Umsatzsteuerkarussell, Vorsteuerabzug: 1. Wird nach erfolglosem Untätigkeitseinspruch eine Untätigkeitsklage erhoben und ergeht daraufhin ein Steuerbescheid, der dem Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise nicht entspricht, kann die Untätigkeitsklage als Anfechtungsklage fortgeführt werden. - 2. Ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen sind, kann auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. - 3. Der Umstand, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. - 4. Ob ein Steuerpflichtiger wissen konnte oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung, die dem FG obliegt. Nach den maßgebenden Beweisregeln trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen. Das gilt grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissenkönnen vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 1.4.2009, IV B 8 - S 7280-a/07/10004, BStBl 2009 I S. 525 = SIS 09 12 93) - Urt.; BFH 19.4.2007, V R 48/04; SIS 07 28 51
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der P
OHG, die am 29.8.1997 durch die Gesellschafter Z und G
gegründet und am 26.7.1999 in die P GmbH, die Klägerin,
umgewandelt wurde. Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit
Mobiltelefonen. Das Unternehmen wurde von einem kleinen, mit
Telefon und Faxgerät ausgestatteten Büro im Keller eines
dem Gesellschafter-Geschäftsführer G gehörenden
Hotels betrieben, in welchem der Mitgesellschafter der
Klägerin, Z, ein Restaurant unterhielt.
Streitig ist, ob der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) zu Recht mit der
Begründung, die Klägerin sei Beteiligte eines
„Umsatzsteuerkarussells“, von den
Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Klägerin für die
Voranmeldungszeiträume Februar bis Mai und Juli bis November
1999 abgewichen ist und statt der vorangemeldeten
Umsatzsteuerüberschüsse in Höhe von insgesamt
2.219.091,43 EUR Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt
3.081.974,90 EUR festgesetzt hat.
Das FA stimmte den
Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Klägerin für Februar bis
Mai und Juli 1999 zunächst zu und zahlte die
Erstattungsbeträge aus.
Nachdem die Klägerin auch in den
Umsatzsteuer-Voranmeldungen für August und September 1999
erhebliche Überschussbeträge angemeldet hatte, ordnete
das FA am 25.10.1999 eine Umsatzsteuersonderprüfung
an.
Am 14.12.1999 wurden im Rahmen einer
bundesweit abgestimmten Steuerfahndungsprüfung ca. 30
Durchsuchungen, u.a. auch bei der Klägerin,
durchgeführt.
Mit Bescheid vom 24.7.2000 änderte das
FA den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juli 1999 und
mit Bescheid vom 31.7.2000 den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid
für November 1999. Hiergegen erhob die Klägerin
Einspruch.
Weil das FA den Umsatzsteuer-Voranmeldungen
für August bis Oktober 1999 weder, wie nach § 168 Satz 2
der Abgabenordnung (AO) erforderlich, zugestimmt noch abweichende
Vorauszahlungsbescheide erlassen hatte, legte die Klägerin
deswegen am 21.6.2001 gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO
Einsprüche wegen Untätigkeit ein. Das FA wies die
Einsprüche mit Bescheid vom 2.10.2001 zurück mit der
Begründung, eine Entscheidung über die
Umsatzsteuer-Voranmeldungen sei noch nicht möglich, weil der
Verdacht der Beteiligung der Klägerin an
Umsatzsteuerkarussellen bestehe. Wegen Personalmangels seien in
Kürze noch keine Ermittlungsergebnisse zu erwarten. Die
Aufarbeitung der beschlagnahmten Unterlagen sei wegen der
Überprüfung der Liefer- und Zahlungswege und der
erforderlichen Sorgfalt angesichts der erheblichen steuerlichen
Auswirkungen sehr zeitintensiv und die geschilderte Lage der
Klägerin bekannt.
Hiergegen erhob die Klägerin
Untätigkeitsverpflichtungsklage. Während des
Klageverfahrens, am 4.1.2002, erging der Abschlussbericht der
Steuerfahndung. Das FA ging im Anschluss an die Ergebnisse der
Steuerfahndung davon aus, dass die Klägerin ein Glied einer
gesamtplanmäßig auf Umsatzsteuerbetrug angelegten
Lieferkette („Umsatzsteuerkarussell“) gewesen sei.
Für die Einbeziehung der Klägerin in den auf
Umsatzsteuerhinterziehung gerichteten Gesamtplan sprächen
folgende Feststellungen: Die Klägerin habe ihre Waren
hauptsächlich von Firmen bezogen, die die Stellung eines
„missing trader“ oder „buffer“ in einer
Lieferkette gehabt hätten. Z.T. seien Lieferanten und Kunden
im Voraus festgelegt gewesen. Einer der inländischen
Vorlieferanten der Klägerin habe auf seinem Laptop
Rechnungsvordrucke und Unterschrift eines nachfolgenden Lieferanten
vorgehalten. Z.T. habe der in der Rechnung angegebene Sitz des
angeblichen Lieferanten nicht existiert. U.a. habe ein Vorlieferant
Mobiltelefone zwischen 32 DM bis 65 DM unter dem Einkaufspreis
erworben und an die Klägerin mit einem
„vorgegebenen“ Aufschlag von 5 DM bis 8 DM
weiterverkauft. Alle Lieferungen seien ursprünglich aus
verschiedenen Ländern der Europäischen Gemeinschaft (EG)
gekommen und später wieder dorthin zurückgeliefert
worden. Lediglich bei einem Abnehmer der Klägerin habe der
mehrfache Durchlauf der Waren nachgewiesen werden können, weil
nur dieser die sog. IMEI (International Mobile Equipment
Identity)-Nummer der Mobiltelefone aufgezeichnet habe.
