Insolvenz, Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit: Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn sich das Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet, die Steuerpflicht aber noch andauert (Bestätigung des BFH-Urteils vom 18.12.1953 II 190/52 U, BFHE 58 S. 358, BStBl 1954 III S. 49 = SIS 54 00 25). - Urt.; BFH 29.8.2007, IX R 4/07; SIS 07 36 27
I. Die Zulassungsstelle ließ im Jahr
2000 auf den Namen einer Service-GmbH (GmbH) ein Fahrzeug mit dem
amtlichen Kennzeichen … zum Verkehr zu, das - jedenfalls bis
zum Jahr 2005 - weder abgemeldet noch auf einen anderen Halter
umgeschrieben war. Nach einem Schreiben der GmbH an den Beklagten
und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) verkaufte sie das
Fahrzeug im Juni 2001. Über ihr Vermögen wurde …
2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter
bestellt.
Wegen der Änderung der
Steuersätze zum 1.1.2005 erließ das FA am 31.5.2005 nach
§ 12 Abs. 2 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG)
einen Steuerbescheid, den es an den Kläger richtete.
Mit seinem Einspruch machte der Kläger
geltend, er sei nicht Steuerschuldner, da sich das Fahrzeug nicht
in seinem Besitze befinde und nicht durch die Insolvenzmasse
genutzt werde. Einspruch und Klage blieben in diesem Punkt
erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in EFG 2006,
1367 = SIS 06 31 81 veröffentlichtem Urteil die Auffassung,
die Steuerpflicht dauere nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG ab der
Insolvenzeröffnung solange an, als das Fahrzeug nicht
abgemeldet werde. Es sei Aufgabe des Insolvenzverwalters und nicht
des FA oder der Zulassungsstelle, das Ende der
Kraftfahrzeugsteuerpflicht herbeizuführen, und zwar selbst
dann, wenn das Fahrzeug nicht mehr Bestandteil der Masse
sei.
Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers, die er auf die Verletzung von § 34 Abs. 1 und
Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) und von § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2.
Fallgruppe der Insolvenzordnung (InsO) stützt. Die aus §
5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG abzuleitende Halterfiktion, von der das FG
in Anwendung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.12.1953
II 190/52 U (BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49 = SIS 54 00 25)
ausgehe, gelte allenfalls steuerrechtlich, nicht aber
insolvenzrechtlich. Das Insolvenzrecht gehe dem Steuerrecht vor;
der Fiskus dürfe nicht bevorzugt werden. Einen solchen Vorrang
bewirke aber im Ergebnis die Fiktion. Tatsächlich sei das hier
streitige Fahrzeug nie Bestandteil der Insolvenzmasse geworden.
Deshalb sei die Festsetzung der Steuer als Masseverbindlichkeit
unzutreffend.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil, die
Einspruchsentscheidung vom 14.6.2005 und den
Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 31.5.2005 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
Während des Revisionsverfahrens hat
das FA am 20.7.2007 hinsichtlich des gesetzlich vorgeschriebenen
Tarifwechsels einen geänderten Kraftfahrzeugsteuerbescheid
erlassen.
II. Das angefochtene Urteil ist bereits aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es kann keinen
Bestand haben; denn es hat über den
Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 31.5.2005 und damit über einen
nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden (vgl. dazu BFH-Urteile
vom 27.7.2004 IX R 44/01, BFH/NV 2005, 188 = SIS 05 07 57, und vom
28.8.2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10 = SIS 03 42 92).
III. Der Senat entscheidet nach §§
100, 121 der Finanzgerichtsordnung auf der Grundlage der bestehen
bleibenden Feststellungen in der Sache und weist die Klage ab.
Zutreffend hat das FG das FA als berechtigt
angesehen, den Kläger für die ab Insolvenzeröffnung
entstehende Kraftfahrzeugsteuer (1.) durch Erlass des angefochtenen
Kraftfahrzeugsteuerbescheids in Anspruch zu nehmen (2.).
1. Kraftfahrzeugsteuer ist für das
Fahrzeug, um das es hier geht, auch für die Zeit ab der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Die
Steuerpflicht dauert nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bei einem
- wie hier - inländischen Fahrzeug, solange das Fahrzeug zum
Verkehr zugelassen ist, wobei die GmbH als die Person, für die
das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist, Steuerschuldnerin ist
(§ 7 Nr. 1 KraftStG). Diese Steuerpflicht der GmbH endet
selbst dann nicht, wenn sie - wie behauptet - das Fahrzeug vor
Insolvenzeröffnung, nämlich bereits im Jahr 2001,
verkauft hätte. Gemäß § 5 Abs. 5 KraftStG
endet die Steuerpflicht für den Veräußerer - hier
die GmbH - erst in dem Zeitpunkt, in dem die verkehrsrechtlich
vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der
Zulassungsstelle eingeht, spätestens mit der Aushändigung
des neuen Fahrzeugscheins an den Erwerber. Da diese Voraussetzungen
im Streitfall nach den Feststellungen des FG nicht vorlagen,
dauerte die Steuerpflicht der GmbH an.
