Auf die Revision der Klägerin wird das
Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 05.12.2017 - 4 K 12/17 = SIS 18 01 41 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Hamburg
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob mehrere Einfuhren von Munition aus Russland unter die sog.
Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der
Außenwirtschaftsverordnung (AWV) fallen und daher vom
Einfuhrverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV ausgenommen
sind.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein
Handelsunternehmen und unterhält seit dem Jahr 2005
Geschäftsbeziehungen zu einer russischen Aktiengesellschaft
(sog. Closed Joint-Stock Company - C - ). Am 27.07.2011 schlossen
die Klägerin und C einen Vertrag über die Lieferung von
insgesamt ... Stück Munition zu einem Kaufpreis von ...
US-Dollar. Art, Umfang und Preis der zu liefernden Munition wurden
in einer Anlage zum Vertrag mit insgesamt 118 Positionen
aufgeführt. Die Lieferung sollte dem Vertrag zufolge in
Teilmengen bis zum 31.12.2012 erfolgen; Inhalt und Umfang der
einzelnen Teilmengen sollte die Klägerin bestimmen. Für
den Fall der nicht rechtzeitigen Lieferung und der nicht
rechtzeitigen Bezahlung wurden Vertragsstrafen festgelegt. Der
Vertrag sollte den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zufolge
russischem Recht unterliegen, mit seinem Abschluss am 27.07.2011
wirksam werden und bis zum 31.12.2012 wirksam bleiben.
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In der Folgezeit schlossen die
Klägerin und die C weitere Verträge ab, sog. Supplements,
mit denen die Laufzeit des Vertrags vom 27.07.2011 mehrfach
verlängert und der Inhalt des Vertrags im Hinblick auf Art und
Menge der zu liefernden Munition sowie im Hinblick auf die
Höhe des Gesamtkaufpreises geändert und/oder ergänzt
wurde. Auf diese Weise wurden insbesondere mit dem Supplement Nr. 8
vom 15.12.2014 die Laufzeit des Vertrags und der Lieferzeitraum bis
zum 31.12.2017 verlängert.
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Mit fünf Zollanmeldungen vom 14. bzw.
16.11.2016 meldete die Klägerin von der C gelieferte Munition
zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an. Die
Munition war bereits im Juli 2016 in ein Zolllager
überführt worden. Die Zollanmeldungen wurden
zunächst angenommen; allerdings wurden die Waren der
Klägerin - anders als in vorangegangen Fällen - nicht
sogleich überlassen.
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Am 29.12.2016 nahm der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA - ) nach Rücksprache
mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die
Annahme der Zollanmeldungen gestützt auf § 2 des
Außenwirtschaftsgesetzes (AWG), Art. 27 des Zollkodex der
Union (UZK) i.V.m. § 7 Abs. 1 des Zollverwaltungsgesetzes
(ZollVG) mit der Begründung zurück, dass die angemeldete
Munition in Teil I Abschn. A der Ausfuhrliste erfasst sei und
damit, da sie nach dem 31.12.2014 in das Wirtschaftsgebiet
verbracht worden sei, dem Einfuhrverbot nach § 77 Abs. 1 Nr. 6
AWV unterliege. Die Verlängerung der Vertragslaufzeit mit dem
Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014 werde von der vorgesetzten
Dienststelle als Neuvertrag gewertet, so dass die Ausnahmeregelung
des § 77 Abs. 3 AWV nicht greife.
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Einen Antrag der Klägerin auf
Aussetzung der Vollziehung lehnte das HZA mit Bescheid vom
16.02.2017 ab. Ein entsprechender an das FG gerichteter Antrag
wurde mit Beschluss vom 01.03.2017 als unbegründet
zurückgewiesen (Az. 4 V 23/17).
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Gegen die Bescheide vom 29.12.2016 erhob
die Klägerin mit Zustimmung des HZA Sprungklage. Sie legte ein
Privatgutachten von Prof. Dr. X, Institut für
Osteuropäisches Recht der Universität Z, vom 29.09.2017
vor, das zu dem Ergebnis gelangte, dass es sich bei dem Vertrag vom
27.07.2011 um einen sog. Liefervertrag nach russischem Recht
handele, dessen ursprünglich vertraglich vereinbarte
Verpflichtungen nach den einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen des Russischen Zivilgesetzbuchs im Wege der
gesetzlichen Fiktion über die in dem Vertrag festgelegte
Geltungsdauer hinaus bestehen geblieben seien; den
Ergänzungsvereinbarungen komme keine konstitutive Wirkung zu,
so dass dadurch keine neuen Liefer- und Abnahmeverpflichtungen
begründet worden seien.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem
FG beantragte die Klägerin, den Gutachter sowie einen
(weiteren) Sachverständigen für russisches Recht zu dem
Beweisthema zu hören, dass der am 27.07.2011 geschlossene
Vertrag nach russischem Recht eine Liefer- bzw.
Abnahmeverpflichtung für die Parteien begründet habe, die
nicht zum 31.12.2014 erloschen sei.
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Das FG wies die Klage ab. Zur
Begründung führte es aus, der Vertrag vom 27.07.2011 sei
als Rahmenvertrag zu verstehen, der für sich genommen weder
für C als Verkäuferin eine Verpflichtung zur Lieferung
der Munition noch für die Klägerin als Käuferin eine
Verpflichtung zu deren Abnahme begründe. Eine konkrete
Lieferverpflichtung sei erst jeweils dadurch entstanden, dass die
Klägerin Patronen mit einer bestimmten Beschaffenheit und in
einer bestimmten Menge bestellt habe. Die insoweit erforderlichen
Kenntnisse des russischen Zivilrechts habe sich das Gericht durch
das von der Klägerin vorgelegte Gutachten selbst erschlossen.
Dem Beweisantrag der Klägerin zur weiteren Ermittlung des
anwendbaren russischen Rechts und zur Auslegung des Vertrags vom
27.07.2011 habe das Gericht daher nicht nachgehen müssen. Das
Urteil ist in der ZfZ Beilage 2018 Nr. 3, 41
veröffentlicht.
