Die Revision der Kläger gegen das Urteil
des Sächsischen Finanzgerichts vom 9.3.2016 1 K 991/15 wird
als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu
tragen.
1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
zu 1. (Kläger zu 1.) wurde für das Streitjahr (2009) mit
seiner im Streitjahr verstorbenen Ehefrau (E) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Erben nach E sind der Kläger zu 1.
und die Klägerin und Revisionsklägerin zu 2.
(Klägerin zu 2.) sowie der Kläger und
Revisionskläger zu 3. (Kläger zu 3.).
|
|
|
2
|
E war in einer gesetzlichen Krankenkasse
krankenversichert. Sie begab sich im Jahr 2007 in einem
fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung in die Klinik ... in X
(K-Klinik). Die K-Klinik war keine Vertragsklinik ihrer
gesetzlichen Krankenkasse.
|
|
|
3
|
Nach einer zwischen E und der Krankenkasse
getroffenen Vereinbarung übernahm die Krankenkasse 50 % der
Kosten der stationären Behandlung der E in der K-Klinik. Die
von der Krankenkasse nicht getragenen Kosten der stationären
Behandlung zahlte der Kläger zu 1. Die Therapie der E in der
K-Klinik war im Vorfeld durch den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherungen (MDK) auf ihre medizinische Notwendigkeit
geprüft und befürwortet worden. Der MDK erstellte in den
Jahren 2007 bis 2009 darüber hinaus Gutachten bzw.
Verlaufsgutachten, die die medizinische Notwendigkeit der Therapie
der E weiterhin belegten. Bei der Therapie handelte es sich um eine
Kombination aus anerkannten medizinischen Leistungen und
alternativen Behandlungsmethoden.
|
|
|
4
|
Die Krankenkasse teilte dem Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) später im Rahmen von
Auskunftsersuchen nach § 93 der Abgabenordnung (AO) u.a. mit,
dass sie grundsätzlich verpflichtet gewesen sei, die Kosten
der Therapie zu übernehmen, da eine positive
sozialmedizinische Stellungnahme vorgelegen und E an einer
regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung gelitten
habe. Eine vollständige Kostenübernahme sei jedoch nicht
möglich gewesen, weil die Behandlung nicht in einem
Vertragskrankenhaus stattgefunden habe.
|
|
|
5
|
E schloss mit T, die im Streitjahr nicht
zur Ausübung der Heilkunde zugelassen war, eine Vereinbarung
über Reiki-Behandlungen. Darin hieß es u.a., die an E
ausgeführte Reiki-Behandlung verstehe sich nicht als
Heilbehandlung im Sinne des Therapiegesetzes, der
Heilpraktikerverordnung oder ähnlicher Bestimmungen. Mit der
Methode des Reiki würden die Selbstheilungskräfte des
Menschen durch Handauflegen aktiviert. T übe diese Praktik als
eine Form der Begleitung von Menschen in gesundheitlichen Krisen
aus. Auf Nachfrage des Finanzgerichts (FG) teilte T zu ihrer
Tätigkeit mit, Fern-Reiki sei eine Form des Reiki (Arbeit mit
universeller Lebensenergie, Handauflegen), welche mit Quantenphysik
erklärbar sei und besage, dass alle Materie aus Schwingungen
bestehe. Nach einer Ausbildung zur Anwendung des Fern-Reiki
könne T über Gedanken und somit große Entfernungen
Hände auflegen. Dazu vereinbare sie mit dem Empfänger
einen Zeitpunkt und sei dann intensiv in Gedanken bei ihm. Virtuell
lege sie dabei - wie bei Reiki vor Ort - ihre Hände auf. E und
T hätten sich der Instrumente des Fern-Reiki bedient, um sich
punktuell nahe zu sein.
|
|
|
6
|
Für die (Fern-)Reiki-Behandlungen der
E fielen im Streitjahr Aufwendungen in Höhe von 289 EUR an.
Ein Arzt der K-Klinik bestätigte dem Kläger zu 1. mit
Schreiben vom ... 2011, dass T als freie Mitarbeiterin in das
Therapiekonzept der K-Klinik eingebunden sei und „auf
ärztliche Veranlassung hin ... Gespräche und
seelsorgerische Aktivitäten“ durchgeführt habe.
Somit seien die Leistungen der T „klar medizinisch indiziert
und Leistungsinhalt der polymodalen Behandlungskonzeption“
gewesen.
|
|
|
7
|
E verfügte an ihrem Todestag über
Guthaben bei einer Sparkasse in Höhe von 12.416 EUR und bei
einer Bausparkasse in Höhe von 8.103 EUR. Der Kläger zu
1. zahlte im Streitjahr Bestattungskosten für die Beerdigung
der E in Höhe von 6.104,64 EUR.
|
|
|
8
|
In der Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machte der Kläger zu 1.
Krankheitskosten in Höhe von 7.846,51 EUR und die vorgenannten
Bestattungskosten, insgesamt 13.951,15 EUR, als
außergewöhnliche Belastungen geltend.
|
|
|
9
|
Mit der Einspruchsentscheidung erkannte das
FA nach einem Hinweis auf die Möglichkeit einer
verbösernden Entscheidung Krankheitskosten in Höhe von
6.864 EUR - darunter die Aufwendungen in Zusammenhang mit dem
Aufenthalt der E in der K-Klinik - als außergewöhnliche
Belastungen an. Unberücksichtigt blieben die Aufwendungen
für die (Fern-)Reiki-Behandlungen (289 EUR), für Schuhe
(199 EUR), für verschiedene Medikamente und Präparate
(680,09 EUR) sowie weitere Aufwendungen, bei denen der
Leistungsgegenstand nicht erkennbar war (89,45 EUR). Die
Bestattungskosten erkannte das FA nicht als
außergewöhnliche Belastungen an.
|
|
|
10
|
Das FG wies die Klage - im ersten
Rechtsgang - im Wesentlichen ab. Während des
anschließenden Revisionsverfahrens, das bei dem
beschließenden Senat unter dem Aktenzeichen VI R 71/13 = SIS 15 30 53 anhängig war, erließ das FA einen
Änderungsbescheid, mit dem es die bisher berücksichtigten
außergewöhnlichen Belastungen um 3.399 EUR herabsetzte,
so dass sich nach Abzug der zumutbaren Belastung keine
Steuerminderung wegen außergewöhnlicher Belastungen mehr
ergab.
|
|
|
11
|
Dem lag zugrunde, dass der Kläger zu
1. im Jahr 2013 von der Krankenkasse eine Zahlung in Höhe von
3.399,81 EUR erhalten hatte. Nachdem der Kläger zu 1.
