Grenzgänger zur Schweiz, Bereitschaftsdienst: 1. Muss ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über mehrere Tage hinweg ohne Unterbrechung in der Schweiz tätig werden, so ist bei der Anwendung der Grenzgängerregelung in Art. 15 a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht jeder dieser Tage als ein Tag zu zählen, an dem der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt (Bestätigung des Senatsurteils vom 16.5.2001 I R 100/00, BFHE 195 S. 341, BStBl 2001 II S. 633 = SIS 01 12 79; Abgrenzung zum Senatsurteil vom 15.9.2004 I R 67/03, BFHE 207 S. 452 = SIS 05 03 67). - 2. Dieser Grundsatz greift auch dann ein, wenn sich an eine Tagesschicht in der Schweiz ein Pikettdienst (Bereitschaftsdienst) und an diesen erneut eine Tagesschicht anschließen und das maßgebliche Arbeitsrecht den Pikettdienst zur Arbeitszeit zählt. - Urt.; BFH 27.8.2008, I R 64/07; SIS 08 40 97
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) im
Streitjahr (2001) Grenzgängerin i.S. des Art. 15a des
Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 11.8.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519)
i.d.F. des Protokolls vom 21.12.1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I
1993, 928) - DBA-Schweiz 1971/1992 - war.
Die Klägerin ist
Heilerziehungshelferin und wohnte im Streitjahr im Inland. Sie
arbeitete in einem Internat für cerebral Gelähmte in der
Schweiz. Nach ihrem Arbeitsvertrag musste sie neben ihrer Arbeit im
Internat (Kernarbeitszeiten 6 Uhr bis 10 Uhr und 15.30 Uhr bis 22
Uhr) nächtliche Pikettdienste (Bereitschaftsdienste) leisten,
die darin bestanden, dass sie am Ort übernachtete und bei
Bedarf zur Betreuung der dort untergebrachten Personen zur
Verfügung stand. Für jeden dieser Dienste erhielt die
Klägerin 25 Schweizer Franken; eine Entlohnung nach den
allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsvertrages erfolgte nur dann,
wenn sie während eines Pikettdienstes tatsächlich mehr
als eine Stunde arbeiten musste. Im Streitjahr hat die
Klägerin insgesamt 73 Pikettdienste geleistet.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts
(FG) endete die normal bezahlte Arbeitszeit der Klägerin vor
Antritt der Pikettdienste stets um 22 Uhr; der nächste
Arbeitstag begann jeweils um 6 Uhr. Die Arbeitszeit des jeweiligen
Vortags begann zumeist in den Morgenstunden (7 Uhr, 8 Uhr oder 9
Uhr), zum Teil aber auch um die Mittagszeit (13 Uhr, 14 Uhr oder 15
Uhr); bei Arbeitsbeginn am Morgen gab es Mittagspausen von zumeist
vier, selten fünf und in einem Fall sechs Stunden. Die Arbeit
am Folgetag endete zumeist mittags (12 Uhr, 13 Uhr oder 14 Uhr) und
an insgesamt 25 Tagen des Streitjahres erst abends (18 bis 22 Uhr);
in den zuletzt genannten Fällen gab es wiederum zumeist
Mittagspausen von in der Regel vier oder fünf Stunden. Die
Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort betrug 90 km; für
die einfache Fahrt benötigte die Klägerin eine Zeit von
durchschnittlich eineinhalb Stunden.
In ihrer Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr ging die Klägerin davon aus, dass ihr
Arbeitslohn nicht der deutschen Besteuerung unterliege.
Demgegenüber bezog der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) den Arbeitslohn in die Bemessungsgrundlage der
Einkommensteuer ein. Der deshalb erhobenen Klage hat das FG
stattgegeben (FG Baden-Württemberg, Außensenate
Freiburg, Urteil vom 26.4.2007 3 K 21/07 = SIS 08 09 42).
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
und das Finanzministerium Baden-Württemberg sind
gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
dem Revisionsverfahren beigetreten. Sie unterstützen die
Rechtsansicht des FA, haben aber keine Anträge
gestellt.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FA
hat die Einkünfte der Klägerin aus deren Tätigkeit
in der Schweiz zu Recht in die Bemessungsgrundlage der
Einkommensteuer einbezogen. Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 steht
dieser Sachbehandlung nicht entgegen.
