I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Setzt Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
vom 28.11.2006 (MwStSystRL) die Angabe einer Anschrift des
Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen
Tätigkeiten entfaltet?
2. Für den Fall, dass Frage 1. zu
verneinen ist:
a) Reicht für die Angabe der Anschrift
nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse?
b) Welche Anschrift ist von einem
Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels)
betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in
der Rechnung anzugeben?
3. Ist für den Fall, dass die formellen
Rechnungsanforderungen des Art. 226 MwStSystRL nicht erfüllt
sind, der Vorsteuerabzug bereits immer dann zu gewähren, wenn
keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der Steuerpflichtige die
Einbeziehung in einen Betrug weder kannte noch kennen konnte oder
setzt der Vertrauensschutzgrundsatz in diesem Fall voraus, dass der
Steuerpflichtige alles getan hat, was von ihm zumutbarer Weise
verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu
überprüfen?
II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung
durch den EuGH ausgesetzt.
1
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I. Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens
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2
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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob
der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) aus Rechnungen
der Firma Z (Z) den Vorsteuerabzug geltend machen kann.
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3
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Der Kläger betreibt einen
Kraftfahrzeughandel. In den Streitjahren (2009 bis 2011) kaufte er
u.a. Fahrzeuge von Z, der sein Unternehmen im Jahr 2006 in die
E-Straße in R (Inland) verlegt hatte. Unter dieser Adresse
hat Z dem Kläger die streitbefangenen Rechnungen
ausgestellt.
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4
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Z hatte in N (Inland) von der dort
ansässigen Firma U Räumlichkeiten angemietet. Ob es sich
dabei um einen Raum oder nur um den Teil eines Raumes handelte, ist
streitig. Unstreitig ist, dass Z dort kein Autohaus unterhielt. Er
vertrieb ausschließlich im Onlinehandel. Die Fahrzeuge wurden
dem Kläger oder seinen Mitarbeitern zum Teil in R in der
E-Straße, zum Teil an öffentlichen Plätzen - z.B.
Bahnhofsvorplätzen - übergeben. Nach dem Vortrag des
Klägers kam in dem Büro Post an, wurde dort sortiert und
bearbeitet und es wurden dort die Akten geführt. Außen
am Gebäude befand sich ein Firmenschild mit dem Aufdruck
„Z“. Ob sich dort auch ein Briefkasten befand, ist
nicht geklärt. Z wurde unter der vorgenannten Anschrift beim
Finanzamt T geführt.
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5
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Im Rahmen einer beim Kläger
durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung gelangte der
Prüfer zu der Auffassung, dass Vorsteuerbeträge aus den
Eingangsrechnungen des Z nicht in Abzug gebracht werden
könnten, weil die in den Rechnungen ausgewiesene Anschrift des
leistenden Unternehmers tatsächlich nicht bestanden habe. Z
habe im Inland keine Betriebsstätte. Die Geschäftsadresse
diene nur als Briefkastenadresse (Scheinadresse), an der lediglich
von Z die Post abgeholt worden sei. Es sei dort nichts vorhanden
gewesen, was auf ein Unternehmen hindeute.
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6
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) folgte der Auffassung der
Umsatzsteuer-Sonderprüfung und erließ am 13.9.2013
geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2009 bis 2011. Mit
Verfügung vom 1.10.2013 lehnte es den Antrag des Klägers
auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen
gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) ab. Die
hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg.
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7
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Z habe unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift zwar keine
geschäftlichen Aktivitäten entfaltet, denn es sei bereits
unklar, ob Z überhaupt einen abgeschlossenen Raum oder
lediglich eine Teilfläche in einem Raum gemietet habe. Selbst
wenn man davon ausgehe, dass Z einen ganzen Raum angemietet habe,
sei dieser nicht so eingerichtet gewesen, dass dort
geschäftliche Aktivitäten hätten stattfinden
können.