während des Klageverfahrens vor dem FG Kenntnis von den
Stellungnahmen der Krankenkasse zu den Auskunftsersuchen des FA
erhalten hatte, machte er gegenüber der Krankenkasse die
vollständige Übernahme der Krankenhauskosten geltend. Die
Krankenkasse teilte dem Kläger zu 1. daraufhin mit, ihr sei
bei ihren damaligen Erklärungen gegenüber dem FA
offensichtlich ein Fehler unterlaufen. Es gebe keine
Rechtsprechung, die die Krankenkassen verpflichtete, Kosten in
nicht zugelassenen Krankenhäusern zu übernehmen. Aufgrund
der Fehlinformation, die nachvollziehbar zu einer Verärgerung
des Klägers zu 1. geführt habe, habe sich die
Krankenkasse jedoch entschieden, nicht verjährte Leistungen
noch zu übernehmen. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht
erstatte die Krankenkasse daher die im Jahr 2009 in Anspruch
genommenen Leistungen in voller Höhe auf das vom Kläger
zu 1. angegebene Konto.
|
|
|
12
|
Der Senat hob aufgrund des vorgenannten
Änderungsbescheids das Urteil des FG auf und verwies die Sache
an die Vorinstanz zurück.
|
|
|
13
|
Das FG wies die Klage im zweiten Rechtsgang
erneut überwiegend ab.
|
|
|
14
|
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
|
|
|
15
|
Sie tragen insbesondere vor, die
Nichtberücksichtigung von Krankheitskosten bei einer
tödlichen Erkrankung aufgrund vermeintlich fehlender
Formalnachweise verstoße gegen § 33 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Die rückwirkende Anwendung des
§ 64 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV)
i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVereinfG) 2011 vom
1.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) sei ebenso verfassungswidrig wie die
in § 33 EStG vorgesehene zumutbare Belastung. Die
Bestattungskosten habe das FG zu Unrecht nicht anerkannt. Das
angefochtene Urteil verstoße insoweit auch gegen das
Diskriminierungsverbot der Ehe. Die im Jahr 2013 von der
Krankenkasse geleistete Zahlung mindere nicht die
außergewöhnlichen Belastungen im Streitjahr.
Auslöser der Zahlung seien nicht die Krankheitskosten, sondern
Fehler des FA und der Krankenkasse gewesen. Das FG habe zudem das
Recht der Kläger auf ein faires Verfahren verletzt.
|
|
|
16
|
Die Kläger beantragen
sinngemäß,
|
|
1. das Urteil des FG vom 9.3.2016 1 K
991/15 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom
12.11.2013 dahin zu ändern, dass ein zu versteuerndes
Einkommen von ... EUR der Besteuerung zugrunde gelegt wird,
|
|
2. hilfsweise das Verfahren auszusetzen und
eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zu den
Fragen einzuholen, ob
|
|
a) die gesetzliche Regelung zur
„zumutbaren Belastung“ des § 33 EStG
verfassungswidrig ist, wenn damit indisponibles Einkommen zur
Abwehr einer tödlichen Erkrankung der Besteuerung unterworfen
wird und
|
|
b) die einfachgesetzlich vorgesehene
Rückwirkung des Formalnachweises in § 64 EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011 verfassungswidrig ist, insbesondere wenn der
Steuerpflichtige im Rückwirkungszeitraum im Vertrauen auf die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) disponiert hat;
|
|
3. das Verfahren gemäß § 74
der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Entscheidung des
BVerfG über die Verfassungsbeschwerde des Klägers zu 1.
in dem Verfahren 2 BvR 1936/17 auszusetzen.
|
|
|
17
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
18
|
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ist dem Verfahren beigetreten. Einen Antrag hat das BMF nicht
gestellt.
|
|
|
19
|
II. Der Senat setzt das Verfahren weder
gemäß Art. 100 Abs. 1 GG noch nach § 74 FGO aus (s.
dazu II.5. und II.6.). Er entscheidet gemäß § 126a
FGO, da er einstimmig die Revision für unbegründet und
eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und
hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
|
|
|
20
|
Die Revision ist unbegründet und
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat im Ergebnis
zu Recht entschieden, dass keine höheren
außergewöhnlichen Belastungen anzuerkennen sind, als das
FA in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid bereits
berücksichtigt hat.
|
|
|
21
|
1. Über die Abzugsfähigkeit der
Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer des
Klägers zu 1. ist in dem vorliegenden Revisionsverfahren nicht
zu entscheiden. Die Kläger haben in ihrem Revisionsantrag
(§ 120 Abs. 3 Nr. 1 FGO) und in ihrer Revisionsbegründung
(unter „2. Erklärungen zum Verfahren“)
erklärt, die Entscheidung des FG insoweit nicht anzufechten.
Dementsprechend haben sie auch die Verletzung des § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 6b EStG nicht - wie es gemäß § 120 Abs.
3 Nr. 2 Buchst. a FGO erforderlich gewesen wäre - gerügt.
Die Kläger haben in Bezug auf die Aufwendungen für das
häusliche Arbeitszimmer auch keine Gründe
tatsächlicher und rechtlicher Art angegeben, die ihrer
Auffassung nach das angefochtene Urteil insoweit als unrichtig
erscheinen lassen (s. dazu auch BFH-Urteil vom 21.9.2005 X R 47/03,
BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504 = SIS 06 01 73, und
Senatsbeschluss vom 20.4.2010 VI R 44/09, BFHE 228, 407, BStBl II
2010, 691 = SIS 10 14 82).
|
|
|
22
|
2. Nach § 33 EStG wird die
Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen
als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands
(außergewöhnliche Belastung) erwachsen.
Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen
dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder
sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die
Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen
angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1
EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige
Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu
berücksichtigen, die sich wegen ihrer
Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in
allgemeinen Freibeträgen entziehen. Vom Anwendungsbereich des
§ 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen
Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des
Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind
(BFH-Urteile vom 29.9.1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II
1990, 418 = SIS 89 24 01; vom 18.6.2015 VI R 68/14, BFHE 250, 166,
BStBl II 2015, 803 = SIS 15 18 89, und vom 2.9.2015 VI R 32/13,
BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151 = SIS 15 28 94).
|
|
|
23
|
a) Nach ständiger Rechtsprechung
erwachsen dem Steuerpflichtigen Krankheitskosten - ohne
Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - aus
tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Aufwendungen
für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als
außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne
dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich
gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der
Höhe nach bedarf. Bei den typischen und unmittelbaren
Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich
unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser
Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen
Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach
(Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft
(Senatsurteile vom 14.4.2015 VI R 89/13, BFHE 249, 483, BStBl II
2015, 703 = SIS 15 15 84, m.w.N., und vom 19.1.2017 VI R 75/14,
BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684 = SIS 17 04 29). Auch
Aufwendungen, denen es objektiv an der Eignung zur Heilung oder
Linderung mangelt, können - vorbehaltlich der
Nachweisanforderungen des § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011 - zu den zwangsläufigen Krankheitskosten
zählen, wenn der Steuerpflichtige an einer Erkrankung mit
einer nur noch begrenzten Lebenserwartung leidet, die nicht mehr
auf eine kurative Behandlung anspricht (Senatsurteil vom 2.9.2010
VI R 11/09, BFHE 231, 69, BStBl II 2011, 119 = SIS 10 36 90).
|
|
|
24
|
b) Das FG hat die Aufwendungen in Höhe
von 680,09 EUR für verschiedene Medikamente und Präparate
hiernach in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht
zum Abzug zugelassen.