Für die Einbeziehung der Klägerin
in die gemeinsame Tatabsprache spreche, dass bei ihr weder
Werbemaßnahmen noch Preiskalkulationen erkennbar seien, dass
sie keine Rabatte oder Skonti gewährt habe, dass trotz des
Umfanges der Lieferungen keinerlei Reklamationen angefallen seien,
dass weiter die Waren aus dem EU-Ausland kämen und über
eine Kette von Händlern wieder ins Ausland fakturiert worden
seien, dass keine Veräußerungen an Endverbraucher
stattgefunden hätten, die Gerätenummern nicht
aufgezeichnet worden seien, sowie keine chronologischen
Rechnungsnummern vorlägen. Für die
gesamtplanmäßige Einbeziehung der Klägerin in eine
Lieferkette spreche auch, dass in der Kette Weisungen über
Abnehmer und Preise durch Hintermänner nachgewiesen seien und
die Klägerin zumindest mittelbar durch Zeugenaussagen belastet
werde.
Das FA vertrat deshalb die Auffassung, die
von der Klägerin geltend gemachten
Vorsteuerbeträge der Firmen I-GmbH, N-GmbH und D-GmbH
seien nicht abziehbar, weil keine Lieferungen i.S. des § 3
Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1999) vorlägen. Zudem
schulde die Klägerin die in den Rechnungen für die
entsprechenden „Ausgangsumsätze“ ausgewiesene
Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 13 Abs.
2 Nr. 4 UStG 1999. Die Erstellung der „paperworks“
für die übrigen Mitglieder des
„Umsatzsteuerkarussells“, für die sie die
„Gewinnaufschläge“ als Entgelt erhalten habe, sei
als sonstige Leistung zu erfassen. Die selbsterklärten
Umsätze der Klägerin seien entsprechend zu
kürzen.
Aufgrund dieser Feststellungen änderte
das FA mit Bescheiden vom 12.2.2002 die Vorauszahlungsbescheide
für Februar bis Mai, Juli und November 1999 und erließ
erstmals Vorauszahlungsbescheide für August bis Oktober 1999.
Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch.
Am 19.3.2004 beantragte die Klägerin
Erweiterung der Klage auf die
Umsatzsteuer-Voranmeldungszeiträume Februar bis Mai, Juli und
November 1999, weil das FA über die gegen die Bescheide vom
12.2.2002 betreffend Februar bis Mai, Juli und November 1999
erhobenen Einsprüche seit zwei Jahren nicht entschieden
habe.
Das Finanzgericht (FG) gab dem FA nach
§ 46 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, die
Einspruchsentscheidungen binnen sechs Wochen nachzuholen.
Das FA vertrat dazu die Auffassung, eine
Einspruchentscheidung sei bezüglich der
Vorauszahlungsbescheide für August bis Oktober 1999
unzulässig, weil diese - worauf der Berichterstatter des FG
hingewiesen habe - nach Auffassung des FG gemäß §
68 Satz 2 FGO Gegenstand des Klageverfahrens seien. Die
Einspruchsverfahren bezüglich der geänderten
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Februar bis Mai, Juli
und November 1999 setzte das FA bis zur Entscheidung des FG
über die Voranmeldungszeiträume August bis Oktober 1999
am 14.5.2004 aus.
Ergänzend trug das FA vor, die
Klägerin habe im Übrigen auch die formellen
Voraussetzungen für die beanspruchte Steuerbefreiung nicht
erfüllt, z.T. weil der Hinweis auf die Steuerfreiheit der
innergemeinschaftlichen Lieferungen fehle, z.T., weil die
Klägerin nicht die zutreffende
Umsatzsteueridentifikationsnummer (USt-IdNr.) des Abnehmers
aufgezeichnet habe.
Das FG wies die Klage im Wesentlichen ab.
Das Urteil ist in EFG 2004, 1558 = SIS 05 01 42 abgedruckt.
Es führte aus: Die Klage sei als
Anfechtungsklage (August bis Oktober 1999) bzw. als
Untätigkeitsklage (Februar bis Mai, Juli und November 1999)
gemäß § 46 FGO zulässig. Das Klageverfahren
betreffend Umsatzsteuervorauszahlungen August bis Oktober 1999 sei
nicht durch die inzwischen erlassenen Vorauszahlungsbescheide
erledigt. Die Erweiterung um die Untätigkeitsklagen gegen die
geänderten, mit dem Einspruch angefochtenen
Vorauszahlungsbescheide (Februar bis Mai, Juli und November 1999)
sei sachdienlich und deshalb nach § 67 FGO
zulässig.
Die Klage sei zum überwiegenden Teil
unbegründet, weil unter Würdigung der gesamten
Umstände des Sachvortrags der Steuerfahndung einerseits sowie
der Klägerin andererseits erhebliche Anhaltspunkte für
die Einbeziehung der Klägerin in ein Umsatzsteuerkarussell
sprächen, auch wenn eine Beteiligung letztlich nicht
zweifelsfrei nachgewiesen werden könne. Dies führe zu dem
Ergebnis, dass entsprechend der Verteilung der Feststellungslast
der Vorsteuerabzug der Klägerin zu versagen sei.
