1
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I. Streitig ist, ob der Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ein Anspruch auf
Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen
für die Streitjahre (1993 bis 1998) zusteht.
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Die Klägerin betrieb in den
Streitjahren eine Spielhalle und führte dort Umsätze
durch den Betrieb von Glücksspielautomaten mit
Gewinnmöglichkeit aus.
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In den Umsatzsteuerbescheiden für die
Streitjahre wurden diese Umsätze, den Steuererklärungen
der Klägerin folgend, vom Beklagten und Revisionsbeklagten
(Finanzamt - FA - ) als umsatzsteuerpflichtig behandelt.
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Mit Urteil vom 17.2.2005 entschied der
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache
Linneweber und Akritidis C-453/02 und C-462/02 (Slg. 2005, I-1131,
BFH/NV Beilage 2005, 94 = SIS 05 16 75), dass Art. 13 Teil B
Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) unmittelbare
Wirkung zukomme, so dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von
Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den
nationalen Gerichten auf die Steuerfreiheit dieser Umsätze
berufen könne. Bei Ergehen dieses Urteils lag für alle
Streitjahre bereits Festsetzungsverjährung nach den
Bestimmungen der Abgabenordnung (AO) vor. Die Einspruchsfrist
für die für die Streitjahre ergangenen
Umsatzsteuerjahresbescheide war bereits seit mehr als einem Jahr
abgelaufen.
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Mit Schreiben unter dem 13.4.2005 legte die
Klägerin Einspruch gegen die für die Streitjahre
ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen ein und machte die
Steuerfreiheit für die Umsätze mit Geldspielautomaten mit
Gewinnmöglichkeit geltend.
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6
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Das FA verwarf die Einsprüche wegen
Verfristung als unzulässig. Die hiergegen eingelegte Klage zum
Finanzgericht (FG) hat das FG aus den in EFG 2010, 364 = SIS 10 03 36 mitgeteilten Gründen abgewiesen.
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Hiergegen richtet sich die Revision. Die
Klägerin rügt die Verletzung materiellen Bundesrechts
sowie des Unionsrechts. Sie regt an, dem EuGH im Wege des
Vorabentscheidungsersuchens folgende Fragen vorzulegen:
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„1. Kann sich ein Steuerpflichtiger
gegenüber dem Finanzamt erfolgreich darauf berufen, dass die
Europarechtswidrigkeit einer steuergesetzlichen Norm des nationalen
Rechts durch den EuGH festgestellt worden ist, wenn nach nationalem
Recht die Vorschrift der Bestandskraft entgegenstünde?
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2. Gilt dies insbesondere dann, wenn die
Umsetzung einer Richtlinie fehlerhaft geschehen ist, sodass dem
Steuerpflichtigen nicht offenbart wurde, dass eine Abweichung des
Gemeinschaftsrechts vom nationalen Recht vorlag und der
Steuerpflichtige durch diese Unwissenheit nicht in der Lage war,
seine Rechte innerhalb der nationalen Frist geltend zu
machen?
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3. Ist es für die Zumutbarkeit eines
Rechtsbehelfs im Sinne der Entscheidung des EuGH vom 24.3.2009
C-445/06, Danske Slagterier von Relevanz, ob es sich um einen
Eingriff handelt, der sich für den Bürger als
ungewöhnlich oder selten darstellt, oder ob es sich um einen
Eingriff handelt, der bereits vor Inkrafttreten der betreffenden
verletzten Richtlinie durchgeführt wurde und auch bei anderen
Steuerpflichtigen durchgeführt wird, sodass der Bürger
keinen Anlass einer besonderen Prüfung erkennen kann, wie dies
bei der Umsatzsteuerveranlagung der Fall ist und wirkt sich dies
bejahendenfalls auf die Zumutbarkeit aus?
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4. Muss der Steuerpflichtige - entgegen der
Aussage in der Sache Emmott vom 25.7.1991 C-208/90 - die
Richtlinien der EG kennen, auf denen nationale Gesetze beruhen, die
für ihn anwendbar sind?
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5. Falls Frage 3 (gemeint: 4) zu bejahen
ist, stellt sich Frage 4 (gemeint: 5): Macht es für den Beginn
oder für die Länge der Rechtsmittelfrist einen
Unterschied, dass das nationale Recht voraussetzt, dass der
Bürger die nationalen Rechtsvorschriften zumindest kennen
muss, er die Vorschriften der EG-Richtlinien aber nicht kennen muss
und nicht kennt (Verstoß gegen den Grundsatz der
Effektivität)? Ist der kurze Lauf der Rechtsmittelfrist
deshalb im nationalen Recht angemessen, weil Kenntnis vorausgesetzt
wird? Bedeutet dies dann, dass beim Verstoß gegen
europarechtliche Richtlinien eine längere Frist oder mangels
anwendbarer Regelungen des nationalen Rechts gar keine Frist
läuft?
