Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 9.6.2016 11 K
10303/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) betreibt einen Fahrzeughandel und bezog von der
X-GmbH Fahrzeuge und Container, über deren Lieferung die
X-GmbH mit Rechnungen vom 3.1.2012 (... EUR zzgl. Umsatzsteuer in
Höhe von ... EUR) und vom 5.1.2012 (... EUR zzgl. Umsatzsteuer
in Höhe von ... EUR) abrechnete. Die Umsatzsteuer für
Januar 2012 wurde von der X-GmbH in Höhe von ... EUR nicht
entrichtet.
|
|
|
2
|
Geschäftsführer der X-GmbH war Y,
der in der Vergangenheit bereits für mehrere andere
Unternehmen aufgetreten war, zu denen die Klägerin
Geschäftsbeziehungen unterhielt. Gegen Y wurde seit 2008 durch
die Steuerfahndung wegen einer Vielzahl von Fällen der
Umsatzsteuerhinterziehung ermittelt. Mit Urteil vom 17.1.2014
verurteilte das Landgericht Y wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer
aus den Lieferungen an die Klägerin vom 3. und
5.1.2012.
|
|
|
3
|
Die Steuerfahndung hatte die Klägerin
spätestens am 11.1.2012 über die Ermittlungsverfahren in
Kenntnis gesetzt. Ob die Klägerin bereits zuvor von den
Ermittlungsverfahren Kenntnis hatte, war zwischen den Beteiligten
streitig.
|
|
|
4
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) nahm die Klägerin mit dem streitbefangenen
Haftungsbescheid nach § 25d des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in
Haftung.
|
|
|
5
|
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) unterstellte dabei als wahr, dass die Klägerin seit
15.10.2008 positive Kenntnis von steuerstrafrechtlichen
Ermittlungen gegen Y gehabt habe. Das FA müsse aber die
Voraussetzungen des § 25d Abs. 1 UStG darlegen und nachweisen;
das sei ihm nicht gelungen. Es gebe keinen Erfahrungssatz, dass
jemand, der einmal Umsatzsteuer nicht entrichtet habe, später
anlässlich eines anderen Geschäftsvorfalles die
vorgefasste Absicht habe, die Umsatzsteuer erneut nicht zu
entrichten. Im Übrigen habe zugunsten des Y bis zu seiner
Verurteilung im Jahr 2014 die Unschuldsvermutung gegolten.
|
|
|
6
|
Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision. Die Klägerin habe i.S. des § 25d Abs. 1 UStG
nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns von der vorgefassten
Absicht der X-GmbH, die Umsatzsteuer aus den Umsätzen an die
Klägerin nicht zu entrichten, Kenntnis haben
müssen.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
|
|
|
8
|
Die Klägerin beantragt, die Revision
des FA zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und wird deshalb zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht entschieden,
dass das Vorliegen der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der
Klägerin im Haftungswege nach § 25d Abs. 1 UStG nicht
nachgewiesen ist.
|
|
|
10
|
1. § 25d Abs. 1 UStG führt zur
Haftung des Unternehmers aus einem vorangegangenen Umsatz, soweit
der Aussteller der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten
Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet hat und der
Unternehmer bei Abschluss des Vertrags über seinen
Eingangsumsatz davon Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines
ordentlichen Kaufmanns hätte haben müssen. Die
Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Merkmale des
§ 25d Abs. 1 UStG trägt das FA (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.2.2008 V R 44/06, BFHE 221, 415,
BStBl II 2008, 586 = SIS 08 18 05, unter II.4.a; Schwarz in
Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, § 25d Rz 35; Mann in
Küffner/ Stöcker/Zugmaier, UStG, § 25d Rz 31;
Zugmaier/Kaiser in Offerhaus/Söhn/Lange, § 25d UStG Rz
64; Schuska, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht -
MwStR - 2015, 323, 324).
|
|
|
11
|
2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Klägerin
nach § 25d Abs. 1 UStG nicht erfüllt sind. Das FA hat
nicht nachgewiesen, dass die Klägerin von einer etwaigen
vorgefassten Absicht des Y Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt
eines ordentlichen Kaufmanns Kenntnis hätte haben
müssen.
|
|
|
12
|
a) Selbst wenn man mit dem FG die Kenntnis der
Klägerin von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen Y
unterstellt, folgt hieraus nicht, dass sie von dessen Absicht
wusste, die Umsatzsteuer aus dem Liefergeschäft mit ihr nicht
abzuführen. Zum einen gilt, worauf das FG zutreffend
hingewiesen hat, bis zur Verurteilung des Y die Unschuldsvermutung.