Bei den Lieferungen von der N-GmbH sei zwar
von tatsächlichen Warenlieferungen auszugehen; Zweifel an der
Verschaffung der Verfügungsmacht seien aber nicht
auszuschließen. Die Indizien, die für eine wissentliche
Einbindung der Klägerin in den Gesamtplan sprächen,
genügten für die Versagung des Vorsteuerabzuges.
Vergleichbares gelte für die Lieferungen der I-GmbH. Bei den
Lieferungen der D-GmbH stehe dem Vorsteuerabzug schon entgegen,
dass der in der Rechnung angegebene Sitz nur der Verschleierung von
Person und Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit
gedient habe.
Die Nichterweislichkeit der Beteiligung an
einem Umsatzsteuerkarussell führe nach den Grundsätzen
der Feststellungslast zu dem Ergebnis, dass zu Gunsten der
Klägerin eine sonstige Leistung durch Erstellung von
„paperworks“ für die Gemeinschaft der
Tatbeteiligten nicht zu besteuern sei.
Da jedoch nicht feststellbar sei, ob die
Klägerin entweder die Handylieferungen - wie erklärt -
tatsächlich erbracht habe (dann steuerbar nach § 1 UStG
1999) oder ob es sich um Scheinlieferungen handele mit der Folge,
dass die Klägerin die zu Unrecht in Rechnungen ausgewiesene
Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1999 schulde, sei zu
Gunsten der Klägerin von den niedrigeren Umsätzen nach
§ 1 UStG 1999 auszugehen. Eine Festsetzung der Umsatzsteuer
auf 0 DM komme nicht in Betracht, da feststehe, dass die
Klägerin entweder tatsächliche Lieferungen erbracht oder
über Scheinlieferungen mit offenem Umsatzsteuerausweis
abgerechnet habe. Soweit in einzelnen Voranmeldungszeiträumen
(Mai und Oktober) die Umsatzsteuer aus tatsächlichen
Lieferungen höher wäre als die nach § 14 Abs. 3 UStG
1999 geschuldete Umsatzsteuer, verbleibe es wegen des
Verböserungsverbotes im gerichtlichen Verfahren bei dem
niedrigeren Ansatz.
Entgegen der Auffassung des FA stehe der
Minderung der vom FA festgesetzten Umsatzsteuer nicht entgegen,
dass die Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen
zu versagen sei. Das Fehlen des ausdrücklichen Hinweises auf
die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen in den
Rechnungen (entgegen § 14a UStG 1999) hindere deren
Berücksichtigung nicht. Denn die Vorschriften in § 6a
UStG 1999 i.V.m. § 17a der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) 1999 seien nur
als Sollvorschriften zu verstehen. Der Einwand des FA, es handele
sich bei den englischen Firmen um Scheinfirmen, sei deswegen
unerheblich, weil auch ein Strohmann der „richtige“
Abnehmer sein könne. Für den maßgeblichen Zeitraum
habe das Bundesamt für Finanzen (BfF) die USt-IdNr. auch
für die betreffenden Unternehmen als gültig
anerkannt.
Mit der Revision wendet sich die
Klägerin gegen die Versagung des Vorsteuerabzuges. Sie
trägt im Wesentlichen vor, der Vorsteuerabzug sei selbst bei
Einbindung in ein festes Zuliefer- und Abnehmersystem zuzulassen.
Die Pflichtverletzungen von Vorlieferanten dürften ebenso wie
die unwissentliche Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell nicht zu
einer Versagung des Vorsteuerabzuges führen. Das FG sei
lediglich von der Möglichkeit der wissentlichen Einbindung der
Klägerin ausgegangen. Die Indizien, die das FG hierzu
heranziehe, könnten ebenso gut für eine unwissentliche
Einbeziehung der Klägerin sprechen. Insbesondere spreche auch
der Umstand, dass bei einem Unternehmer der mehrfache Durchlauf von
Waren habe festgestellt werden können, nicht für die
Einbeziehung der Klägerin; denn ob es sich dabei um Waren der
Klägerin gehandelt habe, sei nicht nachgewiesen. Das FG habe
Beweislastgrundsätze fehlerhaft angewendet.
Bei der Lieferung von Warenmengen
müsse - wie sich aus § 14 Abs. 4 Nr. 5 UStG n.F. ergebe -
nicht jedes einzelne Stück in der Rechnung individualisiert
werden. Der sog. IMEI-Nummer dürfe keine Bedeutung beigemessen
werden. Die Forderung, die Gerätenummern in der Rechnung
aufzuzeichnen, würde den Handel mit Mobiltelefonen
unverhältnismäßig erschweren. Die gelieferten
Mobiltelefone seien mit Artikelbezeichnung des Herstellers und der
Artikelnummer in den Rechnungen „handelsüblich“
bezeichnet gewesen. Zur Handelsüblichkeit fehlten jedenfalls
Feststellungen des FG. Bisher sei weder bei steuerlichen
Prüfungen noch sonst die Forderung nach Aufzeichnung der
IMEI-Nummer gestellt worden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG abzuändern und
1.
|
unter Aufhebung der
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide vom 12.2.2002 für August
bis Oktober 1999 die Umsatzsteuervorauszahlungen für August
1999 auf ./. 721.462 EUR, für September 1999 auf ./. 245.279
EUR und für Oktober 1999 auf ./. 145.910 EUR festzusetzen,
und
|
|
|
2.
|
die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide
vom 12.2.2002 für Februar bis Mai sowie Juli und November 1999
aufzuheben.
