Arbeitnehmer-Abfindung, DBA-Schweiz, Verständigungsvereinbarung, überdachende Besteuerung: 1. Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht für eine Abfindungszahlung, die eine zuvor in Deutschland wohnende Person nach ihrem Wegzug in die Schweiz von ihrem bisherigen inländischen Arbeitgeber aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses erhält (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). - 2. Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und Schweizer Steuerbehörden (Verständigungsvereinbarung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der Frage des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer, bekannt gegeben durch BMF-Schreiben vom 13.10.1992, RIW 1993 S. 82) nach Maßgabe von Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 bindet die Gerichte nicht (ebenfalls Bestätigung der ständigen Rechtsprechung; entgegen BMF-Schreiben vom 20.5.1997, BStBl 1997 I S. 560 = SIS 97 14 92). - 3. Die Besteuerung der Abfindung nach der sog. überdachenden Besteuerung gemäß Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 scheidet aus, wenn der Zuzug der zuvor in Deutschland wohnenden Person in die Schweiz erfolgte, um dort eine unselbständige Tätigkeit auszuüben; daneben bestehende anderweitige Beweggründe für den Zuzug (beabsichtigte Eheschließung mit einer in der Schweiz ansässigen Person und Begründung eines gemeinsamen Hausstands) sind unschädlich. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 13.4.2010, IV B 3 - S 1301/10/10003, BStBl 2010 I S. 353 = SIS 10 09 11) - Urt.; BFH 2.9.2009, I R 111/08; SIS 09 33 01
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine italienische Staatsangehörige, war bis
zum 23.12.2005 in Deutschland ansässig. Seit 20.11.2004 war
sie Arbeitnehmerin der Beigeladenen, eines inländischen
Unternehmens. Das Arbeitsverhältnis sollte ursprünglich
bis zum 16.1.2009 dauern. Es endete jedoch bereits am 4.11.2005,
nachdem die Klägerin ihren Dienstvertrag gegen Zahlung einer
Abfindung durch die Beigeladene gekündigt hatte.
Am 29.7.2006 beantragte die Klägerin
im Hinblick auf die zu erwartende Abfindungszahlung deren
Freistellung vom Lohnsteuerabzug gemäß § 39b Abs. 6
des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) i.V.m. Art. 15 Abs. 1 des
Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 11.8.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519)
- DBA-Schweiz 1971 - . Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) lehnte dies unter Hinweis auf das Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20.5.1997 (BStBl I 1997,
560 = SIS 97 14 92) i.V.m. dessen - zwischenzeitlich aufgehobenen
(vgl. BMF-Schreiben vom 29.3.2007, BStBl I 2007, 369 = SIS 07 11 11) - Schreiben vom 13.10.1992 (RIW 1993, 82 = SIS 93 04 86) und
die darin bekannt gegebene Verständigungsvereinbarung
gemäß Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 mit der
Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der Frage des
Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer ab; der
Ablehnungsbescheid wurde bestandskräftig.
Die Beigeladene zahlte die Abfindung im
September 2006 (streitgegenständlicher Besteuerungszeitraum)
aus, behielt darauf Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag ein
und meldete die Steuerbeträge (am 9.10.2006) beim FA an. Der -
nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom
12.10.2007) - dagegen gerichteten Klage der Klägerin gab das
Finanzgericht (FG) München durch Urteil vom 24.10.2008 8 K
3902/07 statt; das Urteil ist in EFG 2009, 228 = SIS 09 03 85
abgedruckt.
