Umzugskosten, keine Saldierung von Fahrzeitveränderungen bei Ehegatten: Bei der Abgrenzung, ob Umzugskosten eines verheirateten Arbeitnehmers Aufwendungen für die Lebensführung oder deshalb nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind, weil sich die Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig arbeitstäglich um insgesamt mindestens eine Stunde verkürzen, sind die Fahrzeitveränderungen der Ehegatten nicht zu saldieren. - Urt.; BFH 21.2.2006, IX R 79/01; SIS 06 25 21
I. Die Beteiligten streiten über den
Abzug von Umzugskosten als Werbungskosten bei den Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt. Der Kläger ist als Angestellter in A, die
Klägerin als Lehrerin in B nichtselbständig tätig.
Im April des Streitjahres (1997) zogen die Kläger von ihrer
gemieteten Wohnung in A in ein Einfamilienhaus nach B, das nahe bei
der Schule liegt, in der die Klägerin tätig ist. Die
Klägerin hatte dieses Haus im Jahr 1992 erworben und bis zum
Umzug vermietet. Sie musste vor dem Umzug eine Entfernung von 35 km
zurücklegen, um von A nach B zu gelangen, während der
Kläger statt bisher lediglich 4 km nun 33 km fahren muss, um
seine Arbeitsstelle in A zu erreichen.
In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machten die Kläger bei den
Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger
Arbeit Umzugskosten in Höhe von 4.191 DM als Werbungskosten
geltend (Kosten für Spedition: 1.955,58 DM, Kosten für
eigene Fahrten: 327,60 DM und Pauschale für sonstige
Umzugskosten von 1.907 DM). Zunächst berücksichtigte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) diese Kosten
in einem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom
30.11.1998. Der Sachgebietsleiter verfügte aufgrund eines
Prüfhinweises am 24.11.1998 die Stornierung des Bescheides,
der aber trotzdem abgesandt wurde. Am 10.12.1998 erließ das
FA einen Einkommensteuerbescheid, in dem es den Abzug der
Umzugskosten versagte.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobene Klage blieb erfolglos (vgl. SIS 02 52 64). Das
Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, der
Bescheid vom 30.11.1998 sei nach Aufgabe des Bekanntgabewillens
durch die Stornierung nicht wirksam geworden. Die Klägerin
könne die Umzugsaufwendungen nicht als Werbungskosten geltend
machen. Zwar habe sich ihre Fahrzeit pro Tag um mindestens eine
Stunde verkürzt. Diesen Vorteilen seien aber die
Verschlechterungen gegenüberzustellen, die sich bei dem
Kläger durch die Verlängerung seiner Wegstrecke zur
Arbeit um 29 km ergeben hätten. In die Gesamtwürdigung,
ob der Umzug privat oder beruflich veranlasst worden sei,
müssten die Vor- und Nachteile der anderen Familienmitglieder
einbezogen werden, da nicht der einzelne Arbeitnehmer-Ehegatte,
sondern die gesamte Familie umziehe. Überdies sei auch zu
berücksichtigen, dass ein Einfamilienhaus bezogen worden sei,
das sich seit dem Jahr 1992 im Eigentum der Klägerin befunden
habe. Da die Aufwendungen schon dem Grunde nach nicht anzuerkennen
seien, könne es das FG offen lassen, ob der Kostenansatz der
Höhe nach zutreffe.
Hiergegen richtet sich die Revision der
Kläger. Es bestünden Zweifel, ob sich aus der
Einkommensteuerakte eine vor der Absendung des Bescheides vom
30.11.1998 erfolgte Stornierung ergebe. Die Umzugskosten seien
schon wegen der Fahrzeitverkürzung von mehr als einer Stunde
als Werbungskosten abziehbar. Private Motive träten dahinter
zurück.