Zum anderen folgt selbst aus steuerstrafrechtlich bedeutsamen
Verhalten bei anderen Geschäftsvorfällen nicht der
sichere Schluss auf die Absicht, auch bei zukünftigen
Umsätzen die Umsatzsteuer zu hinterziehen.
|
|
|
13
|
b) Ferner trafen die Klägerin selbst bei
Kenntnis von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen Y keine
Sorgfaltspflichten hinsichtlich einer Hinterziehungsabsicht des Y.
Denn an das Kennenmüssen i.S. des § 25d Abs. 1 UStG sind,
wenn - wie hier - die Regelvermutung des § 25d Abs. 2 UStG
nicht eingreift, strenge Anforderungen zu stellen.
|
|
|
14
|
§ 25d Abs. 1 UStG muss den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen, die Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung
sind und zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und
der Verhältnismäßigkeit gehören, genügen
(Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH -
Federation of Technological Industries u.a. vom 11.5.2006 C-384/04,
EU:C:2006:309, Rz 29). Die Regelung darf also nicht über das
hinausgehen, was erforderlich ist, um die Ansprüche des
Staates möglichst wirksam zu schützen. Zudem dürfen
Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die
vernünftigerweise von ihnen verlangt werden könnten, um
sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette
gehörten, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten
Umsatz einschließt, für die Zahlung der von einem
anderen Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer nicht
gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen werden (EuGH-Urteil
Federation of Technological Industries u.a., EU:C:2006:309, Rz
33).
|
|
|
15
|
Die Annahme, dass einem Steuerpflichtigen
bereits bei bloßer Kenntnis von steuerstrafrechtlichen
Ermittlungen gegen einen Vertragspartner erhöhte
Sorgfaltspflichten obliegen, würde trotz der dem Unternehmer
zukommenden Aufgabe, öffentliche Gelder als
„Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“
(dazu EuGH-Urteile Balocchi vom 20.10.1993 C-10/92, EU:C:1993:846,
Rz 25, und Netto Supermarkt vom 21.2.2008 C-271/06, EU:C:2008:105,
Rz 21; BFH-Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12, BFHE 243, 451, BStBl II
2015, 674 = SIS 14 01 48, Rz 21) zu vereinnahmen, gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen (vgl.
EuGH-Urteile Farkas vom 26.4.2017 C-564/15, EU:C:2017:302 = SIS 17 08 36, Rz 59 f.; Maya Marinova vom 5.10.2016 C-576/15,
EU:C:2016:740 = SIS 16 21 37, Rz 44).
|
|
|
16
|
Denn eine am
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Auslegung
des § 25d Abs. 1 UStG führt dazu, dass sich das
Kennenmüssen i.S. des § 25d Abs. 1 UStG auf Anhaltspunkte
bezieht, die für den Unternehmer im Rahmen eines konkreten
Leistungsbezugs den Schluss nahelegen, dass der Rechnungsaussteller
bereits bei Vertragsschluss die Absicht hatte, die Umsatzsteuer
nicht abzuführen. Hierfür gibt es vorliegend in Bezug auf
die konkreten Eingangsleistungen, die haftungsbegründend sein
sollen, aber weder nach den Feststellungen des FG noch nach
Aktenlage oder nach dem Vortrag des FA irgendwelche
Anhaltspunkte.
|
|
|
17
|
3. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 25d Abs. 1 UStG nicht vorliegen, braucht der Senat nicht
darüber zu entscheiden, in welchem Verhältnis eine
Haftung nach § 25d Abs. 1 UStG zu einer Versagung des
Vorsteuerabzugs nach den Grundsätzen der vom BFH
übernommenen Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu z.B.
EuGH-Urteile Italmoda u.a. vom 18.12.2014 C-131/13, C-163/13,
C-164/13, EU:C:2014:2455; Optigen u.a. vom 12.1.2006 C-354/03,
C-355/03, C-484/03, EU:C:2006:16; Kittel und Recolta Recycling vom
6.7.2006 C-439/04, 440/04, EU:C:2006:446; BFH-Urteile vom 12.8.2009
XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259 = SIS 10 01 90; vom 19.4.2007 V R
48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315 = SIS 07 28 51) steht und
ob überhaupt eine Kumulation von Vorsteuerversagung und
Haftung nach § 25d Abs. 1 UStG in Betracht kommen kann (vgl.
hierzu z.B. Drüen, UR 2016, 777; Grube, MwStR 2013, 8;
Heuermann, DStR 2015, 1416; Treiber, MwStR 2015, 626; Wäger,
UR 2015, 81).
|
|
|
18
|
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|