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I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der
H-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) am 21.2.2002 eröffneten
Insolvenzverfahren. Die Eröffnung des Verfahrens war von der
Schuldnerin am 6.11.2001 beantragt worden.
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Vom Kläger 2006 wegen angeblich
uneinbringlich gewordener Forderungen aus einer Reihe von
Ausgangsrechnungen vorgenommene Berichtigungen der Umsatzsteuer
2002 und 2003 führten zu Erstattungsbeträgen. Der
Kläger hat dazu erklärt, die Berichtigung der
betreffenden Anmeldungen habe zu einer Verminderung der Zahllast in
den beiden Jahren um die in dem Urteil des Finanzgerichts (FG)
angeführten Beträge geführt, die deshalb zu
erstatten seien.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) hat gegen diese Beträge indes die
Aufrechnung mit seinen unbefriedigten Umsatzsteuerforderungen
März, April und September 2001 erklärt und hierüber
aufgrund des Widerspruchs des Klägers den angefochtenen
Abrechnungsbescheid vom 17.10.2006 erlassen. Aufgrund einer
späteren Berichtigungserklärung des Klägers für
2002 ist ein weiteres Vergütungsguthaben von rund ... EUR
entstanden, welches das FA mit weiterhin rückständiger
Umsatzsteuer März 2001 verrechnet hat. Hierüber ist der
Abrechnungsbescheid vom 13.2.2007 ergangen.
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Nach erfolglosem Einspruch gegen die beiden
Abrechnungsbescheide ist Klage erhoben worden, mit der sich der
Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
beruft, dass eine Umsatzsteuerforderung erst dann entstanden sei,
wenn der volle steuerrechtliche Tatbestand verwirklicht worden ist
(Hinweis auf die Urteile vom 29.1.2009 V R 64/07, BFHE 224, 24,
BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24; vom 30.4.2009 V R 1/06, BFHE
226, 130, BStBl II 2010, 138 = SIS 09 26 33, sowie vom 9.12.2010 V
R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996 = SIS 11 11 55). Das sei
hier erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Fall
gewesen, so dass der Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) entgegenstehe.
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Abgesehen davon verstoße der
Abrechnungsbescheid vom 17.10.2006 gegen das Aufrechnungsverbot des
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Der Kläger bezieht sich dabei auf
einen nach seiner Darstellung und den Ausführungen im Urteil
des FG verrechneten Umsatzsteuerbetrag November 2001; dieser sei
erst nach Stellung des Insolvenzantrags entstanden (Hinweis auf das
Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22.10.2009 IX ZR 147/06 =
SIS 10 06 34, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und
Insolvenzpraxis 2010, 90, und die Urteile des Senats vom 2.11.2010
VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439 = SIS 11 09 31 und
VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56).
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Die Klage ist ohne Erfolg geblieben
(FG-Urteil in EFG 2011, 1593 = SIS 11 25 05).
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG
zugelassene Revision des Klägers, der zu § 96 Abs. 1 Nr.
1 InsO im Wesentlichen vorträgt, der Senat habe seit seinen
Entscheidungen vom 21.9.1993 VII R 119/91 (BFHE 172, 308, BStBl II
1994, 83 = SIS 94 01 34) und VII R 68/92 (BFH/NV 1994, 521) den
Begriff des Begründetseins i.S. des § 38 InsO in
ständiger Rechtsprechung als gleichbedeutend mit dem Begriff
des Schuldigwerdens i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
betrachtet. Von dieser Rechtsprechung sei der V. Senat des BFH in
seiner neueren Rechtsprechung (Hinweis auf die Urteile in BFHE 224,
24, BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24, und in BFHE 226, 130, BStBl
II 2010, 138 = SIS 09 26 33) eindeutig abgewichen, wenn er nun
für das Begründetsein einer Forderung i.S. des § 38
InsO die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen
Tatbestands fordere. An dieser Abweichung ändere es nichts,
dass der V. Senat zum Festsetzungs-, der VII. Senat hingegen zum
Erhebungsverfahren entscheide; denn beide stellten in ihrer
Rechtsprechung auf § 38 InsO ab.
