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I. Streitig ist, ob Reisekosten, die einem
Soldaten auf Zeit im Rahmen einer
Berufsförderungsmaßnahme entstanden sind, als
Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war bis zum 30.6.2009 Soldat auf Zeit (zuletzt im
Range eines Oberfeldwebels) und bezog als solcher im Streitjahr
(2009) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Durch
Bescheid vom 29.11.2007 bewilligte das Kreiswehrersatzamt dem
Kläger die Förderung einer beruflichen
Bildungsmaßnahme nach § 5 des
Soldatenversorgungsgesetzes. Hierbei handelte es sich um die in der
Zeit von Februar 2008 bis Januar 2010 in Vollzeitform
durchgeführte „A-Ausbildung Fachrichtung ...“ an
der A-Schule in B. Für die Zeit von Februar 2008 bis Juni 2009
wurde der Kläger vom militärischen Dienst freigestellt.
Bereits im Juni 2007 hatte der Kläger - erfolglos - einen
Antrag auf Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des
militärfachlichen Dienstes gestellt. Ein im Jahr 2008
gestellter Wiederholungsantrag wurde im März 2009
abgelehnt.
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Im Rahmen seiner
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der
Kläger Fortbildungskosten in Höhe von 7.570 EUR als
Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit geltend. Diese entfielen in Höhe von 6.452 EUR auf die
unter Zugrundelegung eines Kostensatzes von 0,30 EUR je gefahrenen
Kilometer ermittelten Kosten der Fahrten zwischen der Wohnung und
der A-Schule in B und in Höhe von 918 EUR auf
Verpflegungsmehraufwendungen wegen mindestens achtstündiger
Abwesenheit von der Wohnung an 153 Tagen.
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Im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) die geltend gemachten Fahrtkosten jedoch
nur in Höhe des sich unter Ansatz der Entfernungspauschale
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebenden Betrages von 3.226 EUR
(192 Fahrten x 56 km x 0,30 EUR = 3.225,60 EUR). Die
Berücksichtigung der Mehraufwendungen für Verpflegung
lehnte er in vollem Umfang ab. Zur Begründung führte er
aus, dass es sich bei der Teilnahme an der
Fortbildungsmaßnahme nicht um eine vorübergehende
Auswärtstätigkeit gehandelt habe, weil der Kläger
wegen der Beendigung seiner Dienstzeit nicht mehr an seinen
früheren Arbeitsplatz zurückgekehrt sei. Damit sei die
A-Schule in B zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte
geworden.
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Die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren
erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2011,
2051 = SIS 11 35 71 veröffentlichten Gründen ab.
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Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
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Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil des Niedersächsischen FG vom 3.8.2011 4 K 40/11
aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 9.12.2010 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.1.2011 insoweit
abzuändern, als weitere Werbungskosten in Höhe von 4.144
EUR bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist teilweise begründet.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und der Klage teilweise
stattgegeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Aufwendungen des Klägers
für die Fahrten zur A-Schule nach B sind gemäß
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe als
Werbungskosten bei seinen Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit anzusetzen. Der geltend gemachte
Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 918 EUR war hingegen im
Streitjahr wegen der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG
normierten Dreimonatsfrist nicht einkünftemindernd zu
berücksichtigen.
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1. Werbungskosten, nämlich Aufwendungen
zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, liegen vor, wenn sie durch den Beruf
oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst
sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver
Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv
zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt
grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige
gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die
Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn -
wie zwischen den Beteiligten vorliegend zu Recht nicht in Streit
steht - sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren
Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Diese
Voraussetzungen können auch bei berufsbezogenen
Bildungsmaßnahmen erfüllt sein (zuletzt Senatsurteil vom
27.10.2011 VI R 52/10, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2012, 323 = SIS 11 39 73). § 4 Abs. 9, §
9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des
Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (BeitrRLUmsG) vom
7.12.2011 (BGBl I 2011, 2592), die nach § 52 Abs. 12, 23d und
30a EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG rückwirkend ab dem
Veranlagungszeitraum 2004 gelten sollen, stehen dem im Streitfall
schon deshalb nicht entgegen, weil der Kläger vor Beginn
seiner A-Ausbildung als Soldat auf Zeit eine militärische
Ausbildung durchlaufen und damit eine erste Berufsausbildung im
Sinne dieser Vorschriften absolviert hat. Denn eine
Berufsausbildung im Sinne des Steuerrechts liegt nicht nur vor,
wenn der Steuerpflichtige im dualen System oder innerbetrieblich
Berufsbildungsmaßnahmen durchläuft. Allein
maßgebend kann nur sein, ob die Ausbildung berufsbezogen ist
und eine Voraussetzung für die geplante Berufsausübung
darstellt (Senatsurteil in BFH/NV 2012, 323 = SIS 11 39 73). Diese
Grundsätze gelten auch nach den Neuregelungen in § 4 Abs.
9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG durch das
Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz unverändert fort.
Deshalb ist die vom Kläger im Rahmen eines
Dienstverhältnisses als Soldat auf Zeit absolvierte
dreijährige militärische Ausbildung eine berufliche
Erstausbildung.