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Dagegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer Revision. Zur Begründung trägt sie vor, die
streitigen Einfuhren seien auf der Grundlage eines Altvertrags nach
§ 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV erfolgt und daher von dem
Importverbot des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV ausgenommen. Bereits
durch Vertrag vom 27.07.2011 sei die Pflicht zur Abnahme einer
bestimmten Menge von Waren begründet worden, nicht erst durch
das Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014, dem ausschließlich eine
deklaratorische Wirkung zukomme. Dass Anzahl, Inhalt und Zeitpunkt
der einzelnen Teillieferungen bei Vertragsschluss noch nicht
bestimmt gewesen seien, stehe dem nicht entgegen. Die
streitgegenständlichen Einfuhren dienten somit der
Erfüllung des Vertrags vom 27.07.2011. Aus dem vorgelegten
Gutachten ergebe sich, dass nach russischem Recht die vertraglich
begründeten Pflichten grundsätzlich auch über eine
ebenfalls vereinbarte Geltungsdauer des Vertrags hinaus bestehen
blieben. Die ebenfalls vorgelegte Stellungnahme eines russischen
Anwalts bestätige dies; danach beruhten Klauseln über die
Dauer von Kaufverträgen in der Regel auf den Anforderungen
russischer Banken, die mit der Zahlungsabwicklung beauftragt seien.
Solche Klauseln seien in einem Kaufvertrag rechtlich unsinnig, aber
in Russland allgemein üblich und häufig Gegenstand von
Standardverträgen. In Anbetracht dieser Umstände
hätte das FG den Vertrag nicht ohne weitere Nachforschungen
zur russischen Rechtspraxis und ohne die Heranziehung
wissenschaftlicher Expertise eigenständig auslegen und den
Streitfall entscheiden dürfen. Der Verstoß gegen die
Ermittlungspflicht zum ausländischen Recht nach § 293
Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) werde ebenso gerügt wie die
mangelnde Sachaufklärung nach § 76 FGO.
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Die Klägerin hat zunächst
beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und der Klage
stattzugeben, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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In der mündlichen Verhandlung vom
30.06.2021 hat die Klägerin mitgeteilt, dass die Munition, die
Gegenstand der streitgegenständlichen Zollanmeldungen war, im
Jahr 2018 nach Erteilung entsprechender Genehmigungen durch das
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vollständig
nach Kanada und Neuseeland ausgeführt worden ist. Dadurch
seien die streitgegenständlichen Zollanmeldungen
gegenstandslos geworden und mit ihnen sowohl die
Annahmeentscheidungen des HZA als auch deren Rücknahme. Das
ursprüngliche Klagebegehren habe sich damit erledigt. Sie habe
aber weiterhin ein berechtigtes Interesse (§ 100 Abs. 1 Satz 4
FGO) an einer Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits. Zum
einen gingen beide Vertragsparteien nach wie vor davon aus, dass
der Vertrag vom 27.07.2011 weiterhin Bestand habe; denn das
vereinbarte Munitions-Kontingent sei noch nicht ausgeschöpft
und der Vertrag vom 27.07.2011 weder gekündigt noch
einvernehmlich beendet worden. Zum anderen seien gegen die beiden
Geschäftsführer der Klägerin wegen der hier
streitigen Einfuhren noch im Jahr 2017 strafrechtliche
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes
gegen § 77 Abs. 1 AWV eingeleitet worden. Diese Verfahren
seien zwar im Jahr 2018 nach § 170 Abs. 2 der
Strafprozessordnung mit der Begründung eingestellt worden,
dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 des
Strafgesetzbuchs - StGB - ) vorgelegen habe; doch habe man nach
diesen Ereignissen auf Anraten der Prozessbevollmächtigten von
weiteren Abrufen aus dem Vertragskontingent und ebenso von einer -
nach Ansicht der Klägerin ohnehin nur deklaratorisch wirkenden
- Vertragsverlängerung über den 31.12.2017 hinaus
abgesehen, um weitere möglicherweise strafrechtlich relevante
Handlungen auszuschließen. Denn da das FG in seinem Urteil
vom 05.12.2017 angenommen habe, dass durch das Supplement Nr. 8 vom
15.12.2014 „neue schuldrechtliche Pflichten
begründet“ worden seien, hätte die Gefahr
bestanden, dass bereits eine erneute Vertragsverlängerung als
weiterer „Erwerb“ i.S. von § 77 Abs. 1 AWV
klassifiziert und dementsprechend strafrechtlich verfolgt worden
wäre.
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Die Klägerin beantragt
nunmehr,
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das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und
festzustellen, dass die Bescheide vom 29.12.2016 rechtswidrig
gewesen sind.
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Das HZA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt das HZA vor,
die Änderungen des Vertrags vom 27.07.2011, die nach dem
01.08.2014 erfolgt seien, insbesondere die Verlängerung der
Vertragslaufzeit mit dem Supplement Nr. 8 vom 15.12.2014, seien von
dem Schutzzweck der Altvertragsregelung nicht mehr erfasst.
Lieferungen auf Bestellungen, die nach Ablauf des 31.12.2014
erfolgt seien, fielen somit unter das Einfuhrverbot des § 77
Abs. 1 Nr. 6 AWV und seien sanktionswidrig. Insofern könne
auch kein berechtigtes Interesse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4
FGO bestehen, da keine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Solange das
Embargo in Kraft sei, könnten neue Verträge nicht unter
die Altvertragsklausel fallen; würde das Embargo aber
aufgehoben, bestünde beim Vorliegen der sonstigen
Voraussetzungen kein Grund mehr, die Waren nicht für die
Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr freizugeben. Die
Klägerin habe auch nichts Konkretes vorgetragen, was auf ein
bestimmtes Handelsvorhaben mit der C schließen lasse;
entsprechende Absichten seien nur pauschal behauptet, aber nicht
belegt worden. Ein Rehabilitationsinteresse bestehe im Übrigen
ebenfalls nicht, da mit der Einstellungsverfügung der
Staatsanwaltschaft schriftlich hinreichend dokumentiert worden sei,
dass eine schuldhafte und strafbare Handlung letztlich nicht
vorgelegen habe.
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II. Die Revision ist zulässig.
Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an
der Feststellung, dass die angefochtenen Bescheide vom 29.12.2016
rechtswidrig gewesen sind.
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1. Hat sich ein Verwaltungsakt im Verlauf des
Klageverfahrens erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch
Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn
der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung
hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).
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Ein berechtigtes Interesse i.S. von § 100
Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise
anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder
wirtschaftlicher Art (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.11.2018 - VIII R 45/15, BFHE 263,
175, BStBl II 2019, 306 = SIS 19 03 81, Rz 19). Die begehrte
Feststellung muss geeignet sein, in einem dieser Bereiche zu einer
Positionsverbesserung des Klägers zu führen (Senatsurteil
vom 15.10.2019 - VII R 6/18, BFHE 266, 36, BFH/NV 2020, 116 = SIS 19 18 81, Rz 21, und BFH-Urteil vom 17.10.2018 - XI R 35/16, BFHE
262, 317, BStBl II 2019, 50 = SIS 18 19 15, Rz 24, jeweils m.w.N.).