|
|
|
25
|
Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter
Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§
2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch - SGB V -
) hat der Steuerpflichtige durch die Verordnung eines Arztes oder
Heilpraktikers nachzuweisen (§ 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011). Dies gilt
auch in den Fällen einer Erkrankung mit einer nur noch
begrenzten Lebenserwartung, da die Regelung des § 64 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 keine Differenzierung
zwischen verschiedenen Krankheitskosten enthält (BFH-Urteil
vom 25.4.2017 VIII R 52/13, BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen hiergegen
nicht.
|
|
|
26
|
Auch wenn der Senat zugunsten der Kläger
annähme, dass es sich bei den erworbenen Medikamenten und
Präparaten um Arzneimittel i.S. des § 2 des
Arzneimittelgesetzes handelte (s. dazu auch Senatsurteil in BFHE
249, 483, BStBl II 2015, 703 = SIS 15 15 84), fehlt es jedenfalls
an den gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV i.d.F.
des StVereinfG 2011 erforderlichen Nachweisen. Bei den ausweislich
der Anlage zur Einspruchsentscheidung von der Krankenkasse nicht
erstatteten und vom FA nicht als Krankheitskosten anerkannten
Aufwendungen handelte es sich um Kosten für Medikamente und
Präparate, für die die Kläger keine Verordnungen
eines Arztes oder Heilpraktikers mehr vorlegen konnten. Die
nachträglichen ärztlichen Schreiben vom ... 2010 und vom
... 2011 sind bereits deshalb keine ärztlichen Verordnungen,
weil sie sich nicht konkret auf die einzelnen jeweils erworbenen
Medikamente und Präparate bezogen (s. dazu auch BFH-Urteil in
BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81).
|
|
|
27
|
c) Das FG hat auch die Aufwendungen für
die Schuhe und das (Fern-)Reiki zu Recht nicht als
außergewöhnliche Belastungen anerkannt.
|
|
|
28
|
In den in § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV
i.d.F. des StVereinfG 2011 aufgeführten Fällen hat der
Steuerpflichtige den Nachweis der Zwangsläufigkeit von
Aufwendungen im Krankheitsfall durch ein amtsärztliches
Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V)
zu führen. Daran fehlt es im Streitfall.
|
|
|
29
|
aa) Selbst wenn der Senat zugunsten der
Kläger unterstellte, es habe sich bei den Schuhen um
medizinische Hilfsmittel i.S. des § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 gehandelt, haben die
Kläger den Nachweis der Zwangsläufigkeit jedenfalls nicht
in der gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e
EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 gebotenen Form durch ein
amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche
Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(§ 275 SGB V) geführt.
|
|
|
30
|
bb) In revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise hat das FG das von T praktizierte (Fern-)Reiki
ferner als eine wissenschaftlich nicht anerkannte
Behandlungsmethode i.S. von § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f
EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angesehen.
|
|
|
31
|
Wissenschaftlich anerkannt ist eine
Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechen (Senatsurteil in BFHE 250, 166, BStBl II 2015, 803 =
SIS 15 18 89). Dies wird angenommen, wenn die große Mehrheit
der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die
Behandlungsmethode befürwortet und über die
Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt
im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit
der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen gemacht werden können. Die Therapie muss in einer
für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von
Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (Senatsurteil vom
26.6.2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9 = SIS 14 27 71, m.w.N.). Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich
anerkannt anzusehen ist, hat das FG aufgrund der ihm obliegenden
Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen.
|
|
|
32
|
Im Streitfall konnte das FG keinen
wissenschaftlichen Nachweis über die Wirksamkeit des
(Fern-)Reiki feststellen. Hieran ist der Senat gebunden (§ 118
Abs. 2 FGO), da die Kläger insoweit keine durchgreifenden
Revisionsrügen erhoben haben. Ein zum Nachweis der
Zwangsläufigkeit der Aufwendungen gemäß § 64
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011
erforderliches amtsärztliches Gutachten oder eine
ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (§ 275 SGB V) haben die Kläger nicht
vorgelegt.
|
|
|
33
|
Soweit die Kläger geltend machen, das FG
habe mit „(Fern-) Reiki“ den falschen
Sachverhalt beurteilt, tatsächlich habe T im Rahmen einer ...
Therapie ... Gespräche geführt, verkennen sie zum einen,
dass E mit T ausdrücklich eine Vereinbarung über eine
Reikibehandlung und nicht über eine ... Unterstützung
abgeschlossen hatte. Zum anderen war T auch gar nicht zur
Ausübung der Heilkunde zugelassen. Im Übrigen wäre
selbst im Falle einer psychotherapeutischen Behandlung der E durch
T der Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen durch ein
- im Streitfall fehlendes - amtsärztliches Gutachten oder eine
ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung zu führen gewesen.
|
|
|
34
|
d) Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen
Bedenken, § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011 gemäß § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011 im Streitjahr anzuwenden. Er hat bereits
entschieden, dass das mit dem StVereinfG 2011 eingeführte
formalisierte Nachweisverlangen - auch hinsichtlich seiner
rückwirkenden Einführung - verfassungsgemäß
ist (Senatsurteil vom 19.4.2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II
2012, 577 = SIS 12 16 86). Dieser Rechtsprechung, an der der Senat
festhält, hat sich auch der VIII. Senat des BFH unlängst
angeschlossen (BFH-Urteil in BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81).
|
|
|
35
|
aa) Aus dem Beschluss des BVerfG vom
17.12.2013 1 BvL 5/08 (BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79) ergibt sich -
entgegen der Auffassung der Kläger - nichts anderes. Nach
dieser Entscheidung des BVerfG kann der Gesetzgeber den Inhalt
geltenden Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den
verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende
Rechtsetzung feststellen oder klarstellend präzisieren. Eine
nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden Rechts
durch den Gesetzgeber ist hiernach grundsätzlich als
konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch eine
in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden wird
oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen werden
soll.
|
|
|
36
|
Das Senatsurteil in BFHE 237, 156, BStBl II
2012, 577 = SIS 12 16 86 steht mit der Rechtsprechung des BVerfG in
BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79 in Einklang. Der Senat ist in dem
vorgenannten Urteil von einer echten Rückwirkung
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ausgegangen, die insoweit
vorliegt, als die Änderung der EStDV durch das StVereinfG 2011
- wie hier - einen Veranlagungszeitraum betrifft, der vor dem
Zeitpunkt der Verkündung des StVereinfG 2011 bereits
abgeschlossen und für den die Steuer bereits entstanden war
(§ 36 Abs. 1 EStG). Der Senat hat diese echte Rückwirkung
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen) allerdings unter Bezugnahme
auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG als zulässig
angesehen. Denn es ist anerkannt, dass das rechtsstaatliche
Rückwirkungsverbot in bestimmten Fallgruppen durchbrochen
werden darf. So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund
im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn sich
kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden
Rechts bilden konnte, etwa weil eine gefestigte
höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten
Steuerrechtsfrage nach Änderung der Rechtsanwendungspraxis
rückwirkend gesetzlich festgeschrieben wird
(BVerfG-Beschlüsse vom 23.1.1990 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL
6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, 228 = SIS 90 09 55; vom 15.10.2008 1
BvR 1138/06, Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts -
BVerfGK - 14, 338, und vom 21.7.2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1
BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369).
