1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) lebt seit 2002 in Frankreich. Er war als Angestellter
einer inländischen Aktiengesellschaft in Deutschland
tätig, mit welcher er eine Beschäftigung nach dem sog.
Blockmodell gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des
Altersteilzeitgesetzes (AltTZG 1996) vereinbart hatte. Die
Arbeitsphase dauerte vom 1.11.2001 bis zum 31.10.2004, die
Freistellungsphase vom 1.11.2004 bis zum 31.10.2007. Somit befand
sich der Kläger im Streitjahr 2005 in der
Freistellungsphase.
|
|
|
2
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) unterwarf den Kläger auf dessen Antrag hin
der sog. fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1
Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) und erfasste hierbei
sowohl die vom Arbeitgeber im Streitjahr geleisteten
Vergütungen als auch die von diesem erbrachten Zuschüsse
zur Krankenversicherung des Klägers in der französischen
Caisse primaire d’assurance maladie (CPAM) als
steuerpflichtigen Arbeitslohn. Der Kläger sah die
Vergütung hingegen als Ruhegehalt an und begehrte hierfür
die Steuerfreistellung nach Art. 13 Abs. 8 des Abkommens zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik
zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige
Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und
vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom
21.7.1959 (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343) in der Fassung des
Zusatzabkommens vom 20.12.2001 (BGBl II 2002, 2372, BStBl I 2002,
892) - DBA-Frankreich - . Die Arbeitgeberzuschüsse zur
französischen Krankenversicherung seien nach § 3 Nr. 62
EStG 2002 steuerfrei.
|
|
|
3
|
Die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid
2005 war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) München wies sie
mit Urteil vom 21.5.2010 8 K 3773/07 als unbegründet ab; das
Urteil ist in EFG 2010, 2096 = SIS 10 34 81
veröffentlicht.
|
|
|
4
|
Seine Revision stützt der Kläger
auf Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt
(sinngemäß), den angefochtenen Einkommensteuerbescheid
aufzuheben, hilfsweise, die Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit um 2.003,94 EUR niedriger anzusetzen
und die Einkommensteuer 2005 unter Abänderung des vorgenannten
Bescheides entsprechend niedriger festzusetzen.
|
|
|
5
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
6
|
II. Die Revision ist unbegründet.
|
|
|
7
|
1. Der in Frankreich wohnende und dort
unbeschränkt steuerpflichtige Kläger hat beantragt,
(auch) in Deutschland nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 als
unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden. Die
Voraussetzungen dieser sog. fiktiven unbeschränkten
Steuerpflicht liegen nach den tatrichterlichen Feststellungen vor,
und darüber wird unter den Beteiligten auch nicht
gestritten.
|
|
|
8
|
2. Der Kläger ist hiernach (vgl. § 1
Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 2002) mit seinen
inländischen Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit, die er für seinen inländischen Arbeitgeber
erbracht hat, i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002
unbeschränkt steuerpflichtig. Es handelt sich dabei um
Einkünfte aus einer Arbeit (§ 19 EStG 2002), die im
Inland ausgeübt wird oder worden ist. Dazu gehören auch
diejenigen Beträge, die er im Rahmen der sog.
Freistellungsphase nach Maßgabe der aufgrund des
Altersteilzeitgesetzes in Anspruch genommenen Altersteilzeit im
Streitjahr vereinnahmt hat. Dem Altersteilzeitarbeitnehmer wird
zeitversetzt in der Freistellungsphase das ausgezahlt, was er in
der Arbeitsphase erarbeitet hat bzw. was er an Arbeitsbezügen
aufgrund seiner erbrachten Vollzeittätigkeit hätte
beanspruchen können (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteile vom
19.1.2010 9 AZR 51/09, Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 3 zu § 4
ATG; vom 4.10.2005 9 AZR 449/04, BAGE 116, 86).
|
|
|
9
|
3. Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht
zustehende Besteuerungsrecht für jene Beträge wird nicht
durch das DBA-Frankreich beschränkt.
