Auf die Revision der Kläger wird das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 11.3.2015 7 K 3661/14
E aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des gesamten
Verfahrens übertragen.
1
|
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2012) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger gewährte
einem Dritten mit Vertrag vom 11.8.2010 ab dem 12.8.2010 ein mit 5
% zu verzinsendes Darlehen in Höhe von insgesamt 24.274,34
EUR. Seit dem 1.8.2011 erfolgten die vereinbarten
Rückzahlungen nicht mehr. Über das Vermögen des
Darlehensnehmers wurde am 1.8.2012 das Insolvenzverfahren
eröffnet. Der Kläger meldete die noch offene
Darlehensforderung in Höhe von 19.338,66 EUR zur
Insolvenztabelle an.
|
|
|
2
|
Mit der Einkommensteuererklärung
für 2012 machte der Kläger den Ausfall der
Darlehensforderung als Verlust bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen geltend. Mit Bescheid vom 14.11.2013 wurde die
Einkommensteuer durch den Beklagten und Revisionsbeklagten
(Finanzamt - FA - ) ohne Berücksichtigung dieses Verlusts
festgesetzt.
|
|
|
3
|
Der hiergegen erhobene Einspruch und die
Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben erfolglos. Das FG
stützte sich in seinem Urteil vom 11.3.2015 7 K 3661/14 E
darauf, dass Aufwendungen, die das Kapital eines Darlehens
betreffen, nicht von § 20 des Einkommensteuergesetzes in der
im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG) erfasst
würden.
|
|
|
4
|
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Insbesondere sei unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG nicht nur
die Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder
Art, sondern auch der Vermögensabfluss im Falle des
Totalverlusts der Kapitalforderung zu erfassen. Eine
Differenzierung zwischen Veräußerung und Totalverlust
verstoße jedenfalls gegen Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes.
|
|
|
5
|
Die Kläger beantragen, das
angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die
Einkommensteuerfestsetzung 2012 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.10.2014 unter Berücksichtigung
weiterer negativer Einkünfte aus Kapitalvermögen in
Höhe von 19.338,66 EUR abzuändern.
|
|
|
6
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
7
|
Es ist der Meinung, der Forderungsausfall
sei kein Surrogat für die Veräußerung, es handle
sich nicht um eine finale Folge der Kapitalüberlassung,
sondern um einen Vermögensschaden.
|
|
|
8
|
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem
Verfahren beigetreten und hat keinen Antrag gestellt.
|
|
|
9
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Entscheidung und
zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist rechtsfehlerhaft davon
ausgegangen, dass der streitbefangene Forderungsausfall nicht zu
einem steuerlich zu berücksichtigenden Verlust i.S. des §
20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 und Abs. 4 EStG führt. Es
hat aus seiner Sicht zu Recht keine hinreichenden Feststellungen
getroffen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung
ermöglichen, ob und in welcher Höhe der Verlust im
Streitjahr entstanden ist. Die Sache wird daher zur Nachholung der
erforderlichen Feststellungen an das FG zurückverwiesen.
|
|
|
10
|
1. Nach Auffassung des Senats führt auch
der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S. des §
20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre zu
einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz
1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG.
|
|
|
11
|
a) Mit der Einführung der Abgeltungsteuer
im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.8.2007 (BGBl I 2007,
1912) sollte eine vollständige steuerrechtliche Erfassung
aller Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen
erreicht werden (vgl. BTDrucks 16/4841, S. 33, 55 ff.; herrschende
Meinung, vgl. auch Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff,
EStG, § 20 Rz A 5, A 22, D/9 1; v. Beckerath in Kirchhof,
EStG, 17. Aufl., § 20 Rz 142; Geurts in Bordewin/Brandt,
§ 20 EStG Rz 740. Jansen, DStR 2016, 2729, 2730; Spieker, DB
2016, 197; Weber-Grellet, DStR 2013, 1357, 1359 f.; Dinkelbach,
DStR 2011, 941; Bode, DStR 2009, 1781, 1783). Dafür wurde die
traditionelle quellentheoretische Trennung von Vermögens- und
Ertragsebene für Einkünfte aus Kapitalvermögen
aufgegeben (so auch Jachmann-Michel/Lindenberg in Lademann, EStG,
§ 20 EStG Rz 1; Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den
Kapitaleinkünften - § 20 EStG n.F. -, S. 68; Aigner, DStR
2016, 345 f.; Anemüller/Lohkamp, Der Erbschaft-Steuer-Berater
2016, 121, 125; Dinkelbach, DStR 2011, 941, 944).
|
|
|
12
|
Ausdrücklich ist dies in der
Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2
EStG niedergelegt (eingeführt durch das Jahressteuergesetz
2009 vom 19.12.2008 - BGBl I 2008, 2794 - ; jetzt: § 52 Abs.