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6. Kann der Steuerpflichtige trotz
entgegenstehender Bestandskraft nach nationalem Recht
Rückzahlung der zu Unrecht vereinnahmten Steuer
verlangen?
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7. Unter welchen Voraussetzungen kann der
Steuerpflichtige eine entsprechende Rückzahlung
verlangen?“
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Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil
sowie die Einspruchsentscheidung vom 20.4.2007 aufzuheben und die
angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen 1993 bis 1998 in der Weise
zu ändern, dass die Umsätze aus Geldspielautomaten mit
Gewinnmöglichkeit steuerfrei belassen und damit im
Zusammenhang stehende Vorsteuern nicht berücksichtigt werden,
hilfsweise den Streitfall dem EuGH zur Vorabentscheidung
vorzulegen.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht sowohl die
Nichtigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen als auch
die Änderbarkeit der bestandskräftigen und
festsetzungsverjährten Bescheide für die Streitjahre
verneint.
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1. Die angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen
sind nicht nichtig.
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Gemäß § 125 Abs. 1 AO ist ein
Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders
schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger
Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände
offenkundig ist. Nach § 125 Abs. 2 AO ist ein Verwaltungsakt
z.B. nichtig, der die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen
lässt, den aus tatsächlichen Gründen niemand
befolgen kann, der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt
oder der gegen die guten Sitten verstößt.
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Im Streitfall liegt kein Nichtigkeitsgrund
vor. Ein Verwaltungsakt ist nicht allein deswegen nichtig, weil er
der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Betracht
kommenden Rechtsvorschriften - auch diejenigen des formellen Rechts
(Verfahrensrechts) - unrichtig angewendet worden sind. Der
erforderliche besonders schwere Fehler liegt nur vor, wenn er die
an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden
Anforderungen in einem so hohen und offenkundigen Maße
verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den
Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Diese Voraussetzungen
sind im Streitfall nicht erfüllt, da die Klägerin selbst
in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre die
streitigen Umsätze als steuerpflichtig angesehen hat und das
FA dem gefolgt ist.
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Darüber hinaus ist ein Verwaltungsakt
nicht allein deswegen nichtig, weil die in Betracht kommenden
Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden sind (Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13.5.1987 II R 140/84, BFHE 150, 70,
BStBl II 1987, 592 = SIS 87 18 48, und vom 26.9.2006 X R 21/04,
BFH/NV 2007, 186 = SIS 07 03 41). Für Verstöße
gegen Unionsrecht ergeben sich insoweit keine Besonderheiten (vgl.
EuGH-Urteil vom 6.10.2009 C-40/08, Asturcom Telecomunicationes SL,
Slg. 2009, I-9579, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht -
EWS - 2009, 475, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft -
EuZW - 2009, 852, unter Rdnr. 37; ebenso Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 17.1.2007 6 C 32/06, NVwZ
2007, 709). Die Gegenauffassung, nach der ein Verstoß gegen
das Unionsrecht stets einen „schweren“
Rechtsfehler begründen soll (vgl. de Weerth, DStR 2008, 1368,
1369 zu § 130 AO), lässt unberücksichtigt, dass
für einen unionsrechtswidrigen Bescheid keine andere
Behandlung geboten ist als für einen Bescheid, der auf einer
nicht verfassungskonformen Rechtsgrundlage beruht und dessen
Bestand hiervon unberührt bleibt (§ 79 Abs. 2 Satz 1 des
Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht; BFH-Urteile vom
28.6.2006 III R 13/06, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714 = SIS 06 38 92; vom 21.3.1996 XI R 36/95, BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399
= SIS 96 13 26).
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2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
Klägerin ihren Einspruch verspätet eingelegt hat.
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Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der
Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO) innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein Einspruch gegen
eine Steueranmeldung ist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2
AO innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der
Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 Satz 2 AO
innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung, zu
erheben.
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Die Klägerin hat mit Schreiben unter dem
13.4.2005 Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für
die Streitjahre (1993 bis 1998) erhoben. Nach den für den
Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war
zu diesem Zeitpunkt bereits für alle Streitjahre sowohl die
Monatsfrist als auch die - nach Auffassung der Klägerin wegen
fehlender Rechtsbehelfsbelehrung anwendbare - Jahresfrist für
die Einlegung eines Einspruchs abgelaufen. Dies ist im Übrigen
auch zwischen den Beteiligten unstreitig.
