Die Revision der Kläger gegen das Urteil
des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 6.9.2012 4 K 1970/10 = SIS 12 28 39 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu
tragen.
1
|
I. Streitig ist, ob von der
Krankenversicherung nicht getragene Krankheitskosten, insbesondere
Zuzahlungen, als außergewöhnliche Belastungen von
Verfassungs wegen ohne Ansatz einer zumutbaren Belastung
einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen sind.
|
|
|
2
|
Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger), zur Einkommensteuer des Streitjahrs (2008)
zusammenveranlagte Eheleute, erzielten einen Gesamtbetrag der
Einkünfte in Höhe von 647.587 EUR. Die Kläger
machten die nachstehenden Krankheitskosten als
außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt
1.249,07 EUR im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung geltend:
237,80 EUR für zahnärztliche Airflow Zahnreinigung
(Ultrasonic-Scaler); 50 EUR für Zuzahlungen gemäß
§ 28 Abs. 4 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V);
17,49 EUR für Laboratoriumsmedizin; 150,69 EUR für eine
Arztrechnung; 250,25 EUR für einen Zweibettzimmerzuschlag im
Klinikum M; 289,26 EUR an das Klinikum M; 102,52 EUR an das
Klinikum Y; 60 EUR Zuzahlung für einen stationären
Krankenhausaufenthalt; 91,06 EUR Aufwendungen für Medikamente,
davon 15 EUR Zuzahlungen. Diese von der Krankenversicherung nicht
übernommenen Aufwendungen seien - so die Kläger -
zwangsläufig entstanden; sie seien ohne Berücksichtigung
einer zumutbaren Belastung von der Bemessungsgrundlage der
Einkommensteuer vollständig auszunehmen. Das folge auch aus
dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13.2.2008
2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87) zum von Verfassungs
wegen zwingenden Sonderausgabenabzug der
Krankenversicherungsbeiträge und ungeachtet dessen, dass den
Klägern auch ohne Berücksichtigung dieser hier streitigen
Aufwendungen noch ein zu versteuerndes Einkommen über dem
Existenzminimum verbleibe.
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) lehnte die Berücksichtigung der
Aufwendungen ohne Ansatz der zumutbaren Belastung ab.
|
|
|
4
|
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen
erhobene Klage mit den in EFG 2012, 2205 = SIS 12 28 39
veröffentlichten Gründen ab.
|
|
|
5
|
Die Kläger rügen mit der Revision
die Verletzung materiellen (Verfassungs-)Rechts.
|
|
|
6
|
Sie beantragen,
|
|
1. den Bescheid für 2008 über
Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom
19.5.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1.7.2010 sowie
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 6.9.2012 aufzuheben
und
|
|
2. die Einkommensteuer der Kläger
für 2008 unter mindernder Berücksichtigung der
außergewöhnlichen Belastungen der Kläger von
1.249,07 EUR, hilfsweise jedenfalls in Höhe von 142,49 EUR,
jeweils ohne Anrechnung der sog. zumutbaren Belastung nach §
33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) festzusetzen.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
hat den Beitritt zum Verfahren erklärt (§ 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
9
|
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu
Recht entschieden, dass die von den Klägern aufgewendeten
Krankheitskosten zwar grundsätzlich unter den Tatbestand der
außergewöhnlichen Belastungen fallen, sich im Streitfall
aber steuerlich nicht auswirken, weil die Aufwendungen die
zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) nicht
überschritten haben. Es ist auch von Verfassungs wegen nicht
geboten, hinsichtlich dieser Aufwendungen auf den Ansatz einer
zumutbaren Belastung zu verzichten.
|
|
|
10
|
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen
zwangsläufig größere Aufwendungen als der
überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands
(außergewöhnliche Belastung), so wird nach § 33
Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch
ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem
Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom
Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
|
|
|
11
|
Zwangsläufig erwachsen dem
Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus
rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht
entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach
notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen
(§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es,
zwangsläufige Mehraufwendungen für den
existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich
wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen
Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen.