Das FA stützt seine Revision auf
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat sich nicht
geäußert und keine Anträge gestellt. Das dem
Revisionsverfahren beigetretene BMF hat ebenfalls keine
Anträge gestellt, sich in der Sache aber dem FA
angeschlossen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG
hat die Klage der Klägerin (als sog. Drittbetroffene) gegen
die Lohnsteueranmeldung der Beigeladenen für den
streitgegenständlichen Zeitraum (vgl. § 41a EStG 2002,
§ 167 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung) zu Recht als
zulässig (vgl. Senatsurteil vom 12.10.1995 I R 39/95, BFHE
179, 91, BStBl II 1996, 87 = SIS 96 03 44; Bundesfinanzhof - BFH -,
Urteile vom 20.7.2005 VI R 165/01, BFHE 209, 571, BStBl II 2005,
890 = SIS 05 37 93, und vom 5.10.2005 VI R 152/01, BFHE 211, 249,
BStBl II 2006, 94 = SIS 06 14 74) und begründet angesehen.
1. Die Klägerin war mit ihren
inländischen Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 2002 (i.d.F. des
Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften -
Steueränderungsgesetz 2003 [StÄndG 2003] - vom
15.12.2003, BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) beschränkt
steuerpflichtig. Zu diesen Einkünften gehört
gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F.
des Steueränderungsgesetzes 2003 auch die in Rede stehende
Abfindung. Denn diese wurde nach den bindenden tatrichterlichen
Feststellungen als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG
2002 für die Auflösung eines Dienstverhältnisses
gezahlt, und die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit
bezogenen Einkünfte haben der inländischen Besteuerung
unterlegen. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst.
d EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 sind damit
erfüllt. Das ist unter den Beteiligten auch nicht (mehr)
streitig.
2. Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht
zustehende Besteuerungsrecht für die Abfindung wurde durch das
DBA-Schweiz 1971 beschränkt; das Besteuerungsrecht steht nach
Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 der Schweiz als dem (nunmehrigen)
Wohnsitzstaat der Klägerin zu.
a) Art. 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2
DBA-Schweiz 1971 bestimmt, dass Gehälter, Löhne und
ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat
ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur
in diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, dass die
Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die
Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen
Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat (z.B.
Urteile vom 24.2.1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819
= SIS 88 11 58; vom 27.8.2008 I R 81/07, BFHE 222, 560, BStBl II
2009, 632 = SIS 08 44 46; vom 10.7.1996 I R 83/95, BFHE 181, 155,
BStBl II 1997, 341 = SIS 97 03 85; Beschluss vom 12.9.2006 I B
27/06, BFH/NV 2007, 13 = SIS 06 47 93, jeweils m.w.N.), folgt
daraus, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines
Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im
Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind. Denn bei Abfindungen
handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem insoweit
maßgebenden innerstaatlichen Recht (vgl. Art. 3 Abs. 2
DBA-Schweiz 1971) Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002) sind, nicht um
ein zusätzliches Entgelt für eine frühere
Tätigkeit i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971. Sie
werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland
ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den
Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang
zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem
Abkommenswortlaut („dafür“) indes nicht.
Die Finanzverwaltung hat sich dem prinzipiell angeschlossen
(BMF-Schreiben vom 14.9.2006, BStBl I 2006, 532 = SIS 06 37 59,
dort Tz. 6.3).
b) An dieser Rechtsauffassung, an welcher der
Senat festhält, ändert sich infolge der ursprünglich
(vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 1997, 560 = SIS 97 14 92) durch
BMF-Schreiben in RIW 1993, 82 = SIS 93 04 86 bekannt gegebenen
Verständigungsvereinbarung der deutschen und
eidgenössischen Finanzbehörden zur Besteuerung von
Abfindungen nichts.
aa) Das BMF und die Eidgenössische
Steuerverwaltung haben sich in jener Vereinbarung auf der Basis von
Konsultationsverhandlungen nach Maßgabe des Art. 26 Abs. 3
Satz 1 DBA-Schweiz 1971 darauf verständigt, das
Besteuerungsrecht der beiden Vertragsstaaten danach zuzuteilen, ob
der Abfindung Versorgungscharakter beizumessen ist oder ob es sich
um eine Nachzahlung von Löhnen, Gehältern oder Tantiemen
aus dem früheren Arbeitsverhältnis handelt oder die
Abfindung allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem
Dienst gewährt wird. In dem ersten Fall kann die Abfindung
danach gemäß Art. 18 DBA-Schweiz 1971 nur im
Wohnsitzstaat des Empfängers besteuert werden, im zweiten Fall
soll gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 das sog.