|
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet; sie
führt wegen materiell-rechtlicher Entscheidungshindernisse zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
A. Einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs
(BFH) steht nicht entgegen, dass - wie das FA mit Schriftsatz vom
4.2.2005 mitgeteilt hat - der Antrag der Klägerin auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen
mangels Masse abgelehnt worden ist; denn die Klägerin ist
durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten, dem sie bereits
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Vollmacht erteilt hatte
(§ 155 FGO i.V.m. §§ 86, 241, 246 der
Zivilprozessordnung - ZPO - ; BFH-Urteil vom 31.5.2005 I R 103/04,
BFHE 209, 416, BStBl II 2005, 623 = SIS 05 35 96, m.w.N.). Im
Übrigen hat das Amtsgericht (AG) am 17.2.2005 mitgeteilt,
über die Löschung der Klägerin im Handelsregister
werde erst nach Ausgang des vorliegenden Verfahrens
entschieden.
B. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass
die Untätigkeitsverpflichtungsklage wegen
Umsatzsteuervorauszahlung für August bis Oktober 1999 nach
Erlass der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide am 12.2.2002 als
Anfechtungsklage fortzusetzen war.
Der BFH hat als Revisionsgericht das Vorliegen
der Sachentscheidungsvoraussetzungen im finanzgerichtlichen
Verfahren in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu
prüfen (z.B. BFH-Urteil vom 19.5.2004 III R 36/02, BFH/NV
2004, 1655 = SIS 04 40 65, m.w.N.).
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen für die
Untätigkeitsverpflichtungsklage mit dem Inhalt, das FA zur
Zustimmung zu den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für August bis
Oktober 1999 und damit zum Erlass entsprechender
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide zu verpflichten, lagen bei
deren Erhebung vor.
a) Nach § 44 Abs. 1 FGO ist in den
Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf
gegeben ist, die Klage - vorbehaltlich der §§ 45 und 46
FGO - nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den
außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos
geblieben ist. Das gilt in gleicher Weise für die
Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 1 FGO) wie für die
auf Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen
Verwaltungsakts gerichtete Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1
Halbsatz 2 FGO). Hat das FA über den Antrag auf Erlass eines
Verwaltungsakts nicht entschieden, ist der sog.
Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO das
Vorverfahren i.S. des § 44 Abs. 1 FGO für die
Verpflichtungsklage auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes
(BFH-Urteile vom 3.8.2005 I R 74/02, BFH/NV 2006, 19 = SIS 06 02 32, unter 2. b bb; in BFH/NV 2004, 1655 = SIS 04 40 65).
b) Im Streitfall war die
Untätigkeitsverpflichtungsklage betreffend
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für August bis Oktober
1999 bei deren Erhebung zulässig, denn die Klägerin hat
die Klage mit dem Ziel, das FA zu der nach § 168 Satz 2 AO
erforderlichen Zustimmung zu ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen
für diese Zeiträume zu verpflichten, erst erhoben,
nachdem das FA am 2.10.2001 die Untätigkeitseinsprüche
beschieden und eine Entscheidung über diese Steueranmeldungen
der Klägerin abgelehnt hatte.
c) Offenbleiben kann, ob das FG zu Recht die
vom FA mitgeteilten Gründe für die Verzögerung als
unzureichend beurteilt hatte; denn nach ständiger
Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei den in § 46 Abs. 1
FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen um
Sachentscheidungsvoraussetzungen, die erst im Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung erfüllt sein müssen mit der
Folge, dass eine verfrüht erhobene Untätigkeitsklage -
ggf. nach Aussetzung des Verfahrens durch das FG - in die
Zulässigkeit hineinwachsen kann (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom
7.3.2006 VI B 78/04, BFHE 211, 433, BStBl II 2006, 430 = SIS 06 16 61, m.w.N.; hierzu von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO, § 46
Rz 152 f., 167, m.w.N.; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler
- HHSp -, § 46 FGO Rz 210 ff., 251, m.w.N.). Im Streitfall war
die Klage deshalb spätestens im Zeitpunkt des Erlasses der
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für August bis Oktober
1999 vom am 12.2.2002 zulässig.
d) Die statthafte Untätigkeitsklage hat
sich durch den Erlass der von den Erklärungen der
Klägerin abweichenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide
für August bis Oktober 1999 vom 12.2.2002 nicht erledigt.
aa) Macht der Kläger mit der
Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO geltend, das FA
habe über seinen Einspruch ohne zureichenden Grund nicht
entschieden, erledigt sich das Klageverfahren nach ständiger
Rechtsprechung nicht, wenn das FA dem Einspruch ganz oder teilweise
nicht stattgibt; denn dadurch hat das FA nicht, wie § 46 Abs.
1 Satz 3 FGO voraussetzt, den „beantragten“
Verwaltungsakt erlassen (vgl. BFH-Urteil vom 19.8.2003 VIII R
44/01, BFH/NV 2004, 925 = SIS 04 22 60; BFH-Beschlüsse vom
28.10.1988 III B 184/86, BFHE 155, 12, BStBl II 1989, 107 = SIS 89 01 50; vom 21.8.1974 I B 27/74, BFHE 113, 345, BStBl II 1975, 38 =
SIS 75 00 23).
bb) Nichts anderes kann gelten, wenn das FA im
Rahmen der im Anschluss an einen erfolglosen
Untätigkeitseinspruch erhobenen - zulässigen -
Untätigkeitsklage zwar den ausstehenden Verwaltungsakt
erlässt, dieser aber dem Begehren des Klägers ganz oder
teilweise nicht entspricht (vgl. BFH-Urteil vom 28.6.2006 I R
97/05, BFH/NV 2006, 2207 = SIS 06 40 89; a.A. Dumke in Schwarz,
FGO, § 46 Rz 7a). § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO geht ersichtlich
von der Wertung aus, dass der Kläger nicht durch den Erlass
eines Verwaltungsaktes, der seinem Antrag ganz oder teilweise nicht
stattgibt, aus einem zulässigen Verfahren gedrängt und
auf ein neues Einspruchsverfahren verwiesen werden soll.