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3. Die Versäumung der Einspruchsfrist
durch die Klägerin ist nicht aufgrund der sog.
„Emmott´schen Fristenhemmung“
unbeachtlich.
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Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom
25.7.1991 C-208/90, Emmott, Slg. 1991, I-4269 = SIS 91 26 03 Rdnr.
23) kann sich ein säumiger Mitgliedstaat zwar bis zum
Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie
unter bestimmten Voraussetzungen nicht auf die verspätete
Einlegung einer Klage berufen (vgl. zuletzt EuGH-Urteil vom
24.3.2009 C-445/06, Danske Slagterier, Slg. 2009, I-2119 = SIS 09 14 98 Rdnrn. 53 f.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht
uneingeschränkt, sondern setzt das Vorliegen besonderer
Umstände voraus, die sich in der Rechtssache Emmott daraus
ergaben, dass ein Bürger eines Mitgliedstaates von dessen
Behörden zunächst von der rechtzeitigen Einlegung einer
Klage abgehalten und ihm später der Einwand der
verspäteten Klageerhebung entgegen gehalten wurde (EuGH-Urteil
Danske Slagterier in Slg. 2009, I-2119 Rdnr. 54). Eine derartige
Fallgestaltung ist im Streitfall nicht gegeben, da die
Klägerin nicht daran gehindert war, innerhalb der allgemeinen
Fristen ihre Umsatzsteuerfestsetzungen anzufechten (vgl.
BFH-Entscheidungen vom 23.11.2006 V R 67/05, BFHE 216, 357, BStBl
II 2007, 436 = SIS 07 06 42; vom 23.11.2006 V R 51/05, BFHE 216,
350, BStBl II 2007, 433 = SIS 07 06 40; vom 9.10.2008 V R 45/06,
BFH/NV 2009, 39 = SIS 08 43 80; BFH-Urteile in BFHE 179, 563, BStBl
II 1996, 399 = SIS 96 13 26; vom 15.9.2004 I R 83/04, BFH/NV 2005,
229 = SIS 05 07 91).
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27
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4. Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist nach dem Unionsrecht weder die Dauer der Einspruchsfrist zu
beanstanden, noch besteht eine Anlaufhemmung bis zu dem Zeitpunkt,
zu dem sie Kenntnis von der EuGH-Entscheidung Linneweber und
Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 erlangt
hat. Das FA war auch nicht verpflichtet, ihr die Wiedereinsetzung
in die versäumte Einspruchsfrist zu gewähren.
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a) Die Dauer der Einspruchsfrist nach §
355 AO verstößt weder gegen die unionsrechtlichen
Vorgaben des Äquivalenz- noch des Effektivitätsprinzips,
da nach dem EuGH-Urteil vom 19.9.2006 C-392/04 und C-422/04, I-21
Germany und Arcor (Slg. 2006, I-8559 = SIS 06 47 54 Rdnrn. 59, 60
und 62) eine einmonatige Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs
angemessen ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der
Senat auf sein Urteil in BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436 = SIS 07 06 42.
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b) Die Einspruchsfrist beginnt - trotz der
fehlerhaften Umsetzung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie
77/388/EWG in nationales Recht - mit Bekanntgabe des
Steuerbescheids und nicht erst zu dem Zeitpunkt, in dem die
Klägerin Kenntnis von der EuGH-Entscheidung Linneweber und
Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 erlangen
konnte.
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30
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Das Unionsrecht verlangt auf Grundlage der aus
Art. 10 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaften (EG) abgeleiteten Prinzipien der Effektivität
und der Äquivalenz (zum Grundsatz der Zusammenarbeit vgl.
EuGH-Urteil vom 8.9.2010 C-409/06, Winner Wetten, juris, unter
Rdnrn. 55, 58) nur, dass die Mitgliedstaaten die
verfahrensrechtlichen Fristen, die zur Durchsetzung des
Unionsrechts einzuhalten sind, nicht ungünstiger ausgestalten
als in den nur das innerstaatliche Recht betreffenden Verfahren.
Weiter darf es nicht praktisch unmöglich sein, eine auf das
Unionsrecht gestützte Rechtsposition geltend zu machen. Danach
sind Verwaltungsakte, die nach Ablauf einer angemessenen Frist
nicht mehr anfechtbar sind, selbst wenn sie gegen das Unionsrecht
verstoßen, für die Beteiligten bindend (vgl.
EuGH-Entscheidungen vom 13.1.2004 C-453/00, Kühne & Heitz,
Slg. 2004, I-837 = SIS 04 10 32, unter Rdnr. 24; I-21 Germany und
Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnr. 51).