Tätigkeitsortsprinzip gelten. Hintergrund dieser Vereinbarung
ist der Umstand, dass andernfalls aufgrund der unterschiedlichen
Verwaltungspraxis in Deutschland und in der Schweiz über die
Besteuerungszuordnung die Gefahr sog. weißer Einkünfte,
also der doppelten Nichtbesteuerung, bestand. Für den
Streitfall ergeben sich daraus jedoch keine Konsequenzen.
bb) Die Vereinbarung betrifft die Auslegung
des zwischenstaatlichen vereinbarten Abkommenstextes. Sie wird als
solche nach Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971 ermöglicht und
soll eine weitgehende Widerspruchsfreiheit bei der
Abkommensanwendung sicherstellen. Die Frage nach der
Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung ist indes
umstritten.
Überwiegend (s. z.B. Lehner in
Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 25 Rz 154, Rz 166; Vogel,
daselbst, Einl. Rz 109, 200 f.; Lüthi in
Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 25 Rz 94; Gosch in Lüdicke
[Hrsg.], Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht?, 2009,
S. 130 ff., 134; Schmitz in Strunk/Kaminski/ Köhler,
Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 25 OECD-MA
Rz 64; Eilers in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 25
OECD-MA Rz 61; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Rz
209 f.; Ismer, IStR 2009, 366; O. Schmidt in Haase,
Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 Rz 51
ff.; Becker, daselbst, Art. 25 Rz 42; Kopf in Lang/Jirousek
[Hrsg.], Praxis des Internationalen Steuerrechts, Festschrift
Loukota, 2005, S. 253; s. auch Brandis in Debatin/Wassermeyer,
a.a.O., Art. 18 Schweiz Rz 21, jeweils m.w.N.) wird angenommen,
dass zwischen der (völkerrechtlichen) Bindung gegenüber
dem anderen Vertragsstaat, der Bindung innerstaatlicher
Rechtsanwendungsorgane und der Selbstbindung der die
Verständigungsvereinbarung abschließenden und der ihnen
nachgeordneten Behörden zu unterscheiden ist. Innerstaatliche
Wirkungen kann hiernach eine solche Vereinbarung für die
rechtsanwendenden Organe, also vor allem die Rechtsprechung, nur
nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben des
einzelnen Vertragsstaats entfalten. Das kann ihre unmittelbare
Wirksamkeit zur Folge haben. Es kann aber auch, wie im Regelfall in
Deutschland, voraussetzen, dass die Vereinbarung zunächst nach
den Grundsätzen des einschlägigen Verfassungsrechts in
einfaches Gesetzesrecht transformiert werden muss (vgl. Art. 59
Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG - ). Andernfalls bleibt es bei
der Letztverbindlichkeit des Abkommens in seiner in diesem Sinne in
nationales Recht umgesetzten Fassung. Diese Fassung allein ist vor
dem Hintergrund des grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalts (Art. 20
Abs. 3 GG) für die Abkommensauslegung maßgeblich. Denn
aus innerstaatlicher Sicht handelt es sich bei der nicht
transformierten Verständigungsvereinbarung der beteiligten
Finanzverwaltungen lediglich um ein Verwaltungsabkommen und damit
der Rechtsnatur nach um eine Verwaltungsvorschrift, die nicht auf
einer ihrerseits demokratisch legitimierten Rechtsverordnung i.S.
