Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12.2.2013 15 K 4005/11
U, AO = SIS 14 18 04 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu
tragen.
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I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, als
Organgesellschaft nichtsteuerbare Leistungen an die A-GmbH &
Co. KG (A-KG) als Organträger erbracht hat.
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Gesellschafter der Klägerin waren in
den Streitjahren D und ihre Tochter B mit einer Beteiligung von
jeweils 50 %. D und B hatten eine Stimmbindungsvereinbarung
geschlossen, in der sich beide verpflichteten, ihr Stimmrecht als
Gesellschafter nur einheitlich auszuüben, wobei B ihr
Stimmverhalten an der Stimmabgabe durch D auszurichten hatte.
Alleinige Geschäftsführerin der Klägerin war
B.
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D war darüber hinaus alleinige
Kommanditistin der A-KG und Alleingesellschafterin der V-GmbH, die
Komplementärin der A-KG war. D war zudem bis zum 23.10.2007
einzige Geschäftsführerin der V-GmbH. Seitdem ist B
weitere einzelvertretungsbefugte Geschäftsführerin der
V-GmbH. Die A-KG betrieb ein sog. Seniorenzentrum als Wohn- und
Pflegeheim. Sie sah die von ihr erbrachten Pflegeleistungen
gemäß § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)
als steuerfrei an.
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Die Klägerin erbrachte in den
Streitjahren 2003 bis 2008 auf der Grundlage eines im Juni 1998
abgeschlossenen Vertrags entgeltliche Leistungen im Bereich der
Speisenversorgung an die A-KG, die die KG in der von ihr
betriebenen Altenhilfeeinrichtung verwendete. Nach dem Vertrag
hatte die Klägerin „die komplette Verpflegung von zur
Zeit 334 Bewohnern mit Speisen und Getränken nach Anweisung
und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Auftraggebers“
zu übernehmen. Die KG teilte der Klägerin „die
Anzahl der täglich zu liefernden Portionen und ggf. die vom
behandelnden Arzt vorgegebenen Ernährungskriterien der
einzelnen Bewohner mit“. Die Verpflegung war in einem
„Tablettsystem“ zusammenzustellen und auf
Transportwagen zu laden, die vom Hol- und Bringdienst der A-KG auf
die Wohnbereiche des Seniorenzentrums gebracht und später
wieder abgeholt wurden. Weitere Leistungen erbrachte die
Klägerin aufgrund eines gleichfalls im Juni 1998
abgeschlossenen „Wäscherei-Full-Servicevertrags“
und eines „Hausreinigungs-Full-Servicevertrags“.
Darüber hinaus war die Klägerin bei der Bewirtschaftung
eines Kiosks, einer Cafeteria und in der Personalkantine für
die A-KG gegen Entgelt tätig.
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Die Klägerin ging in ihren
Umsatzsteuerjahreserklärungen 2003 bis 2007 und in den
Umsatzsteuervoranmeldungen 2008 davon aus, dass sie
steuerpflichtige Leistungen erbracht habe, die dem
ermäßigten Steuersatz unterliegen.
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Im Anschluss an eine
Außenprüfung und an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung
war der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
demgegenüber der Auffassung, dass der Regelsteuersatz
anzuwenden sei und erließ am 6.7.2009 nach § 164 Abs. 2
der Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerjahresbescheide
2003 bis 2007 sowie einen erstmaligen Umsatzsteuerjahresbescheid
2008. Einem Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen gab das FA nicht statt.
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Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG)
hatten keinen Erfolg. Nach dem in EFG 2014, 1344 = SIS 14 18 04
veröffentlichten Urteil des FG liegt eine Organschaft nach
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, die die Klägerin erstmals nach der
Sonderprüfung im Einspruchsverfahren geltend gemacht hatte,
nicht vor. Auf die daher steuerpflichtigen Leistungen sei der
Regelsteuersatz anzuwenden. Die Klägerin habe auch keinen
Anspruch auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen.
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Hiergegen richtet sich die Revision der
Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts
geltend macht. Im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten
streitige Frage der Organschaft und die hierfür zu
berücksichtigende Bedeutung des Unionsrechts (Art. 4 Abs. 4
Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Richtlinie 77/388/EWG
- und ab dem Streitjahr 2007 Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006
- MwStSystRL - ) hat der Senat mit Beschluss vom 30.7.2014 das
Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) in der verbundenen Rechtssache
Larentia + Minerva C-108/14 und Marenave Schifffahrt C-109/14 -
EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50 - (Vorlagebeschlüsse des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.12.2013 XI R 17/11, BFHE 244, 79,
BStBl II 2014, 417 = SIS 14 06 89, und vom 11.12.2013 XI R 38/12,
BFHE 244, 94, BStBl II 2014, 428 = SIS 14 06 90)
angeordnet.