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Nach dieser neuen Rechtsprechung seien die
angefochtenen Abrechnungsbescheide rechtswidrig, da die
vollständige Tatbestandsverwirklichung hinsichtlich der
aufgerechneten Erstattungsforderung erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens eingetreten sei.
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Hinsichtlich des § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO hebt die Revision hervor, die Entscheidung des FG stehe in
Widerspruch zu der Rechtsprechung des BGH und des VII. Senats des
BFH. Der für die Anwendung vorgenannter Vorschrift
erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der angefochtenen
Rechtshandlung und der Beeinträchtigung des
Gläubigerzugriffs auf die Masse sei schon dann gegeben, wenn
die Rechtshandlung für die Gläubigerbenachteiligung
kausal sei, ohne dass es darauf ankomme, wann die Gegenforderung
entstehe. Im Übrigen treffe die Annahme des FG, bei einer
„Gesamtbetrachtung“ hätten die Rechtshandlungen
der Schuldnerin zu einer Vermögensmehrung geführt, nach
der neueren Rechtsprechung des V. Senats des BFH nicht zu. Denn
danach führe z.B. eine im November 2001 erbrachte Leistung
zunächst zu einer Umsatzsteuerschuld November 2001, wenn das
Entgelt aber erst im März 2002 zur Insolvenzmasse gezogen
werden könne, zu einer Umsatzsteuerschuld März 2002. Die
durch die Insolvenzeröffnung ausgelöste Notwendigkeit
einer Berichtigung nach § 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) spiele selbst bei einer Gesamtbetrachtung insofern keine
Rolle, da ein etwaiges Guthaben - welches aufgrund des § 16
Abs. 2 UStG ohnehin unwahrscheinlich sei - aufrechenbar wäre,
so dass die Umsatzsteuer immer die Schuldenmasse
erhöhe.
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Das FA hält eine Abweichung des
angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des V. Senats des BFH
nicht für gegeben und teilt die Auffassung, dass eine
Leistungserbringung keine anfechtbare Rechtshandlung i.S. des
§ 129 InsO sei.
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II. Die Revision des Klägers ist
begründet (§ 118 Abs. 1, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der vom FA erklärten
Aufrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.
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1. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO, der Vorrang
vor § 96 Abs. 1 InsO beansprucht, gestattet die Aufrechnung
während des Insolvenzverfahrens einem Insolvenzgläubiger,
der gegen den Insolvenzschuldner eine vor Verfahrenseröffnung
begründete Forderung besitzt, bei welcher eine Bedingung erst
während des Insolvenzverfahrens eintritt. Dass ein Anspruch in
diesem Sinne bedingt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
begründet ist, nimmt die bereits zur Konkursordnung
entwickelte Rechtsprechung des BGH an, wenn für das Entstehen
der Forderung zwar noch eine vertragliche Bedingung oder eine
gesetzliche Voraussetzung hinzutreten muss, also „ein
Element der rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs noch nicht
erfüllt ist“, die Forderung jedoch „in
ihrem rechtlichen Kern“ aufgrund gesetzlicher
Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert
ist (BGH-Urteil vom 29.6.2004 IX ZR 147/03, BGHZ 160, 1). Die
Vorschrift solle jedoch nur den Gläubiger schützen,
dessen Anspruch gesichert ist und fällig wird, ohne dass es
einer weiteren Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedürfe
(vgl. BGH-Urteile vom 6.11.1989 II ZR 62/89, NJW 1990, 1301, und
vom 9.3.2000 IX ZR 355/98, NJW–Rechtsprechungs-Report
Zivilrecht - NJW-RR - 2000, 1285). Die Befugnis des Gläubigers
zur Aufrechnung werde deshalb nur dann unbeschadet der
Insolvenzeröffnung nicht angetastet, wenn dieser vor der
Eröffnung darauf „vertrauen“ durfte, dass
die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf das
Entstehen einer Aufrechnungslage keine Schwierigkeiten bereiten
werde (BGH-Urteil vom 14.12.2006 IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206).