von Art. 80 Abs. 1 GG beruht und die deswegen nicht geeignet ist,
positives Recht in verbindlicher Weise zu verändern. In
Einklang mit diesen Vorgaben hat der Senat bereits durch seine
Urteile vom 1.2.1989 I R 74/86 (BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4 =
SIS 90 25 01) sowie vom 10.7.1997 I R 4/96 (BFHE 181, 158, BStBl II
1997, 15 = SIS 97 06 90) entschieden. Der Streitfall gibt keine
Veranlassung, davon abzurücken.
cc) Das schließt es nicht aus, die
Abkommenspraxis der Vertragsstaaten, wie sie in der
Verständigungsvereinbarung zum Ausdruck kommt, bei der
Abkommensauslegung zu berücksichtigen; es gilt der Grundsatz
der Entscheidungsharmonie. In Einklang damit stehen die
Grundsätze zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des
Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge
vom 23.5.1969 - WÜRV - (BGBl II 1985, 927), in
innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des
Zustimmungsgesetzes vom 3.8.1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.8.1987
(BGBl II 1987, 757): Ein Vertrag ist danach nach Treu und Glauben
in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner
Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte
seines Zieles und Zweckes auszulegen. Außer dem bei der
Auslegung zu berücksichtigenden und in Art. 31 Abs. 2
WÜRV näher beschriebenen systematischen
„Zusammenhang“ sind nach Art. 31 Abs. 3
WÜRV in gleicher Weise zu berücksichtigen: a) jede
spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien
über die Auslegung des Vertrages oder die Anwendung seiner
Bestimmungen sowie b) jede spätere Übung bei der
Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der
Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. So gesehen
kann ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine
gemeinsame „Übung“ der beteiligten
Finanzverwaltungen für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein
(s. z.B. Senatsurteile vom 25.10.2006 I R 81/04, BFHE 215, 237 =
SIS 07 06 03, sowie I R 18/04, BFH/NV 2007, 875 = SIS 07 61 48,
beide zu leitenden Angestellten als sog. Grenzgänger i.S. von
Art. 15 Abs. 4, Art. 15a DBA-Schweiz 1971), das aber immer nur
insofern, als sie nicht dem Wortlaut des Abkommens
zuwiderläuft (vgl. Senatsurteil vom 27.8.2008 I R 64/07, BFHE
222, 553, BStBl II 2009, 97 = SIS 08 40 97). Abgesehen davon, dass
das Wiener Übereinkommen (nach Art. 4 WÜRV) nur auf
Verträge Anwendung findet, die von Staaten geschlossen werden,
nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist -
und damit, ohne dass dem weiter nachzugehen wäre, nach Lage
der Dinge nicht für das DBA-Schweiz 1971 -, erzwingen auch
diese Grundsätze eine Regelungsauslegung also immer nur nach
Maßgabe des Abkommenswortlauts; dieser stellt in
abschließender Weise die „Grenzmarke“
für das „richtige“
Abkommensverständnis dar.