|
|
|
37
|
An dieser Rechtslage hat sich durch den
Beschluss des BVerfG in BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79 nichts
geändert. Das BVerfG betont nämlich auch in seinem
Beschluss in BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79 ausdrücklich, dass
das Rückwirkungsverbot im Grundsatz des Vertrauensschutzes
nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze findet. Es gilt
nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden
Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte
Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht
schutzwürdig war (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79, Rz 64). Solches hat der erkennende Senat in seinem Urteil in
BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577 = SIS 12 16 86 aber gerade
angenommen, indem er ausgeführt hat, dass der Verordnungsgeber
mit der rückwirkenden Anordnung der formalisierten
Nachweisverlangen die Rechtslage auch mit Wirkung für die
Vergangenheit so geregelt hat, wie sie bis zur Änderung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Senatsurteile vom
11.11.2010 VI R 16/09 (BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53) und VI R 17/09 (BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54) einer gefestigten Rechtsprechung und der einhelligen Praxis der
Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch
auf Seiten der Steuerpflichtigen entsprach. Ein berechtigtes
Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage konnten die
Steuerpflichtigen folglich jedenfalls vor der
Rechtsprechungsänderung durch die Senatsurteile in BFHE 232,
34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II
2011, 969 = SIS 11 01 54 nicht bilden.
|
|
|
38
|
Dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 135, 1 =
SIS 14 07 79 lag auch kein mit dem Streitfall und dem Senatsurteil
in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577 = SIS 12 16 86 vergleichbarer
Sachverhalt zugrunde. Denn der Gesetzgeber hatte mit der
rückwirkenden Änderung des Gesetzes über
Kapitalanlagegesellschaften, über die das BVerfG in dem
Beschluss in BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79 entschieden hatte, keine
Rechtslage wiederhergestellt, die schon vor der betreffenden
Gesetzesänderung einer allgemeinen Rechtsanwendungspraxis
entsprach. Vielmehr hatte er mit echter Rückwirkung eine in
der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden, die aus
verfassungsrechtlicher Sicht gegenüber der alten Rechtslage
als konstitutive Änderung zu behandeln war (BVerfGE-Beschluss
in BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79, Rz 44). Wäre solches
zulässig, hätte dies den rechtsstaatlich gebotenen Schutz
des Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich
geschwächt (BVerfGE-Beschluss in BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79, Rz 53). Derartiges war bei der rückwirkenden
Einführung der formalisierten Nachweisverlangen in § 64
EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 indes nicht zu besorgen, weil auch
mit Wirkung für die Vergangenheit lediglich die Rechtslage
wiederhergestellt wurde, die - insbesondere im Streitjahr und bis
zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch
die Senatsurteile in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54 -
allgemeiner Rechtsanwendungspraxis entsprach.
|
|
|
39
|
Das BVerfG stellt in seinem Beschluss in
BVerfGE 135, 1 = SIS 14 07 79 (Rz 80 und 81) zudem selbst
ausdrücklich klar, dass der dort entschiedene Fall mit der
Situation nicht vergleichbar ist, dass der Gesetzgeber angesichts
einer kurzfristigen Änderung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zu der bis dahin gefestigten Rechtspraxis diese
(rückwirkend) wiederherstellt.
|
|
|
40
|
bb) Der Senat kann auch im Streitfall offen
lassen, ob für die Zeit nach dem Ergehen der Senatsurteile in
BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232,
40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54 bis zum endgültigen
Gesetzesbeschluss am 1.11.2011 bzw. der Verkündung des
StVereinfG 2011 am 4.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) oder jedenfalls
bis zur entsprechenden Gesetzesinitiative - hier der Prüfbitte
des Bundesrates vom 18.3.2011 - Vertrauensschutz zu gewähren
ist. Denn das Ausgangsverfahren betrifft den Veranlagungszeitraum
2009. Etwaige im Vertrauen auf die erfolgte
Rechtsprechungsänderung getätigte Dispositionen in der
Zeit nach November 2010 stehen damit nicht zur Entscheidung.
|
|
|
41
|
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die
Kläger bei der Aufrechterhaltung des Einspruchs in
schutzwürdiger Weise im Vertrauen auf den Fortbestand der
Rechtslage nach Ergehen der Senatsurteile in BFHE 232, 34, BStBl II
2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 =
SIS 11 01 54 disponiert haben. Die Kläger wenden zwar ein, der
Kläger zu 1. habe während des Einspruchsverfahrens
zwischen der Änderung der Senatsrechtsprechung und der
Verkündung des StVereinfG 2011 in schützenswerter Weise
disponiert, weil er den Einspruch aufrechterhalten und die
verbösernde Überprüfung schon anerkannter
Aufwendungen durch das FA zugelassen habe. Die verfahrensrechtliche
Entscheidung, den Einspruch nicht zurückzunehmen, erfolgte
aber insbesondere mit dem Ziel, den Abzug der zumutbaren Belastung
gemäß § 33 Abs. 3 EStG von den anzuerkennenden
Krankheitskosten als nicht verfassungsgemäß anzufechten.
Dieses Ziel konnte der Kläger zu 1. nur nach Ergehen einer
Einspruchsentscheidung durch das Beschreiten des Rechtswegs
erreichen.
|
|
|
42
|
e) Das FG hat auch die Aufwendungen in
Höhe von 89,45 EUR, bei denen ein Leistungsgegenstand nicht
erkennbar war, zu Recht nicht als außergewöhnliche
Belastung anerkannt. Es ist nicht feststellbar, dass die
Voraussetzungen des § 33 EStG insoweit vorliegen. Die
(objektive) Feststellungslast hierfür tragen die Kläger
(s. BFH-Urteil vom 27.7.1990 III R 90/87, BFH/NV 1991, 229).
|
|
|
43
|
f) Die Beerdigungskosten hat das FG ebenfalls
zutreffend nicht zum Abzug zugelassen. Art. 6 Abs. 1 GG ist
hierdurch nicht verletzt.
|
|
|
44
|
aa) Als rechtlicher Grund für die
Übernahme der Beerdigungskosten kommt grundsätzlich
§ 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Betracht.
Nach dieser Vorschrift trägt der Erbe die Kosten der
Beerdigung.
|
|
|
45
|
Bei der Verpflichtung aus § 1968 BGB
handelt es sich um eine Nachlassverbindlichkeit.
