauschale, Verfassungsmäßigkeit, AdV: 1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das ab 2007 geltende Abzugsverbot des § 9 Abs. 2 EStG betreffend Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verfassungsgemäß ist. - 2. Ein Beitritt des Bundesministeriums der Finanzen zu einem vor dem Bundesfinanzhof anhängigen Beschwerdeverfahren ist jedenfalls dann unzulässig, wenn es sich um eine Sache wegen Aussetzung der Vollziehung handelt. - Urt.; BFH 23.8.2007, VI B 42/07; SIS 07 31 55
I. Die Antragsteller und Beschwerdegegner
(Antragsteller) sind Eheleute und an unterschiedlichen Orten
nichtselbständig tätig. Mit ihrem Antrag auf
Lohnsteuer-Ermäßigung für das Jahr 2007 beantragten
sie, Aufwendungen des Ehemannes für die Wege zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte (Entfernungspauschale) als Freibetrag auf
der Lohnsteuerkarte einzutragen, wobei sie die volle Entfernung von
61 km ansetzten. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das
Finanzamt - FA - ) ermittelte den Freibetrag entsprechend der ab
2007 geänderten Gesetzeslage nach der um 20 km gekürzten
Entfernung. Gegen den insoweit ablehnenden Bescheid über die
Lohnsteuer-Ermäßigung 2007 legten die Antragsteller
erfolglos Einspruch ein. Ihren Antrag, im Wege der Aussetzung der
Vollziehung (AdV) den beantragten Freibetrag vorläufig in
voller Höhe einzutragen, lehnte das FA ab.
Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin
bei ihm gestellten Antrag auf AdV statt und ließ die
Beschwerde zu. Es bestünden ernstliche Zweifel, ob § 9
Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des
Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19.7.2006 (BGBl I S. 1652,
BStBl I S. 432) verfassungsgemäß sei, soweit die
Vorschrift den steuerlichen Abzug der Fahrtkosten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte für die ersten 20 km ausschließe.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei
der vorläufige Rechtsschutz zwar ausnahmsweise dann
einzuschränken, wenn die Gemeinwohlbelange des Staates (etwa
durch drohende staatliche Haushaltsnotlage) berührt seien.
Anhaltspunkte hierfür seien im Streitfall jedoch nicht
erkennbar. Der Aussetzungsbeschluss des FG ist in EFG 2007, 773 =
SIS 07 14 02 veröffentlicht.
Mit seiner Beschwerde bringt das FA vor,
die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids sei nicht
ernstlich zweifelhaft, da die Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG
nicht gegen das Grundgesetz (GG) verstoße. Auch bei Vorliegen
ernstlicher Zweifel käme die AdV nicht in Betracht, weil dann
das öffentliche Interesse an einer geordneten
Haushaltsführung höher zu bewerten wäre als das
Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen, die
Beschwerde zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren sogleich unter Hinweis auf § 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Der Beitritt des BMF sei
auch in Beschwerdeverfahren zulässig und könne wegen der
eventuellen Breitenwirkung einer Beschwerdeentscheidung des
Bundesfinanzhofs (BFH) zweckmäßig sein. Im Streitfall
lägen ernstliche Zweifel im Sinne der Vorschriften über
die AdV nicht vor, da die Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG mit
dem Übergang zum „Werkstorprinzip“ nicht
verfassungswidrig sei. Selbst wenn ernstliche Zweifel zu bejahen
wären, könnte AdV nicht gewährt werden, weil dies
eine geordnete Haushaltsführung gefährden
würde.
Die Antragsteller halten den Beitritt des
BMF zum Beschwerdeverfahren für unzulässig.
II. Der Beitritt des BMF zu dem
Beschwerdeverfahren war abzulehnen.