Dieser Rechtsgedanke liegt auch § 68 FGO
zugrunde, wie das FG zutreffend ausführt: Danach wird der neue
Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn der angefochtene
Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung
geändert oder ersetzt wird. Allerdings setzt diese Vorschrift
einen „angefochtenen“ Verwaltungsakt voraus, der
während des Verfahrens ersetzt wird, während § 46
FGO den Fall der Untätigkeit des FA betrifft.
Im Streitfall kann offenbleiben, ob der
Steuerpflichtige ein Wahlrecht hat, das Verfahren gegen den
zwischenzeitlich erlassenen Verwaltungsakt fortzusetzen oder gegen
den Verwaltungsakt Einspruch einzulegen und das Klageverfahren in
der Hauptsache für erledigt zu erklären (z.B. Steinhauff
in HHSp, a.a.O., § 46 FGO Rz 349; von Beckerath in
Beermann/Gosch, FGO, § 46 Rz 188), oder ob das FG das
Verfahren zur Herbeiführung einer Rechtsbehelfsentscheidung
aussetzen muss (vgl. dazu Urteile des Bundesverwaltungsgerichts -
BVerwG - vom 23.3.1973 IV C 2.71, BVerwGE 42, 108; vom 13.1.1983 5
C 114.81, BVerwGE 66, 342).
Denn zum einen hat die Klägerin die
Fortsetzung des Klageverfahrens gegen die
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für August bis Oktober
1999 beantragt, und zum anderen hat das FG dem FA erfolglos
Gelegenheit gegeben, innerhalb der von ihm gesetzten Frist
über die Einsprüche der Klägerin gegen die
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide vom 12.2.2002 zu entscheiden.
Das FG hat deshalb zu Recht die Untätigkeitsklage als
Anfechtungsklage gegen diese Bescheide fortgeführt.
2. Die Erweiterung der Untätigkeitsklage
bezüglich der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für
Februar bis Mai, Juli und November 1999 vom 12.2.2002 war
zulässig.
a) Nach § 67 Abs. 1 FGO ist eine
Klageänderung u.a. zulässig, wenn das Gericht sie - wie
hier - für sachdienlich hält. Zu den Fällen der
Klageänderung gehören auch die Fälle, in denen im
Wege der Klagehäufung ein weiterer Klagegegenstand in das
Verfahren eingeführt wird (BFH-Urteile vom 5.6.1991 II R
83/88, BFH/NV 1992, 267; vom 9.8.1989 II R 145/86, BFHE 158, 11,
BStBl II 1989, 981 = SIS 90 01 55; Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 67 FGO Rz 2, m.w.N.). Zulässig
ist eine Klageänderung in Form der Klagehäufung
allerdings nur, wenn sowohl das ursprüngliche Klagebegehren
als auch das geänderte (neue) Klagebegehren die übrigen
Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt (z.B. BFH-Urteile in
BFH/NV 1992, 267; in BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981 = SIS 90 01 55; BFH-Beschluss vom 10.9.1997 VIII B 55/96, BFH/NV 1998, 282,
m.w.N.). Diese Voraussetzungen hat das FG zutreffend bejaht, weil
das FA über die Einsprüche der Klägerin gegen die
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Februar bis Mai, Juli
und November 1999 bis zum Antrag der Klägerin auf
Klageerweiterung am 19.3.2004 ohne Mitteilung eines zureichenden
Grundes nicht entschieden hatte.
b) An der Zulässigkeit dieser
Untätigkeitsklage vermochte auch die am 14.5.2004 vom FA
verfügte Aussetzung der Einspruchsverfahren nach § 363 AO
nichts mehr zu ändern. Zwar kann die Aussetzung des Verfahrens
nach § 363 Abs. 1 AO ein zureichender Grund für die
Verzögerung der Einspruchentscheidung sein (z.B. BFH-Beschluss
vom 14.10.2002 V B 170/01, BFH/NV 2003, 197 = SIS 03 08 61;
Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 46
Rz 20; Steinhauff in HHSp, a.a.O., § 46 FGO Rz 152, jeweils
m.w.N.). Die erst nach Anhängigkeit der Klage durch den Antrag
auf Klageerweiterung verfügte Aussetzung der
Einspruchsverfahren durch das FA vermag die Zulässigkeit der
Klageänderung jedoch nicht mehr zu beseitigen.
C. Die materiell-rechtliche Frage des
Streitfalls kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
Die Feststellungen des FG zur Einbindung der Klägerin in ein
sog. Umsatzsteuerkarussell beruhen auf einem unvollständigen
rechtlichen Ausgangspunkt und müssen dementsprechend
nachgeholt werden. Die Sache war daher zurückzuweisen.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 kann der
Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert
ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen,
die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge
abziehen.