Nachlassverbindlichkeiten treffen den Erben nur als denjenigen, dem
das Vermögen des Erblassers zufällt. Ist der Nachlass
überschuldet, hat der Erbe die Möglichkeit, die Erbschaft
auszuschlagen, so dass ihn aus § 1968 BGB keine rechtliche
Verpflichtung zur Begleichung der Beerdigungskosten trifft. Denn
mit der Annahme der Erbschaft setzt der Erbe regelmäßig
selbst den Grund für seine Rechtspflicht zur Erfüllung
der damit verbundenen Schulden. Die Verpflichtung aus § 1968
BGB trifft ihn deshalb nicht zwangsläufig i.S. von § 33
Abs. 2 EStG (BFH-Urteil vom 24.7.1987 III R 208/82, BFHE 150, 351,
BStBl II 1987, 715 = SIS 87 19 03; FG Münster, Urteil vom
1.7.2013 2 K 1062/12 E, EFG 2014, 44 = SIS 14 02 32;
Schmidt/Loschelder, EStG, 36. Aufl., § 33 Rz 35
„Beerdigungskosten“; Blümich/K. Heger,
§ 33 EStG Rz 214, 215; Endert in Frotscher, EStG, Freiburg
2011, § 33 Rz 50 ff.; Arndt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 33 Rz C 40; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -,
EStG, § 33 Rz 142; jeweils m.w.N.).
|
|
|
46
|
Beerdigungskosten können aber auch aus
sittlichen Gründen zwangsläufig entstehen. Sittliche
Gründe zur Übernahme der Beerdigungskosten kommen im
Allgemeinen bei einem nahen Angehörigen in Betracht
(BFH-Urteil in BFHE 150, 351, BStBl II 1987, 715 = SIS 87 19 03; FG
Münster, Urteil in EFG 2014, 44 = SIS 14 02 32; HHR/Kanzler,
EStG § 33 Rz 142). Unter diesem Gesichtspunkt können
Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung aber
ebenfalls nur abgezogen werden, soweit die Aufwendungen nicht aus
dem Nachlass bestritten werden können oder nicht durch
sonstige im Zusammenhang mit dem Tod zugeflossene Geldleistungen
gedeckt sind (BFH-Urteile vom 4.4.1989 X R 14/85, BFHE 157, 88,
BStBl II 1989, 779 = SIS 89 19 05, und vom 29.5.1996 III R 86/95,
BFH/NV 1996, 807 = SIS 96 22 05, m.w.N). Danach führen
Aufwendungen, die den Verkehrswert des Nachlasses nicht
übersteigen, gar nicht erst zu einer Belastung i.S. von §
33 EStG.
|
|
|
47
|
bb) Nach diesen Maßstäben hat das
FG den Abzug der Beerdigungskosten im Ergebnis zu Recht
verneint.
|
|
|
48
|
Zwar war der Kläger zu 1. aufgrund seiner
engen persönlichen Beziehungen zu E als deren Ehemann, mit der
er bis zuletzt in ehelicher Lebensgemeinschaft lebte und der
gegenüber er zum Unterhalt verpflichtet war (§§
1360, 1360a BGB), angesichts der guten Einkommensverhältnisse
aus sittlichen Gründen verpflichtet, die notwendigen und
angemessenen Beerdigungskosten zu tragen.
|
|
|
49
|
Der Kläger zu 1. konnte die
Beerdigungskosten in Höhe von 6.104,64 EUR aber aus seinem
Anteil am Nachlass der E bestreiten. Nach den den Senat bindenden
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) verfügte E an
ihrem Todestag über Guthaben bei einer Sparkasse in Höhe
von 12.416 EUR und bei einer Bausparkasse in Höhe von 8.103
EUR. Aus seinem Anteil an diesem Nachlass konnte der Kläger zu
1. die Beerdigungskosten zahlen, so dass er durch diese nicht
wirtschaftlich belastet war.
|
|
|
50
|
Die Kläger haben zwar behauptet, der
Kläger zu 1. sei wirtschaftlicher Eigentümer der
vorgenannten (Bau-)Sparguthaben gewesen, jedenfalls habe er gegen E
Ansprüche auf Herausgabe der Guthaben bzw. auf Geldleistungen
gehabt, die den Wert des Nachlasses überstiegen hätten.
Aus dem vom FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend
festgestellten Sachverhalt ergibt sich aber nicht, dass dem
Kläger zu 1. tatsächlich wirtschaftliches Eigentum an den
Guthaben zustand oder er entsprechende (Herausgabe-)Ansprüche
gegen E hatte.
|
|
|
51
|
Soweit die Kläger vorgetragen haben, der
Kläger zu 1. habe „Haushaltsgeld“ an E
gezahlt, das Kindergeld an sie weitergeleitet und ihre
Krankheitskosten getragen, mag dies in der Sache zwar zutreffen.
Daraus ergibt sich aber weder wirtschaftliches Eigentum des
Klägers zu 1. an den (Bau-)Sparguthaben der E noch ein
Anspruch gegen E auf Erstattung geleisteter Zahlungen. So
zählen zum angemessenen Ehegattenunterhalt gemäß
§ 1360a Abs. 1 und Abs. 2 BGB insbesondere die
Haushaltskosten. Zur Befriedigung der persönlichen
Bedürfnisse der Ehegatten gehören darüber hinaus die
Kosten für eine angemessene ärztliche Behandlung (z.B.
Erman/Kroll-Ludwigs, BGB, 15. Aufl., § 1360a Rz 3, 4;
Palandt/Brudermüller, BGB, 77. Aufl., § 1360a Rz 2, 3,
jeweils m.w.N.). Der Ehegattenunterhalt umfasst bei Ehepaaren, bei
denen - wie im Streitfall - nur ein Ehepartner Erwerbseinkommen
erzielt, darüber hinaus ein angemessenes Taschengeld in
Höhe von etwa 5 % bis 7 % des verfügbaren Nettoeinkommens
(Erman/Kroll-Ludwigs, a.a.O., § 1360a Rz 5), das auch ohne
nähere Bezifferung im Haushaltsgeld enthalten sein kann
(Palandt/Brudermüller, a.a.O., § 1360a BGB Rz 4). Dass
die Leistungen des Klägers zu 1. die Unterhaltsansprüche
der E überstiegen hätten, hat das FG weder festgestellt
noch haben die Kläger solches hinreichend dargelegt. Sie haben
weder den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der E näher
beziffert noch die vom Kläger zu 1. an E geleisteten Zahlungen
der Höhe nach angegeben. Die Kosten für eine angemessene
ärztliche Behandlung der E hatte der Kläger zu 1. vom
Grundsatz her ohnehin zu tragen.
|
|
|
52
|
Aber selbst wenn die Leistungen des
Klägers zu 1. das gegenüber E unterhaltsrechtlich
geschuldete Maß überstiegen haben sollten, ist
gemäß § 1360b BGB im Zweifel anzunehmen, dass der
Kläger zu 1. nicht beabsichtigte, von E Ersatz zu verlangen.