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8
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Der Klage sei aber stattzugeben, weil die
Angabe der Anschrift i.S. des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfordere, dass dort
geschäftliche Aktivitäten stattfänden. Die
anderslautende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei in
Anbetracht der technischen Fortentwicklung und der Änderung
des Geschäftsgebarens überholt.
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9
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Im Übrigen habe die Klage auch mit dem
Hilfsantrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen Erfolg. Der Kläger habe alles getan,
was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden könne, um die
Unternehmereigenschaft des Z und die Richtigkeit der
Rechnungsangaben zu überprüfen.
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10
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Hiergegen richtet sich die Revision, mit
der das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs. 1, §
14 Abs. 4 UStG) sowie Verfahrensfehler (Verletzung der Pflicht zur
Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ) geltend macht.
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11
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Das FG habe im Rahmen seiner Verpflichtung
zur Sachaufklärung aufklären müssen, ob es sich bei
den Lieferungen des Z um innergemeinschaftliche Lieferungen
gehandelt habe; hierfür gebe es zahlreiche
Anhaltspunkte.
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Im Übrigen scheitere der
Vorsteuerabzug daran, dass die Rechnungen des Z nicht die Anschrift
auswiesen, unter der er seine geschäftlichen Aktivitäten
entfaltet habe.
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13
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Die Gewährung der Vorsteuern im
Billigkeitsverfahren komme nicht in Betracht, weil der Kläger
nicht alles ihm Zumutbare getan habe, um sich von der Richtigkeit
der Rechnungsangaben zu überzeugen.
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14
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Das FA beantragt sinngemäß, das
FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
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Soweit das FA rüge, das FG habe nicht
aufgeklärt, ob es sich bei den Lieferungen des Z um
innergemeinschaftliche Lieferungen gehandelt habe, liege neuer, im
Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigender Sachvortrag
vor.
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Im Übrigen hätten die Rechnungen
des Z dessen zutreffende Anschrift ausgewiesen. Denn dort habe sich
dessen Unternehmen befunden. Z habe dort Miete gezahlt, einen
eigenen Briefkasten und ein Firmenschild gehabt, geschäftliche
Unterlagen dort verwahrt, Post sei dort für ihn angenommen und
abgeholt worden und er habe einen Festnetztelefonanschluss
unterhalten.
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II. Der Senat legt dem EuGH die in den
Leitsätzen bezeichneten Fragen zur Auslegung der MwStSystRL
vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.
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1. Rechtlicher Rahmen
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a) Unionsrecht
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Art. 168 MwStSystRL bestimmt zum Umfang des
Rechts auf Vorsteuerabzug:
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„Soweit die Gegenstände und
Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten
Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt,
in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom
Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge
abzuziehen:
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a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete
oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und
Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen
geliefert bzw. erbracht wurden oder werden; ...“.
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Art. 178 MwStSystRL regelt die Voraussetzungen
zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug wie folgt:
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„Um das Recht auf Vorsteuerabzug
ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende
Bedingungen erfüllen:
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a) für den Vorsteuerabzug nach Artikel
168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen
oder das Erbringen von Dienstleistungen muss er eine
gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte
Rechnung besitzen; ...“.
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23
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Gemäß Art. 220 Abs. 1 MwStSystRL
stellt jeder Steuerpflichtige in folgenden Fällen eine
Rechnung entweder selbst aus oder stellt sicher, dass eine Rechnung
vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder in seinem
Namen und für seine Rechnung von einem Dritten ausgestellt
wird:
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„1. Er liefert Gegenstände oder
erbringt Dienstleistungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder
an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person;
...“.
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Art. 226 MwStSystRL bestimmt zu den
obligatorischen Rechnungsangaben:
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„Unbeschadet der in dieser Richtlinie
festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den
Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für
Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:
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5. den vollständigen Namen und die
vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers
oder Dienstleistungsempfängers; ...“.