1. Die Klägerin hatte in den Streitjahren
in Deutschland einen Wohnsitz. Sie war daher gemäß
§ 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes unbeschränkt
steuerpflichtig. Ferner kann nach den Feststellungen des FG davon
ausgegangen werden, dass sie aus abkommensrechtlicher Sicht in
Deutschland ansässig war (Art. 4 DBA-Schweiz 1971/1992).
2. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d
DBA-Schweiz 1971/1992 werden bei einer in Deutschland
ansässigen Person Vergütungen für eine in der
Schweiz ausgeübte Tätigkeit i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz
1971/1992 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer
ausgenommen, soweit sie nach dem DBA-Schweiz 1971/1992 in der
Schweiz besteuert werden können. Diese Vorschrift hat das FG
für im Streitfall einschlägig erachtet. Es ist davon
ausgegangen, dass es um Vergütungen für eine in der
Schweiz ausgeübte unselbständige Tätigkeit der
Klägerin gehe, die nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz
1971/1992 in der Schweiz besteuert werden könnten und deshalb
nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 in
Deutschland steuerfrei seien. Dem stehe Art. 15a DBA-Schweiz
1971/1992 nicht entgegen, da die Klägerin nicht
Grenzgängerin im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei. Diese
Beurteilung greift die Revision zu Recht an.
a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz
1971/1992 können ungeachtet des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992
Einkünfte eines Grenzgängers aus unselbständiger
Arbeit in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem der
Grenzgänger ansässig ist. Grenzgänger ist nach Art.
15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 jede in einem Vertragstaat
ansässige Person, die im anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort
hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz
zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende
an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre
Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer
Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr
als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an
ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz
1971/1992). Ergänzend dazu heißt es in Nr. II.1. des
Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991
(BStBl I 1993, 929), die Annahme einer regelmäßigen
Rückkehr an den Wohnsitz i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1
DBA-Schweiz 1971/1992 werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich
die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände -
wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit
Bereitschaftsdienst - über mehrere Tage erstreckt. Diese
Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die
Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 (Senatsurteile
vom 16.5.2001 I R 100/00, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633 = SIS 01 12 79; vom 15.9.2004 I R 67/03, BFHE 207, 452 = SIS 05 03 67;
vom 20.10.2004 I R 31/04, BFH/NV 2005, 840 = SIS 05 21 87,
m.w.N.).
b) Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass
die arbeitsvertragliche Verpflichtung der Klägerin dahin ging,
während der Tagesstunden in der Schweiz tätig zu werden.
Darüber hinaus musste die Klägerin während der
Nachtstunden Pikettdienste leisten, die jeweils unmittelbar an eine
Tagesschicht anschlossen und nach deren Ende - erneut im
unmittelbaren Anschluss - eine weitere Tagesschicht folgte.
Während der Pikettdienste musste sie an ihrem Arbeitsplatz
anwesend sein. Diese Feststellungen sind nicht mit zulässigen
und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und
deshalb im Revisionsverfahren bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Schließlich hat das FG das Schweizer Arbeitsrecht mit
bindender Wirkung dahin gewürdigt, dass danach ein im Betrieb
zu leistender Pikettdienst zur Arbeitszeit zählt. Im Ergebnis
hat sich mithin an den Tagen mit Pikettdienst die Arbeitszeit der
Klägerin von den Morgen- oder Mittagsstunden eines Tages bis
zu den Mittagsstunden des Folgetages erstreckt.
c) Das FA hat unter Berufung auf das zitierte
Verhandlungsprotokoll angenommen, dass bei einem solchen
Sachverhalt die Tätigkeit am ersten Tag, der daran
anschließende Pikettdienst und die auf diesen folgende
Tätigkeit am Folgetag in ihrer Gesamtheit als einheitlicher
Arbeitseinsatz anzusehen und dass bei einer solchen Gestaltung
für Zwecke der Anwendung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2
DBA-Schweiz 1971/1992 nicht jeder Einsatztag als
„Arbeitstag“ zu zählen sei; vielmehr
könne aus abkommensrechtlicher Sicht allenfalls der letzte
Einsatztag ein solcher sein, an dem der Arbeitnehmer aus
beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt.
Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
aa) Der Senat hat dem Verhandlungsprotokoll
ursprünglich entnommen, dass bei einer sich über mehrere
Tage erstreckenden Arbeitsausübung eine
„regelmäßige“ Rückkehr i.S. von
Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 unterstellt und damit
eine zwischenzeitliche Rückkehr an den Wohnsitz fingiert werde
(Senatsurteil in BFHE 195, 341, 342, BStBl II 2001, 633, 634 = SIS 01 12 79). Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen den
Fällen der hiernach „fingierten“
Rückkehr und der beruflich bedingten Nichtrückkehr hat er
darin gesehen, ob der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus
seiner Arbeit nachgeht oder ob er - aus beruflichen Gründen -
nach getaner Arbeit außerhalb des Ansässigkeitsstaates
verbleibt. Diese Unterscheidung hat er in der Folge dahin
modifiziert, dass es für die Anwendung des Art. 15a
DBA-Schweiz 1971/1992 nicht darauf ankomme, ob das Ende der
Arbeitszeit oder der Zeitpunkt der Ankunft am Wohnort auf den Tag
des Arbeitsantritts oder auf einen nachfolgenden Tag fällt;
deshalb könne ein „Nichtrückkehrtag“
i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 auch dann
vorliegen, wenn der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus
seiner Tätigkeit nachgeht und erst nach Mitternacht seine
Arbeitsstätte verlässt (Senatsurteile in BFHE 207, 452 =
SIS 05 03 67, und in BFH/NV 2005, 840 = SIS 05 21 87). An dieser
Rechtsprechung hält der Senat fest.
bb) Im Streitfall geht es nicht um einen
Sachverhalt, in dem der Arbeitnehmer nur geringfügig über
die Tagesgrenze hinaus tätig war. Vielmehr hat sich die
Arbeitszeit der Klägerin an dem jeweiligen zweiten Arbeitstag
über mehrere Stunden erstreckt. Unter Einschluss des
Pikettdienstes war die Klägerin an jenen Tagen aus
arbeitsrechtlicher Sicht mindestens von 0.00 Uhr bis 10.00 Uhr,
also zehn Stunden lang ununterbrochen im Einsatz. an einer Vielzahl
von Tagen dauerte ihre Tätigkeit bis zur Mittagspause oder bis
zum Arbeitsende sogar noch länger. Bei einer solchen
Gestaltung kann nicht davon gesprochen werden, dass am zweiten Tag
lediglich der Einsatz am ersten abgeschlossen worden sei und dass
diese Phase deshalb abkommensrechtlich dem Vortag zugeordnet werden
müsse. Vielmehr handelt es sich hier um einen mehrtägigen
Einsatz am Arbeitsort. Ein solcher ist nach Nr. II.1. des
Verhandlungsprotokolls als Einheit zu behandeln mit der Folge, dass
ein „Nichtrückkehrtag“ nur dann vorliegen
kann, wenn der Arbeitnehmer nach dem Abschluss dieser Einheit aus
beruflichen Gründen am Tätigkeitsort verbleibt. Das
ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
aaa) Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls
betrifft die Frage der „regelmäßigen
Rückkehr“ i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1
DBA-Schweiz 1971/1992. Er regelt insoweit, dass die
regelmäßige Rückkehr bei einer mehrtägigen
Arbeitsausübung „nicht ausgeschlossen“ ist.
Das soll erkennbar bedeuten, dass der Fall der mehrtägigen
Arbeitsausübung eine Sonderbehandlung erfahren soll, bei der
die Regelmäßigkeit der Rückkehr abweichend von den
tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt wird. Dabei nimmt das
Verhandlungsprotokoll namentlich auf die Situation des
Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdienst Bezug, das
erfahrungsgemäß nicht selten über mehr als zwei
Tagesgrenzen hinaus im Einsatz ist. Angesichts dessen muss die
Protokollregelung bei verständiger Würdigung dahin
gedeutet werden, dass in jenen Fällen das Fehlen einer
arbeitstäglichen Rückkehr die Grenzgängereigenschaft
nicht berühren soll. Vielmehr sollen hier als
„Nichtrückkehrtage“ nur diejenigen Tage
gezählt werden, an denen der Arbeitnehmer im Anschluss an die
mehrtägige Tätigkeit nicht an seinen Wohnort
zurückkehrt; das entspricht insoweit dem Wortlaut des Art. 15a
Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992, als dieser auf die
Regelmäßigkeit der Rückkehr „nach
Arbeitsende“ abstellt. Im Ergebnis läuft die
Protokollbestimmung mithin darauf hinaus, dass ein mehrtägiger
ununterbrochener Arbeitseinsatz nicht zu mehreren, sondern
allenfalls zu einem einzigen
„Nichtrückkehrtag“ i.S. des Art. 15a Abs. 2
DBA-Schweiz 1971/1992 führen kann (ebenso FG
Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Beschluss vom
27.2.1997 2 V 3/97, EFG 1997, 625, und Urteil vom 3.12.1997 2 K
89/96, EFG 1998, 483).