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Mit Urteil Larentia + Minerva und Marenave
Schiffahrt vom 16.7.2015 (EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50) hat der
EuGH in dieser verbundenen Rechtssache zur Auslegung der
unionsrechtlichen Grundlagen der Organschaft wie folgt
entschieden:
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“2. Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der
Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69
geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer
nationalen Regelung entgegensteht, die die in dieser Bestimmung
vorgesehene Möglichkeit, eine Gruppe von Personen zu bilden,
die als ein Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können,
allein den Einheiten vorbehält, die juristische Personen sind
und mit dem Organträger dieser Gruppe durch ein
Unterordnungsverhältnis verbunden sind, es sei denn, dass
diese beiden Anforderungen Maßnahmen darstellen, die für
die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher
Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von
Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet sind,
was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
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3. Bei Art. 4 Abs. 4 der Sechsten
Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69
geänderten Fassung kann nicht davon ausgegangen werden, dass
er unmittelbare Wirkung hat, so dass Steuerpflichtige dessen
Inanspruchnahme gegenüber ihrem Mitgliedstaat geltend machen
könnten, falls dessen Rechtsvorschriften nicht mit dieser
Bestimmung vereinbar wären und nicht in mit ihr zu
vereinbarender Weise ausgelegt werden könnten.“
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Die Klägerin macht hierzu geltend,
dass unionsrechtliche Erfordernisse bei der Auslegung des
nationalen Rechts trotz der fehlenden Berufbarkeit zu
berücksichtigen seien. Die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs oder
die Möglichkeit einer Steuerhinterziehung sprächen nicht
gegen eine Rückkehr zur früheren Rechtsprechung, nach der
eine mittelbare finanzielle Eingliederung über gemeinsame
Gesellschafter möglich war. Rechtsmissbrauch und
Steuerhinterziehung seien zudem für die bisherige
BFH-Rechtsprechung zur Organschaft ohne Bedeutung gewesen. Die
finanzielle Eingliederung sei erst aufgrund einer geänderten
Beurteilung durch die Rechtsprechung des BFH entfallen. Eine
Beherrschung der Klägerin durch die A-KG ergebe sich aus der
beiden Gesellschaften übergeordneten Struktur. Die A-KG habe
der Klägerin Anweisungen für die tägliche Arbeit
erteilt. Die Klägerin sei in den Räumlichkeiten der A-KG
tätig geworden. Bei der Klägerin habe es sich um die
Ausgliederung eines zuvor von der A-KG selbst wahrgenommenen
Arbeitsbereichs gehandelt. Gleichwohl habe die A-KG bei der
Klägerin durchregieren können. Die nach dem Unionsrecht
enge Verbindung liege vor. Zu ihren Gunsten sei zumindest eine
Übergangsregelung der Finanzverwaltung anzuwenden. Auch in
Bezug auf die Frage des anwendbaren Steuersatzes sei ihr
Vertrauensschutz zu gewähren.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2008 vom
6.7.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.10.2011
dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer nach
Maßgabe der im Einspruchsverfahren eingereichten
geänderten Umsatzsteuererklärungen festgesetzt
wird,
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hilfsweise, das FA unter Aufhebung des
Ablehnungsbescheids vom 31.8.2012 und der Einspruchsentscheidung
vom 2.10.2012 zu verpflichten, die Umsatzsteuerbescheide vom
6.7.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.10.2011 aus
Billigkeitsgründen entsprechend der im Einspruchsverfahren
eingereichten Umsatzsteuererklärungen festzusetzen.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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Bei dem sich aus dem nationalen Recht
ergebenden Erfordernis der Eingliederung handele es sich um eine
geeignete und erforderliche Maßnahme zur Verhinderung
missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und zur
Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung. Das Erfordernis
der Überordnung diene auch der Rechtssicherheit. Das nationale
Recht verstoße daher nicht gegen das Unionsrecht. Zudem
knüpfe das nationale Recht zur Organschaft nicht an den
Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 UStG, sondern an das Merkmal
der Selbständigkeit an. Damit habe der nationale Gesetzgeber
eine andere Regelungstechnik gewählt als der Richtliniengeber,
der am Begriff des Steuerpflichtigen ansetze. Aufgrund des
Verlustes der Selbständigkeit gingen die steuerlichen
Verpflichtungen wie etwa die Abgabe von Steuererklärungen auf
den Organträger über. Im Hinblick auf diesen
Übergang komme dem Gebot der Rechtssicherheit große
Bedeutung zu. Ohne Über- und Unterordnung entstünden
Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Verschleierung der
für den Organkreis verantwortlichen Person führen
könnten. Es drohe die Gefahr der Steuerhinterziehung und
-umgehung. Zudem fehle es auch an einer organisatorischen
Eingliederung. Alleinige Geschäftsführerin der
Klägerin sei B gewesen, während D bis zum Oktober 2007
alleinige Geschäftsführerin bei der
Komplementär-GmbH der A-KG gewesen sei. Es seien keine
Standardspeisen abgegeben worden.