Ob das der Fall ist, hängt von den jeweiligen konkreten
Gegebenheiten des einzelnen Falles ab (s. Senatsurteil vom
02.11.2010 - VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56, Rz 15).
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19
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Das Feststellungsinteresse muss, sofern es
nicht offensichtlich ist, vom Kläger substantiiert dargelegt
werden (BFH-Urteil vom 10.02.2010 - XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450 =
SIS 10 21 33, Rz 21, m.w.N.; s.a. Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 100 FGO Rz 172).
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Tritt die Erledigung im Revisionsverfahren
ein, steht dies dem Übergang zur
Fortsetzungsfeststellungsklage nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom
22.11.2011 - VIII R 11/09, BFHE 235, 470, BStBl II 2012, 329 = SIS 11 41 24, Rz 12; s.a. Lange in HHSp, § 100 FGO Rz 163).
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21
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2. Im vorliegenden Streitfall haben sich die
angefochtenen Rücknahmebescheide vom 29.12.2016 mit der
vollständigen Wiederausfuhr (Art. 270 UZK) der
streitgegenständlichen Munition nach Kanada und Neuseeland im
Jahr 2018 erledigt; denn eine Überlassung i.S. des Art. 5 Nr.
26 UZK zum zollrechtlich freien Verkehr gemäß Art. 77
Abs. 1 Buchst. a UZK kommt damit nicht mehr in Betracht. Dass
dieser Umstand erst im Revisionsverfahren eingetreten ist,
schließt den Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage
- wie dargelegt - nicht aus. Die Klägerin hat ihren Antrag
entsprechend geändert.
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Die Klägerin hat zudem ein berechtigtes
Interesse an der Feststellung, dass die angefochtenen
Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen sind. Diese Feststellung
hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Vertrag vom 27.07.2011
unter die sog. Altvertragsklausel in § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
AWV fällt. Ist die Frage zu bejahen, ist die Klägerin
nicht daran gehindert, auf der Grundlage des Vertrags vom
27.07.2011 trotz des Importverbots des § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV
weitere Einfuhren vorzunehmen. Das sich daraus ergebende
wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der begehrten
Feststellung ist damit nach Auffassung des erkennenden Senats
offensichtlich und bedarf keiner substantiierten Darlegung. Ferner
wäre bei einem weiteren Versuch, auf der Grundlage des
Vertrags vom 27.07.2011 Munition aus Russland einzuführen,
damit zu rechnen, dass erneut Ermittlungsverfahren gegen die
Geschäftsführer der Klägerin eingeleitet werden
würden und diese sich im Hinblick auf die angefochtene
Entscheidung des FG im Zweifel nicht mehr durch einen Verbotsirrtum
gemäß § 17 Satz 1 StGB würden exkulpieren
können. Somit stellt das vorliegende Verfahren auch unter dem
Gesichtspunkt der Zumutbarkeit und der Effektivität der
Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes; vgl.
auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.04.2003 - 1 BvR
2129/02, NVwZ 2003, 856, unter II.2.b) die einzige Möglichkeit
für die Klägerin dar, die Frage nach der Reichweite der
Altvertragsklausel in Bezug auf den Vertrag vom 27.07.2011 ohne die
Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen zu klären.
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23
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Demgegenüber beruht der Einwand des HZA,
zwischen der Klägerin und der C habe es keine gültigen
Vertragsbeziehungen gegeben, weshalb auch kein berechtigtes
Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehen könne, auf einem
Zirkelschluss; denn das HZA nimmt damit die im Rahmen der
Feststellungsklage überhaupt erst noch zu klärende Frage
vorweg.
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24
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III. Die Revision der Klägerin ist auch
begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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25
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1. Gemäß Art. 28 Abs. 1 Buchst. a
UZK wird eine begünstigende Entscheidung außer in den
Fällen des Art. 27 UZK (u.a.) dann widerrufen, wenn eine oder
mehrere Voraussetzungen für ihren Erlass nicht erfüllt
waren oder nicht mehr erfüllt sind.
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a) Das FG hat zunächst zutreffend
erkannt, dass im Streitfall eine Rücknahme der Annahmen der
fünf Zollanmeldungen vom 14. bzw. 16.11.2016 nach Art. 27 UZK
nicht in Betracht kommt. Denn nach den Feststellungen des FG sind
die Zollanmeldungen nicht auf der Grundlage unrichtiger oder
unvollständiger Informationen angenommen worden, sondern weil
das HZA das Kaufgeschäft, das den streitigen Einfuhren
zugrunde liegt, zunächst anders rechtlich bewertet hat.
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27
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Zutreffend ist auch die Annahme des FG, dass
ungeachtet dessen im Streitfall grundsätzlich ein Widerruf der
Annahmen der Zollanmeldungen nach Art. 28 UZK in Betracht kommt. Es
entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung,
dass eine unzutreffende Bezeichnung der Änderungsvorschrift
unbeachtlich ist, wenn zum Zeitpunkt des Verwaltungshandelns die
tatbestandlichen Voraussetzungen einer anderen
Änderungsvorschrift erfüllt sind (vgl. BFH-Urteil vom
21.10.2014 - VIII R 44/11, BFHE 247, 308, BStBl II 2015, 593 = SIS 14 33 34; BFH-Beschluss vom 12.08.2013 - X B 196/12, BFH/NV 2013,
1761 = SIS 13 27 86, m.w.N.; s.a. Loose in Tipke/Kruse,
Vorbemerkungen zu §§ 172 bis 177 AO Rz 10, m.w.N.). Dies
gilt ungeachtet des Umstands, dass die Änderungsvorschriften
der Abgabenordnung von den Art. 27 und 28 UZK verdrängt
werden, auch für das Zollrecht. Es ist daher unschädlich,
dass das HZA erklärt hat, die Annahmen der fünf
Zollanmeldungen würden nach Art. 27 UZK zurückgenommen.
Das schließt einen Widerruf nach Art. 28 UZK nicht aus.
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28
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b) Im Ergebnis ebenfalls zutreffend ist das FG
davon ausgegangen, dass die Annahme einer Zollanmeldung zu
widerrufen ist, wenn ihr Verbote und Beschränkungen
entgegenstehen.