Forderungen, deren Entstehen als Vollrecht bei Eröffnung des
Insolvenzverfahrens noch nicht so weitgehend gesichert war, dass
mit ihrem gleichsam „automatischen“ Entstehen
gerechnet werden konnte, d.h. ohne dass dies von Entscheidungen
oder sonstigen Willensbetätigungen des Steuerpflichtigen oder
Dritter abhängig wäre, werden danach nicht erfasst (vgl.
BGH-Urteil in BGHZ 160, 1).
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2. Bei steuerlichen Erstattungs- und
Vergütungsforderungen hat der erkennende Senat bisher in
Anknüpfung an diese Rechtsprechung für die
insolvenzrechtliche Begründung eines Anspruchs nur verlangt,
dass die Forderung „ihrem Kern nach“ bereits vor
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist. Er
hat dies angenommen, wenn der Sachverhalt, der zu der Entstehung
des steuerlichen Anspruchs führte, vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens verwirklicht worden sei (vgl. statt aller
Senatsurteile vom 17.4.2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8, BStBl II
2009, 589 = SIS 07 19 23, und in BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83 =
SIS 94 01 34). So liege es in der Regel, wenn eine Steuer, die vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei, zu erstatten
oder zu vergüten oder in anderer Weise dem Steuerpflichtigen
wieder gutzubringen sei. Ein diesbezüglicher Anspruch des
Steuerpflichtigen werde dann nicht erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründet, sondern stelle eine vor
Eröffnung des Verfahrens aufschiebend bedingt begründete
Forderung dar, gegen welche die Finanzbehörde gemäß
§ 95 InsO im Verfahren aufrechnen könne, wenn das als
aufschiebende Bedingung zu behandelnde, die Erstattung,
Vergütung oder sonst die Rückführung der
steuerlichen Belastung auslösende Ereignis selbst - z.B. die
Notwendigkeit einer Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß
§ 17 UStG (vgl. Senatsurteil vom 4.8.1987 VII R 11/84, BFH/NV
1987, 707, und Senatsbeschluss vom 6.10.2005 VII B 309/04, BFH/NV
2006, 369 = SIS 06 08 71) - nach Eröffnung des Verfahrens
eintrete. Insbesondere in den Fällen des § 17 UStG
entstehe zwar ein steuerverfahrensrechtlich selbständiger
Anspruch, der jedoch kompensatorischen Charakter habe, indem er die
ursprünglich vorgenommene Besteuerung ausgleiche und die
damals für ein bestimmtes Ereignis erhobene Steuer aufgrund
eines späteren, entgegengesetzten Ereignisses
zurückführe. Das rechtfertige es, ihn als bereits mit der
Verwirklichung des Besteuerungstatbestands insolvenzrechtlich
begründet anzusehen.
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Es liegt auf der Hand und ist von der
Rechtsprechung des Senats schon bisher nicht in Abrede gestellt
worden, dass in den Fällen des § 17 Abs. 2 UStG bei
Entstehen der betreffenden Steuerforderung ungewiss ist, ob es zu
deren Kompensation durch einen entgegengesetzten
Vergütungsanspruch bzw. einen aufgrund des Anspruchs auf
Berücksichtigung eines entsprechenden Berichtigungsbetrags
gemäß § 17 Abs. 2 UStG entstehenden
Erstattungsanspruchs kommen wird, weil der künftige,
dafür erforderliche Eintritt der
„Bedingung“ (hier: das Uneinbringlichwerden von
Forderungen der Schuldnerin), also der Eintritt des
steuerverfahrensrechtlichen Entstehungsgrunds - anders als in den
vorgenannten, vom BGH entschiedenen Fällen das Entstehen der
betreffenden zivilrechtlichen Forderung als Vollrecht - ungewiss
ist (vgl. u.a. Urteil des Senats in BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589
= SIS 07 19 23). Der Senat hat gleichwohl die in der Behandlung
gemäß § 17 UStG berichtigter
Umsatzsteuerforderungen in seiner Rechtsprechung liegende
Zurückverlagerung des Entstehenszeitpunkts solcher Forderungen
für gerechtfertigt gehalten, weil zwischen der durch eine
solche Berichtigung ausgelösten und der ursprünglich
begründeten Steuerforderung ein enger Zusammenhang dergestalt
besteht, dass das Steuerrecht den Steueranspruch entstehen
lässt, bevor der eigentliche steuerliche Belastungsgrund
eingetreten ist bzw. unabänderlich feststeht, und zum
Ausgleich für die Vorverlagerung der Steuerschuldentstehung
dem Steuerpflichtigen einen
(„kompensatorischen“) Korrekturanspruch für
den Fall garantiert, dass der steuerliche Belastungsgrund nicht in
der von dem Steuergesetz vorausgesetzten Weise dauerhaft eintritt.
