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Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall, Neuregelung im StVereinfG 2011

Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall, Neuregelung im StVereinfG 2011: 1. Dem in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 und in § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 geregelten Verlangen, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall formalisiert nachzuweisen, ist nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 auch im Veranlagungszeitraum 2006 Rechnung zu tragen. - 2. Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. - 3. Die in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie ist von der Ermächtigung des § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich. - 4. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ist hierbei nicht zu beklagen. Denn dem Gesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 21.7.2010 1 BvL 11/06 u.a., BVerfGE 126 S. 369). - Urt.; BFH 19.4.2012, VI R 74/10; SIS 12 16 86

Kapitel:
Privatbereich > Außergewöhnliche Belastungen (allgemeine)
Fundstellen
  1. BFH 19.04.2012, VI R 74/10
    BStBl 2012 II S. 577
    DStR 2012 S. 1269
    NJW 2012 S. 3261

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 1.8.2012
    H.J.K. in NWB 28/2012 S. 2273
    jh in StuB 13/2012 S. 526
    -/- in NWB 27/2012 S. 2202
    H.H. in DStR 31/2012 S. 1541
    W.Be. in DB 32/2012 S. M 9
    AK in DStZ 16/2012 S. 565
    St.Sch. in BFH/PR 9/2012 S. 311
    F.Sch.H. in NWB 36/2012 S. 2917
    KAM in Stbg 11/2012 S. M 11
    N.B. in AktStR 4/2012 S. 568
    W.Be. in FR 24/2012 S. 1172
Normen
[EStG] § 33 Abs. 1
[GG] Art. 20, Art. 80 Abs. 1
[EStG i.d.F. des StVereinfG 2011] § 33 Abs. 4
[EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011] § 64 Abs. 1, § 84 Abs. 3 f
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 20.08.2010, SIS 11 11 03, Außergewöhnliche Belastung, Krankheitskosten, Beweiswürdigung, Nachweis, Attest, Amtsarzt, Gesamtergebnis des Verfahrens
Zitiert in... / geändert durch...
  • BFH 10.8.2023, SIS 23 15 78, Keine außergewöhnlichen Belastungen bei Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Ersatzmutterschaft: Aufwen...
  • FG Münster 23.2.2022, SIS 22 05 45, Überwinterung eines an Kälteallodynie Leidenden in Thailand als agB: Die Angabe "in tropischem Klima" in ...
  • FG Berlin-Brandenburg 8.11.2021, SIS 22 00 06, Nachweisanforderung bei außergewöhnlichen Belastungen nach dem StVereinfG 2011: 1. Weder die in § 33 Abs....
  • FG Berlin-Brandenburg 8.11.2021, SIS 22 00 07, Anmietung einer zweiten Wohnung am Arbeitsort in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstätte, um die an Parkinso...
  • FG Rheinland-Pfalz 17.8.2021, SIS 21 15 71, Die Aufwendungen für eine Liposuktion sind nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG abzugsfä...
  • Hessisches FG 24.6.2021, SIS 21 18 35, Psychotherapeutische Behandlung als außergewöhnliche Belastung: 1. Aufwendungen zur Heilung oder Linderun...
  • FG München 15.12.2020, SIS 21 02 65, Aufwendungen für im Jahr 2016 wegen eines Lipödems im Stadium II durchgeführte Liposuktion (Fettabsaugung...
  • FG Nürnberg 1.10.2020, SIS 21 01 84, Aufwendungen für eine Fettreduktion im Bereich des Mons pubis als außergewöhnliche Belastung: Ein unschön...
  • Thüringer FG 7.7.2020, SIS 20 18 44, Aufwendungen für im Jahr 2016 durchgeführte Liposuktion (Fettabsaugung) ohne vorab eingeholtes amtsärztli...
  • Niedersächsisches FG 16.6.2020, SIS 20 13 85, Aufwendungen für eine Tomatis-Therapie zur Behandlung einer Hyperakusis keine außergewöhnlichen Belastung...
