Insolvenz, Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit: 1. Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Steuerpflicht noch andauert, obschon der Insolvenzverwalter keine Kenntnis von der Existenz des Fahrzeugs hat (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 29.8.2007 IX R 4/07 = SIS 07 36 27). - 2. Auch wenn der Insolvenzverwalter die Unzulänglichkeit der Masse nach § 210 InsO anzeigt, ist das FA nicht daran gehindert, ihm gegenüber nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer durch Steuerbescheid festzusetzen. - Urt.; BFH 29.8.2007, IX R 58/06; SIS 07 36 29
I. Auf die Firma F.R. GmbH (im Folgenden:
GmbH) waren bis zur verkehrsrechtlichen Abmeldung (10.6.2004) zwei
Anhänger mit den amtlichen Kennzeichen X und Y zugelassen.
Über das Vermögen der GmbH wurde durch Beschluss des
Amtsgerichts am 1.3.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und
der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum
Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger zeigte am 27.3.2003
dem Insolvenzgericht die Unzulänglichkeit der Insolvenzmasse
an. Das Gericht machte diese Anzeige öffentlich
bekannt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte gegenüber dem Kläger ab
Insolvenzeröffnung für beide Anhänger die
Kraftfahrzeugsteuer vom 2.3.2003 bis zum 25.11.2003 auf 71 EUR und
für die Zeit ab dem 26.11.2003 auf jährlich 96 EUR fest,
und zwar für das Fahrzeug X mit Bescheid vom 19.5.2003 und
für das Fahrzeug Y mit Bescheid vom 23.6.2004. Nach der
Abmeldung der Fahrzeuge setzte das FA im Juli 2004 durch
Änderungsbescheide die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit
vom 26.11.2003 bis zum 10.8.2004 auf jeweils 52 EUR fest.
Hiergegen wandte sich der Kläger. Er
habe in seiner Person den Steuertatbestand nicht verwirklicht; er
habe die Fahrzeuge nicht in Gebrauch genommen und von ihrer
Existenz erst durch Schriftwechsel mit einer anderen Firma
erfahren. Überdies dürfe das FA die Steuer nach Anzeige
der Masseunzulänglichkeit nicht mehr festsetzen.
Die Klage blieb erfolglos. Das
Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seines in EFG
2006, 1704 = SIS 06 43 81, veröffentlichten Urteils aus, die
Kraftfahrzeugsteuer entstehe unabhängig davon, ob das Fahrzeug
bewusst zugelassen bleibe. Das FA sei auch berechtigt gewesen, die
Steuer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und deren
Veröffentlichung durch einen Bescheid gegenüber dem
Kläger festzusetzen.
Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers. Er schulde mangels Verwaltung der Anhänger keine
Kraftfahrzeugsteuer. Diese Steuer sei ihm gegenüber nach
Anzeige der Masseinsuffizienz auch nicht mehr festsetzbar. Die
Regelungen in § 210, § 209 Abs. 1 Nr. 3 der
Insolvenzordnung (InsO) sollten verhindern, dass überhaupt
Titel geschaffen würden.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, das angefochtene Urteil, die
Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 19.5.2003, vom 5.7.2004 (X), vom
23.6.2004, vom 1.7.2004 (Y) sowie die Einspruchsentscheidung
aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist
nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend das FA als berechtigt
angesehen, den Kläger für die ab Insolvenzeröffnung
bis zur verkehrsrechtlichen Abmeldung der Anhänger entstandene
Kraftfahrzeugsteuer (1.) durch Erlass der angefochtenen
Kraftfahrzeugsteuerbescheide in Anspruch zu nehmen (2.).
1. Die Kraftfahrzeugsteuer entsteht für
die Fahrzeuge, um die es hier geht, auch für die Zeit ab
Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Steuerpflicht dauert
nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
(KraftStG) bei - wie hier - inländischen Fahrzeugen, solange
sie zum Verkehr zugelassen sind; Steuerschuldner ist die Person,
für die die Fahrzeuge zum Verkehr zugelassen sind (§ 7
Nr. 1 KraftStG).
Der Kläger muss als Insolvenzverwalter
nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) die
Steuer aus der Insolvenzmasse bezahlen. Dagegen sprechen entgegen
der Revision nicht die fehlende tatsächliche
Verfügungsbefugnis des Klägers und seine fehlende
Kenntnis von der Existenz der Anhänger.
