Insolvenz, Aufrechnung gegen Vorsteuervergütungsanspruch: Einzelne Vorsteuerbeträge begründen keinen Vergütungsanspruch, sondern sind unselbständige Besteuerungsgrundlagen, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung der Umsatzsteuer eingehen. Aus einer Umsatzsteuer-Voranmeldung für einen Besteuerungszeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die zu einer Steuerschuld führt, können daher einzelne Vorsteuerabzugsbeträge aus Leistungen, die vor Insolvenzeröffnung erbracht worden sind, nicht ausgeschieden und durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden. - Urt.; BFH 16.1.2007, VII R 4/06; SIS 07 61 28
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) wurde in dem am 1.7.2003 eröffneten
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zum
Insolvenzverwalter bestellt, nachdem er bis dahin als
vorläufiger Insolvenzverwalter tätig gewesen war. Die vom
Kläger für die Schuldnerin abgegebene
Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2003 ergab eine
Steuerschuld in Höhe von 10.210 EUR. Zu den mit der
Umsatzsteuervoranmeldung geltend gemachten
Vorsteuerabzugsbeträgen gehörte ein Betrag in Höhe
von 5.612,99 EUR aus einer Rechnung des Klägers vom 1.7.2003
über seine Vergütung und die zu erstattenden Auslagen
für seine Tätigkeit als vorläufiger
Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom Oktober 2003 rechnete der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) gegen
diesen Vorsteuerbetrag mit einer Steuerforderung aus der
Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Mai 2003 auf. Nachdem
der Kläger gegen die Aufrechnung Einwände erhoben hatte,
erließ das FA im November 2003 einen entsprechenden
Abrechnungsbescheid, mit dem der Vorsteuerabzugsanspruch für
den Voranmeldungszeitraum Juli 2003 als in Höhe von 5.612,99
EUR durch Aufrechnung erloschen festgestellt wurde.
Auf die hiergegen erhobene Sprungklage des
Klägers hob das Finanzgericht (FG) den Abrechnungsbescheid
auf. Das Urteil ist in EFG 2006, 1139 = SIS 06 14 07
veröffentlicht.
Mit seiner Revision macht das FA geltend,
dass das FG von der ständigen Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen sei. Nach dem BFH-Urteil vom
17.12.1998 VII R 47/98 (BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29) sei eine Kongruenz der Art, dass der aus dem aus der Masse
zu befriedigenden Vergütungsanspruch einschließlich
Umsatzsteuer des Sequesters bzw. vorläufigen
Vergleichsverwalters herrührende und ebenfalls zur
Konkursmasse gehörende Vorsteuererstattungsanspruch des
Schuldners in der Masse verbleiben und den Massegläubigern zur
Verfügung stehen müsse, nicht gegeben. Diese unter der
Geltung der Konkursordnung (KO) ergangene Rechtsprechung sei auf
den vorliegenden Fall betreffend die Vergütung des
vorläufigen Insolvenzverwalters zu übertragen. Die
Aufrechnung sei auch nicht ausgeschlossen, weil sich aus der
Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2003 eine Zahllast
ergeben habe, denn nach dem Vorrang des Insolvenzrechts vor dem
Steuerrecht gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) und dem auf § 174 Abs. 2 der
Insolvenzordnung (InsO) beruhenden Einzelanspruchsgrundsatz sei die
nach § 16 und § 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)
vorgeschriebene Zusammenfassung der die Umsatzsteuer
auslösenden Lebenssachverhalte insolvenzrechtlich ohne
Bedeutung. Die vom UStG vorgesehene Zwangsverrechnung von
Umsatzsteuer und Vorsteuer werde daher eingeschränkt.
Der Kläger schließt sich der
Rechtsauffassung des FG an.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat den angefochtenen
Abrechnungsbescheid zu Recht aufgehoben, da dieser rechtswidrig ist
und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1
Satz 1 FGO).
Der Vorsteuerabzugsanspruch aus dem
Voranmeldungszeitraum Juli 2003 ist nicht in Höhe von 5.612,99
EUR durch Aufrechnung erloschen. Nach § 226 Abs. 1 AO gelten
für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem
Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen
diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts
sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. §
387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs setzt für die
Aufrechnung u.a. voraus, dass der Aufrechnende die ihm
gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung
bewirken kann; es müssen sich m.a.W. eine erfüllbare
Hauptforderung und eine fällige Gegenforderung
gegenüberstehen. An dieser Voraussetzung fehlt es im
Streitfall, weil im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der
Gegenforderung des FA (Insolvenzforderung aus der
Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Mai 2003) keine
erfüllbare Hauptforderung gegenüberstand, denn die vom
Kläger für die Schuldnerin abgegebene
Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2003 hatte eine
Umsatzsteuerschuld und kein zu erstattendes Guthaben ergeben.