2. Der Kläger muss als Insolvenzverwalter
nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO die Steuer aus der
Insolvenzmasse bezahlen.
a) Nach diesen Vorschriften hat der
Insolvenzverwalter die steuerlichen Pflichten zu erfüllen,
soweit seine Verwaltung reicht. Mit der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens am ... 2004 ging das Recht der GmbH, das zur
Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten, auf den
Kläger als Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1
InsO). Das Insolvenzverfahren erfasst nach § 35 InsO u.a. das
gesamte Vermögen, das dem Schuldner (der GmbH) zur Zeit der
Eröffnung des Verfahrens gehört.
b) Zu dieser Insolvenzmasse gehört auch
die Rechtsposition als Halter des Fahrzeugs, so dass der
Kläger die Steuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs.
1 Nr. 1 InsO schuldet. Da die Kraftfahrzeugsteuer weder durch eine
Handlung noch durch ein Unterlassen des Insolvenzverwalters
entsteht, sondern kraft Gesetzes begründet wird (siehe 1.),
ist sie eine Verbindlichkeit, die durch die Verwaltung der
Insolvenzmasse begründet wurde (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 2.
Alternative InsO).
aa) Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils
in BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49 = SIS 54 00 25, muss der
Insolvenzverwalter auch solche Gegenstände verwalten, die zwar
nicht rechtlich zur Insolvenzmasse gehören, sich aber in der
Masse befinden, weil sie z.B. zur Verwendung im Geschäft des
Schuldners bestimmt sind (vgl. zum Umfang der Insolvenzmasse bei
einem Untermnehmen auch Henckel in Jaeger, Insolvenzordnung (2004),
§ 35 Rz 9). Dasselbe gilt für ein Kraftfahrzeug, das zwar
tatsächlich von einem anderen gehalten wird, aber aufgrund
einer unwiderlegbaren Rechtsvermutung noch als vom Schuldner
gehalten gilt. Eine derartige Haltervermutung enthält das
Kraftfahrzeugsteuergesetz. Es stellt die unwiderlegbare Vermutung
auf, dass das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen
ist, bis zum Eingang der Anzeige über den Übergang bei
der Zulassungsstelle (siehe die Ausführungen zu 1.) gehalten
wird.
bb) An dieser vom BFH im Urteil in BFHE 58,
358, BStBl III 1954, 49 = SIS 54 00 25, zur Konkursordnung
herausgearbeiteten Rechtsvermutung hält der erkennende Senat
auch unter Geltung der Insolvenzordnung fest. Zunächst hat
sich die Rechtslage gegenüber derjenigen, die Grundlage der
Entscheidung von 1953 war, nicht wesentlich geändert. Dies
gilt für das Kraftfahrzeugsteuergesetz (vgl. das BFH-Urteil in
BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49 = SIS 54 00 25, zur
inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 8 KraftStG 1935;
vgl. zu § 5 Abs. 5 KraftStG auch Strodthoff,
Kraftfahrzeugsteuer, § 5 Rz 44) ebenso wie für die
Insolvenzrechtslage: Die insoweit maßgebenden Bestimmungen
der Konkursordnung (§§ 1, 6, 59, 117) unterscheiden sich
- jedenfalls soweit hier von Interesse - nur unwesentlich von
denjenigen der Insolvenzordnung (§§ 35, 55, 80, 148), so
dass die Entscheidung von 1953 auf den Streitfall übertragen
werden kann.
cc) Steuergegenstand des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG
neben weiteren hier nicht bedeutsamen Tatbeständen (wie z.B.
die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen) das Halten von
inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen
Straßen. Da das Kraftfahrzeugsteuergesetz sich in seinen
Begriffsbestimmungen an den jeweils geltenden verkehrsrechtlichen
Vorschriften orientiert (§ 2 Abs. 2 KraftStG) und die Dauer
der (subjektiven) Steuerpflicht davon abhängig macht, wer
Adressat der verkehrsrechtlichen Zulassung (vgl. § 1 des
Straßenverkehrsgesetzes) ist, geht es davon aus, dass
derjenige, auf den das Fahrzeug zugelassen ist, auch Halter des
Fahrzeuges ist und damit das Kraftfahrzeug für eigene Rechnung
in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt (vgl.
grundlegend zum Halterbegriff Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom
29.5.1954 VI ZR 111/53, BGHZ 13, 351). Es kommt für das
Kraftfahrzeugsteuergesetz also nicht darauf an, ob das Fahrzeug
veräußert wurde, solange nicht eine verkehrsrechtlich
vorgeschriebene Veräußerungsanzeige bei der
Zulassungsstelle eingeht. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob der
Veräußerer das Fahrzeug noch nutzt. Das Gesetz stellt
mithin eine Haltervermutung auf, die nicht durch den Vortrag
widerlegt werden kann, ein anderer als der Zulassungsempfänger
nutze das Fahrzeug oder sei dessen Eigentümer.
dd) Dieses unwiderlegbar rechtsvermutete
Halten des Fahrzeugs gilt nicht nur für die Anwendung des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes, sondern auch bei der Auslegung der
insolvenzrechtlichen Normen mit der Folge, dass das Fahrzeug zur
Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehört und die nach
Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer
Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist.
