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I. Zwischen den Beteiligten ist streitig,
ob Aufwendungen für einen Kuraufenthalt, Kosten für
Wassergymnastik und Bewegungsbäder sowie für
Stärkungsmittel und Einlegesohlen, die ohne ärztliche
Verordnung erworben wurden, als außergewöhnliche
Belastungen zu berücksichtigen sind.
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Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2006 zur
Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger erzielte
im Streitjahr als kaufmännischer Angestellter Einnahmen aus
nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 27.351 EUR, die
Klägerin war Hausfrau. In ihrer Einkommensteuererklärung
machten die Kläger u.a. folgende Aufwendungen als
Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen
geltend:
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Kostenart
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Betrag in EUR
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Praxisgebühren,
Untersuchungsgebühr
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70,00
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Fahrtkosten zu ärztlichen Behandlungen
und Untersuchungen mit dem eigenen PKW
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188,70
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Kosten für ärztlich verordnete
Medikamente und Stärkungsmittel
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221,62
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Kosten für Krankengymnastik, Massagen,
Fango usw.
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153,24
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Trinkgelder für
Behandlungspersonal
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50,00
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Kurtaxe für einen
Behandlungsaufenthalt in Bad A vom 27. Oktober bis 17.11.2006
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39,70
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Übernachtungskosten für
Aufenthalt in Bad A
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741,00
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Kosten für die Fahrt W - Bad A mit
eigenem PKW (1.700 km x 0,30 EUR)
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510,00
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Kosten für Thermal-Bewegungsbäder
laut ärztlicher Verordnung und Fahrtkosten zu den Terminen
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299,70
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Kosten für Wassergymnastik und
Bewegungsbäder einschließlich Fahrtkosten dorthin
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492,00
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Kosten für Einlegesohlen,
Verbandsmaterial etc.
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59,89
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In einer der Erklärung
beigefügten Anlage gaben die Kläger zu den Kosten
für die Wassergymnastik und die Bewegungsbäder an, sie
hätten an diesen auf ärztlichen Rat teilgenommen. Die
Kläger würden an chronischen Lendenwirbelschmerzen an
einer Bandscheibenvorwölbung seit 2004 leiden. Weiterhin
klagten sie über Halswirbelschmerzen,
Wirbelsäulenveränderungen, Migräne und
Herzkreislaufbeschwerden. Die Teilnahme sei zur Schmerzreduktion
erforderlich gewesen.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erkannte im Rahmen der streitigen
Einkommensteuerveranlagung die Trinkgelder (50 EUR), die Kurtaxe
(39,70 EUR), die Übernachtungs- und die Fahrtkosten nach Bad A
(741 EUR und 510 EUR) nicht an. Die Kosten für die
Wassergymnastik und die Bewegungsbäder (492 EUR) wurden
ebenfalls nicht berücksichtigt; die Aufwendungen für die
Stärkungsmittel in Höhe von 221,62 EUR wurden um 59,33
EUR gekürzt, da insoweit keine ärztliche Verordnungen
vorgelegen hätten. Auch die Aufwendungen für die
Einlegesohlen in Höhe von 46,21 EUR blieben
unberücksichtigt. Sie seien - ohne ärztliche Verordnung -
bei Discountern erworben worden. Die geltend gemachten Kurkosten
könnten nicht als außergewöhnliche Belastungen
anerkannt werden, da die Kurbedürftigkeit nicht durch ein vor
Kurbeginn ausgestelltes amtsärztliches oder vergleichbares
Zeugnis nachgewiesen worden sei. Nach alldem seien lediglich
Aufwendungen in Höhe von 818 EUR nach § 33 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigungsfähig.
Eine Minderung des Einkommens der Kläger komme gleichwohl
nicht in Betracht. Denn die zumutbare Belastung betrage im
Streitfall 1.220 EUR.
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6
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Der Einspruch der Kläger blieb
weitgehend erfolglos. Im Einspruchsbescheid vom 20.11.2008
führte das FA zur Begründung aus, die zu
berücksichtigenden Aufwendungen seien um 70 EUR
(Praxisgebühren) und 26,31 EUR (Einlegesohlen) zu erhöhen
und andererseits um 20,15 EUR bei den Medikamenten zu kürzen.
Die Kosten für die Behandlungen in Bad A könnten
weiterhin nicht anerkannt werden. Die Kläger hätten weder
ein vor Reisebeginn ausgestelltes amtsärztliches oder
vertrauensärztliches Attest noch eine Bescheinigung der
gesetzlichen Krankenkasse vorgelegt. Damit seien zwar Aufwendungen
in Höhe von 894,16 EUR berücksichtigungsfähig, die
die zumutbare Belastung jedoch nicht überschritten.