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31
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Die Klägerin beansprucht
demgegenüber für sich eine Besserstellung gegenüber
den Steuerpflichtigen, die sich auf eine Rechtsposition des
innerstaatlichen Rechts berufen können, diese aber nicht
kennen und sich nach Ablauf der Einspruchsfrist in § 355 Abs.
1 AO die formelle Bestandskraft der Steuerfestsetzung
entgegenhalten lassen müssen.
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32
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Die von der Klägerin für
maßgeblich gehaltenen Umstände, dass die Richtlinie
77/388/EWG sich an die Mitgliedstaaten und nicht unmittelbar an den
Bürger als Adressaten wende und es bis zum EuGH-Urteil
Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005,
94 nicht vorhersehbar gewesen sei, dass Art. 13 Teil B Buchst. f
der Richtlinie 77/388/EWG unmittelbar Anwendung finden könne,
rechtfertigt entgegen ihrer Auffassung nicht den Schluss, dass es
„praktisch unmöglich“ war, diese
Rechtsposition im Rahmen der „normalen“
Einspruchsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO
durchzusetzen. Denn es kommt nicht darauf an, ob eine nach Erlass
eines Bescheids eintretende günstige Rechtsentwicklung auf
einer günstigen Richtlinienauslegung durch den EuGH oder auf
einer anderen Grundlage beruht. Ein Steuerpflichtiger, der mit
Rücksicht auf die herrschende Rechtsauffassung zum Zeitpunkt
des Bescheiderlasses von einer Klage abgesehen und es unterlassen
hat, die Gerichte selbst von einem Verstoß der
Steuerfestsetzung gegen das Unionsrecht zu überzeugen, nimmt
den Eintritt der Bestandskraft - auch für den Fall eines
späteren Rechtsprechungswandels - bewusst in Kauf (vgl.
bereits Senatsurteil vom 29.5.2008 V R 45/06, BFH/NV 2008, 1889 =
SIS 08 38 41, unter II.3.b; s. auch weiter unten bei II.5.c bb).
Die Rechtsverfolgung innerhalb der allgemeinen gesetzlichen Fristen
ist daher auch bei Fragen des Unionsrechts möglich und
zumutbar (BFH-Urteil in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433 = SIS 07 06 40, unter II.3.).
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33
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c) Das FG hat weiter zutreffend entschieden,
dass der Klägerin keine Wiedereinsetzung in die versäumte
Einspruchsfrist gemäß § 110 AO zu gewähren
war.
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34
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Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass
im Zeitpunkt des Einspruchs mit Schreiben unter dem 13.4.2005, den
das FG zugleich als Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß
§ 110 Abs. 1 AO behandelte, mehr als ein Jahr seit dem Ende
der versäumten Einspruchsfrist verstrichen war. Das FG hat
eine Wiedereinsetzung - sowohl auf Antrag der Klägerin als
auch von Amts wegen - daher zutreffend bereits im Hinblick auf die
gemäß § 110 Abs. 3 AO einzuhaltende Jahresfrist
verneint.
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35
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Der Auffassung der Klägerin, die
Jahresfrist sei unbeachtlich, da sie bis zum EuGH–Urteil
Linneweber und Akritidis in Slg. 2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005,
94 weder habe wissen können noch müssen, dass die
Steuerbefreiung gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der
Richtlinie 77/388/EWG unmittelbar zu ihren Gunsten anwendbar sei,
schließt sich der Senat nicht an. Die Klägerin kann sich
insoweit nicht auf das BFH-Urteil vom 8.2.2001 VII R 59/99 (BFHE
194, 466, BStBl II 2001, 506 = SIS 01 09 18) berufen. Diese
Entscheidung betraf die Wiedereinsetzung in die prozessuale
Antragsfrist gemäß § 68 FGO a.F. Für den
Streitfall, in dem es die Klägerin von vornherein unterlassen
hat, Rechtsbehelfe gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen einzulegen,
lässt sich hieraus nichts ableiten.
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36
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Die Klägerin beansprucht vielmehr (vgl.
bereits oben unter II.4.b) eine verfahrensrechtliche Besserstellung
gegenüber den sich aus dem nationalen Recht ergebenden
Rechten, um die auf der Richtlinie 77/388/EWG beruhende
Steuerbefreiung durchzusetzen. Das Unionsrecht gebietet es jedoch
nicht, die Klägerin verfahrensrechtlich besserzustellen (vgl.
oben II.4.a zur Einspruchsfrist und die Senatsentscheidung in BFHE
216, 350, BStBl II 2007, 433 = SIS 07 06 40, unter II.3.;
EuGH-Urteil Asturcom Telecomunicationes SL in Slg. 2009, I-9579,
EWS 2009, 475, EuZW 2009, 852, unter Rdnr. 37).