Der Vorsteuerabzug der Klägerin
hängt danach davon ab, ob in den Rechnungen, über
tatsächlich ausgeführte Lieferungen i.S. des § 1
Abs. 1 UStG 1999 abgerechnet worden ist, und weiter, ob dem danach
grundsätzlich bestehenden Recht auf Vorsteuerabzug eine
Einbindung der Klägerin in einen Umsatzsteuerbetrug
entgegensteht.
1. Im Ergebnis zu Recht hat das FG
entschieden, dass dem Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der
D-GmbH bereits entgegenstand, dass es sich bei dem in der
Rechnung angegebenen Sitz nur um einen Briefkastensitz
handelte.
a) Nach ständiger Rechtsprechung ist der
Abzug der in der Rechnung einer GmbH ausgewiesenen Umsatzsteuer nur
möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH bei
Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung
tatsächlich bestanden hat. Der den Vorsteuerabzug begehrende
Leistungsempfänger trägt hierfür die
Feststellungslast (z.B. BFH-Urteil vom 27.6.1996 V R 51/93, BFHE
181, 197, BStBl II 1996, 620 = SIS 96 24 01). Nach den
Umständen des Einzelfalls kann zwar auch ein
„Briefkasten-Sitz“ mit postalischer
Erreichbarkeit der Gesellschaft ausreichen; es bedarf deshalb
besonderer, detaillierter Feststellungen, um die Annahme eines
„Scheinsitzes“ zu rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil
in BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620 = SIS 96 24 01; BFH-Beschluss
vom 4.2.2003 V B 81/02, BFH/NV 2003, 670 = SIS 03 22 66).
b) Das FG geht insoweit davon aus, dass die
D-GmbH an dem in der Rechnung angegebenen Sitz in Deutschland keine
eigenen Büroräume hatte, die Post zur Verschleierung von
Person und Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit
über zwei Büroserviceunternehmen nach X geleitet und dort
durch eine Person mit falschem Namen abgeholt worden sei. Das
genügt. Soweit die Klägerin insoweit als Verfahrensfehler
rügt, das FG hätte dazu den gegenüber der
Klägerin tatsächlich handelnden Geschäftsführer
B vernehmen müssen, ist die Rüge nicht schlüssig
erhoben worden. Denn die Klägerin hat weder vorgetragen,
weshalb sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung
auch ohne besonderen Antrag hätte aufdrängen müssen,
noch substantiiert, welche konkreten entscheidungserheblichen
Tatsachen sich bei einer weiteren Beweisaufnahme ergeben
hätten (zu den Anforderungen vgl. z.B. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 70, mit
Rechtsprechungsnachweisen).
2. Was die Rechnungen der N-GmbH und
der I-GmbH betrifft, ist nach den Feststellungen des FG
davon auszugehen, dass die Vor-Vorlieferanten der Klägerin zum
Zweck der Umsatzsteuerhinterziehung gegründet worden sind und
auch die unmittelbaren Vorlieferanten der Klägerin, N-GmbH und
I-GmbH, in den Plan eingebunden waren. Konnte die Klägerin von
der Einbeziehung der Lieferungen in einen Umsatzsteuerbetrug
wissen, steht dies dem Recht auf Vorsteuerabzug entgegen.
a) Zu vergleichbaren Sachverhalten - zu
Umsätzen in einer Lieferkette, bei denen ein oder mehrere
vorausgehende oder nachfolgende Umsätze mit einem
Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind - hat der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in den Urteilen vom
12.1.2006 Rs. C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Optigen u.a. (Slg.
2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144 = SIS 06 07 07) und vom
6.7.2006 Rs. C-439/04 und 440/04, Axel Kittel u.a. (BFH/NV Beilage
2006, 454, UR 2006, 594 = SIS 06 33 36) wie folgt entschieden:
Umsätze, die nicht selbst mit einem
Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, sind Lieferungen von
Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher
ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), wenn sie die objektiven
Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne
dass es auf die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen
verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers
und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck - den
dieser Steuerpflichtiger weder kannte noch kennen konnte - eines
anderen Umsatzes ankommt, der Teil dieser Kette ist und der dem
Umsatz, den der betreffende Steuerpflichtige getätigt hat,
vorausgeht oder nachfolgt (EuGH-Urteil Optigen u.a. in Slg. 2006,
I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144 = SIS 06 07 07 Rz 51). Die
objektiven Kriterien, auf denen der Begriff der Lieferung von
Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher
ausführt, und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit
beruhen, sind dagegen nicht erfüllt, wenn der Steuerpflichtige
selbst eine Steuerhinterziehung begeht (EuGH-Urteil Axel Knittel
u.a. in BFH/NV Beilage 2006, 454, UR 2006, 594 = SIS 06 33 36 Rz
53).
Allein der Umstand, „dass eine
Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder
wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom
Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war“, steht
dem Vorsteuerabzug jedoch nicht entgegen (EuGH-Urteile Axel Kittel
u.a. in BFH/NV Beilage 2006, 454, UR 2006, 594 = SIS 06 33 36 Rz
52; Optigen u.a. in Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144 =
SIS 06 07 07 Rz 55).
Wirtschaftsteilnehmer, die alle
Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen
verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre
Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine
Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen
sind, können auf die Rechtmäßigkeit dieser
Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf
Vorsteuerabzug zu verlieren (EuGH-Urteile Axel Kittel u.a. in
BFH/NV Beilage 2006, 454, UR 2006, 595 = SIS 06 33 36 Rz 52;
Optigen u.a. in Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144 = SIS 06 07 07 Rz 55; vgl. auch EuGH-Urteil vom 11.5.2006 Rs. C-384/04, Federation of Technological Industries, Slg.