1. Beteiligter an einem Revisionsverfahren vor
dem BFH ist gemäß § 122 Abs. 1 FGO, wer bereits am
vorangegangenen Klageverfahren - als Kläger, Beklagter oder
Beigeladener - beteiligt war. Nach § 122 Abs. 2 FGO kann das
BMF die Stellung eines am Revisionsverfahren Beteiligten dadurch
erlangen, dass es diesem Verfahren beitritt. Ein Beitritt des BMF
zu einem Beschwerdeverfahren in einer Aussetzungssache ist nach dem
Wortlaut der Vorschrift und ihrer Stellung im Gesetz nicht
vorgesehen. Auch Sinn und Zweck des § 122 Abs. 2 FGO erfordern
in einer Prozesslage wie der vorliegenden einen Beitritt des BMF
nicht. Die Regelung soll es dem BMF ermöglichen, sich
jederzeit in ein anhängiges Verfahren über eine Revision
einzuschalten und entscheidungserhebliche rechtliche Gesichtspunkte
geltend zu machen (BFH-Beschluss vom 25.6.1984 GrS 4/82, BFHE 141,
405, BStBl II 1984, 751 = SIS 84 21 08, unter B. III.) sowie zur
sachgerechten Entscheidung in ein Verfahren Material
einzuführen, das sonst nicht oder nur schwer zugänglich
wäre (BFH-Urteil vom 2.6.1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46).
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Erwägungen für
andere Beschwerdeverfahren Gültigkeit beanspruchen
können. Sie greifen jedenfalls nicht ein, wenn es wie im
Streitfall um eine Beschwerde gegen einen Beschluss des FG geht,
der eine AdV zum Gegenstand hat. Denn hierbei handelt es sich um
ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das -
insbesondere bei der vorläufigen Eintragung eines Freibetrags
auf der Lohnsteuerkarte - ein Eilverfahren ist und in der Regel nur
die Bewertung erfordert, ob an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Verwaltungsakts ernstliche Zweifel bestehen (§
69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Hierfür bedarf es der
Beteiligung des BMF nicht. Für eine entsprechende Anwendung
der Vorschriften über die Revision und damit des § 122
Abs. 2 FGO besteht vor diesem Hintergrund kein Anlass.
2. Der BFH hat allerdings in der Vergangenheit
mehrfach in Beschwerdeverfahren entschieden, zu denen das BMF
seinen Beitritt erklärt hatte (z.B. Beschlüsse vom
10.2.1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454 = SIS 84 04 01; vom 14.4.1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637 =
SIS 87 15 51; vom 23.6.1993 X B 134/91, BFHE 172, 9, BStBl II 1994,
38 = SIS 94 04 76; vom 3.7.1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II
1995, 730 = SIS 95 21 96). In den genannten Fällen hat der BFH
jedoch weder das BMF formell zum Beitritt aufgefordert noch eine
Entscheidung zur Zulässigkeit des Beitritts getroffen, sondern
diesen jeweils nur faktisch hingenommen. Daran ändert auch
nichts die Äußerung in dem Beschluss in BFHE 172, 9,
BStBl II 1994, 38 = SIS 94 04 76, das BMF sei dem
(Beschwerde-)Verfahren „gemäß § 122 Abs. 2
FGO beigetreten“. Da bisher keine Entscheidungen zu der
vorbezeichneten Rechtsfrage vorliegen, ist der beschließende
Senat nicht nach § 11 Abs. 2 FGO wegen Divergenz zur Vorlage
an den Großen Senat verpflichtet (vgl. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 11 Rz 11).
3. Die Ablehnung des unzulässigen
Beitritts erfordert im vorliegenden Fall keine Zwischenentscheidung
(vgl. bezüglich des Beitritts zum Revisionsverfahren
Gräber/Ruban, a.a.O., § 122 Rz 4), sondern erfolgt im
Beschwerdeverfahren durch Beschluss.
III. Die Beschwerde ist unbegründet; sie
war daher - ohne Präjudiz für die Hauptsache -
zurückzuweisen (§ 132 FGO). Das FG hat zu Recht im Wege
der AdV das FA verpflichtet, den beantragten Freibetrag auf der
Lohnsteuerkarte des Antragstellers einzutragen.
1. Zu den Beträgen, die im
Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren als Freibetrag auf der
Lohnsteuerkarte eingetragen werden können, gehören
gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG Werbungskosten, die
bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
anfallen, soweit sie den Arbeitnehmer-Pauschbetrag
übersteigen. Da nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der ab
2007 geltenden Fassung - im Gegensatz zu der bis dahin bestehenden
Gesetzeslage - die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte grundsätzlich keine
Werbungskosten sind und erst ab dem 21. Kilometer der Entfernung
„wie Werbungskosten“ behandelt werden, liegen
die gesetzlichen Voraussetzungen für die Eintragung der nach
der vollen Entfernung berechneten Fahrtaufwendungen auf der
Lohnsteuerkarte des Antragstellers nicht vor.