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In Art. 1 der Dreizehnten Richtlinie
86/560/EWG des Rates vom 17.11.1986 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
- Verfahren der Erstattung der Mehrwerststeuer an nicht im Gebiet
der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (Richtlinie
86/560/EWG) heißt es:
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„Im Sinne dieser Richtlinie
gilt
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1. als nicht im Gebiet der Gemeinschaft
ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige nach
Artikel 4 Absatz 1 der [Sechsten] Richtlinie, der in dem Zeitraum
nach Artikel 3 Absatz 1 der vorliegenden Richtlinie in diesem
Gebiet weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch
eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt
worden sind, noch – in Ermangelung eines solchen Sitzes oder
einer festen Niederlassung – seinen Wohnsitz oder
üblichen Aufenthaltsort gehabt hat und der in dem gleichen
Zeitraum in dem in Artikel 2 genannten Mitgliedstaat keine
Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat
...“.
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b) Nationales Recht
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§ 14 UStG bestimmt zur Ausstellung von
Rechnungen:
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„(1) Rechnung ist jedes Dokument, mit
dem über eine Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet
wird, gleichgültig, wie dieses Dokument im
Geschäftsverkehr bezeichnet wird. Die Echtheit der Herkunft
der Rechnung, die Unversehrtheit ihres Inhalts und ihre Lesbarkeit
müssen gewährleistet werden. Echtheit der Herkunft
bedeutet die Sicherheit der Identität des Rechnungsausstellers
... .
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...
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28
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(4) Eine Rechnung muss folgende Angaben
enthalten:
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1. den vollständigen Namen und die
vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des
Leistungsempfängers, ...“.
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§ 15 Vorsteuerabzug
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(1) Der Unternehmer kann die folgenden
Vorsteuerbeträge abziehen:
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1. die gesetzlich geschuldete Steuer für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen
Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der
Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte
Rechnung besitzt.
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§ 163 AO regelt zur abweichenden
Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen:
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„Steuern können niedriger
festgesetzt werden, und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die
Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer
unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach
Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Mit Zustimmung des
Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden,
dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer
erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren
Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer
früheren Zeit berücksichtigt werden. Die Entscheidung
über die abweichende Festsetzung kann mit der
Steuerfestsetzung verbunden werden.“
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§ 227 AO bestimmt zum Erlass:
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„Die Finanzbehörden können
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum
Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls
unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können
bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet
werden.“
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2. Vorbemerkungen zur
Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen
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33
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a) Für 15 v.H. der Lieferungen, die der
Kläger von Z bezogen hat, hat das FG gemäß §
118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend festgestellt, dass die
Fahrzeuge „aus Deutschland stammten“. Der Senat
versteht dies dahingehend, dass die Lieferungen in Deutschland
ausgeführt wurden und die materiellen Voraussetzungen des
§ 15 Abs. 1 UStG erfüllt sind. Damit ist für diese
Lieferungen die Frage entscheidungserheblich, ob die Rechnungen des
Z den Kläger zum Vorsteuerabzug berechtigen.
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b) Für 85 v.H. der Fahrzeuglieferungen
sind die an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung zu
stellenden Voraussetzungen und die Vorlagefragen im derzeitigen
Verfahrensstadium (noch) nicht entscheidungserheblich, weil das FG
nicht geklärt hat, ob überhaupt die materiellen
Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG - hier die vom leistenden
Unternehmer „geschuldete Steuer“ - erfüllt
sind.
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Da die Fahrzeuge nach den Feststellungen des
FG aus Frankreich stammten, Z dort seinen Wohnsitz und seine
Bankverbindung hatte und in Deutschland in R keine
geschäftlichen Aktivitäten entfaltete, liegt es nicht
fern, dass die Fahrzeuge bei der Lieferung an den Abnehmer
(Kläger) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet
eines anderen Mitgliedstaates gelangt und diese Lieferungen des Z
an den Kläger deshalb gemäß § 4 Nr. 1 Buchst.
b, § 6a UStG als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei
sind. Damit würden bereits die materiellen Voraussetzungen des
Vorsteuerabzugsrechts nach § 15 Abs. 1 UStG nicht vorliegen,
weil diese eine vom leistenden Unternehmer
„geschuldete“ Steuer voraussetzen. Die Frage
nach den Rechnungsanforderungen würde sich folglich nicht
stellen.