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2. Als Werbungskosten abziehbar sind
sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der
beruflichen Bildungsmaßnahme stehen. Hierzu gehören auch
Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich
gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher
Höhe zu berücksichtigen (Vorlagebeschluss des Senats vom
10.1.2008 VI R 17/07, BFHE 219, 358, BStBl II 2008, 234 ff. = SIS 08 08 35).
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a) Im Interesse der verfassungsrechtlich
gebotenen steuerlichen Lastengleichheit hat sich der Gesetzgeber
dafür entschieden, im Einkommensteuerrecht die objektive
finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem Saldo aus den
Erwerbseinnahmen einerseits und den beruflichen Erwerbsaufwendungen
andererseits zu bemessen (objektives Nettoprinzip). Auch Kosten
für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind nach
Auffassung des Senats beruflich veranlasst und damit
Erwerbsaufwendungen (Beschluss in BFHE 219, 358, BStBl II 2008,
234, 244 f. = SIS 08 08 35).
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b) Das objektive Nettoprinzip erfährt
allerdings durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG insoweit eine
Einschränkung, als die Fahrtkosten zwischen Wohnung und
(regelmäßiger) Arbeitsstätte nicht im
tatsächlichen Umfang, sondern nur nach Maßgabe einer
Entfernungspauschale steuerlich abziehbar sind. Diese Begrenzung
ist nach Ansicht des Senats im Grundsatz sachlich gerechtfertigt
(Urteil vom 11.5.2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782
= SIS 05 36 04). Denn liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit
angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann
sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer
gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten
hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine
entsprechende Wohnsitznahme geschehen. Für diesen Grundfall
erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als
sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip
(z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.5.2005 VI R 25/04,
BFHE 209, 523, BStBl II 2005, 791 = SIS 05 36 01).
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c) Die Begrenzung der Steuererheblichkeit von
Wegekosten ist nach bisheriger Rechtsprechung des Senats auch bei
Fahrten im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen zu beachten.
Denn danach ist eine Bildungseinrichtung regelmäßige
Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn
diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum
Zwecke eines Vollzeitunterrichts aufgesucht wird (BFH-Urteile vom
29.4.2003 VI R 86/99, BFHE 202, 299, BStBl II 2003, 749 = SIS 03 27 09; vom 22.7.2003 VI R 190/97, BFHE 203, 111, BStBl II 2004, 886 =
SIS 03 45 47, und vom 10.4.2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II
2008, 825 = SIS 08 24 17; vgl. auch FG Münster, Urteil vom
27.8.2002 1 K 5930/01 E, EFG 2002, 1588 = SIS 03 00 34,
m.w.N.).
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3. Hieran hält der erkennende Senat nicht
länger fest (Urteil vom 9.2.2012 VI R 44/10, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, www.bundesfinanzhof.de).
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a) Denn auch wenn die berufliche Fort- oder
Ausbildung die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch
nimmt, ist eine Bildungsmaßnahme, auch wenn sie sich - wie
vorliegend die vom Kläger zu Erwerbszwecken durchgeführte
Ausbildung zum ... - über einen längeren Zeitraum
erstreckt, regelmäßig vorübergehend und nicht auf
Dauer angelegt. Wie bei einer Auswärtstätigkeit (vgl.
bereits BFH-Urteile in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782 = SIS 05 36 04; vom 11.5.2005 VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785
= SIS 05 36 03) hat in einem solchen Fall der Steuerpflichtige
typischerweise nicht die vorbezeichneten Möglichkeiten, seine
Wegekosten gering zu halten (vgl. Bergkemper, FR 2008,
1072<1074>). Damit ist eine Ausnahme von dem sonst geltenden
Grundsatz der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von
Werbungskosten in den Fällen der vollzeitigen Aus- und
Fortbildung nicht gerechtfertigt.
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b) Im Übrigen versteht der BFH nach
neuerer Rechtsprechung unter „regelmäßiger
Arbeitsstätte“ i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
EStG nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des
Arbeitgebers und damit regelmäßig den Betrieb des
Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb (Urteile vom 10.7.2008 VI R
21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818 = SIS 08 35 53; vom
9.7.2009 VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822 = SIS 09 29 00; VI R 42/08, BFH/NV 2009, 1806 = SIS 09 32 53, und vom 17.6.2010
VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852 = SIS 10 22 79).
Schon aus diesem Grund ist eine - wie vorliegend -
arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung - unabhängig davon, ob
die Bildungsmaßnahme die volle Arbeitszeit des
Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt oder neben einer Voll- oder
Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird - nicht als
regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.
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4. Die Vorentscheidung beruht auf einer
anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Der Senat kann durcherkennen. Die Anzahl der Fahrten
und die Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und der in
B belegenen A-Schule ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit
sind bei der Einkommensteuerfestsetzung 2009 weitere Werbungskosten
des Klägers in Höhe von 3.226 EUR bei seinen
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu
berücksichtigen und die Einkommensteuer 2009 entsprechend
herabzusetzen.
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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz
5 EStG ist der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen wegen
Auswärtstätigkeit auf die ersten drei Monate einer
längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an
derselben Tätigkeitsstätte beschränkt. Diese
Dreimonatsfrist war im Streitjahr bereits verstrichen. Denn der
Kläger hat die Ausbildung zum ... im Februar 2008 begonnen.
Die Berechnung der Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2
FGO dem FA übertragen.
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