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Das Bundesministerium der Finanzen ist dem
Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten und macht geltend, dass
hinsichtlich der Beschränkung auf juristische Personen keine
Möglichkeit bestehe, das nationale Recht unionsrechtskonform
auszulegen. Am Erfordernis des Unterordnungsverhältnisses sei
festzuhalten. Das Erfordernis der Mehrheitsbeteiligung entspreche
den unionsrechtlichen Vorgaben. Das Gebot der Rechtssicherheit sei
zu beachten. Zu berücksichtigen sei auch die
Entstehungsgeschichte von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
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II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Auch unter Berücksichtigung der zum Unionsrecht
ergangenen EuGH-Rechtsprechung gehört die Klägerin
mangels finanzieller und organisatorischer Eingliederung weder nach
nationalem Recht noch nach Unionsrecht einer mit der A-KG
bestehenden Organschaft an, so dass das FG zu Recht entschieden
hat, dass die Klägerin Leistungen erbracht hat, die dem
Regelsteuersatz unterliegen. Es ist auch kein Billigkeitserlass zu
gewähren.
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1. Die Klägerin ist nicht finanziell in
das Unternehmen der A-KG eingegliedert.
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a) Die finanzielle Eingliederung setzt nach
nationalem Recht eine eigene Mehrheitsbeteiligung des
Organträgers an einer juristischen Person voraus.
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aa) Die gewerbliche oder berufliche
Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nicht
selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach
dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell,
wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des
Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Organschaft
dient der Verwaltungsvereinfachung (vgl. BTDrucks V/48, § 2,
BTDrucks IV/1590, S. 36, zum gesetzlichen Festhalten an der
vorkonstitutionellen Organschaft des UStG 1934, RStBl 1934, 1549
ff.; zum Vereinfachungszweck vgl. Stadie in
Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 784, und
zum Unionsrecht EuGH-Urteil Larentia + Minerva, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 41) und führt zu einer Zusammenfassung zu einem
Unternehmen beim Organträger. Der Organträger ist
entsprechend dem Vereinfachungszweck Steuerschuldner auch für
die aufgrund der Organschaft unselbständig tätige Person.
Die Rechtsfolgen der Organschaft treten von Gesetzes wegen ein.
Hinsichtlich der Voraussetzungen der Organschaft ist nicht danach
zu differenzieren, ob ein Steuerschuldner - hier die Klägerin
- oder der Steuergläubiger Rechtsfolgen aus der Organschaft zu
seinen Gunsten ableitet.
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bb) Da sich die mit der Organschaft verbundene
Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger finanziell
belastend auswirken kann, müssen die Voraussetzungen der
Organschaft rechtssicher bestimmbar sein (BFH-Urteil vom 22.4.2010
V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597 = SIS 10 18 70, unter
II.3.b bb(1), m.w.N. zur Rechtsprechung von EuGH und BFH).
Dementsprechend erfordert die finanzielle Eingliederung eine
Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der juristischen
Person (BFH-Urteile vom 22.11.2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl
II 2002, 167 = SIS 02 04 42, unter II.1.a; vom 19.5.2005 V R 31/03,
BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671 = SIS 05 31 27, unter II.2.a dd;
vom 30.4.2009 V R 3/08, BFHE 226, 144 = SIS 09 26 36, BFHE II 2013,
873, unter II.2.b aa; vom 22.4.2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl
II 2011, 597 = SIS 10 18 70, unter II.2.; vom 1.12.2010 XI R 43/08,
BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600 = SIS 11 09 25, unter II.2., und
vom 7.7.2011 V R 53/10, BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218 = SIS 11 34 10, unter II.2.a).
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cc) Der Organträger muss zudem über
eine eigene Mehrheitsbeteiligung an der juristischen Person
verfügen. Diese kann sich entweder aus einer unmittelbaren
Beteiligung oder mittelbar aus einer über eine
Tochtergesellschaft gehaltenen Beteiligung ergeben.
Demgegenüber ist bei einer Beteiligung mehrerer Gesellschafter
an zwei Schwestergesellschaften nicht rechtssicher bestimmbar,
unter welchen Voraussetzungen der Beteiligungsbesitz der
Gesellschafter zusammengerechnet werden kann, um eine finanzielle
Eingliederung der einen in die andere Schwestergesellschaft zu
begründen (BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597 =
SIS 10 18 70, unter II.3.b bb (2)). Darüber hinaus ist die
finanzielle Eingliederung einer GmbH in eine Personengesellschaft
nach dem BFH-Urteil des XI. Senats in BFHE 232, 550, BStBl II 2011,
600 = SIS 11 09 25, Leitsatz 1 auch dann zu verneinen, wenn nur ein
Gesellschafter über die Stimmenmehrheit an den beiden
Schwestergesellschaften verfügt.