28 Satz 16 Halbsatz 3 EStG n.F.), wonach Kapitalforderungen i.S.
des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG in der am 31.12.2008
anzuwendenden Fassung künftig auch dann vorliegen,
„wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und
Vermögensebene möglich erscheint“ (so auch
Aigner, Wegfall der Einkunftsquelle bei den Kapitaleinkünften
- § 20 EStG n.F. -, S. 67, 81 f.). Für nach
Einführung der Abgeltungsteuer angeschaffte Kapitalanlagen
gilt dies auch unabhängig von der Übergangsvorschrift des
§ 52a Abs. 10 Satz 7 EStG, da die „theoretisch
mögliche Unterscheidung zwischen Ertrags- und
Vermögensebene [...] im Rahmen der Abgeltungsteuer für
neu angeschaffte Kapitalanlagen ohnehin wegfällt“
(BTDrucks 16/10189, S. 66).
|
|
|
13
|
b) Nach Auffassung des Senats ist Folge dieses
Paradigmenwechsels, dass nach Einführung der Abgeltungsteuer
der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i.S. des §
20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu einem gemäß § 20 Abs. 2
Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG steuerlich zu
berücksichtigenden Verlust führt. Insoweit ist eine
Rückzahlung der Kapitalforderung, die - ohne
Berücksichtigung der in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gesondert
erfassten Zinszahlungen - unter dem Nennwert des hingegebenen
Darlehens bleibt, dem Verlust bei der Veräußerung der
Forderung gleichzustellen, wenn endgültig feststeht, dass
(über bereits gezahlte Beträge hinaus) keine weiteren
Rückzahlungen (mehr) erfolgen werden. Inwieweit dies auch
für einen Forderungsverzicht gilt, kann vorliegend
dahinstehen.
|
|
|
14
|
aa) Dem engen Veräußerungsbegriff
trägt § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG Rechnung, der der
Veräußerung verschiedene Ersatztatbestände
gleichstellt, um alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit
Kapitalanlagen zu erfassen (BTDrucks 16/4841, S. 56). Danach ist
u.a. auch die Rückzahlung von privaten Darlehensforderungen
nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 EStG steuerbar.
Aus dieser Gleichstellung folgt, dass die Fälle der
Veräußerung und Rückzahlung im Rahmen der
Gewinnermittlung gemäß § 20 Abs. 4 EStG den
gleichen Grundsätzen unterliegen.
|
|
|
15
|
bb) Eine Veräußerung i.S. des
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ist die entgeltliche
Übertragung des - zumindest wirtschaftlichen - Eigentums auf
einen Dritten. Zwar fehlt es bei einem Forderungsausfall an dem
für eine Veräußerung in diesem Sinne notwendigen
Rechtsträgerwechsel. Aus der Gleichstellung der
Rückzahlung mit dem Tatbestand der Veräußerung
einer Kapitalforderung in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG folgt
jedoch, dass auch eine endgültig ausbleibende Rückzahlung
zu einem Verlust i.S. des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG führen
kann.
|
|
|
16
|
cc) Dies folgt auch aus dem Gebot der
Folgerichtigkeit (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
29.3.2017 2 BvL 6/11, BFH/NV 2017, 1006 = SIS 17 08 86, Rz 104,
m.w.N.); denn führt die Rückzahlung der Kapitalforderung
über dem Nennwert zu einem Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2
Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG, muss auch eine Rückzahlung
unter dem Nennwert zu einem steuerlich zu berücksichtigenden
Verlust führen.
|
|
|
17
|
dd) Zudem führt auch die Übertragung
wertloser Wirtschaftsgüter ohne Gegenleistung zu einem
Veräußerungsverlust (zur Anteilsübertragung s.
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12.5.2015 IX R 57/13,
BFH/NV 2015, 1364 = SIS 15 20 71), so dass auch insoweit eine
Gleichstellung des Ausfalls einer Rückzahlung geboten ist.