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7
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Die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren
erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die Kläger
hätten die medizinische Notwendigkeit und damit
Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen nicht durch
Vorlage eines ärztlichen Rezeptes oder einer Verordnung bzw.
durch Vorlage eines amts- oder vertrauensärztlichen Attests
oder Gutachtens nachgewiesen. Ein Abzug der geltend gemachten
Krankheitskosten nach § 33 EStG komme deshalb nicht in
Betracht. Dies gelte auch für die Trinkgelder. Derartige
Zuwendungen seien grundsätzlich nicht zwangsläufig i.S.
des § 33 Abs. 1 EStG, und zwar unabhängig davon, ob die
zugrunde liegende Leistung selbst als außergewöhnliche
Belastung zu beurteilen sei.
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8
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Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Kläger beantragen, das Urteil des
Niedersächsischen FG vom 20.8.2010 15 K 514/08 aufzuheben und
den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 24.1.2008 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.11.2008 dahingehend zu
ändern, dass Aufwendungen in Höhe von 2.826 EUR als
außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt
werden.
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10
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Mit Erklärung vom 6.1.2012 ist das
Bundesministerium der Finanzen dem Verfahren wegen der Frage
beigetreten, ob und wieweit an der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH), nach der es mangels gesetzlicher Grundlage
für die Anerkennung von Aufwendungen für Maßnahmen,
die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung
einer Krankheit dienen können und deren medizinische
Erforderlichkeit deshalb schwer zu beurteilen ist, eines
grundsätzlich vor der Behandlung ausgestellten amts- oder
vertrauensärztlichen Gutachtens über die medizinische
Notwendigkeit nicht bedarf (BFH-Urteile vom 11.11.2010 VI R 16/09,
BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53, und VI R 17/09,
BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54), auch nach der
Übernahme der Nachweisregelungen aus R 33.4 Abs. 1 der
Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 2008 in § 33 Abs. 4 EStG
i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVereinfG) 2011 (BGBl I
2011, 2131) i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 84 Abs. 3f der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.d.F. des
StVereinfG 2011 festzuhalten ist.
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12
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die streitigen
Aufwendungen zu Recht nicht als außergewöhnliche
Belastungen berücksichtigt.
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1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die
Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen
als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands
(außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig
erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich
ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen
Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den
Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag
nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des
§ 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für
den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die
sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen
Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem
Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen
die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in
Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten
sind (u.a. BFH-Urteil vom 29.9.1989 III R 129/86, BFHE 158, 380,
BStBl II 1990, 418 = SIS 89 24 01).
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a) In ständiger Rechtsprechung geht der
BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die
Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus
tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.
Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten
berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit
(z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt
werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise
Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17.7.1981 VI
R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 = SIS 81 22 55; vom
13.2.1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427 = SIS 87 12 04, und vom 20.3.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II
1987, 596 = SIS 87 16 03).
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b) Aufwendungen für die eigentliche
Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche
Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach
§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der
Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf
(BFH-Urteile vom 1.2.2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II
2001, 543 = SIS 01 08 40, und vom 3.12.1998 III R 5/98, BFHE 187,
503, BStBl II 1999, 227 = SIS 99 06 03, m.w.N.). Eine derart
typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung
eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten
(BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40).
Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den
Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den
Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder
Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen
werden (vgl. BFH-Urteil vom 18.6.1997 III R 84/96, BFHE 183, 476,
BStBl II 1997, 805 = SIS 98 03 08), also medizinisch indiziert
sind.
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c) Allerdings hat der Steuerpflichtige die
Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer
Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei
krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und
Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch - SGB V - ) ist dieser Nachweis nach § 64
Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung
eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen
für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der
Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren
medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt
§ 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor
Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen
Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine
vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher
qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade- und Heilkuren
(§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011) sowie bei medizinischen Hilfsmitteln, die als
allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S.
von § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2
Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011),
erforderlich.
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2. Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist
auch im Streitjahr Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f
EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F.
des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen - wie vorliegend
- die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt
ist, anzuwenden.
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a) Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F.
des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der
auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33 Abs.
4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit
Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar; auch hat
sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64 Abs.
1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse
gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der
Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall erscheint
- jedenfalls im Grundsatz - nicht unverhältnismäßig.
Aufgrund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und
Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen
Massenverfahren geeignet, erforderlich und
verhältnismäßig, um die nach Art. 3 Abs. 1 GG
gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit
zu gewährleisten. Dem steht nicht entgegen, dass der
Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln
(im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches
Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den
behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn
insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung
getragen (Geserich, FR 2011, 1067).
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b) Auch die in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F.
des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des
§ 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist unter
verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.