bbb) Diese Deutung entspricht zudem dem
historischen Hintergrund der Protokollregelung. Dazu haben das FA
und das Finanzministerium Baden-Württemberg vorgetragen, dass
Ausgangspunkt jener Regelung ein Streit über die Besteuerung
von in Deutschland ansässigen Assistenzärzten gewesen
sei, bei denen Bereitschaftsdienste zur Nichtrückkehr
geführt hätten. Nach dem insoweit maßgeblichen
Schweizer Arbeitsrecht sei für Bereitschaftsdienste
grundsätzlich Zeitausgleich zu gewähren, der nur
nachrangig durch eine Bezahlung abgegolten werden dürfe. Die
Vertragstaaten seien davon ausgegangen, dass der Zeitausgleich sich
regelmäßig im Ansässigkeitsstaat vollziehe und der
Bereitschaftsdienst daher keinen gesteigerten Bezug des
Arbeitnehmers zum Tätigkeitsstaat
(„Verwurzelung“) nach sich ziehe; deshalb sei
man zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ableistung von
Bereitschaftsdienst die Grenzgängereigenschaft nicht entfallen
lassen solle. Auf dieser Überlegung beruhe die in Nr. II.1.
des Verhandlungsprotokolls getroffene Regelung. Die Klägerin
hat die genannte Darstellung zwar bestritten; die Erläuterung
seitens der Finanzbehörden ist aber plausibel und daher
jedenfalls geeignet, ein aus Wortlaut und Systematik der
einschlägigen Vorschriften abzuleitendes Verständnis der
Protokollregelung zusätzlich zu stützen. In diesem Sinne
kann es daher bei der revisionsgerichtlichen Entscheidung verwertet
werden.
ccc) Schließlich kann nicht unbeachtet
bleiben, dass nach dem übereinstimmenden Vortrag des BMF und
des Finanzministeriums Baden-Württemberg die
Finanzbehörden der Vertragstaaten die Protokollregelung bisher
in dem vorstehend beschriebenen Sinne verstanden haben. Die
einschlägige Vertragspraxis spiegelt sich u.a. in einem
BMF-Schreiben vom 19.9.1994 (BStBl I 1994, 683 = SIS 94 20 90)
wider, das ausweislich seines Einleitungssatzes auf einer
Verständigungsvereinbarung gemäß Art. 15a Abs. 4
DBA-Schweiz 1971/1992 beruht. Danach ist ein
„Nichtrückkehrtag“ nicht schon deshalb
anzunehmen, weil sich die Arbeitszeit am Arbeitsort entweder
bedingt durch die Anfangszeiten oder durch die Dauer der
Arbeitszeit über mehr als einen Kalendertag erstreckt (Tz. 12
des Schreibens); ergänzend wird dort erneut auf den Fall des
Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdiensten verwiesen. Diese
Regelung soll ersichtlich zwei unterschiedliche Grundsachverhalte
betreffen: Der klassische Fall der Schichtarbeit - Arbeitsbeginn
gegen Ende eines Tages und Arbeitsende am Folgetag - wird durch die
Formulierung „bedingt durch die Anfangszeiten“
abgedeckt, während die in der Vereinbarung enthaltene
Anknüpfung an die „Dauer der Arbeitszeit“
den Fall des mehrtägigen Arbeitseinsatzes im Blick hat, der
mithin ebenfalls die Zahl der
„Nichtrückkehrtage“ nicht erhöhen
soll. In diesem Sinne sind nach dem Vortrag der beteiligten
Finanzbehörden denn auch einzelfallbezogene
Verständigungsverfahren in der Vergangenheit stets
abgeschlossen worden.