  • FG Köln 20.3.2019, SIS 19 11 00, Fahrtkosten eines am Asperger-Syndrom sowie an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (ADHS)...
  • FG Köln 30.1.2019, SIS 19 12 54, Aufwendungen für den Besuch eines Fitness- und Gesundheitsclubs: Aufwendungen für den Besuch eines Fitnes...
  • FG Rheinland-Pfalz 4.7.2018, SIS 18 21 30, Zu den Anforderungen an ein nach § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV erforderliches amtsärztliches Gutachten zum Nac...
  • BFH 21.2.2018, SIS 18 06 21, Krankheits- und Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung, Verfassungsmäßigkeit der zumutbaren Bel...
  • FG Baden-Württemberg 27.9.2017, SIS 17 21 14, Aufwendungen für die Liposuktion im Jahr 2007 keine außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG: 1. Bei A...
  • BFH 25.4.2017, SIS 17 12 81, Aufwendungen für ein im Rahmen mehrerer Einkunftsarten genutztes häusliches Arbeitszimmer: Der gemäß § 4 ...
  • FG Düsseldorf 14.3.2017, SIS 17 11 09, Abzug von Schulgeldzahlungen als außergewöhnliche Belastungen: 1. Aufwendungen für den Besuch einer Priva...
  • BFH 19.11.2015, SIS 16 07 12, Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen: 1. Aufwendungen für einen Zivilprozess sind ausnahms...
  • BFH 19.11.2015, SIS 16 02 52, Aufwendungen für Lerntherapie und Erziehungsberatung eines hochbegabten Kindes keine außergewöhnliche Bel...
  • BFH 9.11.2015, SIS 16 00 36, Krankheitskosten als Werbungskosten: 1. Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit können betriebl...
  • FG München 26.10.2015, SIS 16 08 22, Medizinische Notwendigkeit einer Fettabsaugung: 1. Bei den im Streitfall vorgenommenen Liposuktionen hand...
  • FG Münster 23.7.2015, SIS 15 25 01, Künstliche Befruchtung, gleichgeschlechtliche Beziehung: Aufwendungen einer in gleichgeschlechtlicher Par...
  • BFH 18.6.2015, SIS 15 28 23, Außergewöhnliche Belastungen bei Unterbringung einer Jugendlichen in einer Einrichtung der Jugendhilfe: 1...
  • BFH 18.6.2015, SIS 15 18 89, Außergewöhnliche Belastungen im Fall wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden: 1. Maßgeblic...
  • FG München 29.4.2015, SIS 16 03 56, Bestimmung des Lebensmittelpunkts bei doppelter Haushaltsführung: 1. Eine doppelte Haushaltsführung ist n...
  • BFH 15.1.2015, SIS 15 11 08, Nachweis der Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen nach § 64 EStDV: 1. Die Anerkennung vo...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 1.10.2014, SIS 15 04 80, Liposuktion (Fettabsaugung) ist keine außergewöhnliche Belastung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 f. EStDV: Liposuk...
  • FG Köln 27.8.2014, SIS 14 31 14, Kosten eines Fahrstuhls: Die Kosten für den Einbau eines Fahrstuhls stellen - bei Erfüllung der gesetzlic...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 8.7.2014, SIS 14 31 70, Liposuktion (Fettabsaugung) ist keine außergewöhnliche Belastung gem. § 64 Abs. 1 Nr. 2 f. EStDV: Liposuk...
  • BFH 26.6.2014, SIS 14 27 71, Außergewöhnliche Belastungen im Falle wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden: 1. Wissensc...
  • FG Rheinland-Pfalz 20.5.2014, SIS 14 20 41, Aufwendungen für eine Brustoperation als außergewöhnliche Belastung: 1. Krankheitskosten werden als außer...
  • BFH 26.2.2014, SIS 14 16 51, Heileurythmie als außergewöhnliche Belastung, Anforderungen an den Nachweis der Zwangsläufigkeit: 1. Aufw...
  • BFH 6.2.2014, SIS 14 10 30, Nachweis der Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für einen Treppenlift: 1. Gebrauchsgeg...
  • FG Nürnberg 6.12.2013, SIS 14 20 01, Anschaffung einer Infrarot-Wärmekabine als außergewöhnliche Belastung: Bei einer Niedertemperatur-Infraro...