Dass das UStG in einem solchen Fall einen eigenständigen
Berichtigungsanspruch gewährt, statt entsprechend § 175
Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) eine rückwirkende
Änderung der Steuerfestsetzung zuzulassen, beruht allein auf
steuerverfahrensrechtlichen
Zweckmäßigkeitserwägungen und ändert an dem
vorstehend zum Wesen der Umsatzsteuerberichtigung dargestellten
Befund nichts.
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3. Die Rechtsprechung des Senats hat im
Schrifttum keinen oder nur zurückhaltenden Widerspruch
gefunden (vgl. etwa Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 95
Rz 19, m.N. auch zu kritischen Stellungnahmen;
Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 2.
Aufl. 2011, Rz 9.279; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 7.
Aufl., S. 92 ff.). Der für das Umsatzsteuerrecht
zuständige V. Senat des BFH ist ihr in neuerer Zeit jedoch
nicht gefolgt, sondern meint, jedenfalls für das
Festsetzungsverfahren sei § 38 InsO dahin auszulegen, dass
sich die „Begründung“ steuerlicher
Forderungen und damit die Abgrenzung zwischen
Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimme, ob
der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den
steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach
Insolvenzeröffnung „vollständig verwirklicht und
damit abgeschlossen“ ist; nicht maßgeblich sei
lediglich der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG
(BFH-Urteile in BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682 = SIS 09 13 24,