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dd) Der erkennende Senat hält an dieser
Rechtsprechung zur rechtssicheren wie auch einfachen Bestimmung der
Voraussetzungen der Organschaft fest:
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(1) Das nationale Recht sieht weder einen
Antrag noch ein besonderes Verfahren zur Feststellung der
Voraussetzungen der Organschaft vor. Da es dementsprechend an einem
Grundlagenbescheid fehlt, ist es entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht möglich, für die Organschaft anstelle
einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auf das unbestimmte wie auch
unpräzise Merkmal einer lediglich engen finanziellen
Verbindung zwischen mehreren Personen abzustellen. Eine derartige
Verbindung ermöglicht es nicht, die Person rechtssicher zu
bestimmen, die die steuerrechtlichen Verpflichtungen für den
Organkreis als Organträger und damit als einzige
Steuerschuldnerin zu erfüllen hat. So könnte z.B. ohne
Erfordernis einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auch eine mittelbare
finanzielle Eingliederung zwischen zwei
Schwesterkapitalgesellschaften bestehen, bei der dann mangels eines
besonderen Feststellungsverfahrens die Person des Organträgers
und die der Organgesellschaft nicht bestimmt werden
könnte.
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Ebenso ist es im Grundsatz im Verhältnis
einer Kapitalgesellschaft zu ihrer Schwesterpersonengesellschaft.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der erkennende Senat
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aus Gründen der
Rechtsformneutralität erweiternd auch auf einzelne
eingegliederte Personengesellschaften anwendet. Zu den
Voraussetzungen hierfür verweist der Senat zur Vermeidung von
Wiederholungen auf sein Urteil vom 2.12.2015 V R 25/13 (zur
amtlichen Veröffentlichung bestimmt, unter II.2.c).
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(2) Bei der Auslegung der
Eingliederungsvoraussetzungen ist auch der mit der Organschaft
verfolgte Vereinfachungszweck zu berücksichtigen. Dieser
erfordert, dass die Organschaft auch für den Organträger
als Steuerschuldner für die organschaftlich zusammengefassten
Unternehmen einfach anzuwenden ist. Ohne Antrags- und ohne
Feststellungsverfahren muss es dem Organträger daher aufgrund
der Eingliederung möglich sein, die - nach § 370 AO
strafbewährte - Verantwortung für die
Umsatztätigkeit der mit ihm verbundenen juristischen Person zu
übernehmen. Dies setzt in Form der Eingliederung i.S. von
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Durchgriffsmöglichkeiten voraus,
aufgrund derer der Organträger - ähnlich wie bei
unselbständigen Betriebsabteilungen im Unternehmen einer
Person - die für die Abgabe von Steueranmeldungen und
Steuererklärungen notwendigen Informationsansprüche wie
auch die zur Erfüllung von Steueransprüchen notwendigen
Ausgleichsansprüche (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8.8.2013 V R
18/13, BFHE 242, 433 = SIS 13 23 09, unter II.3.a) gegen die
Organgesellschaft durchsetzen kann (vgl. auch Stadie in
Rau/Dürrwächter, a.a.O., § 2 Anm. 913).
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b) Im Streitfall ist die Klägerin nach
nationalem Recht nicht Organgesellschaft der A-KG. Die finanzielle
Eingliederung der Klägerin in die A-KG scheitert bereits
daran, dass die A-KG keine eigene Mehrheitsbeteiligung an der
Klägerin in ihrem Gesamthandsvermögen hielt, sondern nur
über ihre Gesellschafterin D mit der Klägerin verbunden
war. Ohne eigene Mehrheitsbeteiligung ist die Person des
Organträgers im Verhältnis zwischen der Klägerin,
einer GmbH, und ihrer Schwester-KG nicht eindeutig bestimmbar. Es
bestehen keine rechtsverbindlichen Regelungen zur Zusammenrechnung
eines mehreren Gesellschaftern zustehenden Anteilsbesitzes. Dies
gilt auch für den Fall einer familiären Verbundenheit
mehrerer Gesellschafter. Der von D mit ihrer Tochter getroffenen
Stimmbindungsvereinbarung kommt keine Bedeutung zu, da diese nicht
in der Satzung der Klägerin vereinbart war. Der Senat verweist
auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom
2.12.2015 V R 25/13, unter II.1.c cc (1).
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Mangels eigener Mehrheitsbeteiligung standen
der A-KG somit keine eigenen Durchgriffsrechte zu. Ihr, wie auch
der für sie organschaftlich handelnden Komplementär-GmbH,
war es nicht möglich, die Verantwortung dafür zu
übernehmen, dass die A-KG Umsätze der Klägerin
gegenüber Dritten ordnungsgemäß versteuert, oder
dafür verantwortlich zu sein, dass derartige Umsätze
nicht vorliegen.