Dementsprechend geht der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten - ohne
Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - dem
Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen
zwangsläufig erwachsen. Bei den typischen und unmittelbaren
Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich
unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser
Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen
Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach
(Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft
(zuletzt Senatsurteil vom 14.4.2015 VI R 89/13, BFHE 249, 483,
BStBl II 2015, 703 = SIS 15 15 84, m.w.N.).
|
|
|
12
|
Nach § 33 Abs. 3 EStG beträgt die
zumutbare Belastung in Abhängigkeit vom Gesamtbetrag der
Einkünfte der Steuerpflichtigen und in Abhängigkeit
davon, ob bei den Steuerpflichtigen der Grundtarif oder das
Splittingverfahren zur Anwendung kommt sowie ob mehr oder weniger
als drei Kinder zu berücksichtigen sind, zwischen 1 % und 7 %
des Gesamtbetrags der Einkünfte.
|
|
|
13
|
2. Nach diesen Grundsätzen ist es
zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die
streitbefangenen Zuzahlungen Krankheitskosten darstellen und daher
grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen
abziehbar sind (offen gelassen im BFH-Urteil vom 18.7.2012 X R
41/11, BFHE 238, 103, BStBl II 2012, 821 = SIS 12 22 04). Die
Krankheitskosten sind allerdings nur insoweit als
außergewöhnliche Belastungen abziehbar, als sie den
Betrag der nach § 33 Abs. 3 EStG ermittelten zumutbaren
Belastung überschreiten. Denn § 33 Abs. 3 EStG
differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht
zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als
außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind; der
Wortlaut ist insoweit eindeutig.
|
|
|
14
|
Soweit die einkommensteuerrechtliche Literatur
zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Ansatzes einer
zumutbaren Belastung Stellung nimmt, geht eine Auffassung davon
aus, dass ein solcher Ansatz verfassungsrechtlich hinnehmbar sei
(Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 134; Kanzler in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 216; Stöcker in
Lademann, EStG, § 33 Rz 257; C.P. Steger, Die
außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht, Baden-Baden
2008, S. 190 ff.) oder dass dies jedenfalls dann gelte, solange ein
verfügbares Einkommen über dem Existenzminimum verbleibe
(Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 33 Rz 48;
Fuhrmann in Korn, § 33 EStG Rz 57). Soweit die zumutbare
Belastung als verfassungswidrig beurteilt wird, wird dies
insbesondere damit begründet, dass die zumutbare Belastung dem
Prinzip der Besteuerung nach der subjektiven
Leistungsfähigkeit widerspreche (J. Lang, Die
Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 618 f.; Tipke,
Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Bd. II, S. 830 f.; Hey in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 8 Rz 720; L.
Karrenbrock/Petrak, DStR 2011, 552; H. Haupt, DStR 2010, 960;
Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz A 6,
B 44) oder dass die Berechnung der zumutbaren Belastung zu im
Ergebnis verfassungswidrigen Progressionssprüngen führen
könne (Kosfeld, FR 2009, 366, FR 2012, 969, FR 2013, 359).
|
|
|
15
|
3. Der erkennende Senat ist der Auffassung,
dass der Ansatz der zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten, auch
soweit es um den Abzug von Zuzahlungen geht, von Verfassungs wegen
hinzunehmen ist. Die Bemessung des einkommensteuerrechtlich
maßgeblichen Existenzminimums richtet sich grundsätzlich
nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau. Auch
Sozialhilfeempfänger haben jedoch Zuzahlungen zu leisten.
Daher ist eine Differenzierung zwischen Krankheitskosten und
anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren
Aufwendungen beim Ansatz der zumutbaren Belastung
verfassungsrechtlich nicht geboten.
|
|
|
16
|
a) Nach mittlerweile ständiger
Rechtsprechung des BVerfG ist Ausgangspunkt der
verfassungsrechtlichen Beurteilung, ob eine
einkommensteuerrechtliche Regelung Aufwendungen des
Steuerpflichtigen aus dem Bereich der privaten Lebensführung
hinreichend berücksichtigt, das Prinzip der Steuerfreiheit des
Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art.