Die Kläger beantragen, die
Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Das FG hat unzutreffend die von der Klägerin geltend
gemachten Umzugsaufwendungen nicht als Werbungskosten bei ihren
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
berücksichtigt.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen, abziehbar bei der
Einkunftsart, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2
EStG).
a) Umzugskosten sind als Werbungskosten
abziehbar, wenn der Umzug nahezu ausschließlich beruflich
veranlasst ist, private Gründe (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG),
also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B.
Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.10.1992 VI R 132/88,
BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610 = SIS 93 15 40; vom 28.4.1988 IV
R 42/86, BFHE 153, 357, BStBl II 1988, 777 = SIS 88 16 19). So
verhält es sich z.B., wenn der Umzug den erforderlichen
Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte wesentlich, d.h. um mindestens eine Stunde
täglich vermindert (ständige Rechtsprechung, vgl.
BFH-Urteil vom 23.3.2001 VI R 175/99, BFHE 195, 225, BStBl II 2001,
585 = SIS 01 11 31).
b) Entgegen der Auffassung des FG sind bei
beiderseits berufstätigen zusammen zur Einkommensteuer
veranlagten Ehegatten die sich jeweils ergebenden
Fahrzeitveränderungen nicht zusammenzurechnen. Sie sind also
weder zu addieren (BFH-Urteil vom 27.7.1995 VI R 17/95, BFHE 178,
345, BStBl II 1995, 728 = SIS 95 19 26; a.A. von Bornhaupt, BB
1995, 2042) noch - wie hier - zu saldieren (gleicher Ansicht
Schmidt/Drenseck, EStG, 24. Aufl., § 19 Rz. 60, Stichwort
Umzugskosten; MIT, DStR/E - DStRE - 2001, 1023; a.A. Fröschl,
Anmerkung in HFR 2001, 966, 967; Blümich/Thürmer, §
9 EStG Rz. 600, Stichwort Umzugskosten; kritisch auch Bergkemper in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Anm. 312).
aa) Nach § 26 Abs. 1, § 26b EStG
folgt das Gesetz im Bereich des Erzielens steuerbarer
Einkünfte dem Prinzip der Individualbesteuerung. Jeder
Ehegatte für sich erzielt Einkünfte, wenn er in seiner
Person den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Erst im
Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende
Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten
erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung
gemäß § 26b EStG zunächst zusammengerechnet
und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet.
„Sodann“, und das heißt: nach
Zusammenrechnen und gemeinsamem Zurechnen werden die Ehegatten
gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt (vgl. BFH-Beschluss vom
23.8.1999 GrS 2/97, BFHE 189, 160, BStBl II 1999, 782 = SIS 99 20 55, zu C. IV. 1. b; BFH-Urteil vom 16.4.2002 IX R 40/00, BFHE 198,
66, BStBl II 2002, 501 = SIS 02 10 40). Zuvor sind nach dem
Grundsatz der persönlichen Leistungsfähigkeit nur solche
Aufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen, welche die
persönliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Ehegatten
mindern (BFH-Urteil vom 2.12.1999 IX R 45/95, BFHE 191, 24, BStBl
II 2000, 310 = SIS 00 06 60, unter 1. b, m.w.N.).
bb) Allerdings können auch bei getrennter
Einkünfteermittlung die die Person eines Ehegatten
betreffenden Ereignisse für das Dienstverhältnis des
anderen Ehegatten als privat veranlasst anzusehen sein (vgl.
BFH-Urteil vom 2.10.1987 VI R 149/84, BFHE 151, 78, BStBl II 1987,
852 = SIS 87 24 47). Das führt aber nicht zu einer Saldierung
der Fahrzeitveränderungen durch Verrechnen der
Fahrzeitverkürzung des einen mit der Fahrzeitverlängerung
des anderen Ehegatten, wie sie die Vorinstanz hier vorgenommen hat.
Denn die Verlängerung der Wegstrecke zur Arbeit in der Person
des anderen Ehegatten - hier des Klägers - ist allein bedingt
durch dessen Mitumzug als Folge der gemeinsamen Lebensführung
der Ehegatten. Zwar ist der Wille zur gemeinsamen
Lebensführung in der Ehe ein privater Veranlassungsgrund.
