Rechnung einer GmbH, Vorsteuerabzug, Feststellungslast für angegebenen Sitz, Rechtsformneutralität: 1. Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trägt die Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH angegebene Sitz tatsächlich bestanden hat. - 2. Es besteht eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern. - 3. Die Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung sind für alle Unternehmer, unabhängig von der Rechtsform, dieselben. - Urt.; BFH 6.12.2007, V R 61/05; SIS 08 16 95
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) betreibt in Deutschland einen Kfz-Handel und erwarb
im Streitjahr (1996) unter anderem Fahrzeuge, die aus Italien
reimportiert worden waren.
Aufgrund einer
Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) für 1996 den
Vorsteuerabzug in Höhe von insgesamt 64.186,10 DM. Dabei
handelt es sich um Rechnungen der Firma W in N (Deutschland) sowie
um eine Rechnung vom 4.11.1996 mit einem Vorsteuerbetrag von
2.452,17 DM, die nicht an den Kläger, sondern an eine Firma M
in M (Deutschland) gerichtet gewesen sei.
Das FA wich von der
Umsatzsteuererklärung 1996 insoweit ab und erließ unter
dem 20.8.1998 einen Umsatzsteuerbescheid, in dem die Umsatzsteuer
um 64.186,10 DM höher als erklärt festgesetzt
wurde.
Einspruch und Klage, mit der der
Kläger die Herabsetzung der Umsatzsteuer um 61.734,73 DM
beantragte, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) ging nach den
Feststellungen der Umsatzsteuerprüfung von folgendem
Sachverhalt aus:
Die Adresse in N stellte lediglich eine
Scheinadresse dar, da der Rechnungsaussteller dort keine eigenen
wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet hatte. KW war vielmehr
in Italien ansässig und hatte auch das bei einer Bank in
Deutschland eingerichtete Geschäftskonto nicht genutzt. Unter
der Anschrift in N war nur ein Büroservice der Firma D
ansässig.
Das FG begründete sein Urteil (vgl.
SIS 04 12 07) im Wesentlichen wie folgt:
W sei lediglich
„papiermäßig“ in eine fingierte Lieferkette
eingeschaltet gewesen und habe die in Rechnung gestellte Lieferung
tatsächlich nicht erbracht.
Nach übereinstimmender Beurteilung der
Beteiligten sei als Lieferant der vom Kläger erworbenen
Fahrzeuge der in Italien wohnhafte KW anzusehen, der offenbar die
Fahrzeuge in Italien gekauft und in Deutschland an deutsche
Abnehmer, u.a. den Kläger, weiterveräußert habe.
Hierbei habe die Verwendung der Rechnungsanschrift in N dazu
gedient, gegenüber den Abnehmern der Fahrzeuge zu
verschleiern, dass es sich bei dem leistenden Unternehmer um einen
ausländischen Unternehmer gehandelt habe, der bei dem
Verbringen der Fahrzeuge nach Deutschland die Besteuerung als
innergemeinschaftlichen Erwerb vermeiden und gegenüber seinen
Kunden den Eindruck eines inländischen Unternehmers habe
erwecken wollen. Jedenfalls im Zeitpunkt der Rechnungserteilung sei
aufgrund der Angaben in den Rechnungen nicht leicht und eindeutig
festzustellen gewesen, dass leistender Unternehmer der in Italien
ansässige KW gewesen sei. Allein die Tatsache, dass KW unter
der Anschrift in N ein Gewerbe angemeldet habe und nach Aufgabe der
Tätigkeit im Folgejahr beim zuständigen FA eine
Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben habe, genüge nicht zu
seiner Identifizierung. Damit habe lediglich der Büroservice
der Firma D ausfindig gemacht werden können. Der Aufwand zur
Identifizierung des Unternehmers müsse aber wegen der den
Abrechnungspapieren zugedachten Funktion eines Belegnachweises
begrenzt sein. Es sei deshalb für die Angabe im
Abrechnungspapier zu fordern, dass diese eine eindeutige und leicht
nachprüfbare Feststellung des Unternehmers
ermögliche.
Die Grundsätze der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH), wonach der in Rechnungen einer GmbH
angegebene Sitz bei Ausführung der Leistung und
Rechnungsausstellung tatsächlich bestehen müsse und ein
Scheinsitz anzunehmen sei, wenn am angegebenen Firmensitz keinerlei
Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktionen,
Behördenkontakte und Zahlungsverkehr stattgefunden
hätten, müssten bei natürlichen Personen
entsprechend Anwendung finden. Die Tätigkeit des
Büroservice der Firma D habe sich im Wesentlichen darauf
beschränkt, eingehende Telefonanrufe und Postsendungen
weiterzuleiten, ohne dass dort eine sonstige unternehmerische
Tätigkeit in Form von Geschäftsleitung,
Behördenkontakten oder Zahlungsverkehr entfaltet worden
wäre.