(1) Der von der Revisionsbegründung
herausgestellte Vorrang des Insolvenzrechts gegenüber dem
Steuerrecht bedeutet - wie zur Zeit der Konkursordnung - nicht, das
Insolvenzrecht ginge dem Steuerrecht schlechthin vor, sondern nur,
dass Steuerforderungen gegen den Insolvenzschuldner oder die
Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
lediglich nach den Regeln der Insolvenzordnung geltend gemacht
werden können (siehe § 251 Abs. 2 Satz 1 AO; vgl. dazu
Bringewat/Waza, Insolvenz und Steuern, 6. Aufl., 2004, Rz 143,
m.w.N.). Allein nach Steuerrecht richtet sich aber, wann die Steuer
(als Rechtsgrund i.S. der Insolvenzordnung) entsteht: Entsteht sie
nach Verfahrenseröffnung, so ist die Steuerverbindlichkeit
Masseverbindlichkeit (einhellige Auffassung, vgl. z.B.
MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rz 70, 78;
Braun/Bäuerle, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz 16;
Uhlenbruck/Berscheid in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl.,
§ 55 Rz 37).
(2) Zwar werden die Vorschriften des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes durch die Vorschriften der
Insolvenzordnung überlagert und modifiziert: Der Steuerfiskus
darf nach dem Rechtsgedanken, der dem Insolvenzrecht zugrunde
liegt, aufgrund der steuerrechtlichen Regelungen keinen Vorteil
gegenüber anderen Insolvenzgläubigern erlangen - aber
auch keinen Nachteil. Deshalb ist die nach Verfahrenseröffnung
entstandene Kraftfahrzeugsteuer aus der Masse zu befriedigen, wenn
das Fahrzeug für die Masse genutzt wird, anderenfalls bei
Nutzung außerhalb der Masse aus dem insolvenzfreien
Vermögen (so BFH-Urteil vom 16.11.2004 VII R 62/03, BFHE 207,
371, BStBl II 2005, 309 = SIS 05 08 32, m.w.N.). Das unwiderlegbar
rechtsvermutete Halten des Fahrzeugs führt zu einer gesetzlich
unterstellten Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs
„im Geschäft“ des Schuldners (so BFH-Urteil
in BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49 = SIS 54 00 25) und damit im
Rahmen der Insolvenzmasse.
(3) Wollte man die unwiderlegbare Vermutung
nicht auch im Insolvenzrecht gelten lassen, würde der
Steuerfiskus gegenüber anderen Insolvenzgläubigern
schlechter gestellt. Denn er darf dem Einwand des Steuerschuldners
nicht nachgehen, er habe das Fahrzeug verkauft und/oder halte es
nicht mehr. Das FA kann von sich aus - abgesehen von den
Fällen des § 14 KraftStG - die Dauer der Steuerpflicht
nicht beeinflussen und den Übergang der Steuerpflicht auf den
Erwerber nicht herbeiführen. Damit steht der Steuerfiskus so,
wie er stünde, wenn er aufgrund eines
Dauerschuldverhältnisses berechtigt und verpflichtet
wäre. Auch in diesem Fall sind die für die Zeit nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erfüllenden
Verbindlichkeiten bis zur - gegebenenfalls nach § 109 InsO -
ausgesprochenen Kündigung durch den Insolvenzverwalter
Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO), selbst wenn die
Gegenleistung vom Insolvenzverwalter nicht in Anspruch genommen
werden kann (vgl. dazu MünchKommInsO-Hefermehl, § 55 Rz
140). Es ist mithin Aufgabe des Insolvenzverwalters, durch Abgabe
einer verkehrsrechtlich vorgeschriebenen
Veräußerungsanzeige bei der Zulassungsstelle die Dauer
der Steuerpflicht zu beenden. Lediglich eine Freigabe reicht dazu
nicht aus. Unbeschadet ihrer insolvenzrechtlichen Zulässigkeit
(vgl. dazu BGH-Urteil vom 21.4.2005 IX ZR 281/03, BGHZ 163, 32;
Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz 13.14 ff., m.w.N.)
änderte sie an der rechtsvermuteten Halterzuordnung nichts.
Dies geschieht erst, wenn der Insolvenzverwalter der Meldepflicht
des § 27 Abs. 3 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (
- StVZO - ; ab dem 1.3.2007 gelten entsprechende
Mitteilungspflichten nach §§ 13, 14
Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV - vom 25.4.2006, BGBl I 2006,
988, z.B. § 13 Abs. 4 FZV beim Halterwechsel oder § 14
FZV bei Außerbetriebsetzung) nachkommt (vgl. dazu Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, § 27 StVZO Rz 24 ff.).
3. Nach diesen Grundsätzen ist die
angefochtene Entscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das FA durfte den Kläger für die nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entstandene Kraftfahrzeugsteuer durch den
angefochtenen Steuerbescheid unabhängig davon in Anspruch
nehmen, ob die GmbH das Fahrzeug bereits vor der Eröffnung
veräußerte und/oder weiterhin dessen Halterin war.