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Nach Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 UZK
unterliegen Waren, die in das Zollgebiet der Union verbracht
werden, ab dem Zeitpunkt ihres Eingangs der zollamtlichen
Überwachung und können einer Zollkontrolle unterzogen
werden, die sich gemäß Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz
2 UZK ggf. auch auf die Einhaltung von Verboten und
Beschränkungen erstreckt. Dementsprechend lehnt die
Zollbehörde nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG die Annahme
einer Zollanmeldung ab, wenn Verbote und Beschränkungen
entgegenstehen.
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30
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Zwar bestimmt Art. 172 Abs. 1 UZK, dass
Zollanmeldungen, die die Anforderungen des Titel V Kapitel 2 des
UZK erfüllen, von den Zollbehörden unverzüglich
angenommen werden, sofern die betreffenden Waren den
Zollbehörden gestellt wurden. Das schließt
vordergründig das Erfordernis einer Einhaltung von Verboten
und Beschränkungen nach Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 UZK
nicht mit ein; denn diese Regelung ist in Titel IV Kapitel 2 des
UZK enthalten. Doch beginnt die zollamtliche Überwachung von
Nicht-Unionswaren bereits mit dem Verbringen der Waren in das
Zollgebiet der Union (Art. 134 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 UZK) und
dauert fort, bis sich der zollrechtliche Status der
Nicht-Unionswaren ändert oder diese aus dem Zollgebiet der
Union verbracht oder zerstört werden (Art. 134 Abs. 1
Unterabs. 4 UZK). Jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden
Streitfall - Waren bereits in das Zollgebiet der Union verbracht
worden sind, erstreckt sich damit notwendig die zollamtliche
Überwachung auch auf den Zeitpunkt der Zollanmeldung, so dass
die von der Zollbehörde vorzunehmende Prüfung auch
bestehende Verbote und Beschränkungen mit umfasst. Ungeachtet
dessen schließt der Unionszollkodex den Rückgriff auf
ergänzende Vorschriften auf einzelstaatlicher Ebene
gemäß Art. 5 Nr. 2 Buchst. a UZK nicht aus, so dass aus
diesem Grund auch § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG neben Art. 172 Abs.
1 UZK zur Anwendung kommt (vgl. auch FG Düsseldorf, Urteil vom
19.11.2018 - 4 K 2044/17 Z, ZfZ 2019, 236 = SIS 18 21 22; ebenso
Deimel in Dorsch, Zollrecht, Art. 172 UZK Rz 9; Rogmann in
Wolffgang/Jatzke, UZK, Art. 134 Rz 22 und 25; Schoenfeld in
Krenzler/ Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und
Zollrecht, Art. 172 UZK Rz 13; Witte/Hoffmann, Zollkodex, 7. Aufl.,
Art. 134 Rz 32, und Witte/Henke, a.a.O., Art. 172 Rz 10; Roth, ZfZ
2019, 236, 239 f.; a.A. Lux, ZfZ 2020, 362).
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2. Ob allerdings im vorliegenden Streitfall
die Voraussetzungen für eine Annahme der fünf
Zollanmeldungen vom 14. bzw. 16.11.2016 nicht erfüllt waren,
weil die streitgegenständlichen Einfuhren dem Importverbot des
§ 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV unterlegen haben, und ob damit der
Widerruf der Annahmen der Zollanmeldungen nach Art. 28 Abs. 1
Buchst. a Alternative 1 UZK zu Recht erfolgt ist, kann der Senat
mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht beurteilen.
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32
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a) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AWG ist der
Güter-, Dienstleistungs-, Kapital-, Zahlungs- und sonstige
Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland sowie der Verkehr mit
Auslandswerten und Gold zwischen Inländern
(Außenwirtschaftsverkehr) grundsätzlich frei. Er
unterliegt allerdings gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 AWG Einschränkungen durch Gesetze oder
Rechtsverordnungen sowie durch zwischenstaatliche Vereinbarungen
oder durch Rechtsvorschriften von Organen zwischenstaatlicher
Einrichtungen.
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33
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Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 AWG
können im Außenwirtschaftsverkehr durch Rechtsverordnung
Rechtsgeschäfte und Handlungen beschränkt und
Handlungspflichten angeordnet werden, um Beschlüsse des Rates
der Europäischen Union über wirtschaftliche
Sanktionsmaßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik umzusetzen. Gemäß § 4 Abs. 4
Satz 1 AWG sind Beschränkungen und Handlungspflichten nach Art
und Umfang auf das Maß zu begrenzen, das notwendig ist, um
den in der Ermächtigung angegebenen Zweck zu erreichen. Sie
sind gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 AWG so zu gestalten,
dass in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung so wenig
wie möglich eingegriffen wird. Gemäß § 4 Abs.
4 Satz 3 AWG dürfen Beschränkungen und Handlungspflichten
abgeschlossene Verträge nur berühren, wenn der in der
Ermächtigung angegebene Zweck erheblich gefährdet wird.
Sie sind gemäß § 4 Abs. 4 Satz 4 AWG aufzuheben,
sobald und soweit die Gründe, die ihre Anordnung
rechtfertigten, nicht mehr vorliegen.
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b) Eine Beschränkung von
Rechtsgeschäften i.S. von § 4 Abs. 2 Nr. 1 AWG
enthält § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV. Danach sind die Einfuhr
und der Erwerb von in Teil I Abschn. A der Ausfuhrliste erfassten
Gütern aus Russland verboten, unabhängig davon, ob die
Güter dort ihren Ursprung haben. Zu den Gütern, die
danach grundsätzlich einem Einfuhrverbot unterliegen,
gehört gemäß Teil I Abschn. A Nr. 0003 der
Ausfuhrliste auch die hier streitgegenständliche Munition.
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35
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Gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
i.V.m. Abs. 1 Nr. 6 AWV gilt das Einfuhrverbot in Bezug auf
Russland jedoch nicht für die Einfuhr oder Beförderung
von Gütern, deren Lieferung der Erfüllung von
Verträgen oder Vereinbarungen dient, die vor dem 01.08.2014
geschlossen wurden (sog. Altvertragsklausel). Diese Bestimmung
konkretisiert den in § 4 Abs. 4 AWG niedergelegten allgemeinen
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und verdrängt
als speziellere, embargospezifische Regelung die allgemeine
Regelung des § 4 Abs. 4 Satz 3 AWG (vgl. auch Hocke/Sachs/
Pelz/Ziervogel, Außenwirtschaftsrecht, 2. Aufl., § 77
AWV Rz 17).