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aa) Sie ist von der Ermächtigung des
§ 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und
deshalb im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich
unbedenklich. Art. 80 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht,
Ermächtigungen zum Erlass rückwirkender Verordnungen zu
erteilen, noch gebietet er, dass eine solche Ermächtigung
ausdrücklich erteilt wird. Es reicht hin, wenn sich die
Ermächtigung dazu aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt
(Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8.6.1977 2
BvR 499/74 und 1042/75, BVerfGE 45, 142). Davon ist vorliegend
auszugehen. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Anwendungsregelung
sicherstellen, dass die vor den Entscheidungen des BFH in BFHE 232,
34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II
2011, 969 = SIS 11 01 54 geübte Rechtspraxis ohne zeitliche
Lücke aufrechterhalten wird (BTDrucks 17/6146, S. 17).
Überdies hat er selbst und nicht der Verordnungsgeber die
rückwirkende Geltung des formalisierten Nachweisverlangens
gemäß § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in Art.
2 Nr. 9 des StVereinfG 2011 angeordnet.
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bb) § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des
StVereinfG 2011 verstößt auch im Übrigen nicht gegen
Verfassungsrecht. Zwar ist eine echte Rückwirkung
(Rückbewirkung von Rechtsfolgen), die hier insoweit vorliegt,
als die Änderung der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung durch das
Steuervereinfachungsgesetz 2011 - wie hier -
Veranlagungszeiträume betrifft, die vor dem Zeitpunkt der
Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 bereits
abgeschlossen waren und für die die Steuer bereits entstanden
ist (§ 36 Abs. 1 EStG), nach der Rechtsprechung des BVerfG
grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom
7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, HFR 2010, 1098 = SIS 10 22 45; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, HFR 2010, 1095
= SIS 10 22 39, und 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, HFR 2010,
1103 = SIS 10 22 37). Erst mit der Verkündung, das heißt
mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes,
ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt,
zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl.
BVerfG-Beschluss vom 3.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 <78
f.> = SIS 98 10 50, m.w.N.), muss der von einem Gesetz
Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass
seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht
durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der
gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird
(vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 22.3.1983 2 BvR 475/78, BVerfGE
63, 343 <353 f.> = SIS 83 14 49; vom 10.4.1984 2 BvL 19/82,
BVerfGE 67, 1 <15>; vom 14.5.1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200
<241 f.> = SIS 86 25 18; in BVerfGE 97, 67 <78 f.> =
SIS 98 10 50; BVerfG-Urteil vom 27.9.2005 2 BvR 1387/02, BVerfGE
114, 258 <300>).
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cc) In der Rechtsprechung des BVerfG sind
jedoch - ohne dass dies abschließend wäre - Fallgruppen
anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot
durchbrochen ist (vgl. Beschlüsse in BVerfGE 72, 200 <258
ff.> = SIS 86 25 18; in BVerfGE 97, 67 <79 f.> = SIS 98 10 50; BVerfG-Urteil vom 23.11.1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239
<263>). So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen
Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn
sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des
geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 101,
239 <263>), etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war
(vgl. BVerfG-Urteil vom 19.12.1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261
<272>) oder eine gefestigte höchstrichterliche
Rechtsprechung zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach
Änderung der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend
gesetzlich festgeschrieben wird (BVerfG-Beschlüsse vom
23.1.1990 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE
81, 228 = SIS 90 09 55; vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06,
Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGK - 14,
338, und vom 21.7.2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR
2530/05, BVerfGE 126, 369). Dies gilt unabhängig von der
Frage, ob der BFH, wie die Kläger meinen, mit der
Änderung seiner Rechtsprechung das bei gleichgebliebener
Gesetzeslage schon bisher „richtige Recht“
zutreffend erkannt oder die frühere Rechtslage fortentwickelnd
neu gestaltet hat (BVerfG-Beschluss in BVerfGK 14, 338).