3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abzuleiten ist.
Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit
steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der
Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für
sich und seine Familie benötigt. Dem Grundgedanken der
Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher
Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des
einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach
dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was
der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen
Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm
nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen
(BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87; vom
29.5.1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60,
BStBl II 1990, 653 = SIS 90 14 01; jeweils m.w.N.).
|
|
|
17
|
b) Zu diesem einkommensteuerrechtlich zu
verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch
die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und
Pflegeversorgung. Denn das Prinzip der Steuerfreiheit des
Existenzminimums schützt nicht nur das sogenannte
sächliche Existenzminimum für Nahrung, Kleidung, Hygiene,
Hausrat, Wohnung und Heizung.
|
|
|
18
|
aa) Der erkennende Senat geht dabei entgegen
der Auffassung des beigetretenen BMF davon aus, dass Aufwendungen
für eine Kranken- und Pflegeversorgung dem Grunde nach nicht
nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern auch den
eigentlichen Sachaufwand für eine Krankenversorgung umfassen.
Denn auch das BVerfG sieht es als unerheblich an, ob die Kranken-
und Pflegeversorgung indirekt über eine Versicherung oder
direkt über Versorgungsleistungen sichergestellt werde.
Solange der Empfänger entsprechender Sozialleistungen aus den
allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werde, sei der
entsprechende Aufwand im Einkommensteuerrecht steuerfrei zu stellen
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87, Rz 115).
|
|
|
19
|
bb) Allerdings ist für die Bemessung des
existenznotwendigen Aufwands hinsichtlich der Aufwendungen für
eine Kranken- und Pflegeversorgung der Höhe nach auf das
sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine
das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen
(so BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87; vom
25.9.1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153 <171> = SIS 92 21 01).
|
|
|
20
|
c) Die hier im Einzelnen streitigen
Aufwendungen sind nicht Teil des sozialhilferechtlichen
Versorgungsniveaus. Dies gilt - was zwischen den Beteiligten
insoweit auch unstreitig ist - für die von Ärzten
durchgeführte Zahnreinigung, für die übrigen
Arztrechnungen und für den Zweibettzimmerzuschlag in den
Kliniken. Dies gilt aber auch für die von den Klägern
darüber hinaus erbrachten Zahlungen, auf die sie in ihrem
Hilfsantrag Bezug nehmen und wofür sie die
Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung
ohne Anrechnung der zumutbaren Belastung begehren. Denn auch
Sozialhilfeempfänger müssen seit 2004 Zuzahlungen
leisten.
|
|
|
21
|
aa) Nach § 31 Abs. 3 SGB V haben
Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, an die
abgebende Stelle zu jedem zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung verordneten Arznei- und Verbandmittel als
Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrag zu
leisten, jedoch jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels
(„Arzneimittelzuzahlung“; Beck in:
Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 31 SGB V).
Nach § 28 SGB V in der vom 1.4.2007 bis 31.12.2011 geltenden
und damit auch hier im Streitjahr anwendbaren Fassung hatten
Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, je
Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an
der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder
psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers,
die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr
erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 2 SGB V
ergebenden Betrag an den Leistungserbringer zu leisten
(„Praxisgebühr“; Fahlbusch in:
Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 28 SGB V Rz 82 ff.). Das sind im
Fall der Arzneimittelzuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V 10 % des
Abgabepreises, mindestens jedoch 5 EUR und höchstens 10 EUR,
allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels. Im Fall
der Praxisgebühr waren dies 10 EUR je Kalendervierteljahr.