Diesen Willen kann das Einkommensteuerrecht indes nicht ohne
Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bei der
Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von
„Doppelverdienern“ unberücksichtigt lassen
(so Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 4.12.2002 2
BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40, unter C.
II. 3. b aa zu Aufwendungen im Rahmen einer doppelten
Haushaltsführung). Das aus Art. 6 Abs. 1 GG herzuleitende
Verbot, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider
Ehegatten zu erschweren, führt vielmehr dazu, Aufwendungen zur
Gewährleistung der Berufstätigkeit nicht allein deshalb
als beliebig disponibel zu betrachten, weil sie privat
(mit-)veranlasst sind (ähnlich bereits BFH-Urteil in BFHE 151,
78, BStBl II 1987, 852 = SIS 03 09 09, unter 2.).
cc) Im Übrigen hat der BFH bereits im
Urteil vom 6.11.1986 VI R 106/85 (BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81
= SIS 87 03 45) entschieden, dass Umzugskosten auch dann als
Werbungskosten anerkannt werden können, wenn der Umzug in ein
zuvor erworbenes Eigenheim erfolgt. Nach Ansicht des Senats liegen
keine zusätzlichen hinreichenden Gründe dafür vor,
den Streitfall anders zu entscheiden.
2. Nach diesen Maßstäben ist das
Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Denn das FG hat entgegen den
unter 1. dargestellten Grundsätzen zur Prüfung der
Fahrzeitverkürzung umzugsbedingte Fahrzeitveränderungen
beider Kläger zusammengerechnet und ferner den Umstand des
Umzugs in ein zuvor erworbenes Einfamilienhaus als privates Motiv
herangezogen.
a) Die Sache ist spruchreif. Die Aufwendungen
für den Umzug sind als Werbungskosten der Klägerin
abzusetzen. Gegen die Höhe dieser Aufwendungen bestehen keine
Bedenken. Das FA hatte sie bereits im Veranlagungsverfahren
geprüft und insoweit nicht beanstandet. Sie entsprechen -
worauf die Revision zutreffend hinweist - den
Verwaltungsanweisungen in Abschn. 41 Abs. 2 der
Lohnsteuer-Richtlinien 1996. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
entfällt der Ansatz der Pauschale nach § 10 des
Bundesumzugskostengesetzes (BUKG) vom 11.12.1990 (BGBl I, 2682)
nicht, weil die Klägerin daneben Kosten nachgewiesen hat. Denn
die Pauschvergütung betrifft lediglich die sonstigen
Umzugsauslagen, nicht aber die von der Klägerin nach Aktenlage
ferner geltend gemachten Speditions- und Fahrtkosten (vgl. § 5
Abs. 1 BUKG). Es besteht für den Senat kein Anlass, daran zu
zweifeln, dass entgegen den Angaben in der
Einkommensteuererklärung nicht die Klägerin die
Aufwendungen getragen hat. Aber selbst dann, wenn sie - auch zum
Teil - vom Kläger aufgebracht worden wären, wäre das
kein Grund, ihre Abziehbarkeit in der Person der Klägerin in
Frage zu stellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15.11.2005 IX R 25/03,
BFH/NV 2006, 418 = SIS 06 03 85, m.w.N.).
b) Der Senat kann sich nicht darauf
beschränken, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr aufzuheben. Denn der zuvor erlassene
Einkommensteuerbescheid vom 30.11.1998 ist nach den Feststellungen
des FG den Klägern lediglich irrtümlich ohne
Bekanntgabewillen zugeleitet worden. Insofern folgt der Senat der
Vorinstanz, die zutreffend davon ausgegangen ist, dieser Bescheid
sei nicht wirksam bekannt gegeben worden. Wie in diesem Bescheid
verfügt, ist die Einkommensteuer des Streitjahres unter
Berücksichtigung der Umzugskosten als weitere Werbungskosten
in Höhe von 4.191 DM auf 24.432,59 EUR (47.786 DM)
festzusetzen.