  • FG Düsseldorf 5.12.2013, SIS 14 05 35, Entstrickungsbesteuerung bei Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte: Dem E...
  • FG Köln 18.10.2013, SIS 14 02 50, Einkünfte eines deutschen Piloten einer irischen Fluggesellschaft im VZ 2009 weiterhin steuerfrei: 1. Die...
  • FG Rheinland-Pfalz 20.9.2013, SIS 14 01 95, Berücksichtigung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen, Biophysikalische Informations-The...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 4.9.2013, SIS 13 31 27, Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer: Keine Abzugsfähigkeit der Kosten der erstmaligen Berufsausbildung ...
  • FG Rheinland-Pfalz 8.7.2013, SIS 13 26 82, Hausapotheke nicht steuerlich absetzbar: Ohne ärztliche Verordnung erworbene Medikamente bzw. Präparate s...
  • FG Rheinland-Pfalz 7.5.2013, SIS 13 19 16, Pilotenausbildung, Werbungskosten: Aufwendungen für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer sind nach g...
  • FG München 26.4.2013, SIS 13 21 00, Behandlungskosten bei psychischer Erkrankung: 1. Burn-Out ist keine typische Berufskrankheit. Ein Werbung...
  • FG Baden-Württemberg 24.4.2013, SIS 13 16 00, Doppelbett mit motorisch verstellbarem Einlegerahmen keine außergewöhnliche Belastung: 1. Ein Bett mit mo...
  • Sächsisches FG 24.4.2013, SIS 13 31 41, Rückwirkenden Anwendung der Vorschriften zum Nachweis von Krankheitskosten, "Fernreiki", Beerdigungskoste...
  • Sächsisches FG 24.4.2013, SIS 13 29 31, Krankheitskosten, zumutbare Belastung, ärztliche Verordnung, "Fernreiki", häusliches Arbeitszimmer: 1. Da...
  • Schleswig-Holsteinisches FG 17.4.2013, SIS 13 16 20, Aufwendungen für heileurythmische Behandlungen als außergewöhnliche Belastungen: Die Heileurythmie ist ke...
  • FG Hamburg 18.2.2013, SIS 13 15 68, Verlustfeststellung gem. § 10 d EStG für 1999, 2001: § 10 d Abs. 4 Satz 6 und § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i....
  • Niedersächsisches FG 12.2.2013, SIS 14 03 43, Haushaltsersparnis bei Heimunterbringung eines Kindes abziehbar: 1. Zu den Voraussetzungen der Abziehbark...
  • FG Baden-Württemberg 4.2.2013, SIS 14 12 03, Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion sind keine außergewöhnlichen Belastungen, wen...
  • FG Baden-Württemberg 26.11.2012, SIS 13 06 02, Keine vorweggenommenen Werbungskosten der Aufwendungen für die erstmalige Ausbildung zum Berufspiloten, W...
  • Hessisches FG 18.10.2012, SIS 13 28 97, Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG: 1. Die rückwirkende Anwendun...
  • FG Münster 18.9.2012, SIS 12 32 28, Kosten für den Einbau eines Treppenlifts: Ein Treppenlift ist ein medizinisches Hilfsmittel im weiteren S...
  • FG Rheinland-Pfalz 6.9.2012, SIS 12 28 39, Zumutbare Eigenbelastung bei Krankheitskosten: Krankheitskosten sind bei der Berücksichtigung als außerge...
  • BFH 18.7.2012, SIS 12 22 04, Keine Abziehbarkeit der sog. "Praxisgebühr" als Sonderausgabe: Zuzahlungen nach § 28 Abs. 4 SGB V (sog. "...
Fachaufsätze
  • LIT 02 50 26 N. Bolz, AktStR 4/2012 S. 568: Abzugsfähigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall - Anmerkungen zu den BFH-Urteilen vom 19.4.2012, VI R ...
  • LIT 02 44 38 W. Bergkemper, DB 32/2012 S. M 9: Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall - Neuregelung im Steuervereinfachungsges...
  • LIT 02 44 69 H. Haupt, DStR 31/2012 S. 1541: Operation gelungen - Patient ratlos - Zur Rückwirkung der Formalanforderungen bei außergewöhnlichen Belas...
  • LIT 02 42 57 H.J. Kanzler, NWB 28/2012 S. 2273: "Asbest, Xylamon und Sepula lacrymans" - Gesundheitsgefährdung durch Asbest, Holzschutzmittel und Echten ...