Gegen den in den mit der Voranmeldung
angesetzten Vorsteuerabzugsbeträgen enthaltenen Betrag in
Höhe von 5.612,99 EUR, der aus der Rechnung des Klägers
vom 1.7.2003 über seine Vergütung und die zu erstattenden
Auslagen für seine Tätigkeit als vorläufiger
Insolvenzverwalter resultiert, kann das FA die Aufrechnung nicht
erklären. Das nach § 15 UStG gegebene Recht auf
Vorsteuerabzug für die dem Unternehmer für jeden
einzelnen Umsatz in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ist kein
selbständiger Anspruch und kann nicht unmittelbar
gegenüber dem FA geltend gemacht werden (Wagner in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rz 45 ff.;
Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 15 Rz
472). Vielmehr sind nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 1
UStG mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung die nach § 15 UStG
abziehbaren Vorsteuerbeträge von der nach § 16 Abs. 1
UStG berechneten Steuer abzusetzen. Dementsprechend hat der BFH
bereits entschieden, dass einzelne Vorsteuerbeträge
umsatzsteuerrechtlich lediglich unselbständige
Besteuerungsgrundlagen darstellen, die bei der Berechnung der
Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung
der Umsatzsteuer eingehen (BFH-Urteil vom 24.3.1983 V R 8/81, BFHE
138, 498, BStBl II 1983, 612 = SIS 83 15 21), dass eine Aufrechnung
die Höhe der sich aus dem Gesetz ergebenden festzusetzenden
Umsatzsteuer nicht beeinflussen darf (BFH-Urteil vom 14.5.1998 V R
74/97, BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634 = SIS 98 19 50) und dass
deshalb das aus § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG folgende
umsatzsteuerrechtliche Erfordernis, sämtliche in den
Besteuerungszeitraum fallenden abziehbaren Vorsteuerbeträge
mit der berechneten Umsatzsteuer zu saldieren, Vorrang hat
gegenüber einer Aufrechnung des FA mit anderen Ansprüchen
(Senatsurteil vom 16.11.2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II
2006, 193 = SIS 05 17 32). An dieser Rechtsprechung hält der
Senat fest. Erst wenn sich aus der mit der Steueranmeldung
gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG vorzunehmenden
Saldierung ein Guthaben des Steuerpflichtigen ergibt, besteht ein
erfüllbarer Anspruch, gegen den die Aufrechnung mit
Steuerforderungen erklärt werden kann, sofern die übrigen
Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen und - im Insolvenzverfahren -
insolvenzrechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen.
Soweit der Senat in ständiger
Rechtsprechung die Ansicht vertritt, dass es hinsichtlich der
Aufrechenbarkeit von Forderungen im Insolvenzverfahren nicht darauf
ankommt, ob der Anspruch im Zeitpunkt der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war,
sondern allein darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach
insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den
Anspruch bereits gelegt war (vgl. Senatsurteile vom 5.10.2004 VII R
69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195 = SIS 05 08 34, und in BFHE
208, 296, BStBl II 2006, 193 = SIS 05 17 32, jeweils m.w.N.),
bezieht sich diese Rechtsprechung auf das insolvenzrechtliche
Aufrechnungshindernis des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die
Frage, welcher Zeitpunkt maßgebend dafür ist, ob ein
aufrechnender Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden
ist. Diese Frage zu stellen setzt aber notwendigerweise voraus,
dass überhaupt ein erfüllbarer zur Insolvenzmasse
gehörender Anspruch gegen den Insolvenzgläubiger besteht;
erst wenn dies bejaht werden kann, ist zu prüfen, ob nach
insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den
Anspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder
erst nach diesem Zeitpunkt gelegt war. Für die im Streitfall
entscheidende Frage, ob der Forderung des FA im Zeitpunkt der
Aufrechnung ein erfüllbarer Anspruch der Schuldnerin
gegenüberstand, kann somit aus dieser Rechtsprechung des
Senats nichts für den Rechtsstandpunkt der Revision
hergeleitet werden.