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37
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5. Die Klägerin kann auch keine
Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen
beanspruchen.
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a) Es ist unionsrechtlich grundsätzlich
nicht erforderlich, eine Verwaltungsentscheidung
zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder nach
Erschöpfen des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist
oder durch ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil
bestätigt wurde (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl.
Urteile Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837, unter Rdnr. 24;
I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter Rdnr. 51).
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39
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b) Zu beachten ist allerdings, dass die
für den Erlass einer Verwaltungsentscheidung zuständige
Behörde nach dem (für die Streitjahre noch) in Art. 10 EG
verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit unter bestimmten
Voraussetzungen verpflichtet sein kann, ihre Entscheidung zu
überprüfen und zurückzunehmen (EuGH-Urteile
Kühne & Heitz in Slg. 2004, I-837, unter Rdnr. 28; vom
16.3.2006 C-234/04, Kapferer, Slg. 2006, I-2585 = SIS 06 16 40,
unter Rdnr. 23; I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter
Rdnr. 52; vom 12.2.2008 C-2/06, Kempter, Slg. 2008, I-411 = SIS 08 14 91, unter Rdnrn. 37 bis 39; vom 3.9.2009 C-2/08, Olimpiclub,
Slg. 2009, I-7501, EuZW 2009, 739 = SIS 09 33 25, unter Rdnrn. 23
ff.; Asturcom Telecomunicationes SL in Slg. 2009, I-9579, EWS 2009,
475, EuZW 2009, 852, unter Rdnr. 37).
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40
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Für diesen Überprüfungs- und
Aufhebungsanspruch müssen nach der Rechtsprechung des EuGH
vier „Voraussetzungen“ vorliegen:
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- Erstens muss die Behörde nach
nationalem Recht befugt sein, die bestandskräftige
Entscheidung zurückzunehmen. - Zweitens muss die Entscheidung
infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden
nationalen Gerichts gegenüber dem die Änderung
begehrenden Steuerpflichtigen bestandskräftig geworden sein. -
Drittens muss das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene
Entscheidung des EuGH zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des
Gemeinschaftsrechts beruhen, die erfolgt ist, ohne dass der EuGH um
Vorabentscheidung ersucht worden ist, obwohl die Voraussetzungen
einer Vorlage gemäß Art. 234 Abs. 3 EG (nunmehr Art. 267
des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
- AEUV - ) erfüllt waren. - Viertens muss der Betroffene sich,
unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des
EuGH erlangt habe, an die Verwaltungsbehörde gewandt
haben.
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42
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c) Bereits die erste Voraussetzung, nach der
eine nationale Behörde zur Aufhebung oder Änderung eines
rechtswidrigen bestandskräftigen Steuerbescheids
„befugt“ sein muss, ist im Streitfall nicht
erfüllt.
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43
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aa) Steuerbescheide i.S. des § 155 AO
können bei nachträglich erkannter Unionsrechtswidrigkeit
- wie auch bei einem nachträglich erkannten Verstoß
gegen innerstaatliches Recht - auf Grundlage der
„Kühne & Heitz-Grundsätze“ und den
§§ 172 ff. AO nicht geändert werden, da es im
steuerrechtlichen Verfahrensrecht an der hierzu erforderlichen
Befugnis fehlt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 216, 357, BStBl II 2007,
436 = SIS 07 06 42; vom 23.11.2006 V R 28/05, BFH/NV 2007, 872 =
SIS 07 61 46; in BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399 = SIS 96 13 26;
vom 8.7.2009 XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1 = SIS 09 36 88; zustimmend
Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 130 Rz 32 f. und §
172 Rz 4 a; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO vor
§§ 172 bis 177 Rz 41.1; de Weerth, DB 2009, 2677; Tehler
in Festschrift für Reiss 2008, 81, 94; Leonard/ Sczcekalla, UR
2005, 420, 426 ff.; Birk/Jahndorf, UR 2005, 198, 199 f.; Gosch,
DStR 2005, 413 ff., DStR 2004, 1988, 1991).