 

1

I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen für einen Kuraufenthalt, Kosten für Wassergymnastik und Bewegungsbäder sowie für Stärkungsmittel und Einlegesohlen, die ohne ärztliche Verordnung erworben wurden, als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind.

 

 

 

 

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2006 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger erzielte im Streitjahr als kaufmännischer Angestellter Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 27.351 EUR, die Klägerin war Hausfrau. In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger u.a. folgende Aufwendungen als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen geltend:

 

 

 

 

3

Kostenart

Betrag in EUR

 

 

Praxisgebühren, Untersuchungsgebühr

 

70,00

 

 

Fahrtkosten zu ärztlichen Behandlungen und Untersuchungen mit dem eigenen PKW

188,70

 

 

Kosten für ärztlich verordnete Medikamente und Stärkungsmittel

221,62

 

 

Kosten für Krankengymnastik, Massagen, Fango usw.

153,24

 

 

Trinkgelder für Behandlungspersonal

50,00

 

 

Kurtaxe für einen Behandlungsaufenthalt in Bad A vom 27. Oktober bis 17.11.2006

39,70

 

 

Übernachtungskosten für Aufenthalt in Bad A

741,00

 

 

Kosten für die Fahrt W - Bad A mit eigenem PKW (1.700 km x 0,30 EUR)

510,00

 

 

Kosten für Thermal-Bewegungsbäder laut ärztlicher Verordnung und Fahrtkosten zu den Terminen

299,70

 

 

Kosten für Wassergymnastik und Bewegungsbäder einschließlich Fahrtkosten dorthin

492,00

 

 

Kosten für Einlegesohlen, Verbandsmaterial etc.

59,89

 

 

 

4

In einer der Erklärung beigefügten Anlage gaben die Kläger zu den Kosten für die Wassergymnastik und die Bewegungsbäder an, sie hätten an diesen auf ärztlichen Rat teilgenommen. Die Kläger würden an chronischen Lendenwirbelschmerzen an einer Bandscheibenvorwölbung seit 2004 leiden. Weiterhin klagten sie über Halswirbelschmerzen, Wirbelsäulenveränderungen, Migräne und Herzkreislaufbeschwerden. Die Teilnahme sei zur Schmerzreduktion erforderlich gewesen.

 

 

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) erkannte im Rahmen der streitigen Einkommensteuerveranlagung die Trinkgelder (50 EUR), die Kurtaxe (39,70 EUR), die Übernachtungs- und die Fahrtkosten nach Bad A (741 EUR und 510 EUR) nicht an. Die Kosten für die Wassergymnastik und die Bewegungsbäder (492 EUR) wurden ebenfalls nicht berücksichtigt; die Aufwendungen für die Stärkungsmittel in Höhe von 221,62 EUR wurden um 59,33 EUR gekürzt, da insoweit keine ärztliche Verordnungen vorgelegen hätten. Auch die Aufwendungen für die Einlegesohlen in Höhe von 46,21 EUR blieben unberücksichtigt. Sie seien - ohne ärztliche Verordnung - bei Discountern erworben worden. Die geltend gemachten Kurkosten könnten nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden, da die Kurbedürftigkeit nicht durch ein vor Kurbeginn ausgestelltes amtsärztliches oder vergleichbares Zeugnis nachgewiesen worden sei. Nach alldem seien lediglich Aufwendungen in Höhe von 818 EUR nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigungsfähig. Eine Minderung des Einkommens der Kläger komme gleichwohl nicht in Betracht. Denn die zumutbare Belastung betrage im Streitfall 1.220 EUR.