Bei dem Umfang der von KW unter der
Anschrift in N betriebenen Geschäftstätigkeiten
(erklärte Umsätze von September bis Dezember 1996 mehr
als ... Mio. DM) hätten allein schon in großem Umfang
Geschäftsunterlagen (Einkaufs- und Verkaufsbelege,
Buchführungsunterlagen, Zahlungsbelege usw.) am angeblichen
Geschäftssitz aufbewahrt werden müssen, was aber nicht
der Fall gewesen sei. Auch seien keinerlei Gelder über das
betriebliche Konto bei der Bank in Deutschland geflossen.
Im Zeitpunkt der Rechnungserteilung sei
nicht bekannt gewesen, dass Leistender der in Italien
ansässige KW gewesen sei. Vielmehr sei dieser Umstand der
Finanzverwaltung erst im Zuge der späteren Ermittlungen der
Steuerfahndungsstellen bekannt geworden.
Hiergegen richtet sich die - vom FG
zugelassene - Revision.
Im Revisionsverfahren (am 10.11.2005) ist
der Umsatzsteuerbescheid für 1996 geändert worden, indem
die im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung vor dem
FG vorzunehmenden Änderungen berücksichtigt
wurden.
Mit der Revision macht der Kläger
Verletzung materiellen und formellen Rechts geltend.
Er trägt vor, das FG habe seine
Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es davon ausgegangen
sei, dass die Anschrift des KW unbekannt gewesen sei. Das sei
unzutreffend. Richtig sei vielmehr, dass jederzeit bekannt gewesen
sei, dass KW in Italien ansässig gewesen sei.
Außerdem könnten die vom BFH
entwickelten Anforderungen an die Rechnung einer GmbH nicht auf die
Rechnung eines Einzelunternehmers übertragen werden. Dies
gebiete die Sitz- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der
EU.
Selbst bei einer GmbH aber könne die
Adresse eines Büroservice als Sitz in Deutschland ausreichend
sein, sofern geschäftliche Aktivitäten von diesem
Standpunkt aus entwickelt würden.
Ob KW seinen steuerlichen Verpflichtungen
nachgekommen sei, sei unerheblich, weil es für den
Vorsteuerabzug unschädlich sei, wenn sich der leistende
Unternehmer dem Zugriff der Finanzbehörden entziehe.
Der Verbrauchsteuercharakter der
Umsatzsteuer gebiete es, den guten Glauben des
Leistungsempfängers an die vermeintliche
Unternehmereigenschaft des Leistenden zu schützen. Er, der
Kläger, sei gutgläubig gewesen. Sowohl der Firmenkopf als
auch die Rechnungen hätten die Firma W mit der Adresse in N
(Deutschland) ausgewiesen. Bei Anrufen habe sich entweder eine Frau
D oder KW selbst gemeldet. Bei an die Adresse in N gesendeten
Mitteilungen und Rückfragen habe er, der Kläger, immer
innerhalb von ein bis drei Tagen eine Antwort oder einen
Rückruf erhalten.
Der Vorsteuerabzug sei ihm daher wenigstens
im Wege einer Billigkeitsmaßnahme zuzusprechen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Umsatzsteuer um ... DM herabzusetzen;
hilfsweise den Rechtsstreit unter Aufhebung
des FG-Urteils zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Sie
führt zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen zur
Aufhebung der Vorentscheidung, hat aber in der Sache keinen
Erfolg.
1. Das Urteil des FG hat über die
Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheides 1996 vom
13.3.2000 entschieden. An die Stelle dieses Bescheides trat
während des Revisionsverfahrens gemäß § 68
Satz 1, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der
Änderungsbescheid vom 10.11.2005.
Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr
existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das
FG-Urteil keinen Bestand mehr haben kann (vgl. BFH-Urteile vom
28.8.2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10 = SIS 03 42 92; vom 10.11.2004 XI R 30/04, BFHE 208, 194, BStBl II 2005, 274 =
SIS 05 13 14; vom 23.8.2007 V R 10/05, BFH/NV 2007, 2217 = SIS 07 34 84).
2. Einer Zurückverweisung an das FG nach
§ 127 FGO bedarf es nicht, weil sich durch den
Änderungsbescheid der bisherige Streitstoff nicht
verändert hat. Der erkennende Senat entscheidet deshalb
gemäß § 126 Abs. 2 FGO in der Sache selbst und
weist die Klage gegen den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom
10.11.2005 ab.
3. Das FG hat zu Recht den Vorsteuerabzug
versagt, weil die Adresse in den Rechnungen nicht die Adresse des
leistenden Unternehmers gewesen ist.
a) Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1
Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) die in
Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1993 gesondert ausgewiesene
Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von
anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt
worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Gemäß
§ 14 Abs. 1 UStG 1993 muss die Rechnung u.a. den Namen und die
vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten.