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44
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Nach der ständigen Rechtsprechung des
EuGH (Urteile Kapferer in Slg. 2006, I-2585, unter Rdnrn. 22 und
23; Asturcom Telecomunicationes SL in Slg. 2009, I-9579, EWS 2009,
475, EuZW 2009, 852, unter Rdnrn. 37 f.), der der Senat folgt,
setzt der auf den „Kühne &
Heitz-Grundsätzen“ beruhende Anspruch auf
Überprüfung oder Änderung rechtskräftiger
Entscheidungen voraus, dass das nationale Verfahrensrecht
hierfür eine Rechtsgrundlage vorsieht und insoweit das
Äquivalenz- sowie das Effektivitätsprinzip beachtet
werden. Hiermit stellt der EuGH klar, dass das Unionsrecht weder
verlangt, im nationalen Verfahrensrecht einen entsprechenden
Überprüfungs- oder Änderungsanspruch für
bestandskräftige unionsrechtswidrige Verwaltungsakte
vorzusehen, noch, dass aus dem Unionsrecht ein eigenständiger
(vom nationalen Recht losgelöster) Überprüfungs- und
Änderungsanspruch abgeleitet werden kann (unzutreffend daher
Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559, 2563; Meilicke, DStR 2007, 1892,
1893; ders., BB 2004, 1087; Schacht/Steffens, BB 2008, 1254,
1257).
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bb) Die fehlende
Änderungsmöglichkeit für bestandskräftige
unionsrechtswidrige Steuerbescheide in den §§ 172 ff. AO
verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht
gegen den unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz.
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46
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Im Streitfall kann offen bleiben, ob auf
Grundlage der „Kühne &
Heitz-Grundsätze“ im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO
bei unionsrechtswidrigen Steuerverwaltungsakten (§ 118 AO)
eine Ermessensreduzierung eintreten und ein Überprüfungs-
oder Änderungsanspruch bei bestandskräftigen
Steuerverwaltungsakten bestehen kann (so Wernsmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 130 AO Rz 22 ff.;
Jahndorf/Oellerich, DB 2008, 2559, 2564). Selbst wenn dies
zutreffen sollte, verletzt die abweichende Rechtslage bei
Steuerbescheiden (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO)
nicht das Äquivalenzprinzip. Der nach nationalem Recht
bestehende Dualismus der abgabenrechtlichen Korrekturvorschriften
mit voneinander unabhängigen Regelungssystemen - §§
130, 131 AO einerseits und §§ 172 ff. AO andererseits -
ist ein Grundprinzip des steuerrechtlichen Verfahrensrechts (vgl.
Wernsmann in HHSp, vor §§ 130 bis 133 AO Rz 43, 114 ff.;
Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung,
Vorbemerkungen zu §§ 172 bis 177 AO Rz 6; von
Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO vor §§ 130 bis 133
AO Rz 8; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 172 Rz 1;
Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., vor §§
172 bis 177 Rz 5). Dem Äquivalenzprinzip wird genügt,
wenn innerhalb der verfahrensrechtlich jeweils eigenständigen
Änderungsregelungen für rechtswidrige
bestandskräftige Steuerverwaltungsakte einerseits und für
Steuerbescheide andererseits dieselben
Änderungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der sich aus dem
nationalem Recht und dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche
bestehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Asturcom Telecomunicationes SL,
Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, EuZW 2009, 852, unter Rdnrn. 49
f.). Dies ist vorliegend der Fall, da Verstöße gegen
innerstaatliches Recht und das Unionsrecht innerhalb der beiden
Änderungssysteme jeweils gleich behandelt werden.
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cc) Ferner verstößt die fehlende
nachträgliche Änderungsmöglichkeit für
unionsrechtswidrige Steuerbescheide nicht gegen das
Effektivitätsprinzip.
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Der Grundsatz der Effektivität ist
entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht verletzt,
wenn der Steuerpflichtige eine Steuerfestsetzung des FA
bestandskräftig werden lässt, weil eine künftige
Rechtsprechungsänderung des EuGH oder BFH zu seinen Gunsten
nicht absehbar ist (Senatsurteil in BFH/NV 2008, 1889 = SIS 08 38 41, unter II.1.d). Denn durch das Rechtsinstitut der Bestandskraft
bezweckt der Gesetzgeber den Eintritt der Rechtssicherheit und des
Rechtsfriedens. Dieser Zweck würde vereitelt, wenn die
Bestandskraft nachträglich durchbrochen werden könnte und
dies von der regelmäßig schwierig zu beurteilenden
Vorhersehbarkeit einer Rechtsprechungsänderung des EuGH oder
des BFH abhängig gemacht würde. Es ist - wie bereits
unter II.4.b erläutert - Sache des Steuerpflichtigen, unter
Übernahme des Kostenrisikos seine Chance zur
Herbeiführung der Korrektur einer entgegenstehenden
Rechtsprechung zu wahren, indem er Rechtsmittel einlegt
(Senatsurteil in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433 = SIS 07 06 40).
Sieht der Steuerpflichtige hiervon ab, nimmt er den Eintritt der
Bestandskraft auch für den Fall einer späteren
Rechtsprechungsänderung bewusst in Kauf.