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36
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c) Zutreffend ist die Annahme des FG, dass
unter die sog. Altvertragsklausel des § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
AWV nur solche Verträge und Vereinbarungen fallen, mit denen
konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014
begründet, aber noch nicht oder noch nicht vollständig
erfüllt worden sind. Ob das der Fall ist, lässt sich
allerdings nur auf der Grundlage des konkreten Vertragsinhalts und
des jeweils maßgeblichen - ggf. ausländischen - Rechts
bestimmen.
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37
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aa) Sowohl § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV als auch
§ 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV dienen der Umsetzung des
Beschlusses 2014/512/GASP des Rates der Europäischen Union vom
31.07.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der
Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren
(Beschluss 2014/512/GASP, Amtsblatt der Europäischen Union -
ABlEU - L 229/13; s. BT-Drucks. 18/3257, S. 12 und 14; vgl. auch
Hocke/Sachs/Pelz/Ziervogel, a.a.O., § 77 AWV Rz 6).
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(1) Gestützt ist der Beschluss
2014/512/GASP der Einleitungsformel zufolge auf den Vertrag
über die Europäische Union (EUV), insbesondere auf Art.
29 EUV. Gemäß Art. 29 Satz 1 EUV erlässt der Rat
Beschlüsse, in denen der Standpunkt der Union zu einer
bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt wird.
Gemäß Art. 29 Satz 2 EUV tragen die Mitgliedstaaten
dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den
Standpunkten der Union im Einklang steht. Den Beschlüssen nach
Art. 29 EUV kommt somit keine unmittelbare Wirkung in Bezug auf die
Rechtsstellung Einzelner zu; die jeweiligen Maßnahmen
müssen erst noch umgesetzt werden, entweder durch den
Europäischen Rat nach Art. 215 Abs. 2 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) oder aber durch
die Mitgliedstaaten (vgl. Callies/ Ruffert/Cremer, 5. Aufl., Art.
29 EUV Rz 9; Hocke/Sachs/Pelz/Sachs, a.a.O., Sanktionen und
Embargos der EU, Rz 23 ff.; Arnold/Klamert in Dauses/ Ludwigs,
Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, K. Außenhandelsrecht, I.
Grundlagen Rz 175; Marquardt/Gaedtke in von der
Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl.,
EUV Art. 29 Rz 7).
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39
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(2) Gemäß Art. 2 Abs. 3 des
Beschlusses 2014/512/GASP werden die Einfuhr, der Kauf oder die
Beförderung von Rüstungsgütern und zugehörigen
Gütern aller Art, einschließlich Waffen und Munition,
Militärfahrzeugen und -ausrüstung, paramilitärischer
Ausrüstung und entsprechenden Ersatzteilen aus Russland durch
Staatsangehörige der Mitgliedstaaten oder durch Schiffe oder
Flugzeuge unter ihrer Flagge untersagt.
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40
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Gemäß Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses
2014/512/GASP in der hier maßgeblichen Fassung des
Beschlusses 2014/872/GASP des Rates vom 04.12.2014 zur
Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive
Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage
in der Ukraine destabilisieren, und des Beschlusses 2014/659/GASP
zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP (Beschluss
2014/872/GASP, ABlEU L 349/58) gilt dieses Verbot (u.a.)
unbeschadet der Erfüllung von Verträgen, die vor dem
01.08.2014 geschlossen wurden, oder von akzessorischen
Verträgen, die für die Erfüllung dieser
Verträge erforderlich sind (sog. Altvertragsklausel).
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41
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Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Beschlusses
2014/512/GASP sollte dieser zunächst bis zum 31.07.2015
gelten. Die Geltungsdauer ist seitdem halbjährlich
verlängert worden, zuletzt bis zum 31.07.2021 durch Beschluss
2020/2143/GASP des Rates vom 17.12.2020 zur Änderung des
Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen
angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine
destabilisieren (ABlEU L 430/26).
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42
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Gemäß Erwägungsgrund 10 des
Beschlusses 2014/512/GASP sollen die Mitgliedstaaten (u.a.) die
Beschaffung von Rüstungsgütern und zugehörigen
Gütern aller Art aus Russland untersagen. Gemäß
Erwägungsgrund 3 des Beschlusses 2014/872/GASP dient die
Neufassung (u.a.) von Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses 2014/512/GASP
der Präzisierung dieser Bestimmung.
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43
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bb) Aus diesem entstehungsgeschichtlichen
Zusammenhang heraus ist § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV nach
seinem Wortlaut, seiner Systematik und seinem Sinn und Zweck so
auszulegen, dass er nur solche Verträge und Vereinbarungen
erfasst, mit denen konkrete vertragliche Leistungspflichten bereits
vor dem 01.08.2014 begründet worden sind.
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44
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(1) Dem jeweiligen Wortlaut nach unterscheiden
sowohl § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV als auch Art. 2 Abs. 4 des
Beschlusses 2014/512/GASP zwischen dem Abschluss und der
Erfüllung von Verträgen. Der gesetzlichen Systematik nach
handelt es sich um Ausnahmen zu den in § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV
bzw. Art. 2 Abs. 3 des Beschlusses 2014/512/GASP verhängten
Einfuhrverboten. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ist für
die Auslegung der genannten Bestimmungen wesentlich.
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45
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(2) Grundsätzlich gelten die in den
Sanktionsverordnungen der Europäischen Union enthaltenen
Verbote ab Inkrafttreten der jeweiligen Verordnung. Sie erfassen,
sofern hierzu keine speziellen Regelungen getroffen worden sind,
regelmäßig auch vor dem Inkrafttreten einer Verordnung
geschlossene Verträge, so dass Handlungen, die der
Erfüllung solcher Verträge dienen, untersagt sind (vgl.
etwa zu Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom
27.05.2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer
restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und
Organisationen, die mit den ISIL (Da’esh)- und
Al-Qaida-Organisationen in Verbindung stehen, das Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Möllendorf
vom 11.10.2007 - C-117/06, EU:C:2007:596, Europäische
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - EuZW - 2007, 737; s.a.
Niestedt in Krenzler/Hermann/Niestedt, a.a.O., Sanktionen Rz 37;
Dahme in: Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar,
EU-Terrorismus-Sanktionen Rz 47 ff.; gl.A. in Bezug auf § 4
AWG Simonsen in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, a.a.O., AWG § 4 Rz
105; Friedrich in Hocke/ Friedrich, Außenwirtschaftsrecht,
AWG § 4 Rz 33; Hocke/Sachs/Pelz/Pelz, a.a.O., § 4 AWG Rz
41; Hohmann in Hohmann/John, Ausfuhrrecht, AWG § 2 Rz 16;
offen gelassen von Thoms in Dorsch, a.a.O., § 4 AWG Rz
42).