2. Lehnt das FA die Eintragung eines
Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ganz oder teilweise ab, so
handelt es sich dabei um einen vollziehbaren Verwaltungsakt, gegen
den vorläufiger Rechtsschutz durch AdV in Betracht kommt (z.B.
BFH-Beschluss vom 29.4.1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II
1992, 752 = SIS 92 11 56). Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen,
wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 361 Abs. 2 Satz 2
der Abgabenordnung - AO -, § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1
FGO). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann der
Fall, wenn bei einer summarischen Prüfung neben für die
Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden
Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit
sprechende Gründe zutage treten, die (abgesehen von unklaren
Tatfragen) Unsicherheit in der Beurteilung der
entscheidungserheblichen Rechtsfrage bewirken. Die AdV setzt nicht
voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden
Gründe überwiegen; es genügt, dass der Erfolg des
Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein
Misserfolg (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 89, m.w.N.). Ist die
Rechtslage nicht eindeutig, so ist im Regelfall die Vollziehung
auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn ernstliche Zweifel daran
bestehen, ob die maßgebliche gesetzliche Regelung
verfassungsgemäß ist (BFH-Beschluss vom 3.2.2005 I B
208/04, BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351 = SIS 05 15 22, m.w.N.).
An die Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit
sind keine strengeren Anforderungen zu stellen als beim Einwand
fehlerhafter Rechtsanwendung (BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl
II 1984, 454 = SIS 84 04 01).
3. Im Streitfall ist das FG zutreffend von
ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des
§ 9 Abs. 2 EStG n.F. ausgegangen, der die Grundlage des
angefochtenen Bescheids bildet. Diese Zweifel sind augenscheinlich,
da die Frage in der Literatur, wie vom FG in seinem Beschluss
wiedergegeben, kontrovers diskutiert wird (vgl. außerdem z.B.
v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz
F 40 ff.; Tipke, BB 2007, 1525; Micker, DStR 2007, 1145 und
Wernsmann, DStR 2007, 1149) und in der Rechtsprechung zu
unterschiedlichen Entscheidungen geführt hat. Das
Niedersächsische FG (Beschluss vom 27.2.2007 8 K 549/06, EFG
2007, 690 = SIS 07 14 03) sowie das FG des Saarlandes (Beschluss
vom 22.3.2007 2 K 2442/06, EFG 2007, 853 = SIS 07 12 81) haben in
mit dem Streitfall vergleichbaren Klageverfahren § 9 Abs. 2
EStG n.F. als verfassungswidrig angesehen und nach Art. 100 Abs. 1
GG die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (Aktenzeichen
des BVerfG 2 BvL 1/07 und 2 BvL 2/07). Dagegen haben - ebenfalls in
Verfahren der Lohnsteuer-Ermäßigung - das FG
Baden-Württemberg (Urteil vom 7.3.2007 13 K 283/06 = SIS 07 14 06), das FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 23.5.2007 1 K 497/06
= SIS 07 26 28) und das FG Köln (Beschluss vom 29.3.2007 10 K
274/07, EFG 2007, 1090 = SIS 07 30 06) die Neuregelung der
„Pendlerpauschale“ als mit dem GG vereinbar
beurteilt. Diese Verfahren haben zu Revisionen (VI R 17/07 und VI R
27/07) und einer Beschwerde (VI B 57/07) geführt, die bei dem
beschließenden Senat anhängig sind. Da im Schrifttum
beachtliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der
Neuregelung erhoben werden, einander widersprechende EFG vorliegen
und die Streitfrage höchstrichterlicher Klärung bedarf,
ist bereits deshalb das Vorliegen von verfassungsrechtlichen
Zweifeln als Voraussetzung der AdV zu bejahen.