Soweit eine Mehrleistung herausverlangt werden soll, trifft den zu
viel leistenden Unterhaltsschuldner die Darlegungs- und Beweislast
dafür, dass eine überobligationsmäßige
Leistung vorlag und zur Zeit der Hingabe der Leistung seine Absicht
erkennbar war, Ersatz zu verlangen (Erman/Kroll-Ludwigs, a.a.O.,
§ 1360b Rz 4; Palandt/Brudermüller, a.a.O., § 1360b
Rz 4). An beidem fehlt es im Streitfall. Dem vom FG festgestellten
Sachverhalt lassen sich weder hinreichende Anhaltspunkte für
eine überobligationsmäßige Leistung des
Klägers zu 1. noch dafür entnehmen, dass der Kläger
zu 1. bei Hingabe der Leistungen an E erkennbar die Absicht hatte,
von E Ersatz zu verlangen.
|
|
|
53
|
g) Das FG hat die als
außergewöhnliche Belastung anerkannten Krankheitskosten
zutreffend um die im Jahr 2013 geleistete Zahlung der Krankenkasse
gemindert.
|
|
|
54
|
aa) Durch Krankheit entstandene Aufwendungen
sind steuerlich nur in der Höhe als
außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, in
der sie das Einkommen des Steuerpflichtigen tatsächlich und
endgültig belasten. Bei der Ermittlung der Höhe der
außergewöhnlichen Belastung sind daher auch solche
Ersatzleistungen, Beihilfen und andere Erstattungsbeträge
abzuziehen, die der Steuerpflichtige erst in einem späteren
Kalenderjahr erhält (BFH-Urteile vom 21.8.1974 VI R 236/71,
BFHE 113, 367, BStBl II 1975, 14 = SIS 75 00 08; vom 30.7.1982 VI R
67/79, BFHE 136, 396, BStBl II 1982, 744 = SIS 82 21 01, und vom
15.11.1991 III R 30/88, BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179 = SIS 92 03 05).
|
|
|
55
|
Diese Vorteilsanrechnung gründet auf der
zweckgerichteten Auslegung des Begriffs der Aufwendungen und dem
Merkmal der Außergewöhnlichkeit. Denn der
Abzugstatbestand des § 33 EStG erfordert die verminderte
subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Der
Steuerpflichtige ist im Ergebnis lediglich um die Differenz von
außergewöhnlichem Aufwand und Ersatzleistung belastet.
Nur insoweit trägt er den außergewöhnlichen Aufwand
tatsächlich und nur insoweit ist seine wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit vermindert (Senatsbeschluss vom 14.4.2011
VI R 8/10, BFHE 233, 241, BStBl II 2011, 701 = SIS 11 16 62).
|
|
|
56
|
Die Vorteilsanrechnung, die der Vermeidung
einer steuerlichen Doppelentlastung dient, ist jedoch nur geboten,
wenn die (steuerfreie) Ersatzleistung und der Aufwand auf dem
nämlichen Ereignis beruhen (Senatsbeschluss in BFHE 233, 241,
BStBl II 2011, 701 = SIS 11 16 62). Anzurechnen sind deshalb nur
Vorteile in Geld oder Geldeswert, die der Steuerpflichtige
erhält, um die entstandenen außergewöhnlichen
Aufwendungen auszugleichen (ständige Rechtsprechung, z.B.
BFH-Urteile vom 19.7.1957 VI 106/55 U, BFHE 65, 250, BStBl III
1957, 329 = SIS 57 02 17; vom 22.10.1971 VI R 242/69, BFHE 104, 63,
BStBl II 1972, 177 = SIS 72 01 05; vom 19.10.1990 III R 93/87, BFHE
162, 326, BStBl II 1991, 140 = SIS 91 04 03, und vom 18.4.2002 III
R 15/00, BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70 = SIS 02 85 76).
|
|
|
57
|
bb) Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise entschieden, dass die Krankheitskosten nur
insoweit als außergewöhnliche Belastungen nach § 33
EStG zu berücksichtigen sind, als sie die von der Krankenkasse
bezogenen Leistungen überstiegen. Zu diesen Leistungen
gehörte auch die im Jahr 2013 erfolgte Zahlung. Die
Krankenkasse leistete diese Zahlung ausweislich ihres Schreibens
vom ... 2013 auf die im Jahr 2009 vom Kläger zu 1.
verauslagten Behandlungskosten der E, da die Krankenkasse
entsprechend der mit E abgeschlossenen Vereinbarung
ursprünglich nur 50 % der Behandlungskosten übernommen
hatte.
|
|
|
58
|
Entgegen der Ansicht der Kläger steht der
Vorteilsanrechnung nicht entgegen, dass die Erstattung an den
Kläger zu 1. und nicht an die Erbengemeinschaft erfolgte. Die
Krankenkasse leistete die Erstattung an den Kläger zu 1., da
dieser und nicht die Erbengemeinschaft die Krankheitskosten der E
zuvor selbst getragen hatte. Die entsprechenden Aufwendungen des
Klägers zu 1. wurden als außergewöhnliche Belastung
in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr
geltend gemacht und vom FA bei der Einkommensteuerveranlagung auch
berücksichtigt. Der Kläger zu 1. ist in Höhe der im
Jahr 2013 erfolgten Erstattung indessen nicht (mehr) mit den
Krankheitskosten der E belastet. Dies rechtfertigt die
Vorteilsanrechnung.
|
|
|
59
|
cc) Die Erstattung der Krankenkasse ist -
entgegen der Ansicht der Kläger - auch nicht um die
Gerichtskosten des finanzgerichtlichen Verfahrens zu mindern. Die
Kläger wandten die Gerichtskosten nämlich nicht auf, um
die Erstattung der vom Kläger zu 1. getragenen
Krankheitskosten durch die Krankenkasse zu erlangen. Der Umstand,
dass die Kläger erst durch die im finanzgerichtlichen
Verfahren gewährte Akteneinsicht von den Umständen
erfuhren, die den Kläger zu 1. veranlasst haben, eine weitere
Erstattung der von ihm getragenen Krankheitskosten zu verlangen,
begründet keinen hinreichenden wirtschaftlichen Zusammenhang
zwischen der Erstattung der Krankenkasse und den Gerichtskosten
für das finanzgerichtliche Verfahren.
|
|
|
60
|
Unabhängig davon, dass die Kläger
die Gerichtskosten für das finanzgerichtliche Verfahren nicht
im Streitjahr gezahlt haben und ein Abzug dieser Kosten schon aus
diesem Grund im Streitfall nicht in Betracht kommt, sind die
Gerichtskosten auch dem Grunde nach keine
außergewöhnlichen Belastungen. Nach der Rechtsprechung
des Senats in seinem Urteil vom 18.6.2015 VI R 17/14 (BFHE 250,
153, BStBl II 2015, 800 = SIS 15 18 42) sind Prozesskosten für
Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2012 - und
damit auch für das Streitjahr - nur insoweit gemäß
§ 33 EStG abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige
Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Das
von den Klägern vor dem FG verfolgte Begehren zur
Änderung der Einkommensteuerfestsetzung berührte indessen
keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den
Kernbereich menschlichen Lebens i.S. der vorgenannten
Rechtsprechung.
|
|
|
61
|
3. Gemäß § 33 Abs. 1 EStG
ermäßigt sich die Einkommensteuer dadurch, dass der Teil
der zwangsläufigen Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen
zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigt, vom
Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
|
|
|
62
|
a) Das FG hat den Betrag der zumutbaren
Belastung im Streitfall unzutreffend ermittelt.
|
|
|
63
|
Abweichend von der bisherigen
Verwaltungsauffassung, wonach sich die Höhe der zumutbaren
Belastung ausschließlich nach dem höheren Prozentsatz
richtete, sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in
§ 33 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Grenzen überschritt,
ist die Regelung nach der neueren Rechtsprechung des Senats im
Urteil in BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684 = SIS 17 04 29, der
sich der VIII. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 258, 53,
BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81 und auch die Finanzverwaltung
zwischenzeitlich angeschlossen haben, so zu verstehen, dass nur der
Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den im Gesetz
genannten Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren
Prozentsatz belastet wird.