Zuzahlungsverpflichtungen (insgesamt dazu: Albers in:
Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 62 SGB V Rz 17) bestehen
insbesondere auch für Heilmittel (§ 32 Abs. 2 i.V.m.
§ 61 Satz 3 SGB V), Hilfsmittel (§ 33 Abs. 8 i.V.m.
§ 61 Satz 1 SGB V) sowie zur Krankenhausbehandlung (§ 39
Abs. 4 i.V.m. § 61 Satz 2 SGB V). Als Zuzahlungen zu
stationären Maßnahmen sind nach § 61 Satz 2 SGB V
jeweils je Kalendertag 10 EUR zu erbringen. Bei Heilmitteln und
häuslicher Krankenpflege beträgt nach § 61 Satz 3
SGB V die Zuzahlung 10 % der Kosten sowie 10 EUR je Verordnung.
|
|
|
22
|
bb) Diese Zuzahlungen nach § 61 SGB V
sind bis zur Belastungsgrenze des § 62 SGB V von jedem
Versicherten zu erbringen. Die Belastungsgrenze beträgt 2 %
der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (§ 62
Abs. 1 Satz 2 SGB V); für chronisch Kranke, die wegen
derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind,
reduziert sie sich auf 1 %. Dies gilt nach § 62 Abs. 2
Sätze 5 und 6 SGB V in grundsätzlich gleicher Weise auch
für Versicherte, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder
Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB
XII) erhalten, sowie für Versicherte, die Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. Bei Versicherten, die
Sozialleistungen nach dem SGB XII oder nach dem SGB II erhalten,
sind als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für die gesamte
Bedarfsgemeinschaft der Regelsatz des Haushaltsvorstands nach der
Regelsatzverordnung und die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB
II maßgeblich (§ 62 Abs. 2 Sätze 5, 6 SGB V).
|
|
|
23
|
Diese Rechtslage gilt ab Januar 2004. Der
Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom
14.11.2003 (BGBl I 2003, 2190) auch die zuvor durch § 62 SGB V
in der bis 31.12.2003 geltenden Fassung gegebene Möglichkeit
der Befreiung von der Zuzahlungspflicht entfallen lassen (zur
Rechtsentwicklung Albers in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 62
SGB V Rz 2). Die Zuzahlungen sollen nunmehr aus dem Regelsatz
erbracht werden, um im Hinblick auf die Zuzahlungen
Sozialhilfeempfänger den Versicherten in der gesetzlichen
Krankenversicherung gleichzustellen. Im Ergebnis haben damit, so
auch das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 16.12.2010
B 8 SO 7/09 R (Sozialrecht 4-3500 § 28 Nr. 6, BSGE 107, 169),
seit dem 1.1.2004 Sozialhilfeempfänger wie alle gesetzlich
Versicherten Zuzahlungen von bis zu 2 % ihres Bruttoeinkommens zu
erbringen.
|
|
|
24
|
cc) Dagegen bestehen keine durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken. Krankenversicherte Bezieher von
Arbeitslosengeld II haben zwar monatliche Zuzahlungen zu leisten
und Leistungskürzungen des GMG hinzunehmen; das
verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum ist dadurch aber
nicht unterschritten. Der erkennende Senat nimmt insoweit auf die
Rechtsprechung des BSG Bezug, die die geänderten §§
61, 62 SGB V für verfassungsgemäß hält (Urteil
vom 22.4.2008 B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221; die
Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung
angenommen, BVerfG-Kammerbeschluss vom 25.3.2010 1 BvR 2220/08).