Nach der zur amtlichen Veröffentlichung
vorgesehenen Entscheidung des erkennenden Senats vom heutigen Tag
in der Sache IX R 4/07 = SIS 07 36 27, auf die zur Vermeidung von
Wiederholungen verwiesen wird, ist die nach der
Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer auch dann
Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn
sich das Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners
befindet, die Steuerpflicht aber noch andauert. Der Senat folgt
damit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.12.1953 II
190/52 U (BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49 = SIS 54 00 25), wonach
dem Gesetz die rechtlich unwiderlegliche Vermutung zu entnehmen
ist, dass das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen
ist, bis zur Außerbetriebssetzung gehalten wird. Das
unwiderlegbar rechtsvermutete Halten führt zu einer gesetzlich
unterstellten Verwendungsmöglichkeit und Verfügungsgewalt
„im Geschäft“ des Schuldners und damit im
Rahmen der Insolvenzmasse. Da es mithin nicht auf die
tatsächliche Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters
ankommt, ist auch unerheblich, ob er Kenntnis von der Existenz der
Fahrzeuge hat.
2. Dem FG ist auch darin beizupflichten, dass
die vom Kläger angezeigte Masseunzulänglichkeit die
Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer nicht hindert. Das FA muss die
nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer
gegenüber dem Insolvenzverwalter festsetzen (vgl. BFH-Urteil
vom 16.11.2004 VII R 62/03, BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309 = SIS 05 08 32). Daran ändert sich nichts, soweit diese
Masseverbindlichkeiten nach § 210 InsO nicht vollstreckt
werden dürfen. Diese Vorschrift stellt ein Vollsteckungsverbot
für Masseverbindlichkeiten i.S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3
InsO auf, sobald der Insolvenzverwalter - wie hier - die
Masseunzulänglichkeit angezeigt hat.
Unbeschadet des Umstands, dass die nach der
Anzeige (also ab dem 27.3.2003) entstehende Kraftfahrzeugsteuer als
sog. Neumasseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ohnehin
nicht unter das Vollstreckungsverbot fällt (vgl. BFH-Urteil
vom 23.7.1996 VII R 88/94, BFHE 181, 202, BStBl II 1996, 511 = SIS 96 22 80, unter II. 2.; zur Problematik eingehend -
MünchKommInsO-Hefermehl -, § 210 Rz 19 ff.), bleibt davon
auch für die Kraftfahrzeugsteuer als Altmasseverbindlichkeit
(vom 1. bis zum 27.3.2003) die sich aus § 12 KraftStG, §
155 Abs. 1 AO ergebende Verpflichtung des FA unberührt, die
Kraftfahrzeugsteuer durch einen Steuerbescheid festzusetzen. Dieser
Steuerbescheid ist nach § 218 Abs. 1 AO die Grundlage für
die Verwirklichung der Kraftfahrzeugsteuer. Ob er vollstreckt
werden kann, ergibt sich aus den §§ 249 ff. AO. Das bei
angezeigter Masseunzulänglichkeit bestehende
Vollstreckungsverbot (§ 210 InsO) schränkt i.V.m. §
251 Abs. 2 AO lediglich die Befugnis des FA ein, den Verwaltungsakt
zu vollstrecken, nicht aber, ihn zu erlassen (dies voraussetzend
z.B. BFH-Beschluss vom 11.4.2001 VII B 304/00, BFHE 194, 338, BStBl
II 2001, 525 = SIS 01 10 42, für nach der Anzeige
eingereichte, als Steuerfestsetzung geltende
Umsatzsteuervoranmeldung).
Wegen dieser in der Abgabenordnung angelegten
Trennung des Festsetzungs- vom Erhebungsverfahren verhält es
sich anders als im Zivilprozess, wo umstritten ist, in welcher
Weise sich das Vollstreckungsverbot auswirkt und ob der
Altmassegläubiger zum Feststellungsantrag übergehen muss
(vgl. dazu MünchKommInsO-Hefermehl, § 210 Rz 18;
Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 210 Rz 6;
Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz 14.26, jeweils m.w.N.
zu den unterschiedlichen Auffassungen).