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3. Zur Rechtslage ...
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a) ... nach nationalem Recht
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aa) Festsetzungsverfahren
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39
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG
setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass der Unternehmer eine nach den
§§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Dies
erfordert, dass die dem Unternehmer erteilte Rechnung den
Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entspricht (z.B. BFH-Urteil
vom 10.9.2015 V R 17/14, BFH/NV 2016, 80 = SIS 15 28 64, Rz 26,
28). Das umfasst gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
UStG die Angabe des vollständigen Namens und der
vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des
Leistungsempfängers. Fehlen die für den Vorsteuerabzug
nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlichen
Rechnungsangaben oder sind sie unzutreffend, besteht kein Anspruch
auf Vorsteuerabzug (BFH-Urteile vom 22.7.2015 V R 23/14, BFHE 250,
559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 22; vom 2.9.2010 V R
55/09, BFHE 231, 332, BStBl II 2011, 235 = SIS 10 36 34, Rz 12; vom
30.4.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 31 f.; vom 23.9.2009 II R 66/07, BFHE 227, 212, BStBl II
2010, 712 = SIS 09 37 64, Rz 10; vom 17.12.2008 XI R 62/07, BFHE
223, 535, BStBl II 2009, 432 = SIS 09 07 00, Rz 13 ff.).
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40
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Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
wird das Merkmal „vollständige Anschrift“
in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nur durch die Angabe der
zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt,
unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.
Denn sowohl Sinn und Zweck der Regelung in § 15 Abs. 1, §
14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG als auch das Prinzip des Sofortabzugs
der Vorsteuer gebieten es, der Finanzverwaltung anhand der Rechnung
eine eindeutige und leichte Nachprüfbarkeit des
Tatbestandsmerkmals der Leistung eines anderen Unternehmers zu
ermöglichen. Deshalb ist die in der Rechnung ausgewiesene
Umsatzsteuer nur dann als Vorsteuer abzuziehen, wenn der in der
Rechnung angegebene Sitz des leistenden Unternehmers bei
Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung
tatsächlich bestanden hat; die Angabe eines
„Briefkastensitzes“ mit nur postalischer
Erreichbarkeit, an dem im Zeitpunkt der Rechnungstellung keinerlei
geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht als
zutreffende Anschrift nicht aus (BFH-Urteile vom 22.7.2015 V R
23/14, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 25; vom 8.7.2009 XI R
51/07, BFH/NV 2010, 256 = SIS 10 01 88, Rz 16; vom 30.4.2009 V R
15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 32, 39;
vom 6.12.2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695 = SIS 08 16 95, Rz 33; vom 19.4.2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II
2009, 315 = SIS 07 28 51, Rz 50; vom 27.6.1996 V R 51/93, BFHE 181,
197, BStBl II 1996, 620 = SIS 96 24 01, Rz 15). Die im BFH-Urteil
in BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315 = SIS 07 28 51, Rz 50 in einem
obiter dictum geäußerte Ansicht, dass „nach den
Umständen des Einzelfalles ... auch ein
‘Briefkasten-Sitz’ mit postalischer Erreichbarkeit der
Gesellschaft ausreichen ...“ könne, hat der BFH im
Urteil in BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 25
(die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2419/15 hat das
Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 13.2.2016 nicht zur
Entscheidung angenommen) ausdrücklich aufgegeben.
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Da nach den den Senat bindenden Feststellungen
des FG unter der von Z in den Rechnungen angegebenen Adresse keine
wirtschaftlichen Aktivitäten stattgefunden haben, kann dem
Kläger nach deutschem Umsatzsteuerrecht im
Festsetzungsverfahren der Vorsteuerabzug nicht gewährt
werden.