Wirtschaftlich betrachtet macht es keinen Unterschied, ob der
Steuerpflichtige die Forderung noch kurz vor dem Ausfall zu Null
veräußert, oder ob er sie - weil er keinen Käufer
findet oder auf eine Quote hofft - behält (Schmitt-Homann, BB
2010, 351, 353; Kellersmann, FR 2012, 57, 65; Aigner,
Juris-Monatszeitschrift 2015, 119, 123; Aigner, DStR 2016, 345,
347; Doege, Die Steuerberatung 2008, 440, 442; Spieker, DB 2016,
197, 198. Jansen, DStR 2016, 2729, 2730; Niedersächsisches FG,
Urteil vom 21.5.2014 2 K 309/13, EFG 2014, 1584 = SIS 14 26 17). In
beiden Fällen erleidet der Steuerpflichtige eine Einbuße
seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die die gleiche
steuerliche Berücksichtigung finden muss (Buge in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 531; Schmitt-Homann, BB
2010, 351, 353. Jansen, DStR 2016, 2729, 2730; bezüglich
Gesellschafterdarlehen: Bode, DStR 2009, 1781, 1783; Bayer, DStR
2009, 2397, 2401).
|
|
|
18
|
ee) Die etwaige Gefahr einer ausufernden
Verlustnutzung bei Berücksichtigung von
Forderungsausfällen steht derjenigen beim Verkauf einer
Darlehensforderung gleich und wird im Übrigen schon durch die
nach § 20 Abs. 6 EStG beschränkte Verrechenbarkeit von
Verlusten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen begrenzt
(vgl. BFH-Urteile vom 12.1.2016 IX R 48/14, BFHE 252, 423, BStBl II
2016, 456 = SIS 16 03 27; IX R 49/14, BFHE 252, 430, BStBl II 2016,
459 = SIS 16 03 28; IX R 50/14, BFHE 252, 436, BStBl II 2016, 462 =
SIS 16 03 29).
|
|
|
19
|
c) Wie die Veräußerung ist die
Rückzahlung ein Tatbestand der Endbesteuerung. Danach liegt
ein steuerbarer Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls erst dann
vor, wenn endgültig feststeht, dass (über bereits
gezahlte Beträge hinaus) keine (weiteren) Rückzahlungen
(mehr) erfolgen werden. Die Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners
reicht hierfür in der Regel nicht aus (vgl. BFH-Urteil vom
25.1.2000 VIII R 63/98, BFHE 191, 115, BStBl II 2000, 343 = SIS 00 07 80). Etwas anderes gilt, wenn die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist (vgl.
BFH-Urteile vom 27.11.2001 VIII R 36/00, BFHE 197, 394, BStBl II
2002, 731 = SIS 02 06 22; vom 12.12.2000 VIII R 22/92, BFHE 194,
108, BStBl II 2001, 385 = SIS 01 05 18) oder aus anderen
Gründen feststeht, dass keine Rückzahlung mehr zu
erwarten ist (vgl. BFH-Urteil vom 13.10.2015 IX R 41/14, BFH/NV
2016, 385 = SIS 16 02 49; vgl. auch Völlmeke, DStR 2005,
2024).
|
|
|
20
|
d) Im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung
errechnet sich die Höhe des Rückzahlungsverlusts nach
§ 20 Abs. 4 EStG als Unterschied zwischen den Einnahmen aus
den Rückzahlungen nach Abzug der Aufwendungen, die im
unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Ausfall der Forderung
stehen, und den Anschaffungskosten.
|
|
|
21
|
2. Die Entscheidung des FG beruht auf anderen
Rechtsgrundsätzen. Sie ist daher aufzuheben.
|
|
|
22
|
Das Darlehen des Klägers war auf
Rückzahlung angelegt und somit eine Kapitalforderung i.S. des
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Fällt diese Kapitalforderung
endgültig aus, kann die entsprechende Vermögensminderung
nach den oben genannten Grundsätzen einen steuerbaren Verlust
i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Satz 2 und Abs. 4
EStG darstellen.
|
|
|
23
|
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Ob die
streitbefangenen Rückzahlungen bereits im Streitjahr
endgültig ausgeblieben sind und die oben dargelegten
Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Verlusts des
Klägers erfüllt sind, kann der Senat auf Grundlage der
Feststellungen des FG, das hierzu von seinem Standpunkt aus keine
Feststellungen treffen musste, nicht überprüfen. Das FG
wird die notwendigen Feststellungen im zweiten Rechtsgang
nachzuholen haben.
|
|
|
24
|
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
|
|
|
25
|
5. Eine Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. §
121 FGO) kommt auch mit Rücksicht auf den Schriftsatz des
Klägers vom 6.11.2017 nicht in Betracht. Dem Senat ist es nach
§ 118 Abs. 2 FGO versagt, neuen Tatsachenvortrag zum
Verlustzeitpunkt zu berücksichtigen. In rechtlicher Hinsicht
enthält der Schriftsatz weder über die o.g.
Entscheidungsgründe hinausgehende Aspekte noch die Rüge
fehlerhaften Verfahrens. Daher ergeben sich für den Senat
keine Gesichtspunkte, die eine Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten.
|