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Außergewöhnliche Belastungen im Fall wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden

Außergewöhnliche Belastungen im Fall wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden: 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Behandlung. - 2. Um festzustellen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. In diesem Fall muss das FG die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen. - Urt.; BFH 18.6.2015, VI R 68/14; SIS 15 18 89

Kapitel:
Privatbereich > Außergewöhnliche Belastungen (allgemeine)
Fundstellen
  1. BFH 18.06.2015, VI R 68/14
    BStBl 2015 II S. 803
    DStR 2015 S. 1970
    NJW 2015 S. 3120

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 28.9.2015
    St.Sch. in BFH/PR 11/2015 S. 375
    KAM in Stbg 3/2016 S. M 8
Normen
[EStG] § 33
[EStDV] § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Schleswig-Holsteinisches FG, 01.10.2014, SIS 15 04 80, Außergewöhnliche Belastung, Nachweis, Krankheit, Anerkennung, Wissenschaft
Zitiert in... / geändert durch...
  • BFH 23.3.2023, SIS 23 10 48, Außergewöhnliche Belastungen bei Aufwendungen für eine Liposuktion: Aufwendungen für eine Liposuktion zur...
  • FG Rheinland-Pfalz 17.8.2021, SIS 21 15 71, Die Aufwendungen für eine Liposuktion sind nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG abzugsfä...
  • FG München 15.12.2020, SIS 21 02 65, Aufwendungen für im Jahr 2016 wegen eines Lipödems im Stadium II durchgeführte Liposuktion (Fettabsaugung...
  • Sächsisches FG 10.9.2020, SIS 20 15 96, Kosten einer Liposuktion bei Lipödem als außergewöhnliche Belastung: Die Liposuktion bei Lipödem ist im J...
  • Thüringer FG 7.7.2020, SIS 20 18 44, Aufwendungen für im Jahr 2016 durchgeführte Liposuktion (Fettabsaugung) ohne vorab eingeholtes amtsärztli...
  • Niedersächsisches FG 16.6.2020, SIS 20 13 85, Aufwendungen für eine Tomatis-Therapie zur Behandlung einer Hyperakusis keine außergewöhnlichen Belastung...
  • BFH 21.2.2018, SIS 18 06 21, Krankheits- und Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung, Verfassungsmäßigkeit der zumutbaren Bel...
  • FG Baden-Württemberg 27.9.2017, SIS 17 21 14, Aufwendungen für die Liposuktion im Jahr 2007 keine außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG: 1. Bei A...
  • BFH 25.4.2017, SIS 17 12 81, Aufwendungen für ein im Rahmen mehrerer Einkunftsarten genutztes häusliches Arbeitszimmer: Der gemäß § 4 ...
  • LfSt Bayern 10.10.2016, SIS 16 25 89, Lese- und/oder Rechtschreibstörung (Legasthenie) bei Kindern, außergewöhnliche Belastung: Eine Verfügung ...
  • FG Rheinland-Pfalz 18.8.2016, SIS 16 20 27, Kosten der operativen Entfernung eines Lipödems als außergewöhnliche Belastung: 1. Für die Beurteilung de...
  • BFH 19.11.2015, SIS 16 07 12, Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen: 1. Aufwendungen für einen Zivilprozess sind ausnahms...
  • BFH 19.11.2015, SIS 16 02 52, Aufwendungen für Lerntherapie und Erziehungsberatung eines hochbegabten Kindes keine außergewöhnliche Bel...
  • FG München 26.10.2015, SIS 16 08 22, Medizinische Notwendigkeit einer Fettabsaugung: 1. Bei den im Streitfall vorgenommenen Liposuktionen hand...
  • FinBeh Hamburg 9.10.2015, SIS 15 23 80, Voraussetzungen für den Nachweis der Zwangsläufigkeit von wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsm...

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 1.10.2014 2 K 272/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

 

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für die operative Beseitigung von Lipödemen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) absetzbar sind.

 

 