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c) Das Unionsrecht führt nicht zu einer
gegenüber der bisherigen BFH-Rechtsprechung geänderten
Beurteilung.
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aa) Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der
Richtlinie 77/388/EWG steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland
ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber
durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und
organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind,
zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Diese Regelung
dient der „Verwaltungsvereinfachung“ und der
„Verhinderung bestimmter Missbräuche (EuGH-Urteil
Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 40).
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bb) Der Steuerpflichtige kann sich
gegenüber dem nationalen Recht nicht auf Art. 4 Abs. 4
Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
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(1) Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der
Richtlinie 77/388/EWG erfüllt „nicht die
Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten“,
sondern hat nur „bedingten Charakter“. Dies
beruht darauf, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene enge
Verbindung in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer
Hinsicht einer „Präzisierung auf nationaler
Ebene“ bedarf und die „Anwendung nationaler
Rechtsvorschriften voraussetzt, die den konkreten Umfang dieser
Verbindungen bestimmen“ (EuGH-Urteil Larentia + Minerva
und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 50
f.).
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(2) Entscheiden sich Mitgliedstaaten auf der
Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
dafür, Regelungen zur Zusammenfassung zu einem
Steuerpflichtigen zu schaffen, haben sie bei der Ausübung der
ihnen zustehenden Präzisierungsbefugnis die hierfür
unionsrechtlich bestehenden Anforderungen zu
berücksichtigen.
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(a) Die Mitgliedstaaten haben zu beachten,
dass sie die nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie
77/388/EWG mögliche Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen
nicht von weiteren als den in dieser Bestimmung genannten
Bedingungen abhängig machen dürfen (EuGH-Urteil Larentia
+ Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz
38) und dass das Unionsrecht die Regelung zur Mehrwertsteuergruppe
nicht allein den Einheiten vorbehält, die sich in einem
Verhältnis der Unterordnung zum Organträger befinden
(EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt,
EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 44). Auf eine Unterordnung darf
nur ausnahmsweise abgestellt werden, etwa wenn diese Bedingung
„in einem bestimmten nationalen Kontext“ zur
„Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder
Verhaltensweisen“ erforderlich und geeignet ist
(EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt,
EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 45). Hierüber hat das
nationale Gericht zu entscheiden (EuGH-Urteil Larentia + Minerva
und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 46).
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(b) Die auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4
Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG getroffenen Regelungen haben
- wie stets - den Grundsatz der Rechtssicherheit zu beachten.
Danach müssen „die Vorschriften des Unionsrechts
eindeutig sein“ und ihre Anwendung muss für die
Betroffenen vorhersehbar sein, „wobei dieses Gebot der
Rechtssicherheit in besonderem Maß gilt, wenn es sich um
Vorschriften handelt, die finanzielle Konsequenzen haben
können, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den
Umfang der ihnen durch diese Vorschriften auferlegten
Verpflichtungen genau zu erkennen“. Zudem
„müssen die Rechtsnormen der Mitgliedstaaten auf den
vom Unionsrecht erfassten Gebieten eindeutig formuliert sein, so
dass den betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer
Rechte und Pflichten ermöglicht wird, und die innerstaatlichen
Gerichte in die Lage versetzt werden, deren Einhaltung
sicherzustellen“ (EuGH-Urteil Tomoiaga vom 9.7.2015
C-144/14, EU:C:2015:452 = SIS 15 15 54, Rz 35, m.w.N. zur
EuGH-Rechtsprechung). Bei der Organschaft als Zusammenfassung zu
einem Steuerpflichtigen beim Organträger handelt es sich
aufgrund der damit verbundenen Verlagerung der Steuerschuld von der
Organgesellschaft auf den Organträger „um
Vorschriften ..., die finanzielle Konsequenzen haben
können“.
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cc) Für das sich aus dem nationalen Recht
ergebende Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten
i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG besteht eine hinreichende
Grundlage im Unionsrecht.
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(1) Obwohl sich die Voraussetzung eines
Antrags nicht aus Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie
77/388/EWG ergibt, der die Bedingungen für die Zusammenfassung
zu einem Steuerpflichtigen abschließend aufzählt (s.
oben II.1.c bb(2)(a)), haben einzelne Mitgliedstaaten diese
Zusammenfassung antragsabhängig ausgestaltet (vgl. z.B. zu dem
in der Republik Irland für die Gruppenbesteuerung bestehenden
Antragserfordernis EuGH-Urteil Kommission/Irland vom 9.4.2013
C-85/11, EU:C:2013:217 = SIS 13 17 65, Rz 8), ohne dass der EuGH
dies beanstandet (vgl. EuGH-Urteil Kommission/Irland, EU:C:2013:217
= SIS 13 17 65; vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter,
a.a.O., § 2, Anm. 816).