4. Der Anspruch der Antragsteller auf
effektiven Rechtsschutz tritt nicht hinter das öffentliche
Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft
zurück.
a) Im Falle von ernstlichen Zweifeln
hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dem
angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift
ist nach langjähriger Rechtsprechung des BFH wegen des
Geltungsanspruchs jedes verfassungsmäßig zustande
gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes
Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes als erforderlich angesehen worden. Danach ist eine
Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden
konkreten Gefährdung der öffentlichen
Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden
individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten (z.B.
BFH-Beschlüsse vom 20.7.1990 III B 144/89, BFHE 162, 542,
BStBl II 1991, 104 = SIS 91 01 03; vom 6.11.2001 II B 85/01, BFH/NV
2002, 508 = SIS 02 58 43; vom 11.6.2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53,
BStBl II 2003, 663 = SIS 03 29 59, m.w.N.). Diese vom BVerfG
bestätigte (Beschluss vom 3.4.1992 2 BvR 283/92, HFR 1992,
726) und im Schrifttum überwiegend kritisierte (s.
BFH-Beschluss in BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663 = SIS 03 29 59)
Rechtsprechung ist allerdings in jüngerer Zeit dahingehend
modifiziert worden, dass die staatlichen Haushaltsinteressen in der
Abwägung weniger stark berücksichtigt werden (vgl. Seer
in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; Klein/Brockmeyer,
Abgabenordnung, 8. Aufl., § 361 Rz 14).
b) Der Senat lässt offen, ob er sich der
vorgenannten Rechtsprechung anschließen könnte, die ein
besonderes Interesse an der AdV als erforderlich ansieht. Denn
jedenfalls steht im Streitfall dem Aussetzungsinteresse der
Antragsteller - entgegen der Auffassung des FA - ein
überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere das
Interesse an einer geordneten Haushaltsführung, nicht
entgegen. Es ist offensichtlich, dass die Kosten der Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte, um deren (vorläufige)
steuerliche Anerkennung gestritten wird, jedenfalls nach bisherigem
Verständnis für den Antragsteller beruflich veranlasst
sind. Sie sind zur Erwerbssicherung unvermeidlich, denn
„wenn der Erwerbende sich nicht zu seiner Arbeitsstelle
begibt, so verdient er auch nichts“ (aus einer
Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, zitiert
nach Tipke, BB 2007, 1525, 1529). Das insofern nahe liegende
Aussetzungsinteresse der Antragsteller wird dadurch verstärkt,
dass das BVerfG, falls es im Sinne der oben genannten
Vorlagebeschlüsse entscheiden sollte, nach seiner bisherigen
Praxis möglicherweise nicht die Nichtigkeit des § 9 Abs.
2 EStG n.F. feststellen, sondern die Vorschrift lediglich als
grundgesetzwidrig ansehen und dem Gesetzgeber mit geräumiger
Frist eine Änderung für die Zukunft aufgeben könnte.
Um demgegenüber den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers
zurücktreten zu lassen, müsste das - in der
Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 EStG n.F. genannte -
Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf andere
Weise als durch Belastung allein einer Gruppe von Steuerpflichtigen
nicht zu erreichen sein. Hierfür liegen dem Senat jedoch
für die Prüfung im summarischen Verfahren keine
Erkenntnisse vor. Der Hinweis des FA auf die
Größenordnung der mit der Neuregelung verbundenen
Steuermehreinnahmen ist nicht geeignet, das öffentliche
Interesse als vorrangig zu beurteilen. Denn abgesehen davon, dass
sich die Einnahmesituation der öffentlichen Hand aufgrund der
günstigen wirtschaftlichen Entwicklung - gerichtsbekannt -
derzeit als positiv darstellt, würde der Haushaltsvorbehalt
jeden (legislativen) Verfassungsverstoß mit genügender
finanzieller Breitenwirkung sanktionieren. Das wäre ein
„rechtsstaatlich unerträgliches Ergebnis“
(so Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 97), da im
Ergebnis damit der individuelle Rechtsschutz auf der Strecke
bleiben würde. Im Übrigen werden durch die Gewährung
der AdV Risiken für die öffentliche Haushaltswirtschaft,
die mit der Verplanung bzw. Verausgabung möglicherweise
verfassungswidriger Steuern verbunden sind, gerade vermieden (Seer,
Steuer und Wirtschaft 2001, 3, 17 f., m.w.N.).