und zuletzt vom 8.3.2012 V R 24/11, BFHE 236, 274, BStBl II 2012,
466 = SIS 12 07 83). Auch der ebenfalls für Umsatzsteuer
zuständige XI. Senat des BFH scheint diesem Verständnis
zu folgen. Der I. Senat des BFH hat ein bedingtes Entstehen einer
Steuerforderung nur dann anerkennen wollen, wenn „der
anspruchsbegründende Tatbestand abgeschlossen ist und damit
ein gesicherter Rechtsgrund für das Entstehen der
Gegenforderung festgestellt werden kann“, so dass
„ohne weitere Rechtshandlung eines Beteiligten der
entsprechende Anspruch kraft Gesetzes entsteht“; das sei
nicht der Fall, wenn der Anspruch z.B. einen - bei
Verfahrenseröffnung noch nicht gefällten -
Gewinnausschüttungsbeschluss voraussetze (vgl. Urteil vom
23.2.2011 I R 20/10, BFHE 233, 114, BStBl II 2011, 822 = SIS 11 16 55).
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4. Der erkennende Senat hat all dies zum
Anlass genommen, seine Rechtsprechung zu überprüfen. Er
hält nicht länger an seiner Rechtsansicht fest, dass eine
aufgrund Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 UStG
entstehende steuerliche Forderung bereits mit Begründung der
zu berichtigenden Steuerforderung im insolvenzrechtlichen Sinne des
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet ist. Dafür ist vor
allem das Bestreben maßgeblich, die Einheitlichkeit der
Rechtsprechung zu wahren bzw. wiederherzustellen, womit es nur
schwer vereinbar wäre, wenn § 38 InsO im
umsatzsteuerlichen Festsetzungsverfahren anders ausgelegt und
angewendet würde als § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei der
Erhebung der Umsatzsteuer. Denn beide Vorschriften beruhen auf
demselben Rechtsgedanken: unter einem Vermögensanspruch, der
gegen das Finanzamt zur Zeit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründet war (§ 38 InsO), kann
unbeschadet der unterschiedlichen Wortwahl des Gesetzes nichts
anderes verstanden werden als etwas, was das Finanzamt nicht erst
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist
(§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Dass letztere Vorschrift vor allem
im Erhebungsverfahren zum Zuge kommt, nämlich bei einer
Aufrechnung, während erstere die Zuordnung von Ansprüchen
zu den Insolvenzforderungen - im Unterschied zu den
Masseverbindlichkeiten (§§ 53 bis 55 InsO) - betrifft,
die zumindest in erster Linie für das
Steuerfestsetzungsverfahren bedeutsam ist, ist insofern belanglos
und ändert an der rechtslogischen Notwendigkeit nichts, die
beiden vorgenannten Vorschriften gleich auszulegen.
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Für die Anwendung des § 96 Abs. 1
Nr. 1 InsO ist danach als entscheidend anzusehen, wann der
materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2
UStG verwirklicht wird, die in dieser Vorschrift aufgeführten
Tatbestandsvoraussetzungen also eintreten. Wird ein
Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht, insbesondere
etwa dadurch, dass der Unternehmer zahlungsunfähig wird (wie
es in der Regel ohne weiteres aus der Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens - außer in den Fällen des § 18
InsO - geschlossen werden kann), greift das Aufrechnungsverbot des
§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO allerdings auch dann nicht ein, wenn
der betreffende Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum erst
während des Insolvenzverfahrens endet und mithin die Steuer
i.S. des § 13 UStG erst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entsteht (vgl. BGH-Urteil vom 19.7.2007 IX ZR
81/06, NJW-RR 2008, 206). Auf den Zeitpunkt der Abgabe einer
Steueranmeldung oder des Erlasses eines Steuerbescheids, in dem der
Berichtigungsfall erfasst wird, kommt es in diesem Zusammenhang
selbstredend erst recht nicht an.
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5. Die Streitsache ist entscheidungsreif.
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Aufgrund der Steueranmeldungen des
Klägers, denen das FA zugestimmt hat, steht gemäß
§ 168 Satz 2 AO - wenn auch unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung - zwischen den Beteiligten fest, dass in den
Veranlagungszeiträumen 2002 und 2003 zugunsten der Schuldnerin
negative Umsatzsteuerbeträge zu berücksichtigen sind, die
den vom FA verrechneten Anspruch ausgelöst haben. Der für
dieses Verfahren - vorbehaltlich einer Änderung aufgrund des
Nachprüfungsvorbehalts - verbindlichen Rechtswirkung dieser
Festsetzungen steht nicht entgegen, dass bei Abgabe der
betreffenden Anmeldungen bereits das Insolvenzverfahren
eröffnet war und im Insolvenzverfahren grundsätzlich
keine Steuerfestsetzungen ergehen können, vielmehr die
Forderungen des FA nach den Vorschriften der InsO geltend zu
machen, nämlich zur Tabelle anzumelden, zu erörtern und
zur Tabelle mangels Widerspruchs gegen die Anmeldung oder aufgrund
eines Bescheids nach § 251 Abs. 3 AO festzustellen sind. Es
geht hier nämlich nicht um die Festsetzung einer Steuer zu
Lasten der Insolvenzmasse, sondern um die Berichtigung einer
Steuerfestsetzung mit dem Ziel einer Verringerung der (gegen den
Kläger) festgesetzten nachinsolvenzlichen Steuerschuld der
Schuldnerin. Dies kann durch Abgabe einer entsprechenden
Steuererklärung mit Festsetzungswirkung ebenso bewirkt werden,
wie im Insolvenzverfahren ein Erstattungsbescheid über
vorinsolvenzliche Umsatzsteuerguthaben ergehen könnte
(BFH-Urteil vom 13.5.2009 XI R 63/07, BFHE 225, 278, BStBl II 2010,
11 = SIS 09 25 61), weil eine solche Anmeldung nicht den Bestand
der Forderungen zu Lasten der Gläubigergemeinschaft
verändert, die in der eben geschilderten Weise Gegenstand des
insolvenzrechtlichen Prüfungsverfahrens sind.