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42
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bb) Billigkeitsverfahren
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(1) Allerdings kann der Vorsteuerabzug auch
beim Fehlen einer materiellen oder formellen Voraussetzung aufgrund
besonderer Verhältnisse des Einzelfalls unter
Vertrauensschutzgesichtspunkten zu gewähren sein. Denn die
Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit
sind Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung und müssen von den
Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die
Gemeinschaftsrichtlinien einräumen, beachtet werden
(ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. EuGH-Urteile Salomie
und Oltean vom 9.7.2015 C-183/14, EU:C:2015:454, Rz 30; Tomoiaga
vom 9.7.2015 C-144/14, EU:C:2015:452, Rz 33; Elmeka vom 14.9.2006
C-181/04, C-182/04, C-183/04, EU:C:2006:563, Rz 31; Goed Wonen vom
26.4.2005 C-376/02, EU:C:2005:251, Rz 32; Belgocodex vom 3.12.1998
C-381/97, EU:C:1998:589, Rz 26).
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44
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(2) Soweit der Vorsteuerabzug danach nicht aus
den objektiven Merkmalen des § 15 UStG, sondern aus dem
allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes und somit aus
dem guten Glauben des Leistungsempfängers an das Vorliegen der
- tatsächlich nicht erfüllten - materiellen oder
formellen Merkmale des Vorsteuerabzugs hergeleitet wird, ist er
nach deutschem Verfahrensrecht nicht bei der Steuerfestsetzung nach
§§ 16, 18 UStG, sondern im Rahmen einer
Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO
zu gewähren (BFH-Urteile in BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914
= SIS 15 19 48, Rz 31 f.; in BFH/NV 2016, 80 = SIS 15 28 64, Rz 48;
in BFH/NV 2010, 256 = SIS 10 01 88, Rz 19; in BFHE 225, 254, BStBl
II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 46). Dabei ist die Entscheidung
über die Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163
Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu
verbinden (z.B. BFH-Urteil in BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 =
SIS 09 21 18, Rz 48).
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(3) Die Entscheidung nach § 163 AO ist
zwar grundsätzlich eine Ermessensentscheidung (Beschluss des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
19.10.1971 Gms-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603 = SIS 72 03 54, zu § 131 der Reichsabgabenordnung; BFH-Urteile in BFHE
225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 48; vom 21.8.1997 V
R 47/96, BFHE 183, 304, BStBl II 1997, 781 = SIS 97 22 87, Rz 11),
die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt
überprüfbar ist (§ 102 FGO). Erfordern aber
gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme,
ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf Null
reduziert (BFH-Urteile vom 30.7.2008 V R 7/03, BFHE 223, 372,
BFH/NV 2009, 438 = SIS 09 03 42, Rz 49; vgl. auch BFH-Urteil vom
8.3.2001 V R 61/97, BFHE 194, 517, BStBl II 2004, 373 = SIS 01 08 84, Rz 30).
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(4) Das deutsche Verfahrensrecht, das
Vertrauensschutzgesichtspunkte nur in einem gesonderten
Billigkeitsverfahren berücksichtigt, steht nicht im
Widerspruch zum Unionsrecht; denn nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH sind mangels einer einschlägigen
Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den
Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden
Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der
Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen
Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (EuGH-Urteile Reemtsma vom
15.3.2007 C-35/05, EU:C:2007:167 = SIS 07 10 88, Rz 40; i-21
Germany und Arcor vom 19.9.2006, C-392/04 und C-422/04,
EU:C:2006:586 = SIS 06 47 54, Rz 57; vgl. auch EuGH-Urteil Schmeink
& Cofreth und Strobel vom 19.9.2000 C-454/98, EU:C:2000:469 = SIS 00 12 77, Rz 65, 66, Leitsatz 2 zur Berichtigung von zu Unrecht in
Rechnung gestellter Mehrwertsteuer).