Der Streitfall bietet keine Veranlassung, die
in der mündlichen Verhandlung vom BMF aufgeworfene Frage zu
erörtern, ob die genannte Vereinbarung und die ihr folgende
Verwaltungspraxis die Auslegung des Abkommens und des
Verhandlungsprotokolls durch die Gerichte binden können (vgl.
dazu auch Senatsurteil vom 17.10.2007 I R 5/06, BFHE 219, 518 = SIS 08 14 73, m.w.N.). Denn unabhängig davon kann ein
übereinstimmendes Verständnis seitens der Vertragstaaten
für die gerichtliche Entscheidung zumindest insoweit bedeutsam
sein, als sie ein aus anderen Umständen abgeleitetes
Auslegungsergebnis bestätigen kann (vgl. dazu schon
Senatsurteil in BFHE 207, 452, 455 = SIS 05 03 67). Diese Wirkung
kommt der zitierten Vereinbarung und der ihr folgenden
tatsächlichen Übung im Streitfall zu.
cc) Das FG hat darauf abgestellt, dass es im
Zusammenhang mit Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992
darauf ankomme, ob der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner
„aktiven Tätigkeit“ an seinen Wohnsitz
zurückkehre oder nicht. Der von der Klägerin geleistete
Pikettdienst sei jedoch keine „aktive
Tätigkeit“ in diesem Sinne. Vielmehr sei er
lediglich ein berufsbedingter Grund dafür, dass die
Klägerin nach der Beendigung jener Tätigkeit nicht nach
Hause habe zurückkehren können. Dem ist nicht
beizupflichten.
Denn die Unterscheidung zwischen einer
„aktiven“ und einer „nicht
aktiven“ Tätigkeit kann zwar aus
abkommensrechtlicher Sicht insoweit bedeutsam sein, als der
Übergang von der „aktiven“ zur
„nicht aktiven“ Phase als
„Arbeitsende“ i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2
DBA-Schweiz 1971/1992 zu werten ist und deshalb eine beruflich
bedingte Nichtrückkehr i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2
DBA-Schweiz 1971/1992 auslösen kann (vgl. dazu Senatsurteil in
BFHE 207, 452, 456). Sie kann aber inhaltlich nur an der jeweiligen
arbeitsrechtlichen Regelungslage orientiert werden; für eine
davon abweichende autonome Abgrenzung zwischen beiden
Tätigkeitsformen bietet das Abkommensrecht keine Grundlage.
Entscheidend muss mithin sein, ob das im Einzelfall
einschlägige Arbeitsrecht die betreffende Tätigkeitsphase
der Arbeitszeit zuordnet; ist dies der Fall, so handelt es sich um
Arbeitsausübung und um eine in diesem Sinne
„aktive“ Tätigkeit. Diese Voraussetzung
liegt im Streitfall hinsichtlich der von der Klägerin
geleisteten Pikettdienste vor, da diese nach den Feststellungen des
FG zu der nach Schweizer Recht zu bestimmenden Arbeitszeit
zählten. Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung, auf das Schweizer Arbeitsrecht dürfe nicht
abgestellt werden, geht fehl. Ebenso ist angesichts der vom FG
getroffenen Feststellungen ohne Bedeutung, dass der Arbeitgeber der
Klägerin ausweislich einer von ihm erteilten Auskunft die
Pikettdienste nicht zur Arbeitszeit gerechnet und demzufolge nicht
entsprechend vergütet hat.
3. Im Ergebnis sind daher diejenigen Tage, an
deren Ende die Klägerin Pikettdienste verrichtet hat, für
Zwecke des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht als Tage der
berufsbedingten Nichtrückkehr der Klägerin an ihren
Wohnsitz anzusehen. Unter Berücksichtigung dieses Umstands
überstieg die Zahl der
„Nichtrückkehrtage“ im Streitjahr nicht die
in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 bestimmte Grenze;
das ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf keiner
näheren Erläuterung. Daher hat die Klägerin die in
Rede stehenden Einkünfte als Grenzgängerin erzielt,
weshalb jene Einkünfte nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz
1971/1992 in Deutschland besteuert werden dürfen. Dem
entspricht der angefochtene Bescheid, der deshalb
rechtmäßig ist.