2006, I-4191 = SIS 06 24 65, Rz 33; BFH-Beschluss vom
26.8.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255 = SIS 05 08 19).
Selbst wenn der Umsatz den objektiven
Kriterien einer Lieferung genügt (Verschaffung der
Verfügungsmacht an den betreffenden Gegenständen, vgl.
Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, § 3 Abs. 1 UStG 1999)
und die Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne
der Richtlinie 77/388/EWG zu beurteilen wäre, ist der
Vorsteuerabzug jedoch zu versagen, wenn aufgrund objektiver
Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder
wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit
seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine
Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (EuGH-Urteile Optigen
u.a. in Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144 = SIS 06 07 07
Rz 52 und 55; Axel Kittel u.a. in BFH/NV Beilage 2006, 454, UR
2006, 594 = SIS 06 33 36 Rz 60 und 61).
Das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Missbrauchs des Rechts auf Vorsteuerabzug ist nach Maßgabe
der Beweisregeln des nationalen Rechts festzustellen (EuGH-Urteil
vom 21.2.2006 Rs. C-255/02, Halifax u.a., BFH/NV Beilage 2006, 260,
UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rz 76).
b) Das FG ist insoweit von anderen
Grundsätzen ausgegangen; sein Urteil war daher aufzuheben. Das
FG hat zwar geprüft, ob die Klägerin von der Einbindung
in einen Betrug wusste (das hat es verneint), nicht aber, ob die
Klägerin dies „wissen konnte“.
Das FG geht hinsichtlich der Rechnungen der
N-GmbH und - soweit ersichtlich - wohl auch der I-GmbH davon aus,
dass tatsächlich Warenbewegungen ausgeführt worden sind.
Hierfür spreche insbesondere, dass die Klägerin
„Ausgaben in Höhe von 610.238 DM für
Warenzählungen und stichprobenweise Überprüfung an
die Spedition gezahlt“ habe. Vom Vorhandensein der Ware
gehe auch der Bericht der Steuerfahndung aus.
Ob es sich dabei um die jeweils in den
streitigen Rechnungen abgerechneten Handy-Lieferungen gehandelt
hat, ergibt sich daraus jedenfalls nicht ohne weiteres.
Im Übrigen hat das FG ausgeführt,
eine Beteiligung der Klägerin an dem auf Steuerbetrug
angelegten Tatplan könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen
werden, es sprächen aber erhebliche Anhaltspunkte für
eine wissentliche Einbindung der Klägerin in die gemeinsame
Tatabsprache. Ob das FG hiernach davon ausging, dass die
Klägerin die Einbeziehung in einen Tatplan mit dem Ziel der
Umsatzsteuerhinterziehung wissen konnte, ergibt sich daraus nicht.
Ob die Klägerin wissen konnte bzw. hätte wissen
müssen, dass sie sich mit ihrem Erwerb an einem Umsatz
beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war,
ist im Wesentlichen tatsächliche Würdigung, die allein
dem FG obliegt. Auch wenn die vom FG beispielhaft aus dem in Bezug
genommenen umfangreichen Bericht der Steuerfahndung genannten
Anhaltspunkte dafür sprechen könnten, dass die
Klägerin den hinter der Lieferung stehenden Tatplan kennen
konnte, kann der BFH die dem FG obliegende tatsächliche
Würdigung nicht ersetzen. Die Sache war daher an das FG
zurückzuverweisen.
3. Zur Förderung des Verfahrens mit
Rücksicht auf die vom AG bis zum Abschluss des Verfahrens
ausgesetzte Löschung der Klägerin im Handelsregister
erscheint es zweckmäßig, noch auf Folgendes
hinzuweisen:
a) Bei der Klärung der Frage, ob die
Klägerin in den Tatplan eingeweiht war oder den auf
Umsatzsteuerhinterziehung angelegten Zweck der Lieferkette kannte
oder hätte kennen können, wird das FG bei seiner
Beweiswürdigung berücksichtigen müssen, ob die
Klägerin Maßnahmen unterlassen hat, die sie
vernünftigerweise treffen musste, um sicherzustellen, dass
ihre Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine
Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen
sind; in diesem Zusammenhang kann die Aufzeichnung der
IMEI–Nummer von Bedeutung sein, selbst wenn diese nicht
bereits zu den handelsüblichen Angaben auf der Rechnung oder
zu den die Rechnung und den Lieferschein ergänzenden
Unterlagen i.S. des § 14 UStG 1999 gehört. Nach einer im
Schrifttum vertretenen Ansicht spricht wegen der Bedeutung der
IMEI-Nummer einiges dafür, dass die Aufzeichnung der
IMEI-Nummer jedenfalls zu den die Rechnung ergänzenden
Unterlagen gehört (vgl. z.B. Jorcyk/Rüht, Der
Umsatzsteuer-Berater, 2007, 103; Birkenfeld, Umsatzsteuer-
Handbuch, § 163 Rz 78; Leitmeier/Zühlke, Die steuerliche
Betriebsprüfung 2003, 290).