|
|
|
10
|
a) Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich bestimmt,
dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nur in dem
Vertragstaate besteuert werden können, in dem die
persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte
herrühren, ausgeübt wird. Der Kläger war bis zum
31.10.2004 „aktiv“ bei einem deutschen
Arbeitgeber in Deutschland tätig und hat dort seine
Tätigkeit ausgeübt. Die ihm zugeflossenen
Vergütungen im Rahmen der vereinbarten Altersteilzeit
rühren insgesamt aus dieser Tätigkeit her. Dass sie
zeitversetzt zu einem Zeitpunkt ausbezahlt wurden, in dem die
persönlich ausgeübte Tätigkeit als solche beendet
war, ändert daran nichts. Auch bei nachträglich
ausbezahltem Arbeitslohn handelt es sich um entsprechende
Einkünfte. Das alles betrifft das Regelarbeitsentgelt ebenso
wie den vom Arbeitgeber zusätzlich gezahlten sog.
Aufstockungsbetrag (vgl. dazu § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des
AltTZG 1996).
|
|
|
11
|
b) Gründe, die das Besteuerungsrecht
unabhängig davon Frankreich zuweisen, sind nicht
ersichtlich.
|
|
|
12
|
aa) Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass
jene Vergütungen nicht „für“ die
erbrachte Tätigkeit geleistet werden, sondern dafür, dass
der Kläger sich mit der Altersteilzeit im sog. Blockmodell
einverstanden erklärt und in der Freistellungsphase gerade
keine persönliche Tätigkeit mehr ausgeübt hat. Legt
man das Verständnis zugrunde, das der Senat in ständiger
Spruchpraxis zu Art. 15 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation
for Economic Cooperation and Development (OECD-MustAbk) vertritt
(z.B. Senatsurteile vom 2.9.2009 I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl
II 2010, 387 = SIS 09 33 01, sowie I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl
II 2010, 394 = SIS 09 33 03, m.w.N.), könnte es infolgedessen
an der erforderlichen (engen) Kausalität zwischen Leistung und
Gegenleistung innerhalb des Arbeitsverhältnisses mangeln (so
wohl Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 18
MA Rz 19a). Im Einzelnen kann das im Streitfall aber unbeantwortet
bleiben. Denn gleichviel, ob man die beschriebene Schlussfolgerung
zieht, wäre sie für das hier anzuwendende DBA-Frankreich
nicht maßgebend, weil hiernach - abweichend von Art. 15 Abs.
1 OECD-MustAbk und insofern weiter gehend - alle Einkünfte dem
Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats zugewiesen werden,
welche aus der betreffenden Tätigkeit herrühren. Die
besagte Kausalitätsfrage stellt sich also nicht; eine
Veranlassung durch die Tätigkeit im weiteren Sinne
genügt.
|
|
|
13
|
bb) Gleichermaßen scheidet auch ein
französisches Besteuerungsrecht nach Art. 13 Abs. 8
DBA-Frankreich aus. Zwar steht das in Abs. 1 der Vorschrift
angeordnete Besteuerungsrecht des Quellenstaats - hier also
Deutschlands - unter dem Vorbehalt „der nachstehenden
Absätze“, und nach Abs. 8 der Vorschrift können
private Ruhegehälter und Leibrenten nur in dem
Ansässigkeitsstaat besteuert werden. Um derartige
Ruhegehälter handelt es sich bei den Vergütungen, die in
der sog. Freistellungsphase der Altersteilzeit gezahlt werden,
jedoch nicht.
|
|
|
14
|
Welche Zahlungen als Ruhegehalt i.S. des Art.
13 Abs. 8 DBA-Frankreich gelten, bestimmt sich unbeschadet des
Fehlens einer ausdrücklichen Begriffsdefinition nach
Maßgabe eines abkommensautonomen Verständnisses und
nicht nach innerstaatlichem Recht (Senatsbeschluss vom 8.12.2010 I
R 92/09, abrufbar im Internet unter www.bundesfinanzhof.de, dort im
Hinblick auf Art. 19 DBA-Schweiz 1971/1992, m.w.N.). Doch
ändert das nichts daran, dass Ruhegehälter in erster
Linie solche - vom Arbeitgeber aufgewendete - Leistungen sind,
welche der Versorgung des Arbeitnehmers dienen (vgl. z.B.