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung machten sie Aufwendungen für die operative Beseitigung von Lipödemen bei der Klägerin im Streitjahr in Höhe von 5.500 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Krankenkasse hatte der Klägerin mit Schreiben vom ...9.2012 mitgeteilt, dass sie sich nicht an den Kosten der Liposuktion beteiligen könne, weil die Therapie keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherungen sei. Ein amtsärztliches Zeugnis oder eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse wurde weder vor den Operationen noch danach eingeholt. Die Klägerin reichte die Berichte des Medizinischen Versorgungszentrums ... vom ...11.2010 und der Radiologie ... vom ...11.2010, die Atteste des Arztes ... vom ...10.2012 und vom ...10.2012, sowie das Attest der Ärztin ... vom ...11.2012 ein. Weiter wurde ein fachärztliches Gutachten von Herrn Dr. ... vom ...1.2011 vorgelegt. Danach sei die Erstvorstellung am ...10.2009 erfolgt und als Diagnose „schmerzhaftes Lipödem der Beine Stad. II (Mb. Derkum)“ bestätigt worden. Als operative Behandlungsmaßnahme sei die Liposuktion mit dem Wasserstrahl, dem Ultraschall oder die Vibrationsliposuktion angezeigt. Mit den neuen Möglichkeiten technisierter, lymphbahnschonender Fettabsaugungen (lymphologische Liposuktion) bestehe eine definitive Heilungsoption. Die überwiegende Anzahl der Patientinnen werde durch eine mehrseitige lymphologische radikale Liposuktion von sämtlichen Symptomen langjährig befreit. Demgegenüber verfügten die konservativen Behandlungsmethoden nicht über diese Möglichkeiten. Durch eine operative Behandlung müssten sich Patientinnen nicht mehr auf lediglich symptomatisch lindernde zeitaufwändige und lebenslang durchzuführende Behandlungen verweisen lassen.

 

 

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid für 2010 nicht als außergewöhnliche Belastungen. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies es mit Teil-Einspruchsentscheidung vom 30.11.2012 insoweit als unbegründet zurück.

 

 

4

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in EFG 2015, 33 = SIS 15 04 80 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.

 

 

5

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 33 EStG i.V.m. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 (EStDV) sowie Verfahrensfehler.

 

 

6

Sie beantragen, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 1.10.2014 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2012 dahingehend zu ändern, dass Aufwendungen für eine bei der Klägerin vorgenommene Liposuktion in Höhe von 5.500 EUR als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden.

 

 

7

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

 

8

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, bei der Liposuktion handele es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Methode zur Behandlung eines Lipödems. Dementsprechend hat es das Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen zu Recht verneint, weil die Klägerin kein vor der Behandlung erstelltes amtsärztliches Gutachten vorgelegt hat, aus dem sich die Zwangsläufigkeit der Maßnahme ergibt.

 

 

9

1. Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29.9.1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418 = SIS 89 24 01).

 

 

10

a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17.7.1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 = SIS 81 22 55; vom 13.2.1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427 = SIS 87 12 04, und vom 20.3.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596 = SIS 87 16 03).

 

 

11

b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach Bedarf (BFH-Urteile vom 1.2.2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40, und vom 3.12.1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227 = SIS 99 06 03). Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18.6.1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 = SIS 98 03 08), also medizinisch indiziert sind (Senatsurteil vom 19.4.2012 VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577 = SIS 12 16 86).

 

 

12

c) Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch - SGV V - ) hat der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV (vgl. Senatsurteile vom 6.2.2014 VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458 = SIS 14 10 30, und vom 26.2.2014 VI R 27/13, BFHE 246, 18, BStBl II 2014, 824 = SIS 14 16 51) ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV).

 

 

13

d) Ein solcher qualifizierter Nachweis ist - aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Geltung des § 64 EStDV (Senatsurteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577 = SIS 12 16 86) - auch im Streitjahr bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV), erforderlich.

 

 

14

aa) Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn „die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)“ die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (gleicher Auffassung Bundessozialgericht - BSG - zu § 18 SGB V, Urteil vom 13.12.2005 B 1 KR 21/04 R, SozR 4-2500 § 18 Nr. 5 SGB V; BSG zu § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, Urteil vom 19.2.2002 B 1 KR 16/00 R, SozR 3-2500 § 92 Nr. 12 S. 71 f.; BSG zu § 18 SGB V, Urteil vom 14.2.2001 B 1 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 6 S. 23; BSG zu § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, Urteil vom 21.3.2013 B 3 KR 2/12 R, SozR 4-2500 § 137c Nr. 6; Senatsurteil vom 26.6.2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9 = SIS 14 27 71). Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich anerkannt anzusehen ist, hat das FG aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen.

 

 

15

Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Denn das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert und die angefallenen Aufwendungen daher zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind (vgl. Senatsurteile vom 12.5.2011 VI R 37/10, BFHE 234, 25, BStBl II 2013, 783 = SIS 11 25 95; vom 5.10.2011 VI R 20/11, BFH/NV 2012, 38 = SIS 11 38 92; vom 14.11.2013 VI R 20/12, BFHE 244, 285, BStBl II 2014, 456 = SIS 14 08 63).