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47
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(5) Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren
setzt voraus, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer
gutgläubig war und alles getan hat, was von ihm in zumutbarer
Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben
zu überprüfen (BFH-Urteil vom 8.10.2008 V R 63/07, BFH/NV
2009, 1473 = SIS 09 26 98, Rz 65). Denn durch die Rechtsprechung
des EuGH ist geklärt, dass „Wirtschaftsteilnehmer,
die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von
ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre
Umsätze nicht in einen Betrug - sei es eine
Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug - einbezogen
sind, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze
vertrauen können, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf
Vorsteuerabzug zu verlieren“ (EuGH-Urteile Kittel und
Recolta Recycling vom 6.7.2006 C-439/04 und C-440/04, EU:C:2006:446
= SIS 06 33 36, Rz 51; vgl. auch BFH-Beschluss vom 13.10.2014 V B 19/14, BFH/NV 2015, 243 = SIS 14 34 83, Rz 6). Das ist aufgrund der
Besonderheiten des vorliegenden Falles zweifelhaft, weil die
Übergabe neuer Fahrzeuge an öffentlichen Orten und Orten,
an denen kein Geschäftsbetrieb stattfindet, zu besonderer
Achtsamkeit Anlass bietet.
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b) ... nach Unionsrecht.
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Die formellen Rechnungsvoraussetzungen mit
Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers,
unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet,
entsprechen nach Auffassung des Senats dem Unionsrecht (BFH-Urteile
in BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 34 ff.; in
BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695 = SIS 08 16 95, Rz 34). Die
Regelungen in § 15 Abs. 1, § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG
beruhen auf Art. 168, 178, 226 MwStSystRL. Nach Art. 178 Buchst. a
MwStSystRL ist die Ausübung des in Art. 168 Buchst. a dieser
Richtlinie bezeichneten Rechts auf Vorsteuerabzug an den Besitz
einer Rechnung geknüpft, die die in Art. 226 MwStSystRl
genannten Angaben enthalten muss (EuGH-Urteil Pannon Gép vom
15.7.2010 C-368/09, EU:C:2010:44, Leitsatz sowie Rz 39, 40;
Dankowski vom 22.12.2010 C-438/09, EU:C:2010:818 = SIS 11 01 66, 7
ff. zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelung in Art. 22 Abs.
3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Richtlinie 77/388/EWG
- ).
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Nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL muss die
Rechnung den vollständigen Namen und die vollständige
Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers oder
Dienstleistungsempfängers enthalten. Art. 226 MwStSystRL
regelt die Ausstellung der Rechnung
„verbindlich“ (EuGH-Urteil Reisdorf vom
5.12.1996 C-85/95, EU:C:1996:466, Rz 21 zu der inhaltsgleichen
Regelung in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG). Mit Art. 226
MwStSystRL sind „Mindestanforderungen“ an die
Angaben festgelegt worden, die „zwingend“ in der
Rechnung oder dem an ihre Stelle tretenden Dokument enthalten sein
müssen (vgl. EuGH-Urteil Langhorst vom 17.9.1997 C-141/96,
EU:C:1997:417 = SIS 97 21 46, Rz 16, 17 zu Art. 22 Abs. 3 der
Richtlinie 77/388/EWG).
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Nach Ansicht des Senats umfasst der Begriff
der „vollständigen Anschrift des
Steuerpflichtigen“ nur die zutreffende Anschrift. Die
Angabe einer Scheinadresse, an der keine wirtschaftlichen
Aktivitäten entfaltet werden, ist nicht mit dem Begriff der
„vollständigen Anschrift“ in Art. 226
MwStSystRL zu vereinbaren. Ein bloßer
„Briefkastensitz“ reicht nicht aus. Dies folgt
auch aus dem EuGH-Urteil Planzer Luxembourg vom 28.6.2007 C-73/06
(EU:C:2007:397). Der EuGH hat darin zum Sitz einer wirtschaftlichen
Tätigkeit i.S. von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 86/560/EWG
entschieden, dass sich eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie
für eine „Briefkastenfirma“ oder für
eine „Strohfirma“ charakteristisch ist, nicht
als derartiger Sitz ansehen lässt (EuGH-Urteil Planzer
Luxembourg EU:C:2007:397, Rz 62). Das lässt sich auf den
Begriff der „vollständigen Anschrift“ i.S.
des Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL übertragen: Der EuGH hat im
selben Urteil nämlich auch entschieden, dass die
Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein
grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen
Mehrwertsteuersystems ist (EuGH-Urteil Planzer Luxembourg,
EU:C:2007:397, Rz 43). Ein bloßer
„Briefkastensitz“ bildet die wirtschaftliche
Realität in vielen Fällen aber gerade nicht ab, sondern
verschleiert sie (BFH-Urteil in BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 =
SIS 15 19 48, Rz 28).