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Im Übrigen ist weder zwischen den
Beteiligten streitig noch aus einem sonstigen Grund ernstlich
zweifelhaft und deshalb von Amts wegen
aufklärungsbedürftig, dass die vorgenannten
Berichtigungsbeträge der Höhe und der zeitlichen
Zuordnung nach zugunsten der Schuldnerin zu berücksichtigen
sind, die den Anmeldungen des Klägers zugrunde liegenden
Forderungen aus vorinsolvenzlichen Leistungsvereinbarungen also in
2002 bzw. 2003 uneinbringlich geworden sind. Der erkennende Senat
könnte deshalb diesen Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde
legen, ohne dass es einer Zurückverweisung der Sache an das FG
gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur weiteren
Sachaufklärung bedürfte. Angesichts der Rechtswirkung
vorgenannter Anmeldungen kann er jedoch die Rechtsfrage dahinstehen
lassen, ob die betreffenden angemeldeten (und auch entrichteten)
Umsatzsteuern aufgrund der Insolvenz der Schuldnerin bereits
früher, nämlich mit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über deren Vermögen zu berichtigen
gewesen wären. Für den Fall noch nicht entrichteter
Umsatzsteuer hat das BFH-Urteil in BFHE 232, 301, BStBl II 2011,
996 = SIS 11 11 55 erkannt, erbringe ein Unternehmer, über
dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird,
eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, ohne das hierfür
geschuldete Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt zu vereinnahmen, trete
mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der
wegfallenden Empfangszuständigkeit des Insolvenzschuldners
Uneinbringlichkeit der an ihn noch nicht entrichteten Entgelte ein.
Mithin werde der Tatbestand des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG
verwirklicht und die Umsatzsteuer sei in einer logischen Sekunde
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu berichtigen, um sie
bei Vereinnahmung des Entgelts durch den Verwalter erneut entstehen
lassen zu können.
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Es bedarf indes in dieser Entscheidung keiner
Stellungnahme des erkennenden Senats zu dieser Rechtsauffassung und
ihrer Konsequenz für Fälle wie den Streitfall, in dem die
auf die angeblich i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG
uneinbringlich gewordenen Entgelte zu entrichtende Umsatzsteuer bei
Insolvenzeröffnung bereits entrichtet war und bei einer
Berichtigung auf Null in dem Voranmeldungszeitraum Februar 2002
ggf. zu vergüten gewesen wäre. Auf einen derartigen,
bislang auch nicht festgesetzten Vergütungsanspruch
dürfte der angefochtene Bescheid im Übrigen ohnehin nicht
bezogen werden können.
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Ist demnach davon auszugehen, dass das FA die
von ihm verrechneten Berichtigungsbeträge erst 2002 bzw. 2003
i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO schuldig geworden ist, so sind
die angefochtenen Abrechnungsbescheide, welche die
diesbezüglich vom FA erklärte Aufrechnung als wirksam
bestätigt haben, rechtswidrig und folglich entsprechend dem
Antrag des Klägers zu ändern.
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6. Das FG hat den Abrechnungsbescheid vom
17.10.2006 als (Bestätigung einer) Aufrechnung (auch) mit
Umsatzsteuer November 2001 angesehen. Dazu weist der erkennende
Senat darauf hin, dass diese Steuerforderung nicht
streitgegenständlich ist - ebenso wenig wie die im Urteil des
FG erwähnte Umsatzsteuer Oktober 2001 -, nachdem die
angefochtenen Abrechnungsbescheide über diese Forderungen
nicht entscheiden, vielmehr ausschließlich die Aufrechnung
gegen Umsatzsteuer März, April und September 2001
betreffen.
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