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Enthält ein Sanktionsbeschluss eine
Sonderregelung für Altverträge, muss diese als
Ausnahmevorschrift unter Berücksichtigung des Ziels des
jeweiligen Beschlusses, den Sanktionen
größtmögliche Wirksamkeit zukommen zu lassen,
grundsätzlich eng ausgelegt werden (vgl. allgemein
EuGH-Urteile RFA International/Kommission vom 10.02.2021 - C-56/19
P, EU:C:2021:102 = SIS 21 02 93, Rz 54, ABlEU 2021, Nr. C 128, 3;
flyLAL-Lithuanian Airlines vom 23.10.2014 - C-302/13,
EU:C:2014:2319, Rz 27, EuZW 2015, 76, und Dashiqiao Sanqiang
Refractory Materials/Rat vom 19.09.2013 - C-15/12 P, EU:C:2013:572,
Rz 17, m.w.N., juris).
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(3) Dies ist auch in Bezug auf Art. 2 Abs. 3
und 4 des Beschlusses 2014/512/GASP zu berücksichtigen.
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Sinn und Zweck von Art. 2 Abs. 3 des
Beschlusses 2014/512/GASP - wie auch der übrigen dort
verankerten restriktiven Maßnahmen - ist es, die Russische
Föderation durch wirtschaftlichen Druck zu veranlassen, die
Souveränität und die territoriale Unversehrtheit der
Ukraine zu wahren und ihre Streitkräfte in die Gebiete
zurückzubeordern, in denen sie gemäß den
einschlägigen Abkommen dauerhaft stationiert sein dürfen
(s. Erwägungsgrund 1 des Beschlusses 2014/512/GASP; zur
Bedeutung von Einfuhrverboten vgl. allgemein auch Niestedt in
Krenzler/Hermann/Niestedt, a.a.O., Sanktionen Rz 42).
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Sinn und Zweck von Art. 2 Abs. 4 des
Beschlusses 2014/512/GASP hingegen ist es, die Vertragsfreiheit als
Ausdruck der Privatautonomie so weitgehend zu schützen, wie
dies ohne Gefährdung der mit dem Beschluss 2014/512/GASP
insgesamt verfolgten Zwecke möglich ist (zur unionsrechtlichen
Verankerung der Vertragsfreiheit s. EuGH-Urteile vom 15.04.2021 -
C-798/18, EU:C:2021:280, Rz 56, NVwZ 2021, 1601, und Sky
Österreich vom 22.01.2013 - C-283/11, EU:C:2013:28, Rz 42 f.,
m.w.N., EuZW 2013, 347; zur Bedeutung der Unternehmerischen
Freiheit s. im Übrigen auch Mayer in Grabitz/ Hilf/Nettesheim,
Das Recht der Europäischen Union, EUV nach Art. 6 Rz 190 ff.;
Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., EU-Grundrechte-Charta 2000
Art. 16 Rz 6 mit Fn. 21, m.w.N.). Die Regelung verschafft damit dem
Grundsatz „pacta sunt servanda“ als einem
tragenden Grundsatz jeder Rechtsordnung (so EuGH-Urteil vom
16.06.1998 - C-162/96, EU:C:1998:293, Rz 49, EuZW 1998, 694)
grundsätzlich auch im Sanktionsrecht Geltung.
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50
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Allerdings tritt die unionsrechtliche
Außenwirtschaftsfreiheit jedenfalls im Verhältnis zu
Drittstaaten gegenüber den außen- und
sicherheitspolitischen Zielen eines Embargos regelmäßig
zurück (vgl. EuGH-Urteil Bosphorus vom 30.07.1996 - C-84/95,
Rz 26, EuZW 1996, 595; s. im Übrigen zur unionsrechtlichen
Bedeutung der Außenwirtschaftsfreiheit auch EuGH-Urteil
Centro-Com vom 14.01.1997 - C-124/95, EU:C:1997:8, Rz 40, EuZW
1997, 148; ferner Weiß in Grabitz/Hilf/Nettesheim, a.a.O.,
AEUV Art. 206 Rz 16, m.w.N.; Hocke/Sachs/Pelz/Pelz, a.a.O.,
Einführung Rz 7).
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51
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Auf dieser Grundlage ist der Begriff
„Verträge“ in Art. 2 Abs. 4 des Beschlusses
2014/512/GASP eng auszulegen. Er erfasst nur solche Verträge,
mit denen konkrete vertragliche Verpflichtungen in Bezug auf den
unmittelbaren oder mittelbaren Verkauf, die unmittelbare oder
mittelbare Lieferung sowie die Verbringung oder Ausfuhr von
Gütern i.S. von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP
bereits vor dem 01.08.2014 begründet worden sind. Wer vor
diesem Stichtag einen entsprechenden Vertrag geschlossen hat, der
an sich unter die restriktiven Maßnahmen des Art. 2 Abs. 3
des Beschlusses 2014/512/GASP fiele, soll nicht gezwungen werden,
vertragsbrüchig zu werden. Das bedeutet aber umgekehrt, dass,
wer bis zu diesem Stichtag noch keinen konkreten vertraglichen
Anspruch in diesem Sinne erworben hat, vom Schutzzweck der
Altvertragsklausel nicht erfasst wird.
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Gleichermaßen ist das Tatbestandsmerkmal
„akzessorische Verträge, die für die
Erfüllung dieser Verträge erforderlich sind“
eng auszulegen. Erfasst werden hiervon nur Verträge, die der
Umsetzung von Verträgen dienen, mit denen bereits vor dem
01.08.2014 konkrete vertragliche Leistungspflichten in Bezug auf
den unmittelbaren oder mittelbaren Verkauf, die unmittelbare oder
mittelbare Lieferung, die Verbringung oder Ausfuhr von Gütern
i.S. von Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP begründet
worden sind. Verträge, die der Umsetzung von Verträgen
dienen, mit denen erst nach dem 01.08.2014 entsprechende
Leistungspflichten begründet worden sind, fallen damit nicht
unter die Altvertragsklausel.