Dabei muss die Rechnung grundsätzlich den richtigen Namen
(Firma) und die richtige Adresse des leistenden Unternehmers
angeben.
b) Der BFH hat bisher nur in Fällen von
Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) entschieden,
dass der Abzug der in der Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer nur
möglich ist, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH
bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung
tatsächlich bestanden hat. Der sog. Sofortabzug der Vorsteuer
gebietet es, dass der Finanzverwaltung eine eindeutige und leicht
nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers
ermöglicht wird (ständige Rechtsprechung, z.B.
BFH-Urteile vom 29.4.1993 V R 118/89, BFH/NV 1994, 584; vom
17.9.1992 V R 41/89, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205 = SIS 93 04 39; BFH-Beschluss vom 31.1.2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II
2004, 622 = SIS 02 07 75, jeweils mit Nachweisen). Der den
Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trägt die
Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH
angegebene Sitz tatsächlich bestanden hat (BFH-Urteil vom
27.6.1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620 = SIS 96 24 01). Denn es besteht eine Obliegenheit des
Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der
Angaben in der Rechnung zu vergewissern.
Diese Grundsätze werden durch das Urteil
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom
28.6.2007 C-73/06, Planzer Luxembourg Sarl (BFH/NV Beilage 2007,
418, UR 2007, 654 = SIS 04 12 07 Randnr. 62) bestätigt. Danach
lässt sich eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie
für eine „Briefkastenfirma“ oder für
eine „Strohfirma“ charakteristisch ist, nicht
als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. von Art. 1 Nr.
1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17.11.1986
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der
Mehrwerststeuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige
Steuerpflichtige (Richtlinie 86/560/EWG) ansehen. Außerdem
ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität
ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen
Mehrwertsteuersystems (EuGH-Urteil Planzer Luxembourg Sarl in
BFH/NV Beilage 2007, 418, UR 2007 = SIS 04 12 07, 654 Randnr.
43).
c) Die Rechtsformneutralität der
Umsatzsteuer gebietet es, diese Anforderungen an alle Unternehmer
gleichermaßen zu stellen.
Ob ein „Briefkasten-Sitz“
mit postalischer Erreichbarkeit des Unternehmers nach den
Umständen des Einzelfalles als hinreichende Adresse des
leistenden Unternehmers überhaupt in Betracht kommen kann, hat
der Senat nicht zu entscheiden. Das ist jedenfalls dann nicht der
Fall, wenn besondere, detaillierte Feststellungen die Annahme eines
„Scheinsitzes“ rechtfertigen (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620 = SIS 96 24 01;
BFH-Beschlüsse vom 4.2.2003 V B 81/02, BFH/NV 2003, 670 = SIS 03 22 66; vom 19.4.2007 V R 48/04, BFH/NV 2007, 2035 = SIS 07 28 51).
Das FG hat derartige Feststellungen getroffen.
Es hat festgestellt, dass die Verwendung der Anschrift in N nur
dazu gedient habe, gegenüber den Abnehmern der Fahrzeuge zu
verschleiern, dass es sich bei dem leistenden Unternehmer um einen
ausländischen Unternehmer gehandelt habe, der bei dem
Verbringen der Fahrzeuge nach Deutschland eine Besteuerung durch
die Abnehmer als innergemeinschaftlichen Erwerb habe vermeiden
wollen. Die Tätigkeit des Büroservice der Firma D habe
sich darauf beschränkt, eingehende Telefonanrufe und
Postsendungen weiterzuleiten, ohne dass eine sonstige
unternehmerische Tätigkeit in Form von Geschäftsleitung,
Behördenkontakten oder Zahlungsverkehr stattgefunden habe.
Obwohl die angeblich von N aus betriebene
Geschäftstätigkeit mit einem Umsatz von mehr als ... Mio.
DM innerhalb von vier Monaten einen erheblichen Umfang gehabt habe,
seien in N keinerlei Geschäftsunterlagen aufbewahrt worden und
es sei über das Konto bei der Bank in Deutschland auch kein
Zahlungsverkehr abgewickelt worden.
4. Die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus
Billigkeitsgründen kommt nicht in Betracht. Ob die Angaben in
der Rechnung überhaupt einem Gutglaubensschutz zugänglich
sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Wie bereits unter
II. 3. b) dargelegt, besteht eine Obliegenheit des
Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der
Angaben in der Rechnung zu vergewissern. Das gilt hier in
verstärktem Maße, weil der Kläger seinem eigenen
Vorbringen zufolge wusste, dass KW einen Wohnsitz in Italien hatte
und seine Handy-Nummer eine italienische Vorwahl hatte. Angesichts
der unterschiedlichen Besteuerung des Erwerbs im Inland und des
innergemeinschaftlichen Erwerbs sind dies Anhaltspunkte, die dem
Kläger Anlass zu einer erhöhten Sorgfalt bei der
Prüfung der Richtigkeit der Rechnungsdaten gegeben haben.