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Hinzu kommt, dass die Bekämpfung von
Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Missbräuchen ein
Ziel ist, das von der MwStSystRL anerkannt und gefördert wird
(z.B. EuGH-Urteile Italmoda vom 18.12.2014 C-131/13, C-163/13,
C-164/13, EU:C:2014:2455, Rz 42; Maks Pen vom 13.2.2014 C-18/13,
EU:C:2014:69 = SIS 14 04 39, Rz 26; Mahagében und David vom
21.6.2012 C-80/11 und C-142/11, EU:C:2012:373, Rz 41). Der EuGH hat
dies zwar jeweils zu der Frage, ob im konkreten Einzelfall der
Vorsteuerabzug wegen eines missbräuchlichen Verhaltens
aberkannt werden kann, entschieden. Diese Zielsetzung kann nach
Auffassung des Senats aber auch bei Zweifeln über die
Auslegung einzelner Merkmale der Vorsteuerabzugsberechtigung
Berücksichtigung finden.
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4. Zur ersten und zweiten
Vorlagefrage
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Der Senat hat Zweifel, ob seine Auslegung des
Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL im Einklang mit dem EuGH-Urteil PPUH
Stehcemp vom 22.10.2015 C-277/14 (EU:C:2015:719 = SIS 15 25 75)
steht. Der EuGH hat im Urteil PPUH Stehcemp zwar entschieden, dass
Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (Art. 178
Buchst. a MwStSystRL) vorsieht, dass der Steuerpflichtige eine nach
Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie (Art. 226 MwStystRL) ausgestellte
Rechnung besitzen muss, was insbesondere auch voraussetzt, dass die
Rechnung den vollständigen Namen und die vollständige
Anschrift des Steuerpflichtigen ausweist (EuGH-Urteil PPUH
Stehcemp, EU:C:2015:719 = SIS 15 25 75, Rz 29). Der Gerichtshof ist
dabei aber vom Vorliegen der formellen Rechnungsvoraussetzungen
ausgegangen, obwohl an der im Handelsregister (und wohl auch in der
Rechnung) als Gesellschaftssitz bezeichneten Anschrift keine
wirtschaftliche Tätigkeit möglich war und hat
entschieden, dass einem Steuerpflichtigen das Recht auf
Vorsteuerabzug nicht mit der Begründung versagt werden darf,
dass die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt
wurde, der als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen
ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des
tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen
(EuGH-Urteil PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719 = SIS 15 25 75, Rz 49,
53). Das lässt möglicherweise den Schluss zu, dass es
für den Vorsteuerabzug nicht auf das Vorliegen aller formellen
Rechnungsvoraussetzungen ankommt oder zumindest die
vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen keine Anschrift
voraussetzt, unter der wirtschaftliche Tätigkeiten entfaltet
wurden (hierzu die Vorlagefragen zu 1. und 2.).
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5. Zur dritten Vorlagefrage
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Der Senat hat auch Zweifel, ob die
Anforderungen, die er an die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten stellt, wenn dessen materielle und
formelle Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt sind,
im Einklang mit dem Unionsrecht in der Auslegung durch den EuGH im
Urteil PPUH Stehcemp stehen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
ist es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, einen
Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der
betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene
Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei
einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten
Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde,
durch die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu sanktionieren,
wenn die nach der Richtlinie vorgesehenen materiellen und formellen
Voraussetzungen für die Entstehung und die Ausübung des
Rechts auf Vorsteuerabzug erfüllt sind (EuGH-Urteile PPUH
Stehcemp, EU:C:2015:719 = SIS 15 25 75, Rz 49; Maks Pen,
EU:C:2014:69 = SIS 14 04 39, Rz 26 ff.; Bonik vom 6.12.2012
C-285/11, EU:C:2012:774 = SIS 13 07 66, Rz 36 ff.; Mahagében
und Dávid, EU:C:2012:373, Rz 44, 45 und 47; Optigen u.a. vom
12.1.2006 C-354/03, C-355/03 und C-484/03, EU:C:2006:16, Rz 51, 52
und 55; Kittel und Recolta Recycling, EU:C:2006:446 = SIS 06 33 36,
Rz 44 bis 46 und 60). Dem hat sich der BFH bereits angeschlossen
(z.B. BFH-Urteil in BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, Rz 44).