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Dass nach den von der Klägerin
angeführten zivilrechtlichen Entscheidungen eine Haftung von
Steuerberatern bis zum EuGH-Urteil Linneweber und Akritidis in Slg.
2005, I-1131, BFH/NV Beilage 2005, 94 mangels Verschuldens nicht in
Betracht kommen kann, wenn diese auf die Steuerfreiheit der
Umsätze nicht hingewiesen hatten, ist in diesem Zusammenhang
unerheblich. Der Effektivitätsgrundsatz garantiert - anders
als die Klägerin meint - nur eine gerichtliche
Rechtsschutzmöglichkeit in angemessener Frist. Er betrifft das
Verfahren, nicht aber die Frage, ob es in der Sache schwierig ist,
eine günstige Rechtsentwicklung vorherzusehen und
durchzusetzen. Der EuGH hat die deutschen Einspruchs- und
Klagefristen und damit die nationalen verfahrensrechtlichen
Regelungen zur Durchsetzung des Unionsrechts nicht beanstandet
(EuGH-Urteil I-21 Germany und Arcor in Slg. 2006, I-8559, unter
Rdnrn. 58 bis 60; vgl. auch unter II.4.a und b).
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dd) Aus dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4.9.2008 2 BvR 1321/07 (DStR
Entscheidungsdienst 2009, 60 = SIS 10 02 73) ergibt sich ebenfalls
nichts anderes. Zwar hat das BVerfG dort ausgeführt, der EuGH
habe die Fragen zur Durchbrechung der Bestandskraft
unionsrechtswidriger belastender Verwaltungsakte der
Mitgliedstaaten noch nicht erschöpfend beantwortet und es sei
unklar, welche Bedeutung der vom EuGH in der „Kühne
und Heitz-Entscheidung“ aufgestellten Voraussetzung
zukomme, die Behörde müsse nach nationalem Recht befugt
sein, die Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Die vom
BVerfG hierzu zitierten Schrifttumsauffassungen beziehen sich aber
zu Recht ausschließlich auf die - für Steuerbescheide
nicht maßgeblichen - §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 51 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), die für rechtswidrige
unanfechtbare Verwaltungsakte im allgemeinen Verwaltungsrecht wie
in § 130 Abs. 1 AO - anders als die §§ 172 ff. AO -
unter bestimmten Voraussetzungen eine ermessensgebundene
Überprüfungs- und Änderungspflicht vorsehen (vgl. im
Hinblick auf unionsrechtswidrige Verwaltungsakte zu den
§§ 48, 51 VwVfG BVerwG-Urteile vom 22.10.2009 1 C 26/08,
Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 2010, 261; vom 17.1.2007 6 C
32/06, NVwZ 2007, 709).
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d) Die zweite Voraussetzung der
„Kühne & Heitz-Rechtsprechung“ liegt
ebenfalls nicht vor. Die Klägerin hat - wie sie selbst
einräumt - gegen die bestandskräftigen
Umsatzsteuerfestsetzungen nicht die ihr zur Verfügung
stehenden Rechtsbehelfe (vgl. EuGH-Urteil I-21 Germany und Arcor in
Slg. 2006, I-8559, unter Rdnrn. 53 f.) ausgeschöpft (vgl. zu
diesem Erfordernis BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 229 = SIS 05 07 91;
Kanitz/Wendel, Europäische Zeitschrift für
Wirtschaftsrecht 2008, 231, 232; Ludwigs, DVBl 2008, 1164, 1170;
Müller/Seer, Internationale Wirtschaftsbriefe Fach 11, Gruppe
2, 865, 875; Rennert, DVBl 2007, 400, 408; Ruffert, Juristenzeitung
2007, 407, 409). Die Gegenauffassung von Meilicke (DStR 2007, 1892,
1893; ders., BB 2004, 1087 ff., und Schacht/Steffens, BB 2008,
1254, 1255), nach der die Rechtslage hinsichtlich dieser
Voraussetzung nicht abschließend geklärt sein soll,
vermag nicht zu begründen, warum und in welcher Hinsicht nach
den Ausführungen des EuGH im Urteil I-21 Germany & Arcor
in Slg. 2006, I-8559 noch Klärungsbedarf besteht.
