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I. Mit rechtskräftigem Urteil des
Amtsgerichts (AG) F vom 4.6.2009 wurde der Kläger und
Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Steuerhinterziehung
betreffend die Jahre 1999 bis 2003 zu einer Geldstrafe verurteilt.
Durch Beschluss des AG A vom 5.12.2007 wurde das Insolvenzverfahren
über das Vermögen des Klägers eröffnet.
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Mit Schreiben vom 29.12.2009 meldete der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
Hinterziehungszinsen gemäß § 235 der Abgabenordnung
(AO) gemäß § 174 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO)
zur Insolvenztabelle an.
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Mit Bescheid vom 16.3.2010 stellte das FA
die vom Kläger bestrittenen Forderungen gemäß
§ 251 Abs. 3 AO als Forderungen aus vorsätzlich
begangener unerlaubter Handlung gemäß § 302 Nr. 1
InsO fest.
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Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren
durchgeführte Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG)
hob aus den in EFG 2011, 945 = SIS 11 10 96 veröffentlichten
Gründen den Feststellungsbescheid vom 16.3.2010 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 30.4.2010 auf.
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Mit seiner Revision wendet sich das FA
gegen die Rechtsauffassung des FG, wonach Hinterziehungszinsen
nicht als Forderungen aus einer vorsätzlich begangenen
unerlaubten Handlung i.S. des § 302 Nr. 1 InsO zur
Insolvenztabelle angemeldet werden können. Die Entscheidung
des FG stehe in Widerspruch zu den einschlägigen
Verwaltungsanweisungen. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen
sei unmittelbare Folge der Steuerhinterziehung. Deshalb nähmen
Hinterziehungszinsen - anders als die hinterzogenen Steuern - an
der Restschuldbefreiung nach § 286 InsO nicht teil. Dies sei
jedenfalls die Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur
Zulässigkeit von Aufrechnungen mit
Vorsteuerüberhängen, die in „kritischer Zeit“
vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ihren Entstehungsgrund
haben (Senatsurteil vom 2.11.2010 VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl
II 2011, 374 = SIS 11 01 56). Danach komme es entscheidend auf die
der Steuerforderung zugrunde liegende Rechtshandlung an und nicht
auf die steuerrechtliche Entstehung des Anspruchs. Da die
Hinterziehungszinsen auf einer Rechtshandlung des
Steuerpflichtigen, der Steuerhinterziehung, beruhten, müssten
sie von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sein.
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Der Kläger trägt vor:
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Aus der Senatsrechtsprechung, wonach
Steuerhinterziehung keine die Restschuldbefreiung
ausschließende vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung
i.S. des § 302 Nr. 1 InsO darstelle, und mangels eindeutiger
gesetzlicher Bestimmungen ergebe sich, dass dies auch für
Hinterziehungszinsen gelte.
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II. Die zulässige Revision ist
unbegründet. Das angefochtene Urteil entspricht Bundesrecht
(§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Das FG hat den Feststellungsbescheid zu
Recht aufgehoben. Der auf § 251 Abs. 3 AO gestützte
Bescheid ist rechtswidrig. Das FA war nicht berechtigt, auf den
gemäß § 184 Abs. 1 InsO erhobenen Widerspruch des
Klägers gegen die Anmeldung der Hinterziehungszinsen zur
Insolvenztabelle festzustellen, dass es sich bei den
Hinterziehungszinsen um Forderungen i.S. von § 174 Abs. 2,
§ 175 Abs. 2 InsO handelt.
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Nach dem Senatsurteil vom 19.8.2008 VII R 6/07
(BFHE 222, 199, BStBl II 2008, 947 = SIS 08 38 63) sind
hinterzogene Steuern keine Verbindlichkeiten aus einer
vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.
Steueransprüche, selbst wenn sie in Zusammenhang mit einer
Steuerhinterziehung entstanden sind, sind weder
Schadenersatzansprüche aus §§ 823 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuchs noch diesen oder Geldstrafen
vergleichbare Verbindlichkeiten. Eine erweiternde Auslegung
dahingehend, dass von § 302 Nr. 1 InsO von Gesetzes wegen
unerlaubte Handlungen allgemein und damit auch Steuerstraftaten
nach § 370 AO erfasst werden, hat der Senat nicht als geboten
angesehen. Dem lag die Erwägung zugrunde, dass Steuer- und
Haftungsansprüche eigenständige, dem öffentlichen
Recht zugehörige Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) sind, die sowohl
nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer
Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen
Deliktsansprüchen unterschiedlichen Regeln unterliegen
(Senatsurteil vom 24.10.1996 VII R 113/94, BFHE 181, 552, BStBl II
1997, 308 = SIS 97 10 80). Sie beruhen auf der Verwirklichung eines
steuerrechtlichen Tatbestandes, an den das Gesetz eine
Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO).