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Sind dagegen die materiellen und formellen
Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs - wie nach Auffassung des
Senats im vorliegenden Fall - nicht in vollem Umfang erfüllt,
kann ihr (teilweises) Fehlen zwar unter Berücksichtigung des
Vertrauensschutzgrundsatzes durch den guten Glauben des
Steuerpflichtigen an das Vorliegen dieser Voraussetzungen ersetzt
werden. Die Voraussetzungen hierfür können aber nicht
dieselben sein, wie sie vorliegen müssten, um den
Vorsteuerabzug trotz Vorliegens der materiellen und formellen
Voraussetzungen zu versagen. Deshalb reicht es nach Auffassung des
Senats nicht aus, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der
Steuerpflichtige von der Steuerhinterziehung nichts wusste und auch
nichts wissen konnte. Denn wäre der Vorsteuerabzug - jenseits
seiner materiellen und formellen Voraussetzungen - stets dann zu
gewähren, wenn keine Steuerhinterziehung vorliegt oder der
Steuerpflichtige von einer vorliegenden Steuerhinterziehung nichts
wusste und auch nichts wissen konnte, würden die materiellen
und formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs jede Bedeutung
verlieren.
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Vorsteuerabzug unter
Vertrauensschutzgesichtspunkten setzt beim (teilweisen) Fehlen der
Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs deshalb nach Auffassung des
Senats nach den Vorgaben der EuGH-Urteile Teleos vom 27.9.2007
C-409/04 (EU:C:2007:548 = SIS 08 00 38, Rz 66) und Netto Supermarkt
vom 21.2.2008 C-271/06 (EU:C:2008:105 = SIS 08 16 63, Rz 24, 25 und
27); vgl. auch EuGH-Urteil Vlaamse Oliemaatschappij vom 21.12.2011
C-499/10 (EU:C:2011:871 = SIS 11 39 95, Leitsatz sowie Rz 26 zur
gesamtschuldnerischen Haftung des Lagerinhabers und des
steuerpflichtigen Eigentümers der Güter) voraus, dass der
den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und
bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
außerstande war, das Fehlen der formellen
Rechnungsanforderungen zu erkennen, weil er alle Maßnahmen
ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden
können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der
Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug
ausgeschlossen ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1473 = SIS 09 26 98,
Rz 65).
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Der Hinweis des EuGH im Urteil PPUH Stehcemp
(EU:C:2015:719 = SIS 15 25 75, Rz 49) lässt demgegenüber
möglicherweise den Schluss zu, dass der Vorsteuerabzug aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten bereits dann zu gewähren ist,
wenn der Steuerpflichtige weder wusste noch wissen konnte, dass der
betreffende Umsatz in eine vom Lieferer begangene
Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei
einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten
Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde.
Der EuGH geht in Rz 49 zwar anscheinend vom Vorliegen der
materiellen und formellen Voraussetzungen für die
Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug aus. Andererseits war
in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt die Rechnung
von einem nicht existenten Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt worden
und es war zudem unmöglich, die Identität des
tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen, so
dass auch vom Fehlen der Voraussetzungen des Art. 226 Nr. 5
MwStSystRL auszugehen sein könnte. In diesem Fall wäre
ggf. die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus
Vertrauensschutzgründen in Betracht zu ziehen, was die Frage
nach deren Voraussetzungen aufwirft.
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6. Rechtsgrundlage für die Anrufung des
EuGH ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union.
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7. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf
§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO.
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