|
|
|
64
|
Hiernach berechnet sich die zumutbare
Belastung im Streitfall auf der Grundlage von zur Einkommensteuer
zusammen veranlagten Ehegatten ... wie folgt:
|
|
|
|
...
|
|
|
65
|
Die zumutbare Belastung übersteigt damit
die als außergewöhnliche Belastungen vom FA anerkannten
Aufwendungen. Höhere Aufwendungen sind nicht als
außergewöhnliche Belastungen anzusetzen, wie die
Vorinstanz zutreffend entschieden hat.
|
|
|
66
|
b) Auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung
kann nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes auch bei
Krankheitskosten nicht verzichtet werden. Denn das Gesetz
differenziert in § 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG bei Ansatz und
Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten
und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren
Aufwendungen (BFH-Urteil in BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81).
|
|
|
67
|
c) Die so ermittelte zumutbare Belastung ist
nach ständiger Rechtsprechung verfassungsgemäß
(BFH-Urteile in BFHE 166, 159, BStBl II 1992, 179 = SIS 92 03 05;
vom 24.6.2004 III R 141/95, BFH/NV 2004, 1635 = SIS 04 40 41,
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch
BVerfG-Beschluss vom 2.10.2009 2 BvR 1849/04; in BFHE 251, 196,
BStBl II 2016, 151 = SIS 15 28 94, Verfassungsbeschwerde nicht zur
Entscheidung angenommen durch BVerfG-Beschluss vom 23.11.2016 2 BvR
180/16; in BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684 = SIS 17 04 29, und in
BFHE 258, 53, BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81;
BFH-Beschlüsse vom 29.9.2016 III R 62/13, BFHE 255, 252, BStBl
II 2017, 259 = SIS 16 26 25; vom 10.1.2003 III B 26/02, BFH/NV
2003, 616 = SIS 03 22 10; BVerfG-Beschluss vom 29.10.1987 1 BvR
672/87, HFR 1989, 152). Daran hält der Senat auch in Ansehung
des Vortrags der Kläger und der an dieser Rechtsprechung
teilweise geäußerten Kritik (z.B. Karrenbrock/Petrack,
DStR 2016, 47) nach nochmaliger Überprüfung weiterhin
fest. Dies gilt insbesondere für die Berücksichtigung der
zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten.
|
|
|
68
|
aa) Nach dem Prinzip der Steuerfreiheit des
Existenzminimums hat der Staat das Einkommen des Bürgers
insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der
Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für
sich und seine Familie benötigt (BFH-Urteile in BFHE 251, 196,
BStBl II 2016, 151 = SIS 15 28 94, und in BFHE 258, 53, BStBl II
2017, 949 = SIS 17 12 81; BFH-Beschluss in BFHE 255, 252, BStBl II
2017, 259 = SIS 16 26 25). Dem Grundgedanken der Subsidiarität
der staatlichen Fürsorge entspricht es, dass sich die
Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen
Existenzminimums zumindest nach dem im Sozialhilferecht
niedergelegten Leistungsniveau richtet. Solange der Empfänger
entsprechender Sozialleistungen aus den allgemeinen
Haushaltsmitteln finanziert wird, ist auch der entsprechende
Aufwand im Einkommensteuerrecht steuerfrei zu stellen
(BVerfG-Beschluss vom 13.2.2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87, unter D.II.4.b). Zu diesem einkommensteuerrechtlich zu
verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und
Pflegeversorgung (Senatsurteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151
= SIS 15 28 94). Für die Bemessung des freizustellenden
existenznotwendigen Aufwands der Höhe nach ist auf das
sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine
das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen
(Senatsurteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151 = SIS 15 28 94).
Da auch Empfänger von Sozialleistungen Zuzahlungen aus den
ihnen zur Verfügung gestellten Sozialleistungen bis zur
Belastungsgrenze selbst zu erbringen haben, gehören
Zuzahlungen i.S. des § 61 SGB V nicht zum
einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum (BFH-Beschluss in BFHE
255, 252, BStBl II 2017, 259 = SIS 16 26 25).
|
|
|
69
|
Hiergegen kann insbesondere nicht eingewandt
werden, dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum für
alle Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen
Grenzsteuersatz in voller Höhe von der Einkommensteuer
freizustellen ist. Dies gilt nämlich nur für
Aufwendungen, die tatsächlich von Verfassungs wegen auch dem
einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzuordnen sind, weil
die Aufwendungen dem im Sozialhilferecht niedergelegten
Leistungsniveau entsprechen. Das sozialhilferechtliche
Versorgungsniveau umfasst aber gerade keine zuzahlungsfreie
Krankenversorgung (BFH-Beschluss in BFHE 255, 252, BStBl II 2017,
259 = SIS 16 26 25). Aus diesem Grund bildet die sozialrechtliche
Belastungsgrenze (§ 62 SGB V) auch von Verfassungs wegen keine
betragsmäßige Grenze für den Ansatz der zumutbaren
Belastung. Diese ist vielmehr nach den in § 33 Abs. 3 EStG
geregelten steuerlichen Grundsätzen zu ermitteln, die
ihrerseits - nach ständiger Rechtsprechung -
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.
|
|
|
70
|
Eine Zuzahlung mag allenfalls dann nicht mehr
zumutbar sein, falls dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte
Existenzminimum eingegriffen werden sollte (Urteil des
Bundessozialgerichts vom 22.4.2008 B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221,
Rz 16). Solange allerdings der tatsächliche Umfang der von dem
Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die Zuzahlungen
- wie im Streitfall - der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses
Existenzminimum zu tangieren, hält der erkennende Senat eine
Einschränkung der zumutbaren Belastung von Verfassungs wegen
nicht für geboten.
|
|
|
71
|
bb) Nachdem die Krankenkasse im Jahr 2013 die
zuvor nur teilweise übernommenen Behandlungskosten der E in
der K-Klinik aus dem Streitjahr vollständig erstattet hatte,
betreffen die verbleibenden, vom FA als außergewöhnliche
Belastungen anerkannten Krankheitskosten von der Krankenkasse nicht
erstattete Aufwendungen für ärztliche Behandlungen auf
(private) Rechnung, Zuzahlungen zu einer Kur und zu einem
Krankenhausaufenthalt, Praxisgebühren, Aufwendungen für
einen ..., für „präventive
Krankengymnastik“ und für verschiedene durch
Privatrezept verordnete Medikamente, Zuzahlungen zu Medikamenten
und Rezepten sowie Fahrtkosten zu Kliniken und Krankenfahrten mit
dem Taxi.
|
|
|
72
|
Diese Aufwendungen gehören nicht zum
sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveau. Ein
Sozialhilfeempfänger hätte die Aufwendungen für die
ärztliche Behandlung außerhalb der gesetzlichen
Krankenversicherung auf (private) Rechnung, für
„präventive Krankengymnastik“, für die
durch Privatrezept verordneten Medikamente und den ... nicht aus
allgemeinen Haushaltsmitteln (erstattet) erhalten. Hinsichtlich der
Fahrtkosten zu den Kliniken und der Aufwendungen für die
Krankenfahrten mit dem Taxi kann der Senat offen lassen, ob
entsprechende Fahrtkosten einem Sozialhilfeempfänger aus
Haushaltsmitteln erstattet worden wären. Die Kläger haben
für die Fahrtkosten von der Krankenversicherung jedenfalls
keine Leistungen (Erstattungen) erhalten. Dies mag darauf beruhen,
dass entsprechende Versicherungsleistungen nicht geltend gemacht
wurden oder von der Krankenversicherung nicht zu erbringen waren.