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Entgegen der Auffassung des FA gilt für
Hinterziehungszinsen nichts anderes. § 302 Nr. 1 InsO beruht
auf dem vollstreckungsrechtlichen Gedanken, dass der Schuldner,
gegen den Forderungen aus unerlaubten Handlungen bestehen, wegen
dieser Forderungen weniger schutzwürdig ist. Deshalb ist dem
Insolvenzschuldner für Forderungen aus unerlaubten Handlungen
die Restschuldbefreiung zu versagen. Ebenso wie der auf einer
Steuerhinterziehung beruhende Steueranspruch resultieren jedoch
auch die Hinterziehungszinsen nicht auf einer unerlaubten Handlung.
Sie entstehen nur, wenn die auf einem Steuertatbestand - und nicht
auf einer unerlaubten Handlung - beruhende Hauptforderung
entstanden ist. Ähnlich wie der in § 71 AO geregelte
Haftungsanspruch (vgl. Senatsurteil in BFHE 181, 552, BStBl II
1997, 308 = SIS 97 10 80) hängt der Zinsanspruch nach §
235 AO somit vom Entstehen des auf einer Steuerhinterziehung
beruhenden Steueranspruchs ab. Der Zinsanspruch knüpft damit
an die auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steuerschulden an,
die - wegen der Akzessorietät des Zinsanspruchs - entstanden
sein müssen. Dieses zusätzliche Erfordernis muss ein
bloßer Deliktsanspruch nicht erfüllen. Deshalb teilt die
Zinsforderung das Schicksal der Hauptforderung und kann nicht als
aus einer unerlaubten Handlung resultierender Anspruch angesehen
werden (so auch Schlie, Die Steuerhinterziehung als Fallstrick der
Restschuldbefreiung?, Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht 2006, 1126; a.A. App, Erleichterte Pfändung von
Arbeitseinkommen nach Steuerhinterziehung, DStZ 1984, 280).
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Nicht nachvollziehbar ist für den Senat
die Ansicht des FA, etwas anderes ergebe sich aus dem Senatsurteil
in BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374 = SIS 11 01 56. In dieser
Streitsache ging es um das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1
Nr. 3, § 129 InsO. Zu entscheiden war, ob die Aufrechnung des
FA mit einem steuer(verfahrens)rechtlich erst nach Eröffnung
des Insolvenzverfahrens entstandenen
Umsatzsteuererstattungsanspruch anfechtbar ist. Wenn der Senat die
die Anfechtbarkeit begründende Rechtshandlung bereits in der
Verwirklichung des Lebenssachverhalts sieht, der zur
Aufrechnungslage geführt hat, so betrifft das ein rein
anfechtungsrechtliches Problem. Das Anknüpfen an den
verwirklichten Lebenssachverhalt als entscheidendes Kriterium
für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals
„anfechtbare Rechtshandlung“ in § 96 Abs. 1
Nr. 3, § 129 InsO ist nicht auf das Merkmal
„Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen
unerlaubten Handlung“ in § 302 Nr. 1 InsO
übertragbar. Das Abstellen auf die die
Aufrechnungsmöglichkeit auslösende Rechtshandlung ohne
Rücksicht auf die Entstehung des zur Aufrechnung gestellten
Erstattungsanspruchs hat der Senat zur Vermeidung von
Gläubigerbenachteiligungen - dem mit dem Aufrechnungsverbot
nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 InsO verfolgten
insolvenzrechtlichen Ziel - für geboten erachtet. Eine
vergleichbare Zielrichtung ist der Regelung des § 302 Nr. 1
InsO nicht zu entnehmen. Als Ausnahme von der
schuldnerbegünstigenden Restschuldbefreiung kann sie vielmehr
nur dann greifen, wenn die von der Befreiung ausgenommene Schuld
unmittelbare Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung ist.
Demgegenüber zieht allein die Steuerhinterziehung weder die
Haftung bezüglich der hinterzogenen Steuern noch den Anspruch
auf Hinterziehungszinsen nach sich. Ein bestehender Steueranspruch
ist vielmehr - s.o. - unabdingbare Voraussetzung für den
jeweiligen Anspruch.
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2. Da sich die Rechtswidrigkeit des
angefochtenen Bescheids bereits aus der Einstufung der
festgestellten Forderungen als Verbindlichkeiten aus
vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ergibt, ist im
Streitfall keine abschließende Entscheidung darüber
veranlasst, ob ein Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO
ausschließlich auf eine solche Qualifikation gestützt
werden kann (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 222, 199, BStBl II
2008, 947 = SIS 08 38 63).
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Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass
Hinterziehungszinsen keine Geldstrafen sind (Klein/Rüsken, A0,
10. Aufl., § 235 Rz 1, m.w.N.) und auch nicht in eine der in
§ 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Kategorien passen.
Insbesondere sind sie keine der neben Geldstrafen, Geldbußen,
Ordnungsgelder und Zwangsgelder genannten Nebenfolgen einer
Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung
verpflichten.
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