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dd) Gemessen hieran durfte der
Verordnungsgeber das formalisierte Nachweisverlangen
rückwirkend anordnen. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage
auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie
bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
durch die Urteile des BFH in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54
einer gefestigten Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 14.2.1980 VI R
218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295 = SIS 80 01 59; in BFHE
133, 545, BStBl II 1981, 711 = SIS 81 22 55; vom 11.1.1991 III R
70/88, BFH/NV 1991, 386 = SIS 91 14 06; vom 11.12.1987 III R 95/85,
BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275 = SIS 88 05 07; in BFHE 149, 222,
BStBl II 1987, 427 = SIS 87 12 04; vom 9.8.1991 III R 54/90, BFHE
165, 272, BStBl II 1991, 920 = SIS 91 21 02; in BFHE 195, 144,
BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40; vom 9.8.2001 III R 6/01, BFHE
196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17; vom 23.5.2002 III R
52/99, BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592 = SIS 02 85 77; vom
21.4.2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602 = SIS 05 30 39; vom 15.3.2007 III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841 = SIS 07 32 08;
BFH-Beschlüsse vom 10.12.2004 III B 56/04, juris; vom
24.11.2006 III B 57/06, BFH/NV 2007, 438 = SIS 07 06 86, und vom
15.11.2007 III B 205/06, BFH/NV 2008, 368 = SIS 08 11 24) und der
einhelligen Praxis der Finanzverwaltung (R 33.4 Abs. 1 EStR) und
damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der
Steuerpflichtigen entsprach. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine
hiervon abweichende Rechtslage konnten die Steuerpflichtigen, so
auch die Kläger, jedenfalls vor der
Rechtsprechungsänderung nicht bilden. Zumal das FA nach den
mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen und
daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden
Feststellungen des FG bereits im Einkommensteuerbescheid 2004 vom
5.12.2005 auf die Notwendigkeit ärztlicher Verordnungen und im
Einspruchsbescheid vom 22.5.2006, mit dem der Einspruch der
Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 5.12.2005
zurückgewiesen wurde, auf die Anforderungen an den Nachweis
der Notwendigkeit von Kuraufwendungen hingewiesen hatte.
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ee) Ob und inwieweit anderes für die Zeit
nach dem Ergehen der Urteile des BFH in BFHE 232, 34, BStBl II
2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 =
SIS 11 01 54 bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss am
1.11.2011 bzw. der Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes
2011 am 4.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) oder jedenfalls bis zur
entsprechenden Gesetzesinitiative - hier der Prüfbitte des
Bundesrates vom 18.3.2011 - gilt, kann hier dahinstehen. Denn das
Ausgangsverfahren betrifft lediglich den Veranlagungszeitraum 2006,
etwaige im Vertrauen auf die erfolgte Rechtsprechungsänderung
getätigte Dispositionen in der Zeit nach November 2010 stehen
damit nicht zur Entscheidung.
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ff) Es widerspricht weder dem
Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der
Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf
der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar mit
gutem Grund erfolgt ist, deren Ergebnis er aber für nicht
sachgerecht hält. Nicht die Rücksicht auf die
rechtsprechende Gewalt und deren Befugnis zur Letztentscheidung
über die bestehende Gesetzeslage, sondern nur das sonstige
Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte der
Steuerpflichtigen, begrenzt hier die Gestaltungsbefugnis des
Gesetzgebers bei der Bestätigung der alten Rechtspraxis durch
entsprechende gesetzliche Klarstellung (BVerfG-Beschlüsse in
BVerfGE 81, 228 = SIS 90 09 55; in BVerfGK 14, 338, und in BVerfGE
126, 369). Entgegen der Auffassung der Kläger ist insoweit
nicht erkennbar, dass die gesetzliche Festschreibung des von der
Rechtspraxis bisher verlangten formalisierten Nachweises von
Krankheitskosten in verfassungsrechtlich erheblicher Weise die
gerade auch im Steuerrecht Geltung beanspruchenden Grundsätze
der Folgerichtigkeit und der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung
(vgl. BVerfG-Beschluss vom 6.7.2010 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 =
SIS 10 19 16) verletzt.
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3. Nach alldem ist die Entscheidung des FG,
die Kosten für die Anschaffung der Einlegesohlen, die ohne
ärztliche Verordnung angeschafften entzündungshemmenden
Medikamente, Schmerzmittel, Hand- und Fußcremes, die
Wassergymnastik und die Bewegungsbäder der Klägerin sowie
die Aufwendungen für den Aufenthalt in Bad A im Ergebnis nicht
zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zuzulassen,
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn insoweit haben die
Kläger - nach den mit zulässigen Revisionsrügen
nicht angegriffenen und daher den Senat gemäß § 118
Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG - die
Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen nicht in der nach
§ 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 gebotenen Form
nachgewiesen. Das FG hat auch die Abzugsfähigkeit der geltend
gemachten Trinkgelder zutreffend verneint. Trinkgelder sind nicht
zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 1 EStG, und zwar
unabhängig davon, ob die zugrunde liegende Leistung selbst als
außergewöhnliche Belastung zu beurteilen ist. Der
Steuerpflichtige ist zwar aus tatsächlichen Gründen
gezwungen, bei Krankheiten medizinische Hilfe in Anspruch zu
nehmen. Trinkgeld wird aber von ihm - anders als das Entgelt
für die erbrachte Leistung - zivilrechtlich nicht geschuldet.
Auch wenn kein Trinkgeld erbracht wird, hat der Steuerpflichtige
Anspruch auf eine sachgemäße Behandlung seiner Krankheit
und kann diese auch erwarten (BFH-Urteil vom 30.10.2003 III R
32/01, BFHE 204, 108, BStBl II 2004, 270 = SIS 04 06 08).
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