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Der EuGH hat auch nicht, wie die Klägerin
behauptet, im Urteil Danske Slagterier in Slg. 2009, I-2119 von
dieser Voraussetzung Abstand genommen, sondern dort lediglich im
Bezug auf den unionsrechtlichen Entschädigungs- und
Staatshaftungsanspruch entschieden, es sei nicht in jedem Fall
zwingend erforderlich, dass der Geschädigte zuvor im Wege des
Primärrechtsschutzes gegen das zum Schaden führende
legislative oder judikative Unrecht vorgehe (vgl. auch EuGH-Urteil
vom 26.1.2010 C-118/08, Transportes Urbanos y Servicios Generales,
BFH/NV Beilage 2010, 578 = SIS 10 14 91, unter Rdnr. 48). Für
die im „Kühne & Heitz-Urteil“
definierten Korrekturvoraussetzungen bei rechtswidrigen
bestandskräftigen Verwaltungsakten folgt hieraus nichts.
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6. Im Streitfall sind die von der
Klägerin aufgeworfenen Vorlagefragen 6 und 7 zu den
Voraussetzungen des unionsrechtlichen Entschädigungsanspruchs
nicht entscheidungserheblich, da sie im vorliegenden Verfahren nur
die Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen,
nicht aber auch einen Erlass der Steuer begehrt.
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a) Das Recht auf Erstattung von Abgaben, die
ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben
hat, stellt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH eine
Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die den Einzelnen aus
dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH erwachsen. Es
besteht ein Entschädigungs- oder Staatshaftungsanspruch, wenn
ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des
Unionsrechts Steuern erhoben hat, oder ein Anspruch auf Erstattung
der zu Unrecht erhobenen Steuer und der Beträge, die in
unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat
gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Voraussetzung ist,
dass die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu
verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und
zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende
Verpflichtung und dem den Betroffenen entstandenen Schaden ein
unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vgl. EuGH-Urteile vom
12.12.2006 C-446/04, Test Claimants in the FII Group Litigation,
Slg. 2006, I-11753 = SIS 07 03 03; vom 13.3.2007 C-524/04, Test
Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2107 = SIS 07 10 19, unter Rdnrn. 110, 111; vom 23.4.2008 C-201/05, Test
Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, Slg. 2008,
I-2875 = SIS 08 32 62; in Transportes Urbanos y Servicios Generales
in BFH/NV Beilage 2010, 578, unter Rdnrn. 29 ff.).
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b) Der Senat hat bereits mehrfach entschieden,
dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eines unionsrechtlichen
Entschädigungsanspruchs nur ein Erlass der Steuer
gemäß § 227 AO in Betracht kommt (vgl.
BFH-Entscheidungen vom 13.1.2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II
2005, 460 = SIS 05 17 27; in BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433 =
SIS 07 06 40; in BFH/NV 2008, 1889 = SIS 08 38 41; vom 5.6.2009 V B
52/08, BFH/NV 2009, 1593 = SIS 09 29 19). Mangels einer
Unionsregelung über die Erstattung zu Unrecht erhobener
inländischer Abgaben ist es Aufgabe des innerstaatlichen
Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, insoweit die
Verfahrensmodalitäten zu regeln (vgl. das EuGH-Urteil Test
Claimants in the FII Group Litigation in Slg. 2006, I-11753, unter
Rdnr. 203).
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7. Der Senat folgt im Übrigen nicht der
Anregung der Klägerin, gemäß Art. 267 AEUV eine
Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Die von der Klägerin
aufgeworfenen Fragen zu den Voraussetzungen, unter denen eine
Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide auf Grundlage der
„Kühne & Heitz-Rechtsprechung“ des EuGH
in Betracht kommt, sowie zu Beginn und Dauer der Einspruchs- und
Wiedereinsetzungsfrist bei nicht zutreffender Umsetzung einer
Richtlinienbestimmung sind - wie dargelegt - nach Auffassung des
Senats bereits geklärt (vgl. unter II.5.). Unter diesen
Umständen besteht für den Senat keine Vorlagepflicht
(vgl. zu den Voraussetzungen EuGH-Urteile vom 6.10.1982 Rs. 283/81,
Cilfit u.a., Slg. 1982, 3415, unter Rdnr. 21; vom 6.12.2005
C-461/03, Gaston Schul, Slg. 2005, I-10513 = SIS 06 10 97; vom
15.9.2005 C-495/03, Intermodal Transports, Slg. 2005, I-8151 = SIS 05 46 18).
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8. Es kommt schließlich keine Aussetzung
des Verfahrens und Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) an das BVerfG in Betracht. Die unter II.5.
dargelegten möglicherweise unterschiedlichen Rechtsfolgen
für die Aufheb- und Änderbarkeit von
bestandskräftigen Steuerverwaltungsakten i.S. des § 118
AO und von Steuerbescheiden gemäß § 155 AO, wenn
nachträglich deren Unionsrechtswidrigkeit festgestellt wird,
führen wegen des Dualismus der Korrektursysteme in
§§ 130 ff. AO und §§ 172 ff. AO nicht zu einer
verfassungswidrigen Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1
GG.
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