Auch soweit der Senat unter der Geltung der KO
entschieden hat, es sei konkursrechtlich unerheblich, dass der
Vorsteuerabzugsanspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich den
Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage habe und
keinen rechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstelle
(Senatsurteile vom 21.9.1993 VII R 119/91, BFHE 172, 308, BStBl II
1994, 83 = SIS 94 01 34; in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29), betraf diese Aussage allein die Frage, ob ein einzelner
Vorsteuerabzugsanspruch auf sein vorkonkursliches
Begründetsein untersucht werden kann. Die Frage, ob gegen
einen solchen einzelnen Vorsteuerabzugsanspruch - ohne vorherige
Verrechnung mit der berechneten Umsatzsteuer gemäß
§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG - die Aufrechnung erklärt werden
kann, stellte sich in jenen Fällen nicht, weil die
Umsatzsteuer-Voranmeldung - anders als im Streitfall - ein Guthaben
ergeben hatte.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die
nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG vorgeschriebene Verrechnung der
berechneten Umsatzsteuer mit den Vorsteuerbeträgen auch nicht
wegen des Vorrangs des Insolvenzrechts gemäß § 251
Abs. 2 Satz 1 AO und des auf § 174 Abs. 2 InsO beruhenden
Einzelanspruchsgrundsatzes ohne Bedeutung. Aus § 251 Abs. 2
Satz 1 AO folgt nicht, dass im Insolvenzverfahren hinsichtlich der
Frage der Entstehung eines Anspruchs aus dem
Steuerschuldverhältnis steuerrechtliche Gesichtspunkte ohne
jede Bedeutung sind (Beermann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler,
§ 251 AO Rz 39; ebenso Senatsurteil in BFHE 172, 308, BStBl II
1994, 83 = SIS 94 01 34). Zu berücksichtigen ist deshalb, dass
die Aufrechnung als Teil des Erhebungsverfahrens erst erfolgen
kann, wenn die Steuer festgesetzt ist, und die Steuerfestsetzung,
zu der im Umsatzsteuerrecht auch die Verrechnung gemäß
§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG gehört, nicht beeinflussen kann
(vgl. Senatsurteil in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29). Hieran vermögen auch die insolvenzrechtlichen
Vorschriften nichts zu ändern. Aus einer
Umsatzsteuerfestsetzung für einen Besteuerungszeitraum nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens können daher einzelne
Vorsteuerbeträge aus Leistungen, die bereits vor
Insolvenzeröffnung erbracht wurden, nicht ausgeschieden und
durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634 = SIS 98 19 50).
Der Senat folgt auch - jedenfalls für die
im vorliegenden Fall streitige Aufrechnungsfrage - nicht der zum
Teil in der Literatur vertretenen Ansicht, dass im Rahmen der nach
§ 16 Abs. 2 UStG vorgeschriebenen Verrechnung eine Aufteilung
der Umsatzsteuerschulden und der Vorsteueransprüche in solche,
die vor, und solche die nach Insolvenzeröffnung begründet
worden seien, vorgenommen werden müsse und dass nur die sich
insoweit jeweils gegenüberstehenden Umsatzsteuerschulden und
Vorsteuervergütungsansprüche miteinander verrechnet
werden dürften (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 18 Anm. 946 ff.; Forgách in
Reiß/Kraeusel/Langer, a.a.O., § 15 Rz 472 ff.). Gegen
die Übertragung der Aufrechnungsverbote nach §§ 95,
96 InsO in das umsatzsteuerrechtliche Steuerfestsetzungsverfahren
spricht bereits, dass - wie ausgeführt - ein sich aus einer
Rechnung eines leistenden Unternehmers ergebender Vorsteuerbetrag
keinen Vorsteuervergütungsanspruch des
Rechnungsempfängers begründet, sondern lediglich einen
Abzugsanspruch im Rahmen des § 16 Abs. 2 UStG. Es stehen sich
also bei diesem Abzug gemäß § 16 Abs. 2 UStG keine
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber
(vgl. Senatsurteile in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 = SIS 05 17 32, und vom 16.1.2007 VII R 7/06 = SIS 07 07 69, zur
Veröffentlichung bestimmt).
Die Befürchtung des FA, der
Insolvenzverwalter könnte durch die Wahl des Zeitpunkts der
Rechnungstellung Einfluss darauf nehmen, in welchem
Voranmeldungszeitraum der Vorsteuerbetrag berücksichtigt wird,
und damit auch Einfluss auf die Möglichkeit der Aufrechnung
durch das FA ausüben, ist nicht begründet. Der sich aus
der Rechnung über die Vergütung des vorläufigen
Insolvenzverwalters ergebende Vorsteuerbetrag steht in jedem Fall
für eine Verrechnung mit Steuerforderungen des FA zur
Verfügung. Denn er wird, auch wenn die Steueranmeldung - wie
im Streitfall - eine Steuerschuld ergibt, gemäß §
16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit der berechneten Umsatzsteuer verrechnet
und dient damit gleichsam zur Begleichung der Steuer. Dabei spricht
aus insolvenzrechtlicher Sicht nichts dagegen, wenn im Rahmen der
Saldierung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG dieser Vorsteuerbetrag
auch mit Umsatzsteuerschulden, die Masseverbindlichkeiten sind,
verrechnet wird, da die Aufrechnungsverbote der §§ 95, 96
InsO nur den Insolvenzgläubiger, nicht aber den
Massegläubiger betreffen (Senatsurteil vom 16.1.2007 VII R
7/06 = SIS 07 07 69, zur Veröffentlichung bestimmt).
Ob die Aufrechnung mit einer
Insolvenzforderung gegen den aus der Rechnung des vorläufigen
Insolvenzverwalters resultierenden Vorsteuervergütungsanspruch
- wie das FG meint - generell nicht zulässig ist, weil der
Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters
und auch die darauf zu erhebende Umsatzsteuer zu den nach § 53
InsO vorweg zu berichtigenden Masseverbindlichkeiten gehören
und somit auch der entsprechende Vorsteuerbetrag in den
privilegierten Vermögensbereich einzubeziehen ist, bedarf im
Streitfall keiner Entscheidung.