b) Wie bereits oben (unter 2. a)
ausgeführt, ist das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Missbrauchs des Rechts auf Vorsteuerabzug nach Maßgabe der
Beweisregeln des nationalen Rechts festzustellen. Danach ist zu
berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des
BFH in tatsächlicher Hinsicht der den Vorsteuerabzug
begehrende Unternehmer die Feststellungslast dafür trägt,
dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999
erfüllt sind (z.B. BFH-Urteile vom 4.9.2003 V R 9, 10/02,
BFH/NV 2004, 149 = SIS 03 51 76; vom 16.8.2001 V R 67/00, BFH/NV
2002, 223 = SIS 02 51 82; BFH-Beschlüsse vom 12.12.2001 V B
81/00, BFH/NV 2002, 553 = SIS 02 58 96; vom 24.7.2002 V B 25/02,
BFHE 199, 85, UR 2002, 522 = SIS 02 93 29). Demzufolge ist es seine
Sache, entscheidungserhebliche Tatsachen im Rahmen seiner
Mitwirkungspflicht, bei der auch die Beweisnähe zu
berücksichtigen ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 255 = SIS 05 08 19; BFH-Urteile vom 15.7.2004 V R 1/04, BFH/NV 2005, 81 = SIS 05 04 39; vom 12.12.2000 VIII R 36/99, BFH/NV 2001, 789 = SIS 01 65 80; vom 15.2.1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462 = SIS 89 15 53, unter 3. der Gründe), glaubhaft zu machen (§
155 FGO i.V.m. § 294 ZPO). Das gilt - entgegen der Auffassung
der Klägerin - auch, soweit es um die Frage geht, ob die
Klägerin vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten wusste
oder diesen zumindest kennen konnte. Die Schwierigkeit eines
Negativbeweises ändert die Verteilung der Beweislast
grundsätzlich nicht (z.B. BFH-Beschluss vom 8.4.1993 X B
22/92, BFH/NV 1994, 180, m.w.N.; BVerwG-Urteil vom 27.9.2006 3 C
34.05, BVerwGE 126, 365, Neue Juristische Wochenschrift, 2007, 789,
m.w.N.). Denn denjenigen, der sich auf das Nichtvorliegen von
Tatsachen oder Umständen beruft, kann die Feststellungslast
ohnehin nur treffen, wenn der Gegner - hier das FA - substantiiert
Tatsachen oder Umstände vorgetragen hat, die für das
Vorliegen des Positivums sprechen.
c) Käme das FG gleichwohl zum Ergebnis,
dass die Klägerin gutgläubig war, wäre zu
prüfen, ob dem streitigen Vorsteuerabzug entgegensteht, dass
die Rechnungsangaben nicht ausreichend sind. Dazu wäre u.a. zu
ermitteln, ob im Streitjahr bei Lieferungen von Mobiltelefonen die
Angabe der IMEI-Nummern in den Rechnungen oder in diese
ergänzenden Geschäftsunterlagen
„handelsüblich“ (vgl. § 14 Abs. 1 UStG
1999) war.
4. Eine Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0 DM
käme selbst dann nicht in Betracht, wenn - entgegen der
Auffassung der Klägerin - davon auszugehen wäre, dass die
Klägerin wissentlich in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden
war.
Zu den Folgen einer missbräuchlichen
Praxis hat der EuGH zwar entschieden, dass - wenn der
Steuerpflichtige diese Praxis kannte oder kennen konnte - die
Umsätze ohne Berücksichtigung dieser eine
missbräuchliche Praxis darstellenden
„Umsätze“ neu zu definieren sind
(EuGH-Urteil Halifax u.a. in BFH/NV Beilage 2006, 260, UR 2006, 232
= SIS 06 12 87 Rz 93, 98); im Falle einer zum Ziel des
Mehrwertsteuerbetruges von mehreren Unternehmern
planmäßig hintereinandergeschalteten Lieferkette
hätte dies zwar zur Folge, dass dem Steuerpflichtigen der
Vorsteuerabzug aus den „Eingangslieferungen“
nicht zusteht, dementsprechend aber auch die Steuern für die
entsprechenden „Ausgangsumsätze“ nicht zu
erfassen sind (vgl. EuGH-Urteil Halifax u.a. in BFH/NV Beilage
2006, 260, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87 Rz 96).
Hat der Steuerpflichtige allerdings - wie hier
die Klägerin - über diese
„Umsätze“ Rechnungen mit ausgewiesener
Umsatzsteuer ausgestellt, schuldet er die ausgewiesene Umsatzsteuer
bis zur Berichtigung der Rechnungen nach § 14 Abs. 3 UStG
1999. Danach käme jedenfalls für das Streitjahr eine
weitere Herabsetzung der Umsatzsteuer selbst dann nicht in
Betracht, wenn die Klägerin - entgegen ihrem eigenen Vortrag -
wissentlich in die Lieferkette eingebunden gewesen wäre.
5. Eine Anrufung des EuGH nach Art. 234 des
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zu
der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob eine
Verpflichtung zur Aufzeichnung der Gerätenummern als
Voraussetzung für den Vorsteuerabzug mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, bedarf es schon deshalb nicht,
weil diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Im Übrigen
ist die Prüfung der Frage, ob unter Berücksichtigung der
konkreten Umstände des Einzelfalls und der Rechtsprechung des
EuGH die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen,
grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte (vgl. z.B.
EuGH-Urteil vom 25.2.1999 Rs. C-349/96, Card Protection Plan Ltd.,
Slg. 1999, I-973, UVR 1999, 157 = SIS 99 10 25 Rz 30).
6. Die nach der mündlichen Verhandlung
von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze ergeben keinen
Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.