 

 

6

Der Einspruch der Kläger blieb weitgehend erfolglos. Im Einspruchsbescheid vom 20.11.2008 führte das FA zur Begründung aus, die zu berücksichtigenden Aufwendungen seien um 70 EUR (Praxisgebühren) und 26,31 EUR (Einlegesohlen) zu erhöhen und andererseits um 20,15 EUR bei den Medikamenten zu kürzen. Die Kosten für die Behandlungen in Bad A könnten weiterhin nicht anerkannt werden. Die Kläger hätten weder ein vor Reisebeginn ausgestelltes amtsärztliches oder vertrauensärztliches Attest noch eine Bescheinigung der gesetzlichen Krankenkasse vorgelegt. Damit seien zwar Aufwendungen in Höhe von 894,16 EUR berücksichtigungsfähig, die die zumutbare Belastung jedoch nicht überschritten.

 

 

7

Die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die Kläger hätten die medizinische Notwendigkeit und damit Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen nicht durch Vorlage eines ärztlichen Rezeptes oder einer Verordnung bzw. durch Vorlage eines amts- oder vertrauensärztlichen Attests oder Gutachtens nachgewiesen. Ein Abzug der geltend gemachten Krankheitskosten nach § 33 EStG komme deshalb nicht in Betracht. Dies gelte auch für die Trinkgelder. Derartige Zuwendungen seien grundsätzlich nicht zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 1 EStG, und zwar unabhängig davon, ob die zugrunde liegende Leistung selbst als außergewöhnliche Belastung zu beurteilen sei.

 

 

8

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

 

 

9

Die Kläger beantragen, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 20.8.2010 15 K 514/08 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 24.1.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.11.2008 dahingehend zu ändern, dass Aufwendungen in Höhe von 2.826 EUR als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.

 

 

10

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

 

11

Mit Erklärung vom 6.1.2012 ist das Bundesministerium der Finanzen dem Verfahren wegen der Frage beigetreten, ob und wieweit an der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), nach der es mangels gesetzlicher Grundlage für die Anerkennung von Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Erforderlichkeit deshalb schwer zu beurteilen ist, eines grundsätzlich vor der Behandlung ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens über die medizinische Notwendigkeit nicht bedarf (BFH-Urteile vom 11.11.2010 VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53, und VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54), auch nach der Übernahme der Nachweisregelungen aus R 33.4 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 2008 in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVereinfG) 2011 (BGBl I 2011, 2131) i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 84 Abs. 3f der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.d.F. des StVereinfG 2011 festzuhalten ist.

 

 

12

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die streitigen Aufwendungen zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt.

 

 

13

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29.9.1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418 = SIS 89 24 01).

 

 

14

a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17.7.1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 = SIS 81 22 55; vom 13.2.1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427 = SIS 87 12 04, und vom 20.3.1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596 = SIS 87 16 03).

 

 

15

b) Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1.2.2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40, und vom 3.12.1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227 = SIS 99 06 03, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18.6.1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 = SIS 98 03 08), also medizinisch indiziert sind.

 

 

16

c) Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V - ) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade- und Heilkuren (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011) sowie bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich.

 

 

17

2. Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitjahr Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen - wie vorliegend - die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden.

 

 

18

a) Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar; auch hat sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall erscheint - jedenfalls im Grundsatz - nicht unverhältnismäßig. Aufgrund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dem steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung getragen (Geserich, FR 2011, 1067).