 

 

16

bb) Um zu beurteilen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. Will das FG von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, muss es die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen. Bringt der Steuerpflichtige substantiierte Einwendungen vor, aus denen sich Zweifel ergeben - insbesondere, wenn der Steuerpflichtige darlegt, dass in seinem Fall aus medizinischer Sicht etwas anderes gilt und er deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt -, so kann das FG verpflichtet sein, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

 

 

17

2. Im Streitfall ist das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, die von der Klägerin durchgeführte Liposuktion sei keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode.

 

 

18

Hierbei ist es von der unter II.1.d aa angeführten Begriffsbestimmung der wissenschaftlichen Anerkennung einer Behandlungsmethode ausgegangen. Seinen Feststellungen zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems hat es - wie auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg in seinem Urteil vom 22.1.2013 5 LB 50/11 (Entscheidungen zum Krankenhausrecht 2013/159) - u.a. das „Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. vom 6.10.2011 zugrunde gelegt. Ausgehend hiervon ist es zu der Würdigung gelangt, die Liposuktion sei keine anerkannte Therapie zur Behandlung des Lipödems. Zwar werde durch eine Liposuktion das Fettgewebe reduziert. Es sei aber wissenschaftlich nicht hinreichend bewiesen, dass damit auch eine nachhaltige Reduktion der Lipödembeschwerden einhergehe. Auch liege bislang keine kontrollierte klinische Studie zur Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen vor. Es bestünden lediglich Leitlinien, z.B. die Leitlinie „Lipödem der Beine“ der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in der letzten Fassung vom 25.6.2009, in denen auf zwei Untersuchungen mit 19 Patientinnen über acht Jahre bzw. 75 Patientinnen über maximal viereinhalb Jahre Bezug genommen werde. Derartige Nachbeobachtungen oder Untersuchungen mit kleinen Fallzahlen geringen zeitlichen Umfangs seien indes nicht geeignet, eine Therapie als wissenschaftlich allgemein anerkannt gelten zu lassen.

 

 

19

Das FG hat sich mithin auf der Grundlage verschiedener Erkenntnisquellen, die auch das OVG Lüneburg im Rahmen seiner Entscheidungsfindung im dort zu entscheidenden Verfahren verwandt hatte, die nötige Sachkunde verschafft, um die streitentscheidenden Umstände fachkundig würdigen zu können. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, die Wirksamkeit der Liposuktion sei mangels hinreichender Daten nicht ausreichend nachgewiesen. Diese Würdigung verstößt weder gegen Erfahrungssätze noch gegen die Denkgesetze. Insbesondere sind die herangezogenen Unterlagen - z.B. das Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 6.10.2011 - auch aussagekräftig für den im Streitfall entscheidenden Zeitpunkt der Behandlung im Jahr 2010.

 

 

20

3. Die Vorentscheidung war auch nicht wegen eines Verfahrensmangels aufzuheben.

 

 

21

Das FG hat seine Entscheidung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu treffen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 20.1.2003 VI B 113/02, BFH/NV 2003, 616 = SIS 03 22 11). Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.4.2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842 = SIS 08 27 46).

 

 

22

Hieraus folgt, dass das Gericht eine nicht von den Beteiligten vorgebrachte Entscheidungsgrundlage, auf die es sein Urteil stützen will, ins Verfahren einführen muss. Vorliegend kann indes offenbleiben, ob das FG die zur Begründung seiner Entscheidung angeführten Gutachten und sonstigen Erkenntnisse hinsichtlich der wissenschaftlichen Anerkennung der Liposuktion ordnungsgemäß ins Verfahren eingeführt hat.

 

 

23

Denn der Erfolg einer Revision infolge eines Verfahrensfehlers setzt voraus, dass die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt, in der Revisionsbegründung dargelegt werden (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO; vgl. BFH-Beschluss vom 5.6.2012 I R 51/11, BFH/NV 2012, 1800 = SIS 12 27 38). Hieran fehlt es im Streitfall. Die Kläger haben weder dargelegt, dass das FG die Erkenntnisse, auf die es seine Beurteilung der wissenschaftlichen Anerkennung der Liposuktion gestützt hat, nicht ins Verfahren eingeführt hat, noch haben sie geltend gemacht, dass sie sich hierzu nicht hätten äußern können.

 

 

24

Soweit sie mit ihrem Vorbringen, es habe Anlass bestanden, den Standpunkt des OVG Lüneburg anzuzweifeln, unter Hinweis auf das Gutachten von Dr. ... die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 FGO) rügen wollen, liegt auch insoweit ein Verfahrensmangel nicht vor. Da sich aus den Ausführungen in dem Gutachten nicht ergibt, auf welche wissenschaftlichen Grundlagen (Studien o.ä.) sich die dort vertretene Auffassung stützt, bestand keine Veranlassung für das FG, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären.

 

 

25

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.