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53
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(4) Für die Auslegung des
Tatbestandsmerkmals „Verträge oder
Vereinbarungen“ in § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV
gelten diese Grundsätze gleichermaßen. Die mit der
Grundregel in § 77 Abs. 1 Nr. 6 AWV und der Ausnahmeregelung
in § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV verfolgten Ziele entsprechen
denen von Art. 2 Abs. 3 und 4 des Beschlusses 2014/512/GASP. Daher
werden auch von § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV nur solche
Verträge oder Vereinbarungen erfasst, mit denen konkrete
vertragliche Leistungspflichten bereits vor dem 01.08.2014
begründet worden sind, und gleichermaßen ergänzende
Verträge oder Vereinbarungen nur insoweit, als sie lediglich
der Umsetzung oder Erfüllung von vor dem 01.08.2014
begründeten konkreten vertraglichen Leistungspflichten dienen.
Hingegen fallen Verträge, mit denen erst nach dem 01.08.2014
eigene Leistungspflichten in Bezug auf die in § 77 Abs. 1 AWV
i.V.m. Teil I Abschn. A der Ausfuhrliste genannten Güter
begründet werden, nicht unter die Altvertragsklausel des
§ 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AWV.
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cc) Ob sich aus Verträgen oder
Vereinbarungen, die vor dem 01.08.2014 geschlossen worden sind,
bereits konkrete vertragliche Leistungspflichten in diesem Sinne
ergeben, kann nur nach Maßgabe der vertraglichen Regelungen
und des jeweils anwendbaren Rechts bestimmt werden.
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(1) Wann ein Vertrag wirksam geschlossen
worden ist, ob mit dem Vertrag bereits konkrete Pflichten
begründet worden sind und ob sich diese Pflichten auf den
Verkauf, die Lieferung oder die Verbringung etc. von Waren i.S. von
Art. 2 Abs. 1 des Beschlusses 2014/512/GASP bzw. i.S. von § 77
Abs. 1 AWV beziehen, kann nur durch Auslegung des betreffenden
Vertrags ermittelt werden. Weder aus Art. 2 des Beschlusses
2014/512/GASP noch aus § 77 AWV lassen sich hierzu allgemeine
abstrakte Vorgaben herleiten.
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56
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Unterliegt der betreffende Vertrag
ausländischem Recht, ist die erforderliche Auslegung nach dem
maßgeblichen ausländischen Recht vorzunehmen. Die freie
Rechtswahl durch die Vertragsparteien ist dabei wiederum Ausfluss
der allgemeinen Vertragsfreiheit (Art. 3 der Verordnung (EG) Nr.
593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht - Rom I-VO - ; s.a. MüKoBGB/Martiny, 8.
Aufl., Rom I-VO Art. 3 Rz 8, m.w.N.). § 77 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
AWV ist dementsprechend als Verweisung auf das für den
jeweiligen Vertrag maßgebliche Recht zu verstehen.
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57
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(2) Die bei der Vertragsauslegung
anzuwendenden Auslegungsmethoden sind dem ausländischen Recht
zu entnehmen, und den von den Vertragsparteien im Vertragstext
verwendeten Rechtsbegriffen ist die Bedeutung beizumessen, die
ihnen nach der ausländischen Rechtsordnung zukommt. Das
deutsche Gericht hat das ausländische Recht so auszulegen und
anzuwenden, wie es die Gerichte des ausländischen Staates
auslegen und anwenden würden (vgl. BFH-Urteil vom 07.12.2017 -
IV R 23/14, BFHE 260, 312, BStBl II 2018, 444 = SIS 17 25 98, Rz
28; s.a. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 07.06.2016 - KZR
6/15, BGHZ 210, 292, Rz 70).
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58
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d) Ausgehend von diesen rechtlichen
Überlegungen war das vorinstanzliche Urteil aufzuheben.
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59
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aa) Mit dem streitgegenständlichen
Vertrag vom 27.07.2011 haben die Parteien eine Rechtswahl i.S. von
Art. 3 Rom I-VO getroffen und die Anwendung russischen Rechts
vereinbart.
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60
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Gemäß Art. 3 Abs. 1 Sätze 1
und 2 Rom I-VO unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien
gewählten Recht, wobei die Rechtswahl ausdrücklich
erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder
aus den Umständen des Falles ergeben muss. Nach
Erwägungsgrund 11 der Rom I-VO ist die freie Rechtswahl der
Parteien einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im
Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse. Nach
Erwägungsgrund 12 der Rom I-VO soll eine Vereinbarung zwischen
den Parteien, dass ausschließlich ein Gericht oder mehrere
Gerichte eines Mitgliedstaats für Streitigkeiten aus einem
Vertrag zuständig sein sollen, bei der Feststellung, ob eine
Rechtswahl eindeutig getroffen wurde, einer der zu
berücksichtigenden Faktoren sein.
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61
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Demgemäß sind die in dem Vertrag
vom 27.07.2011 (unter Ziff. 10.) getroffenen Vereinbarungen
über die Beilegung von Streitigkeiten als Rechtswahl i.S. von
Art. 3 Rom I-VO auszulegen. Dafür spricht zunächst, dass
im Fall von Streitigkeiten, die sich nicht einvernehmlich
klären lassen, das Internationale Handelsschiedsgericht Moskau
angerufen werden soll (Ziff. 10.2 des Vertrags vom 27.07.2011);
bereits dies ist ein starkes Indiz dafür, dass auch das am
Sitz des festgelegten Gerichts geltende Recht zur Anwendung kommen
soll (vgl. allgemein BGH-Urteil vom 26.10.1989 - VII ZR 153/88,
Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht -
NJW-RR - 1990, 182, unter 1.; ebenso zu Art. 27 des
Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch Urteil
des Bundesarbeitsgerichts vom 10.04.2014 - 2 AZR 741/13, Recht der
Internationalen Wirtschaft 2014, 691, Rz 33, m.w.N.; ferner
MüKoBGB/ Martiny, a.a.O., Rom I-VO Art. 3 Rz 49). Ungeachtet
dessen haben die Vertragsparteien mit Ziff. 10.3 des Vertrags vom
27.07.2011 - nach der gemäß Ziff. 11.3 des Vertrags vom
27.07.2011 maßgeblichen russischen Fassung - bestimmt, dass
für die Beilegung von Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang
mit diesem Vertrag das materielle Recht der Russischen
Föderation Anwendung finden soll. Auch wenn es vorliegend
nicht um Streitigkeiten zwischen den beteiligten Vertragsparteien
geht, kommt damit doch hinreichend klar zum Ausdruck, dass eine
Auslegung des Vertrags nur nach russischem Recht erfolgen darf.
Eine Auslegung nach deutschem Zivilrecht oder auch nur nach
deutscher Zivilrechtsmethodik ist damit ausgeschlossen.