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Der erkennende Senat versteht dies
dahingehend, dass das Erfordernis einer rechtssicheren
Präzisierung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie
77/388/EWG Sonderbedingungen wie ein von der Richtlinie nicht
vorgesehenes Antragserfordernis rechtfertigt, bei dem es sich um
ein bloßes Verfahrenserfordernis oder auch um ein
materiell-rechtliches Wahlrecht handeln kann. Im Kontext des
nationalen Rechts, in dem es an einem besonderen Verfahren und
einem Grundlagenbescheid zur Feststellung der Organschaft und damit
an einer für alle am Organkreis Beteiligten verbindlichen
Festlegung, ob eine Organschaft besteht und wer Steuerschuldner
für diese ist, fehlt, kann nur anhand des Merkmals der
Eingliederung die Person bestimmt werden, die die Verantwortung
dafür zu tragen hat, dass die Umsätze des im Organkreis
zusammengefassten Unternehmens ordnungsgemäß versteuert
werden (s. oben II.1.a bb). Daher können die Mitgliedstaaten
das Erfordernis der Rechtssicherheit auch bei der ihnen obliegenden
Präzisierung (s. oben II.1.c bb(1)) des „konkreten
Umfangs“ der erforderlichen Verbindungen
berücksichtigen. Dies rechtfertigt ein Abstellen auf eine
Eingliederung mit Durchgriffsrechten, da sich hieraus die
Organschaft als Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen beim
Organträger rechtssicher ergibt (s. oben II.1.a dd). Damit
wird dem Vereinfachungszweck der Zusammenfassung Rechnung getragen,
da Beurteilungsschwierigkeiten, die sich auf der Grundlage einer
bloßen engen Verbindung, aus der sich aufgrund ihrer
Präzisierungsbedürftigkeit keine verbindlichen
Voraussetzungen ergeben, entfallen.
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Der Senat berücksichtigt dabei auch, dass
die Finanzverwaltung berechtigt ist, das Bestehen einer z.B.
zunächst rechtsfehlerhaft unerkannt gebliebenen Organschaft
mit Wirkung für die Vergangenheit geltend zu machen.
Unterschiedliche Anforderungen an die Organschaft, die sich danach
richten, ob der Steuerpflichtige - zur Vermeidung nicht abziehbarer
Vorsteuerbeträge wie im Streitfall - oder die Finanzverwaltung
aus Insolvenz- oder Vollstreckungsgründen ein Interesse am
Bestehen der Organschaft hat, sind weder mit dem nationalen Recht
noch mit dem Unionsrecht zu vereinbaren.
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(2) Dient die Zusammenfassung zu einem
Steuerpflichtigen trotz rechtlicher Selbständigkeit dazu,
„Missbräuche zu verhindern wie z.B. die Aufspaltung
eines Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den
Genuss einer Sonderregelung zu gelangen“ (EuGH-Urteile
Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 40, und Kommission/Irland, EU:C:2013:217 = SIS 13 17 65,
Rz 47), können die Mitgliedstaaten bei Ausübung der ihnen
unionsrechtlich zur Missbrauchsbekämpfung zustehenden
Regelungsbefugnis (s. oben II.1.c bb(2)(a)) berücksichtigen,
dass die Zusammenfassung zu nichtsteuerbaren Leistungen zwischen
den zusammengefassten Personen führt. Durch diese
Nichtsteuerbarkeit von Innenleistungen könnte es bei einem
fehlenden Recht zum Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers
nach § 15 Abs. 2 UStG (Art. 17 Abs. 2 und 3 der Richtlinie
77/388/EWG) zu einer Umgehung des insoweit bestehenden
Abzugsverbots kommen (zu den sich aus einer Organschaft insoweit
ergebenden „Gestaltungswirkungen“ vgl. z.B.
Grune/Mönckedieck, UR 2012, 541; Heintzen, DStR 1999, 1799;
Leonard, DStR 2010, 721). Die Gestaltungswirkung, die auch von der
Klägerin mit der Organschaft erstrebt wird, besteht darin, den
- ohne Organschaft - eintretenden Nachteil einer Steuerentstehung
ohne Recht auf Vorsteuerabzug zu vermeiden. Diese Folge ist mit dem
Vereinfachungszweck der Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen
nicht zu vereinbaren und rechtfertigt eine Beschränkung der
Organschaft auf die Fälle, in denen die organschaftlichen
Unternehmensteile aufgrund einer Eingliederung ebenso eng wie
Betriebsabteilungen eines Einheitsunternehmens miteinander
verbunden sind. Die Eingliederung bewirkt somit, dass derartige
Vorteile nur den Organschaften zugutekommen, deren Unternehmen
ähnlich eng wie bei einem rechtlichen Einheitsunternehmen
miteinander verbunden sind.