 

 

19

b) Auch die in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

 

 

20

aa) Sie ist von der Ermächtigung des § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich. Art. 80 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht, Ermächtigungen zum Erlass rückwirkender Verordnungen zu erteilen, noch gebietet er, dass eine solche Ermächtigung ausdrücklich erteilt wird. Es reicht hin, wenn sich die Ermächtigung dazu aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 8.6.1977 2 BvR 499/74 und 1042/75, BVerfGE 45, 142). Davon ist vorliegend auszugehen. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Anwendungsregelung sicherstellen, dass die vor den Entscheidungen des BFH in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54 geübte Rechtspraxis ohne zeitliche Lücke aufrechterhalten wird (BTDrucks 17/6146, S. 17). Überdies hat er selbst und nicht der Verordnungsgeber die rückwirkende Geltung des formalisierten Nachweisverlangens gemäß § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in Art. 2 Nr. 9 des StVereinfG 2011 angeordnet.

 

 

21

bb) § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 verstößt auch im Übrigen nicht gegen Verfassungsrecht. Zwar ist eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), die hier insoweit vorliegt, als die Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 - wie hier - Veranlagungszeiträume betrifft, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 bereits abgeschlossen waren und für die die Steuer bereits entstanden ist (§ 36 Abs. 1 EStG), nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 7.7.2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, HFR 2010, 1098 = SIS 10 22 45; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, HFR 2010, 1095 = SIS 10 22 39, und 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, HFR 2010, 1103 = SIS 10 22 37). Erst mit der Verkündung, das heißt mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BVerfG-Beschluss vom 3.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 <78 f.> = SIS 98 10 50, m.w.N.), muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 22.3.1983 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 <353 f.> = SIS 83 14 49; vom 10.4.1984 2 BvL 19/82, BVerfGE 67, 1 <15>; vom 14.5.1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 <241 f.> = SIS 86 25 18; in BVerfGE 97, 67 <78 f.> = SIS 98 10 50; BVerfG-Urteil vom 27.9.2005 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258 <300>).

 

 

22

cc) In der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch - ohne dass dies abschließend wäre - Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist (vgl. Beschlüsse in BVerfGE 72, 200 <258 ff.> = SIS 86 25 18; in BVerfGE 97, 67 <79 f.> = SIS 98 10 50; BVerfG-Urteil vom 23.11.1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239 <263>). So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 239 <263>), etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war (vgl. BVerfG-Urteil vom 19.12.1961 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261 <272>) oder eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach Änderung der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend gesetzlich festgeschrieben wird (BVerfG-Beschlüsse vom 23.1.1990 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87, BVerfGE 81, 228 = SIS 90 09 55; vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGK - 14, 338, und vom 21.7.2010 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05, BVerfGE 126, 369). Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der BFH, wie die Kläger meinen, mit der Änderung seiner Rechtsprechung das bei gleichgebliebener Gesetzeslage schon bisher „richtige Recht“ zutreffend erkannt oder die frühere Rechtslage fortentwickelnd neu gestaltet hat (BVerfG-Beschluss in BVerfGK 14, 338).

 

 

23

dd) Gemessen hieran durfte der Verordnungsgeber das formalisierte Nachweisverlangen rückwirkend anordnen. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Urteile des BFH in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54 einer gefestigten Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 14.2.1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295 = SIS 80 01 59; in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 = SIS 81 22 55; vom 11.1.1991 III R 70/88, BFH/NV 1991, 386 = SIS 91 14 06; vom 11.12.1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275 = SIS 88 05 07; in BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427 = SIS 87 12 04; vom 9.8.1991 III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920 = SIS 91 21 02; in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543 = SIS 01 08 40; vom 9.8.2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 = SIS 02 02 17; vom 23.5.2002 III R 52/99, BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592 = SIS 02 85 77; vom 21.4.2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602 = SIS 05 30 39; vom 15.3.2007 III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841 = SIS 07 32 08; BFH-Beschlüsse vom 10.12.2004 III B 56/04, juris; vom 24.11.2006 III B 57/06, BFH/NV 2007, 438 = SIS 07 06 86, und vom 15.11.2007 III B 205/06, BFH/NV 2008, 368 = SIS 08 11 24) und der einhelligen Praxis der Finanzverwaltung (R 33.4 Abs. 1 EStR) und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der Steuerpflichtigen entsprach. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage konnten die Steuerpflichtigen, so auch die Kläger, jedenfalls vor der Rechtsprechungsänderung nicht bilden. Zumal das FA nach den mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen und daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG bereits im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 5.12.2005 auf die Notwendigkeit ärztlicher Verordnungen und im Einspruchsbescheid vom 22.5.2006, mit dem der Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 5.12.2005 zurückgewiesen wurde, auf die Anforderungen an den Nachweis der Notwendigkeit von Kuraufwendungen hingewiesen hatte.