Wunderlich in Endres/ Jacob/Gohr/Klein, DBA-Deutschland/USA, Art.
18 Rz 9; Haase, AStG/DBA, Art. 18 MA Rz 16). Dem dient die
Vergütung für die vereinbarte Altersteilzeit indes in
ihrer Gesamtheit nicht. Die Altersteilzeit geht vielmehr sowohl im
kontinuierlichen als auch in dem hier interessierenden sog.
Blockmodell dem eigentlichen Ruhestand voran. Die
Freistellungsphase repräsentiert so gesehen eine
Ausprägung der eigentlichen aktiven Tätigkeit, auch wenn
sich diese Phase und der nachfolgende „richtige“
Ruhestand für den betreffenden Arbeitnehmer in
tatsächlicher Hinsicht nicht unterscheiden mögen.
Letzteres ändert nichts daran, dass es sich
ausschließlich um arbeitsvertraglich vereinbarte
nachträgliche Bezüge als Gegenleistung für die
aktive Tätigkeit handelt, nicht aber um arbeitsvertraglich
für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
ausbedungene „Ruhegehälter“ (im Ergebnis
ebenso die Verwaltungspraxis, vgl. Bundesministerium der Finanzen,
Schreiben vom 15.9.2006, BStBl I 2006, 532 = SIS 06 37 59, dort
unter 6.7, sowie z.B. Ismer in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 18
Rz 38; Libudda/Otto, Recht der Internationalen Wirtschaft 2002,
378; Fischer in juris Lexikon Steuerrecht, Arbeitslohn DBA, Rz
53).
|
|
|
15
|
4. Auch der vom (früheren) Arbeitgeber
gezahlte Zuschuss zur Krankenversicherung ist als Arbeitslohn i.S.
von § 19 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 2002 (z.B.
Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 28.5.2009 VI R 27/06, BFHE 225,
377, BStBl II 2009, 857 = SIS 09 27 06) beschränkt
steuerpflichtig; er ist nicht gemäß § 3 Nr. 62 EStG
2002 steuerbefreit.
|
|
|
16
|
Danach sind Ausgaben des Arbeitgebers für
die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers steuerfrei, soweit der
Arbeitgeber hierzu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen
gesetzlichen Vorschriften verpflichtet ist. Zur Zukunftssicherung
gehört auch die Absicherung gegen Krankheit.
|
|
|
17
|
Eine derartige gesetzliche Verpflichtung des
Arbeitgebers zu Zahlungen an die Sozialversicherung bestand nach
den von der Revision nicht angegriffenen und den Senat bindenden
(vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - )
Feststellungen des FG nach deutschem Recht im Streitjahr nicht, da
der Kläger wegen Überschreitens der
Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei war (§ 257 Abs. 1
des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche
Krankenversicherung - [SGB V]). Allerdings war der Arbeitgeber
solange gesetzlich zur Zahlung eines Zuschusses an den Kläger
verpflichtet, wie dieser freiwillig in der deutschen gesetzlichen
Krankenversicherung versichert ist (§ 257 Abs. 1 SGB V). Diese
freiwillige Versicherung hat der Kläger indes im April des
Streitjahres aufgegeben und sich in der französischen CPAM
versichert; eine vergleichbare gesetzliche Verpflichtung für
den Arbeitgeber zur Zahlung eines Zuschusses für die
Versicherung in der französischen CPAM besteht nicht. Dazu
kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz zu der
sozialversicherungsrechtlichen Lage verwiesen werden. Gleiches gilt
für die unionsrechtliche Beurteilung, durch die das FG die
einschlägigen Urteile des BFH vom 18.5.2004 VI R 11/01 (BFHE
206, 158, BStBl II 2004, 1014 = SIS 04 23 50) sowie in BFHE 225,
377, BStBl II 2009, 857 = SIS 09 27 06 bestätigt hat.
|
|
|
|
|