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62
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bb) Anhand der Feststellungen des FG kann der
Senat nicht beurteilen, ob mit dem Vertrag vom 27.07.2011 nach
Maßgabe des russischen Rechts bereits vor dem 01.08.2014
konkrete vertragliche Leistungspflichten begründet worden
sind.
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63
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(1) Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es Aufgabe des FG als
Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht
gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO von
Amts wegen zu ermitteln. Feststellungen über das Bestehen und
den Inhalt ausländischen Rechts sind für das
Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 Satz 1 FGO
i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind insoweit revisionsrechtlich wie
Tatsachenfeststellungen zu behandeln (s. z.B. BFH-Urteil vom
19.01.2017 - IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456 = SIS 17 06 28, Rz 61, m.w.N.; ebenso Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 57 f.
und 65; Seer in Tipke/Kruse, § 118 FGO Rz 25 f.; Werth in
Gosch, FGO § 118 Rz 21 ff.).
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64
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Wie das FG das ausländische Recht
ermittelt, steht dabei grundsätzlich in seinem
pflichtgemäßen Ermessen. Anforderungen an Umfang und
Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters lassen sich
nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt
bestimmen (vgl. BFH-Urteile vom 22.03.2018 - X R 5/16, BFHE 261,
132, BStBl II 2018, 651 = SIS 18 08 71, Rz 22 ff., und in BFHE 260,
312, BStBl II 2018, 444 = SIS 17 25 98, Rz 33; s.a. BGH-Beschluss
vom 30.03.2021 - XI ZB 3/18, NJW-RR 2021, 916, Rz 59 ff., jeweils
m.w.N.). Besitzt der erkennende Richter keine ausreichenden eigenen
Kenntnisse, kann er, wenn ein Staatsvertrag dies vorsieht, amtliche
Auskünfte bei Behörden des betreffenden Landes einholen
oder ansonsten deutsche Botschaften, Konsulate und Ministerien
konsultieren; unabhängig davon besteht die Möglichkeit,
ein wissenschaftliches Institut (Universitäts- oder
Max-Planck-Institut) oder einen sonstigen Sachverständigen mit
der Erstattung eines Rechtsgutachtens zu beauftragen (BFH-Urteil in
BFHE 260, 312, BStBl II 2018, 444 = SIS 17 25 98, Rz 39, m.w.N.;
s.a. Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl., § 293 Rz 21;
Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 79. Aufl., § 293 Rz 7).
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65
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An die Ermittlungspflicht sind umso
höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder je fremder
das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen Recht ist
(BFH-Urteil in BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651 = SIS 18 08 71, Rz
23; BGH-Urteil vom 13.12.2005 - XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248, unter
II.2.a). Dabei sind nicht nur die ausländischen Rechtsnormen
zu ermitteln, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis; es
gilt der Grundsatz der größtmöglichen
Annäherung an das ausländische Recht. Dieses muss mit
Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen
Methoden in seinem systematischen Kontext (s. BFH-Urteil in BFHE
260, 312, BStBl II 2018, 444 = SIS 17 25 98, Rz 28) und unter
Einbeziehung der Rechtsprechung der Gerichte des betreffenden
Landes erfasst werden (s. BGH-Beschluss vom 17.05.2018 - IX ZB
26/17, EuZW 2018, 732, Rz 12; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 19.07.2012 - 10 C 2/12, BVerwGE 143, 369, Rz 14; BGH-Urteil vom
23.04.2002 - XI ZR 136/01, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
und Insolvenzpraxis 2002, 1155, unter II.2.b, m.w.N.; s.a.
Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118
Rz 61).
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66
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Einfluss auf das Ermittlungsermessen der
Tatsacheninstanz können darüber hinaus auch Vortrag und
sonstige Beiträge der Parteien haben, wie etwa die Vorlage
eines Privatgutachtens (vgl. BGH-Urteil vom 30.04.1992 - IX ZR
233/90, BGHZ 118, 151, unter B.I.2.b bb, m.w.N.) oder der Umstand,
dass die Beteiligten die ausländische Rechtspraxis detailliert
und kontrovers vortragen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 257, 35, BStBl
II 2017, 456 = SIS 17 06 28, Rz 60; vom 16.04.2015 - III R 6/14,
BFH/NV 2015, 1237 = SIS 15 16 56, Rz 13, und vom 13.06.2013 - III R
10/11, BFHE 241, 562, BStBl II 2014, 706 = SIS 13 25 78, Rz
29).
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67
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Die revisionsrechtliche Bindungswirkung
entfällt allerdings, soweit die erstinstanzlichen
Feststellungen zum ausländischen Recht nicht hinreichend
fundiert sind. In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der
Vorentscheidung vor (vgl. BFH-Urteile in BFHE 261, 132, BStBl II
2018, 651 = SIS 18 08 71, Rz 24, und in BFHE 257, 35, BStBl II
2017, 456 = SIS 17 06 28, Rz 61, jeweils m.w.N.). Im Übrigen
ist auch aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge zu
prüfen, ob das FG die Ermittlungen frei von
Verfahrensmängeln durchgeführt hat, insbesondere das ihm
eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt und
die Erkenntnisquellen genutzt hat (s. BFH-Urteile vom 13.06.2013 -
III R 63/11, BFHE 242, 34, BStBl II 2014, 711 = SIS 13 25 79, Rz
34, und in BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456 = SIS 17 06 28, Rz 61,
jeweils m.w.N.).
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68
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(2) Im vorliegenden Streitfall ist das FG den
dargestellten Anforderungen an die Ermittlungspflicht zum
ausländischen Recht nicht gerecht geworden. Denn es hat sich
nur auf eine einzige Erkenntnisquelle bezogen, nämlich auf das
von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten. Das Ergebnis
dieses Gutachtens, dass die mit dem Vertrag vom 27.07.2011
vereinbarten Pflichten auch über den jeweils vereinbarten
Geltungszeitraum hinaus bestehen bleiben, hat das FG allerdings
verworfen, um dann aber gleichwohl wiederum auf der Grundlage
dieses Gutachtens eine abweichende Auslegung des Vertrags vom
27.07.2011 zu begründen. Ausführungen zur Praxis der
Vertragsauslegung nach russischem Recht, insbesondere durch die
russischen Gerichte, finden sich dabei weder in dem genannten
Gutachten noch in den weiteren Ausführungen des FG.
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69
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In einer derartigen Situation hätte das
FG von Amts wegen weitere Ermittlungen anstellen und entweder
amtliche Auskünfte einholen oder aber ein weiteres
Rechtsgutachten in Auftrag geben müssen. Im zweiten Rechtsgang
wird das FG dies nachzuholen haben.
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70
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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