Das BSG hat sich dabei zur Frage, ob das verfassungsrechtlich
gesicherte Existenzminimum unterschritten sei, auf die
Rechtsprechung des BVerfG gestützt. Denn danach ist es dem
Gesetzgeber prinzipiell erlaubt, den Versicherten über den
Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur
Stärkung des Kostenbewusstseins in Form von Zuzahlungen zu
bestimmten Leistungen zu beteiligen, soweit dies dem Einzelnen
finanziell zugemutet werden kann (BVerfG-Beschluss vom 6.12.2005 1
BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, unter B.I.2.b; Spickhoff,
Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 31 SGB V Rz 4).
|
|
|
25
|
d) Da auch Empfänger von Sozialleistungen
die Zuzahlungen aus den ihnen zur Verfügung gestellten
Sozialleistungen bis zur Belastungsgrenze selbst zu erbringen
haben, gehören Zuzahlungen i.S. des § 61 SGB V nicht zum
einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum.
|
|
|
26
|
aa) Wenn nach sozialhilferechtlichen
Maßstäben die Krankenversorgung nicht zuzahlungsfrei,
sondern aus den für die Haushaltsführung zur
Verfügung stehenden Geldmitteln zu finanzieren ist, ist es
nicht zu beanstanden, dass Empfänger von Leistungen in Form
der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung Zuzahlungen
zu Krankheitskosten in betragsmäßig geringerem Umfang zu
leisten haben als Steuerpflichtige mit einem entsprechend
höheren Gesamtbetrag der Einkünfte. Denn auch diese haben
bis zu 2 % - bei chronischer Erkrankung 1 % - der ihnen zur
Verfügung stehenden Mittel für Zuzahlungen zu den
Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen und werden demnach
mit Sozialhilfeempfängern gleich behandelt.
|
|
|
27
|
Eine Zuzahlung mag zwar dann nicht mehr
zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte
Existenzminimum eingegriffen werden sollte (BSG-Urteil in BSGE 100,
221, Rz 16). Solange allerdings der tatsächliche Umfang der
von den Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die
Zuzahlungen der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses
Existenzminimum zu tangieren, hält der erkennende Senat keine
Einschränkung der zumutbaren Belastung von Verfassungs wegen
für geboten. Im hier vorliegenden Streitfall der Kläger
mit streitigen Aufwendungen in Höhe von 143 EUR sind
angesichts des Gesamtbetrags ihrer Einkünfte keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das
einkommensteuerrechtliche Existenzminimum betroffen wäre.
Angesichts dessen kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob in den
Fällen, in denen der Steuerpflichtige Zuzahlungen zu leisten
hat und dadurch dessen zu versteuerndes Einkommen den
Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG
unterschreitet, eine verfassungskonforme Auslegung des § 33
EStG, eine Vorlage an das BVerfG oder eine aus
Billigkeitsgründen abweichende Steuerfestsetzung nach §
163 der Abgabenordnung in Betracht kommt.
|
|
|
28
|
bb) Das einkommensteuerrechtliche
Existenzminimum wird zwar noch nicht allein dadurch in einer
verfassungsrechtlich hinreichenden Art und Weise
berücksichtigt, dass dem Steuerpflichtigen nach Zahlung der
Steuer ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung bleibt. Denn
das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum ist für alle
Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen
Grenzsteuersatz in voller Höhe von der Einkommensteuer
freizustellen. Das hat das BVerfG schon in seinem Beschluss zum
Familienleistungsausgleich vom 10.11.1998 2 BvL 42/93 (BStBl II
1999, 174, BVerfGE 99, 246 = SIS 99 04 07) und ebenso im Beschluss
zur von Verfassungs wegen gebotenen Berücksichtigung der
Kinderbetreuungskosten vom 16.3.2005 2 BvL 7/00 (BVerfGE 112, 268 =
SIS 05 30 25) klargestellt. Dies gilt indessen nur für
Aufwendungen, die tatsächlich von Verfassungs wegen auch dem
einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzuordnen sind, weil
die Aufwendungen dem im Sozialhilferecht niedergelegten
Leistungsniveau entsprechen. Die sozialhilferechtliche
Krankenversorgung ist allerdings, wie ausgeführt, weil nicht
zuzahlungsfrei, gerade nicht Teil des sozialhilferechtlichen
Versorgungsniveaus.
|
|
|
29
|
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 2 FGO.
|