Daran scheitert die vom FA und vom BMF
verfochtene Auslegung im Streitfall: Der Abkommenstext ist aus
Sicht des erkennenden Senats aus den beschriebenen Gründen
hinreichend eindeutig. Wenn eine Staatenpraxis dennoch
wechselseitig von der bisherigen Abkommensauslegung abweicht, so
wird dadurch nicht eine Auslegung, die insbesondere auf dem
Abkommenswortlaut gründet, bestätigt. Vielmehr läuft
dies auf eine - für den Steuerpflichtigen
steuerverschärfende und damit belastende -
Abkommensänderung hinaus und ist es allein aus dem bilateralen
Bemühen zu erklären, etwaigen Nichtbesteuerungen der
betreffenden Abfindungen vorzubeugen. Die Umsetzung dieses
Bemühens mag (unbeschadet des Abkommensprinzips der nur
virtuellen Doppelbesteuerung) gerechtfertigt und vor allem in der
abkommensrechtlich (in Art. 26 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971)
vereinbarten Bekundung angelegt sein, Schwierigkeiten oder Zweifel,
die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in
gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen. Sie kann vor dem
Hintergrund des Abkommenstextes indes aus deutscher Sicht nur
gelingen, wenn die „spätere Übung“
oder „Übereinkunft“ in positives und mit
dem Abkommen gleichrangiges Recht erhoben wird. Es gilt erneut der
verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt. Auf der Basis einer
bloßen Verwaltungsvereinbarung gelingt das deswegen nicht
(vgl. Senatsurteil in BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4 = SIS 90 25 01; s. auch H. Loukota, Steuer und Wirtschaft International - SWI -
2000, 299, 304 ff.; s. auch abgrenzend Senatsurteile vom 4.6.2008 I
R 62/06, BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793 = SIS 08 33 10; vom
20.8.2008 I R 39/07, BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234 = SIS 08 42 89). Ob das - wie das BMF vorträgt - nach den
Verfassungsordnungen anderer Staaten abweichend gehandhabt werden
kann und wird (vgl. dazu, insbesondere in Bezug auf die
Niederlande, Prokisch in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 15 Rz 17a f.;
Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 15 MA Rz 144; s.
auch aus österreichischer Sicht M. Lang/Schuch,
DBA-Österreich, Art. 21 Rz 13; H. Loukota, SWI 2000, 299; Kopf
in Festschrift Loukota, a.a.O., S. 253), ist insofern
unbeachtlich.
dd) Ein anderes Ergebnis folgt weder aus dem
vom BMF herangezogenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vom 12.7.1994
2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93 (BVerfGE 90, 286)
noch aus dem Urteil des BVerfG vom 22.11.2001 2 BvE 6/99 (BVerfGE
104, 151, 209) zum NATO-Strategiekonzept. Zwar hebt das BVerfG
insbesondere in dem Urteil in BVerfGE 90, 286 hervor, dass in der
völkerrechtlichen Praxis „fließende
Übergänge zwischen Vertragsauslegung und
Vertragsänderung“ bestehen (unter III.3.a dd der
Entscheidungsgründe). Es liege auch in der Hand der
Vertragspartner, durch eine Vertragsauslegung eine neue Praxis der
Vertragsanwendung begründen zu wollen, selbst dann, wenn diese
Praxis - entgegen der Auffassung der Vertragsparteien - über
den Vertragsinhalt hinausgehe; eines Zustimmungsvorbehalts des
Gesetzgebers (nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) bedürfe es in
derartigen Situationen nicht (ebenda). Das BVerfG stellt aber
zugleich klar, dass der Vollzug solcher Vereinbarungen dann auf
jene Tätigkeiten beschränkt ist, die nicht dem
Gesetzesvorbehalt unterliegen. Ist das nicht der Fall - und der
Senat nimmt dies unter den Gegebenheiten des Streitfalls für
den steuerrechtlich belastenden Zugriff auf die in Rede stehende
Abfindungszahlung aus den dargelegten Erwägungen an -
„besteht ein Handlungsverbot, solange nicht entweder das
nationale Zustimmungsgesetz den innerstaatlichen
Rechtsanwendungsbefehl erteilt oder das Parlament eine sonstige
ausreichende Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat“
(unter III.3.a ee der Entscheidungsgründe), woran es
vorliegend jedoch fehlt.
ee) Aus demselben Grund scheidet
schließlich die vom BMF angemahnte verfassungskonforme
Auslegung des Abkommens (nach Maßgabe des
Leistungsfähigkeitsprinzips, Art. 3 Abs. 1 GG) aus, um der
Gefahr einer doppelten Nichtbesteuerung der Klägerin (und
damit sog. weißer Einkünfte) entgegenzutreten (s. dazu
erneut auch Senatsurteile in BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793 =
SIS 08 33 10, und in BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234 = SIS 08 42 89).