 

 

24

ee) Ob und inwieweit anderes für die Zeit nach dem Ergehen der Urteile des BFH in BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966 = SIS 11 01 53 und in BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969 = SIS 11 01 54 bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss am 1.11.2011 bzw. der Verkündung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 am 4.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) oder jedenfalls bis zur entsprechenden Gesetzesinitiative - hier der Prüfbitte des Bundesrates vom 18.3.2011 - gilt, kann hier dahinstehen. Denn das Ausgangsverfahren betrifft lediglich den Veranlagungszeitraum 2006, etwaige im Vertrauen auf die erfolgte Rechtsprechungsänderung getätigte Dispositionen in der Zeit nach November 2010 stehen damit nicht zur Entscheidung.

 

 

25

ff) Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt ist, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält. Nicht die Rücksicht auf die rechtsprechende Gewalt und deren Befugnis zur Letztentscheidung über die bestehende Gesetzeslage, sondern nur das sonstige Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte der Steuerpflichtigen, begrenzt hier die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei der Bestätigung der alten Rechtspraxis durch entsprechende gesetzliche Klarstellung (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 81, 228 = SIS 90 09 55; in BVerfGK 14, 338, und in BVerfGE 126, 369). Entgegen der Auffassung der Kläger ist insoweit nicht erkennbar, dass die gesetzliche Festschreibung des von der Rechtspraxis bisher verlangten formalisierten Nachweises von Krankheitskosten in verfassungsrechtlich erheblicher Weise die gerade auch im Steuerrecht Geltung beanspruchenden Grundsätze der Folgerichtigkeit und der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 6.7.2010 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 = SIS 10 19 16) verletzt.

 

 

26

3. Nach alldem ist die Entscheidung des FG, die Kosten für die Anschaffung der Einlegesohlen, die ohne ärztliche Verordnung angeschafften entzündungshemmenden Medikamente, Schmerzmittel, Hand- und Fußcremes, die Wassergymnastik und die Bewegungsbäder der Klägerin sowie die Aufwendungen für den Aufenthalt in Bad A im Ergebnis nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zuzulassen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn insoweit haben die Kläger - nach den mit zulässigen Revisionsrügen nicht angegriffenen und daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG - die Zwangsläufigkeit der streitigen Aufwendungen nicht in der nach § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 gebotenen Form nachgewiesen. Das FG hat auch die Abzugsfähigkeit der geltend gemachten Trinkgelder zutreffend verneint. Trinkgelder sind nicht zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 1 EStG, und zwar unabhängig davon, ob die zugrunde liegende Leistung selbst als außergewöhnliche Belastung zu beurteilen ist. Der Steuerpflichtige ist zwar aus tatsächlichen Gründen gezwungen, bei Krankheiten medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Trinkgeld wird aber von ihm - anders als das Entgelt für die erbrachte Leistung - zivilrechtlich nicht geschuldet. Auch wenn kein Trinkgeld erbracht wird, hat der Steuerpflichtige Anspruch auf eine sachgemäße Behandlung seiner Krankheit und kann diese auch erwarten (BFH-Urteil vom 30.10.2003 III R 32/01, BFHE 204, 108, BStBl II 2004, 270 = SIS 04 06 08).