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dd) Durch den Übergang von Art. 4 Abs. 4
Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu dem ab 2007 geltenden Art.
11 MwStSystRL ist es nicht zu inhaltlichen Änderungen des
Unionsrechts gekommen (EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave
Schiffahrt, EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50, Rz 36 und 42).
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ee) Die hiergegen gerichteten Einwendungen der
Klägerin greifen nicht durch. Der erkennende Senat hat bereits
in der Vergangenheit maßgeblich auf das Erfordernis der
Rechtssicherheit abgestellt (BFH-Urteil in BFHE 229, 433, BStBl II
2011, 597 = SIS 10 18 70). Hiermit nicht vereinbar ist es, für
die Organschaft auf die Entstehungsgeschichte der miteinander
verbundenen Unternehmen abzustellen.
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2. Bis zum Oktober 2007 fehlte es zudem an der
erforderlichen organisatorischen Eingliederung.
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a) Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die
organisatorische Eingliederung voraus, dass der Organträger
die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit
der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden
Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die
Organgesellschaft durch die Art und Weise der
Geschäftsführung beherrschen muss. Hiervon ist z.B. dann
auszugehen, wenn bei zwei GmbHs eine Personenidentität in den
Geschäftsführungsorganen besteht. Sind für die
Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte
Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest
einer von ihnen auch Geschäftsführer der
Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein
umfassendes Weisungsrecht gegenüber der
Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt und zur
Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der
Organ-GmbH berechtigt ist. Nicht ausreichend ist demgegenüber,
dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der
Organgesellschaft ausgeschlossen ist (BFH-Urteil in BFHE 242, 433 =
SIS 13 23 09, unter II.2.b und 3.).
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Soweit der Senat hierfür in einem
Einzelfall auf eine „institutionell abgesicherte
unmittelbare Eingriffsmöglichkeit in den Kernbereich der
laufenden Geschäftsführung“ (BFH-Urteil vom
3.4.2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905 = SIS 08 25 80, unter II.4.) abgestellt hat, folgt hieraus nichts anderes, als
dass im Regelfall eine personelle Verflechtung über die
Geschäftsführung der juristischen Person als
Organgesellschaft bestehen muss. Nicht ausreichend sind
Weisungsrechte, Berichtspflichten (BFH-Urteil in BFHE 221, 443,
BStBl II 2008, 905 = SIS 08 25 80, unter II.4.) oder ein
Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung oder
zugunsten des Mehrheitsgesellschafters (BFH-Urteil in BFHE 234,
548, BStBl II 2013, 218 = SIS 11 34 10, unter II.3.a cc).
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b) Gegen diese Anforderungen bestehen auch
unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Larentia + Minerva und
Marenave Schiffahrt (EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50) keine Bedenken
in unionsrechtlicher Hinsicht. Auch das Erfordernis einer in
organisatorischer Hinsicht bestehenden Durchgriffsmöglichkeit
dient insbesondere der rechtssicheren Bestimmung der
Eingliederungsvoraussetzungen, der Verwaltungsvereinfachung und der
Missbrauchsverhinderung (vgl. oben II.1.c cc).
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c) Damit fehlt es bis zum Oktober 2007 auch an
einer organisatorischen Eingliederung der Klägerin in die
A-KG. Denn bis dahin bestand eine organisatorische Trennung
zwischen der Klägerin, deren einzige
Geschäftsführerin B war, und der A-KG, die
organschaftlich durch ihre Komplementär-GmbH vertreten wurde,
bei der D einzige Geschäftsführerin war. Zu der im Sinne
des BFH-Urteils in BFHE 242, 433 = SIS 13 23 09, unter II.2.b und
3. erforderlichen organisatorischen Verflechtung über das
Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der Klägerin
kam es erst dadurch, dass die Geschäftsführerin der
Klägerin auch zur Geschäftsführerin bei der
Komplementär-GmbH der A-AG bestellt wurde.
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3. Die mangels Organschaft steuerbaren
Leistungen der Klägerin unterliegen nicht dem
ermäßigten Steuersatz.