Weder in der einen noch in der anderen Konstellation ist es von
Verfassungs wegen geboten, vom Ansatz der zumutbaren Belastung
abzusehen. Gleiches gilt in Bezug auf die Zuzahlungen zu der Kur,
zu dem Krankenhausaufenthalt, zu den Medikamenten und Rezepten
sowie für die Praxisgebühren. Denn solche Zahlungen
hätte auch ein Sozialhilfeempfänger dem Grunde nach aus
seinen Sozialleistungen aufbringen müssen.
|
|
|
73
|
cc) Die Grundrechte auf Leben und
körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gebieten
es ebenfalls nicht, im Streitfall keine zumutbare Belastung
anzusetzen.
|
|
|
74
|
4. Der von den Klägern als
Verfahrensfehler gerügte Verstoß des FG gegen das Gebot
des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG)
liegt nicht vor. Das FG hatte angesichts des Streitgegenstands und
des von den Klägern gestellten Klageantrags nicht über
die Rechtmäßigkeit der Auskunftsersuchen des FA im
Verwaltungsverfahren zu entscheiden.
|
|
|
75
|
5. Da der Senat weder von der
Verfassungswidrigkeit der zumutbaren Belastung in § 33 EStG
noch von der Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden
Neuregelung der formalen Nachweispflichten in § 33 Abs. 4 EStG
i.V.m. §§ 64, 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011
überzeugt ist, kommen eine Aussetzung des Verfahrens und eine
Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht in
Betracht.
|
|
|
76
|
6. Der Senat übt sein ihm
gemäß § 74 FGO eingeräumtes Ermessen dahin
aus, das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des BVerfG über
die vom Kläger zu 1. gegen das BFH-Urteil in BFHE 258, 53,
BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81 eingelegte Verfassungsbeschwerde
(2 BvR 1936/17) auszusetzen.
|
|
|
77
|
a) Nach dieser Vorschrift kann das Gericht,
wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom
Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses
abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet
oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen,
dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits
oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen
ist. Bei der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sind
insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die
Interessen der Beteiligten abzuwägen (z.B. BFH-Beschlüsse
vom 9.12.2004 III B 83/04, BFH/NV 2005, 503 = SIS 05 15 65, und vom
19.9.2007 XI B 52/06, BFH/NV 2008, 63 = SIS 08 04 80).
|
|
|
78
|
Ein Klageverfahren ist nach der Rechtsprechung
des BFH insbesondere auszusetzen, wenn vor dem BVerfG ein nicht als
aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall
anzuwendende Norm anhängig ist, den FG zahlreiche
Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der
Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes
Interesse an einer Entscheidung über die
Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen Regelung trotz des
beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschluss in BFH/NV
2008, 63 = SIS 08 04 80). Außerdem muss eine die
Verfassungswidrigkeit bejahende Entscheidung des BVerfG
entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das auszusetzende
Verfahren haben (BFH-Beschluss vom 28.3.2007 VIII B 50/06, BFH/NV
2007, 1337 = SIS 07 20 35). Eine Aussetzung des Verfahrens
gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG
kommt daher dann nicht in Betracht, wenn selbst für den Fall,
dass das BVerfG die einschlägige Steuerrechtsnorm für
verfassungswidrig erklärt, eine entscheidungserhebliche
Auswirkung auf das konkrete Streitverfahren deshalb
auszuschließen ist, weil allenfalls mit einer
Unvereinbarkeitserklärung oder einer
Änderungsverpflichtung des Gesetzgebers nur für die
Zukunft zu rechnen ist (BFH-Beschlüsse vom 15.3.2005 IV B
91/04, BFHE 209, 128, BStBl II 2005, 647 = SIS 05 25 23; vom
24.1.2006 VIII B 37/05, BFH/NV 2006, 1154 = SIS 06 21 77; vom
2.9.2005 XI B 224/04, BFH/NV 2006, 556 = SIS 06 11 93, und vom
21.7.2005 II B 78/04, BFH/NV 2005, 1984 = SIS 05 44 83).
|
|
|
79
|
b) Hiernach ist das vorliegende
Revisionsverfahren nicht nach § 74 FGO auszusetzen.
|
|
|
80
|
aa) Soweit sich der Kläger zu 1. in dem
Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 1936/17 gegen die
rückwirkende Neuregelung der formalen Nachweispflichten in
§ 33 Abs. 4 EStG i.V.m. §§ 64, 84 Abs. 3f EStDV
i.d.F. des StVereinfG 2011 wendet, hält der Senat die
Verfassungsbeschwerde aus den oben bereits dargelegten Gründen
(s. II.2.d) für offensichtlich aussichtslos.
|
|
|
81
|
bb) In Bezug auf die vom Kläger zu 1. mit
der Verfassungsbeschwerde gegen das BFH-Urteil in BFHE 258, 53,
BStBl II 2017, 949 = SIS 17 12 81 gerügte
Verfassungswidrigkeit der zumutbaren Belastung kann der Senat
dahinstehen lassen, ob die Verfassungsbeschwerde insoweit ebenfalls
offensichtlich aussichtslos ist. Denn es erscheint jedenfalls
ausgeschlossen, dass die Entscheidung in dem Verfahren 2 BvR
1936/17 entscheidungserhebliche Auswirkungen auf das vorliegende
Verfahren haben könnte. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist
nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass normverwerfende
Entscheidungen dieses Gerichts zu einer rückwirkenden
Nichtigkeitsregelung der angegriffenen gesetzlichen Bestimmung oder
zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes
- und sei es auch nur im Rahmen einer Übergangsregelung
für alle noch offenen Fälle - führen (z.B.
BFH-Beschluss vom 26.11.1998 IV B 150/97, BFH/NV 1999, 657 = SIS 98 55 56, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG). Eine solche
Möglichkeit schließt der Senat für die zumutbare
Belastung aus. Es wäre selbst für den Fall, dass das
BVerfG die zumutbare Belastung entgegen der ständigen
Rechtsprechung des BFH und entgegen seinen eigenen bisherigen
Entscheidungen nunmehr für verfassungswidrig halten sollte,
nicht mit einer Nichtigkeits-, sondern allenfalls mit einer
Unvereinbarkeitserklärung und einer
Änderungsverpflichtung des Gesetzgebers für die Zukunft
zu rechnen.
|
|
|
82
|
c) Die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung
des Verfahrens gemäß § 74 FGO kann in der
Endentscheidung erfolgen (BFH-Beschluss vom 25.11.2003 II B 68/02,
BFH/NV 2004, 462 = SIS 04 10 92, m.w.N.).
|
|
|
83
|
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|