3. Weitere Rechtsgrundlagen, welche ein
deutsches Besteuerungsrecht an der gezahlten Abfindung zu
begründen vermöchten, sind nicht ersichtlich. Eine solche
ergibt sich namentlich nicht aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz
1971. Danach kann die Bundesrepublik Deutschland bei einer in der
Schweiz ansässigen natürlichen Person, die nicht die
schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und die in der
Bundesrepublik Deutschland insgesamt mindestens fünf Jahre
unbeschränkt steuerpflichtig gewesen ist, in dem Jahr, in dem
die unbeschränkte Steuerpflicht zuletzt geendet hat und in den
folgenden fünf Jahren die aus der Bundesrepublik Deutschland
stammenden Einkünfte besteuern. Die Bestimmungen des Satzes 1
gelten jedoch ausnahmsweise nicht, wenn die natürliche Person
in der Schweiz ansässig geworden ist, um dort eine echte
unselbständige Tätigkeit für einen Arbeitgeber
auszuüben, an dem sie über das Arbeitsverhältnis
hinaus weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder in
anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert sei (Art. 4
Abs. 4 Satz 4 DBA-Schweiz 1971). In diesen Fällen verzichtet
Deutschland auf den ergänzenden Besteuerungsanspruch, da der
Zuzug in die Schweiz auf Gründen beruht, die eine
„Steuerflucht“ aus dem Inland nicht vermuten
lasse.
Die Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 4 Satz
4 DBA-Schweiz 1971 erfordert, dass das Ansässigwerden in der
Schweiz in der Absicht erfolgt, um dort eine unselbständige
Tätigkeit auszuüben. Dabei muss diese Absicht nicht der
alleinige Beweggrund für den Zuzug in die Schweiz sein. Es ist
denkbar, dass andere Beweggründe (u.U. sogar vorrangiges)
Motiv für den Umzug in die Schweiz waren, z.B. eine Heirat,
wenn nur die Absicht hinzu kommt, dort einer unselbständigen
Arbeit nachzugehen. Es ist auch nicht erforderlich, dass die
beabsichtigte Arbeitsaufnahme schon konkrete Formen angenommen hat.
Insbesondere müssen weder der Arbeitgeber noch der
Arbeitsplatz noch die Art der auszuübenden Tätigkeit beim
Zuzug in der Schweiz feststehen. Schließlich genügt es,
wenn beim Zuzug in die Schweiz die Absicht der Arbeitsaufnahme
vorhanden gewesen ist, selbst wenn diese Absicht dann später
endgültig und auf Dauer aufgegeben wird.
Im Streitfall hat das FG dazu festgestellt,
dass die Klägerin bereits im Dezember 2005 ihren Wohnsitz in
die Schweiz verlagert hat und der Zuzug in die Schweiz nicht
erfolgt ist, um der deutschen Steuer zu entgehen. Der Umzug habe
vielmehr der Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit in
der Schweiz und zugleich auch der Begründung eines gemeinsamen
Hausstandes mit ihrem Schweizer Ehemann gedient, den sie im
Dezember 2005 geheiratet habe. Die Klägerin habe
glaubwürdig dargestellt, dass sie bereits ab Juli 2005 mit
namentlich benannten Zuständigen eines Schweizer Unternehmens
über die Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit
verhandelt habe. Sie habe dann auch nach dem Scheitern dieser
Vertragsverhandlungen, die sie zunächst
vereinbarungsgemäß exklusiv mit dem Unternehmen
geführt habe, tatsächlich eine nichtselbständige
Tätigkeit in der Schweiz im Dezember 2006 aufgenommen. Das
genüge, um einen „nachwirkenden“
Besteuerungszugriff Deutschlands auszuschließen.
Dieser tatrichterlich gestützten
Subsumtion ist aus revisionsrechtlicher Sicht nichts
entgegenzusetzen; sie sind damit für den erkennenden Senat
bindend (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
), so dass das FG-Urteil auch insofern zu bestätigen ist.