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Das FG hat insoweit zutreffend entschieden,
dass es für die Anwendung der Steuersatzermäßigung
nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG an der dort vorausgesetzten
Lieferung von in der Anlage bezeichneten Gegenständen fehlt
und sich hierfür zu Recht auf die BFH-Rechtsprechung bezogen,
nach der die in einer Großküche eines Altenwohnheims und
Pflegeheims zur Verpflegung der Bewohner zubereiteten Speisen keine
„Standardspeisen“ als Ergebnis einfacher und
standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines
Imbissstandes sind, so dass deren Abgabe zu festen Zeitpunkten in
Warmhaltebehältern keine Lieferung, sondern eine dem
Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung ist (BFH-Urteil vom
12.10.2011 V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250 = SIS 11 41 23). Ebenso wie in diesem Fall hat auch die Klägerin
entgeltliche Leistungen zur Versorgung der in einem Heim
vollstationär untergebrachten Personen mit Speisen und
Getränken erbracht, wobei Speiseplanvorgaben einzuhalten
waren. Es ist auch im Streitfall davon auszugehen, dass sich die
Tätigkeit bei der Speisenversorgung nicht auf die Abgabe von
Standardspeisen als Ergebnis einfacher und standardisierter
Zubereitungen nach Art eines z.B. Imbissstandes
beschränkte.
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4. Dem Erlass der Änderungsbescheide
steht auch nicht § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO entgegen.
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Nach dieser Vorschrift darf bei der Aufhebung
oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des
Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die
Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert
hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der
Finanzbehörde angewandt worden ist.
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a) Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert
bereits daran, dass die Klägerin das Bestehen einer
Organschaft erstmals im Einspruchsverfahren und damit nach Erlass
der hier streitigen Steuerbescheide geltend gemacht hat. Damit lag
den Steuerbescheiden vor Erlass der angefochtenen
Änderungsbescheide keine BFH-Rechtsprechung zur Organschaft
zugrunde, so dass die Rechtsauffassung vor der
Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil in BFHE 229, 433,
BStBl II 2011, 597 = SIS 10 18 70 ohne Bedeutung war.
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b) In Bezug auf die Frage der Abgrenzung von
Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen
ergibt sich für die Klägerin ein Anspruch auf
Vertrauensschutz auch nicht daraus, dass der erkennende Senat mit
seinem Urteil in BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250 = SIS 11 41 23
die Rechtsprechung „fortentwickelt“ hat. Denn
unabhängig hiervon hatte sich der BFH vor diesem Urteil zur
Frage der Speisenversorgung in Altenwohnheimen und Pflegeheimen
nicht unmittelbar geäußert.
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5. Das FG hat den von der Klägerin
geltend gemachten Erlass aus Billigkeitsgründen zutreffend
abgelehnt.
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a) Nach § 163 Satz 1 AO können
Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer
erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt
bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls
aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen unbillig
wäre.
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Die nach § 163 AO zu treffende
Billigkeitsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der
Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur
eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt
(§ 102, § 121 FGO). Sie kann im finanzgerichtlichen
Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder
die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von
dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (ständige
Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II
1972, 603 = SIS 72 03 54; BFH-Urteile vom 26.10.1994 X R 104/92,
BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 = SIS 95 08 57; vom 10.10.2001 XI R
52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201 = SIS 02 04 71; vom
7.10.2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865 = SIS 11 13 05; vom 6.9.2011
VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269 = SIS 12 00 79).
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b) Die Festsetzung einer Steuer ist aus
sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des
Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes
zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteile vom 11.7.1996 V R 18/95, BFHE
180, 524, BStBl II 1997, 259 = SIS 96 22 76; vom 18.12.2007 VI R
13/05, BFH/NV 2008, 794 = SIS 08 17 55; in BFH/NV 2011, 865 = SIS 11 13 05). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen
für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich
geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage
als regelungsbedürftig erkannt hätte (vgl. BFH-Beschluss
vom 12.9.2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102 = SIS 08 05 14,
m.w.N.).
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c) Rechtsfehlerfrei hat das FG erkannt, dass
das FA die Voraussetzungen einer sachlichen oder persönlichen
Unbilligkeit zutreffend verneint hat. Insoweit ist zu
berücksichtigen, dass für einen über § 176 Abs.
1 Satz 1 Nr. 3 AO hinausgehenden Vertrauensschutz im Fall einer
Änderung der Rechtsprechung im Allgemeinen keine Notwendigkeit
besteht, wenn sich der Steuerpflichtige die vom BFH aufgegebene
Rechtsprechung erst in einem Einspruchsverfahren zu eigen macht.
Zudem hat das FG zutreffend berücksichtigt, dass
Verwaltungsanweisungen, zu denen auch dort getroffene
Übergangsregelungen gehören, nicht wie Gesetze
auslegungsfähig sind, sondern im Allgemeinen entsprechend dem
Verständnis der Finanzverwaltung anzuwenden sind (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 13.1.2011 V R 43/09, BFHE 233, 58, BStBl II 2011,
610 = SIS 11 13 62, zur „Vertretbarkeit“ der von
einer Finanzbehörde vorgenommenen Auslegung einer von der
Finanzverwaltung getroffenen Übergangsregelung). Im Hinblick
auf die Vermögenssituation der Klägerin konnte das FG
auch persönliche Billigkeitsgründe verneinen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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